Kitabı oku: «La San Felice Band 12», sayfa 4
Er wählte Calabresen, um Calabresen zu bekämpfen, denn er wußte, daß zwischen Landsleuten der Kampf ein tödtlicher sein würde. Die brudermörderischen Kämpfe sind die furchtbarsten und hartnäckigsten.
In den Zweikämpfen zwischen Fremdlingen bleiben zuweilen beide Gegner am Leben, keiner aber hat Eteokles und Polynices überlebt.
Als die Calabresen die über dem Thor flatternde dreifarbige Fahne sahen und die darauf stehenden Worte: »Rache! Sieg oder Tod!« lasen, stürzten sie sich trunken von Wuth mit Bellen und Sturmleitern in den Händen auf das kleine Fort.
Einigen gelang es das Thor durch Beilhiebe zu durchlöchern, andere drangen bis an den Fuß der Mauern, wo sie ihre Leitern anzustemmen versuchten; es war aber als ob das Fort Vigliana Jeden, der es anrührte, zum Tode träfe.
Dreimal kehrten die Angreifer zum Angriff zurück und dreimal wurden sie zurückgeschlagen, während sie die Zugänge des Fortes mit Leichen bedeckten.
Der durch zwei Kugeln verwundete Oberst Rapini, entsendete einen Boten, und ließ um Verstärkung bitten.
Der Cardinal schickte ihm hundert Mann Russen und zwei Batterien.
Die Batterien wurden aufgepflanzt, und nach Verlauf von zwei Stunden bot die Mauer eine practicable Bresche.
Nun schickte man einen Parlamentär an den Commandanten des Fortes und bot ihm freien Abzug.
»Lies, was über dem Thore des Fortes geschrieben steht,« antwortete der alte Priester; »Rache, Sieg oder Tod!« Wenn wir nicht siegen können, so werden wir sterben und uns rächen.«
Auf diese Antwort hin eilten die Russen und Calabresen zum Sturme.
Die Laune des Kaisers, des halb wahnsinnigen Paul des Ersten, schickte an den Gestaden der Newa, der Wolga und des Don gebotene Menschen hierher, um für Fürsten, die sie nicht einmal dem Namen nach kannten, am Strande des mittelländischen Meeres zu sterben.
Zweimal wurden sie zurückgeschlagen und bedeckten mit ihren Leichen den Weg, welcher zur Bresche führte.
Zum dritten Mal kehrten sie zum Angriff zurück, die Calabresen voran. So wie diese ihre Musketen nach und nach abschossen, warfen sie dieselben weg und stürzten dann mit dem Messer in der Hand in das Innere des Fortes. Die Rassen folgten ihnen und stachen mit dem Bajonnete Alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.
Es war ein stummer tödtlicher Kampf, ein Kampf Mann gegen Mann, in welchem sich der Tod unter so engen Umarmungen Bahn brach, daß man sie für brüderliche hätte halten können. Sobald die Bresche aber einmal offen war, wuchs die Zahl der Angreifer fortwährend, während die Belagerten einer nach dem andern fielen, ohne ersetzt zu werden.
Von zweihundert waren jetzt kaum noch sechzig übrig und diese von mehr als vierhundert Feinden umringt. Sie fürchteten nicht den Tod, nur starben sie verzweiflungsvoll, daß sie sterben mußten, ohne sich gerächt zu haben.
Mit einem Male richtete der mit Wunden bedeckte alte Priester sich mitten unter ihnen empor und rief mit einer Stimme, welche von Allen gehört ward: »Seid Ihr noch entschlossen?«
»Ja! ja! Ja!« antworteten alle Stimmen.
Sofort eilte Antonio Toscano in den unterirdischen Raum hinab, in welchem sich das Pulver befand, hielt eine Pistole, welche er sich für den äußersten Fall aufgesperrt, über eine Tonne und gab Feuer.
Sieger und Besiegte, Belagerer und Belagerte – Alles ward mit furchtbarem Krache in die Lüfte emporgeschleudert. Neapel erzitterte wie bei einem Erdbeben, die Luft ward durch eine Staubwolke verfinstert, und als ob am Fuße des Vesuvs sich ein Krater geöffnet hätte, fielen in weitem Umkreise Steine, Balken und zerrissene Gliedmaßen herab.
Alles, was sich in dem Fort befand, ward vernichtet. Ein einziger Mann, welcher nicht wenig erstaunte, sich noch lebend und unverwundet zu sehen, fiel durch die Luft geschleudert in das Meer, schwamm nach der Stadt zu und erreichte das Castello Nuovo, wo er den Tod seiner Cameraden und das Opfer des Priesters erzählte.
Dieser letzte der calabresischen Spartaner hieß Fabiani.
Die Nachricht von diesem Ereigniß verbreitete sich binnen einigen Augenblicken durch alle Straßen von Neapel rund erweckte allgemeine Begeisterung.
Was den Cardinal betraf, so sah er sofort, welchen Nutzen er von diesem Ereigniß ziehen konnte.
Da das Feuer des Fortes Vigliana nun erloschen war, so hielt ihn nichts mehr ab, sich dem Meere zu nähern, und er konnte nun seinerseits mit seinen Geschützen von schwerem Caliber das kleine Geschwader Caracciolos zerschmettern.
Die Rassen hatten Sechzehnpfünder. Sie errichteten eine Batterie mitten unter den Trümmern des Fortes, welche ihnen zugleich Deckung gewährten, und begannen gegen fünf Uhr Abends das Feuer auf die Flottille.
Caracciolo mußte vor den russischen Kugeln, von welchen eine einzige hinreichte, um eine, ja zuweilen zwei seiner Schaluppen in den Grund zu bohren, das Weite suchen.
Nun konnte der Cardinal seine Leute auf dem seit der Einnahme des Fortes Vigliana vertheidigungslos gewordenen Strande vorrücken lassen und die beiden Schlachtfelder des Tages blieben den Sanfedisten, welche auf den Ruinen des Fortes campirten und ihre Vorposten bis über die Magdalenenbrücke hinausschoben.
Bassetti vertheidigte, wie wir gesagt haben, Capodichino und hatte bis jetzt offen für die Republik zu kämpfen geschienen, die er später verrieth.
Plötzlich hörte er hinter sich den Ruf: »Es lebe die Religion! Es lebe der König!« von Fra Pacifico und den sanfedistischen Lazzaroni ausgestoßen, welche den Umstand benutzend, daß die Straßen von Neapel ohne Vertheidiger geblieben waren, sich derselben bemächtigt hatten.
Gleichzeitig erhielt er Nachricht von der Verwundung und dem Tode des Generals Writz. Er scheute sich nun in einer vorgeschobenen Position zu bleiben, wo ihm der Rückzug abgeschnitten werden konnte. Deshalb ließ er das Bajonnet fällen und öffnete sich durch die mit Lazzaroni angefüllten Straßen einen Durchgang bis zu dem Castello Nuovo.
Manthonnet hatte mit sieben- oder achthundert Mann auf den Höhen von Capodimonte vergebens einen Angriff erwartet. Als er aber das Fort Vigliana in die Luft fliegen gesehen, als er Caracciolos Flottille genöthigt gesehen, sich zu entfernen, als er den Tod des Generals Writz und Bassetti’s Rückzug erfahren, zog er sich selbst über den Ramero auf San Elmo zurück, wo aber der Oberst Mejean sich weigerte, ihn aufzunehmen.
Demzufolge warf er sich mit seinen Patrioten in das am Fuße von San Elmo gelegene Kloster San Martino, welches, wenn auch weniger durch die Kunst, doch in Folge seiner Lage ebenfalls eine feste Position gewährte.
Von hier aus sah er die Straßen von Neapel den Lazzaroni preisgegeben, während die Patrioten sich auf der Magdalenenbrücke und am ganzen Strande von dem Hafen von Pigliana an bis Portici schlugen.
Erbittert durch das angeblich von den Patrioten gegen sie geschmiedete Complott, in Folge dessen sie alle erwürgt worden wären, wenn nicht der heilige Antonius, ein weit besserer Hüter ihres Lebens als der heilige Januarius, in eigener Person dem Cardinal das Complott enthüllt hätte, überließen die durch Fra Pacifico angestachelten Lazzaroni sich Grausamkeiten, die alle bis jetzt begangenen übertrafen.
Während des Weges, welchen Salvato zurückzulegen hatte, um von der Stelle, wo man ihn festgenommen, bis zu der zu gelangen, wo er den Tod, den der Beccajo ihm versprochen, erwarten sollte, konnte er einige der Grausamkeiten sehen, welchen die Lazzaroni sich überließen.
Ein an den Schweif eines Pferdes angebundener Patriot ward von dem wüthenden Thiere auf dem Steinpflaster hingeschleift, auf demselben eine breite Blutspur und an den Ecken der Gassen abgerissene Theile eines Cadavers zurücklassend, bei welchem die Marter den Tod überdauerte.
Ein anderer Patriot, dem man die Augen ausgestochen, Nase und Ohren abgeschnitten, taumelte über den Weg. Er war splitternackt und mehrere unter Schmäh- und Hohnreden ihm folgende Männer zwangen ihn zum Weitergehen, indem sie ihn mit Säbeln und Bajonneten in den Rücken stachen.
Ein anderer, dem man die Füße abgesägt, ward durch Peitschenhiebe gezwungen, auf den Stümpfen seiner Beine zu laufen wie auf Stelzen, und jedes Mal, wenn er fiel, durch Peitschenhiebe genöthigt, sich wieder aufzuraffen und diesen furchtbaren Lauf weiter fortzusetzen.
An dem Thore endlich war ein Scheiterhaufen errichtet, auf welchem man Frauen und Kinder verbrannte, die man lebend oder sterbend darauf warf und deren halbgebratene Körpertheile die Cannibalen einander aus den Händen rissen, um sie zu verzehren.
Dieser Scheiterhaufen war von einem Theile der Möbel errichtet, die man aus dem Palast zu den Fenstern hinausgeworfen. Da die Straße bald damit gefüllt war, so hatte man das Erdgeschoß weniger geplündert als die anderen Räumlichkeiten und in dem Speisesaal befanden sich noch etwa zwanzig Stühle und eine Wanduhr, welche mit der Gefühllosigkeit aller Maschinen fortfuhr die Stunde zu bezeichnen. Salvato warf mechanisch einen Blick aus diese Wanduhr. Sie zeigte ein Viertel auf fünf.
Die Männer, die ihn trugen, legten ihn auf den Tisch. Fest entschlossen, kein Wort mit seinen Henkern zu wechseln, theils weil er sie verachtete, theils weil er überzeugt war, daß dieses Wort vergeblich sein würde, legte er sich auf die Seite wie ein Schlafender.
Seine im Martern erfahrenen Feinde berathschlagten nun, welchen Tod er sterben solle.
Bei langsamen Feuer geröstet lebendig geschunden, in Stücken gehackt zu werden – alles dies konnte Salvato ertragen, ohne eine Klage laut werden zu lassen, ohne einen Schrei auszustoßen.
Es war dies ein Mord und in den Augen dieser Menschen entehrte der Mord nicht, demüthigte nicht und erniedrigte nicht den, welcher das Opfer desselben war.
Der Beccajo wollte etwas Anderes. Uebrigens erklärte er, daß, da er durch Salvato entstellt und verstümmelt worden, dieser ihm gehöre. Er sei sein Eigenthum, seine Beute und er hätte daher das Recht, ihn so sterben zu lassen, wie er wollte.
Nun aber wollte er, daß Salvato gehenkt stürbe.
Das Hängen ist ein lächerlicher Tod, wo kein Blut vergessen wird. Das Blut adelt den Tod, beim Henken aber treten die Augen aus ihren Höhlen, die Zunge schwillt auf und tritt zum Munde heraus, während der Gehängte mit grotesken Geberden hin- und herbaumelt. Auf diese Weise sollte Salvato sterben, damit er zehnmal stürbe.
Salvato hörte diese ganze Discussion und er mußte sich sagen, daß der Beccajo, wenn er der leibhafte Satan gewesen wäre und in seiner Seele zu lesen verstanden hätte, nicht besser hätte errathen können, was darin vorging.
Man kam demgemäß überein, daß Salvato gehenkt sterben sollte.
Über dem Tische, auf welchem Salvato lag, befand sich an der Zimmerdecke ein Ring, an welchem ein Kronleuchter gehangen hatte.
Dieser Kronleuchter war aber zerschlagen worden. Indessen zu dem was der Beccajo machen wollte, bedurfte es des Kronleuchters nicht, sondern nur des Ringes.
Der Beccajo nahm in die rechte Hand einen Strick, und so verstümmelt die linke auch war, gelang es ihm doch eine Schlinge zu machen.
Dann stieg er auf den Tisch und von dem Tisch wieder auf einen Schemel, auf Salvatos Leib, der bei dem Druck des unsaubern Fußes so unempfindlich blieb, als ob er schon in eine Leiche verwandelt worden wäre.
Der Beccajo steckte den Strick durch den Ring.
Plötzlich hielt er inne. Es war augenscheinlich, daß ihm etwas Neues eingefallen war.
Er ließ die Schlinge am Ringe hängen und warf das andere Ende des Strickes auf den Fußboden.
»Kameraden,« sagte er dann, »ich bitte Euch um eine Viertelstunde, blos um eine Viertelstunde; versprecht mir diesen Jakobiner eine Viertelstunde zu bewachen und am Leben zu lassen und ich verspreche Euch, daß er einen Tod sterben soll, mit welchem Ihr Alle zufrieden sein werdet.«
Jeder fragte den Beccajo, was er sagen wolle und von welchem Tod er spräche.
Der Beccajo weigerte sich jedoch hartnäckig, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten, eilte aus dem Palast hinaus und lenkte seine Schritte nach der Via dei Sospiri dell’ Abisso.
Viertes Capitel.
Was der Beccajo in der Via dei Sospiri dell’ Abisso machte
Die Via dei Sospiri dell’ Abisso, das heißt die Straße der Seufzer des Abgrundes, mündete aus der einen Seite aus den Quai della Strada Nuova, auf der andern auf den Altmarkt, wo gewöhnlich die Hinrichtungen stattfanden.
Man nannte jene Straße so, weil beim Eintritt in dieselbe die Verurtheilten zum ersten Mal das Schaffot erblickten« und weil es nur selten vorkam, daß dieser Anblick ihnen nicht einen bitteren Seufzer auspreßte.
In einem Hause mit so niedriger Thür, daß es schien, als könne kein menschliches Wesen mit aufgerichtetem Haupte dieselbe passieren, und in welches man in der That auch nur gelangte, indem man zwei Stufen hinabstieg und sich bückte, um wie in eine Höhle hineinzugehen, saßen zwei Männer plaudernd an einem Tisch, auf welchem eine Flasche Wein vom Vesuv und zwei Gläser standen.
Einer dieser beiden Männer ist uns völlig fremd; der andere dagegen ist unser alter Bekannter Basso Tomeo, der Fischer von Mergellina, der Vater Assunta’s und der drei jungen Burschen, welche wir am Tage des wunderbaren Fischfangs, welcher der letzte Tag der beiden Brüder della Torre war, das Netz ziehen gesehen haben.
Man erinnert sich, in Folge welcher Befürchtungen, die ihn in Mergellina belästigten, er seinen Wohnsitz in der Marinella, das heißt am andern Ende der Stadt, genommen hatte.
Als Giovanni, sein jüngster Sohn, seine Netze oder vielmehr die Netze seines Vaters zog, hatte er an dem Fenster des Eckhauses der Strada Nuova und der Via dei Sospiri dell’ Abisso, einem Fenster, welches sich in gleicher Ebene mit dem Erdboden befand, und durch welches man mit Hilfe zweier Stufen in das Zimmer hinabstieg, welches man in dem Kauderwälsch unserer modernen Architekten ein Souterrain nennen würde – Giovanni hatte, sagen wir, an diesem Fenster ein schönes junges Mädchen bemerkt und sich in dasselbe verliebt.
Allerdings schien sie schon durch ihren Namen bestimmt zu sein, einen Fischer zu heiraten, denn sie hieß Marina Giovanni, welcher von der andern Seite der Stadt hergezogen war, wußte nicht, was von der Magdalenenbrücke an bis zur Strada del Piliere allen Leuten bekannt war – nämlich wem dieses Haus mit niedriger Thier gehörte und wessen Tochter diese schöne am Gestade des Meeres sich entfaltende Strandblume war.
Er erkundigte sich und erfuhr, daß das Haus und das Mädchen Meister Donato, dem Henker von Neapel, gehörten.
Obschon die südlichen Völker und besonders das neapolitanische Volk gegen den Vollstrecker der Todesurtheile nicht jene Scheu empfinden, welche er in der Regel den Bewohnern des Nordens einflößt, so dürfen wir doch unseren Lesern nicht verhehlen, daß diese Nachricht Giovanni durchaus nicht angenehm war.
Sein erster Gedanke war, der schönen Marina zu entsagen. Da die beiden jungen Leute bis jetzt erst Blicke und lächelnde Mienen gewechselt hatten, so machte der Bruch keine großen Formalitäten nothwendig. Giovanni brauchte blos an dem Hause nicht mehr vorbeizugehen, oder wenn er ja vorbeiging, die Augen nach der andern Seite zu wenden.
Acht Tage lang ging er wirklich nicht mehr vorbei, am neunten aber konnte er es nicht mehr aushalten; nur wendete er im Vorübergehen das Gesicht nach dem Meere.
Unglücklicherweise machte er jedoch diese Bewegung zu spät, und als er den Kopf abwendete, befand sich das Fenster, an welchem die schöne Marina gewöhnlich stand, bereits innerhalb des Sehkreises, den sein Auge in diesem Moment umfaßte.
Er sah das junge Mädchen und es schien ihm sogar, als ob eine Wolke von Traurigkeit ihr Gesicht verschleierte.
Die Traurigkeit, welche häßliche Gesichter noch häßlicher macht, äußert auf die schönen eine geradezu entgegengesetzte Wirkung.
Dies war folglich auch bei Marina der Fall.
Giovanni blieb stehen. Es war ihm, als hätte er etwas zu Hause vergessen. Es würde ihm schwer geworden sein, zu sagen was; aber dieses Etwas, mochte es nun sein, was es wollte, schien ihm so nothwendig zu sein, daß er sich, von einer höheren Kraft bewegt, herumdrehte. Dabei aber benahm er sich abermals ungeschickt, oder vielmehr noch ungeschickter, denn er drehte sich so daß er der Person, die er sich vorgenommen nicht mehr anzusehen, gerade gegenüber stand.
Diesmal kreuzten sich die Blicke der beiden jungen Leute und sie sagten sich in jener so raschen und ausdrucksvollen Sprache der Augen Alles, was sie einander mit Worten hätten sagen können.
Unsere Absicht ist nicht, diese Liebschaft, wie interessant es auch vielleicht wäre, in allen ihren Entwickelungen zu verfolgen. Es wird unseren Lesern genügen, zu wissen, daß, da Marina eben so klug als schön war und da die Liebe Giovanni’s immer höher stieg, er sich eines schönen Morgens veranlaßt sah, sich seinem Vater zu entdecken, ihm seine Liebe zu gestehen und ihm auf so sentimentale Weise als möglich zu sagen, daß es für ihn in dieser Welt kein Glück mehr gebe, wenn er nicht die Hand der schönen Marina sein nennen dürfe.
Zu Giovanni’s großem Erstaunen sah der alte Basso Tomeo kein unübersteigliches Hinderniß, welches sich dieser Heirat entgegengestellt hatte. Er war ein großer Philosoph dieser Fischer von Mergellina, und derselbe Grund, welcher ihn bewogen, Michele seine Tochter zu verweigern, trieb ihn, Marina seinen Sohn anzubieten. Michele hatte, wie allgemein bekannt war, keinen Heller im Vermögen, während Meister Donato, der ein allerdings etwas exeptionelles, aber eben deswegen sehr einträgliches Handwerk ausübte, einen gutgefüllten Säckel haben mußte.
Der alte Fischer erklärte sich deshalb bereit, sich mit Meister Donato zu besprechen.
Er suchte ihn auf und setzte ihm den Beweggrund seines Kommens auseinander.
Obschon Marina, wie wir gesagt, reizend war, und das sociale Vorurtheil bei den Südländern weniger groß ist als bei den Bewohnern des Nordens, so ist, doch in Neapel wie in Paris eine Scharfrichterstochter keine leicht anzubringende Waare, und Meister Donato lieh daher den Anträgen des alten Basso Tomeo bereitwilligst Gehör.
Dabei gestand der alte Basso Tomeo mit einer Offenheit, die ihm Ehre machte, daß das Fischerhandwerk, welches eben nur hinreichte, seinen Mann zu ernähren, nicht wohl eine Familie ernähre und daß er deshalb seinem Sohn auch nicht einen Ducato Aussteuer mitgeben könne.
Die Brautleute müßten daher von Meister Donato ausgestattet werden, was diesem um so leichter fallen würde, als man im Begriff stände, in eine neue Phase der Revolution einzutreten, und da es bekanntlich keine Revolution ohne Hinrichtungen gebe, so mußte Meister Donato, der außer sechshundert Ducati, das heißt zweitausend vierhundert Franks, festen Gehalt jährlich von jeder Hinrichtung zehn Ducati Prämie, das heißt vierzig Francs, bezog, binnen wenigen Monaten ein nicht blos rasches, sondern auch kolossales Vermögen erworben.
In der Erwartung dieser einträglichen Arbeit versprach Meister Donato auch Marina eine Aussteuer von dreihundert Ducati zu geben.
Da er jedoch diese Summe nicht von seinen schon gemachten Ersparnissen, sondern von dem erst noch zu machenden Gewinn nehmen wollte, so bestimmte er, daß die Hochzeit erst in vier Monaten stattfinden sollte. Der Teufel hätte darin sitzen müssen, wenn die Revolution ihm in vier Monaten nicht wenigstens acht Hinrichtungen, das heißt alle vierzehn Tage eine, zu vollziehen gegeben hätte.
Diese niedrig gegriffene Zahl repräsentierte dreihundertundzwanzig Ducati, so daß ihm dann noch zwanzig Ducati übrigblieben.
Zum Unglücke für Donato hat man gesehen, auf welche philanthropische Weise die Revolution in Neapel durchgeführt ward, so daß Meister Donato, in seiner Berechnung getäuscht und da es auch nicht das Mindeste zu hängen gab, sich sträubte, in die Vermählung Marina’s mit Giovanni zu willigten, oder vielmehr die Aussteuer zu zahlen, welche die Existenz der beiden jungen Leute sichern sollte.
Deshalb saß er jetzt mit Basso Tomeo an einem und demselben Tische, denn wir wollen es unseren Lesern nicht länger verschweigen – dieser Mann, der ihnen unbekannt ist, welcher dem alten Fischer gegenüber sitzt, welcher die Flasche bei ihrem dünnen, biegsamen Halse faßt und das Glas des Andern füllt, ist Meister Donato, der Scharfrichter oder Henker von Neapel.
»Als ob das nichts für mich wäre!« rief er jetzt. »Versteht Ihr mich noch nicht, Gevatter Tomeo! Als ich die Republik errichten sah, fragte ich unterrichtete Leute, was die Republik sei, und als diese mir erklärt hatten, es sei dies eine politische Situation, in welcher die eine Hälfte der Bürger der andern die Kehle abschnitte, sagte ich bei mir selbst: »Nicht dreihundert Ducati werde ich verdienen, sondern tausend, fünftausend, zehntausend Ducati, mit einem Worte, ein ganzes Vermögen.«
»Das hätte man in der That auch meinen sollen,« bemerkte Basso Tomeo. »Man hat mir versichert, daß es in Frankreich einen Bürger Namens Marat gab, welcher in jeder Nummer seines Journals dreihunderttausend Köpfe verlangte. Allerdings gab man ihm sie nicht alle, aber man gab ihm doch einige.«
»Nun seht, während der fünf Monate, die nun unsere Revolution gedauert, haben wir dagegen nicht einen einzigen Marat gesehen – Cirillos, Paganos, Charles Lamberts, Manthonnets, so viel man gewollt hat, das heißt Philanthropen, die von den Dächern herabschrieen: »Keine Verletzung der Person! Heilig sei das Eigenthum.«
»Sprecht wir nicht davon, Gevatter,« sagte Basso Tomeo, die Achseln zuckend. »Noch nie hat man so etwas gesehen. Man sieht aber auch, wie es jetzt mit ihnen steht, den Herren Patrioten. Ihre Milde hat ihnen kein Glück gebracht.«
»Als ich sah, daß in Procida und Ischia mehrere Personen gehängt wurden, reclamirte ich dagegen. Es ist mir, als müßte ich überall, wo man hängt, mit dabei sein. Wißt Ihr aber, was man mir antwortete?«
»Nein.«
»Man antwortete mir, auf den Inseln werde nicht für Rechnung der Republik, sondern für Rechnung des Königs gehängt. Der König habe von Palermo einen Richter geschickt und die Engländer hätten einen Henker geliefert. Ein englischer Henker! Ich möchte wohl sehen, wie der sich anschickt.«
»Es ist das ein offenbarer Eingriff in eure Rechte, Gevatter Donato.«
»Es blieb mir noch eine letzte Hoffnung. In den Gefängnissen des Castello Nuovo saßen zwei Verschwörer. Diese konnten mir nicht entgehen. Sie hatten ihr Verbrechen offen eingestanden, sie rühmten sich desselben sogar.«
»Ihr meint wohl die Backer?«
»Sehr richtig. Vorgestern verurtheilt man sie zum Tode. Ich sage: gut, das sind doch wenigstens zwanzig Ducati und die Kleider der Delinquenten. Da dieselben reich waren, so mußten ihre Kleider einen gewissen Werth haben. Es war aber wieder nichts. Wißt Ihr, was man mit ihnen macht?«
»Man erschießt sie; ich habe sie bereits erschießen sehen.«
»Erschießen! hat man jemals in Neapel eine Erschießung gesehen? So weicht man von dem Gesetze ab, blos um an einem armen Teufel zwanzig Ducati zu ersparen. Ich sage Euch, Gevatter, eine Regierung, welche nicht hängen, sondern erschießen läßt, kann sich nicht halten. Auch seht Ihr schon in diesem Augenblicke, Gevatter, wie unsere Lazzaroni mit euren Patrioten umspringen.«
»Mit meinen Patrioten, Gevatter? Mein sind sie niemals gewesen, ich wußte nicht einmal, was ein Patriot ist. Ich fragte Fra Pacifico und er antwortete mir, es sei ein Jakobiner. Hieraus fragte ich, was ein Jakobiner sei, und er antwortete mir, ein Jakobiner sei ein Patriot, das heißt ein Mensch, der alle möglichen Verbrechen begangen habe und der Hölle verfallen sei.«
»Was wird aber mittlerweile aus unseren armen Kindern?«
»Was wollt Ihr, Vater Tomeo? Ich kann mir doch nicht für sie das Blut aus den Adern zapfen. Sie mögen warten. Ich warte ja auch. Vielleicht ändert sich, wenn der König wiederkommt, die ganze Sache mit einem Male und ich bekomme wieder zu hängen – vielleicht,« setzte Meister Donato mit einer lächelnden Grimasse hinzu, »vielleicht selbst euren Schwiegersohn Michele.«
»Michele ist, Gott sei Dank, nicht mein Schwiegersohn, er wollte es werden, ich wies ihn aber ab.«
»Ja, als er arm war, seitdem er aber reich ist, hat er selbst nicht wieder vom Heiraten gesprochen.«
»Das ist wahr. Der Bandit! Wenn Ihr ihn hängen so werde ich selbst den Strick ziehen, und wenn wir die Unterstützung unserer drei Söhne brauchen, so werden diese mit mir ziehen.«
In diesem Augenblick, und eben als Basso Tomeo dem Meister Donato auf so zuvorkommende Weise seine Hilfe und die seiner drei Söhne anbot, öffnete sich die Thür der Art Keller, welcher Meister Donato zur Wohnung diente, und der Beccajo erschien, seine blutige Hand schüttelnd, vor den beiden Freunden.
Der Beccajo war Meister Donato bekannt, denn er war sein Nachbar.
Beim Anblick des Beccajo rief der Henker daher auch sofort seiner Tochter Marina, um von ihr noch ein Glas bringen zu lassen.
Marina erschien schön und anmuthig wie ein Traumbild. Man fragte sich, wie in einem solchen Beinhause eine so schöne Blume habe wachsen können.
»Ich danke, ich danke,« sagte der Beccajo. »Es handelt sich hier nicht ums Trinken, nicht einmal auf die Gesundheit des Königs. Es handelt sich vielmehr, Meister Donato, für Euch darum mitzukommen und einen Rebellen zu hängen.«
»Einem Rebellen zu hängen?« fragte Meister Donato. »Das paßt mir.«
»Und zwar einen echten Rebellen, Meister Donato, dessen könnt Ihr Euch rühmen und Euch, wenn Ihr zweifelt, bei Pasquale de Simone erkundigten. Wir waren zusammen mit seiner Hinrichtung beauftragt, haben ihn aber dummer Weise verfehlt.«
»Aha!« rief Meister Donato; »aber er hat Dich nicht verfehlt, denn wahrscheinlich ist er es gewesen, der Dir diesen famosen Hieb versetzt und das Gesicht zerfetzt hat.«
»Ja und er ist es auch gewesen, der mir die halbe Hand abgehauen hat,« entgegnete der Beccajo, indem er seine verstümmelte, blutende Hand zeigte.
»O Nachbar,« sagte Meister Donato, »laßt mich Euch ein wenig verbinden. Ihr wißt, daß wir auch eine Art Chirurgen sind.«
»Nein, so wahr ich lebe, nein!« sagte der Beccajo. »Wenn er todt sein wird, dann mag es geschehen; so lange er aber lebt, soll meine Hand bluten. Also kommt, Meister; man erwartet Euch.«
»Man erwartet mich? das ist bald gesagt; aber wer wird mich bezahlen?«
»Ich.«
»Das sagt Ihr, weil er noch lebt, wenn er aber gehängt sein wird —«
»Wir sind hier nur wenige Schritte von meinem Kaufladen entfernt. Wir werden, wenn wir vorbeikommen, hineingehen und ich werde Dir zehn Ducati aufzählen.«
»Hm!« sagte Meister Donato, »zehn Ducati bekomme ich für eine gesetzliche Hinrichtung. Eine ungesetzliche dagegen kostet zwanzig und dabei weiß ich immer noch nicht, ob es von mir klug gethan ist.«
»Komm nur und ich gebe Dir zwanzig. Nur entscheide Dich, denn wenn Du ihn nicht hängen willst, so hänge ich ihn selbst und habe dann die zwanzig Ducati selbst verdient.«
Meister Donato überlegte, daß es in der That nicht schwierig sei, einen Menschen zu hängen, da ja so viele Leute sich ganz allein hängen, und aus Furcht, daß dieser gute Gewinn ihm entgehen könne, sagte er:
»Es ist gut. Ich will gegen einen Nachbar nicht ungefällig sein.«
Und er erhob sich, um ein an einem Nagel an der Wand hängendes Bündel Stricke herunterzunehmen.
»Was wollt Ihr denn?« fragte der Beccajo.
»Nun, Ihr seht es ja. Ich will meine Instrumente mitnehmen.«
»Stricke? Deren haben wir dort mehr als genug.«
»Aber keine zugerichteten. Je länger ein Strick gedient hat, um so besser rutscht er und desto weniger macht er folglich dem Delinquenten Schmerzen.«
»Du scherzest wohl!« rief der Beccajo. »Will ich vielleicht, daß der Tod dieses Menschen ein schmerzloser und sanfter sei? Einen neuen Strick, zum Donnerwetter! Einen neuen Strick!«
»Na,« sagte Meister Donato mit seinem unheimlichen Lächeln, »Ihr seid es, der den Tanz bezahlt und folglich könnt Ihr auch die Melodie bestellen. Auf Wiedersehen, Vater Tomeo.«
»Auf Wiedersehen,« antwortete der alte Fischer. »Nur gutes Muthes, Gevatter. Ich glaube, nun ist Euch die schlimme Ader geschlagen.«
Dann setzte er bei sich selbst hinzu: »Gesetzlich oder ungesetzlich – was kommt weiter darauf an? Es sind doch immer zwanzig Ducati abschläglich auf die Aussteuer.«
Man schritt auf der Via dei Sospiri dell’ Abisso hinaus und begab sich in das Haus des Beccajo.
Dieser ging gerade auf den Schubkasten seines Ladentisches zu und nahm zwanzig Ducati aus demselben, welche er Meister Donato geben wollte, als er sich plötzlich anders besinnend, sagte:
»Hier sind zehn Ducati, Meister, die anderen zehn nach der Hinrichtung.«
»Wer soll denn hingerichtet werden?« frug die Frau des Beccajo, indem sie aus der Hinterstube heraustrat.
»Wenn man Dich danach fragte, so sage nur, Du wüßtest es nicht, oder Du hättest es vergessen.«
Erst jetzt bemerkte die Frau den Zustand, in welchem sich die Hand ihres Mannes befand, und rief:
»Jesus Maria, was ist das?«
»Nichts«
»Wie, nichts? Man hat Dir drei Finger abgehauen, und Du nennst das nichts?«
»O,« sagte der Beccajo, »wenn der Wind ginge, so wäre die Wunde schon trocken. Kommt, Meister.«
Und er verließ seinen Kaufladen, während der Henker ihm folgte.
Die beiden Männer erreichten die Strada di Lavinago.
Der Beccajo schritt vor Meister Donato her, und zwar so schnell, daß Letzterer ihm kaum folgen konnte.
Als der Beccajo wieder in den Palast eintrat, war Alles noch in demselben Zustande, wie da er fortgegangen. Der immer noch auf dem Tisch liegende, von den Lazzaroni beschimpfte und geschlagene Gefangene hatte keine einzige Bewegung gemacht und schien in vollständiger Unempfindlichkeit befangen zu sein.
Und dennoch hatte er beinahe eben so viel moralischen Muth zum Ertragen der Beleidigungen als physischen zum Erdulden der Schläge und sogar Wunden bedurft, mit deren Hilfe man wohl zwanzigmal hinter einander diesen hartnäckigen Schläfer aufzuwecken versucht hatte. Beschimpfungen und Schläge waren aber Eines so vergeblich gewesen wie das Andere.
Mit Freudengeschrei und Triumphgeheul ward das Wiedererscheinen des Bock- und Menschenschlächters begrüßt und der Ruf: »Il boja! il boja!« erscholl aus Aller Munde.
So fest Salvato auch war, so erbebte er doch bei diesem Ruf, denn er begann nun die Wahrheit zu durchschauen. Der Beccajo wollte in seiner Rachelust nicht blos seinen Tod, sondern er wollte auch, daß er von entehrender Hand stürbe.