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Zweites Kapitel
Das neue Haus am Wege nach Seiffons
Gerade in der Mitte des Raumes, zwischen dem nördlichen und östlichen Theile des Waldes von Villers-Cotterets, den wir bei unsrer Übersicht vermessen haben, da wir im Schlosse Villers-Helon angefangen und auf dem Berge Villieres geendet haben, erstreckt sich in den Windungen einer ungeheuren Schlange die Straße von Paris nach Soissons.
Nachdem die Straße schon einmal auf den Wald getroffen ist, den sie bei Gondreville eine halbe Stunde lang durchschneidet und, nachdem sie den Weg nach Crépy links gelassen, vor den Steinbrüchen von Fontaine-Eau-Claire etwas gewendet hat, in das Tal von Vauciennes hinabgegangen und dann wieder heraufgekommen ist, nachdem sie in ziemlich gerader Linie Villers-Cotterets erreicht hat, das sie in einem stumpfen Winkel durchschneidet, kommt sie am entgegengesetzten Ende der Stadt wieder heraus und zieht sich längs des Waldes und der Ebene hin, wo ehemals die schöne Abtei St. Denis stand, in deren Ruinen ich in meiner Jugend so fröhlich herumgelaufen bin und die heutigen Tages nur noch ein niedliches Landhäuschen ist, weiß angestrichen, mit Schiefer bedeckt, mit grünen Fensterläden geschmückt, in der Menge von Blumen und Apfelbäumen ganz versteckt.
Dann geht sie kühn mitten in den Wald, den sie in seiner ganzen Breite einnimmt, um erst in einer Entfernung von zwei und ein halb Stunden bei der Poststation Verte-Feuille wieder herauszukommen. Auf diesem langen Wege steht ein einziges Haus auf der rechten Seite des Weges; es wurde zur Zeit Philipp Egalité's erbaut, um einem Oberaufseher als Wohnung zu dienen. Damals erhielt es den Namen »das neue Haus«, und obgleich fast siebzig Jahre vergangen sind, seit es wie ein Pilz am Fuße der Buchen und Eichen aufgeschossen, so hat es doch, wie eine alte Koquette, die sich bei ihrem Taufnamen nennen läßt, den Jugendnamen bewahrt, unter dem es zuerst bekannt wurde.
Warum auch nicht? Der Pont-neuf (die neue Brücke in Paris), der unter Heinrich III. 1577 erbaut wurde, heißt doch noch immer Pont-neuf!
Das neue Haus steht auf dem Wege von Villers-Cotterets nach Soissons etwas über dem »Hirschsprung«, wo der Weg auf beiden Seiten von Abhängen begrenzt wird, und wo bei einer Jagt des Herzogs von Orleans – man weiß, daß Louis Philipp durchaus kein Jäger war – ein Hirsch von einem Abhang zum andern sprang, das heißt über dreißig Fuß weit.
Beim Heraustreten aus dieser Art Engpaß bemerkt man ungefähr fünfhundert Schritt weiter hin das neue Haus, das zwei Stockwerke, ein Ziegeldach, zwei Fenster im Erdgeschoß und zwei im ersten Stock hat.
Diese Fenster, die auf einer Seite des Hauses angebracht sind, sehen nach Westen, das heißt nach Villers-Cotterets, während der Vorderteil des Hauses, der nach Norden hin steht, auf die Straße selbst durch die Türe führt, durch welche man in die Unterstube tritt, sowie durch ein Fenster, welches einer Kammer in dem zweiten Stocke Licht giebt.
Das Fenster ist gerade über der Türe.
Hier ist die Straße, wie die bei den Thermopylen, wo nur für zwei Wagen Platz war, nur so breit, wie ihr Fahrgeleise und wird auf der einen Seite von dem Hause, auf der andern von dem Garten begrenzt, der, statt, wie gewöhnlich, hinter, oder an der Seite des Gebäudes zu liegen, ihm gegenüber sich befindet.
Je nach den Jahreszeiten gewährt das Haus einen verschiedenen Anblick.
Im Frühling wärmt es sich, bekleidet von grünem Weinlaube, wie einem Frühlingskleid, in der Sonne; dann könnte man sagen, es sei aus dem Walde gekommen, um an der Straße zu schlafen. Die Fenster, und vorzüglich eines in der ersten Etage, sind mit allerlei Blumen beseht, welche grünen mit Blumen ganz befielen Vorhängen gleichen. Der Rauch, der dem Schornstein entsteigt, ist nur ein bläulicher durchsichtiger Dunst, der kaum eine Spur in der Luft zurück läßt. Die beiden Hunde, welche die beiden Abteilungen der rechts von der Türe gebauten Hütte bewohnen, sind aus ihrem bretternen Zufluchtsort herausgekommen; der eine schläft friedlich, die Schnauze zwischen beiden Pfoten, der andere, der wahrscheinlich in der Nacht genug geschlafen hat, sitzt ernsthaft da und blinzelt mit gerunzeltem Gesicht vor der Sonne mit den Augen. Diese beiden Hunde, welche unabänderlich dem ehrwürdigen, krummbeinigen Dachsgeschlecht angehören, welches die Ehre hat, meinen berühmten Freund Decamps zum gewöhnlichen Maler zu haben, sind eben so unabänderlich ein Männchen und ein Weibchen; das Weibchen heißt Navaude, das Männchen Barbaro.
Anders ist es im Sommer; da schläft das Haus; es hat seine hölzernen Augenlider geschlossen; kein Licht kann eindringen, der Schornstein bleibt ohne Hauch, nur die Türe, die nach Norden zu liegt, bleibt offen, um den Weg zu überwachen; die beiden Dachshunde sind entweder in ihre Hütte zurückgekehrt, in deren Tiefe der Wanderer nur eine ungestaltete Masse erblickt, oder längs der Mauer ausgestreckt, an der sie zugleich die Frische des Schattens und die Feuchtigkeit des Bodens suchen.
Im Herbste ist das Weinlaub roth geworden; das grüne Kleid des Frühlings hat warme und schillernde Farben angenommen, gleich denen des getragenen Sammet und Atlas. Die Fenster öffnen sich ein wenig, aber den Blumen des Frühjahrs folgten Tausendschön und die Wucherblume. Der Schornstein fängt wieder an, weiße Rauchflocken herumzustreuen, und wenn man vorübergeht, so zieht das Feuer, das auf dem Heerde brennt, obgleich es durch Töpfe halb verdeckt ist, den Blick des Wanderers auf sich.
Navaude und Barbaro haben die Schlafsucht des April und den Schlaf des Juli abgeschüttelt und sind lebhaft und selbst ungeduldig; sie ziehen an ihrer Kette, bellen und heulen; sie fühlen, daß die Stunde der Thätigkeit für sie gekommen, daß die Jagt eröffnet ist und daß sie mit ihren ewigen Feinden, Kaninchen, Füchsen und selbst Ebern, kämpfen und ernsthaft kämpfen müssen.
Im Winter wird der Anblick düster; das Haus friert und bebt. Kein grünes Kleid ist mehr da; der Weinstock hat nach einander seine Blätter unter traurigem Murmeln der fallenden Blätter fallen lassen; er streckt nur seine kahlen Glieder an der Mauer hin. Die Fenster sind luftdicht verschlossen; jede Blume ist daraus verschwunden, und man bemerkt da, wo sie früher gestanden, nur noch den Bindfäden, der wie die Saiten einer ruhenden Harfe ausgespannt ist. An dem ungeheuren Zuge dichten Rauches, der aus dem Schornstein schneckenförmig heraufsteigt, sieht man, daß da das Holz wohlfeil ist und nicht geschont wird.
Navaude und Barbaro würde man jetzt vergeblich in dem leeren Stalle suchen; aber wenn die Haustüre sich zufällig in dem Augenblicke öffnet, da der Wanderer vorübergeht und einen neugierigen Blick in das Innere des Hauses tun kann, könnte er sie am Heerde sitzen sehen. Zwar entfernt sie jeden Augenblick ein Fußtritt des Hausherrn oder der Hausfrau vom Feuer, aber hartnäckig suchen sie wieder eine Hitze von fünfzig Grad, welche ihnen die Pfoten und die Schnauze verbrennt, und die sie nur dadurch zu mildern suchen, daß sie nach rechts oder links den Kopf wegwenden und mit kläglichem Heulen abwechselnd eine Pfote aufheben.
So war und ist noch – vielleicht bis auf die Blumen, welche mir die Gegenwart eines Mädchens mit zärtlichem und unruhigem Herzen verraten – das »neue Haus,« auf dem Wege nach Soissons von außen gesehen.
Von innen bot es zuerst im Erdgeschoß die große Stube, welche wir schon ein wenig betrachtet haben, und deren Möbel ein Tisch, ein Schrank und sechs Stühle bildeten. Die Wände waren mit fünf oder sechs Kupferstichen »geschmückt,« welche, je nach den verschiedenen Regierungen, entweder Napoleon, Josephine, Marie Louise, den König von Rom, den Prinzen Eugen und den Tod Poniatowskys, oder den Herzog und die Herzogin von Angouléme, Ludwig XVIII, dessen Bruder »Monsieur« und den Herzog von Berry, oder endlich den König Ludwig Philipp, die Königin Marie Amalie, den Herzog von Orleans, und eine Gruppe blonde und braune Kinder darstellten, die aus dem Herzoge von Nemours, dem Prinzen Joinville, dem Herzoge von Aumale und den Prinzessinnen Louise, Clementine und Marie bestanden.
Was jetzt da hängt, weiß ich nicht.
Aber dem Kamin hingen drei doppelläufige Flinten, in geschmierter Leinwand zum Trocknen vom letzten Regen oder Nebel.
Hinter dem Kamine steht ein Backhaus, das durch ein kleines Fenster auf den Wald sieht.
Auf der Ostseite befindet sich eine Küche, die einst an das Haus angebaut worden, als es für die Bewohner zu klein geworden war und man die Küche in eine Kammer umwandeln mußte.
Diese Kammer, die vorher Küche war, ist gewöhnlich die des Sohnes vom Hause.
Im ersten Stock sind zwei andere Kammern, die des Herrn und der Frau, das heißt des Oberaufsehers und seiner Frau und eine für ihre Tochter oder Nichte, wenn sie eine Tochter oder Nichte haben.
Wir müssen noch hinzufügen, daß fünf oder sechs Geschlechter von Aufsehern in diesem Hause gelebt haben, und daß an der Türe und in der Unterstube 1829 das blutige Drama vorging, wie wir in den »Erinnerungen« erzählt haben, das den Tod des Oberaufsehers Choron herbeiführte.
Zu der Zeit in der die Geschichte beginnt, die wir erzählen wollen, das heißt in den ersten Tagen des Mai 1829, waren die Bewohner des neuen Hauses Wilhelm Watrin, Oberaufseher des Bezirks Chavigny, Marianne Charlotte Choron, seine Frau, welche man nur die Mutter nannte und Bernhard Watrin, ihr Sohn, den man nur unter dem Namen Bernhard kannte.
Ein Mädchen, – die Heldin dieser Geschichte, – Namens Katharine Blum, hatte dieses Haus bewohnt, aber sie bewohnte es seit achtzehn Monaten nicht mehr.
Übrigens werden wir die Ursachen der Abwesenheit und Anwesenheit, das Alter, das Aussehen und den Charakter der Personen bei ihrem Austreten angeben, wie wir es gewöhnlich tun.
Versetzen wir uns zunächst in die genannte Zeit, nämlich den 12. Mai 1829.
Es ist halb vier Uhr früh; der erste Schein des Tages schimmert durch die Baumblätter, welche noch jene jungfräuliche grüne Farbe haben, die nur einige Wochen dauert; beim kleinsten Wind regnet kalter Thau herab, der auf der äußersten Spitze der Zweige zittert und auf das grüne Gras wie ein Diamantregen fällt.
Ein blonder junger Mann, drei- bis vierundzwanzig Jahre alt, mit lebhaften und verständigen Augen, kam in dem taktmäßigen Schritte, der geübten Fußgängern eigen ist, in der kleinen Uniform der Aufseher, das heißt mit der blauen Jacke mit dem silbernen Eichenblatt am Kragen, einer ähnlichen Mütze, Rippsammet-Beinkleidern, und großen ledernen Gamaschen mit kupfernen Schnallen, mit der einen Hand die Flinte auf der Achsel und mit der andern einen Hund an der Koppel haltend, durch eine Bresche der Parkmauer und schritt, indem er, mehr aus Gewohnheit, als um den Tau zu vermeiden, der ihn bereits ganz durchnässt hatte, in der Mitte des Weges auf das neue Haus zu, dessen westliche Seite er schon lange bemerkte.
Als er am Ende des Weges angekommen, sah er, daß die Türe und die Fenster geschlossen waren. Alles schlief bei Watrin's noch.
»Hm!« murmelte der junge Mann, »man macht es sich wahrhaftig gar recht bequem beim Vater Wilhelm! Vom Vater und von der Mutter begreife ich es; aber Bernhard, ein Verliebter! Kann ein Verliebter schlafen?«
Und er ging über den Weg, und näherte sich dem Hause in der augenscheinlichen Absicht, die Ruhe der Schlafenden gewissenlos zu stören.
Als die beiden Hunde Schritte hörten, kamen sie ans ihrer Hütte heraus, um gegen den Mann, als auch gegen den Hund zu bellen; aber sie erkannten ohne Zweifel zwei Freunde, denn ihre Schnauzen öffneten sich übermäßig, nicht zu einem drohenden Bellen, sondern zu einem freundschaftlichen Gähnen, während ihre Schwänze wedelnd den Boden fegten, je mehr die Beiden näher kamen, welche übrigens, ohne eigentlich zum Hause zu gehören, da nicht ganz fremd zu sein schienen.
An der Türe machte sich der Hund mit den beiden Dachshunden vertraut, während der Aufseher den Flintenkolben auf die Erde stützte und mit der Hand an die Türe pochte.
Auf dieses erste Klopfen erfolgte keine Antwort.
»Heda, Vater Watrin!« sagte der junge Mann, der zum zweiten Male und derber, als das erste Mal, anklopfte; »sollten Sie vielleicht zufällig taub geworden sein?«
Und er legte sein Ohr an die Türe.
»Endlich,« sagte er, nachdem er einen Augenblick aufmerksam gehorcht hatte; »'s ist auch ein Glück.«
Diesen Ausruf der Zufriedenheit veranlaßte ein leichtes Geräusch, welches er im Innern hörte.
Dieses Geräusch, das durch die Entfernung und vorzüglich durch die Dicke der Türe geschwächt wurde, kam von der Treppe, die unter den Tritten des alten Obereraufsehers knarrte.
Der junge Mann hatte ein viel zu geübtes Ohr, um sich zu täuschen und den Tritt eines Fünfzigjährigen für den eines Fünfundzwanzigjährigen zu halten. Darum dachte er denn auch sogleich bei sich:
»'s ist Vater Watrin,« und laut setzte er hinzu: »Guten Morgen! . . . Machen Sie nur auf; ich bin's.«
»Ah,« antwortete eine Stimme drinnen, »Du, Franz? Ich komme schon, ich komme.«
»Nehmen Sie sich immer die Zeit, erst die Hosen anzuziehen; 's hat keine so große Eile, wenn's auch gar nicht sehr warm ist. Brrr!« Und der junge Mann stampfte abwechselnd mit dem einen und dem andern Fuße auf, während der Hund, vom Tau naß, zitternd neben ihm saß.
In diesem Augenblicke ging die Türe auf und man sah den grauen Kopf des alten Holzaufsehers, der, so früh es auch noch war, schon die Tabakspfeife im Munde hatte, wenn sie auch nicht brannte.
Diese Pfeife, welche in Folge von allerlei Unfällen sehr kurz geworden war, verließ die Lippen Watrins eigentlich nur in der Zeit, welche er bedurfte, um die Asche aus dem Kopfe zu klopfen und frisch zu stopfen: war dies geschehen, so nahm sie unfehlbar an der linken Seite des Mundes zwischen zwei Zähnen, die eine Art Zange bildeten, ihren Platz wieder ein.
Allerdings gab es auch noch einen Fall, in welchem die Pfeife Watrins in dessen Hand, statt zwischen den Lippen rauchte, nämlich wenn sein Inspektor ihm die außerordentliche Ehre erzeigte, mit ihm zu sprechen. Da nahm Vater Watrin ehrerbietig die Pfeife aus dem Munde, wischte sich die Lippen mit dem Ärmelaufschlage ab, legte die Hand mit der Pfeife auf den Rücken und antwortete.
Vater Watrin schien ein Schüler des Pythagoras zu sein; wenn er den Mund zu einer Frage auftat, hatte diese stets die kürzeste Form; that er ihn auf zu einer Antwort, so lautete diese jedes Mal kurz und bündig. Eigentlich hätten wir nicht sagen sollen: wenn er den Mund auftat, denn der Mund Vater Watrins that sich nur zum Gähnen auf, wenn er jemals gegähnt hat, was freilich weder bewiesen, noch auch wahrscheinlich ist.
In aller übrigen Zeit trennten sich die Kinnladen Watrins nicht, da sie fortwährend eine Tabakspfeife halten mußten, die freilich meist nur der Stummel einer Pfeife war; die Folge dieses Nichtauseinandermachens war eine Art Zischen, das dem einer Schlange nicht unähnlich klang, weil die Worte zwischen dem schmalen Räume hindurch mußten, den die Dicke der Pfeifenspitze zwischen den Zähnen bildete.
Wenn die Pfeife den Mund Watrins verlassen hatte, entweder um von der Asche befreit oder neu gestopft zu werden, oder, um ihm zu gestatten, einem angesehenen Manne zu antworten, wurden die Worte keineswegs deutlicher oder fanden einen leichteren Ausgang; das Zischen minderte sich nicht, sondern nahm zu und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: da die Pfeifenspitze die Zähne nicht mehr auseinander hielt, drückten die oberen mit aller Wucht auf die unteren.
Es gehörte dann auch viel Geschick dazu, das zu verstehen, was Vater Watrin sagte.
Er war, wie gesagt, ein Fünfziger, etwas über mittelgroß, dürr und gerade, mit nur noch wenigem grauen Haar, dicken Augenbrauen, einem Backenbart, der das Gesicht wie ein Rahmen umgab, kleinen scharfen Augen, einer langen Nase, einem etwas höhnischen Munde und einem spitzen Kinn. Obgleich er meist that, als sähe und höre er nach nichts, war Auge und Ohr bei ihm doch stets auf der Lauer und so sah und hörte er vortrefflich Alles, was im Hause zwischen Frau, Sohn und Nichte vorging, und was draußen im Walde die Rebhühner, die Kaninchen, die Hasen, die Füchse, die Marder vornahmen.
Watrin verehrte namentlich meinen Vater und mich selbst hatte er auch sehr lieb. Unter einer Glasglocke bewahrte er das Glas, aus welchem der General Dumail zu trinken pflegte, wenn er mit ihm auf die Jagt ging und aus dem er später mich trinken ließ, wenn wir zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre nachher jagten.
Das war der Mann, der mit dem Pfeifenstummel im Munde das spöttische Gesicht an der halbgeöffneten Türe des neuen Hauses zeigte, um früh vier Uhr den jungen Mann einzulassen, den er Franz genannt hatte und der sich über die Kälte beklagte, obgleich man seit einem Monat und siebenundzwanzig Tagen, der Aussage des Kalendermannes zu Folge, in die schöne Zeit des Jahres eingetreten war, die man Frühling nennt.
Vater Watrin machte die Türe ganz auf, als er sich überzeugt hatte, wen er vor sich habe, und der junge Mann trat ein.
Drittes Kapitel
Mathias Goguelue
Franz ging geraden Weges nach dem Kamine und stellte seine Flinte in die Ecke, während sein Hund, welcher den charakteristischen Namen Schielax hatte, ohne weiteres sich in die vom vorigen Abende her noch warme Asche setzte.
Den Namen hatte der Hund von einem Buschelchen rother Haare, einer Art Schönheitsfleckchen, erhalten, das am Augenlidwinkel gewachsen war und ihn bisweilen, nicht immer, schielen ließ.
Schielax galt übrigens für die feinste Spürnase drei Stunden in der Runde, während Franz, obgleich noch zu jung, als daß er sich bereits durch große Jagdtaten hätte ausgezeichnet haben können, in ziemlich gleichem Rufe stand, das heißt für einen derjenigen galt, welche der Fährte eines Wildes mit der größten Sicherheit zu folgen vermögen. Wenn irgend ein angeschossenes Wild aufzusuchen, ein Wildschwein abzutreiben war und dergleichen, so erhielt stets Franz den Auftrag dazu.
Für ihn hatte der Wald, so düster und dunkel er auch war, kein Geheimniß; ein zertretener Grashalm, ein umgewendetes Blatt, ein an einem Dornbusch hängen gebliebenes Haarbüschelchen enthüllte ihm ein ganzes nächtliches Drama, von der ersten bis zur letzten Szene, welches keine andern Zeugen gehabt zu haben glaubte, als die Bäume und keine andere Leuchte, als die Sterne am Himmel.
Da am nächsten Sonntag das Kirchweihfest in Corcy war, so hatten die Aufseher in der Nähe dieses Dorfes von dem Inspektor Deviolaine die Erlaubniß erhalten, ein Wildschwein zu schießen, und damit man nicht viele Mühe dabei habe, hatte Franz den Auftrag erhalten, das Tier an einen Ort zu treiben, wo man es leicht finden und schießen könne.
Er hatte diesen Auftrag mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit ausgeführt, als wir ihm durch den Wald nach dem neuen Hause zukommen und dann an der Türe anpochen sahen.
»Was?« fragte Watrin. als Franz seine Flinte hingestellt und Schielax sich in die Asche gesetzt hatte. »Kalt wäre es? Im Mai? Was würdest Du da bei dem russischen Feldzuge gesagt haben?«
»Nun, warten Sie nur. Wenn ich sage kalt, so ist das eine Redensart, wie Sie sich wohl denken können, Vater Watrin. Ich meine, in der Nacht ist's kalt. Sie wissen recht gut, daß die Nächte nicht so geschwind vorrücken, wie die Tage, wahrscheinlich weil's in der Nacht finster ist. Am Tage haben wir richtig Mai, aber in der Nacht ist's noch Februar. Ich bleibe also dabei: 's ist kalt. Brrr!«
Watrin schlug Feuer an, blickte dabei von der Seite, wie Schielax, nach Franz hin und fragte:
»Soll ich Dir was sagen?«
»Immer zu, Vater Watrin,« antwortete Franz, der seinerseits einen schelmischen, pfiffigen Blick von der Seite auf den Alten richtete; »immer zu! Sie wissen ja so gut zu reden, wenn Sie einmal zu reden anfangen.«
»Du machst Dich zum Esel, um Kleie zu bekommen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Nicht?«
»Auf Ehre!«
»Du sagst, es sei kalt, damit ich Dir einen Schnapps anbieten soll.«
»So wahr Gott lebt, daran habe ich nicht gedacht, aber damit will ich nicht etwa sagen, ich würde ihn ausschlagen, wenn Sie mir einen anböten; o nein, nein, Vater Watrin, ich weiß zu gut, daß ich Ihnen nicht widersprechen darf.«
Und er sah fortwährend den Alten pfiffig von der Seite an.
Vater Watrin sagte weiter nichts, als »hm,« wodurch er wohl seine Zweifel über Franzens Uneigennützigkeit und dessen Nichtwidersprechendürfen ausdrücken wollte, fing von Neuem an, den Stahl an den Stein zu schlagen, und bei dem dritten Schlage fing der Schwamm sprühend Feuer. Dann legte er mit einem Finger, der gegen Feuer völlig unempfindlich zu sein schien, den Schwamm auf den frisch eingestopften Tabak und begann den Rauch einzuziehen, den er anfangs in kaum bemerklichem Dunste, dann in immer stärker werdenden Wolken ausstieß, bis er die Überzeugung erlangt zu haben schien, daß die Pfeife hinreichend brenne, worauf er in den gewöhnlichen ruhigen und regelmäßigen Zügen weiter rauchte.´
In der Zeit, welche er zu diesem wichtigen Geschäfte verwendete, drückte sein Gesicht nur die demselben gewidmete Aufmerksamkeit aus, als aber die Sache genügend im Gange war, stellte sich das Lächeln auf seinem Gesichte wieder ein, er trat an den Schrank, holte aus demselben eine Flasche und zwei Gläser und sagte:
»Nun meinetwegen, so wollen wir erst ein Wörtchen mit der Cognacflasche und dann von unsern Geschäften reden.«
»Ein Wörtchen nur? Ach wie wortkarg Vater Watrin ist!«
Als wolle Vater Watrin Franz auf der Stelle Lügen strafen, schenkte er die beiden Gläser voll bis an den Rand, dann stieß er das seinige an das des jungen Mannes und sagte:
»Auf Deine Gesundheit!«
»Auf die Ihrige auch und auf das Wohl Ihrer Frau und daß der liebe Gott sie nicht mehr so eigensinnig sein lasse!«
»Gut!« antwortete Watrin und verzog das Gesicht, womit er wohl ein Lächeln vorstellen wollte. Dann nahm er seinen Pfeifenstummel in die linke Hand, legte dieselbe nach seiner Gewohnheit auf den Rücken, führte mit der Rechten das Glas an die Lippen und leerte es in einem Zuge.
»Ei da warten Sie doch'« fiel Franz lachend ein; »ich war noch nicht fertig und wir werden nun noch einmal von vorn anfangen müssen. – Auf die Gesundheit Bernhards!«
Darauf trank er selbst sein Glas aus, mit mehr Behagen, nicht so hastig, wie der Alte. Als der letzte Tropfen verschwunden war, stampfte er aber, wie in Verzweiflung, mit dem Fuße auf und sagte:
»Nun habe ich das Beste doch vergessen!«
»Was hast Du vergessen?« fragte Watrin, indem er eifrig an der Pfeife zog, die während ihres Aufenthaltes in der linken Hand auf dem Rücken beinahe ausgegangen war.
»Was ich vergessen habe?« antwortete Franz. »Katharine, Ihre Nichte, 's ist doch recht schlecht, die Abwesenden zu vergessen, aber das Glas ist leer – sehen Sie, Vater Watrin.«
Er machte die Nagelprobe.
Watrin verzog das Gesiebt nochmals, um zu sagen:
»Spaßvogel, ich kenne Dich, aber der guten Absicht wegen soll es verziehen sein.«
Watrin sprach, wie gesagt, wenig, aber groß war er in der Pantomime.
Er nahm die Flasche noch einmal und schenkte so reichlich ein, daß die Gläser überliefen.
»Da!« sagte er.
»Das lasse ich mir gefallen,« antwortete Franz; »heute knickert Vater Watrin nicht. Man sieht's, daß er seine hübsche Nichte lieb hat.«
Er führte das Glas an die Lippen mit einem Enthusiasmus, von dem das Mädchen und der Cognac einen Teil für sich in Anspruch nehmen konnten und sagte:
»Wer sollte auch die liebe Mamsell Katharine nicht lieb haben! 's ist mit ihr, wie mit dem Cognac.«
Nach dem Beispiele, mit dem ihm der Alte vorangegangen war, stürzte er dies Mal den Inhalt des Glases auf einmal hinunter.
Watrin machte dieselbe Bewegung mit ganz militärischer Regelmäßigkeit, aber Jeder der beiden Trinker drückte seine Befriedigung über den Genuß in verschiedener Weise aus.
»Hm!« sagte der Eine.
»H. . .m!« sagte der Andere.
»Kommt Dir's noch immer kalt vor?« fragte Vater Watrin.
»Nein,« antwortete Franz, »im Gegenteil, es wird mir warm.«
»So geht's besser?«
»Sapperlot, ja; es steht bei mir auf beständig schön wie bei Ihrem Wetterglas.«
»In diesem Falle können wir auch von der Hauptsache, von dem Wildschwein, reden,« sagte Watrin.
»O, das Wildschwein?« entgegnete Franz; »ich glaube, das haben wir.«
»Wie das letzte Mal wohl?« sagte eine kreischende, höhnische Stimme plötzlich hinter den beiden Männern.
Sie drehten sich gleichzeitig um, obgleich sie beide recht wohl Denjenigen erkannt hatten, welchem die Stimme angehörte. Dieser ging, als gehöre er in das Haus, weiter, und setzte nur hinzu:
»Guten Morgen mit einander!«
Dann setzte er sich an den Kamin, störte die hier und da noch glühende Asche auf, und warf ein Stück Holz darauf, das bald Feuer fing. Aus der Tasche seiner Jacke nahm er einige Kartoffeln, legte sie neben einander in die Asche und deckte sie vorsichtig zu.
Der, welcher die Erzählung unterbrach, welche Franz eben beginnen wollte, verdient wegen der Rolle, die er in dieser Geschichte spielen wird, eine ausführlichere Beschreibung.
Es war ein Bursch von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren mit schlichtem, rothen Haar, niedriger Stirn, schielenden Augen, aufgestülpter Nase, vorstehendem Munde, zurückweichendem Kinn und dünnem schmutzigen Barte. An seinem, durch den zerrissenen Hemdkragen so gut als nicht verhülltem Halse bemerkte man einen Kropf. Seine ungeschickt angefügten Arme schienen verhältnismäßig zu lang zu sein und gaben seinem schleppenden, gewissermaßen schläfrigen Gang, die Bewegung der großen Affen, welche die Naturforscher Schimpanse nennen. Kauerte er auf den Fersen, oder saß er auf einem Bänkchen, so wurde die Ähnlichkeit zwischen dem verfehlten Menschen und dem vollkommenen Affen noch auffallender, denn dann konnte er, gleich jenen Menschen-Carricaturen, die verschiedenen Gegenstände, die er haben wollte, mit den Händen oder Füßen fassen, und zwar fast ohne den Rumpf zu bewegen, der so schlecht geformt war als das Übrige. Die ganze unangenehme Person ruhte auf Füßen, die der Größe und Breite nach mit denen Karls des Großen hätten sich messen können.
In geistiger Hinsicht war die Gabe, welche die Natur dem armen Teufel zugeteilt hatte, vielleicht noch geringer. Während schlechte und schmutzige Scheiden bisweilen eine gute und schöne Klinge bergen, enthielt der Körper des Mathias Goguelue – so hieß der Bursch – eine schwache Seele. So viel ist gewiß, daß jedes Wesen, das schwächer war als Mathias, einen Schmerzenslaut von sich gab, sobald er es berührte: Der Vogel, weil er ihm die Federn auszupfte; der Hund, weil er ihn auf die Pfote trat; das Kind, weil er es am Haar zupfte. Dagegen war Mathias neben den Stärkeren demütig, wenn er auch Spott und Hohn nicht ließ; empfing er eine Beleidigung, einen Schimpf, einen Schlag, wie heftig und empfindlich sie auch waren, so behielt sein Gesicht das stumpfsinnige Lächeln, aber die Beleidigung, der Schimpf, der Schlag blieb unvertilgbar in dem Herzen eingeprägt; irgend einmal wurde das Leid, ohne daß man ahnte, woher es kam, hundertfach vergolten und Mathias hatte in der tiefsten Tiefe seines Innern einen Augenblick unheimlicher Freude, die ihn oftmals zu dem Gedanken brachte, das Böse, das er erlitten, sei ein Glück für ihn, da er Böses habe dafür tun können.
Uebrigens muß man zu seiner Entschuldigung hinzufügen, daß sein Leben immer ein schmerzensreiches und unsicheres gewesen. Eines Tages hatte man ihn aus einer Schlucht hervorkommen sehen, wo ihn ohne Zweifel herumziehende Zigeuner zurückgelassen. Er war damals drei Jahre alt gewesen, halb nackt und konnte kaum sprechen. Der Bauer, der ihn zuerst gesehen, hieß Mathias, die Schlucht aus der er gekommen, Goguelue, deshalb wurde das Kind Mathias Goguelue genannt. Von einer Taufe war niemals die Rede gewesen und Mathias vermochte nicht zu sagen, ob er überhaupt getauft worden sei, oder nicht. Wer sollte sich auch mit seiner Seele beschäftigen, da der Körper in einem Zustande sich befand, daß er doch immer von Almosen und Diebstahl leben mußte.
So war er herangewachsen. Obgleich schlecht geformt und hässlich, besaß er doch Kräfte, und obgleich scheinbar stumpfsinnig, war er schlau und pfiffig. Wäre er in Ozeanien, an den Ufern des Senegal, oder im japanischen Meere geboren worden, hätten die Wilden von ihm sagen können, was sie von den Affen sagen: »sie reden nicht, weil sie fürchten, man würde sie für Menschen halten und sie zum Arbeiten nötigen.«
Mathias stellte sich schwach und stellte sich blödsinnig; zeigte sich aber eine Gelegenheit, daß er seine Körperkraft oder seinen Verstand gebrauchen mußte, so gab er Beweise von der rohen Kraft des Bären und der Schlauheit des Fuchses. War dann die Gefahr vorüber, oder der Wunsch befriedigt, so wurde Mathias wieder Mathias, der bekannte, verspottete, kraftlose, blödsinnige Mathias.
Der Abbé Gregoire, – der vortreffliche Mann, von dem ich in meinen »Memoiren« spreche, und der auch in dieser Geschichte eine Rolle zu spielen hat – hatte Mitleid mit dem armen, geistesschwachen Wesen gehabt, sich als den geborenen Vormund des Verwaisten angesehen und ihn um eine Stufe in der Reihenfolge der Geschöpfe höher stellen wollen, deshalb ein Jahr lang sich unsägliche Mühe gegeben ihm lesen und schreiben zu lehren. Nach einem Jahre hatte er den Versuch als unausführbar aufgeben müssen. Der allgemeinen Meinung nach, welcher auch der würdige Abbé folgte, kannte Matthias keinen Buchstaben und vermochte keinen zu schreiben, aber Alle täuschten sich; Mathias las zwar nicht vortrefflich, aber er las und sogar ziemlich geläufig; er schrieb nicht wie in Kupfer gestochen, aber er schrieb und recht leserlich. Nur hatte Niemand ihn jemals lesen hören und schreiben sehen.
Auch Vater Watrin hatte das Seinige getan, Mathias aus seiner Vertierung zu reißen, und zwar aus der körperlichen, wie der Abbé aus der geistigen. Er hatte bemerkt, daß Mathias die Gabe oder das Geschick besaß, das Geschrei der Thiere, den Gesang der Vögel nachzuahmen und einer Fährte zu folgen; er hatte erkannt, daß Mathias mit seinen Schielaugen einen Hasen oder ein Kaninchen im Lager recht gut sehe; es war ihm mehrmals aufgefallen, daß ihm Pulver und Blei fehlte, und geschlossen, daß er die Anlagen des Mathias vielleicht nützlich verwenden, und ihn zu einem brauchbaren Gehilfen im Walde machen könne. Er hatte deshalb mit dem Inspector Deviolaine gesprochen und von diesem die Ermächtigung erhalten, seinem Schützlinge eine Flinte in die Hand zu geben.