Kitabı oku: «Liebesdramen», sayfa 11
Der zweite Entschluß bezog sich auf Susanne. Fontanieu wollte sich um jeden Preis überzeugen, ob Susanne wirklich in Margarethens Hause gewesen war, und was sie daselbst zu thun gehabt.
Diese beiden Entschlüsse wollte er noch denselben Tag in Ausführung bringen.
Drittes Capitel.
Wo gezeigt wird, daß es schmerzhafter ist, sich einen Dorn aus dem Fuße zu ziehen, als hineinzutreten
Uni vier Uhr begab sich Louis von Fontanieu, als er aus dem Bureau kam, zu Margarethe. Er ging schnell, wie Einer, der gewöhnlich unentschlossen ist und sich nur durch Reizmittel, die sein Blut aufregen, in einer muthigen Stimmung erhält.
Als er um die Ecke der Carmeliterstraße bog, befand er sich dem Hause gegenüber, in welchem Margarethe wohnte. Aus jenem Fenster pflegte sie ihm die erste Kußhand zuzuwerfen.
Aber heute war das Bild nicht in seinem Rahmen; es war das erste Mal, daß es hier fehlte.
Louis von Fontanieu fürchtete, sie sei ausgegangen. Er fühlte sich in ungemein guter Stimmung, den entscheidenden Schritt zu thun. Ein Aufschub wäre ihm höchst unangenehm gewesen: er wußte ja nicht, ob er je wieder die Willenskraft haben werde, die er jetzt besaß.
Unten auf der Treppe hörte er kichern; er erkannte die Stimme Margarethens.
Sie schien heiterer, schalkhafter, als sie seit einiger Zeit gewesen war, d.i. seit dem sich Louis von Fontanieu gegen ihre Liebeständeieien waffnete.
»Komm geschwind!« rief sie ihm oben auf der Treppe zu. »Ach! wenn Du wüßtest, was für eine merkwürdige Geschichte ich Dir zu erzählen habe!«
Aber die versprochene Geschichte nahm ihr nichts von den Rechten, welche sie für sich in Anspruch nahm. Als ihr Verehrer im ersten Stocke erschien, schlang sie einen Arm um seinen Nacken und küßte ihn mit der ihr eigenen Heftigkeit.
Sie hing noch an seinem Halse, als er aus dem Halbdunkel der Treppe auf den hellern Vorplatz trat. Nun erst konnte Margarethe sehen, wie finster sein Gesicht war.
Sie trat erschrocken ein paar Schritte zurück; der finstere, fast drohende Ausdruck seiner Züge zeigte ihr ein sehr nahes Ungewitter.
»Mein Gott! was fehlt Dir denn?« fragte sie.
»Ich habe mit Ihnen zu reden, Margarethe,« antwortete Louis.
»Das freut mich,« sagte Margarethe, die das Geplauder als Blitzableiter zu benützen suchte. »Denn das muß man Dir lassen: wenn ich seit vierzehn Tagen taub geworden wäre, so könnte man Dir gewiß nicht vorwerfen, daß Du mir durch übermäßige Betheuerungen deiner Liebe das Trommelfell gesprengt habest.«
»Was ich Ihnen zu sagen habe, ist ernster, Margarethe.«
»Du machst mir Angst, Louis. Hast Du vielleicht einigen Lästerungen Gehör gegeben? Doch nein, Du würdest sie nicht beachtet haben. Jedes weibliche Wesen findet im Leben einen Mann, gegen den eine Untreue, ein Verrath unmöglich ist. Man muß sie nach ihrem Verhalten gegen diesen Mann beurtheilen; ihre andern Vergehen sind keine Vergehen mehr. Wie könnte ich Dich betrügen! Ich frage mich zuweilen, ob es möglich wäre, und mein ganzes Wesen empört sich bei dein Gedanken an eine solche Treulosigkeit.«
»Ich beschuldige Sie keineswegs, Margarethe; ich habe Ihnen keinen Vorwurf zu machen.«
»Ei! das sind also die ernsten Dinge, die mir eine Gänsehaut machten? Das lasse ich gelten; aber ich bitte Dich, lieber Louis, sage nicht mehr Sie. Du solltest nur wissen, wie weh mir das thut! – Das trauliche Du ist ja Alles, was von den süßesten Stunden übrig bleibt, Alles, was uns die Menschen nicht verkümmern können. Wenn Du mich nicht mehr Du nennen willst, so liebst Du mich nicht, wie ich Dich liebe.«
Margarethe wollte sich auf seinen Schooß setzen, aber er stieß sie zurück.
»Sie müssen sich aber doch in das Unvermeidliche fügen,« erwiederte Louis von Fontanieu; »denn wahrscheinlich werden wir fortan diese Sprache immer führen.«
Seine abwehrende Bewegung hatte einen so erschüttenden Eindruck auf sie gemacht, daß sie seine Worte nicht beachtete.
»Es wird also gehen wie gestern, wie vorgestern, wie seit mehren Tagen: Du hast keinen Kuß, kein zärtliches Wort für deine arme Margarethe! – Mein Gott! mein Gott! wie unglücklich bin ich!«
Sie fing an zu weinen, um ihre Klage noch rührender zu machen.
Louis von Fontanieu wurde sehr verlegen. Er hatte, um seine ganze Willenskraft zu zeigen, auf eine heftige Scene gezählt. Diese Sanftmuth, diese Ergebung, auf die er nicht gefaßt war, zwang ihn zu kaltem Muth; er sah sich gezwungen seine Entschlossenheit mit Heuchelei zu umgeben; er zog daher die eben zurückgestoßene Margarethe auf seinen, Schooß.
»Du hast Recht, armes Kind, ich weiß deinen Schmerz zu würdigen. Das Leben, welches ich Dir bereitet, muß schwer auf Dir lasten. Warum solltest Du es also fortsetzen?«
Margarethe faßte den Doppelsinn dieser Worte unrichtig auf.
»Warum? Du fragst warum?« erwiederte sie. »Weil ein einziger Kuß von Dir alle meine Leiden reichlich bezahlt; weil ich Alles aufs Spiel setzen würde, um Dich mir zu erhalten; weil es mir scheint, daß die Leiden, zu denen Du mich verurtheilst, deinen Werth verdoppeln; weil ich Dich noch nie so innig geliebt habe, wie heute und Du vergönnst mir nicht einmal ein liebevolles, tröstendes Wort.«
Der Kampf hatte begonnen, er konnte nicht mehr zurück. Der erste Angriff kostet immer Ueberwindung, gleich viel ob mit geistigen oder greifbaren Waffen gekämpft wird; Thränen und Blut reizen den Gegner und machen seiner Unschlüssigkeit ein Ende.
»Hören Sie mich an, Margarethe,« sagte Louis von Fontanieu mit kaltem Tone, der mit seinem einschmeichelnden, ja zärtlichen Benehmen, im Widerspruch stand. »Sie wissen, durch welchen unfreiwilligen Umstand unsere-Bekanntschaft eingeleitet wurde; es war mir immer zuwider, in der Liebe nur eine vorübergehende Befriedigung zu suchen. Es schien mir, daß unser ganz zufälliges Verhältniß keinen Anspruch auf längere Dauer habe. Ich war leider so schwach, dieser inneren Stimme nicht zu gehorchen, und ich habe meine Schwäche oft bitter bereut. Als ich Sie nachher besser kennen lernte, entdeckte ich in Ihnen Vorzüge, die ich nicht geahnt hatte. Ich hoffte immer, Sie würden in meinem Herzen den Platz einnehmen, den ich Ihnen so gern angewiesen hätte; heute, Margarethe, sehe ich ein, daß es mir unmöglich ist, diese schmähliche Komödie einer Liebe weiter zu spielen, die ich nicht theilen kann, ja die ich nie gefühlt habe.«
Bei den ersten Worten war Margarethe blaß geworden; sie war aufgestanden und starrte den Mund ihres Geliebten an, als ob jedes seiner Worte eine Gestalt, eine Farbe gehabt hätte, welche sie zu erkennen suchte.
»Was sagt er?« stammelte sie, indem sie, gleichsam um ihre Gedanken zu sammeln, langsam mit der Hand über die Stirn strich als sie sich endlich von der ersten Bestürzung erholte, brach sie in Thränen aus.
»Nein, nein!« rief sie, heftig schluchzend, »es sind Lügen! Du hast mich nicht geliebt, sagst Du? – Du lügst! Als ob ich Liebe von Gleichgültigkeit nicht zu unterscheiden wüßte! Ich habe d’Escoman nie geliebt; für deine zärtlichen Worte aber war ich nur zu empfänglich, sie klingen mir noch in den Ohren. Glaubst Du denn, ich hätte das Gedächtniß verloren? Du hast mich geliebt, sage ich Dir! Suche daher deiner Handlung keinen falschen Schein von Delicatesse zu geben. Soll ich Dir die Verlegenheit eines Geständnisses oder die Beschämung eines Betruges ersparen? Ich will Dir die Wahrheit sagen. Du liebst eine Andere, ich stehe Dir im Wege, und Du willst Dich meiner entledigen. – Das ist die Wahrheit, aus deren Krallen Du vergebens loskommen möchtest. Mein Gott! wenn ich doch wüßte, wer die Andere ist. Aber sie möge sich in Acht nehmen, wenn ich sie kennen lerne! Ich werde sie ohne Erbarmen, ohne Reue umbringen wie einen Hund. Hörst Du wohl, sie mag sich in Acht nehmen!«
Margarethe machte bei diesen Worten eine Handbewegung, als ob sie einen Dolch gehabt hätte. Ihre Augen sprühten Feuer; ihr Haar, welches sich bei ihren heftigen Geberden aufgelöst hatte, gab ihr ein so furchtbares Aussehen, daß Louis von Fontanieu unwillkürlich erblaßte; aber nach diesen Verwünschungen und Drohungen bekamen die weiblichen Gefühle wieder die Oberhand und milderten die tobende Leidenschaft.
Margarethens Kraft schien plötzlich gebrochen.
»Nein, nein, es ist nicht wahr!« sagte sie, auf die Knie fallend und die Hände des jungen Mannes mit Küssen und Thränen bedeckend. »Es ist nicht wahr, Du willst mich nur auf die Probe stellen, mir einen Schrecken einjagen. Du hast gedacht, ich will doch sehen, ob mich die närrische Margarethe wirklich so liebt, wie sie sagt. – Mein Gott! wenn es Dir Vergnügen macht, mich zu quälen, so thue es. Ich bin ja deine Creatur, mit der Du nach Gutdünken schalten und walten kannst. Und doch thut‘s mir sehr weh, glaube mir’s nur, ich würde fast eben so gern sterben.«
Ein Gerichtshof ist nicht härter, unerbittlicher, als ein Herz, das von einem einzigen Gefühle erfüllt ist, wenn man diese Gefühlsseite nicht anschlägt. Louis von Fontanieu würde das Leben geopfert haben, um den Augen der Marquise von Escoman eine Thräne zu ersparen, und er blieb gleichgültig, als er Margarethe schluchzend in seinen Füßen sah.
Er hatte nur seinen Zweck vor Augen.
»Nehmen Sie Vernunft an, Margarethe,« sagte er mit eisigkaltem Tone. »Heute verwünschen Sie mich; später werden Sie einsehen, daß ich wirklich als Freund gehandelt, als ich nicht wollte, daß Ihre Jugend ohne Gegenliebe, deren Sie vollkommen würdig sind, verloren gehe.«
»Meine Jugend! Siehst Du denn nicht ein, daß meine Haare grau sein werden, wenn das noch zehn Minuten dauert? – Meine Jugend! was liegt mir an meiner Jugend, denn Du bist ja mein Leben. – Louis, ich bitte Dich um Gottes willen, liebe mich! Oder, wenn Du mich nicht liebst, so sage mir wenigstens, daß Du mich liebst.«
»Das ist unmöglich, Margarethe. Wenn mein bisheriges Stillschweigen ein Fehler war, so würde es durch längere Dauer zum Verbrechen. Seit vierzehn Tagen bin ich unschlüssig, ob ich Ihnen aufrichtig Alles sagen sollte; Sie selbst haben’s so eben gestanden. Wir haben in diesen vierzehn Tagen so viel gelitten, daß wir Beide nicht wünschen sollten, sie wieder anzufangen.«
Aber ohne ihn anzuhören, oder vielmehr ohne seine Worte zu beachten, setzte sie hinzu:
»Sage mir, was muß matt thun, um Dir zu gefallen, um deine Liebe zu gewinnen? – Mein Gott! habe ich mich denn je beklagt, daß Du mich nicht zärtlich genug liebtest? Wie soll ich werden, um von Dir geliebt zu werden! Sprich, ich glaube, ich würde mich umschmelzen lassen, um Dich nicht zu verlieren.«
Louis von Fontanieu gab seine Ungeduld zu erkennen.
»Nehmen Sie Vernunft an, Margarethe,« sagte er.
»Die Vernunft ist der Wein, mit welchem sich die Schwachköpfe und Feiglinge berauschen,« antwortete Margarethe heftig; »ich habe nie Vernunft gehabt und will nichts davon hören. Ich will von Dir geliebt werden, und wenn dies deine Kräfte übersteigt, so laß es mich wenigstens glauben.«
»Wozu könnte es Ihnen nützen? – Ich will Sie jetzt verlassen, armes Kind; ich will wieder kommen, wenn Sie ruhiger sind.«
»Du gehst nicht von der Stelle!« rief Margarethe, auf die Thür zueilend. »Was soll aus mir werden, wenn Du fort bist? – Du gehst nicht von der Stelle, sage ich Dir! Du liebst eine Andere, das ist nicht zu bezweifeln; würdest Du sonst so unerbittlich sein!? O, ich kenne das. Ich stand zu d’Escoman in dein gleichen Verhältnisse, wie Du zu mir. Der liebe Gott straft mich nun dafür. Ich bin böse, Du aber bist gut. Ich kenne Dich. Gestehe es nur, man hat Dich umgarnt, gegen mich eingenommen. Sage es nur, gestehe es, und ich will Dich fortlassen. – Du kannst wohl denken, daß ich dein Herz nicht mit einer Andern theilen mag. Sage mir Alles, und Du wirst sehen, daß ich ruhig werde, wie Du es wünschest. – Nicht wahr, Du liebst eine Andere? – Lüge nicht, antworte mir Nein, und sieh mich dabei an, wie ich Dich ansehe.«
»Und wenn es wäre, habe ich nicht das Recht?«
»Wer macht Dir’s denn streitig? Aber sprich, damit ich doch wenigstens einmal die Wahrheit aus deinem Munde höre. Da es einmal mein Urtheil ist, so habe doch den Muth es auszusprechen.«
»Margarethe, jetzt verleumden Sie mich. Ich habe Sie nie belogen; ich habe Ihnen nie gesagt, daß ich Sie liebe. Sie haben mir heute nicht zum ersten Male vorgeworfen, daß Sie mein Herz nicht besitzen.«
»O, da ist sie schon wieder!« sagte Margarethe mit dem Tone, mit welchem Archimedes angekündigt haben mag, daß er sein großes Problem gelöst.
»Wen meinen Sie?«
»Die Marquise von Escoman. – Du bist ihr also treu geblieben? Du bist also standhaft in deiner Liebe? – Mein Gott! eine solche Rache hatte ich nicht gehofft.«
»Sie haben sich an der Marquise gerächt? Was kann denn sie mit —«
»Mit mir gemein haben, wolltest Du sagen? Eine vornehme Dame mit einem verachteten Geschöpfe? Sage es nur gerade heraus, obgleich ich in diesem Augenblicke wirklich nicht weiß, ob dieses Wort auf sie oder ans mich eine Anwendung findet. – O, wie ungerecht sind doch die Menschen, und wie groß ist die Langmuth Gottes! Man ist arm, man ist als sechzehnjähriges Mädchen mit Lumpen bedeckt, die Ihr eleganten Leute nicht einmal mit den Handschuhen anfassen würdet. Man zeigt dem armen Geschöpf Geschmeide, schöne Kleider, Shawls, man spricht ihr schöne Worte vor, wie könnte die Arme dieser Versuchung widerstehen!l sie würde sich um weit geringern Preis verkauft haben, um nur ihren Hunger zu stillen. – Jene dagegen ist reich, von vornehmer Geburt. Die Anderen, die von Fleisch und Bein sind, wie sie, vielleicht schöner sind als sie, gehen aus dem Wege, wenn sie kommt, und betrachten sie mit noch mehr Bewunderung als Neid. Gott hat ihr Alles gegeben, was man nur wünschen kann; sie hat umsonst, was Andere von einem Manne erkaufen müssen. Und wenn sie aus Laune, aus Uebermuth, aus Leidenschaft thut, was die Anderen aus Noth, soll das etwa keine Schmach für sie sein?«
»Schweigen Sie, Margarethe! Sprechen Sie den Namen einer allgemein hochgeachteten Dame nicht aus, ich weiß sonst nicht, ob ich mich beherrschen würde.«
»Ja, Du wirst mich schlagen, mißhandeln. Ich sehe wohl, daß Du sie liebst. – Nun, ich will schweigen; aber ich will Dir etwas zeigen, was beredter, überzeugender ist, als meine Worte. Du wirst sehen, daß Du bei dem Tausche wenigstens nichts gewinnst, daß sie nicht besser ist als ich.«
»Margarethe!« rief Louis von Fontanieu zornig und! faßte sie bei der Kehle als ob er sie erwürgen wollte. »Margarethe, zittere vor mir, wenn Du gelogen hast!«
»So komm doch,« antwortete Margarethe.
Sie zog Louis von Fontanieu an die Treppe, welche sie mit wüthender Hast erstieg.
Die drei Thüren des zweiten Stockwerkes waren geschlossen.
Margarethe deutete auf die Kammer, welche der jüngste und hübscheste Geselle des Hutmachers, der sogenannte Adonis von Châteaudun, bewohnte.
»Dies ist das Boudoir der Marquise von Escoman,« sagte Margarethe sehr laut; »hier hat sie ihre Zusammenkünfte —«
, Zusammenkünfte! – Gott im Himmel! mit wem denn?« rief der junge Mann, dem der Dämon der Eifersucht das Herz zerriß.
»Mit wem!l Frage sie nur: vermuthlich mit einem bescheidenen Handwerker. Während die Grisette Liebschaften mit Cavalieren hat, beglückt die Marquise einen Arbeiter. Das Gleichgewicht wird also sehr vernünftig hergestellt. Findest Du das nicht auch, Vicomte, Graf, Baron, ich weiß nicht mehr was Du bist.«
»O, mein Gott!« sagte Louis von Fontanieu, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, »ich glaube, daß ich den Verstand verliere!«
Er versuchte nun die verschlossene Thür gewaltsam zu öffnen.
Der Lärm, den Margarethe machte, hatte inzwischen die Bewohner des Erdgeschosses herbeigelockt; die alte Brigitte war mit ihrem Enkel aus ihrer Stube gekommen, und Beide vereinigten ihre Anstrengungen um sich den Einbruchsversuchen des jungen Mannes zu widersetzen.
Margarethe sah wohl, daß sie nicht mehr zögern durfte, die Rache, welche sie sich versprochen, hätte sonst leicht vereiteit werden können; sie fürchtete, Louis von Fontanieu werde an der Wahrheit ihrer Behauptung zweifeln. Sie stieß die Mutter Brigitte so heftig zurück, daß die alte Frau zu Boden fiel; auch den jungen Mann schob sie auf die Seite und sprengte mit einem kräftigen Fußtritt die Thür ein.
Louis von Fontanieu sah nun zwei Frauen in der kleinen Dachstube. Die Eine trat den Eindringenden beherzt entgegen, und er erkannte Susanne Mottet. Die Andere verbarg ihr Gesicht mit beiden Händen; aber an ihrer Gestalt, an ihren langen blonden Locken, die unter dem Hut hervorquollen, zugleich aber an den raschen Pulsen seines Herzens erkannte er Emma.
Margarethe hatte sich indeß in einem Punkte getäuscht: von einem Manne war keine Spur in der Dachstube zu sehen.
Noch mehr. Das Bett war weggerückt, und an der Stelle, wo es gestanden, waren die Ziegel, mit denen das Stübchen belegt war, sammt dem darunter befindlichen Schutt weggeräumt, so daß der Fußboden, der die Dachstube von dem Zimmer des ersten Stockes trennte, möglichst dünn wurde.
Dieses letztere Zimmer war aber das Zimmer Margarethens.
Louis von Fontanieu wurde leichenblaß, als er diese Vorkehrungen sah und an den muthmaßlichen Zweck derselben dachte.
Viertes Capitel.
Wie gefährlich es ist, in einer Mausefalle auf der Lauer zu stehen
Es waren wirklich Emma und Susanne, welche Louis von Fontanieu in einer elenden Dachstube neben dem Kämmerlein der alten Brigitte fand.
Wir haben zu erklären, wie die Beiden dahin gekommen waren.
Als Emma, wie schon erwähnt, die Erinnerung an die vormalige Geliebte des Marquis gleichsam als Schutzmittel gegen den jungen Mann anwandte, der ihrem Herzen so theuer war, beschloß Susanne dieses Hinderniß zu beseitigen.
Später wußte sie die seltsame Rolle, welche sie in diesem entscheidenden Wendepunkte ihres Lebens gespielt, durch triftige Gründe zu rechtfertigen; aber wir müssen zur Steuer der Wahrheit erklären, daß sie ohne Ueberlegung handelte; sie würde sich geschämt haben eine Secunde zu zögern. Es war für sie eine Lebensfrage, gegen welche nichts einzuwenden war. Sollte Emma leben, oder der Krankheit unterliegen? das war die große Frage, deren Lösung für die schwärmerische Liebe Susannens keinen Augenblick zweifelhaft bleiben konnte. Die religiösen Grundsätze der alten Amme wurden durch ihre fixe Idee völlig in den Hintergrund gedrängt; aber sie lebte in der festen Ueberzeugung, ein gutes, Gott wohlgefälliges Werk zu thun.
Der Plan, den sie zur Ausführung ihres Vorhabens entwarf, war sehr abenteuerlich: sie wollte zu Margarethe gehen und sie durch das Versprechen eines hübschen Sümmchens, weiches sie von ihren Ersparnissen nehmen wollte, zu bewegen suchen, die Stadt zu verlassen. Sobald sie freies Feld hatte, konnte sie ungehindert manövriren, und es schien ihr unzweifelhaft, daß Louis von Fontanieu zu der Marquise zurückkehren werde. Die letztere sollte natürlich die geheimen Fäden, welche die alte Susanne spielen ließ, nie kennen lernen und Alles für eine zufällige Wendung der Dinge halten.
– Susanne bemerkte bald, daß ihr Plan weit leichter auszuführen war, als sie geglaubt hatte. Sie machte die Entdeckung, daß Louis von Fontanieu sehr kühl gegen seine sogenannte Maitresse war. Sie zog daraus mit echt weiblicher Logik den Schluß, daß er nie aufgehört habe, an die Marquise zu denken. Hatte sie doch selbst gehört, daß er dieser eine feurige Liebeserklärung gemacht.
Susanne war ganz voll Freude und Hoffnung. Von diesem Augenblicke an suchte sie mit völliger Gewißheit zu ermitteln, was sie ahnte. Sie beachtete Louis von Fontanieu mit der Hartnäckigkeit eines Schergen; sie schlich ihm Tage lang nach, folgte ihm auf seinen melancholischen Spazirgängen am Saum des Waldes, bis zu der Stelle, wo er die Marquise von Escoman angeredet hatte. Sie sah, wie er zwecklos um das Hotel umherirrte, und aus ihren Beobachtungen schloß sie, daß er nicht aussehe wie ein glücklich Liebender.
Das war schon etwas, aber sie hatte noch viele Schwierigkeiten zu beseitigen. Sie mußte völlige Gewißheit haben, um Emma gegenüber mit Entschiedenheit zu handeln.
Der Geist wird sehr scharfblickend, das Gefühl äußerst fein, wenn die Gedanken beständig auf einen und denselben Gegenstand gerichtet sind. Susanne war mit ihrer jungen Herrin gleichsam ein Herz und eine Seele geworden; sie litt ihre Schmerzen mit, sie theilte jede freudige Regung, jede Hoffnung mit ihr; sie sah daher leicht voraus, daß das beständige Schwanken zwischen Hoffnung und Täuschung ihr geliebtes Kind tödten würde.
Die alte Brigitte war die einzige Person, durch welche sie Zutritt in dem Hause finden konnte. Ein Vorwand zu einer Annäherung an die arme Arbeiterin war leicht gefunden.
Die Frauen aus dem Volke haben, zumal in der Provinz, eine tiefe Verachtung gegen Mädchen ihres Standes, welche eilten anstößigen Lebenswandel führen. Ob es Eifersucht ist oder Sittlichkeitsgefühl, Abneigung gegen die, welche die Armuth entehren, wer vermag es zu entscheiden? Genug, die alte Brigitte, welche die milden Gaben Margarethens ohne Bedenken annahm, gab gleichwohl ihre Entrüstung über die Letztere deutlich zu erkennen.
Susanne stimmte natürlich in diesen Tadel mit ein, obgleich sie es mit der Wahrheit eben so wenig genau nahm, wie irgend eine der von ihr getadelten Dirnen. Sie erzählte ihrer neuen Bekannten mit der größten Zuversicht, der junge Mann, der seinem Verderben entgegengehe, sei ein Verwandter ihrer Herrin; er sei verheiratet und treibe seine Frau zur Verzweiflung. Sie machte von dieser Verzweiflung eine so rührende Schilderung, daß die alte Brigitte noch mehr gegen Margarethe aufgebracht ward als Susanne selbst. Diese mußte die erzürnte Alte sogar beschwichtigen.
Beide waren darüber einverstanden, die »Dirne« – so nannte sie die Nachbarin im ersten Stocke – müsse den unglücklichen jungen Mann behext haben, und Susanne sprach den noch schüchternen Wunsch aus, das Zaubermittel kennen zu lernen, durch weiches sie es ihm angethan.
»Das ist ganz leicht,« antwortete Brigitte. »Die Dachstube nebenan wird von den Arbeitern nur zum Schlafen benutzt, und Nicolas hat die Erlaubniß, dort zu spielen und aus dem Fenster auf die Straße zu schauen. Das Caminrohr geht aus dein ersten Stocke durch die Dachstube. Man kann leicht ein paar Ziegel herausnehmen; man hält das Ohr an die Oeffnung und hört jedes Wort, das in dem Zimmer der Dirne gesprochen wird.
Susanne fragte die alte Brigitte nicht, wie sie diese Entdeckung gemacht; es war nicht der Augenblick, die arme Frau über die Reinheit ihrer Absichten zur Rede zu stellen; überdies stimmten ja diese Ansichten mit denen Susannens ganz überein. Die Amme brachte daher die eben erhaltene Lehre sogleich in Ausführung, und sie konnte sich überzeugen, daß Brigitte die Wahrheit gesagt hatte.
Louis von Fontanieu war eben zu Margarethe gekommen. Susanne verlor kein Wort seiner Unterredung mit ihr.
Louis von Fontanieu, der immer nur an Emma dachte, war keineswegs mehr so zärtlich gegen Margarethe, wie im Anfange ihrer Bekanntschaft; er gab sich gar keine Mühe mehr, seine Kälte zu verbergen, so daß sich Margarethe bitter darüber beklagte.
Susanne, die in ihrem Versteck Alles hörte, schloß daraus, daß ihr Argwohn gegründet sei, daß die vermeinte Granitmauer, welche die Marquise als eine Schutzwehr gegen alle Versuchungen betrachtet hatte, nur eine schlechte Lehmwand sei, die bei dem mindesten Stirnrunzeln einstürzen würde, wie die Mauern von Jericho durch den Schall von Josua’s Posaune eingestürzt waren.
Sie beeilte sich, der Marquise die gute Nachricht mitzutheilen.
Diese gab ihr einen sehr ernsten Verweis. Es war der erste Vorwurf, den ihr Liebling ihr machte, und sie brach in Thränen aus! Emma suchte ihr das Gehässige dieser Umtriebe begreiflich zu machen und ihr zu zeigen, wie tadelnswerth sowohl der Zweck als das zur Erreichung desselben angewendete Mittel sei; aber wo das Gewissen schwieg, konnten auch die Worte der Marquise keinen Anklang finden. Susanne wollte ihr ja keinen Geliebten, sondern die Gesundheit, das Leben geben, und nach ihrer Meinung hingen Gesundheit und Leben der Marquise von der Gewißheit ab, daß Louis von Fontanieu Margarethe Gelis nicht liebte.
Es war unmöglich, die arme Frau eines Besseren zu belehren.
Sie brachte noch denselben Abend ihr Lieblingsthema auf’s Tapet; sie ward wieder abgewiesen, aber sie ließ sich nicht abschrecken. Am andern Morgen fing sie wieder an; sie sprach nur von Louis de Fontanieu, von seiner unendlichen Liebe, von ihrem Schmerz über seine Verirrung.
Das tropfenweise fallende Wasser höhlt mit der Zeit den Stein aus. Die verlockenden Reden Susannens, die eindringlichen Worte, mit welchen sie nicht nur der weiblichen Eigenliebe ihrer jungen Herrin schmeichelte, sondern auch ihr Mitleid zu erregen wußte, machten am Ende einen tiefen Eindruck auf die Marquise, deren schwaches Herz nur, noch durch die Gebote der Weltsitte und des Anstandes im Gleichgewichte erhalten worden war.
Bald gebot sie der alten Susanne nicht mehr zu schweigen; sie ließ sich auf Erörterungen ein, und von jenem Tage an war sie verloren. Es handelte sich nur um Zeit und Gelegenheit. Susanne widerlegte siegreich alle Einwendungen und Gegengründe.
Die Marquise hatte indeß ein Bedenken, welches die Amme mit allen Scheingründen und Trugschlüssen nicht zu heben vermochte. Wenn Louis von Fontanieu für Margarethe keine Liebe empfand, warum setzte er denn ein so anstößiges, von allen ehrbaren Leuten getadeltes Verhältnis; fort?
Susanne, welche mit den Sitten und Gewohnheiten der gebildeten Welt wenig bekannt war, wußte sich die Geduld und Beharrlichkeit Fontanieu’s so wenig zu erklären, wie die Marquise; sie umging daher die Frage, welche sie nicht zu beantworten wußte.
Sie machte eine dieses Mal nicht sehr übertriebene Schilderung von den Lockungen, denen der junge Mann seit einigen Tagen, wo sie ihn beobachtet, so heroischen Widerstand geleistet. Sonst würde die gute Susanne ihre junge Gebieterin wohl mit solchen eben nicht stark verhüllten Bildern verschont haben, aber sie wollte ihr beweisen, wie wenig die Versucherin über Louis von Fontanieu vermochte.
Solche Schilderungen waren ganz geeignet, in dein Herzen der jungen Frau Gefühle zu wetten, die ihr bis dahin ganz unbekannt gewesen waren. Wenn die alte Amme die stürmische Zärtlichkeit Margarethens beschrieb, so erregte sie nicht nur die sinnlichen Gefühle der Marquise, sondern auch ihre Eifersucht. Die sanfte, keusche Emma fühlte den Stachel des Hasses durch ihre Seele dringen, und sie wandte sich nicht mehr mit Widerwillen ab von solchen Ungeheuerlichkeiten, welche sie nicht mehr mit Entrüstung, sondern nur noch mit Neid betrachtete.
Der Gesundheitszustand der Marquise verschlimmerte sich wieder; ihr kurzer, unruhiger Schlaf wurde von schrecklichen Träumen gestört. Sie fühlte sich so tief ergriffen davon, daß sie es kaum noch wagte die Augen zu schließen und nur der äußersten Erschöpfung ihrer Kräfte nachgab.
Einst fuhr sie mit einem lauten Schrei ans dem Schlafe auf.
Susanne eilte herbei. Die Marquise saß im Bette aufgerichtet; ihr Blick war starr, ihr Gesicht glühte in Fieberhitze.
»Ich will selbst sehen,« sagte sie mit fieberhafter Hast, »und wenn Du mich betrogen hast, Susanne, so werde ich ohne Bedauern scheiden. Wenn er mich aber liebt, so will ich nicht sterben, ohne aus seinem Munde das Geständniß seiner Liebe gehört, ohne ihm geantwortet zu haben: »Und ich liebe Dich auch.«
»Und Du sollst nicht sterben, mein Kind,« erwiederte Susanne freudetrunken, denn sie glaubte, daß Emma bald das Ende ihrer Leiden erreichen werde.
Am frühen Morgen begab sie sich zu der alten Brigitte; sie fürchtete, der Plan werde an irgend einem Mißgeschicke scheitern. Mit einer neuen Lüge gab sie der Alten zu verstehen, daß die Verwandte Fontanieu’s zu sehen wünsche, was zwischen Margarethe und dem jungen Manne vorgehe, der seine Familie mit leeren Versprechungen hinhalte.
Eine gute Summe Geldes, welche sie der Alten übergab, befestigte deren Treue und Verschwiegenheit. Brigitte erbot sich, Wache zu stehen, während Susanne und Nicolas an der Vergrößerung der Oeffnung arbeiten würden.
Susanne riß sich an den Ziegeln und an der harten Gypsverkleidung die Finger blutig; sie würde in ihrem Eifer das Haus abgebrochen haben.
Es wurde verabredet, daß Susanne in Begleitung der fraglichen Verwandten kommen sollte. Nicolas sollte eine Stunde vorher als Schildwache an die Thür gestellt werden; er sollte die beiden Damen durch ein verabredetes Zeichen warnen, wenn es gefährlich für sie wäre, die Treppe zu besteigen.
Die Ungeduld, mit welcher Emma schon seit dem frühen Morgen die Stunde des Ausganges erwartete, machte alle diese Vorkehrungen unnütz.
Als sie mit Susanne ankam, war Nicolas nicht auf seinem Posten; aber Margarethe lauerte am Fenster hinter den halbgeöffneten Jalousien.
Die Haltung der einen dieser beiden Damen, welche sie in’s Haus kommen sah, fiel ihr auf; sie öffnete leise ihre Zimmerthür, und ungeachtet des dichten Schleiers, den die Marquise von Escoman trug, erkannte sie diese ganz deutlich.
Der Ruf der Marquise war so weit über jeden Verdacht erhaben, daß Margarethe anfangs glaubte, sie gehe zu der alten Brigitte, um der armen Frau ein Almosen zu geben.
Sie wartete, und sah die beiden Frauen nicht zurückkommen.
Margarethe bekam nun böse Gedanken. Vielleicht bewahrte die Marquise von Escoman nur den äußeren Schein der Tugend, vielleicht war sie nicht besser als alle Anderen.
So pflegen Personen von Margarethens Art über gebildete Damen zu urtheilen. Diese, meinen sie, wahren ihren Ruf nur durch Verstellung.
Während sich Margarethe ihren philosophischen Betrachtungen überließ, hörte sie auf einmal flüstern, dann die Thür zu der Kammer des Arbeiters öffnen, endlich leise Fußtritte.
Ihr Argwohn wurde nun fast zur Ueberzeugung. Ohne Zweifel begab sich die Marquise zu einem Geliebten, und dieser nahm in der gesellschaftlichen Hierarchie die bescheidene Stellung eines Hutmachergesellen ein.
Er war freilich der hübscheste Hutmachergeselle in Châteaudun.
Margarethe, die in solchen Dingen erfahren war, wußte wohl, daß man, um Glauben zu finden, nicht blos Verdacht, daß man Gewißheit haben muß.
Sie ging zu der alten Brigitte, um diese Gewißheit zu suchen.
Die Alte empfing sie eben so, wie sie Louis von Fontanieu vor etwa zehn Tagen empfangen hatte.