Kitabı oku: «La San Felice Band 7», sayfa 8
Hätte Nicolino sich mit Rosen bekränzen und Verse von Horaz zur Leier singen wollen, so hätte ihn nichts gehindert, sich für den göttlichen Kaiser, den Nachfolger des Claudius und Sohn der Agrippina und des Domitius, zu halten.
Einen so großen Spielraum aber gestattete Nicolino seiner Phantasie nicht. Er hatte ganz einfach ein Schauspiel von Mord und Brand vor Augen, wie Neapel seit der Empörung Masaniello's keines wieder gegeben, und er sah mit Muth im Herzen die Geschütze, deren eherner Hals in den Wall hinausragte, und sagte sich, daß er, wenn er anstatt Roberto Brandi Gouverneur des Castells wäre, sehr bald dieses ganze Gesindel zwingen würde, eine Zuflucht in dem Schlupfwinkel zu suchen, aus welchem es hervorgekommen.
In diesem Augenblick fühlte er, wie eine Hand sich auf seine Schulter legte, und als ob man eine geheimsten Gedanken gelesen, sagte eine Stimme zu ihm:
»Was würden Sie thun, wenn Sie an meiner Stelle wären?«
Nicolino brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, wer so sprach. Er erkannte die Stimme des würdigen Commandanten.
»So wahr ich lebe,« antwortete er, »ich würde keinen Augenblick zögern, sondern im Namen der Humanität und der Civilisation diese Mörder niederschießen.«
»Wie? Das sollte ich thun, ohne vorher zu wissen, was jeder Kanonenschuß, den ich abfeuerte, mir einbringen oder mich kosten würde? In Ihren Jahren freilich und als Anhänger der französischen Grundsätze sagen Sie: Thue, was Du sollst, möge daraus kommen, was da wolle.«
»Das hat der Ritter Bayard gesagt.«
»Ja, aber in meinem Alter und als Familienvater sage ich: Die richtige Wohlthätigkeit beginnt im eigenen Hause. Dies hat allerdings nicht der Ritter Bayard gesagt, wohl aber sagt es der gesunde Menschenverstand.«
»Oder der Egoismus, mein werther Herr Gouverneur.«
»Das sieht sich verteufelt ähnlich, mein werther Herr Gefangener.«
»Aber was wollen Sie eigentlich?«
»Ich will nichts. Ich stehe in aller Ruhe hier auf meinem Balcon. Hier kann mich nichts erreichen. Ich sehe zu und erwarte.«
»Daß Sie zusehen, sehe ich wohl, worauf Sie aber warten, weiß ich nicht.«
»Ich erwarte, was der Gouverneur einer uneinnehmbaren Festung allemal erwartet. Ich erwarte, daß man mir Anträge mache.«
Nicolino nahm diese Worte für das, was sie waren, das heißt für eine Eröffnung; abgesehen aber davon, daß er keinen Auftrag hatte, im Namen der Republikaner zu unterhandeln – obschon er diesen Auftrag sich im Nothfalle selbst ertheilt hätte – empfahl ja das Billet, welches er empfangen, ihm ganz einfach, sich ruhig zu verhalten, und, wenn es in seiner Macht stünde, die Ereignisse, welche von elf bis zwölf Uhr diese Nacht stattfinden sollten, fördern zu helfen.
Wie konnte er wissen, ob das, was er mit dem Commandanten verabredete, wie vortheilhaft es auch nach seiner Ansicht für die Interessen der künftigen parthenopäischen Republik wäre, mit den Planen der Republikaner sich vertrüge?
Er verhielt sich daher schweigend. Als der Commandant Roberto Brandi dies sah, machte er zum dritten oder vierten Male pfeifend die Runde um die Wälle, indem er den Schildwachen die größte Wachsamkeit einschärfte und den Artilleristen befahl, mit brennender Lunte an ihren Geschützen stehen zu bleiben.
Dreizehntes Capitel.
In welchem man sieht, wie die französische Fahne auf dem Castell San Elmo aufgepflanzt worden war
Nicolino hörte schweigend zu, wie der Commandant mit ziemlich lauter Stimme Befehle ertheilte, damit dieselben von seinem Gefangenen gehört würden.
Diese verdoppelte Wachsamkeit beunrurigte ihn. Er kannte jedoch die Klugheit und den Muth der Männer, welche ihm die empfangene Aufforderung zugesendet, und er vertraute ihm.
Nur ward ihm jetzt klarer als je, daß alle Aufmerksamkeiten, die ihm von dem Gouverneur der Festung erwiesen worden, keinen andern Zweck hatten, als ihn zu bewegen, eine Eröffnung zu machen, oder auf die ihm gemachte einzugehen, was ohne Zweifel geschehen wäre, wenn Nicolino nicht in Folge der empfangenen Mittheilung damit noch zurückhalten zu müssen geglaubt hätte.
Die Zeit verging, ohne daß eine Wiederannäherung zwischen dem Gouverneur und seinem Gefangenen stattgefunden hätte. Nur blieb diesem, als hätte man ihn vergessen, erlaubt, auf dem Walle zu bleiben.
Es schlug zehn Uhr. Man erinnert sich, daß dies die von Maliterno bezeichnete Stunde war, wo der Erzbischof bei Todesstrafe sämtliche Glocken in Neapel läuten lassen sollte.
Mit dem letzten Schlage der Stunde ertönten daher alle Glocken mit einem Male.
Nicolino war auf Alles vorbereitet, ausgenommen auf dieses Glockenconcert, und der Gouverneur war, wie es schien, darauf eben so wenig gefaßt als er, denn bei dem unerwarteten Geläute näherte er sich seinem Gefangenen und betrachtete ihn mit dem Ausdrucke des Erstaunens.
»Ja, ich verstehe, sagte Nicolino. »Sie fragen mich, was dieses furchtbare Getöse bedeutet. Eben wollte ich dieselbe Frage an Sie richten.«
»Dann wissen Sie es also nicht?«
»Nein, durchaus nicht. Und Sie?«
»Ich weiß es auch nicht.«
»Nun, dann wollen wir einander versprechen, daß der Erste von uns Beiden, der es erfährt, es dem Andern mittheilt.«
»Ich verspreche es Ihnen.«
»Es ist unbegreiflich, aber interessant, und ich habe meine Loge im San Carlo-Theater oft theuer bezahlt, um ein Schauspiel zu sehen, welches nicht so viel werth war als dieses.«
Gegen Nicolino's Erwartung ward das Schauspiel aber immer interessanter und seltsamer. Mitten in ihrer höllischen Blutarbeit durch eine Stimme gefesselt, welche von oben herab zu ihnen zu sprechen schien, eilten, wie wir bereits erzählt, die Lazzaroni, welche die himmlische Sprache schlecht verstehen, in die Kathedrale, um hier die Auslegung zu verlangen.
Man weiß, was sie hier fanden. Die Kirche war taghell erleuchtet, das Haupt und das Blut des heiligen Januarius ausgestellt, der Cardinal-Erzbischof stand in seinen Prachtgewändern da und Rocca Romana und Maliterno als Büßende, barfuß, im Hemd und mit dem Strick um den Hals.
Die beiden Zuschauer auf der Höhe des Walles, für welche das Schauspiel gleichsam in Scene gesetzt zu sein schien, sahen dann die seltsame Procession unter Thränen und Wehklagen aus der Kirche herauskommen.
Die Fackeln waren so zahlreich und verbreiteten einen solchen Glanz, daß mit Hilfe eines Fernrohres, welches der Commandant holen ließ, Nicolino den Erzbischof unter seinem Baldachin das heilige Sacrament tragend erkannte, während die neben ihm herschreitenden Canonici das Blut und das Haupt des heiligen Januarius trugen.
Hinter diesen folgten Maliterno und Rocca Romana in ihrem seltsamen Kostüme und, wie der vierte Officier Marlboroughs, nichts tragend, oder vielmehr von allen Lasten die schwerste tragend, nämlich die Sünden des Volkes.
Nicolino wußte, daß sein Bruder Rocca Romana ebenfalls ein großer Zweifler war und daß Maliterno in dieser Beziehung die Ansichten seines Bruders theilte.
Trotz der ernsten Gedanken, die ihn beschäftigten, brach er daher, als er die beiden Büßer erkannte, in ein homerisches Gelächter aus.
Was sollte diese Komödie bedeuten? in welcher Absicht ward sie gespielt? Nicolino konnte ich es nicht anders erklären als durch jene der Stadt Neapel ganz besonders eigenthümliche Mischung des Grotesken mit dem Heiligen.
Ohne Zweifel sollte ihm zwischen elf Uhr und Mitternacht dies Alles klar werden.
Roberto Brandi, der keine Erklärung erwartete, schien unruhiger und ungeduldiger zu sein als sein Gefangener, denn auch er kannte Neapel und ahnte, daß unter dieser religiösen Komödie ein ungeheurer Fallstrick verborgen liege.
Nicolino und der Commandant folgten mit den Augen und mit der größten Aufmerksamkeit der Procession auf den verschiedenen Evolutionen, welche sie von ihrem Austritt aus der Kathedrale bis zu ihrer Rückkehr ausführte.
Dann hörten sie das Geräusch sich vermindern, die Fackeln erloschen eine nach der andern und es folgten Schweigen und Finsterniß.
Einige Häuser, welche man in Brand gesteckt, fuhren noch fort zu brennen, aber es kümmerte sich Niemand darum.
Es schlug elf Uhr.
»Ich glaube,« sagte Nicolino, welcher den Weisungen des Billets zu folgen und in seine Zelle zurückzukehren wünschte, »ich glaube, die Vorstellung ist beendet. Was meinen Sie dazu, Herr Commandant?«
»Ich meine, daß ich Ihnen noch etwas zu zeigen habe, ehe Sie in Ihre Zelle zurückkehren, mein lieber Gefangener.«
Und er winkte Nicolino, ihm zu folgen.
»Bis jetzt,« sagte, er, »haben wir uns mit dem beschäftigt, was in Neapel von der Mergellina an bis zur Porta Capuana, das heißt im Westen, Süden und Osten geschieht. Beschäftigen wir uns nun auch ein wenig mit dem, was im Norden vorgeht. Obschon nach dieser Richtung hin wenig Lärm zu hören und wenig Licht zu sehen ist, so lohnt es doch der Mühe, daß wir unsere Aufmerksamkeit einen Augenblick lang dorthin lenken.«
Nicolino ließ sich von dem Gouverneur nach dem Theile des Walles führen, welcher der Stelle, von welcher aus er so eben noch Neapel betrachtet, gerade entgegengesetzt war, und sah auf den Hügeln, welche die Stadt vom Capodimonte bis zum Poggioreale umgeben, eine Linie von Feuern, welche die Regelmäßigkeit einer im Marsch begriffenen Armee zeigte.
»Ah, ah!« sagte Nicolino, »das scheint mir allerdings etwas Neues zu sein.«
»Ja, und zwar etwas nicht ganz Uninteressantes, nicht wahr?« fragte der Commandant.
»Ist es die französische Armee?«, fragte Nicolino dagegen.
»Ja wohl, sie selbst,« antwortete Roberto Brandi.
»Dann wird sie also morgen in Neapel einziehen.«
»O nein! Man zieht nicht so ohne weiteres in Neapel ein, wenn die Lazzaroni nicht wollen, daß man hier einziehe. Man wird sich zwei, vielleicht drei Tage lang schlagen.«
»Nun und dann?« fragte Nicolino.
»Und dann? – Nichts,« antwortete der Commandant. »An uns ist es zu überlegen, was der Gouverneur des Castells San Elmo bei einem solchen Kampfes einen Bundesgenossen, seien dieselben, welche es wollen, Gutes oder Böses erzeigen kann.«
»Und kann man erfahren, wem im Fall eines Kampfes Ihre Gunst sich zuwenden würde?«
»Meine Gunst! Kann ein Mann von Geist wohl im Voraus bestimmen, wem seine Gunst sich zuwenden wird, mein lieber Gefangener? Ich habe Ihnen mein Glaubensbekenntniß abgelegt, indem ich Ihnen sagte, ich sei Familienvater und indem ich Ihnen das französische Sprichwort citierte: Die rechte Wohlthätigkeit beginnt im eigenen Hause. Kehren Sie jetzt in Ihre Zelle zurück und denken Sie hierüber nach. Morgen werden wir über Politik, Moral und Philosophie plaudern, und da die Franzosen noch ein anderes Sprichwort haben, welches sagt: »Guter Rath kommt über Nacht,« so halten Sie diese Nacht Ihr Ohr offen, um mir morgen sagen zu können, was für Rathschläge sie Ihnen gebracht haben wird. Gute Nacht, Herr Herzog.«
Und da man während dieses Gesprächs an der Treppe angelangt war, welche in die unterirdischen Gefängnisse führte, so geleitete der Schließer Nicolino in seine Zelle zurück und schloß ihn wie gewöhnlich in dieselbe ein.
Nicolino befand sich hier in der vollständigsten Finsterniß.
Zum Glück waren die Weisungen, die man ihm ertheilt, nicht schwer zu befolgen. Er tastete sich nach seinem Bett, fand es und warf sich angekleidet darauf.
Kaum lag er so seit fünf Minuten, so hörte er einen Alarmruf und dann folgten ein ziemlich lebhaftes Gewehrfeuer und drei Kanonenschüsse.
Dann versank Alles wieder in lautloses Schweigen.
Was war geschehen?
Wir müssen sagen, daß trotz Nicolinos erprobtem Muthe das Herz ihm gewaltig pochte, als er diese Frage an sich stellte.
Noch waren nicht anderweite zehn Minuten vergangen, so hörte Nicolino Jemand die Treppe herabkommen, der Schlüssel ward im Schloß umgedreht, die Riegel knarrten und die Thür öffnete sich, um den würdigen Commandanten beim Scheine eines Lichtes einzulassen, welches er selbst in der Hand trug. Er schloß die Thür mit der größten Vorsicht wieder hinter sich, setzte das Licht auf den Tisch, nahm einen Stuhl und setzte sich neben das Bett des Gefangenen, welcher, durchaus nicht wissend, worauf dies Alles hinauslaufen würde, ihn gewähren ließ, ohne ein einziges Wort an ihn zu richten.
»Wohlan,« sagte der Gouverneur, nachdem er Platz genommen, »ich sagte Ihnen wohl, mein lieber Gefangener, daß das Castell San Elmo für die Frage, welche morgen entschieden werden soll, eine gewisse Bedeutung habe.«
»Und warum, mein lieber Commandant, kommen Sie zu einer solchen Stunde, um sich bei mir zu Ihrem Scharfsinn Glück zu wünschen?«
»Weil es für die Eigenliebe immer eine gewisse Genugthuung ist, zu einem Manne von Geist wie Sie sagen zu können: Sie sehen wohl, daß ich Recht hatte, und ferner, weil ich glaube, daß, wenn wir bis morgen warten, um unsere kleinen Geschäfte zu besprechen, worüber Sie heute Abend nicht sprechen wollten – ich weiß jetzt auch warum – weil, wenn wir damit bis morgen warten, es dann leicht zu spät sein könnte.«
»Aber,« fragte Nicolino, dann ist wohl, seitdem wir einander gute Nacht gewünscht, etwas sehr Wichtiges geschehen?«
»Sie werden dies selbst beurtheilen. Die Republikaner, welche, ich weiß nicht wie, meine Parole, welche Pausilippo und Parthenope hieß, erfahren hatten, erschienen vor der Schildwache. Derjenige aber, welcher von ihnen beauftragt war, Parthenope zu sagen, verwechselte die neue Stadt mit der alten und sagte Napoli anstatt Parthenope. Die Schildwache, welche wahrscheinlich nicht wußte, daß Parthenope und Napoli ein und dasselbe sind, machte Lärm. Der Posten gab Feuer, meine Artilleristen gaben Feuer und der Handstreich mißlang. Wenn Sie, mein lieber Gefangener, sich in Erwartung dieses Handstreichs unausgekleidet auf Ihr Bett geworfen haben, so können Sie sich nun immer auskleiden und schlafen legen, dafern Sie nicht lieber aufstehen wollen, damit wir hier an diesem Tische einander gegenüber sitzend wie zwei gute Freunde mit einander plaudern können.«
»Wohlan,« sagte Nicolino, indem er sich erhob, »raffen Sie Ihre Trümpfe zusammen, decken Sie Ihr Spiel auf und plaudern wir.«
»Plaudern wir,« wiederholte der Gouverneur. »Das ist sehr bald gesagt.«
»Aber, mein Himmel, Sie haben es mir ja angeboten!«
»Ja, aber erst wünsche ich einige Aufklärungen zu haben.«
»Welche? Sprechen Sie.«
»Haben Sie hinreichende Vollmacht, um mit mir sprechen zu können?«
»Ja.«
»Das also, was wir besprechen, wird von Ihren Freunden ratificirt werden?«
»Auf Cavalierparole.«
»Dann steht kein Hinderniß mehr entgegen. Setzen Sie sich, mein lieber Gefangener.«
»Ich sitze.«
»Die Herren Republikaner möchten also das Castell San Elmo wohl gern haben, wie?«
»Nach dem eben versuchten Handstreich würden Sie mich als einen Lügner betrachten, wenn ich Ihnen sagte, der Besitz des Castells sei den Republikanern vollkommen gleichgültig.«
»Und wenn nun Signor Roberto Brandi, der jetzige Gouverneur dieses Castells, den sehr hohen und sehr mächtigen Signor Nicolino, Herzog von Rocca Romana und Fürsten Caraccioli, an seine Stelle treten ließe, was würde der arme Roberto Brandi bei diesem Tausche verdienen?«
»Signor Roberto Brandi hat mir, glaube ich, mitgetheilt, daß er Familienvater ist. Ich habe vergessen zu sagen, Gatte und Familienvater.«
»Nun, das schadet nichts, da Sie ja das Vergessene noch in Zeiten nachholen. Sie haben also eine Frau?«
»Ja, eine Frau.«
»Und wie viel Kinder?«
»Zwei ganz allerliebste Kinder, besonders die Tochter, welche ich nun bald zu verheiraten suchen muß.«
»Aber Sie haben doch nicht etwa Absichten mit ihr auf mich?«
»So hoch wage ich meine Augen nicht zu erheben. Es ist blos eine einfache Bemerkung, die ich mache, und die mir Ihrer Aufmerksamkeit würdig erscheint.«
»Und ich bitte Sie, zu glauben, daß ich diesem Umstande meine Aufmerksamkeit im höchsten Grade widme.«
»Und was glauben Sie dann, was die Republikaner von Neapel für den Mann, der ihnen einen sehr großen Dienst leistet, so wie für die Frau und Kinder dieses Mannes thun können?«
»Nun, was meinen Sie zu zehntausend Ducati –«
»O!« unterbrach der Gouverneur.
»So warten Sie doch und lassen Sie mich ausreden.«
»Sehr richtig; reden Sie aus.«
»Ich sage nochmals: was meinen Sie zu zehntausend Ducati Gratification für Sie, zehntausend Ducati Nadelgeld für Ihre Frau, zehntausend Ducati Taschengeld für Ihren Sohn und zehntausend Ducati Aussteuer für Ihre Tochter?«
»Also vierzigtausend Ducati.«
»Ja, vierzigtausend Ducati.«
»Alles in Allem?«
»Nun!«
»Also einhundertundneunzigtausend Francs.«
»Sehr richtig.«
»Finden Sie nicht, daß es solcher Männer, wie Sie deren repräsentieren, unwürdig ist, nicht runde Summen zu bieten?«
»Zweihunderttausend Francs, zum Beispiel?«
»Ja, für zweihunderttausend Livres überlegt man sich die Sache.«
»Und womit würde man abschließen?«
»Na, um nicht lange hin und her zu handeln, mit zweihundert und fünfzigtausend Livres.«
»Zweihundert und fünfzigtausend Livres sind ein hübscher Pfennig.«
»Das Castell San Elmo ist aber auch ein hübscher Steinklumpen.«
»Hm!«
»Sie weigern sich?«
»Ich gehe mit mir zu Rathe.«
»Mein lieber Gefangener, wir haben den ganzen Tag in Sprichwörtern gesprochen. Gestatten Sie mir noch eins. Ich verspreche Ihnen, daß es das letzte sein soll.«
»Theilen Sie mir es mit.«
»Wohlan, man sagt, daß jedem Menschen einmal in seinem Leben die Gelegenheit geboten wird, sein Glück zu machen, und daß die Hauptsache für ihn dann ist, sich diese Gelegenheit nicht entschlüpfen zu lassen. Die Gelegenheit streift dicht an meiner Hand vorüber, ich packe sie bei ihren drei Haaren, und lasse sie nicht wieder los.«
»Ich will es mit Ihnen nicht so genau nehmen, mein werther Herr Gouverneur,« hob Nicolino wieder an, »und zwar um so weniger, als Sie sich immer sehr gut gegen mich benommen haben. Sie sollen Ihre zweihundert und fünfzigtausend Francs haben.«
»Gut, abgemacht.«
»Sie begreifen aber, daß ich nicht zweihundert und fünfzigtausend Francs in der Tasche habe.«
»Mein Himmel, wenn man alle Geschäfte blos gegen bar machen wollte, so würde man gar keine machen.«
»Dann werden Sie sich also mit meiner Handschrift begnügen?«
Roberto Brandi erhob sich und verneigte sich.
»Ich begnüge mich mit Ihrem Wort,« sagte er dann. »Spielschulden sind heilig und wir spielen in diesem Augenblick und zwar hoch, denn es geht um unsern Kopf.«
»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen zu mir, Herr Gouverneur,« antwortete Nicolino mit Stolz. »Ich werde Ihnen beweisen, daß ich desselben würdig bin. Jetzt handelt es sich blos noch um die Ausführung, um die Mittel.«
»Um zu diesem Zwecke zu gelangen, werde ich Sie bitten, gegen mich so gefällig als möglich zu sein.«
»Erklären Sie sich näher.«
»Ich habe die Ehre gehabt, Ihnen zu sagen, daß, da ich einmal die Gelegenheit beim Schopfe halte, ich dieselbe auch nicht loslassen würde, ohne dadurch mein Glück zu machen.«
»Sehr richtig. Ich sollte aber meinen, eine Summe von zweihundert und fünfzigtausend Francs –«
»Macht wohl nicht glücklich, Herr Herzog. Sie, der Sie Millionen besitzen, werden dies zugeben.«
»Ich danke schön.«
»Ich möchte gern fünfhunderttausend Francs haben.«
»Herr Commandant, es thut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie Ihrem Wort untreu werden.«
»Aber warum das, wenn ich den Mehrbetrag nicht von Ihnen verlange?«
»Ja, dann ist es allerdings etwas Anderes.«
»Und wenn es mir nun gelingt, mir von Seiner Majestät dem König Ferdinand für meine Treue denselben Preis zu verschaffen, welchen Sie mir für meinen Verrath bieten?«
»O, das war ein häßliches Wort, welches Sie da aussprachen.«
Der Commandant ergriff mit dem den Neapolitanern eigenthümlichen komischen Ernst das Licht, schaute zur Thür hinaus und unter das Bett, worauf er das Licht wieder auf den Tisch setzte.
»Was machen Sie da?« fragte Nicolino.
»Ich wollte sehen, ob Jemand uns behorchte.«
»Warum?«
»Nun, wenn wir nur unser Zwei hier sind, so wissen Sie wohl, daß ich ein Verräther bin, der vielleicht ein wenig geschickter und geistreicher ist als die andern, aber das ist auch Alles.«
»Und wie gedenken Sie von dem König Ferdinand zweihundert und fünfzigtausend Francs als Preis Ihrer Treue zu erlangen?«
»Eben zu diesem Zwecke bedarf ich Ihrer ganzen Gefälligkeit.«
»Rechnen Sie darauf, nur erklären Sie sich näher.«
»Um meinen Zweck zu erreichen, mein lieber Gefangener, darf ich nicht Ihr Mitschuldiger, sondern ich muß Ihr Schlachtopfer sein.«
»Was Sie mir da sagen, ist ziemlich logisch. Laffen Sie nun hören, wie Sie mein Schlachtopfer werden können.«
»Das ist sehr leicht.«
Der Commandant zog ein Paar Pistolen aus der Tasche.
»Hier sind Pistolen,« sagte er.
»Das sind ja die meinigen!« rief Nicolino.
»Der Fiscalprocurator hat vergessen, sie mitzunehmen. Sie wissen wohl, wie er geendet hat, dieser gute Marquis Vanni?«
»Sie haben mir seinen Tod mitgetheilt und ich habe Ihnen darauf geantwortet, daß es mir leid thut, ihn nicht bedauern zu können.«
»Das ist wahr. Sie haben sich also durch Ihre geheimen Anhänger in dem Castell Ihre Pistolen, die ich weiß nicht wo lagen, verschafft und mir eine derselben bei meinem Eintritt in Ihre Zelle auf die Brust gesetzt.«
»Sehr gut,« rief Nicolino lachend. »So ungefähr.«
»Nehmen Sie sich in Acht; sie sind geladen. Dann haben Sie, mir fortwährend mit der Pistole drohend, mich an diesen in die Wand eingemauerten Ring gebunden.«
»Womit denn? Mit meinem Betttüchern?«
»Nein, mit einem Strick.«
»Ich habe ja aber keinen.«
»Ich bringe Ihnen einen mit.«
»Ah, Sie sind ein vorsichtiger Mann!«
»Wenn man will, daß etwas gelinge, so darf man nichts verabsäumen.«
»Und dann?«
»Nun dann, wenn ich fest an diesen Ring gebunden bin, verstopfen Sie mir mit Ihrem Taschentuch den Mund, damit ich nicht schreie. Sie schließen mich ein und benutzen den Umstand, daß ich unklugerweise alle Mannschaften, deren ich sicher bin, als Patrouillen ausgeschickt und im Innern und an den Thoren nur Verräther gelassen, um eine Meuterei anzuzetteln.«
»Und wie soll ich diese Meuterei bewirken?«
»Nichts leichter als dies. Sie bieten Mann für Mann zehn Ducati. Es sind etwa dreißig Mann, nehmen Sie mit Hinzurechnung der Officianten fünfunddreißig an, so sind dies dreihundertundfünfzig Ducati. Sie vertheilen ihre dreihundertundfünfzig Ducati sofort, Sie ändern die Parole und befehlen, Feuer auf die Patrouillen zu geben, wenn dieselben darauf bestehen, wieder herein zu wollen.«
»Und wo soll ich diese dreihundertundfünfzig Ducati hernehmen?«
»Aus meiner Tasche. Nur wäre dies eine Rechnung für sich, verstehen Sie.«
»Die zu den zweihundertundfünfzigtausend Francs noch hinzukämen; gut, gut.«
»Sind Sie einmal Meister des Castells, so binden Sie mich los, lassen mich in Ihrem Kerker und behandeln mich eben so schlecht, als ich Sie gut behandelt habe. Dann eines Nachts, wenn Sie mir meine zweihundertundfünfzigtausend Francs bezahlt und meine dreihundertundfünfzig Ducati wiedergegeben haben, lassen Sie mich aus Mitleid zur Thür hinauswerfen. Ich gehe nach dem Hafen hinunter, ich miethe ein Boot, einen Speronare, eine Felucke. Nach tausend überstandenen Gefahren lande ich in Sicilien, melde mich bei dem König Ferdinand und bitte ihn um den Preis meiner Treue. Die Höhe der Summe ist meine Sache. Uebrigens kennen Sie dieselbe.«
»Ja, zweihundertundfünfzigtausend Francs.«
»Also nun wären wir über Alles einig?«
»Ja.«
»Und ich habe Ihr Ehrenwort?«
»Sie haben es.«
»Nun denn ans Werk. Sie haben das Pistol, welches Sie, damit kein Unglück geschehe, auf den Tisch legen können. Hier sind die Stricke und hier ist die Börse. Ziehen Sie die Stricke immer scharf an, aber nehmen Sie sich in Acht, daß Sie mich nicht mit dem Taschentuche ersticken. Sie haben noch eine gute halbe Stunde, ehe die Patrouille zurückkommt.«
Alles geschah genau so, wie der intelligente Gouverneur es vorausgesehen, und man hätte meinen sollen, er habe seine Befehle im Voraus ertheit, damit Nicolino auf kein Hinderniß stoßen möge.
Der Commandant ward gebunden, gefesselt, geknebelt und dann eingesperrt.
Nicolino begegnete keinem Menschen, weder auf den Treppen noch in den Gewölben. Er ging gerade auf die Hauptwache zu, trat ein, hielt eine prachtvolle patriotische Rede, und als er gegen das Ende derselben ein gewisses Zögern unter seinen Zuhörern bemerkte, so klimperte er mit seinem Geld und sprach das magische Wort, welches Alles mit sich fortreißen mußte, aus:
»Zehn Ducati der Mann.«
Und in der That verschwand von diesem Augenblicke an jede Spur von Zögern oder Unentschlossenheit und Alle schrieen: »Es lebe die Freiheit!«
Man stürzte sich auf die Waffen, man eilte auf die Posten und die Wälle, man drohte der Patrouille, auf die zu schießen, wenn sie nicht sofort in den Tiefen des Vomero oder in den Quergäßchen der Infrascata verschwände.
Und in der That die Patrouille verschwand, wie ein Gespenst auf dem Theater durch eine Versenkung verschwindet.
Dann machte man sich an die Anfertigung einer dreifarbigen Fahne, die man nicht ohne Mühe endlich aus einem Stück von einer alten weißen Fahne, einem blauen Fenstervorhang und einer rothen Fußdecke zu Stande brachte.
Nachdem man mit dieser Arbeit fertig war, riß man die weiße Fahne vom Thurm des Castells herunter und pflanzte die dreifarbige auf.
Endlich schien Nicolino plötzlich an den armen Commandanten zu denken, dessen Functionen er sich angemaßt.
Er stieg daher mit vier Mann in seinen Kerker hinab, ließ ihn, indem er ihm das Pistol auf die Brust setzte, losbinden und von dem Knebel befreien, worauf er ihn trotz seines Aechzens, Bittens und Flehens an seiner Stelle in dem berüchtigten Kerker Nr. 3 in der zweiten Etage unter dem Zwischenstocke zurückließ.
Auf diese Weise kam es, daß Neapel, als es am Morgen des 21. Januar erwachte, die französische Tricolore auf dem Castell San Elmo wehen sah.