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Kitabı oku: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1», sayfa 102

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CLXIV.
An Bord

Von diesem Augenblick war das Haus von Andrée schweigsam und düster wie ein Grab.

Die Nachricht von dem Tod ihres Sohnes hätte Andrée vielleicht getödtet. Es wäre einer von jenen dumpfen, langsamen Schmerzen gewesen, welche beständig untergraben. Der Brief von Gilbert war ein so heftiger Schlag, daß er übermäßig in der edlen Seele von Andrée Alles aufregte, was darin an Kräften und angreifenden Gefühlen blieb.

Wieder zu sich gekommen, suchte sie mit den Blicken ihren Bruder, und der Zorn, den sie in seinen Augen las, war eine neue Quelle des Muthes für sie.

Sie wartete, bis ihre Kräfte genug wiederhergestellt waren, daß ihre Stimme nicht mehr zitterte; dann nahm sie die Hand von Philipp und sagte:

»Mein Bruder, Du sprachst diesen Morgen vom Kloster von Saint-Denis, wo mir die Frau Dauphine eine Zelle bewilligt hat.«

»Ja. Andrée.«

»Du wirst mich noch heute dahin führen, wenn es Dir beliebt?«

»Ich danke, meine Schwester.«

»Sie, Doctor,« fuhr Andrée fort, »für so viel Güte, Aufopferung, Menschenfreundlichkeit wäre ein Dank eine unfruchtbare Belohnung. Ihr Lohn, Doctor, kann sich nicht auf der Erde finden.«

Sie ging auf ihn zu, küßte ihn und sprach:

»Dieses kleine Medaillon enthält mein Bildniß, das meine Mutter machen ließ, als ich zwei Jahre alt war; es muß meinem Sohn gleichen; behalten Sie es, Doctor, damit es zuweilen von dem Kind spricht, das Sie an das Tageslicht gebracht haben, und von der Mutter, die durch Ihre Sorge gerettet worden ist.«

Nach diesen Worten vollendete Andrée, ohne selbst gerührt zu werden, ihre Anstalten zur Reise, und Abends um sechs Uhr trat sie, ohne daß sie es wagte, den Kopf zu erheben, durch die Pforte des Klosters von Saint-Denis ein, an dessen Gitter Philipp, unfähig, seine Erschütterung zu bemeistern, ihr ein vielleicht ewiges Lebewohl sagte.

Plötzlich verließen die Kräfte die arme Andrée, und sie kehrte hastig und mit offenen Armen zu ihrem Bruder zurück; auch er streckte seine Arme gegen sie aus; sie trafen zusammen trotz des kalten Hindernisses, das ihnen das Gitter entgegenstellte, und auf ihren brennenden Wangen vermengten sich ihre Thränen.

»Lebe wohl!« flüsterte Andrée, deren Schmerz in Schluchzen ausbrach.

»Lebe wohl!« erwiederte Philipp, seine Verzweiflung erstickend.

»Wenn Du je meinen Sohn wiederfindest, gestatte es nicht, daß ich sterbe, ohne ihn umarmt zu haben,« sagte Andrée ganz leise.

»Sei unbesorgt  . . . Gott befohlen!«

Andrée entriß sich den Armen ihres Bruders und entfernte sich, unterstützt von einer Laienschwester, indem sie beständig in der tiefen Finsterniß des Klosters nach ihm schaute. So lange sie ihn sehen konnte, machte sie ihm Zeichen mit dem Kopf, dann mit ihrem Sacktuch, das sie schwang. Endlich empfing er ein letztes Lebewohl, welches sie, ihm vom Hintergrund des dunklen Weges zuwarf. Und eine eiserne Thüre fiel mit einem unheimlichen Geräusch zwischen sie, und Alles war vorbei.

Philipp nahm die Post in Saint-Denis selbst; seinen Mantelsack auf dem Kreuz des Pferdes, eilte er die ganze Nacht, den ganzen folgenden Tag fort, und kam im Havre in der Nacht dieses andern Tages an. Er nahm sein Nachtlager in dem ersten Gasthof, der sich an der Straße fand, und erkundigte sich am andern Morgen bei Tagesanbruch im Hafen nach den nächsten Abfahrten für Amerika.

Man antwortete ihm, die Brigg Adonis laufe noch an demselben Tag für New-York aus. Philipp suchte den Kapitän auf, der eben die letzten Vorkehrungen traf, ließ sich von diesem als Passagier aufnehmen, und bezahlte den Preis für die Ueberfahrt; dann schrieb er ein letztes Mal an die Frau Dauphine, um ihr seine ehrfurchtsvolle Ergebenheit und seinen Dank auszusprechen, schickte sein Gepäcke in sein Zimmer an Bord, und schiffte sich selbst zur Stunde der Fluth ein.

Es schlug vier Uhr auf dem Thurm von Franz I., als der Adonis aus dem Canal mit seinen Marssegeln und Focksegeln auslief. Das Meer war dunkelblau, der Himmel roth am Horizont. Auf die Verschanzung gelehnt, schaute Philipp, nachdem er die wenigen Passagiere, seine Reisegefährten, gegrüßt hatte, nach der Küste von Frankreich, die sich immer mehr in violette Dünste hüllte, je mehr die Brigg neue Segel einsetzend rasch gegen rechts an der Hève vorüberfuhr und die hohe See erreichte.

Bald sah Philipp nichts mehr, nicht die Küste von Frankreich, nicht die Passagiere, nicht den Ocean. Die finstere Nacht hatte Alles in ihre großen Flügel begraben, und Philipp schloß sich in das kleine Bett seines Zimmers ein, um die Abschrift des an die Dauphine gesandten Briefes zu lesen, der ebensowohl für ein Gebet an den Schöpfer gerichtet, als für einen an Geschöpfe gerichteten Abschied gelten konnte.

»Madame,« hatte er geschrieben, »ein Mann ohne Hoffnung und ohne Stütze entfernt sich von Ihnen mit dem Bedauern, so wenig für Ihre zukünftige Majestät gethan zu haben. Dieser Mann zieht hinaus in die Stürme und Ungewitter des Meeres, während Sie in den Gefahren und Qualen der Regierung zurückbleiben. Jung, schön, angebetet, umgeben von ehrfurchtsvollen Freunden und vergötternden Dienern, werden Sie denjenigen vergessen, den Ihre königliche Hand huldvoll über die Menge erhoben hatte; ich werde Sie nie vergessen; ich gehe in eine neue Welt, um die Mittel zu studiren, Ihnen wirksamer auf Ihrem Thron zu dienen. Ich vermache Ihnen meine Schwester, eine arme, verlassene Blume, welche keine andere Sonne mehr haben wird, als Ihren Blick. Haben Sie die Gnade, sich zuweilen bis zu ihr herabzulassen, und im Schooße Ihrer Freude, Ihrer Allmacht, im Zusammenklang einstimmiger Wünsche, zählen Sie, ich beschwöre Sie, den Segen eines Verbannten, den Sie nicht hören werden, und der Sie vielleicht nie mehr sieht.«

Nachdem er bis zu Ende gelesen, schnürte sich das Herz von Philipp zusammen. Das schwermüthige Geräusch des ächzenden Schiffes, das Tosen der Wellen, die sich aufspringend an den Lichtpforten brachen, bildeten eine Gesammtheit, welche lachendere Phantasien verdüstert hätte.

Die Nacht ging lang und schmerzlich für den jungen Mann hin. Ein Besuch, den ihm am Morgen der Kapitän machte, versetzte ihn nicht in eine befriedigende geistige Lage. Dieser Officier erklärte ihm, die meisten Passagiere fürchten das Meer und bleiben in ihrem Zimmer, die Ueberfahrt verspreche kurz zu sein, aber unangenehm wegen der Heftigkeit des Windes.

Philipp nahm von nun an die Gewohnheit an, mit dem Kapitän zu Mittag zu speisen, sich sein Frühstück ins Zimmer bringen zu lassen, und da er sich selbst nicht sehr gegen die Ungemächlichkeit des Meeres abgehärtet fühlte, pflegte er einige Stunden, in seinen großen Officiersmantel gehüllt, auf dem Oberlauf liegend zuzubringen. Die übrige Zeit wandte er dazu an, daß er sich einen Plan für sein zukünftiges Benehmen machte und seinen Geist durch eine solide Lectüre unterstützte. Zuweilen traf er die Passagiere, seine Reisegefährten. Dies waren zwei Damen, welche eine Erbschaft im Norden von Amerika einziehen wollten, und vier Männer, von denen der eine, schon alt, zwei Söhne bei sich hatte. Diese sechs Passagiere hatten die ersten Zimmer inne. Auf der andern Seite erblickte Philipp einmal einige Menschen von geringerem Stande, so weit sich dies nach Haltung und Kleidung beurtheilen ließ; er fand hiebei nichts, was seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Je mehr sich die Leiden durch die Gewohnheit milderten, desto mehr gewann Philipp Heiterkeit, wie der Himmel. Einige schöne, reine, sturmfreie Tage verkündigten den Passagieren, daß man sich den gemäßigteren Breiten nähere. Dann blieb man länger auf dem Verdeck. Philipp, der es sich zum Gesetz gemacht, mit Niemand sich in ein Gespräch einzulassen, der selbst dem Kapitän seinen Namen verborgen hatte, damit man auf keinen der Gegenstände, auf die er einzugehen befürchtete, zu reden käme, Philipp, sagen wir, hörte nun von seinem Zimmer aus, selbst bei Nacht, Tritte über seinem Kopf; er hörte sogar die Stimme des Kapitäns, der ohne Zweifel mit einem Passagier auf und abging. Dies war ein Grund für ihn, nicht hinaufzusteigen. Er öffnete dann seine Lichtpforte, um ein wenig frische Luft einzuathmen, und erwartete den andern Morgen. Ein einziges Mal in der Nacht, als er weder sprechen, noch spazierengehen hörte, stieg er auf das Verdeck. Die Nacht war lau, der Himmel bewölkt, und hinter dem Schiff sah man im Sog, mitten unter Wirbeln, tausende von phosphorescirenden Körnern entstehen. Diese Nacht hatte ohne Zweifel den Passagieren zu stürmisch und schwarz geschienen, denn Philipp sah keinen derselben auf dem Verdeck. Nur auf dem Vordertheil des Schiffes, über das Bugspriet gelehnt, schlief oder träumte eine schwarze Gestalt, welche Philipp mit Mühe in der Finsterniß unterschied, irgend ein Passagier der zweiten Kajüte, ohne Zweifel ein armer Verbannter, der sich nach dem Hafen Amerikas sehnend vorwärts schaute, während Philipp den Hafen von Frankreich betrauerte.

Philipp betrachtete lang diesen in seiner Beschauung unbeweglichen Reisenden; dann erfaßte ihn die Morgenkälte, und er schickte sich an, in seine Kajüte zurückzukehren.  . . . Der Passagier am Vordertheil betrachtete indessen den Himmel, der sich zu bleichen anfing. Philipp hörte den Kapitän und wandte sich um.

»Sie wollen frische Luft schöpfen, Kapitän?« sagte er.

»Mein Herr, ich stehe so eben auf.«

»Ihre Passagiere sind Ihnen zuvorgekommen, wie Sie sehen.«

»Sie; doch die Officiere sind frühzeitig wie die Matrosen.«

»Oh! nicht ich allein,« entgegnete Philipp; »sehen Sie dort jenen Menschen, der so tief träumt, nicht wahr, es ist auch einer von Ihren Passagieren?«

Der Kapitän schaute und schien erstaunt.

»Wer ist dieser Mensch?« fragte Philipp.

»Ein  . . . Kaufmann,« antwortete der Kapitän verlegen.


»Der dem Glück nachjagt?« murmelte Philipp; »die Brigg geht zu langsam für ihn.«

Statt etwas zu erwiedern, ging der Kapitän zu dem Passagier, sagte ihm ein paar Worte, und Philipp sah ihn im Zwischendeck verschwinden.

»Sie haben seinen Traum gestört,« sprach Philipp zum Kapitän, als dieser zu ihm zurückkam, »mich belästigte er nicht.«

»Nein, mein Herr; ich habe ihn nur darauf aufmerksam gemacht, daß die Morgenkälte in diesen Gegenden gefährlich ist; die Passagiere zweiter Classe haben nicht, wie Sie, gute Mäntel.«

»Wo sind wir, Kapitän?«

»Mein Herr, wir werden morgen die Azoren sehen und an einer derselben etwas frisches Wasser einnehmen, denn es wird sehr heiß.«

CLXV.
Die Azoren

Zu der vom Kapitän bestimmten Stunde erblickte man vom Vordertheil des Schiffes, sehr fern in der blendenden Sonne, die Küsten einiger nordöstlich gelegenen Inseln.

Dies waren die Azoren.

Der Wind ging nach dieser Seite; die Brigg lief gut. Man kam um drei Uhr Nachmittags völlig ins Angesicht der Inseln.

Philipp sah die hohen Spiralen der Hügel mit den seltsamen Formen und dem düsteren Anblick, Felsen geschwärzt wie durch die Thätigkeit vulkanischen Feuers, Ausschnitte mit leuchtenden Kämmen und tiefen Abgründen.

Sobald man die erste von diesen Inseln bis auf einen Kanonenschuß erreicht hatte, legte die Brigg bei, und die Mannschaft schickte sich zu einer Landung an, um einige Tonnen frisches Wasser einzunehmen, wie es der Kapitän bewilligt hatte.

Alle Passagiere versprachen sich den Genuß eines Ausflugs auf dem Lande. Nach zwanzig Tagen und zwanzig Nächten einer angreifenden Schifffahrt den Fuß auf einen unbeweglichen Boden setzen, ist ein Vergnügen, das nur diejenigen zu schätzen wissen, welche eine weite Seereise gemacht haben.

»Meine Herren,« sagte der Kapitän zu den Passagieren, die er unentschlossen zu sehen glaubte, »Sie können sich fünf Stunden auf dem Lande aufhalten. Benützen Sie die Gelegenheit. Sie finden auf dieser kleinen, völlig unbewohnten Insel Quellen von siedendem Wasser und Quellen von Eiswasser, wenn Sie Naturforscher sind; Kaninchen und Rothhühner, wenn Sie Jäger sind.«

Philipp nahm seine Flinte, Pulver und Blei.

»Aber Sie, Kapitän,« sagte er, »Sie bleiben an Bord? Warum kommen Sie nicht mit uns?«

»Weil dort,« erwiederte der Officier, nach dem Meer deutend, »weil dort ein Schiff von verdächtigem Aussehen kommt; ein Schiff, das mir seit ungefähr vier Tagen folgt; ein schlimmes Gesicht von einem Schiff, wie wir sagen, und so muß ich Alles beobachten, was es thun wird.«

Zufrieden mit dieser Erklärung, bestieg Philipp ein Boot und ging nach dem Lande ab.

Die Damen, mehrere Passagiere vom Vordertheil oder vom Hintertheil wagten es nicht, hinabzusteigen, oder sie warteten, bis die Reihe an sie kam.

Man sah die zwei Boote mit den freudigen Matrosen und den noch viel freudigeren Passagieren abfahren.

Das letzte Wort des Kapitäns war:

»Um acht Uhr, meine Herren, wird Sie das letzte Boot abholen, merken Sie sich das wohl, denn die Säumigen müßten zurückgelassen werden.

Als alle Welt, Naturforscher und Jäger, gelandet hatten, traten die Matrosen sogleich in eine Höhle ein, welche hundert Schritte vom Ufer entfernt lag und eine Krümmung bildete, als wollte sie die Sonnenstrahlen fliehen.

Eine frische Quelle von azurnem, ausgezeichnetem Wasser glitt unter den moosbewachsenen Felsen hin und verlor sich, ohne aus der Grotte selbst herauszukommen, auf einem Boden von feinem beweglichem Sand.

Hier verweilten die Matrosen, sagen wir, und füllten ihre Tonnen, die sie bis zum Ufer wälzten.

Philipp schaute ihnen zu. Er bewunderte den bläulichen Schatten dieser Höhle, die Frische, das sanfte Gemurmel des von Cascade zu Cascade gleitenden Wassers; er staunte, zuerst die undurchdringlichste Finsterniß und die heftigste Kälte gefunden zu haben, während nach einigen Minuten die Temperatur mild schien und der Schatten mit weichen, geheimnißvollen Hellen durchmengt war. So war er Anfangs mit ausgestreckten Händen und sich an den Felswänden stoßend den Matrosen gefolgt, ohne sie zu sehen; allmälig aber hob sich jedes Gesicht, jede Wendung erleuchtet von der Finsterniß ab, und Philipp zog das Licht dieser Grotte dem des Himmels vor, das am Tag in diesen Gegenden so scharf und hart ist.

Mittlerweile hörte er die Stimmen seiner Gefährten sich in der Ferne verlieren. Ein paar Flintenschüsse erschollen in den Bergen, dann erlosch das Geräusch, und Philipp blieb allein.

Die Matrosen hatten ihrerseits ihre Aufgabe erfüllt und sollten nicht mehr in die Grotte zurückkommen.

Philipp ließ sich nach und nach von dem Zauber dieser Einsamkeit und vom Wirbel seiner Gedanken hinreißen; er streckte sich auf dem weichen Sand aus, lehnte sich an die mit aromatischen Kräutern bedeckten Felsen an und träumte.

So verliefen die Stunden. Er hatte die Welt vergessen. Neben ihm lag seine Flinte auf dem Stein, und um gemächlicher ruhen zu können, hatte er aus seinen Taschen die Pistolen gezogen, die ihn nie verließen.

Seine ganze Vergangenheit kam langsam, feierlich zu ihm zurück, wie eine Lehre oder ein Vorwurf. Seine ganze Zukunft entfloh unfreundlich, wie jene scheuen Vögel, die man zuweilen mit dem Blick, nie mit der Hand berührt.

Während Philipp so träumte, träumte, lachte, hoffte man ohne Zweifel hundert Schritte von ihm. Er hatte eine unwillkührliche Vorstellung von dieser Bewegung, und mehr als einmal kam es ihm vor, als hörte er den Ruderschlag von den Booten, die nach dem Ufer bin oder an Bord zurück Passagiere führten, die Einen müde des Vergnügens auf der Insel, die Andern gierig, es auch zu genießen.

Doch er war in seiner Betrachtung nicht gestört worden, mochte der Eingang der Grotte von den Einen nicht wahrgenommen worden sein, mochten die Andern es nicht der Mühe werth erachtet haben, in dieselbe einzudringen.

Plötzlich stellte sich ein schüchterner, unentschiedener Schatten zwischen das Tageslicht und die Höhle, auf die Schwelle selbst, Philipp sah einen Menschen, die Hände voraus, den Kopf gesenkt, nach dem murmelnden Wasser zu gehen. Dieser Mensch stieß sich sogar einmal an den Felsen, als sein Fuß auf dem Gras ausglitschte.

Da erhob sich Philipp und reichte ihm die Hand, um ihm auf den guten Weg zu helfen. Bei dieser Bewegung der Gefälligkeit trafen seine Finger die Hand des Reisenden in der Finsterniß.

»Hieher,« sagte er freundlich; »hier ist das Wasser, mein Herr.«

Beim Ton dieser Stimme erhob der Unbekannte hastig den Kopf, als wollte er antworten, und zeigte dabei entblößt sein Gesicht in dem blauen Halbschatten der Grotte.

Aber Philipp stieß plötzlich einen Schrei des Entsetzens aus und machte einen Sprung rückwärts.

Der Unbekannte gab seinerseits einen Schrei bei Schreckens von sich und wich zurück.

»Gilbert!«

..Philipp!«

Diese zwei Worte erschollen zu gleicher Zeit wie ein unterirdischer Donner.

Dann hörte man nur noch etwas wie das Geräusch eines Streites. Philipp hatte mit seinen beiden Händen seinen Feind am Kragen gepackt und zog ihn nach dem Hintergrund der Höhle.

Gilbert ließ sich fortschleppen, ohne eine einzige Klage von sich zu geben. An die Felsen des Umkreises angelehnt, konnte er nicht mehr zurückweichen.

»Elender! endlich habe ich Dich!« brüllte Philipp, »Gott überliefert Dich mir  . . . Gott ist gerecht!«

Gilbert war leichenbleich und machte nicht eine Geberde; er ließ seine Arme an seinen Seiten herabfallen.

»Oh! der feige Bösewicht,« rief Philipp; »er hat nicht einmal den Instinct des wilden Thieres, das sich vertheidigt!«

Doch Gilbert erwiederte mit einer Stimme voll Sanftmuth:

»Mich verteidigen! warum?«

»Es ist wahr, Du weißt wohl, daß Du in meiner Gewalt bist  . . . Du weißt, daß Du die furchtbarste Strafe verdient hast. Alle Deine Verbrechen sind erwiesen. Du Hast eine Frau durch die Schmach erniedrigt und Du hast sie durch die Unmenschlichkeit umgebracht. Es war für Dich wenig, eine Jungfrau zu beflecken, und Du wolltest eine Mutter ermorden.«

Gilbert antwortete nicht, Philipp, der sich allmälig im Feuer seines eigenen Zornes berauschte, legte abermals die Hände an Gilbert. Gilbert leistete keinen Widerstand.

»Du bist also kein Mann,« rief Philipp, indem er ihn mit dem heftigsten Grimm schüttelte, »Du hast nur das Gesicht eines Mannes  . . . Wie! nicht einmal Widerstand! Aber Du siehst wohl, ich erwürge Dich, wehre Dich also! verlheidige Dich  . . . feiger Mörder!«

Gilbert fühlte, wie die scharfen Finger seines Feindes in seinen Hals eindrangen; er richtete sich auf, stemmte sich an und warf, stark wie ein Löwe, Philipp mit einer einzigen Bewegung seiner Schultern fern von sich  . . . dann kreuzte er die Arme und sprach:

»Sie sehen wohl, daß ich mich vertheidigen könnte, wenn ich wollte; doch wozu, nun, da Sie nach Ihrer Flinte laufen; ich will lieber von einem einzigen Schuß getödtet, als von Nägeln zerrissen und von schmählichen Schlägen niedergeworfen werden.«

Philipp hatte in der That seine Flinte ergriffen, doch bei diesen Worten stieß er sie zurück und murmelte:

»Nein, nein.«’

Dann fragte er laut:

»Wohin gehst Du?  . . . woher bist Du gekommen?«

»Ich bin Passagier auf dem Adonis.«

»Du verbirgst Dich also, Du hattest mich gesehen?’

»Ich wußte nicht, daß Sie an Bord waren.«

»Du lügst.«

»Ich lüge nicht.«

»Wie kommt es denn, daß ich Dich nie gesehen habe?«

»Weil ich mein Zimmer nur bei Nacht verließ.«

»Du siehst! Du verbirgst Dich!«

»Allerdings.«

»Vor mir?«

»Nein, sage ich Ihnen, ich gehe nach Amerika mit einem Auftrag und soll nicht gesehen werden. Der Kapitän hat mich deshalb abgesondert einquartiert.«

»Du verbirgst Dich, sage ich Dir, um mir Deine Person zu entziehen  . . . und besonders, um mir das Kind zu verbergen, das Du gestohlen hast.«

»Das Kind!« rief Gilbert.

»Ja, Du hast es gestohlen und fortgenommen, um Dir daraus eines Tags eine Waffe zu machen, durch die Du irgend einen Vortheil ziehen willst, Elender!«

Gilbert schüttelte den Kopf.

»Ich habe das Kind genommen,« sagte er, »damit es Niemand seinen Vater verachten oder verleugnen lehre.«

Philipp schöpfte einen Augenblick Athem und sprach dann:

»Wenn dies wahr wäre, wenn ich es glauben könnte, wärest Du minder ruchlos, als ich dachte; doch Du hast gestohlen, warum solltest Du nicht lügen?«

»Gestohlen! ich gestohlen?«

»Du hast das Kind gestohlen.«

»Es ist mein Sohn! es gehört mir! Man stiehlt nichts, mein Herr, wenn man sein Eigenthum zurücknimmt.«

»Höre,« sprach Philipp, bebend vor Zorn, »vorhin kam mir der Gedanke, Dich zu tödten. Ich hatte es geschworen, ich war berechtigt dazu.«

Gilbert antwortete nicht.

»Nun erleuchtet mich Gott. Gott hat Dich auf meinen Weg geworfen, als wollte er mir sagen: die Rache ist unnütz; man darf sich nur rächen, wenn man von Gott verlassen ist  . . . Ich werde Dich nicht tödten; ich werde nur das Gebäude des Unglücks, das Du aufgerichtet, zerstören  . . . Dieses Kind ist Deine Quelle für die Zukunft, Du wirst mir dieses Kind sogleich zurückgeben.«

»Aber ich habe es nicht,« entgegnete Gilbert. »Man nimmt ein Kind von vierzehn Tagen nicht mit auf die See.«

»Du mußtest wohl eine Amme für dasselbe finden: warum solltest Du nicht die Amme mitgenommen haben?«

»Ich sage Ihnen, daß ich das Kind nicht mitgenommen habe.«

»Dann hast Du es in Frankreich gelassen? An welchem Ort hast Du es gelassen?«

Gilbert schwieg.

»Antworte! wo hast Du es zu einer Amme gethan, und mit welchen Mitteln?«

Gilbert schwieg.

»Ah! Elender. Du trotzest mir,« rief Philipp; »Du fürchtest Dich nicht, meinen Zorn wieder zu erwecken  . . . Willst Du mir sagen, wo das Kind meiner Schwester ist?

Willst Du mir dieses Kind zurückgeben?«

»Mein Kind gehört mir,« murmelte Gilbert.

»Bösewicht! Du siehst wohl, daß Du sterben mußt?«

»Ich will mein Kind nicht zurückgeben.«

»Gilbert, höre, ich spreche sanft mit Dir; Gilbert, ich werde die Vergangenheit zu vergessen, ich werde Dir zu verzeihen suchen, Gilbert; Du begreifst meine Großmuth, nicht wahr?  . . . Ich verzeihe Dir!  . . . Alles, was Du an Schande und Unglück über unser Haus gebracht hast, verzeihe, ich Dir; das ist ein großes Opfer; gib mir das Kind zurück. Willst Du mehr?  . . . Willst Du, daß ich den gerechten Widerwillen von Andrée zu besiegen suche, daß ich für Dich vermittle? Nun!  . . . ich werde es thun,  . . . gib mir das Kind zurück  . . . Noch ein Wort  . . . Andrée liebt wahnsinnig ihren Sohn  . . . Deinen Sohn  . . . sie wird sich durch Deine Reue rühren lassen, ich verspreche, ich gelobe es Dir; doch gib das Kind zurück, Gilbert, gib es zurück.«

Gilbert kreuzte seine Arme, heftete einen Blick voll düsteren Feuers aus Philipp und sprach:

»Sie haben mir nicht geglaubt, ich glaube Ihnen nicht; nicht als wären Sie nicht ein ehrlicher Mann, sondern weil ich den Abgrund der Kastenvorurtheile erforscht habe. Es ist keine Rückkehr, keine Verzeihung mehr möglich. Wir sind Todfeinde  . . . Sie sind der Stärkere, seien Sie Sieger  . . . Ich verlange Ihre Waffe nicht, verlangen Sie nicht die meinige  . . .«

»Du gestehst also, daß es eine Waffe ist?«

»Gegen die Verachtung, ja; gegen die Undankbarkeit, ja; gegen die Beleidigung, ja!«

»Ich frage Dich noch einmal, Gilbert, willst Du!« rief Philipp, Schaum auf dem Mund.

»Nein.«

»Nimm Dich in Acht.«

»Nein.«

»Ich will Dich nicht ermorden: es soll Dir die Möglichkeit gegeben sein, den Bruder von Andrée zu tödten, Ein Verbrechen mehr!  . . . Ah! ah! das ist verlockend. Nimm diese Pistole; hier ist eine andere; zählen wir jeder bis drei und schießen wir!«

Und er warf eine Pistole zu den Füßen von Gilbert, Der junge Mann blieb unbeweglich und erwiederte: »Ein Duell ist gerade das, was ich ausschlage.«

»Du willst lieber, daß ich Dich tödte!« rief Philipp, wahnsinnig vor Wuth und Verzweiflung.

»Ich will lieber von Ihnen getödtet werden.«

»Ueberlege  . . . mein Kopf gerräth in Verwirrung.«

»Ich habe überlegt.«

»Ich bin in meinem Recht, Gott muß mich freisprechen.«

»Ich weiß es  . . . tödten Sie mich.«

»Zum letzten Male, willst Du Dich schlagen?«

»Nein.«

»Du weigerst Dich, Dich zu vertheidigen.«

»Ja.«

»Nun! so stirb wie ein Bösewicht, von dem ich die Erde säubere; stirb wie ein Ruchloser, stirb wie ein Bandit, stirb wie ein Hund!« rief Philipp.

Und er drückte seine Pistole auf Gilbert ab. Dieser streckte die Arme aus, neigte sich zuerst rückwärts, dann vorwärts und fiel endlich auf sein Gesicht, ohne einen Schrei von sich zu geben. Philipp fühlte den Sand unter seinem Fuße sich mit lauem Blute schwängern; er verlor ganz und gar die Vernunft und stürzte aus der Höhle.

Vor ihm war das Ufer; eine Barke wartete; man hatte die Stunde der Abfahrt vom Bord auf acht Uhr angekündigt; es war acht Uhr und einige Minuten.

»Ah!« Sie sind da, Herr,« sagten die Matrosen; »Sie sind der Letzte; Jeder ist an Bord zurückgefahren; was haben Sie geschossen?«

Bei diesem Wort verlor Philipp das Bewußtsein.

Man brachte ihn so nach dem Schiffe, das sich eben segelfertig machte.

»Ist Jedermann zurück?« fragte der Kapitän.

»Hier bringen wir den letzten Passagier,« antworteten die Matrosen. »Er muß einen Fall gemacht haben, denn er ist so eben ohnmächtig geworden.«

Der Kapitän befahl ein entscheidendes Manoeuvre, die Brigg entfernte sich rasch von den Azoren, gerade in dem Augenblick, wo das unbekannte Schiff, das sie so lange beunruhigt hatte, unter amerikanischer Flagge in den Hafen einlief.

Der Kapitän des Adonis wechselte ein Signal mit diesem Schiff, setzte dann, wenigstens scheinbar beruhigt, seine Fahrt nach dem Westen fort und verlor sich bald im Schatten der Nacht.

Erst am andern Tag bemerkte man, daß ein Passagier an Bord fehlte.

Ende von Joseph Balsamo

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06 aralık 2019
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