Kitabı oku: «Olympia von Clèves», sayfa 41
»Ah! ja wohl, ihr Heil! Sie werden es sehen. Nach Verlauf von drei bis vier Tagen scheint der hübsche Junge geheime Geschäfte gehabt zu haben, welche die Gegenwart eines Dritten nicht gestatteten, denn er verließ sie, nachdem er mit ihr fünf bis sechs Louis d'or geheilt hatte, die ihm mit ihrer Hilfe wieder zu erwischen gelungen war. Marion, welche allein blieb und nicht wusste, was aus ihr werden sollte, schlug aus das Geratewohl den ersten den besten Weg ein und fiel In die Hände von la Torra, der auf sie lauerte; es gab Streit, Erklärungen, Beleidigungen. Statt Alles zu leugnen, gestand sie Alles, sie rühmte sich sogar mit Allem, so daß in einem Augenblick des Zorns la Torra dieses arme Mädchen mit einem gewaltigen Degenstich ins Herz tödtete.«
»Oh! der abscheuliche Schurke!« rief Champmeslé«
»Und wie wurde die Sache ruchbar?«
»Oh! ganz einfach. Marion lebte lange genug, um sie zu erzählen. Man verhaftete den Marquis mit einem seiner Genossen, der bei dem Morde zugegen gewesen; der Genosse war ein einfacher Bauernkerl. Er wurde in Lyon gerädert. La Torra aber, den man für einen Narren erklärte, wurde hierher gebracht und doppelt eingeschlossen.«
Champmeslé neigte den Kopf gegen la Torrn, der, als er sah, daß man sich mit ihm beschäftigte, die Zähne fletschte und eine Bewegung der Wut machte.
»Schauen Sie,« sagte der Director, »schauen Sie den Unglücklichen an; hat er ein böses Auge! Nach reiflicher Überlegung ist er es, den ich in No. 9 der unterirdischen Zellen hinabbringen lassen werde, statt des No. 7.
»Und nun, da ich Ihnen gesagt habe, was Sie zu wissen wünschten, Gott besohlen, Herr Abbé. Sie sind über diesen wenigstens eben so gut unterrichtet, als ich. Gott befohlen, Herr Abbé. Werden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu Mittag zu speisen?«
Und ohne nur die Antwort des Abbé abzuwarten, entfernte sich der Director.
LXXII.
Der Liebesnarr
Champmeslé, als er allein war, betrachtete zum letzten Mal den Marquis de la Torra, der, in die Ecke seines Behältnisses gekauert einen wilden, hinterhältigen Blick nach dem Hofe richtete.
Er fand, es müsse eine grässliche Qual sein, die Qual dieses Menschen, der, immer allein, immer als Narr behandelt, mit der Erinnerung an sein Verbrechen, ohne Vorwurf, aber auch ohne Trost lebe.
Champmeslé nahm sich vor, von Gott mit diesem Elenden, von der Hoffnung mit diesem Verzweifelten zu sprechen.
Und um seine Funktionen als Geistlicher gut zu beginnen, näherte er sich dem Gitter.
Ein Wörter, der an einer parallelen Zelle lehnte, schaute ihm mit Teilnahme zu, wachte über ihm und hielt sich bereit, ihn im Notfall zu verteidigen.
»Mein Freund,« sagte Champmeslé zum Mörder der armen Marion, »Ich bin der Geistliche des Hauses. Sind Sie reumütig genug, um mit Aufmerksamkeit die Worte zu hören, die ich Ihnen bringe?«
Doch statt zu antworten, wandte sich la Torra gegen die Mauer um und versenkte sich in eine stumme Unbeweglichkeit.
Champmeslé versuchte es, diese in ihre Verzweiflung begrabene Seele aufzuwecken, doch es gelang ihm nicht.
Er rief den Wärter und sagte zu ihm:
»Ich glaube, daß mit diesem heute nichts zu machen ist.«
»Ach! Herr Abbé,« erwiderte der Wärter, »weder heute, noch morgen.«
»Wer Ist der Narr von No. 7, sein Nachbar?« fragte Champmeslé.'
»Ah! dieser, das ist etwas Anderes: es ist ein Liebesnarr, Herr Abbé, ein sehr geräuschvoller Narr, der den ganzen Tag und sogar die ganze Nacht nicht aufhört, Verwünschungen gegen die Treulose zu brüllen, die ihn verraten habe.«
»Wahrhaftig? der arme Junge!«
»Es scheint, er liebte Eine Namens Junia; denn als ihn die Schützen Im Vorhause der Comédie-Francaise, wo er mit Gewalt eindringen wollte, verhafteten, wiederholte er diesen Namen mit aller Wut: wenigstens haben die Schützen dies erklärt.«.
»Ist er bösartig?«
»Man weiß es nicht, Herr Abbé.«
»Wie! man weiß es nicht?«
»Nein, denn er tut Niemand etwas zu Leide, als sich selbst. Nur schreit er unablässig.«
»Und was schreit er denn?«
»Oh! mein Gott, was diejenigen schreien, welche mit der schlimmsten von allen Narrheiten behaftet sind.«
»Mit welcher?«
»Diejenigen, welche glauben, sie seien keine Narren, weil sie lichte Augenblicke haben.«
»Gut!« sagte Champmeslé, »ich will mit ihm sprechen, um ihn zu ermahnen, sich ruhig zu verhalten, und damit der Director sein Vorhaben, ihn in die unterirdischen Löcher zu stecken, nicht ausführt.«
»Thun Sie das,« erwiderte der Wärter; »ich glaube, daß Sie von diesem nicht viel zu befürchten haben.»
Champmeslé näherte sich wirklich dem Gitter und sah einen jungen Mann, der, den oberen Teil des Gesichts mit seinen langen Haaren und den unteren mit einem blonden Barte bedeckt, in einer Ecke seines Käfigs saß, die Sonne suchte und glücklich mit seinen Gedanken, mit seinem Strahle und mit seiner Einsamkeit zu sein schien.
Er lächelte, er hatte das Auge gesenkt, er rollte zwischen seinen Fingern ein Strohhälmchen, in dessen Ende er zuweilen mit schönen weißen Zähnen biss.
Champmeslé betrachtete einen Augenblick dieses Gesicht, das ihm eben so edel, als rührend dünkte, und übersetzte den Eindruck, den er empfand, durch die drei Worte:
»Ah! armer Junge!«
Sogleich öffneten sich die Augen des Narren. Er heftete sie aus den Geistlichen, der seinerseits mit einer christlichen Rührung den so bleichen Unglücklichen anschaute.
»Ah! mein Gott!« rief der Narr, indem er nur einen Sprung von dem Schemel, auf dem er saß, zu dem Gitter seines Käfigs machte.
Der Wärter wich rasch zurück und zog den Abbé mit sich.
»Was denn?« fragte dieser, der sich rückwärts ziehen ließ und fortwährend den Narren betrachtete.
»Er, Abbé!« rief der Gefangene, während er sich an seine Gitterstangen hing.
»Nun wohl, ja, ich bin Abbé.«
»Was! Herr von Champmeslé, Sie sind es!«
»Wie, er kennt mich!«
»Herr von Champmeslé! Herr von Champmeslé!« rief der Narr.
»Mein Freund?«
»Der Himmel schickt Sie.«
»Ich wünsche es.«
»Erkennen Sie mich denn nicht wieder?«
»Ach! nein.«
Der Gefangene strich seine Haare aus dem Gesicht.
»Ich bin Banniére,« sagte er.
»Wie! der kleine, Noviz der Jesuiten?«
»Ja.«
»Banniére, der den Herodes gespielt hat?«
»Ja.«
»Der Liebhaber von Fräulein von Clèves?«
»Ja! oh! Ja!« rief Banniére mit einer grässlichen Verzweiflung. »Oh! ja, ich war es!«
Und er rang krampfhaft die Hände und brach in ein Schluchzen aus.
»Mein Freund,« rief Champmeslé dem Wärter zu, »ich bitte, öffnen Sie mir rasch die Zelle dieses armen jungen Mannes.«
»Aber, Herr Abbé, er wird Sie schlagen!«
»Oh! nein! nein! der Herr Abbé weiß wohl, daß ich dies nicht tue,« sagte Banniére mit allen Schmeicheltönen, die er seiner Stimme geben konnte.
»Öffnen Sie doch,« rief Champmeslé.
»Ja, ja, öffnen Sie,« flehte Banniére, »öffnen Sie dem Herrn Abbé, mein Freund; und Sie, Herr Abbé, oh! Sie sollen sehen; Sie sollen sehen, wie ich Sie lieben werde.«
»Ja, er wird Sie lieben, wie meine Katze die Mäuse liebt, das heißt, er wird Sie fressen.«
»Das ist meine Sache,« entgegnete Champmeslé; »öffnen Sie.«
»Sie befehlen es, Herr Abbé?«
»Sie werden erklären, Sie haben es verlangt, daß ich die Thür seiner Zelle öffne?«
»Ich werde es erklären, doch öffnen Sie.«
»Ich muss Ihnen gehorchen und werde Ihnen gewiß gehorchen, wenn Sie mir aber glauben wollen, nehmen Sie meinen Stock.«
Und er öffnete, doch nicht ohne Champmeslé bei jeder Drehung, die der Schlüssel im Schloss machte, angeschaut zu haben.
Champmeslé eilte in die Zelle, und Banniére sagte mit der höchsten Zartheit:
»Oh! wenn ich Sie nicht zu erschrecken befürchtete, wenn ich Sie nicht zu beschmutzen befürchtete, oh! mein lieber Herr von Champmeslé, wie würde ich Sie umarmen!«
Der würdige Geistliche warf sich in die Arme, des Narren, und das war ein Schauspiel, für das viele Neugierige seinen Preis bezahlt hätten.
»Setzen Sie sich aus meinen Schemel, Herr von Champmeslé,« sagte Banniére, »setzen Sie sich, und seien Sie ohne Furcht. Oh! lassen Sie uns mit einander reden; ich habe Ihnen so viele Dinge zu sagen!«
»Ja,« erwiderte Champmeslé mit einem liebreichen Lächeln: »lassen Sie uns mit einander reden, aber vernünftig reden.«
»Ei! glauben Sie denn, Ich sei nicht vernünftig?« versetzte Banniére.
»Nehmen Sie sich in Acht!« sagte der Wärter; »seine Narrheit packt ihn wieder.«
Champmeslé schaute rings umher, dann kehrte er zu Banniére zurück mit einem leichten Achselzucken, welches sagen wollte:
»Ach! wenn Sie vernünftig wären, wären Sie dann hier?«
»Ich verstehe Sie,« sprach traurig der junge Mann, »und das ist ganz einfach, denn Sie sind gegen mich eingenommen; doch wenn Sie mich anhören, werden Sie wohl sehen, ob ich ein Narr bin.«
»Nun wohl,« erwiderte Champmeslé, »wenn Sie kein Narr sind, so erzählen Sie mir, durch welche seltsame Verkettung von Umständen Sie nach Charenton kamen.«
»Entfernen Sie diesen Mann.«
Champmeslé winkte, ohne zu zögern, dem Wärter, und dieser entfernte sich aus dem Bereiche der Stimme.
Da entrollte ihm Banniére seine schmerzliche Geschichte, von dem Abend an, wo er seinen Platz eingenommen und Herodes gespielt hatte.
Er erzählte ihm seine Flucht mit Olympia, welche der Graf von Mailly verlassen, ihren Aufenthalt In Lyon und seine Verhaftung in dieser Stadt aus Requisition der Jesuiten, aus deren Haus er entflohen war. Er teilte ihm über die Folgen dieser letzten Tatsache einige Einzelheiten mit, die wir summarisch wiedergeben zu müssen glauben.
An demselben Tage, wo ihn Olympia im Gefängnis; besucht und ihn verlassen hatte, nachdem sie ihn bewogen, um sich den Verfolgungen der Jesuiten zu entziehen, bei dem Dragonerregimente des Herrn Grafen von Mailly einzutreten, dessen Depot gerade in Lyon war, an demselben Tage, als Olympia, welche sogleich mit dem Grafen abgereist war, um sich nach Paris zu begeben, wohin sie ein Debütbefehl für die Comédie-Francaise rief, Entfernung genug zwischen sich und denjenigen, welchen sie verließ, gelegt zu haben glaubte, an diesem Tage, sagen wir, wurde Banniére wieder in Freiheit gesetzt.
Der erste Gebrauch, den er von seiner Freiheit machte, war, daß er nach dem Hause von Olympia lief. Er erlangte hier die Gewissheit von ihrer Abreise und fand einen Abschiedsbrief. Olympia hinterließ ihm ein Summe im Betrage der Hälfte des Gehaltes, den sie mit einander beim Theater von Lyon verdient hatten; sie verbot ihm, je an sie zu denken, und verlangte von ihm als einzigen Gefallen, daß er den Händen der Catalane den Ring entziehe, den er ohne ihr Wissen an den Juden Jacob in Folge seiner Verluste im Spielt verkauft hatte, und von dem sie glaubte, er sei dieser Frau von ihrem ungetreuen Liebhaber geschenkt worden.
Banniére lief zu der Catalane und fand sie in der Gesellschaft der Coiffeuse. Die zwei Megären waren eben im Zuge, sich zu streiten, sich zu schmähen und sogar sich zu schlagen wegen der Teilung der Summen, die sie durch ihre Betrügereien der Leichtgläubigkeit des Abbé ausgepresst hatten. Banniére erfuhr von ihnen, der galante Abbé, der sich immer noch durch ihre Mystifikation bethören ließ, setze der Flüchtigen nach. Banniére kaufte der Catalane für hundert Louis d'or den Ring wieder ab, den er Olympia entwendet, um mit dem Preise zu spielen, den hernach der Abbé vom Juden gekauft und der Catalane im Glauben gegeben, er mache damit Olympia ein Geschenk. Durch Drohung brachte es endlich Banniére dahin, daß die zwei Genossinnen schriftlich bezeugten, auf welche Art der Ring in ihre Hände gekommen war.
Zwei Werber des Dragonerregiments erwarteten ihn vor der Thür der Catalane. Banniére wurde von ihnen in die Kaserne des Regiments geführt, dem er fortan angehörte. Man kleidete ihn in eine Uniform, man hing ihm einen Säbel an die Seite, man schob ihm ein Pferd zwischen die Beine und überließ Ihn den Instruktoren.
Banniére benutzte an demselben Abend einen günstigen Augenblick, entfernte sich aus der Reitschule, ohne daß man seine Absicht vermutete, erreichte das freie Feld und verfolgte Olympia aus der Landstraße von Lyon nach Paris, wo wir ihn im zweiten Bande haben galoppieren sehen.
Der Erzähler setzte die Geschichte der Abenteuer, welche aus seine Desertion folgten, bis zu dem Tage fort, wo er unter dem Vestibül der Comédie-Francaise verhaftet wurde. Er erzählte Alles mit so viel Schärfe, Nachdruck und Maßhaltung, daß Champmeslé, als er sein letztes Wort gesprochen, ausrief:
»Dieser Mensch ist eben so wenig ein Narr, als ich.«
»Oh! nicht wahr, Herr von Champmeslé, nicht wahr, ich bin kein Narr?« rief Banniére.
»Ich würde darauf schwören! ich würde mich dafür verbürgen!«
»Gut!« sprach Banniére, »Gott schickt mir das, um was ich ihn, seitdem ich hier bin, gebeten habe: einen unparteiischen Mann, der mich anhört und beurteilt. Ich verlangte von Gott nur einen Fremden, und Gott schickt mir einen Freund.«
»Oh! ja, mein lieber Banniére, einen wahren Freund.«
»Doch nun sprechen Sie,« sagte Banniére, »wie kommen Sie hierher, und wie sind Sie unter diesem Kleide?«
»Der Beruf, mein lieber Herr.«
»Oh! mein Gott, ja, ein Beruf in verkehrter Richtung des meinigen!« sagte schwermütig lächelnd der arme Banniére.
»Ganz richtig. Wie Sie meinen Platz und meine Kleidung im Theater genommen hoben, so habe ich Ihren Platz und Ihre Kleidung im Kloster genommen.«
»In dem Kloster, das ich verließ?«
»In dem Kloster, das Sie verließen, und ich bin der Günstling des ehrwürdigen Pater Provisor geworden.«
»Ah! mein lieber Herr,« versetzte Banniére, »das ist gerade das Gegenteil von mir.«
»Und da ich nur das Theater zu verlassen verlangte, da mein Verzichten aus diese verfluchte Kunst ein großer Triumph für die Religion war, so hat man mich unterrichtet, man hat mich aufgenommen, man hat mir fortgeholfen, man hat mir einen Platz gegeben.«
»Ach! ein trauriger Posten,, mein lieber Abbé.«
»Ja, Sie haben Recht, ich weiß es; er wird als der traurigste von allen betrachtet; Niemand wollte ihn; ich habe mich darum beworben und ihn erhalten.«
»Wäre ich nicht minder glücklich, so würde ich Ihnen sagen: Sie haben sehr Unrecht, mein lieber Abbé.«
»Ich hatte so viel zu sühnen, mein Bruder,« sprach mit Salbung Champmeslé, »ich war zu mehr als drei Vierteln verdammt.«
»Teufel!« rief Banniére, »nach dieser Rechnung wäre ich also ganz verdammt?«
»Ei! ei!« machte Champmeslé.
»Aber,« fuhr Banniére fort, indem er die Augen zum Himmel ausschlug, »ich hoffe Besseres von Gott; er hat mich in diesem Leben zu viel leiden lassen, um nach meinem Tode fortzufahren.«
»Beklagen Sie sich nicht über Gott, mein lieber Bruder,« sprach Champmeslé, glücklich, eine Predigt zu beginnen.
»Ich beklage mich nicht mehr über ihn, seitdem ich Sie wiedergefunden, lieber Abbé,« antwortete mit sanftem Tone Banniére.
»Gott prüft Sie, mein Sohn.«
»Grausam.«
»Gott hat seine Absicht.«
»In welcher Absicht sollte Gott einen armen Teufel leiden lassen?«
»Um zu machen, daß Sie eine strafbare Liebe vergessen.«
»Welche Liebe?«
»Die Liebe, die Sie für Olympia haben.«
»Die Liebe, die ich für Olympia habe? Sie nennen meine Liebe für Olympia eine strafbare Liebe? Ich! diese Liebe vergessen! Müsste ich Gefangener bleiben, müsste ich mein ganzes Leben für einen Narren gelten, müsste ich auf immer Gefangener sein, geschlagen, gepeitscht, gemartert werden, wie man die Unglücklichen, deren Geschrei ich höre, schlägt, peitscht, martert, nie werde ich aus meine Liebe für Olympia verzichten; eher den Tod, eher die Verdammnis!«
»Stille, stille, mein Bruder!« rief Champmeslé, »Sie faseln; man wird sagen, Sie seien ein Narr.«
»Das ist wahr,« sprach Banniére traurig, »doch was wollen Sie, Herr Abbé, ich liebe diese Frau so sehr, daß nichts machen wird, daß ich sie vergesse. . .«
»Nicht einmal Gott?«
»Nicht einmal sie.«
»Aber mir scheint, Ihr Unglück, mein lieber Banniére, Sie haben es ihr zu verdanken.«
»Ja, allerdings, ihr verdanke ich es; ja, sie hat mich verraten, ja, sie hat mich vergessen; ja, vielleicht, um sich meiner zu entledigen, hat sie darum nachgesucht, daß man mich ins Gefängnis sperrte; nun denn! diese Frau, so, wie sie ist, segne ich sie; so, wie sie ist, liebe ich sie. Oh! wenn nur Sie, der Sie sie kennen, mir Nachricht von ihr geben könnten?«
»Ich komme so eben von Lyon an,« erwiderte Champmeslé.
»Und dann,« fügte Banniére mit einem Seufzer, als ob ihm eine letzte Hoffnung entginge, bei, »und dann haben Sie mit dem Theater gebrochen.«
»Oh! mein Gott, ja, und dennoch habe ich Bekannte dabei, mit denen ich Umgang pflege, um es zu versuchen, sie zu Gott zurückzuführen.«
»Sie werden Mühe haben,« sagte Banniére den Kopf schüttelnd.
»Ich hoffe, es werden nicht Alle in Olympia verliebt sein. Und dann,« fügte Champmeslé bei, indem er sich Banniére näherte, als wollte er ihm ein Geheimnis anvertrauen, »ich habe einen Plan.«
»Welchen?«
»Ich werde sie beim weltlichen Interesse fassen, um sie unmerklich zum himmlischen zu führen.«
»Ah!« machte Banniére erstaunt.
»Hören Sie, was ich tun werde,« sprach Champmeslé, glücklich, so neu er im Orden war, eine Theorie des Seelenheils auseinandersetzen zu können. »Ich habe zum Freunde, ich darf es wohl sagen, ob, gleich dieser Freund Herzog und Pair ist, einen Kapitän der Garden Seiner Majestät, welcher als Kammerherr unumschränkte Gewalt über die Schauspieler hat.«
»Oh! das ist eine schöne Bekanntschaft, mein lieber Abbé! ein Mann, der debütieren machen, der die Engagements unterzeichnen lassen kann, ein Mann, der die Rollen austeilt! Ah! ich wiederhole, Sie haben da eine schöne Bekanntschaft! Wie glücklich sind Sie!«
«Nehmen Sie sich in Acht,« sagte Champmeslé lächelnd, »ich werde Sie wieder einen Narren nennen.«
»Fahren Sie fort, fahren Sie fort.«
»Wobei war ich?«
»Sie sagten, Sie werden die Schauspieler bei den weltlichen Interessen fassen, um sie zu Gott zurückzuführen.«
»So ist es.«
»Ich begreife, Sie wollen Ihnen schöne Rollen geben lassen, und aus Dankbarkeit werden sie gottesfürchtig werden. Nun! ich gestehe, ich liebe diese Berechnung nicht, und, mehr noch. Ich gestehe, ich zähle nicht darauf.«
»Aber hören Sie mich doch an, ewiger Sprecher,« sagte Champmeslé, den ersten Halt benützend, den die Zunge von Banniére machte, um in seine Reihe zu treten und sein Mittel anzubringen. Nein, das ist nicht mein Plan: ich kenne hierfür die Schauspieler zu genau; ihnen Rollen geben, ah ja wohl! im Gegenteil, ich werde ihnen diejenigen verleiden, welche sie haben, ich werde sie ihnen abnehmen lassen, ich werde ihnen das Theater zu einem Orte der Qualen machen, und wenn sie recht müde sind, werde ich meinen Freund, den Herzog und Pair, bitten, ihnen eine kleine Pension in einem guten, frommen Ordenshause auszusetzen.«
»Ah gut! das Ist eine Idee!« rief Banniére, der seine eigene Lage vergaß, um sich zum Advokaten von derjenigen zu machen, welche Champmeslé im Geiste verfolgte. »Woher des Teufels nehmen Sie denn dergleichen Ideen, mein lieber Abbé? Wie! Sie würden einen solchen Kummer denjenigen bereiten, für welche Sie sich interessieren? Zum Henker mit Ihren Protectionen! Ihre Feindschaft wäre mir lieber.«
»Undankbarer!« rief Champmeslé.
»Also, zum Beispiel,« fuhr Banniére fort, der auf einem Umwege zu dem Hoffnungsgedanken zurückkam, welcher ihn, seitdem er Champmeslé wiedergefunden, nicht verlassen hatte, »also nicht wahr, Sie sind überzeugt, daß ich kein Narr bin? Denn nun, da ich es über mich vermocht habe, eine halbe Stunde mit Ihnen zu plaudern, ohne von mir zu sprechen, sind Sie wohl überzeugt, daß ich kein Narr bin?«
»Ich bin davon überzeugt.«
»Also, mit Ihren Ideen vom Seelenheil, bei Ihrem Wunsche, alle Welt das Theater verlassen zu machen, würden Sie mich lieber ungerecht hier eingesperrt, als zum Theater zurückkehren sehen?«
«Bei meiner Treue! ich möchte beinahe ja sagen.«
»Sprechen Sie Im Ernste?«
»Ja.«
»Ah! Nehmen Sie sich in Acht!« sagte der Gefangene mit einem Blicke und mit einem Ausdruck, der den Director und die Wärter in die Flucht geschlagen und selbst den berüchtigten Martin zurückweichen gemacht hätte. »Nehmen Sie sich in Acht, hier wohnt die Verzweiflung, und die Verzweiflung ist eine schlechte Ratgeberin, Herr von Champmeslé! Hier, hinter diesen Gittern, stirbt man jeden Augenblick des Tages, so daß Einer, der wüsste, daß er ewig hier bleiben sollte, wie ich seit zwei Wochen hier bin, Sparsamkeit hätte. wenn er sich die Hirnschale mit einem Schlage aus diesen steinernen Platten zerschmettern würde.«
Und Banniére machte eine schlimme Bewegung.
Champmeslé stürzte sich auf ihn und nahm ihn mit einem Ergüsse wirklicher Zärtlichkeit in seine Arme.
»Ihr Heil, mein Bruder!« rief er.
»Oh! sprechen Sie nicht von meinem Heilei« sagte Banniére mit Begeisterung; »mein Heil ist meine Liebe.«
»Doch diese Frau hat Sie betrogen! sie hat Sie um eines Andern willen verlassen!«
»Ei! hatte sie diesen Andern nicht mir zu Liebe verlassen?«
»Mein Bruder, mein Bruder!«
»Was wollen Sie von mir?«
»Ich will Ihnen sagen, daß dies tolle Hoffnungen, sophistische Räsonnements sind.«
»Es ist Alles, was Sie wollen, Herr Abbé, doch es ist so.«
»Ah!« sagte Champmeslé, »ich fange an zu begreifen, daß man Sie für einen Narren hat erklären lassen.«
»Und überzeugt, daß ich es nicht bin,« erwiderte Banniére, »würden Sie dazu beitragen, mich hier alle dem Wahnsinn vorbehaltene Qualen erdulden zu lassen! Das wäre wenig christlich, Herr von Champmeslé, mein Kamerad beim Theater von Avignon, mein Stellvertreter im Jesuitenkloster.«
»Ah! Ah! ärgern wir uns nicht!« erwiderte der gute Abbé empfindlich für diesen Vorwurf. »Ach! ich bin schwach, und wenn Sie so mit mir im Namen der Menschlichkeit sprechen, so führen Sie mich zu den Ideen dieser verkehrten Welt zurück; ich fühle mich gerührt.«
»Oh! wenn Sie es nicht wären,« rief Banniére, »Sie müssten von Stein sein, denn Sie sehen, ich, seitdem Sie da sind, seitdem ich Sie wiedererkannt, habe eine gewaltige Anstrengung gegen mich selbst gemacht.«
»Welche?«
»Ah! glauben Sie denn, Ich habe etwas Anderes im Kopfe, als den Wunsch, von hier wegzukommen? Ich habe etwas Anderes im Munde, als diese Bitte? Sie werden mich hierbei unterstützen, nicht wahr?«
»Wie soll ich Sie hiebe! unterstützen, mein Kind?«
»Sagen Sie mir, nun, da ich sehr vernünftig mit Ihnen gesprochen, sehr klar und entschieden aus alle Ihre Fragen geantwortet habe, sind Sie fest überzeugt, daß ich ungerecht hier bin?«
»Mir scheint, ja.«
»Nun! das ist Alles, was ich verlange. Wenn Sie von hier weggehen, machen Sie dem Polizeilieutenant einen Besuch; gehen Sie zu den Richtern, die mich verurteilt haben; sagen Sie ihnen, geben Sie ihnen die Versicherung, schwören Sie ihnen, ich sei vernünftig, ich sei nie ein Narr gewesen, und sie werden mich entlassen.«
»Ich will es tun.«
»Wann?«
»Heute noch.«
»Gut.«
»Das ist eine Pflicht für mich, und ich werde mich derselben entledigen.«
»Ich danke.«
»Doch ich befürchte. . .«
Champmeslé hielt inne.
»Was befürchten Sie?«
»Ich befürchte, daß dies nichts ändert.«
»Woran?«
»An Ihrer Lage.«
»Wie! die von einem Manne Ihres Standes gemachte Erklärung wird nichts an meiner Lage ändern?«
Champmeslé' schaute aufmerksam umher, näherte sich Banniére und sagte zu ihm:
»Aber wissen Sie denn mit Sicherheit, daß Sie hier eingesperrt sind, weil Sie ein Narr sein sollen?'
»Ei! warum sollte man mich denn einsperren?«
»Oh! wegen eines Fehlers, wegen eines Verbrechens vielleicht.«
»Mein lieber Abbé,« erwiderte Banniére, »ich habe wahrscheinlich eine große Anzahl von Fehlern begangen, was aber die Verbrechen betrifft, so hoffe ich, daß mich Gott nie in diesem Grade verlassen hat.«
»Mein Freund, alle Tage begeht man ein Verbrechen, ohne darum ein sehr großer Verbrecher zu sein. Sehen Sie Horatius, der seine Schwester tödtet: das ist ein sehr schönes Verbrechen; sehen Sie Orosmane, der Zaire tödtet: das ist ein nicht minder schönes Verbrechen, aus dem Gesichtspunkte der dramatischen Kunst.«
»Ich habe, Gott sei Dank, Niemand getödtet, mein lieber Abbé, und nicht nach Charenton bringt man die Mörder.«
»Sie täuschen sich.«
»Wie so?«
»Ihr Nachbar, zum Beispiel. . . nicht weiter, als von dieser Seite der Scheidewand zur andern von Ihnen entfernt. . . .«
»Nun?«
»Ihr Nachbar ist ebenso wenig Narr als Sie.«
»Was sagen Sie mir da?«
»Die Wahrheit. Und dennoch werde Ich mich wohl hüten, hinzugehen und zu erklären, er sei kein Narr.«
»Warum dies?«
»Weil er ein schändlicher Mörder ist, der ein armes Mädchen getödtet hat, das nur einer redlichen Handlung schuldig war.«
Banniére bebte.
»Ei! was sagen Sie mir da?« rief er; »mein Nachbar? Sollte zufällig. . .«
»Was?«
»Mein Gott! mehrere Male schien es mir, als erkennete ich in seiner Stimme eine, die ich schon gehört habe.«
»Unmöglich!«
»Warum?«
»Er ist kein Franzose.«
»Er ist ein Sardinier?«
»Woher wissen Sie das?«
»Er ist Marquis?«
»Ja.«
»Und er heißt?«
»Mein Bruder, sein Name ist ein Geheimnis»« antwortete Champmeslé.
»Ein Geheimnis, das ich Ihnen offenbaren will! Er heißt Marquis de la Torra! Und Sie sagen, er habe getödtet? Wen denn?«
»Eine Frau.«
»Eine Frau, die er liebte?«
»Es scheint, daß er sie liebte, da er sie getötet hat. Man tödtet nur aus zwei Gründen: weil man haßt oder weil man liebt.«
»Und diese Frau hieß?«
»Diese Frau hieß Marion.«
«Marion!« rief Banniére.
Dann, indem er sich anstrengte, um sich zu beherrschen, fragte er:
»Und weiß man, warum er die Arme getödtet hat?«
»Weil sie aus seinen Klauen einen hübschen jungen Mann gezogen hatte, der mit ihr abgereist ist und sie hernach schutzlos verlassen hat; dann ist dieser Unglückliche, dieser Elende der Armen begegnet und hat sie mit einem gewaltigen Degenstich ins Herz getödtet.«
»Der Unglückliche, der Elende, das bin ich!« rief Banniére. Und er warf sich aus die Platten seines Käfigs und wälzte sich in Verzweiflung darauf.
»Wie dies?« fragte Champmeslé.
»Arme Marion, armes Mädchen!« rief Banniére, »ich habe sie getödtet! Verzeih mir, Marion!«
Champmeslé schloß Banniére in seine Arme und sprach zu ihm:
»Mäßigen Sie sich; nehmen Sie sich in Acht, man wird sagen, der Anfall sei bei Ihnen wiedergekommen.«
»Oh! mein Vater, mein Vater!« schrie der Unglückliche Banniére, »ich hatte Unrecht, wenn ich Ihnen sagte, ich habe nur Fehler begangen; ich habe ein Verbrechen begangen, das größte, das schlimmste der Verbrechen: ich habe gemordet!«
»Beruhigen Sie sich.«
»Ich verdiene den Tod, mein Vater! überliefern Sie mich den Richtern, führen Sie mich zum Henker! ich, ich habe Marion ermordet!«
Doch bei diesen Worten, die er im Paroxysmus der Verzweiflung schrie, erscholl ein gewaltiges Kettengerassel begleitet von einem dumpfen Gebrülle in der anstoßenden Zelle.
»Wer,« rief de la Torra, die Scheidewände und die Thüren erschütternd, »wer spricht denn von Marion? wer sagt denn: Ich habe Marion ermordet?«
»Ich, ich, Elender!« brüllte Banniére, »Meinen Degen! meinen Degen! man gebe mir meinen Degen! Du bist mir einmal entwischt, doch zum zweiten Male wirst Du mir nicht entwischen.«
Und er fing an auf seiner Seite an die Scheidewand zu schlagen, wie la Torra aus der seinigen daran schlug.
Erschreckt durch den Einbruch dieses unerwarteten Sturmes, rief Champmeslé den Wärter, der beim Anblick dieser doppelten Wut wieder aufmerksam geworden, stürzte aus der Zelle und sagte zu sich selbst, Banniére habe seine Narrheit, diese Narrheit sei eine wütende Narrheit, und wenn man nicht mehr Narr sei, als er, so könne man nicht daran denken, ihn zur Vernunft zurückzurufen.
Und während der Unglückliche, von entsetzlichen Gewissensbissen heimgesucht, mit den Füßen und den Fäusten an die Scheidewand schlug, in der Hoffnung, den Marquis zu erwürgen, flüsterte der Wärter Champmeslé ins Ohr:
»Nun? was sagen Sie? Gestehen Sie, daß Sie ihn einen Augenblick für vernünftig gehalten haben.«