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Die San Felice
Erstes Capitel.
Die Galeere Capitane
Zwischen dem Felsen, welchem Virgil den Namen des Vorgebirgs von Milena gibt, und dem Cap Campanella, welches auf einem seiner Abhänge den Erfinder des Compasses geboren werden und auf der andern den Dichter des »befreiten Jerusalem« als Geächteten umherirren sah, öffnet sich der prachtvolle Meerbusen von Neapel.
Dieser stets lachende, stets von Tausenden von Fahrzeugen durchfurchte, stets von den Tönen musikalischer Instrumente und dem Gesang der Lustwandler und Luftfahrer wiederhallende Golf war am 22. September 1798 noch geräuschvoller und freudiger belebt, als er gewöhnlich zu sein pflegt.
Der Monat September ist in Neapel herrlich, denn er liegt zwischen der verzehrenden Hitze des Sommers und der launenhaften Regenzeit des Herbstes.
Der Tag, von welchem wir die ersten Blätter unserer Geschichte datieren, war einer der herrlichsten Tage des genannten Monats.
Die Sonne strömte gleichsam in goldenen Fluten auf dieses ungeheure Amphitheater von Hügeln, welches einen seiner Arme bis Nifida und den andern bis Portici auszustrecken scheint, um die glückliche Stadt gegen die Flanken des Berges St. Elmo zu drücken, welcher gleich einer der Stirn der modernen Parthenope aufgesetzten Mauerkrone die alte Festung überragt.
Der Golf, diese unermeßliche Azurfläche, die einem mit Goldflimmerchen bedeckten Teppich glich, zitterte unter dem Hauch eines leichten balsamischen, wohlduftenden Morgenwindes. Derselbe war so sanft, daß er den Gesichtern, welche er liebkoste, ein unbeschreibliches Lächeln entlockte, und so belebend, daß in der von ihm geschwellten Brust sich sofort jene unermeßliche Sehnsucht nach dem Unendlichen erweckte, welche den Menschen stolzerweise glauben läßt, daß er ein Gott ist, oder wenigstens einer werden kann, und daß diese Welt weiter nichts ist als eine an der Straße nach dem Himmel erbaute Herberge für einen Tag.
Auf der Kirche San Ferdinando, welche die Ecke der Toledostraße und des Platzes San Fernando bildet, schlug es acht Uhr.
Das letzte Summen des Schlages, welcher die Zeit mißt, war kaum im Raume verhallt, als die tausend »Glocken der dreihundert Kirchen von Neapel lustig und geräuschvoll durch die Oeffnungen ihrer Thürme heraussprangen und die Kanonen des Fort Uovo, Castel Nuovo und del Carmine mit donnerähnlichem Gekrach das Geläute der Glocken übertäuben zu wollen schienen, während sie zugleich die Stadt in einen Rauchgürtel hüllten und das Fort St. Elmo, flammend und umwölkt wie ein speiender Krater, angesichts des alten stummen Vulcans einen neuen Vesuv improvisierte.
Glocken und Kanonen begrüßten mit ihrer ehernen Stimme eine prachtvolle Galeere, welche sich in diesem Augenblick von dem Kai ablöste, den Kriegshafen durchschnitt und unter dem Doppeldruck der Ruder und des Segels majestätisch der hohen See entgegenglitt, gefolgt von zehn oder zwölf kleineren Barken, die aber eben so prächtig geschmückt waren als ihre Capitane, welche es an Reichthum mit dem Bucentaurus aufnehmen konnte, welcher sonst den Doge zu seiner Vermählung mit dem adriatischen Meere führte.
Diese Galeere war von einem Officier commandiert, welcher sechs- bis siebenundvierzig Jahre zählen mochte und die kostbare Admiralsuniform der neapolitanischen Marine trug.
Sein männliches Gesicht von strenger, gebieterischer Schönheit war von Wind und Sonne gebräunt. Obschon er zum Zeichen der Ehrfurcht das Haupt entblößt hatte, so trug er doch die mit ergrauendem Haar, durch welches mehr als einmal der scharfe Hauch des Windes gegangen war, bedeckte Stirn hoch, und man errieth gleich auf den ersten Blick, daß, wer auch die vornehmen Personen, die er an Bord hatte, sein mochten, doch er es war, von welchem das Commando ausgegangen.
Das an seiner rechten Hand hängende rothe Sprachrohr wäre das sichtbare Zeichen dieses Commandos gewesen, wenn nicht schon die Natur Sorge getragen hätte, dieses Zeichen auf eine noch weit unauslöschlichere Weise ihm durch den Blitz des Auges und den Ton der Stimme aufzudrücken.
Er hieß Franz Caracciolo und gehörte jener Familie der Fürsten Caraccioli an, welche gewohnt war, den Königen Gesandte und den Königinnen Liebhaber zu liefern.
Er stand auf seiner Quartierbank, wie er am Tage eines Kampfes gethan haben würde.
Das ganze Verdeck der Galeere war mit einem purpurnen Zeltdach versehen, auf welchem das Wappen der beiden Sicilien strahlte und welches bestimmt war, die erhabenen Passagiere, welche sich darunter befanden, vor den Strahlen der Sonne zu schützen. Diese Passagiere bildeten drei Gruppen von verschiedener Haltung und verschiedenem Ansehen.
Die erste dieser Gruppen, die zahlreichste von allen, bestand aus fünf Männern, welche den Mittelpunkt des Schiffes einnahmen und von welchen drei außerhalb des Zeltdaches standen.
Bänder von allen Farben trugen an ihrem Halse Ordenskreuze aller Länder und ihre Brust war mit Sternen und Schnüren bedeckt. Zwei davon trugen als unterscheidende Kennzeichen ihres Ranges an den Tailleknöpfen ihres Rockes goldene Schlüssel und hatten sonach die Ehre, Kammerherren zu sein.
Die Hauptperson dieser Gruppe war ein Mann von siebenundvierzig Jahren, groß und hager, obschon kräftig gebaut. Die Gewohnheit, sich vorwärts zu neigen, um Die, welche mit ihm sprachen, besser zu hören, hatte ihm den Rücken leicht nach vorn gekrümmt.
Trotz eines mit Goldstickereien bedeckten Costüms, trotz der mit Diamanten besetzten Orden, welche auf seiner Brust funkelten, trotz des Titels Majestät, welchen man jeden Augenblick aus dem Munde Derer vernahm, welche mit ihm sprachen, war seine äußere Erscheinung doch gemein und keiner seiner Züge hatte, wenn man sie einzeln ins Auge faßte, eine Spur von königlicher Würde.
Er hatte große Füße, breite Hände und plumpe Knöchel und Handgelenke. Die niedrige Stirn verrieth Mangel an erhabeneren Gefühlen. Das zurücktretende Kinn, welches auf einen schwachen, unentschlossenen Charakter schließen ließ, hob die übermäßig lange Nase, das Kennzeichen niedriger Triebe, noch mehr hervor. Nur das Auge blickte lebhaft und schelmisch, dabei aber fast immer falsch, zuweilen sogar grausam.
Dieser Mann war Ferdinand der Vierte, Sohn Carls des Dritten, von Gottes Gnaden König beider Sicilien und von Jerusalem, Infant von Spanien, Herzog von Parma, Piacenza und Castro und Erbprinz von Toscana, den die Lazzaroni von Neapel einfacher und ohne so viel Titel und Umschweife den König Nasone nannten.
Der Mann, mit welchem er sich am speciellsten unterhielt und welcher von allen am einfachsten gekleidet war, obschon er den gestickten Leibrock der Diplomaten trug, war ein Greis von neunundsechzig Jahren, klein von Wuchs, mit dünnem, weißem, zurückgestrichenem Haar.
Er hatte jene schmale Gesichtsform, welche der gemeine Mann charakteristisch ein Messerklingengesicht nennt, eine spitzige Nase, ein eben solches Kinn, einen eingekniffenen Mund und ein helles, intelligentes, forschendes Auge.
Seine Hände, auf die er besondere Sorgfalt zu verwenden schien und über welche Manchetten von prächtigen englischen Spitzen herabfielen, waren mit Ringen beladen, deren Gold antiken kostbaren Cameen zur Einfassung diente.
Er trug nur zwei Orden, den des heiligen Januarius und das rothe Band des Bathordens mit dem goldenen Stern, auf welchem man in der Mitte von drei Königskronen ein Scepter zwischen einer Rose und einer Distel sieht.
Dieser Mann war Sir William Hamilton, Milchbruder des Königs Georg des Dritten und seit fünfunddreißig Jahren großbritannischer Gesandter am Hofe des Königreichs bei der Sicilien.
Die drei anderen waren der Marquis Malaspina, Adjutant des Königs, der Irländer John Acton, sein erster Minister, und der Herzog von Ascoli, sein Kammerherr und sein Freund.
Die zweite Gruppe, welche einem Gemälde von Angelica Kaufmann glich, bestand aus zwei Damen, welchen, auch wenn man ihren Rang und ihre Berühmtheit nicht kannte, selbst von dem gleichgültigsten Beobachter nothwendig besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden mußte.
Die ältere der beiden Damen hatte, obschon sie über die glänzende, jugendliche Periode ihres Lebens hinaus war, noch bemerkenswerthe Reste von Schönheit bewahrt.
Ihre mehr große als kleine Gestalt begann eine Corpulenz zu gewinnen, welche die Frische des Teints als vorzeitig hätte erscheinen lassen können, wenn nicht einige tiefe Furchen in dem Elfenbein der breiten gebieterischen Stirn, welche ihren Grund mehr in den Sorgen der Politik und der Last der Krone als in dem Alter selbst hatten, die fünfundvierzig Jahre verrathen hätten, die sie im Begriff stand zu vollenden.
Ihr blondes Haar, von seltener Feinheit und reizender Farbenschattierung, umrahmte in bewunderungswürdiger Weise ein Gesicht, dessen ursprüngliches Oval durch die Einwirkung der Ungeduld und des Schmerzes ein wenig entstellt worden.
Ihre blauen, matten, zerstreuten Augen sprühten, wenn plötzlich der Gedanke sie beseelte, ein düsteres und gewissermaßen elektrisches Feuer, welches, nachdem es der Wiederschein der Liebe und dann die Flamme des Ehrgeizes gewesen, der Blitz des Hasses geworden war.
Ihre früher feuchten und purpurrothen, Lippen, deren untere gegen die obere etwas hervorragende ihrem Gesichte in gewissen Augenblicken einen unaussprechlichen Ausdruck von Verächtlichkeit gab, waren unter den unaufhörlichen Bissen der immer noch schönen und wie Perlen glänzenden Zähne trocken und bleich geworden.
Nase und Kinn hatten ihre griechische Reinheit bewahrt und Hals, Schultern und Arme waren untadelhaft.
Diese Frau war die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, die Schwester Marien Antoinettens, es war Marie Caroline, die Königin beider Sicilien, die Gattin Ferdinands des Vierten, den sie aus Gründen, welche wir später sich entwickeln sehen werden, anfangs mit Gleichgültigkeit, dann mit Widerwillen und dann mit Verachtung betrachtete.
Sie stand jetzt in ihrer dritten Phase, welche nicht die letzte sein sollte, und nur die politischen Nothwendigkeiten näherten die hochgestellten Ehegatten einander, welche, abgesehen hiervon, vollständig getrennt lebten.
Der König jagte in seinen Wäldern von Lincola, Persano und Astroni und ruhte in seinem Harem von San Leucio aus, während die Königin in Neapel, in Caferta oder in Portici mit einem Minister Acton Politik trieb oder mit ihrer Favoritin Emma Lyonna, die in diesem Augenblicke wie eine Sclavin zu ihren Füßen lag unter den Orangenlauben ausruhte.
Uebrigens brauchte man auf die letztgenannte Dame nur einen Blick zu werfen, um nicht blos die ein wenig scandalöse Gunst, in der sie bei der Königin stand, sondern auch den wahnsinnigen Enthusiasmus zu begreifen, welche diese Zauberin bei den englischen Malern, welche sie in allen Formen reproducirten und bei den neapolitanischen Dichtern erweckte, welche sie mit der überschwenglichsten Weise besangen.
In der That, wenn die menschliche Natur die Schönheit in ihrer höchsten Vollkommenheit erreichen kann, so hatte Emma Lyonna diese Vollkommenheit erreicht.
Durch vertrauten Umgang mit irgend einer modernen Sappho hatte sie ohne Zweifel jene kostbare Essenz erlangt, welche Phaon von der Venus zum Geschenk erhielt, um sich unwiderstehlich liebenswürdig zu machen.
Das erstaunte Auge schien, indem es sich auf die heftete, anfangs die Umrisse jenes wunderbaren Körpers nur durch den ihr entströmenden Wollustdunst zu erkennen; dann erst durchdrang der Blick allmälig das Gewölk und die Göttin schimmerte hindurch.
Versuchen wir dieses Weib zu malen, welches in die tiefsten Abgründe des Elends hinabstieg und die glänzendsten Gipfel des Glückes erklomm und die zu der Zeit, wo sie vor uns auftritt, an Geist, Anmuth und Schönheit mit der Griechin Aspasia, der Egyptierin Kleopatra und der Römerin Olympia zu rivalisieren im Stande gewesen wäre.
Sie hatte jetzt jenes Alter erreicht, oder schien jenes Alter erreicht zu haben, welches die physischen Vorzüge des Weibes in ihrer Vollendung erscheinen läßt.
Ihre Person bot, wenn der Blick sie zu detaillieren versuchte, gleichsam eine ganze Reihe von blendenden Erscheinungen dar.
Ihr kastanienbraunes Haar umrahmte ein Gesicht, welches so rund war wie das des jungen Mädchens, welches kaum erst zur Mannbarkeit gereift ist.
Ihre irisierenden Augen, deren Farbe unmöglich zu bestimmen gewesen wäre, funkelten unter zwei Brauen, die von Raphaels Pinsel geschaffen zu sein schienen.
Ihr biegsamer weißer Schwanenhals, ihre Schultern und Arme, deren Geschmeidigkeit und anmuthige Rundung nicht an die kalten Schöpfungen des antiken Meißels, sondern an die lebensvollen, gleichsam zuckenden Marmorgebilde Germain Pilous erinnerten, machten selbst diesen in Bezug auf Festigkeit und Azurgeäder den Rang streitig.
Der Mund schien, gleich dem jener Prinzessin, welche eine Fee zur Pathe hatte und bei jedem Worte eine Perle und bei jedem Lächeln einen Diamant fallen ließ, ein unerschöpflicher Schrein von Liebesküssen zu sein.
Bekleidet war sie ganz im Gegensatz zu dem königlichen Costüm Mariens Carolinens, mit einer langen einfachen Tunica von weißem Casimir mit weiten Aermeln, um den Hals herum nach griechischer Weise ausgeschnitten und frei von jedem anderen Zwang, um die Taille herum durch einen Gürtel von rothem Maroquin festgehalten, der mit Gold gestickt, mit Rubinen, Opalen und Türkisen besetzt war und dessen Agraffe in einer prachtvollen Camee mit Sir William Hamiltons Bildmiß bestand.
Außerdem hüllte sie sich, wie in einen Mantel, in einen breiten indischen Shawl von schillernden Farben mit Goldblumen, welcher ihr bei den vertrauten Abendgesellschaften der Königin mehr als einmal zur Aufführung jenes Shawltanzes gedient hatte, den sie erfunden und dessen wollüstige, magische Vollkommenheit von keiner anderen Tänzerin erreicht ward.
Später werden wir Gelegenheit finden, den Augen unserer Leser die seltsame Vergangenheit dieser Dame vorzuführen, welcher wir in diesem gewissermaßen nur als Einleitung dienenden Capitel, welchen Platz sie auch in der zu erzählenden Geschichte einnehmen mag, doch blos einen flüchtigen Blick und oberflächliche Aufmerksamkeit widmen können.
Die dritte Gruppe, welche ein Seitenstück zu dieser bildete und sich rechts neben der des Königs befand, bestand aus vier Personen, nämlich aus zwei Männern von verschiedenem Alter, welche über Wissenschaft und Staatsöconomie sprachen, und einer bleichen, träumerischen jungen Frau, welche ein Kind von einigen Monaten in ihren Armen wiegte und an ihr Herz drückte.
Eine fünfte Person, die Niemand anders war als die Amme des Kindes, eine dicke stämmige Bäuerin in der Tracht der Frauen von Aversa, hielt sich in dem Halbschatten versteckt, wo jedoch trotz ihrer Vorsicht die Stickereien ihres mit Goldschnüren besetzten Mieders ihre Gegenwart verriethen.
Der jüngere der beiden Männer, kaum zweiundzwanzig Jahre alt, mit blondem Haar, noch bartlosem Kinn, von in Folge vorzeitiger Trägheit schon stark gewordenem Wuchse, den das Gift später in leichenähnliche Magerkeit verwandeln sollte, in einem himmelblauen, mit Gold gestickten und mit Schnüren überladenen Leibrock, war der älteste Sohn des Königs und der Königin Marie Caroline, der präsumtive Thronerbe Franz, Herzog von Calabrien.
Von Natur von schüchternem, sanftem Charakter, hatte er an den reactionären Gewaltthätigkeiten der Königin Anstoß genommen, und sich der Literatur und den Wissenschaften zugewendet. Er verlangte nichts weiter, als außerhalb der Maschine der Politik zu bleiben, von deren Räderwerk er zermalmt zu werden fürchtete.
Der, mit welchem er sich unterhielt, war ein ernster, kalter Mann von fünfzig bis zweiundfünfzig Jahren, der nicht gerade ein Gelehrter, wie man es in Italien versteht, wohl aber, was zuweilen weit besser ist, ein Wissender war.
Seine ganze Decoration auf dem auch übrigens sehr einfachen Rock bestand in dem Maltheserkreuz, welches zweihundertjährigen, nie unterbrochenen Adel voraussetzte.
Er war auch in der That ein neapolitanischer Edelmann. Er hieß der Chevalier von San Felice und war Bibliothekar des Prinzen und Ehrencavalier der Prinzessin.
Die Prinzessin, mit welcher wir vielleicht hätten beginnen sollen, war jene junge Mutter, welche wir mit kurzen Worten geschildert und die, als ob sie gefühlt hätte, daß sie bald die Erde gegen den Himmel vertauschen sollte, ihr Kind an das Herz drückte.
Auch sie war, wie ihre Schwiegermutter, eine Erzherzogin des Hauses Habsburg. Sie hieß Clementine. Fünfzehn Jahre alt, hatte sie Wien verlassen, um Franz von Bourbon zu heiraten, und mochte nun der Grund dort gelassene Liebe oder hier gefundene Enttäuschung sein, Niemand, selbst nicht ihre Tochter, wenn diese schon alt genug gewesen wäre, um zu verstehen und zu sprechen, hätte erzählen können, daß man sie ein einziges Mal lächeln gesehen.
Blume des Nordens, welkte sie kaum erblüht in der heißen Sonne des Südens.
Ihre Traurigkeit war ein Geheimniß, an welchem sie langsam hinstarb, ohne sich gegen die Menschen oder gegen Gott zu beklagen. Sie schien zu wissen, daß sie verurtheilt war, und als frommes, reines Sühnopfer fügte sie sich in den Spruch, der nicht um ihrer Sünden, sondern um der eines Andern willen über sie gefällt worden.
Gott, welcher die Ewigkeit hat, um gerecht zu sein, erscheint uns zuweilen in geheimnißvollen Widersprüchen, welche unsere sterbliche und ephemere Gerechtigkeit nicht zu begreifen vermag.
Die Tochter, welche sie an ihr Herz drückte und die kaum erst seit einigen Monaten ihr Auge dem Lichte erschloß, war jene zweite Marie Caroline, welche vielleicht die Schwächen, aber nicht die Laster der ersten besaß. Es war die junge Prinzessin, welche sich später mit dem Herzog von Berry vermälte, der unter dem Dolche Louvel's fiel, und welche allein von der älteren Linie der Bourbons eine sympathische Erinnerung und ein ritterliches Andenken in Frankreich zurückgelassen hat.
Und diese ganze Welt von Königen, Prinzen, Höflingen, welche auf diesem azurnen Meer unter diesem purpurnen Zeltdach unter dem Klange einer melodischen, von dem guten Domenico Cimarosa, Capellmeister und Hofeomponist, dirigierten Musik dahinglitt passirte nach der Reihe Resina, Portici, Torre del Greco und ward nach dem offenen Meer durch jenen weichen Hauch von Baia hinausgetragen, welcher der Ehre der römischen Damen so gefährlich ist und die Rosenbäume von Pästum jährlich zweimal erblühen läßt.
Gleichzeitig sah man am Horizont, noch weit jenseits Capri und des Caps Campanella, ein Kriegsschiff auftauchen, welches seinerseits, als es die königliche Flottille gewahrte, so manövrierte, daß es ein wenig näher kam, während es zugleich einen Kanonenschuß löste.
Eine leichte Rauchwolke stieg an der Seitenwand des Kolosses empor und gleichzeitig sah man die rothe Flagge Englands graziös die Mastspitze erklettern.
Nach einigen Sekunden später hörte man ein langgedehntes Rollen, welches dem des fernen Donnersglich.
Zweites Capitel.
Der Held vom Nil
Das Schiff, welches der königlichen Flottille entgegensteuerte und an dessen Mastspitze wir die rothe Flagge Englands gesehen, hieß der »Vanguard«.
Der Officier, welcher es commandierte, war der Commodor Horaz Nelson, der so eben die französische Flotte bei Abukir vernichtet und Bonaparte und der republikanischen Armee alle Hoffnung auf die Rückkehr nach Frankreich abgeschnitten hatte.
Sagen wir mit wenigen Worten, wer dieser Commodor Horaz Nelson war, einer der größten Seehelden, die es jemals gegeben, der Einzige, welcher dem continentalen Glück Napoleons auf dem Ocean das Gleichgewicht hielt, ja es sogar erschütterte.
Man wird sich vielleicht wundern, uns das Lob Nelson's preisen zu hören, dieses furchtbaren Feindes Frankreichs, der ihm bei Abukir und Trafalgar das beste und reinste Herzblut entrissen.
Männer wie dieser sind aber einmal ein Product der allgemeinen Civilisation, die Nachwelt macht bei ihnen keinen Unterschied der Geburt und des Landes. Sie betrachtet sie vielmehr wie einen Theil der Größe des gesamten Menschengeschlechts, auf welchen dieses mit unendlicher Liebe und unermeßlichem Stolz hinblicken muß.
Einmal in das Grab hinabgestiegen, sind sie nicht mehr Landsleute oder Fremdlinge, nicht mehr Freunde oder Feinde. Sie heißen Hannibal und Scipio, Cäsar und Pompejus, das heißt Werke und Thaten. Die Unsterblichkeit naturalisiert die großen Geister zum Nutzen des Weltalls.
Nelson ward am 29. September 1758 geboren und also zu der Zeit, von welcher wir hier sprechen, ein Mann von neununddreißig bis vierzig Jahren.
Er war geboren in Barnham Thorpes, einem kleinen Dorf der Grafschaft Norfolk. Sein Vater war Pfarrer, seine Mutter starb jung und hinterließ elf Kinder.
Ein Onkel, den er in der Marine hatte und der mit den Walpoles verwandt war, nahm ihn als Aspiranten mit auf den »Redoubtable«, ein Kriegsschiff von vierundsechzig Kanonen. Auf diesem Schiff ging er nach dem Nordpol und brachte sechs Monate im Eismeer zu.
Hier kämpfte er mit einem weißen Bären, der ihn zwischen einen Tatzen erstickt haben würde, wenn nicht einer seiner Cameraden die Mündung seiner Muskete dem Bären ins Ohr gesetzt und denselben durch einen Schuß niedergestreckt hätte.
Dann ging er nach dem Aequator, verirrte sich in einem Walde Perus, schlief am Fuße eines Baumes ein, ward von einer Schlange der schlimmsten Art gestochen, wäre an diesem Stich beinahe gestorben und behielt davon lebenslang schwarzgelbe Flecken gleich denen der Schlange selbst.
In Canada hatte er seine erste Liebschaft und hätte beinahe seine größte Thorheit begangen. Um die Person, welche er liebte, nicht zu verlassen, wollte er seine Entlassung als Fregattencapitän nehmen. Seine Officiere aber bemächtigten sich seiner unvermuthet, banden ihn wie einen Verbrecher oder einen Tollhäusler, trugen ihn auf das »Sea Horse«, welches er damals commandierte, und gaben ihm erst auf offener See die Freiheit wieder.
Nach London zurückgekehrt, verheiratete er sich mit einer jungen Witwe, Namens Mitreß Nisbett. Er liebte sie mit jener Leidenschaft, welche sich in seiner Seele so leicht und so heftig entzündete, und als er wieder zur See ging, nahm er einen Sohn, Namens Josua, mit, den sie von ihrem ersten Manne hatte.
Als Toulon durch den Admiral Trogof und den General Mandet den Engländern überlassen ward, war Horaz Nelson Capitän an Bord des »Agamemnon« und ward mit seinem Schiffe nach Neapel geschickt, um dem Könige Ferdinand und der Königin Carolina die Einnahme des wichtigsten französischen Kriegshafens zu melden.
Sir William Hamilton, der englische Gesandte, traf ihn beim Könige, nahm ihn mit nach Hause, ließ ihn in dem Salon, ging in das Zimmer seiner Gattin und sagte zu ihr:
»Ich bringe Ihnen einen kleinen Mann, der sich nicht rühmen kann, schön zu sein; ich müßte mich aber sehr irren, wenn er nicht später einmal der Stolz Englands und der Schrecken unserer Feinde würde.«
»Und woraus schließen Sie das?« fragte Lady Hamilton.
»Aus den wenigen Worten, die wir gewechselt haben. Er ist im Salon. Kommen Sie, um ihm die Honneurs unseres Hauses zu machen. Ich habe noch niemals einen englischen Officier bei mir empfangen, aber ich will nicht, daß dieser anderswo, als in meinem Hotel wohne.«
Und Nelson wohnte in der englischen Gesandtschaft, deren Hotel an der Ecke des Flusses und der Straße von Chiaja stand.
Nelson war damals, im Jahre 1793, ein Mann von vierunddreißig Jahren, klein von Wuchs, wie Sir William gesagt, bleich von Gesicht, mit blauen Augen und jener Adlernase, welche das Profil der Kriegsmänner auszeichnet und Cäsar und Condé Aehnlichkeit mit Raubvögeln gibt; mit jenem hervorragenden Kinne, welches die bis zur Hartnäckigkeit getriebene Zähigkeit verräth.
Was Haar und Bart betraf, so waren dieselben hellblond und dünn.
Nichts verräth, daß zu jener Zeit Emma Lyonna in Bezug auf Nelsons äußere Erscheinung einer anderen Meinung gewesen sei, als ihr Gatte. Die so zu sagen niederschmetternde Schönheit der Gesandtin aber äußerte ihre Wirkung. Nelson verließ Neapel, nahm die Verstärkungen mit, welche er von dem neapolitanischen Hofe verlangt, und hatte sich in Lady Hamilton verliebt bis zum Wahnsinn.
Geschah es aus reinem Ehrgeiz, oder geschah es, um sich von jener Liebe zu heilen, die, wie er fühlte, unheilbar war, daß er bei der Einnahme von Calvi, wo er ein Auge, oder bei der Expedition nach Tenneriffa, wo er ein Bein verlor, den Tod suchte? Man weiß dies nicht, aber bei diesen beiden Gelegenheiten setzte er sein Leben mit einer solchen Tollkühnheit aufs Spiel, daß man glauben mußte, es läge ihm äußerst wenig daran.
Lady Hamilton sah ihn sonach als Einäugigen und Einbeinigen wieder, und nichts verräth, daß ihr Herz für den verstümmelten Helden ein anderes Gefühl gehegt habe, als jenes zärtliche, theilnehmende Mitleid, welches die Schönheit den Märtirern des Ruhmes schuldig ist.
Am 16. Juni 1798 kam er zum zweiten Male nach Neapel und zum zweiten Male sah er sich der Lady Hamilton gegenüber.
Die Lage war für Nelson eine sehr kritische.
Beauftragt, die französische Flotte in dem Hafen von Toulon zu blockieren und sie, wenn sie denselben verließe, anzugreifen, hatte er gleichwohl diese Flotte sich zwischen den Fingern hindurchschlüpfen gesehen und dieselbe hatte im Vorüberfahren Malta genommen und dreißigtausend Mann in Alexandrien ans Land gesetzt.
Dies war noch nicht Alles. Von einem Sturm umhergetrieben, der seinen Schiffen schwere Beschädigungen zugefügt, an Wasser und Lebensmitteln Mangel leidend, konnte er seine Verfolgung nicht fortsetzen, sondern mußte nach Gibraltar steuern, um sich zu verproviantiren.
Er war verloren. Man konnte des Hochverraths einen Mann anklagen, welcher einen Monat lang in dem mittelländischen Meere, das heißt in einem großen See, eine Flotte von dreizehn Linienschiffen und dreihundert siebenundachtzig Transportschiffen gesucht hatte, nicht blos ohne sie einholen zu können, sondern auch ohne ihren Curs ermittelt zu haben.
Jetzt handelte es sich darum, unter den Augen des französischen Gesandten von dem Hofe der beiden Sicilien die Erlaubniß zu erhalten, daß Nelson in den Häfen von Messina und Syracus Wasser und Lebensmittel und in Calabrien Schiffsbauholz einnehmen dürfte, um seine zerbrochenen Masten und Raaen zu ersetzen.
Nun aber hatte der Hof beider Sicilien einen Friedensvertrag mit Frankreich geschlossen. Dieser Vertrag machte ihm die strengste Neutralität zu Pflicht und wenn man Nelson das, was er verlangte, gewährte, so war dies eine offenbare Verletzung dieses Tractats und ein Bruch dieser Neutralität.
Ferdinand und Caroline verabscheuten aber die Franzosen so sehr und hatten Frankreich einen solchen Haß geschworen, daß Alles, was Nelson begehrte, ihm ohne Bedenken gewährt ward, und Nelson, welcher wußte, daß nur ein großer Sieg ihn retten konnte, verließ Neapel verliebter und wahnsinniger als je, mit dem Schwur, zu siegen oder sich bei der ersten Gelegenheit tödten zu lassen.
Er siegte und wäre beinahe getödtet worden. Niemals seit Erfindung des Pulvers und Anwendung des Geschützes war eine entsetzlichere Seeschlacht geschlagen worden. Von den dreizehn Linienschiffen, aus welchen, wie wir bereits bemerkt, die französische Flotte bestand, konnten nur zwei den Flammen und der gänzlichen Zerstörung durch den Feind entrinnen.
Ein Schiff, der »Orient«, war in die Luft geflogen. Ein anderes Linienschiff und eine Fregatte waren in den Grund gebohrt worden, neun waren in die Hände der Sieger gefallen.
Nelson hatte sich während der ganzen Zeit, welche der Kampf gedauert, als vollkommener Held gezeigt. Er hatte sich dem Tode dargeboten und der Tod hatte ihn nicht gewollt, wohl aber hatte er eine grausame Verwundung davongetragen.
Eine Kugel vom »Wilhelm Tell« hatte eine Raa des »Vanguard« getroffen und die zerschossene Raa war Nelson in demselben Augenblick, wo er den Kopf emporrichtete, um die Ursache des furchtbaren Krachens, welches er hörte, zu erspähen, auf die Stirn gefallen, hatte ihm die Haut des Hirnschädels über das einzige Auge, welches er noch besaß, herabgeschlagen und ihn wie einen von einem Keulenschlage getroffenen Stier von seinem Blut überströmt aufs Deck hingestreckt.
Nelson glaubte, die Wunde sei tödtlich, ließ den Caplan rufen, um sich von diesem den letzten Segen ertheilen zu lassen, und beauftragte ihn mit den letzten Grüßen an seine Familie.
Nach dem Priester aber kam der Chirurg, dieser untersuchte die Hirnschale. Dieselbe war unversehrt. Nur die Stirnhaut war losgerissen und fiel bis über den Mund herab.
Die Haut ward wieder in ihre naturgemäße Lage zurückgebracht, an der Stirn angeheftet und durch eine schwarze Binde festgehalten.
Nelson raffte das seiner Hand entfallene Sprachrohr auf und machte sich wieder an das Werk der Zerstörung, indem er »Feuer!« commandierte.
Es lag der Hauch eines Titans in dem Haß dieses Mannes gegen Frankreich.
Am 2. August, acht Uhr Abends, war, wie wir schon vorhin bemerkten, von der ganzen französischen Flotte nichts weiter übrig als zwei Schiffe, die sich nach Malta flüchteten .
Ein leichtes Fahrzeug trug die Nachricht von Nelsons Siege und der Zerstörung der französischen Flotte an den Hof von Neapel und zur Admiralität von England.
Ganz Europa hallte bis nach Asien wieder von einem unermeßlichen Freudenschrei, so sehr fürchtete man die Franzosen, so sehr verwünschte und verabscheute man die französische Revolution.
Ganz besonders der Hof von Neapel ward, nachdem er vor Wuth geschnaubt, nun vor Freude fast wahnsinnig.
Natürlich war es Lady Hamilton, welche Nelson's Brief empfing, der ihr diesen Sieg meldete, welcher dreißigtausend Mann Franzosen und Bonaparte mit ihnen in Egypten gefangen hielt.
Bonaparte, der Mann von Toulon, des 13. Vendemiaire, von Montenotte, von Dego, von Arcole und von Rivoli, der Ueberwinder Beaulieus, Wurmser's, Alvinzi‘s und des Prinzen Karl, der Schlachtenheld, welcher binnen weniger als zwei Jahren hundert und fünfzigtausend Gefangene gemacht, hundert und siebzig Fahnen erobert, fünfhundert und fünfzig Geschütze von schwerem Caliber, sechshundert Feldkanonen und fünf Brückenequipagen genommen, der Ehrgeizige, welcher gesagt hatte, Europa sei ein Maulwurfshaufen und nur im Orient habe es jemals große Staaten und große Revolutionen gegeben, der abenteuerlustige Feldherr, der, mit neunundzwanzig Jahren schon größer als Hannibal und Scipio, Egypten erobern wollte, um ebenso groß zu sein als Alexander und Cäsar, war nun mit einem Male beseitigt, unterdrückt, aus der Liste der Kämpfenden gestrichen.