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Kitabı oku: «Salvator», sayfa 92

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CXIII
Die Meditationen des Herrn Jackal

Sollten wir unsere paradoxe Ansicht sagen, so versichern wir, daß die beste Regierung die wäre, wo man die Minister entbehren könnte.

Die Leute unserer Zeit, welche die politischen Kämpfe, die ministeriellen Intriguen vom Ende des Jahres 1827 miterlebt, werden, wenn sich die letzten Seufzer der Restauration auch wenig in ihrem Gedächtnisse eingeprägt, ganz sicher unsere Ansicht theilen.

Nach dem provisorischen Ministerium, in das der Herr Marschall von Lamothe-Houdan und Herr von Marande getreten waren, hatte der König Herrn von Chabrol mit der Bildung eines definitiven Ministeriums beauftragt,

Als man in den Journalen vom 26. Dezember angekündigt sah, daß Herr von Chabrol nach der Bretagne gehe, glaubte man allgemein, das Cabinet sei konstituiert, und erwartete mit Bangigkeit die Mittheilung dieser Nachricht im Moniteur. Wir sagen mit Bangigkeit, denn seit den Emeuten vom 29. und 20. Dezember, wo ganz Paris völlig betäubt, und der Sturz des Ministeriums Villèle, der dem allgemeinen Hasse einige Satisfaction gab, machte weder die Vergangenheit vergessen, noch prophezeite er eine bessere Zukunft. Alle Parteien waren in Bewegung und es entstand daraus eine neue, welche laut rief der Herzog von Orleans solle der Vormund Frankreichs sein und das Königreich vor einer drohenden Gefahr schützen.

Aber vergeblich suchte man diese Ordre im Moniteur vom 27., 28., 29., 30. und 31. Dezember.

Der Moniteur war stumm, er schien eingeschlafen, wie die Belle au bois dormant. Man hoffte, er werde am 1. Januar 1828 aufwachen, aber es war nichts. Man erfuhr nur, daß Carl X., gegen die Royalisten gereizt, welche den Sturz des Herrn von Villèle beschleunigt, die einen und die andern, sämmtliche Namen von allen ministeriellen Candidaten gestrichen; unter andern, um nur zwei zu nennen, Herrn von Chateaubriaud und von Labourdonnaie.

Auf der andern Seite kannten die Staatsmänner, welche berufen wurden, sich an dem neuen Cabinet zu betheiligen, den Einfluß, den Herr von Villèle noch auf den König übte, und da sie nicht Zeit hatten, während sie den Widerwillen erbten, den der Conseilspräsident hinterließ, die Rolle von Staatsmännern zu spielen, so weigerten sie sich absolut, sich an einer solchen Combination zu betheiligen. Daher die Verlegenheit, in der sich Herr von Chabrol befand und dies der Grund, weßhalb wir unsere freundlichen Leser um die Erlaubnis bitten, ihnen zu sagen: Es gibt kein gutes Ministerium, so lange es Minister gibt.

Am 2. Januar endlich (expectata dies) kündigte man an, daß der Berg kreise, mit andern Worten, daß es Herrn von Chabrol gelungen sei, ein Ministerium zusammen zu bringen.

Die Krisis dauerte zwei Tage, den 3. und 4., eine furchtbare Krisis, nach dem Ausdruck der Verzweiflung zu urtheilen, welcher auf den Gesichtern der Höflinge lag.

Am Abend des 7. ging das Gerücht durch die Stadt, das neue von Herrn von Chabrol präsentierte Ministerium sei definitiv vom König angenommen.

Der Moniteur vom 5. Januar publizierte wirklich eine vom 6. datierte Ordonnanz, deren erster Artikel folgende Ernennungen enthielt:

Herr Portalis, Ministerium der Justiz;

Herr de la Ferronnays, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten;

Herr von Coux, Ministerium der Kriegsverwaltung. Denn die Präsentation zu den in der Armee vacanten Aemtern war dem Dauphin vorbehalten;

Herr von Martignac, Ministerium des Innern, von dem man die Handels- und Industriebranche trennte, welche dem Bureau für Handel und Colonieen übergeben wurden;

Herr von Saint Cricq, Präsident des obersten Handels- und Colonieen – Rathes, mit dem Titel Staatssecretär;

Herr Roy, Minister der Finanzen u.s.w.

Dieses Ministerium, welches überdies den Zweck hatte, die Gemüther zu beruhigen, brachte nur Mißtrauen und Furcht in alle Parteien; es war auch wirklich nur ein Abklatsch, ein Schatten des vorhergehenden Ministeriums. Die Herren von Villèle, Corbière, Peyronnet, von Damas und von Clermont-Tonnere verloren allerdings ihre Posten. Da jedoch die Herren von Martignac, von Coux und de la Ferronnays der Verwaltung angehört, der Eine als Staatsrat, der Andre als Director eines Kriegskollegiums, der Dritte als Gesandter in Petersburg, so waren sie nichts weniger als neue Personen und schienen nur da zu sein, um den günstigen Moment zu erwarten, wo Herr von Villèle die officielle Direction übernehmen sollte. »Es fehlt ein bestimmter Grund zu existiren,« sagten die Liberalen, »es ist nicht lebensfähig geboren.«

Man suchte die Unzufriedenen zu beschwichtigen, indem man den Polizeipräfecten Delaveau beseitigte und ihn durch Herrn von Belleyme ersetzte, der bisher Procurator des Königs gewesen; man ging sogar so weit, die Generalpolizei beim Ministerium des Innern aufzuheben, was die Abdankung des Herrn Franchet herbeiführte; – aber diese doppelte Satisfaction, welche gebieterisch verlangt wurde, und die man der öffentlichen Meinung gab, ließ gerade wenig vertrauen auf die Kraft und Dauer des neuen Ministeriums haben.

Einer der Männer, welche am aufmerksamsten das unsichere und verlegene Gebahren des Königs und Herrn von Chabrol’s beobachteten, war Herr Jackal.

Nachdem Herr Delaveau beseitigt war, mußte natürlich Herr Jackal seinem Patrone folgen.

Obgleich die Rolle, die er auf der Polizeipräfectur spielte, ohne bestimmte Bezeichnung und ernste Folge für den neuen politischen Weg der Regierung war, verließ Herr Jackal doch als er er im Moniteur die Ordonnanz las, die Herrn von Belleyme die Verwaltung der Polizeipräfectur übertrug, sein Haupt melancholisch auf die Brust sinken, und dachte ernstlich über die Eitelkeit der menschlichen Dinge nach.

Er war eben in solches Nachdenken versunken, als ein Huissier ihm meldete, daß der neue, seit einer Stunde installierte Präfect ihn in sein Cabinet zu treten bitte.

Herr von Belleyme, ein Mann von Geist, – er hat es später durch die Erfindung des Referats bewiesen, – Herr von Belleyme, ein großer Rechtsgelehrter und eben so tiefer Philosoph, brauchte nicht lange mit Herrn Jackal zu sprechen, um zu wissen, mit wem er zu thun hatte, und wenn er einen Augenblick Miene machte, ihn seiner Funktionen zu entheben, so geschah es weniger, um ihm Angst einzujagen, als um sich seiner Treue zu versichern.

Er kannte ihn schon lange und wußte, welch’ ein Schatz von Ressourcen m diesem fruchtbaren Kopfe steckte.

Er stellte Herrn Jackal nur eine Bedingung.

Er bat ihn, seine Funktionen als Gentleman und Mann von Geist zu verrichten.

»Sobald,« sagte er zu ihm, »die, welche die Polizei verwalten, Geist besitzen, wird es keine Diebe mehr in Frankreich geben, und sobald die Polizei keine Barricaden mehr macht, gibt es auch keine Aufstände mehr in Paris.«

Bei diesen Worten senkte Herr Jackal, welcher wohl wußte, daß der neue Präfect auf die von ihm im November organisierten Aufstände anspiele, den Kopf und erröthete schamhaft.

»Was ich Ihnen vor Allem empfehle,« fuhr Herr von Belleyme fort, »ist, so schnell als möglich diese Galgengesichter, die den Hof des Hotels emaillieren, verschwinden zu lassen und nach den Bagnos zurück zu schaffen, von wo sie stammen; denn wenn es nöthig ist, um ein Hafenragout zu machen, einen Hafen zu nehmen, so wird man mich doch nie von der Nothwendigkeit überzeugen, daß man, um Diebe zu arretieren, Galeerensträflinge brauche. Ich gebe zu, daß es ein Mittel ist, aber es ist nicht infallibel und ich halte es für gefährlich. – Ich bitte Sie, eine Wahl unter den Ihnen zu Gebote Stehenden zu treffen und die Uebrigen ohne Geräusch dahin zurück zu schicken, woher sie kommen.«

Herr Jackal war ganz der Ansicht des neuen Präfecten, und nachdem er ihn seines Eifers und seiner Ergebenheit versichert, verbeugte er sich respectvollst und ging.

In sein Kabinet zurückgekehrt, warf er sich in seinen Feuteuil, wischte die beiden Gläser seiner Brille, zog seine Tabaksdose heraus, stopfte sich die Nase mit Tabak und sann abermals nach, indem er Arme und Beine kreuzte.

Sagen wir es gleich, daß dieser zweite Gegenstand seiner Erwägung weit angenehmer für ihn war, als der erste, so ärgerlich auch die Folgen für seinen Nächsten sein konnten.

Folgendes waren seine Gedanken:

»Ich hatte den neuen Präfecten ganz richtig beurtheilt: es ist ein Mann von guter Einsicht; der Beweis dafür, daß er mich behalten, obgleich er ganz gewiß wissen muß, daß ich nicht wenig zum Sturze des Ministeriums beigetragen; aber vielleicht geschahs gerade deßhalb. – So stehe ich also wieder auf den Füßen, und durch die Aufhebung der Polizei im Ministerium des Innern und den Rücktritt des Herrn Franchet nehme ich eine Weit wichtigere Stellung ein. – Auf der andern Seite ist er beinahe ganz auf meine Ansichten in Beziehung auf die ehrenwerthen Personen eingegangen, welche den Hof der Präfectur tagtäglich anfüllen. Freilich thut es mir leid um die ehrlichen Leute. Der arme Carmagnole! der arme Papillon! der arme Longue Avoine! der arme Brin d’Acier! der arme Gibassier vor Allen! Dich beklage ich von allen am meisten; Du wirst mich undankbar schmähen: aber was willst Du? Habent sua fata libelli! so steht geschrieben! Mit andern Worten: es gibt keine so gute Gesellschaft, die man nicht zuletzt verlassen müßte.«

Mit diesen letzten Worten nahm Herr Jackal, um die Rührung zu ersticken, in die ihn diese traurigen Gedanken versetzten, seine Dose heraus und schnupfte mit einer gewissen Heftigkeit eine zweite Prise Tabak.

»Bah!« sagte er philosophisch, indem er aufstand, »der Bursche hat, was er verdiente. Ich weiß wohl, daß er mich gestern um meine Zustimmung zu seiner Heirath bat und Gibassier wird nie ein rechter Haushammel werden; er ist für die Landstraßen gemacht, und ich glaube, daß die von Paris nach Toulon seiner Natur besser entspricht, als die Landstraße der Ehe. Wie wird er diese neue Stellung aufnehmen?«

Wahrend er diese Reflexionen machte, zog er an der Glocke.

Ein Huissier erschien.

»Man hole mir Gibassier!« sagte er, »wenn er nicht da ist, Papillon, Carmagnole, Longue Avoine oder Brin d’Acier.«

Der Huissier ging und Herr Jackal drückte an einem beinahe unsichtbar in der Ecke der Wand angebrachten Glockenknopf. Einen Augenblick später erschien ein Polizeiagent mit abschreckendem Gesichte und in bürgerlicher Kleidung auf der Schwelle einer kleinen durch Draperieen versteckten Thüre.

»Treten Sie ein, Colombier,« sagte Herr Jackal.

Der Mann mit der wilden Miene, der diesen zarten Namen trug, trat näher.

»Ueber wie viele Leute können Sie im Augenblicke disponieren?« fragte Jackal.

»Ueber acht,« antwortete Colombier.

»Sie eingerechnet?«

»Ohne mich zu zählen; mit mir neun.«

»Sichere Leute?«

»Wie ich selbst,« antwortete Colombier mit einer tiefen Baßstimme, die von einer colossalen Constitution zeugte, wenn man von der Kraft der Stimme auf die des Körpers schließen darf.

»Lassen Sie sie heraufkommen,« fuhr Herr Jackal fort, »und bleiben Sie mit denselben im Corridor hinter meiner Thüre.

»Bewaffnet?«

»Gut bewaffnet. Beim ersten Glockenschlag treten Sie ein, ohne zu pochen, fordern den Mann, der sich in meinem Zimmer befindet, auf, Ihnen zu folgen; Sie übergeben ihn vier von Ihren Leuten, die ihn nach dem Depot bringen. – Ist der Gefangene am sicheren Ort, so kommen Ihre Leute wieder herauf und bleiben im Corridor, bis ein zweiter Glockenschlag ertönt, der Sie zu einer weiteren Arretation ruft und so fort, bis ich Ihnen Contreordre gebe.Sie haben mich verstanden?«

»Ganz!« antwortete, Columbier, – ganz,« wiederholte er, indem er sich wie ein Mensch räusperte, der stolz ist, eine so leichte Fassungsgabe zu besitzen.

»Jetzt,« sagte Herr Jackal streng, »werde ich mich an Sie halten, wenn ein einziger der Gefangenen entkommt.«

In diesem Augenblicke pochte man an die Thüre des Cabinets.

»Das ist ohne Zweifel einer Ihrer künftigen Gefangenen; eilen Sie, Ihre Leute zu holen.«

»Ich eile,« sagte Colombier, indem er mit einem Sprung aus dem Zimmer war.

Herr Jackal ließ die Draperie hinter ihm herabfallen, machte sich’s in seinem Fauteuil bequem und sagte:

»Herein.«

Der Huissier führte Longue Avoine herein.

CXXIV
Liquidation

Der Geliebte der Stuhlvermietherin von Saint Jacques du Haut-Pas trat, ebenso lang und ebenso blaß als Basil, mit gemessenem Schritte und mit tausend Kniebeugungen in das Cabinet, gerade als wenn er vor dem Hochaltar vorüberginge.

»Sie ließen mich rufen, mein edler Herr?« sagte er mit leidender Stimme.

»Ja, Longue Avoine, ich ließ Sie rufen.«

»Worin kann ich die Ehre haben, Ihnen nützlich zu sein? Sie wissen, daß mein Blut und mein Leben zu Ihren Diensten steht.«

»Ich will das sehen, Longue Avoine; aber vor Allem sagen Sie mir, ob ich, seit Sie in meinen Diensten sind, Ihnen irgend einen Grund zur Unzufriedenheit gegeben?«

»O, Herr Jesus! niemals, mein würdiger Herr,« beeilte sich der Geliebte Barbettens mit einem Tone voll Salbung zu sagen.

»Nun gut; ich aber, Longue Avoine, habe Grund zu großer Unzufriedenheit mit Ihnen.«

»Jungfrau Maria! ist es möglich, mein guter Herr?«

»Es ist mehr, als möglich, Longue Avoine, ja wohl; das heißt Sie haben sich in Beziehung auf mich der größten Undankbarkeit schuldig gemacht.«

»Gott, der mich hört,« sagte der Jesuit im rührendsten Tone, »Gott strafe mich mit dem Tode, wenn ich mich nicht zu jeder Stunde meines Lebens Ihrer Wohlthaten erinnerte.«

»Und doch, Longue Avoine, befürchte ich, daß Sie sie vergessen haben. Erinnern Sie mich daran, damit ich sehe, ob Sie sie im Gedächtnisse bewahrt haben.«

»Mein guter Herr, Sie wissen, daß ich in der Rue Saint Jacques du Haut-Pas vor der kleinen Kirchthüre mit einem silbernen Kreuze und einer vergoldeten Monstranz verhaftet wurde und nach dem Bagno geschickt werden sollte, wenn Ihre väterliche Theilnahme nicht noch zur rechten Zeit wach gerufen worden wäre, um mich vor diesem schlimmen Gange zu bewahren?«

»Seit jenem Tage,« sagte Herr Jackal, »habe ich Sie in meinen Diensten; und wie haben Sie die Wohlthat vergolten?«

»Aber mein edler Herr . . . « unterbrach ihn Longue Avoine.

»Unterbrechen Sie mich nicht,« sagte Herr Jackal streng. – »Ich weiß Alles. Seit sechs Monaten versehen Sie die Polizei für den Pater Roncin von der Congregation.«

»Im Interesse unserer heiligen Religion,« sagte Longue Avoine demüthig, indem er die Augen mit einem seligen Ausdruck zum Himmel erhob.

»Ein schlecht verstandenes Interesse, Longue Avoine,« sagte Herr Jackal, indem er eine ärgerliche Miene annahm, »denn der Pater Roncin und seine Congregation haben Herrn von Villèle gestürzt und Herr von Villèle hat das Ministerium in seinen Sturz hineingezogen; auf diese Weise, Unglücklicher, der Sie sind, haben Sie, unbewußt, das will ich annehmen, die öffentliche Ruhe gestört und ohne es zu wissen, die Basis des Thrones Seiner Majestät erschüttert.«

»Ist es möglich?« rief Longue Avoine, indem er Herrn Jackal bestürzt ansah.

»Sie wissen ohne Zweifel nicht, daß wir seit diesem Morgen ein anderes Ministerium haben? Nun denn, Unglücklicher, der Sie sind, Sie tragen mit an der Schuld, eine administrative Revolution hervorgerufen zu haben. Sie wurden mir als ein gefährlicher Mensch bezeichnet; ich habe deßhalb beschlossen, bis die Aufregung der Hauptstadt vorüber, Sie an einen sichern Ort bringen zu lassen, wo Sie ruhig sich sammeln und darüber nachdenken können.«

»Ach! mein guter Herr,« rief Longue Avoine, indem er sich Herrn Jackal zu Füßen warf; bei Gott, dem Allmächtigen, schwöre ich Ihnen, den Fuß nicht mehr nach Montrouge zu setzen.«

»Es ist zu spät,« sagte Herr Jackal, indem er aufstand und den Glockenknopf zog.

»Gnade! mein guter Herr! Gnade!« heulte Longue Avoine, indem er heiße Thränen weinte.

Colombier erschien.

»Gnade!« wiederholte Longue Avoine, der schauerte, als er den abstoßenden Agenten eintreten sah, dessen Stellung er kannte.

»Es ist zu spät,« sagte er in strengem Tone; »stehen Sie auf und folgen Sie diesem Manne.«

Longue Avoine, welcher das gereizte Gesicht des Herrn Jackal sah und begriff, daß hier nicht mehr zu parlamentiren sei, folgte dem Agenten, indem er die Hände faltete, und sich das Aussehen eines Märtyrers gab.

Longue Avoine ging, Herr Jackal läutete abermals.

Der Huissier erschien und meldete Carmagnole.

»Er soll eintreten,« sagte Herr Jackal.

Der Provencale stürzte mehr in das Zimmer, als daß er eintrat.

»Was steht zu Diensten, Patron?« sagte er mit einer geflöteten Stimme.

»Etwas sehr Einfaches, Carmagnole,« antwortete Herr Jackal. »Wie viel einfache Diebstähle haben Sie sich vorzuwerfen?«

»Vierunddreißig, gerade soviel als ich Jahre habe,« antwortete Carmagnole ziemlich heiter.

»Und komplizierte Diebstähle, das heißt mit Einbruch?«

»Zwölf, soviel als der Monate im Jahre sind,« antwortete der Marseiller im selben Tone.

»Und Mordanfälle?«

»Sieben, soviel als Tage in der Woche sind.«

»Sie haben also,« sagte Herr Jackal resumirend, »vierunddreißig Mal das Gefängniß verdient, zwölf Mal das Bagno und sieben Mal die Hinrichtung. In Allem, dreiundfünfzig mehr oder minder angenehme Verurtheilungen. – Ist die Rechnung richtig?«

»Allerdings,« antwortete der arglose Carmagnole.

»Nun gut! mein lieber Freund, Ihre Abenteuer beginnen zu viel Lärm in der Welt zu machen und ich habe deßhalb beschlossen, Sie für den Augenblick zu verbannen.«

»In welchen Welttheil?« fragte Carmagnole, ohne sich beunruhigen zu lassen.

»Ich glaube, daß der Winkel der Erde, den Sie bewohnen werden, Ihnen ziemlich gleichgültig sein kann.«

»Allerdings, vorausgesetzt, daß dieser Winkel der Erde nicht am Meeresufer sei,« antwortete der Provencale, der plötzlich in der Aussicht, die ihm Herr Jackal eröffnete, die schwarzen Nebel von Brest und die Sonne von Toulon aussteigen sah.

»Nun gut, geistvoller Carmagnole, Sie haben gerade, wenn auch nicht mit Freuden, den malerischen Verbannungsort, den ich für Sie ausgedacht, geahnt.«

»Ah! Herr Jackal,« sagte der lustige Marseiller, indem er sich zu lachen zwang, »Sie wollen mich gewiß erschrecken?«

»Ich, Sie erschrecken, mein lieber Carmagnole,« sagte Herr Jackal erstaunt; »ist es meine Art, ehrbare Diener, wie Sie, zu erschrecken?«

»Wenn ich Sie recht verstehe,« sagte der Provencale halb heiter, halb traurig, »so ist es eine Partie nach dem Bagno, die Sie mir vorschlagen?«

»Sie haben das richtige Wort gefunden, sinnreicher Carmagnole; es ist eine Partie nach dem Bagno; aber ich will Ihnen den Einsatz sagen. Sie sind eine Waise?«

»Von Geburt an.«

»Sie haben weder Freunde, noch Familie, noch Vaterland. Nun, ich will Ihnen ein Vaterland, eine Familie, Freunde geben. Worüber beklagen Sie sich?«

»Machen wir’s kurz,« sagte der Marseiller barsch, »Sie wollen mich nach Rochefort, Brest oder Toulon schicken?«

»Ich lasse Ihnen die freie Wahl zwischen diesen drei Orten, Sie können wählen, was Ihnen am besten gefällt; aber verstehen Sie mich wohl, gescheuter Carmagnole: nicht wegen Ihrer Sünden verbanne ich Sie so weit von hier, sondern um Ihren Eifer und Ihre Ergebenheit mir zu Nutzen zu machen.«

»Ich begreife Sie nicht,« warf der Provencale ein, der nicht einsah, wo Herr Jackal damit hinaus wollte.

»Ich will mich erklären, heißblütiger Carmagnole. – Sie wissen wohl, daß die wachsame und kluge Beobachtung des Thuns und Treibens der Herren von Brest oder Toulon ein traditionelles Mittel von großer Bedeutung für die Erhaltung der Ordnung in diesen Pönitentiarhäusern ist.«

»Ich verstehe Sie,« sagte der Marseiller, die Stirne leicht runzelnd, »vom Rang eines Spionen erheben Sie mich zu dem eines Fuchses oder Schafes.«

»Sie haben es getroffen, scharfsichtiger Carmagnole.«

»Ich denke,« sagte der Provencale nichts weniger, als heiter, »daß Sie von der furchtbaren Rache gehört haben werden, welche die Gefangenen an dem Schafe üben.«

»Ich weiß es,« sagte Herr Jackal; »weil die Schafe gewöhnlich Esel sind. Deßhalb sagen wir: seien Sie nicht Schaf, sondern Fuchs.«

»Und wie viel Zeit ungefähr kann diese außerordentliche Misston dauern?« fragte Carmagnole mit einem erbarmungswürdigen Gesichte.

»So lange, als nöthig ist, um den Rumor, der sich Ihretwegen erhoben, zu ersticken. – Glauben Sie mir, daß ich Ihre Abwesenheit bald fühlen werde.«

Carmagnole senkte den Kopf und sann nach. Nachdem er eine Minute geschwiegen, fuhr er fort:

»Ist es ein ehrliches, ernsthaftes Anerbieten, das Sie mir da machen?«

»Nichts ehrlicher, ernsthafter, mein guter Freund, ich will Ihnen den Beweis davon geben.«

Herr Jackal drückte zum zweiten Male an dem Glockenknopf. – Colombier erschien auf’s Neue.

»Sie werden den Herrn begleiten,« sagte Jackal zu dem Agenten, indem er auf Carmagnole zeigte, »und ihn dahin bringen, wohin ich Ihnen gesagt, mit allen Rücksichten jedoch, die ihm gebühren.«

»Aber,« rief der unglückliche Carmagnole, »Columbier wird mich nach dem Depot bringen.«

»Gewiß! Und was weiter?« sagte Herr Jackal, indem er die Arme kreuzte und streng in das Weiße der Augen seines Gefangenen blickte.

»Ah! Verzeihung,« sagte der provenciale, der die Bedeutung dieses Blickes begriff, »ich glaubte, wir scherzen.«

Und sich an den Colombier wendend, wie ein Mann, der überzeugt ist, daß es ihm bald gelingen werde, aus dem Bagno zu entfliehen, sagte er:

»Ich folge Ihnen.«

»Dieser Carmagnole ist wahrhaftig lustiger, als in einer solchen Lage eigentlich erlaubt ist.« murmelte Herr Jackal, indem er den Marseiller verächtlich hinausschreiten sah.

Dann zog er zum dritten Male die Glocke am Kamin und setzte sich in Fauteuil.

Der Huissier erschien und meldete Papillon und Brin d’Acier, welche auf der Flur warteten, bis die Reihe der Audienz an sie käme.

»Wer ist der Ungeduldigste von Beiden?« fragte Herr Jackal.

»Sie sind beide ungeduldig,« versetzte der Huissier.

»Dann laß Sie beide eintreten.«

Der Huissier ging und erschien nach einigen Augenblicken mit Papillon und Brin d’Acier.

Papillon sah schmächtig aus und war bartlos; – Brin d’Acier war von untersetzter Gestalt und hatte einen endlosen Bart.

Um den Contrast zu vervollständigen, Brin d’Acier war melancholisch wie Longue Avoine und Papillon jovial wie Carmagnole.

Beeilen wir uns zu sagen, Brin d’Acier war aus dem Elsaß, Papillon aus der Gironde.

Der Erste verbeugte sich mit dem ganzen Körper vor Herrn Jackal, der Andere machte einen acrobatischen Sprung, statt einer Verbeugung.

Herr Jackal lächelte unmerklich, als er diese Eiche und dieses Bäumchen neben einander sah.

»Brin d’Acier,« sagte er, »und Sie, Papillon, was haben Sie während der denkwürdigen Abende des 19. und 20. Dezembers gethan?«

»Ich habe,« antwortete Brin d’Acier, »so viel Karren, Pflastersteine und Balken nach der Rue St. Denis geschafft, als man mir anzuvertrauen die Ehre erzeigte.«

»Gut,« sagte Herr Jackal; »und Sie, Papillon?«

»Ich,« antwortete der kecke Papillon, »ich habe, wie mir Eure Exzellenz befohlen, den größten Theil der Fenster der genannten Straße eingeschlagen.«

»Und dann, Brin d’Acier?« fuhr Herr Jackal fort.

»Dann habe ich mit Hilfe einiger ergebenen Freunde alle Barricaden vernichtet, welche das Quartier der Hullor versperrten.«

»Und Sie, Papillon?«

»Ich,« antwortete der Befragte, »ich ließ vor den Nasen der Bürger alles Feuerwerk los, das mir Eure Exzellenz anzuvertrauen die Gnade hatten.«

»Ist das Alles?« fragte Herr Jackal.

»Ich rief: Nieder mit dem Ministerium!« sagte Brin d’Acier.

»Ich: Nieder mit den Jesuiten,« fügte Papillon hinzu.

»Und dann?«

»Zogen wir uns in der Stille zurück,« sagte Brin d’Acier, seinen Freund ansehend.

»Wie die unschuldigsten Leute von der Welt,« bekräftigte Papillon.

»So erinnern Sie sich also nicht,« versetzte Herr Jackal, indem er sich an beide wandte, »etwas gethan zu haben, was nicht von mir befohlen worden?«

»Durchaus nicht,« sagte der Riese. »Ganz und gar nicht,« wiederholte der Zwerg, indem er seinen Kameraden ansah.

»Gut denn, so will ich Ihr Gedächtniß auffrischen,« machte Herr Jackal, indem er einen dicken Actenstoß an sich zog und ein doppeltes Blatt Papier darunter hervornahm, welches er auf den Tisch legte, nachdem er es flüchtig durchlaufen hatte. »Es geht hieraus hervor,« sagte er, »daß Sie primo in der Nacht vom 19. November unter dem Vorwande, einer kranken Frau Hilfe bringen zu wollen, den Laden eines Juweliers der Rue Saint Qenis zum Theile ausgeleert.«

»O!« machte Brin d’Acier erschrocken.

»O!« wiederholte Papillon entrüstet.

»Secundo,« fuhr Herr Jackal fort, »in der Nacht vom 20. November sind Sie beide, mit Hilfe von falschen Schlüsseln, unterstützt von Barbette, der Concubine des Herrn Longue Avoine, Ihres Genossen, in den Laden eines Wechslers derselben Straße gedrungen und haben sowohl in sardinischen Louisd’ors, bairischen Gulden, preußischen Thalern, als in englischen Guineen, spanischen Dublonen und französischen Bankbillets die Summe von dreiundsechzigtausend siebenhundert und einem Franken, siebzig Centimen entwendet.«

»Das ist eine abscheuliche Verleumdung!« fügte Papillon hinzu.

»Tercio,« sagte Herr Jackal, ohne die Entrüstung zu bemerken zu scheinen, welche seine beiden Gefangenen an den Tag legten, »in der Nacht vom 21. desselben Monates haben Sie beide, in Gesellschaft Ihres Freundes Gibassier mit bewaffneter Hand zwischen Nemours und Chateau Landon die Mallepost angefallen, welche einen Engländer und seine Lady führte, und nachdem Sie dem Postillon und dem Courrier das Pistol unter die Nase gehalten, haben Sie die Koffer geleert, welche siebenundzwanzigtausend Franken enthielten. Ich spreche nicht von der Kasse und Uhr des Engländers und den Ringen und Juwelen der Engländerin.«

»Das ist unwahr!« rief der Elsäßer.

»Reine Unwahrheit!« wiederholte der Bordelese. »Quatro und zum Schluß,« fuhr Herr Jackal fort, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, »und um mich nicht länger bei den kleinen Schurkereien aufzuhalten, die seit jener Nacht bis zum 31. Dezember begangen wurden, so haben Sie am 1. Januar 1828, wahrscheinlich um das Jahr gut zu beginnen, alle Laternen des Montmartre ausgelöscht und unter dem Deckmantel der Nacht allen verspäteten Fußgängern die Börse oder die Uhr abgenommen, und zwar mit solchem Glück, daß die Zahl der Beraubten sich auf neununddreißig beläuft.«

»O!« seufzte der Riese.

»O!« seufzte der Zwerg.

»Aus diesen Gründen,« fuhr Herr Jackal mit obrigkeitlicher Würde fort, »sage ich, in Anbetracht, daß mir trotz Ihres Läugnens und trotz Ihres entrüsteten Ausrufens klar und erwiesen ist, daß Sie das Vertrauen, das ich in Sie setzte, auf das Schmählichste mißbraucht?

»In Anbetracht,« sage ich, »daß Sie, den dritten und vierten beraubend, sich nicht wie würdige und ehrbare Polizeiagenten, sondern wie gemeine Diebe benommen;

»Aus diesen Gründen:

»Sind Sie aufgefordert, sich unverzüglich in das Kabinet hier zu begeben, wo ein Mann, den Sie beide kennen, der sogenannte Colombier, sich Ihrer vergewissern und Sie an einen sichern Ort bringen wird, bis ich die Mittel und die Zeit gefunden haben werde, Ihren Ueberschwemmungen einen Damm zu setzen.«

Während Herr Jackal diese Worte sprach, lautete er Colombier, der zum drittenmal erschien und seinen Kummer nicht verbergen konnte, als er die erbarmungswürdige Miene seiner beiden Freunde Brin d’Acier und Papillon sah.

Aber als Soldat, der seine Ordre streng befolgt, faßte er sich augenblicklich wieder, und auf einen Wink von Herrn Jackal nahm er den Riesen unter dem einen Arm, den Zwerg unter dem andern und zog sie mehr als er sie führte, um sie zu Carmagnole und Longue Avoine zu bringen.

Es entstand eine Pause in dieser Liquidation.

Diese vierfache Arretirung hatte Herrn Jackal weder in Aufregung versetzt, noch interessiert. Er hatte freilich mit Carmagnole etwas Mitleid, und sein Verlust war zu bedauern, aber er kannte den Marseiller genau, er wußte, daß er auf die eine oder andre Weise (der Provencale war von dem Züchtlingsstoff, aus welchem man die Achtziger macht) sich früher oder später frei machen würde.

Was die Andern betrifft, so waren sie nicht mal mehr Räder in seiner Maschine. Er sah sie mehr für sich arbeiten, als daß sie ihm geholfen hätten. – Longue Avoine war nichts als ein Heuchler; Brin d’Acier war ein grober Stier; Papillon, obgleich er die Leichtigkeit des Staubflüglers besaß, dessen Namen er trug, so war er doch nur die blasse und schlechte Copie Carmagnoles.

Man begreift deßhalb, daß die Zukunft dieser Menschen einen Philosophen wie Herrn Jackal wenig interessieren konnte.

Von welch’ untergeordneter Bedeutung waren in der That diese geringen Menschen gegenüber der unbestreitbaren und unbestrittenen Superiorität Gibassiers?

Gibassier! dieser Phönix von Agent, – diese rara avis! dieser menschgewordene Spion! dieser Mann mit den unerwarteten Mitteln! – dieser Mann mit den unerschöpflichen Hilfsquellen! – dieser Mann mit den vielfachen Inkarnationen, die so zahlreich waren, als die eines Hindugottes!«

Das war’s, woran der Chef der geheimen Polizei dachte, während er nach dem Abgang von Brin d’Acier und Pavillon das Erscheinen Gibassiers erwartete!

»Endlich,« murmelte er, »es muß sein! . . . «

Und nachdem er dem Huissier geläutet, setzte er sich in seinen Feuteuil und ließ die Stirne in der Hand ausruhen.

Der Huissier führte Gibassier ein.

Heute war Gibassier in Stadttoilette; seidene Strümpfe schmückten seine Füße und seine Hände trugen weiße Handschuhe. Sein Gesicht war rosig angeflogen, und seine Augen, sonst ziemlich matt, waren in diesem Augenblick von einer außerordentlichen Lebhaftigkeit und ungewöhnlichem Glanz.

Herr Jackal hob den Kopf und war erstaunt über die Eleganz seines Anzugs und die Frische seines Gesichtes.

»Sind Sie heute bei einer Hochzeit oder einer Beerdigung?« fragte er.

»Bei einer Hochzeit, lieber Herr Jackal,« antwortete Gibassier.

»Bei der Ihrigen vielleicht?«

»Nicht ganz, mein lieber Herr: Sie kennen meine Ansicht über die Ehe; aber es ist gerade so,« fügte er frivol hinzu: »die Verheirathete ist eine alte Freundin von mir.«

Herr Jackal stopfte sich die Nase voll mit Tabak, als wollte er die Ermahnung unterdrücken, die er wegen seiner Theorie über die Frauen an

Gibassier zu richten im Begriffe war.

»Habe ich das Vergnügen, den Mann zu kennen?« fragte er nach einer Pause.

»Sie kennen ihn höchstens vom Hörensagen,« antwortete der Sträfling: »er ist mein Gefährte von Toulon; der, mit dem ich so schlau aus dem

Gefängnisse ausgebrochen, Ange Gabriel.«

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04 aralık 2019
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1707 s. 13 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain

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