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Kitabı oku: «Liebesdramen», sayfa 15

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»Es ist schon zu spät,« antwortete Louis von Fontanieu, der eine Weile mit Unruhe auf die Straße geschaut hatte.

»Mein Gott! mein Gott!« jammerte Emma, die Hände ringend, »soll ich denn diesen Leidenskelch bis auf den Grund leeren?«

Man hörte wirklich das Summen der zusammenströmenden Menge.

Susanne riß das Fenster auf, ehe Fontanieu es hindern konnte. Sobald die weibliche Gestalt am Fenster erschien, hörte man ein höhnendes Geschrei aus einigen hundert Kehlen und einige Steine zerschmetterten die Glasscheiben.

Emma verbarg ihr Gesicht an der Brust Fontanieu’s, der auf sie zugetreten war.

Der Bürgermeister faßte Susanne beim Arm und suchte sie ins Zimmer zu ziehen. Aber die muthige Frau hielt sich am Fenster fest; sie ließ sich weder durch Geschrei noch durch Steinwürfe abschrecken.

Sie wollte der Menge beweisen, wie sie dem Maire bereits bewiesen zu haben glaubte, daß man ihre Herrin verleumdet, daß die Marquise die ehrenwertheste Dame von der Welt sei; kurz, sie wollte eine Anrede an die Bewohner von Lonjumeau halten.

Sie sprach wirklich zum Fenster hinaus.

Die Leute wurden wenigstens gerührt, wenn auch nicht überzeugt.

Anfangs wurde wohl gemurrt und höhnisch gelacht, aber bald hörte man aufmerksam zu.

Sie wiederholte den Gaffern, was sie dem Bürgermeister schon gesagt hatte; sie drückte sich nur in weit kräftigeren Worten aus. Mit dem Tact eines gewandten Redners hatte sie eingesehen, daß sie sich einer dem Volke verständlichen Sprache bedienen müsse.

Diese energischen Aeußerungen der Zärtlichkeit, der innigsten Liebe zu dem Kinde, das sie an ihrer Brust genährt, die heftigen Ausbrüche der Entrüstung über die Gottlosigkeit der Ehemänner und die Ungerechtigkeit der Menschen überhaupt machten einen tiefen Eindruck auf die Gemüther der Weiber, welche die-Mehrzahl der Zuhörerschaft ausmachten; die Schnupftücher wurden aus allen Taschen hervorgezogen, die Augen wurden feucht, und als Susanne schwieg, applaudirte man, wie einem modernen Demosthenes im Palais Bourbon.

Das Volk, dessen Leidenschaften einmal aufgeregt sind, muß fast immer ein Opfer haben. Einige Gevatterinnen meinten, man müsse an dem Manne der verfolgten Dante ein Exempel statuiren, zur Warnung aller künftigen Geschlechter.

Der Marquis von Escoman war aber, sobald er dem Maire seine Weisungen gegeben, nach Paris zurückgekehrt.

Die Kühnheit Susannens hatte doch den guten Erfolg, daß die Marquise von Escoman, als sie, nach einem herzzerreißenden Abschiede von Fontanieu, am Arme des Bürgermeisters in der Thür des Posthauses erschien, von der Menge mit ehrerbietigem Schweigen, ja mit deutlichen Zeichen der Theilnahme empfangen wurde. So wurde ihre traurige Lage einigermaßen gemildert.

Susanne frohlockte; sie drückte mit stolzer Befriedigung die nach ihr ausgestreckten Hände.

Neuntes Capitel.
Wer den Liebesgöttern die Flügel stutzt

Eine Scheidungsklage ist in unserer Zeit kein neues Scandal; aber sie macht großes Aufsehen, wenn beide Parteien den höheren Ständen angehören.

Bei derartigen Verhandlungen ist der Gerichtssaal immer überfüllt.

Wenn man untersucht, warum die Zuhörer gekommen sind, so kann man sie in mehre scharf geschiedene Classen eintheilen.

Zuerst die Feinschmecker, die Sportsmen der Entführungen und Liebesabenteuer, die eifrigen Leser schlüpferiger Romane. Diese Zuhörer finden hier, wenn auch keinen ganzen Roman, doch wenigstens ein sehr pikantes Capitel; sie wollen die Heldin sehen, sie wollen sich überzeugen, ob sie die allgemeine Aufmerksamkeit verdient und ob es auch der Mühe werth war, mit ihr zu sündigen. Sie glauben im Theater zu sein; ihre unverschämten Lorgnetten erwarten mit der Geduld und dem Scharfblick eines Wilden den Augenblick, wo der nothwendige Gebrauch des Schnupftuches die arme junge Dame nöthigen wird, einen Zipfel des Schleiers aufzuheben, hinter welchem sie ihr Erröthen zu verbergen hoffte. Sie steigen auf die Bänke, um zu sehen, ob sie einen hübschen Fuß hat; durch Thränen werden sie nicht im mindesten abgehalten zu sehen, ob die Augen, denen die Thränen entströmen, schön sind. Die verschlossenen Thüren bringen diese Feinschmecker zur Verzweiflung. Der Anklageact hat für sie nie genug episodische Einzelheiten. Im Allgemeinen sind sie der Angeklagten gewogen, zumal wenn sie schön ist; aber ihr lautes und zu demonstratives: Mitleid ist nicht die geringste der Martern, welche die Unglückliche an diesem Pranger zu erdulden hat.

Dann kommen die Speculanten, die der Meinung sind, das beste Mittel, sich vor Unglück zu bewahren, sei, über das Unglück Anderer zu lachen.

Ferner die Freunde, deren Rolle leicht zu errathen ist, ohne daß man nöthig hat sie näher zu bezeichnen. Sie erscheinen, um der einen oder andern Partei eine kleine Schuld des Dankes abzutragen. Wenn man ein dumpfes Gemurmel Vernimmt, durch welches die Zuhörer ihre Entrüstung zu erkennen geben, so kann man versichert sein, daß dieses Gemurmel aus der Gruppe der »Freunde« kommt.

Studenten pflegen sieh auch häufig einzufinden, und zwar großentheils Studenten, welche sich zu belehren wünschen, wie weit man gehen darf und wo man stillstehen muß, um nicht auf die verhängnißvolle Bank der Angeklagten zu kommen.

Endlich eine ziemlich zahlreiche Classe von Schwachköpfen, die in vollem Ernst glauben, daß die Gesellschaft in Gefahr sei, weil ein Frauenherz nicht mit ewiger Standhaftigkeit begabt sei.

Die Haltung dieser aus so verschiedenen Gründen herbeigelockten Parteien des Publikums bleibt immer gleich, das heißt: sie ist albern, unschicklich und gefühllos.

Wir begreifen nicht, was durch eine Oeffentlichkeit dieser Art zu gewinnen ist; wir sehen darin nur einen Vortheil und bemerken tausend Mängel.

Man kann allerdings behaupten, daß diese öffentliche Schmach der schuldbeladenen Gattin ein heilsamer Zügel sei; aber sind denn fünf Männer nicht genug, um ein weibliches Wesen zu beschämen?

Hat man denn nicht bedacht, daß man die Gemüther der Müßigen, welche den Gerichtsverhandlungen beiwohnen, oder die Berichte in den zahlreichen Zeitungen lesen, zur Selbsterkenntniß und Zerknirschung führen wollte? Die Galanterie hat, wie das Duell, in unseren Sitten zu tiefe Wurzeln geschlagen, als daß man die Leute bestimmen könnte, in dem Verbrechen – wie es die Juristen nennen – etwas Anderes zu sehen, als einen unglücklichen Zufall. Man könnte noch hinzusehen, daß diese Oeffentlichkeit selbst mit ihren erotischen Erörterungen nur eine Aufreizung zur Sittenlosigkeit ist, die sie verhindern wollte.

Man verurtheile also die Schuldigen; aber man ziehe die häuslichen Mysterien nicht aus dem Dunkel hervor; der Richter hat nebst dem Arzte allein das Recht, den Schleier zu lüften. Schon die Rücksicht auf die Kinder macht Disceretion zur Pflicht.

Man setze doch die höhnisch lachenden, begierig lauschenden Zuhörer nicht der Gefahr aus, daß die Angeklagte sich zu ihnen wende und ihnen zurufe: Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf mich! Nicht auf alle Pharisäer würde eine solche Beschämung eine heilsame Wirkung haben.

Wenn es schon für jede Angeklagte, welches Standes sie auch sei, eine Marter ist, auf die Bank geführt zu werden, wo die schwersten Verbrecher gesessen, so kann man sich denken, was die Marquise von Escoman fühlte, als sie diesen verhängnißvollen Platz einnahm.

Sie hatte gedacht, daß sie stärker, die Wirklichkeit minder furchtbar sein werde.

Ihre Unterredungen mit dem ausgezeichneten Advocaten, der sie vertheidigen sollte, hatten für sie den unheimlichen Anblick des Leidensbechers, den sie leeren sollte, so viel als möglich verhüllt. Nachdem er den Fall in Erwägung gezogen, hatte er ihr Hoffnung gemacht. Sie verstand darunter nicht die Straflosigkeit, sondern die Mittheilung des theilnehmenden Wohlwollens, welches sie bei ihrem Rechtsfreunde gefunden, an ihren Ankläger, an ihre Richter, an die Zuhörer. Ihr Vertheidiger verhehlte ihr zwar nicht, daß sie in den Augen des Gesetzes nicht recht gethan, aber er entschuldigte sie und milderte ihren Schmerz durch seine warme Theilnahme.

Auch Susanne trug zu ihrer Beruhigung bei. Wir haben gesehen, wie groß ihr Selbstvertrauen durch den in Lonjumeau erzielten Erfolg geworden war. Wie schwer sie sich auch an den Gedanken gewöhnte, die Marquise von Escoman wie eine Verbrecherin eingesperrt zu sehen, so war sie doch fest überzeugt, daß ihre Herrin glänzend gerechtfertigt werden und der Ankläger tief beschämt werden müsse.

Im Anfange der Präventivhaft hatte Susanne die Marquise und Fontanieu abwechselnd besucht und ihnen den Trost gebracht, den sie in der Versicherung ihrer gegenseitigen Liebe finden konnten. Aber der Advocat wollte diese Besuche nicht länger gestatten, da man dieselben leicht zum Nachtheile seiner Clientin ausbeuten könne.

Susanne blieb nun beständig bei ihrer Herrin; sie hatte ihr von der begeisterten Liebe Fontanieu’s, von seinem Schmerz, von seiner rührenden Hingebung so viel zu erzählen, und Emma ließ sich Alles, was ihre alte Freundin mit dem Geliebten gesprochen, so ausführlich wiederholen, daß die einsamen Stunden der Haft ziemlich schnell verstrichen.

Endlich kam der Tag, an welchem ihr Schicksal entschieden werden sollte.

Die Bank der Angeklagten hat ihre den Umständen angemessene Toilette, wie die Bälle und die Festessen.

Der Advocat hatte der Marquise einen schwarzen Anzug empfohlen und Susanne wandte dabei die größte Sorgfalt an. Die gute Frau wollte kein Mittel, die Richter für ihre Herrin einzunehmen, unversucht lassen.

Man führte die Marquise von Escoman in den Gerichtssaal. Bei dem Anblicke der dichtgedrängten Menge, der tausend Augen, die auf sie gerichtet waren, wich Emma mit Entsetzen zurück. Sie wollte fliehen, aber schon hatte sich die unerbittliche Thür hinter ihr und ihrem Advocaten geschlossen. Dieser war der einzige Mensch, auf dessen öffentlichen Beistand sie zählen konnte. Er hatte ihr seinen Arm geboten und führte sie zu der Bank, auf welcher Louis von Fontanieu schon saß.

Dann begann die Gerichtsverhandlung. Die Marquise zitterte an allen Gliedern, so heftig war der erste Eindruck gewesen. Es wurde ihr auf Augenblicke dunkel vor den Augen, es brauste in ihren Ohren, wie eine ferne Brandung. Den vom königlichen Procurator vorgelesenen Anklageact hörte sie nicht. Der Inhalt war übrigens ziemlich nichtssagend; man schien Bedenken getragen zu haben, zu tief in dem Vorleben der Angeklagten zu forschen, als ob man gefürchtet hätte, das ganze Gerüst, auf welchem die Anklage ruhte, einstürzen zu sehen.

Nach dem königlichen Procurator bekam der Advocat des Marquis von Escoman das Wort.

Er war von dem Rechtsfreunde, den wir kennen gelernt, abgerichtet worden. Er kannte die Marquise eben so wenig wie den Marquis; aber er war ein gewissenhafter Advocat, der das ihm zukommende Geld verdienen wollte. In Ermanglung des Talentes war er bereit, seinen Vortrag für das scandalsüchtige Publikum recht pikant zu machen.

Er declamirte also im Namen der verletzten Moral, der schmählich übertretenen socialen Gesetze, der herausgeforderten öffentlichen Meinung; er rief die Strenge des Gerichtshofes auf das Haupt der Schuldigen mit einem Redepomp, den er für die von Zeit zu Zeit auftauchenden moralischen Ungeheuer aufgespart zu haben schien. Er war pathetisch, inspirirte sich durch Stellen ans Dante, ricirte das mosaische Gesetz und das Corpus Juris der Römer.

Noch mehr. Als er die Gedanken und Handlungen der Marquise verdrehte, ihre Absichten verdächtigte, den jungfräulichen Kranz, den sie zum Altar gebracht hatte, mit roher Hand entblätterte; als er ausführte, wie sie das Vertrauen des redlichsten, achtbarsten Mannes mißbraucht, seine Leichtgläubigkeit durch den Schein der Religiösität getäuscht, einen bis dahin hochgeachteten Namen dem allgemeinen Gespött preisgegeben; als er die für das Bedürfniß der Anklage erfundene Marquise von Escoman als eine Messaline darstellte, – da glaubte die Unglückliche zu träumen; die rauhe Stimme des Redners drang nur noch von Zeit zu Zeit an ihr Ohr wie eine Todtenglocke. Endlich wurde sie von krampfhaften Zuckungen befallen und sank bewußtlos nieder.

Susanne war längst nicht mehr an ihrer Seite. Sie hatte die Schmährede des Advocaten schon im Anfange unterbrochen, und trotz ihrer Betheuerungen, ihrer Bitten und Drohungen hatte sie der Präsident hinausführen lassen.

Louis von Fontanieu weinte. Mehr konnte er nicht thun, ohne die Unglückliche zu kompromittieren, und sein Advocat empfahl ihm sogar seine Thränen zu verbergen.

Die Abwesenheit der Angeklagten, welche fortgetragen wurde, nöthigte den Präsidenten die Gerichtsverhandlung zu unterbrechen.

Als Emma wieder zur Besinnung kam, fragte man sie, ob sie bereit sei wieder vor dem Tribunale zu erscheinen.

Sie antwortete nicht; ihr Stillschweigen wurde für Einwilligung genommen.

Die Natur hat den menschlichen Kräften, aber auch den Schmerzen Grenzen gesetzt. Wenn die Leiden einen gewissen Grad erreicht haben, wird der Mensch unempfindlich, er verliert das Bewußtsein dessen, was um ihn vorgeht, die Martern werden wirkungslos. Die Seele scheint die Kraft zu bekommen, sich eine Zeit lang ihren Peinigern zu entziehen und ihren armen Leib als Geißel zu lassen.

Emma weinte nicht mehr; sie war sich ihrer Lage nicht mehr klar bewußt, ihr Blick war starr, sie sah und hörte nichts.

Um ihr beizustehen, hatte man ihren Schleier aufgehoben; sie ließ ihn nicht wieder herab, als sie in den Gerichtssaal zurückkam.

Als sie wieder erschien, waren die bis dahin ziemlich theilnahmlosen Zuschauer höchst erstaunt über die Schönheit der Angeklagten, welche vorher mit Bewilligung des Präsidenten tief verschleiert gewesen war. Wir wissen, daß Emma weinen konnte, ohne häßlich zu werden; der Schmerz gab ihrem zarten Gesicht einen noch größern Reiz. Mitten in dem Gesumme, welches die wieder geweckte Neugierde machte, waren leise Aeußerungen des Mitleids zu vernehmen.

Die plastische Seite ist die, welche ihre Wirkung auf das menschliche Herz nicht verfehlt.

Emma hörte nicht was um sie vorging. Ihr Advocat, an dessen Arme sie eintrat, neigte sich zu ihr und flüsterte ihr zu:

»Fassen Sie Muth. Der Eifer hat unsern Gegner zu weit getrieben; er ist verloren. Ich sah ihn zu meiner großen Freude diesen unbesonnenen Ton anstimmen. Er hat Ihnen einen unendlich wichtigen Dienst erwiesen. Den Marquis von Escoman zum Cato stempeln zu wollen! Dem Wortschwall meines Gegners ist es nicht gelungen, ich habe es an dem spöttischen Lächeln unserer Richter wohl bemerkt. Wir haben ihre Meinung für uns. Und Sie, Madame, sind gerade zur rechten Zeit in Ohnmacht gefallen. Sehen Sie jetzt, mit welcher Theilnahme Sie vom Publikum aufgenommen werden. Ich bürge für das Gewinnen des Prozesses, und nicht allein dieses, sondern auch für den günstigen Ausgang des Civilprozesses, den wir anhängig machen werden. Ich kann Ihnen um so zuversichtlicher dafür bürgen, da ich mit meinem Collegen, der Herrn von Fontanieu vertheidigt, ein Uebereinkommen getroffen habe, welches meine Aufgabe sehr erleichtern wird. – Also fassen Sie Muth. In einer Stunde wird Ihre Freisprechung mit allgemeinem Jubel begrüßt werden.«

Der Advocat glaubte wirklich, seine Clientin spiele ihre Rolle, wie er die seinige spielte. Die Marquise verstand nur ein Wort von Allem was er ihr sagte: den Namen Fontanieu. Sie sah ihn an und fand die Kraft zu lächeln.

Der Vertheidiger der Marquise hatte in der That mit seinem Collegen einen Plan verabredet.

Die Angeklagte war in einem und demselben Zimmer mit Louis von Fontanieu betreten worden. Aber Susanne war anwesend, Fontanieu in seinen Reisekleidern gewesen. Dies war gewiß ein sehr mildernder Umstand.

Der Advocat des Marquis hatte überdies unterlassen, die Zeugen der Scene in der Carmeliterstraße vorladen zu lassen. Der Hauptzeuge wäre leicht als verdächtig zurückzuweisen gewesen und die Aussagen der übrigen hätten wohl die Marquise aus der Fassung bringen, aber die Richter gewiß nicht überzeugen können.

Louis von Fontanieu hatte kein Bedenken getragen, alle Folgen einer gehässigen oder lächerlichen Rolle auf sich zu nehmen, wenn die Marquise wo möglich dadurch gerettet werden konnte.

Sein Advocat, den er von seiner Absicht in Kenntniß gesetzt, hatte sich mir dem Vertheidiger der Marquise verständigt. Der letztere sollte auf das entschiedenste in Abrede stellen, daß zwischen Fontanieu und der Marquise ein anderes Verhältniß bestanden, als eine in den Formen der gebildeten Welt sich bewegende Freundschaft; Fontanieu habe aber diese Freundschaft aus Eitelkeit und Leichtsinn mißbraucht, um von der Angeklagten Beweise einer Liebe zu erhalten, welche sie ihm nie gestanden.

Die Marquise von Escoman blieb anfangs in ihrer Theilnahmlosigkeit. Ihr Vertheidiger wies die gegen seine Clientin geschleuderten Verleumdungen zurück; er stellte die Thatsachen und Verhältnisse der Wahrheit gemäß dar; dann wies er nach, wie weit der wirkliche Marquis von Escoman verschieden sei von dem Phantasiegebilde, welches aus dem Gehirn seines redegewandten Collegen wie Minerva aus dem Haupte Jupiters hervorgegangen sei. Er erzählte schonungslos alle Abenteuer, welche ihm Susanne mitgetheilt hatte. Er zählte seine gewissenlosen Streiche zusammen und zog die Bilanz seines Vermögens und seines Lebenswandels. Dagegen schilderte er die Marquise in ihrem ehrenhaften häuslichen Leben; er zeigte, wie sie von Allen, die sie kannten, bedauert und bewundert, den Lockungen der großen Welt widerstanden, alle frivolen Zerstreuungen verschmäht, wie sie nicht einmal im Umgange mit der Welt, sondern nur in der Religion und in der gewissenhaften Erfüllung ihrer Pflichten Trost gesucht.

Der Redner schilderte nun Louis von Fontanieu. Dieser habe das wüste Leben des Marquis mitgemacht; er habe eine Maitresse mit ihm gewechselt oder getheilt. Er habe entweder dem verderblichen Einfluß der Letzteren nachgegben, oder sich durch eine bei liederlichen Menschen sehr gewöhnliche Eitelkeit verleiten lassen, die Arglosigkeit der engelreinen, über jede unlautere Leidenschaft erhabenen Marquise zu mißbrauchen und einen mit teuflischer Bosheit angelegten Verführungsplan zu versuchen.

Sobald er von Fontanieu gesprochen hatte, war die Marquise aufmerksam geworden. Die Blässe des Gesichts war einer lebhaften Röthe gewichen. Sie sah bald ihren Vertheidiger, bald Fontanieu an; dem Einen schien sie Schweigen gebieten, dem Andern ihr Bedauern ausdrücken zu wollen.

Dieser Blick hätte den Entschluß Fontanieu’s fast erschüttert. Er fühlte, was sie leiden mußte, und fragte sich, ob das Gegenmittel nicht schlimmer als das Uebel sei. Um die Fassung nicht zu verlieren, schlug er die Augen nieder.

Diese Verlegenheit Fontanieu’s, der nun der Hauptangeklagte geworden war, glaubte der Advocat zu einer entscheidenden Redewendung benützen zu müssen.

»Schlagen Sie die Augen nieder,« rief er ihm zu, »vor den erzürnten Blicken der Anwesenden; beugen Sie das Haupt unter der Reue, die Sie erdrückt. Die Angeklagte hat Sie nicht geliebt; Sie haben ihre Freundschaft mißbraucht, um sie zu verrathen; Sie haben ein frevelhaftes Spiel getrieben mit einem bis dahin fleckenlosen Rufe; Sie sind aus alberner Eitelkeit zum Verleumder geworden. Die Gewissensbisse mögen Ihre Strafe sein; Sie werden es nie mehr wagen einem Ehrenmanne in die Augen zu sehen!«

Das war zu viel für Emma. Sie stand auf; ihre Augen funkelten, ihre Lippen bebten. Die vernichtenden Worte des Advocaten hatten sie ganz umgewandelt; ihre Schüchternheit war verschwunden.

»Sie lügen!« rief sie ihrem Vertheidiger zu. »Herr von Fontanieu hat mich nie betrogen, nie verleumdet. Er ist nie zum Verräther an mir geworden. Sie lügen! Ich liebe ihn!«

Und ehe es die Gendarmen hindern konnten, sank sie in Fontanieu’s Arme.

Wie der Advocat erwartet hatte, brachen die Zuhörer in lauten Beifall aus. Aber dieser allzudramatische Schluß der Verhandlung vereitelte seine Hoffnung auf gänzliche Freisprechung der Clientin. Der Gerichtshof verurtheilte die Marquise zu sechs Monaten und Louis von Fontanieu zu drei Monaten Gefängniß.

Zehntes Capitel.
Wo gezeigt wird, wie aus den am kürzesten abgemähten Wiesen das Gras am dichtesten nachwächst!

Nach der Gerichtsverhandlung wurde die Marquise Escoman von einem heftigen Fieber befallen.

Susanne pflegte sie mit derselben Sorgfalt wie früher. Trotz der Schmähungen, die sich die brave Frau gegen den Anwalt des Marquis erlaubt, hatte ihre schwärmerische Hingebung den Gerichtspräsidenten so tief gerührt, daß er ihr die Erlaubniß gegeben hatte, die Gefangenschaft ihrer Herrin zu theilen.

Die Krankheit hinderte Emma, zu tief über ihr Unglück nachzudenken; das was ihren Tod hätte herbeiführen können, rettete sie.

Als sie anfing zu genesen, zeigte sich ihr Alles in einem neuen Licht. Sie war in einer Welt eingeschlafen, und erwachte in einer andern. Die Vergangenheit erschien ihr wie ein in den Wolken am Horizont dämmerndes mattes Licht, die Zukunft wie ein hellstrahlender Leuchtthurm, dessen Licht ihr Herz erwärmte und dem sich alle ihre Gedanken und Wünsche zuwandten.

Die volksthümlich klingende Wahrheit, welche diesem Capitel als Titel dient, findet ihre Anwendung eben so wohl auf die Gefühle des Menschen, als auf die physischen Gesetze.

Die in das menschliche Herz gepflanzte Leidenschaft wächst und blüht und stirbt wie eine Pflanze.

Diese Veränderungen sind um so kürzer, je weniger die Pflanze beunruhigt wird. Im Schatten verkümmert sie; in zu üppigem Boden und zu süßer Ruhe bleibt sie unfruchtbar; wenn sie mit Füßen getreten wird, zieht sich die Lebenskraft in die Wurzeln und macht dieselben größer und kräftiger; die Millionen Fasern, aus denen die Wurzeln bestehen, verbreiten sich ringsum in dem Erdboden und treiben junge Schößlinge. Vergebens würde man alle Kräfte aufbieten, um das frühere Pflänzchen, aus welchem fast ein Baum geworden ist, auszureißen.

Eben so geht es im Seelenleben. Jedes Gefühl, das man zu ersticken sucht, wird unendlich gekräftigt und erweitert. Widerstand leisten, für eine Sache, für einen geliebten Gegenstand dulden, ist unter allen Vorrechten der Menschheit das kostbarste, das sie am wesentlichsten von den übrigen Geschöpfen unterscheidet.

Man fühlt mit Stolz, daß keine Verfolgung, keine Mißhandlung im Stande ist, den hohen Sinn zu beugen. Wie schwach der Mensch auch sei, der göttliche Hauch, der ihn berührt, gibt ihm eine Widerstandskraft, die ihn in seinen eigenen Augen wenigstens zum Märtyrer macht.

Wenn man zuweilen das Opfer bereut, so ist dies erst, der Fall, nachdem es vollbracht ist; bis dahin beklagt man sich über die Härte des Opfers nicht mehr, als das Rennpferd über den Sporn, der ihm die Seiten blutig rißt und es zu rascherem Lauf antreibt.

Die Marquise von Escoman klagte selbst bei ruhigem Nachdenken, wo ihr Alles, was sie verloren, klar vor der Seele stand, weder ihre Liebe noch Louis von Fontanieu an. Sie fühlte sich durch ihre Leiden so gehoben, daß es ihr unmöglich schien, sich über dieselben zu beklagen. Sie fühlte eine gewisse Freude bei dem Gedanken an die Opfer, welche sie Beide für einander gebracht hatten. Zuweilen fragte sie sich, ob es nicht besser sei, wenn sie noch schwerer geprüft worden wäre.

Doch diese Rückblicke in die Vergangenheit trübten nur selten ihre Ruhe; sie lebte ganz in der Zukunft.

Sie dachte nicht mehr an die vornehme Welt. Die Meinung der Welt hat einige Aehnlichkeit mit der Unterschrift eines Banquiers, welche nur für die Besitzer seiner Wechsel einen Werth hat, oder mit einem Raritätencabinet, welches außer den Sammlern Jedermann zum Fenster hinauswerfen würde. Die Welt bestand für sie fortan nur aus Louis von Fontanieu und Susanne.

Sie schuf sich ein wunderbar reizendes Bild von dem Glücke zweier Wesen, die durch gegenseitige Liebe vereinigt wurden, und dieser Wonnetraum, den sie als Mädchen geträumt hatte, schien ihr einen Vorgeschmack des Paradieses geben zu müssen.

Sie bot ihre ganze Geisteskraft auf, um eine Ecke des Vorhanges aufzuheben, der diese lachende Zukunft ihren Blicken entzog, um nur einen verstohlenen Blick in dieselbe zu werfen.

Wenn es ihr gelang, erschien ihr diese Zukunft herrlich. Was man aus der Ferne sieht, ist ja immer schön.

Die Stunden der Haft schienen ihr nur deshalb lang, weil sie noch von einem Glücke getrennt war, welches sie als den gerechten Lohn ihrer Leiden betrachtete. Sie langweilte sich in ihrer Verpuppung, weil sie gern ein Schmetterling werden, ihre Flügel regen und frei in der schönen lauen Himmelsluft umherflattern wollte.

Sie mußte zuweilen freilich ihrer Phantasie Zügel anlegen. Nach dem Criminalprozeß kam die von dem Marquis Escoman anhängig gemachte Scheidungsklage, und die Advocaten verlangten häufige Besprechungen mit der Marquise.

Susanne wollte nicht das mindeste Zugeständniß machen. Sie würde lieber dreißig Jahre prozessirt haben, ehe sie einen Strohhalm abgetreten hätte. Daher hatte sie sich sehr bald mit der Advocatenzunft wieder ausgesöhnt; die Spitzfindigkeiten und Ränke paßten ganz zu ihrer Stimmung. Sie hatte sich sogar die damals noch übliche barbarische Gerichtssprache mit wunderbarer Leichtigkeit angeeignet. Wenn die Marquise, nachdem sie ihre Advocaten entlassen, Ruhe zu haben glaubte, so begann Susanne ihr Gesalbader von Untersuchung, Gegenuntersuchung, Actenvorlage, Einreden, interlocutorischen Bescheiden und Subhaftationen. Und um diesem Redeschwall zu entgehen, blieb der Marquise nichts übrig, als sich krank zu stellen und die Augen zu schließen.

Die guten Absichten Susannens trugen zur Beschleunigung eines von der Marquise Escoman lange gewünschten Ergebnisses bei.

Mancherlei Rücksichten hatten sie bewogen, diesen Plan zu entwerfen.

Sie wußte, daß die Scheidung nur der Vorwand war, hinter welchem der Marquis seine Absichten verbarg, daß er den Zweck hatte, wenigstens einen Theil des Vermögens seiner Frau an sich zu ziehen. Emma sah mit Beschämung, daß sich die großen Fragen der socialen Rechte und Pflichten um solche Erbärmlichkeiten drehten, und sie konnte sich nicht entschließen, den Advocaten auf diesem schlüpfrigen Boden zu folgen. Da sie mit der Gesellschaft gebrochen, hatte, glaubte sie nicht das Recht zu haben zu behalten, was sie von ihr bekommen hatte. Sie hielt es für ungerecht, dem Marquis das Vermögen vorzuenthalten, welches ihn bewogen hatte, ihr seinen Namen zu geben; hing doch die Scheidung im Grunde von ihrem Willen ab. Wenn sie wieder frei würde, so war es, wie sie meinte, ganz natürlich, ihr Vermögen als Lösegeld zurückzulassen.

Noch ein anderer Ideengang hatte einen großen Einfluß auf die Stimmung der Marquise.

Sie besaß das übergroße Zartgefühl jugendlicher Gemüther, die in der Einsamkeit von jeder Berührung mit der frivolen Welt frei geblieben sind. Sie dachte mit Widerwillen an ihr Vermögen, weil sie wußte, daß Louis von Fontanieu arm war; weil es ihr schien, sie sei als reiche Erbin ein Hinderniß einer völligen, unbedingten Vereinigung, die in Zukunft in den äußeren Verhältnissen wie im Herzen stattfinden sollte.

Waren sie Beide arm, so müßten sie sich, wie sie meinte, inniger lieben; konnte doch Keines von Beiden in den Verdacht eigennütziger oder selbstsüchtiger Absichten kommen. Diese Armuth schien überdies ihm und ihr die Arbeit zur Pflicht zu machen, und die Arbeit allein konnte ihre beiderseitige Zukunft sichern.

Während also Susanne mit Wohlgefallen die wahrscheinliche Summe des zu rettenden Vermögens der Marquise an den Fingern zusammenzählte, ohne zu bedenken, daß der Ruin des sogenannten Marquis – wie sie ihn nannte – ihre Berechnungen sehr gewagt machte, schrieb Emma ohne ihr Wissen an den ihr Interesse vertretenden Advocaten, daß sie der gegen sie erhobenen Forderung nicht entgegentreten wolle, daß sie vielmehr geneigt sei, dem Marquis von Escoman den ausschließlichen Fruchtgenuß ihres Vermögens zu überlassen. Sie drückte ihren Entschluß so bestimmt aus, daß man gar keinen Versuch machte, denselben zu erschüttern.

Der Marquis war erstaunt über diesen Entschluß; aber er wußte die Gefühle, aus denen derselbe hervorgegangen war, nicht zu würdigen. Er ließ der Marquise eine Leibrente anbieten, die sie jedoch ablehnte; und ohne sich weiter den Kopf zu zerbrechen, freute er sich, unter einem so glücklichen Stern geboren zu sein.

Als dieser letzte Ring der Kette, welche Emma noch an die Vergangenheit fesselte, gebrochen war, athmete sie noch freier als bis dahin.

Die Zukunft erschien ihr in freundlicheren Farben, sie harrte mit Sehnsucht dem glücklichen Tage entgegen, an welchem sich ihr, mit den Thüren des Gefängnisses, ein neuer Gesichtskreis eröffnen würde.

Für Louis von Fontanieu entstanden größere Schwierigkeiten.

Die »Galanterie« wurzelt tief in den französischen Sitten. Jeder Franzose wird bei seiner Geburt in das Hauptbuch dieser modernen Liebespriesterin eingetragen. In Frankreich wird man als Weiberheld geboren, wie man in Deutschland als Denker, in England als Hypochonder, am Zuydersee als Phlegmatiker geboren wird. Das Gesetz bat sich daher wenigstens einmal einen Uebergriff erlaubt, als es die anziehendste Beschäftigung der unermeßlichen Mehrheit des französischen Volkes verpönte und eine Strafe auf das setzte, was man mit den ausgezeichnetsten Eigenschaften großer Männer auf gleiche Stufe stellt.

Das Gesetzbuch ist hart gegen das weibliche Geschlecht; aber dem Manne gegenüber, der strenger bestraft werden sollte, vermag es weniger als die Unsitte; es züchtigt ihn, und in den Händen des Gesetzes verwandeln sich die Ruthen, mit denen er gegeißelt wird, in Rosen ohne Dornen; es meint ihn an den Pranger zu stellen, aber der Leichtsinn und das hartnäckige, die Tugend verhöhnende Vorurtheil der Menge will darin nur ein Postament sehen, auf welches man ihn stellt, um ihn bewundern zu lassen.

Wie streng auch ein Familienvater in seinen Grundsätzen sei, so lange als die kleinen Sünden seines Sohnes in den Grenzen des Anstandes bleiben und weder sein Vermögen noch seine Gesundheit zu Grunde richten, wird der brave Mann seinem Sprößlinge nicht den Text lesen, ohne daß ein sarkastischer Zug aus dem Munde seine Strafpredigt Lügen straft und die Wirkung derselben aushebt. Er erfüllt eben nur eine Pflicht; aber die Hoffnung der Nation protestirt gegen die Strafpredigt.

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Litres'teki yayın tarihi:
30 kasım 2019
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410 s. 1 illüstrasyon
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