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Kitabı oku: «Salvator», sayfa 94

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Der Sträfling erröthete schamhaft.

»Nun, nun,« sagte Herr Jackal melancholisch, »man ist nicht vollkommen . . . Sie haben mich um nichts mehr zu bitten?«

»Noch etwas.«

»Fahren Sie fort, so lange Sie daran sind.«

»Wie wird unsere Reise vor sich gehen?«

»Das müssen Sie selbst wissen, Gibassier, ganz auf die gewöhnliche Weise.«

»Durch Bicetre?« fragte der Sträfling, indem er eine furchtbare Grimasse schnitt.

»Natürlich.«

»Das thut mir außerordentlich leid.«

»Und weßhalb dies, mein guter Freund?«

»Was wollen Sie, Herr Jackal: ich kann mich einmal nicht an Bicetre gewöhnen. Sie haben es selbst gesagt, man ist nicht vollkommen; der Gedanke schon, daß ich mit Narren zusammen kommen soll, verursacht mir Nervenzufälle.«

»Warum,« sagte Herr Jackal, indem er sich erhob, »sind Sie so ängstlich? Unglücklicher Weise, Gibassier,« fuhr er fort, indem er an dem Glockenknopf drückte, »kann ich Ihrer Bitte keine Rechnung tragen. Ich begreife ganz die Trauer, in die Sie dieser Gedanke versetzen kann, und es ist eine schreckliche Nothwendigkeit, aber es ist einmal eine solche, und wie Sie wissen, stellte das Alterthum die Nothwendigkeit mit eisernen Fesseln dar.«

Herr Jackal hatte gerade ausgesprochen, als Colombier eintrat.

»Colombier,« sagte der Chef der Polizei, indem er eine große Prise Tabak nahm, die er, zufrieden mit der Art, wie die Sachen gegangen waren, wollüstig einsog, »Colombier, ich empfehle Ihnen ganz besonders – Sie verstehen mich wohl, ganz besonders Herrn Gibassier. Sie werden ihn vorderhand, statt ihn nach dem Depot zu bringen, in das Gefängniß schaffen, wohin Sie den Gefangenen gebracht, den Sie gestern Abend arretiert. Dann sich nach Gibassier umwendend, sagte er: »Ich sprach von Ange Gabriel, und sagen Sie jetzt noch, daß ich nicht an Alles denke?«

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll,« sagte der Sträfling sich verbeugend.

»Sie werden mir danken, wenn Sie zurückkehren,« sagte Herr Jackal, ihn verabschiedend.

Er sah ihn mit einer gewissen Melancholie weggehen.

»Jetzt bin ich ein Krüppel,« sagte er, »denn mein rechter Arm ist fort.«

CXXV
Die Kette

Das alte Schloß Bicetre, an dem Abhang von Villejuis bei dem Dorfe Gentilly auf der rechten Seite des Weges von Fontainebleau, eine Meile südlich von Paris gelegen, bietet dem Reisenden, der sich in diese Gegend verirrt, eines der düstersten Schauspiele, die man sich denken kann.

Diese schwere, finstre Steinmasse hat, aus einer gewissen Entfernung gesehen, etwas Befremdendes, Schauerliches, Phantastisches und Abstoßendes.

Man glaubt mit aufgelöstem Haar und grinsenden Zähnen alle Krankheiten, alles Elend, alle Laster und Verbrechen, die sich hier seit Ludwig dem Heiligen bis auf unsere Tage angehäuft, beständig an sich vorüberhuschen zu sehen.

Zu gleicher Zeit Ruhesitz und Gefängniß, Hospital und Strafanstalt, gleicht das Schloß von Bicetre einer jener alten verödeten Burgen Deutschlands, die zu gewissen Stunden von den Hexen und Zauberinnen der Holle heimgesucht werden.

Der Doctor Pariset sagte von Bicetre in seinem Bericht an das Strafgefängnißcollegium: »Bicetre verwirkliche die Hölle der Dichter.«

Diejenigen von unsern Zeitgenossen, welche dieses Pandämonium vor zwanzig Jahren besucht, können die Wahrheit unserer Behauptung bestätigen.

Damals fand im Hof von Bicetre die Ceremonie des Einschmiedens statt. Dieses Schauspiel, das in dem düsteren Hof begann, um erst in Brest, Rochefort, Toulon sich zu vollenden, war von der düstersten Wirkung, und man begriff ganz gut, daß Gibassier, der die Szene kannte, so wenig Lust hatte, seine Rolle in diesem traurigen Melodrama zu spielen.

Die ersten Zurüstungen zum Einschmieden wurden, wie wir sagten, im großen Hofe des Schlosses gemacht.

An diesem Morgen machte der Hof, durch den dichten Nebel, der darin herwehte, einen noch traurigeren Eindruck denn gewöhnlich.

Der Himmel war grau, die Luft scharf, der Koth schwarz. Einige Leute mit wahren Galgengesichtern und abstoßendem Aeußern liefen im Hofe hin und her, wie klagende Schatten, von Zeit zu Zeit ein Wort austauschend, in einer Sprache, die für jeden Andern, als einen solchen Schatten, unverständlich war.

Dieser Spaziergang dauerte eine halbe Stunde, als andere Individuen, mit nicht minder abstoßendem Aeußern zu den ersten traten, und nachdem sie sie in ihrer Sprache begrüßt, die schweren Ketten und zahlreichen Eisen, mit denen sie beladen waren, auf den Boden warfen.

Es waren die Strafgefangenen, welche im Gefängniß von Bicetre den Dienst versahen.

»Ihr habt’s heute schlimm!« sagte einer der Männer aus der ersten Gruppe zu einem der Neuankommenden, welcher sein von Schweiß triefendes Gesicht trocknete.

»Sprecht mir nicht davon.« antwortete dieser, auf die Eisen deutend, die er eben niedergelegt, »ich hatte dreimal meine Ladung!«

»Es sind ihrer also viele?« versetzte dir Erste.

»Beinahe dreihundert.«

»Noch nie wird man eine solche Kette gesehen haben.«

»Ohne die fliegenden Ketten zu zählen, die man ihnen auf dem Wege anlegt.«

»Aber man hat ihnen ja gar nicht mal den Prozeß gemacht. Ich lese die Journale aufmerksam und fand nur neun Verurtheilte.«

»Es scheint, daß alle Uebrigen alte Kunden sind.«

»Ihr kennt sie?«

»Ich?« antwortete der Strafgefangene. »O! pfui!«

In diesem Augenblick hörte man einen Pfiff vom Schlosse den Hof durchgellen.

»Auf eure Posten!« sagte ein Mann von der ersten Gruppe zu den Neuangekommenen.

Sie stellten sich an der Mauer des Hofes auf, jeder vor seinen Eisen.

Im selben Augenblick, als man das Pfeifen hörte, strömten aus der Thüre, welche in den zweiten Hof führte, dreißig bis vierzig Verurtheilte heraus, welche von einer Truppe Soldaten gleichsam an der Koppel geführt wurden.

Kaum waren die Sträflinge in den Hof eingetreten, als sie, die freie Luft einathmend, einen langen Freudenschrei ausstießen, dem ein dumpfes Gemurmel antwortete: es waren die andern Sträflinge, welche die Stunde der Erholung erwarteten.

Die Ersten, welche wir vor dem Pfeifen in dem Hose umhergehen sahen, stürzten sich aus die Verurteilten, und zogen ihnen die Kleider des Hauses aus, um sie genau zu untersuchen, ob sie nicht irgend eine Waffe, einen Werkzeug, Geld, oder sonst eine Contrebande bei sich versteckten.

Nachdem dies geschehen, warfen ihnen andere Leute, wie man dem Hund ein Bein hinwirft, eine Art von grauem Kittel zu, um ihre Blöße zu bedecken.

Während man die Gefangenen auf diese Weise entkleidete und sie sich wieder ankleideten, hatten die Gefängnißwärter, welche das Einschmieden besorgten, eine Reihe schwerer Ketten auf das Pflaster niedergelegt.

Man war eben damit zu Ende, als man wieder pfeifen hörte.

Auf diesen Ton wurde jeder Sträfling hinter eine Art von dreieckigem Halseisen gestellt, das der Gefängniswärter ihm bis an den Hals heraufhob. Nachdem die Gefangenen mit diesen Halseisen bekleidet waren, kam ein Mann von riesiger Gestalt und wildem Aussehen aus dem finsteren Winkel, in welchem er bislang gestanden, (man hätte glauben können, er löse sich von der Mauer los) mit einem so schweren Hammer hervor, daß er selbst Tubalkain und Vulcan erschreckt hätte.

Es war der Schließer.

Bei dem Anblick des riesigen Hammerträgers durchlief ein heftiger Schauer die ganze Bande und gab ihr einen Augenblick einige Ähnlichkeit mit dem Grase, das neben dem steht, das eben gemäht worden: es wurde von der Wurzel bis zur Spitze erschüttert.

Und es war auch Grund genug vorhanden, zu schauern.

Der Schließer, mit seinem schweren Werkzeuge bewaffnet, ging hinter jedem der Verurtheilten vorüber, und mit einem starken Schlag der ungeheuren Masse nietete er den Knopf, der das Dreieck schloß, eine Operation, unter der sich die Köpfe der Sträflinge erschrocken beugten.

Nachdem dies mit dem ersten Haufen geschehen war, hörte man ein zweites Pfeifen, dann ein drittes und so fort, bis zur Zahl von dreihundert.

Als alle im Hose waren, koppelte man sie zusammen. Die Kette, welche sie Kesselte, ging vom Halsband zum Gürtel und vom Gürtel zum Halsband des Nächsten, bis zum Ende der Colonne, welche eine Kette band, die an der ganzen Reihe hinablief.

Aber die schrecklichste Seite dieses Schauspiels bestand noch nicht darin. Was am meisten ein unheimliches Gefühl einflößte und, wenn man uns das Wort erlauben will, das Malerische der Sache bildete, das war die Haltung der Leute.

Obgleich Genossen des Verbrechens, obgleich Genossen der Strafe, obgleich fest aneinander gefesselt, und bestimmt, aller Wahrscheinlichkeit nach, ihr ganzes Leben zusammen zuzubringen, sahen sich die Sträflinge doch kaum an: sie schienen völlig fremd für einander. Sie verleugneten sich gegenseitig.

Unter ihnen boten zwei unserer Bekanntschaft, (Eteocles und Polyneikes) das traurige Schauspiel einer in der Stunde der größten Gefahr gebrochenen Freundschaft. Wir sprechen von Papillon und Carmagnole, welche wahrscheinlich durch die Hand der Vorsehung hier aneinander gefesselt waren.

Papillon schimpfte auf Carmagnole, Carmagnole auf Papillon. Sollte man es glauben? Daß sie unter demselben Breitengrad geboren waren, bildete gewissermaßen den Grund ihrer groben Aeußerungen gegen einander.

Der Südländer von Marseille suchte den Südländer von Bordeaux so stark er konnte zu beschimpfen und dieser nannte seinen Kameraden Bouche du Rhone!

Brin d’Acier und Longue Avoine, welche gleichfalls in dieser Szene figurierten, boten ein nicht minder trauriges Koppejoch dar. Longue Avoine nannte Brin d’Acier »Kriegsknecht« und Brin d’Acier Longue Avoine »Jesuit.«

Auf der andern Seite erweckte der im Halbdunkel beim Pförtchen, beinahe am Ende der Colonne stehende raphaelische Gabriel, der die Stirne gebeugt und ganz in die Arme seines ergebenen Freundes Gibassier versunken stand, durch seine Fischerarien das Mitleid der Zuschauer.

Der erfahrene und blasierte Gibassier schien der Vater der Bande, die Seele der Kette! Alle Augen, welche auf ihn gerichtet waren, würden seine Nerven furchtbar gereizt haben; aber er schien diese Neugierde der Menge nicht zu bemerken oder vielmehr er verachtete sie sichtlich.

Seine heitere Stirne, sein ruhiger Blick, sein halb lächelnder Mund schien auf eine süße Träumerei zu deuten, eine Art von Extase, in der sich Hoffnung und Schmerz mischte.

Ließ er nicht trügerische Hoffnungen hinter sich? War er nicht in zwanzig Zirkeln angebetet, die sich um die Ehre stritten, ihn zu ihrem Präsidenten zu haben? Rissen sich nicht die vornehmsten Frauen der Hauptstadt um ihn? Trauerte der Himmel nicht an diesem Tage in seinem tiefsten Schwarz um den Weggang dieses viel geliebten Sohnes?

Die übrigen, welche ohne Zweifel nicht dieselben Vorwürfe zur Träumerei hatten, wie er, waren weit entfernt, dieselbe Ruhe zu heucheln.

Im Gegentheil, sobald die Knöpfe genietet waren, erhoben, wie die Stimme des Sturms, zweihundert Kehlen ein wildes Geschrei aus allen Tonarten der Skala, eine höllische Symphonie, durchmischt mit Heulen, Pfeifen, Thierstimmen, Flüchen und Unflätigkeiten.

Plötzlich trat auf das Zeichen eines der Männer der Bande wie durch ein Zauberwort Stille ein, nur eine Stimme ließ ein Gelegenheitslied im reinsten Jargon ertönen, ein Lied, das jeder Sträfling mit dem Schütteln seiner Kette begleitete, was einen furchtbaren und unheimlichen Eindruck machte. Man hätte es für ein Concert von Gespenstern halten können.

Soweit war man gekommen, als eine neue Person zur großen Bestürzung der Menge im Hofe erschien, vor welcher sich diese respectvoll verbeugte.

Es war der Dominique.

Er warf einen melancholischen Blick auf die Kette und schien, die Augen zum Himmel erhebend, auf diese Unglücklichen das göttliche Mitleid herabzurufen.

Dann trat er zum Anführer der Kette und sagte:

»Mein Herr, weßhalb bin ich nicht auch angekettet, wie diese Unglücklichen, da ich Verbrecher und Verurtheilter wie sie bin?«

»Herr Abbé,« antwortete der Anführer, »ich vollziehe damit nur die Befehle, die ich in dieser Richtung empfangen habe.«

»Man hat Ihnen also den Befehl gegeben, mich frei zu lassen?«

»Ja, Herr Abbé.«

»Aber wer konnte Ihnen einen solchen Befehl geben?«

»Der Herr Polizeipräfect.«

In diesem Augenblicke fuhr«in Wagen in den Hof von Bicetre: ein Herr in Schwarz gekleidet und mit weißer Cravatte stieg aus und auf den Abbé Dominique zugehend, verbeugte er sich respectvoll vor ihm und grüßte ihn schon von Weitem.

»Mein Herr,« sagte er zu dem armen Mönche, indem er ihm ein Pergament übergab, »Sie sind von diesem Augenblicke an frei. Hier ist Ihre Begnadigung, mit deren Ueberbringung mich Seine Majestät beauftragte.«

»Vollständige Begnadigung?« fragte der Abbé, mehr überrascht, als heiter.

»Ja, vollständige, Herr Abbé.«

»Seine Majestät beschränkt meine Freiheit in keiner Weise?«

»In keiner, Herr Abbé, und Seine Majestät beauftragt mich außerdem, jeden Wunsch, den Sie etwa haben könnten, zu erfüllen.«

Der Dominique senkte den Kopf und sann einen Augenblick nach.

Er erinnerte sich einer großen mildthätigen Mission, welche ein Mönch, wie er, Sanct Vincenz de Paula unter Ludwig XIII. übernommen und für den die Stelle eines Generalalmoseniners der Galeeren geschaffen wurde.

»Das ist’s,« sagte er, »ich werde der Trost dieser Verbannten werden; ich werde sie hoffen lehren! Wer weiß, ob all’ diese Menschen schlechter sind, als die andern.«

Dann erhob er den Kopf und sagte:

»Mein Herr, da Seine Majestät mir einen Wunsch zu äußern erlaubt, so bitte ich um die Gnade, zum Almosenier des Bagno ernannt zu werden.«

»Seine Majestät hat Ihren Wunsch vorausgesehen,« sagte der Abgesandte des Königs, indem er ein zweites Pergament aus der Tasche zog und es dem Dominique gab; »hier Ihre Ernennung und Sie können, wenn es Ihnen beliebt, Ihre Funktionen sogleich antreten.«

»Wie das?« fragte der, der die Rotte zum Abmarsch bereit sah.

»Es ist Gebrauch, Herr Abbé, eine Messe in der Kapelle des Hauses zu lesen und die Gnade Gottes auf die Gefangenen vor ihrem Abgang nach dem Bagno herabzurufen.«

»Zeigen Sie mir den Weg, mein Herr,« sagte der Abbé Dominique, indem er sich, gefolgt von dem Abgesandten, nach dem Mittelgebäude begab, wo die Kapelle sich befand.

Die Kette setzte sich in Bewegung und folgte dem Mönche.

Nachdem die Masse vorüber war, ertönte ein neues Pfeifen.

Die Sträflinge wurden, als sie in den Hof zurückkehrten, auf lange Wagen gesetzt und die ungeheure Gefängnißthüre öffnete ihre beiden Flügel.

Die Wagen rollten schwer auf dem Pflaster zum Hofe hinaus, gefolgt von Küchenfourgons und einem Cabriolet, in welchem der Anführer der Kette, der Chirurg, ein Beamter des Ministeriums des Innern, der den Titel eines Commissars hatte, und der Abbé Dominique saßen, während eine starke Gendarmerieescorte nebenher ritt.

Dem Abmarsch der Kette wohnen gewöhnlich, wie man sich erinnert, jene Pariser Müßiggänger bei, die ihre Freude an dem Schauspiel der Unglücklichen haben.

Als die Wagen erschienen, entstand ein Hurrah von Verwünschungen, welche die Masse der Bande nachschleuderte, ein Hurrah, auf das alle Sträflinge mit einem Schrei oder vielmehr mit einem finsteren Kriegsgesang antworteten, jenem Refrain, der in allen Bagnos gang und gäbe ist, und gleichsam eine Herausforderung der Sträflinge gegen die Gesellschaft bildet:

»La pègre ne périra pas!«35

Aber der Abbé streckte beide Hände nach der Masse und den Sträflingen aus und der Zug konnte sich unter tiefer Stille in Bewegung setzen.

CXXVI
Wo Camille de Rozan auf das beste Mittel sinnt, sich zu rächen

Unsere Leser erinnern sich vielleicht der Worte, welche Madame Camille de Rozan gesprochen, als sie ihrem Manne die acht Tage gewährte, die er gefordert, um einzupacken und seine Pässe in Ordnung zu bringen.

Erinnern wir uns der letzten Worte, die diesem Kapitel, sowie dem nächsten zur Nachschrift dienen können.

»Acht Tage, gut!« hatte die Creolin gesagt; »acht Tage; aber,« hatte sie hinzugefügt, indem sie auf die Schieblade blickte, in der ihr Dolch und die Pistolen eingeschlossen waren, »so wahr mein Entschluß vor Deinem Eintreten in dieses Zimmer gefaßt war, wenn wir von hier in acht Tagen nicht abgereist sind, so stehen wir am neunten, Du, sie, und ich Camille, vor Gott, um Rechenschaft über unser Leben abzulegen.«

Und am andern Tage hatte Camille mitten während seiner Unterredung mit Salvator einen Brief von Fräulein Susanne von Valgeneuse empfangen, in welchem stand.

»Salvator gibt mir eine Million. Packen Sie so rasch als möglich ein: wir gehen zuerst nach Havre und reisen um drei Uhr ab.«

Nachdem er dem Ueberbringer des Briefes geantwortet: er sei einverstanden, hatte Camille den Brief zerrissen, die Stücke in den Kamin geworfen und war ausgegangen.

Aber hinter ihm wurde rasch eine Portiere des Salons geöffnet, und Frau von Rozan trat ein.

Sie ging rasch auf den Kamin zu und hob die Stücke des Briefes auf.

Nachdem sie die Asche des Kamins genau untersucht, und sich vergewissert, daß keine Spur vom Brief mehr da sei, schob Frau von Rozan abermals die Portiere zur Seite und trat in ihr Schlafkabinet.

Nach Verfluß von fünf Minuten, hatte sie alle Papierschnitzel in Ordnung gebracht und den Brief gelesen.

Zwei Thränen rollten auf ihre Wangen, Thränen mehr der Schaam, als der Trauer; sie war betrogen!

Sie saß einige Augenblicke, die beiden Hände auf den Augen, weinend und sinnend in dem Fauteuil.

Dann erhob sie sich rasch, ging in dem Salon mit verschlungenen Armen und zusammengezogenen Brauen auf und ab, blieb zuweilen stehen und legte die Hand an die Stirne, wie um sich besser zu sammeln.

»Sie werden nicht mit einander reisen oder sollen mich die Räder ihres Wagens zermalmen.«

Sie läutete ihrer Kammerfrau.

Die Kammerfrau trat ein.

»Was befehlen Sie?« fragte sie.

»Was ich befehle,« antwortete die Creolin in erstauntem Tone. »Ich befehle nichts! Warum fragen Sie mich, was ich befehle?«

»Haben Sie nicht geläutet?«

»O ja, doch, aber ich weiß nicht mehr, warum?«

»Sind Sie nicht wohl?« fragte die Kammerfrau, als sie das blasse Gesicht ihrer Herrin sah.

»Nein, nein, ich bin nicht krank,« antwortete Frau von Rozan mit einer Art von Stolz. M »Wenn Sie meiner nicht bedürfen,« versetzte die Kammerfrau, »so will ich gehen.«

»Nein, ich brauche Sie nicht; das heißt, warten Sie einen Augenblick . . . ja, ich habe Sie um etwas zu bitten: Sie sind in der Normandie geboren?«

»Ja, Madame.«

»Wo?«

»In Rouen.«

»Ist das weit von Paris?«

»Dreißig Stunden ungefähr.«

»Und von Havre?«

»Ungefähr die gleiche Entfernung.«

»Gut! Sie können gehen.«

»Warum sie hindern abzureisen?« dachte die Creolin: »habe ich den sichern Beweis seiner Treulosigkeit und seines Verrathes anders als in meinem Herzen? Ich brauche einen unwiderleglicheren, einen materielleren Beweis! wo diesen finden? wenn ich ihm sage: »Ich weiß alles: Du gehst morgen mit ihr fort! Du wirst nicht gehen, oder wehe Dir!« so leugnet er Alles, wie er bereits geleugnet hat! Diese Susanne aufsuchen und ihr sagen: »Sie sind ein infames Geschöpf; Sie entführen mir meinen Mann!« setzt mich der Gefahr aus, daß sie mich auslacht! Sie würde ihm ihr Abenteuer erzählen und sie lachten beide über mich! Camille über mich lachen! . . . Aber worin besteht das Geheimniß dieses abenteuerlichen Wesens? Wie konnte sie eine so heftige und zarte Liebe hervorrufen? was ist ihr Zauber? Sie ist nicht so jung, nicht so braun, nicht so schön wie ich!«

Während sie so dachte, war die Creolin an eine Psyche gekommen, und betrachtete sich lange, um sich zu überzeugen, daß der Schmerz ihr nichts von ihrer Schönheit genommen und daß sie ohne Scheu einen Vergleich mit Fräulein Susanne von Valgeneuse aushalten könne.

Nach einer langen Selbstprüfung flossen wiederum zwei Thränen aus ihren Augen.

»Nein,« rief sie schluchzend, »nein, ich werde es nie begreifen, daß er diese Frau geliebt! . . . Aber was thun: suche ich ihn wider seinen Willen von hier fortzubringen, so entkommt er mir unterwegs und sie finden sich wieder. Gibt er seine Einwilligung und folgt er mir, schleppe ich dann nicht die Leiche meiner Vergangenheit hinter mir drein, wäre es nicht das gefesselte Phantom unsrer Liebe? Und er wird heiter und sorglos diesen Abend heimkehren, wie gewöhnlich. Er wird mich, wie jeden Abend, auf die Stirne küssen! O verrätherischer, lügnerischer, feiger Camille! Nein, ich werde Dir nicht sagen. Du sollst mir folgen! Ich werde Dir folgen wie Dein Schatten, bis zu dem Augenblicke, da ich den Beweis Deines Verbrechens habe! Beruhige Dich, mein Herz, und schlage nicht wieder, bis Du gerächt bist.«

Mit diesen Worten trocknete die junge Frau rasch ihre Thränen und begann sich den Racheplan zu überlegen.

Wir überspringen diese Gedanken und finden sie wieder in dem Augenblick, da Camille, leicht und rosig, und sorglos, wie sie gesagt, in ihr Schlafzimmer trat.

Er fand sie, wie am vorhergehenden Tage, noch auf, und wie am vorhergehenden Tage sagte er mit einem Kusse auf ihre Stirne:

»Wie, Du bist noch nicht zu Bette, mein Kind? Aber es ist ja ein Uhr, mein lieber Engel.«

»Was thut es?« sagte Frau von Rozan kalt.

»Aber es ist mir nicht gleichgültig, meine Liebe!« versetzte Camille, indem er seinen Worten der Ton der innigsten Zärtlichkeit verlieh; »wir wollen in acht Tagen eine große Reise unternehmen und Du bedarfst dazu all’ Deiner Kräfte.«

»Wer weiß, ob diese Reise so lang sein wird!« sagte die Creolin, wie mit sich selbst redend.

»Ich weiß es!« antwortete Camille, der die Amerikanerin nicht verstand, »ich, der die Reise von Paris nach Louisiana vier bis fünfmal gemacht; und auch Du, die sie mit mir gemacht, mußt die Entfernung kennen.«

»Wir liebten uns, Camille!« antwortete die Creolin bitter lächelnd, »deßhalb schien mir die Reise so kurz.«

»Ich werde mir Mühe geben, daß sie Dir noch kürzer erscheine!« sagte Camille galant, indem er sie wieder auf die Stirne küßte, »Doch jetzt gute Nacht, mein Kind; ich bin den ganzen Tag umhergefahren, bin müde und sterbe beinahe vor schlaf.«

»Gute Nacht, Camille,« sagte Frau von Rozan kalt.

Und der Amerikaner kehrte in seine Zimmer zurück, ohne im Geringsten die Aufregung seiner Frau bemerkt zu haben.

Am andern Morgen stieg die Creolin, begleitet von ihrer Kammerfrau, in einen Wagen und ließ sich zu einem Buchhändler im Palais Royal fahren, wo sie das Postbuch kaufte,

Dann stieg sie wieder in den Wagen und rief dem Kutscher, der fragte, wohin er fahren solle, zu:

»Zu einem Wagenhändler.«

Der Kutscher peitschte seine Pferde und führte sie nach der Rue de la Pepinière.

»Mein Herr,« sagte die Creolin zu dem Kaufmann, »ich wünsche eine Reise-Calesche.«

»Ich habe mehre in meinem Magazin,« antwortete dieser; »wenn Sie sich die Mühe nehmen wollen, sie anzusehen.«

»Das ist unnütz, mein Herr, ich verlasse mich ganz auf Sie.«

»Von welcher Farbe?«

»Die Farbe ist mir gleichgültig.«

»Von wie viel Plätzen?«

»Zwei.«

»Wollen Sie einen sehr soliden Wagen?«

»Das ist mir einerlei.«

»Für eine lange Reise?«

»Nein, sechzig Stunden.«

»Sie haben vielleicht große Eile an Ort und Stelle anzukommen?«

»Allerdings große Eile,« sagte die Creolin kopfnickend.

»Dann ist ein sehr leichter Wagen am besten,« versetzte der Kaufmann; »ich habe, was Sie brauchen.«

»Gut! Wo nehme ich jetzt die Pferde?«

»Auf der Post, Madame,« antwortete der Kaufmann, über die Frage von Frau von Rozan lächelnd.

»Wollen Sie es übernehmen, mir dieselben zu verschaffen?«

»Ja, Madame.«

»Und schicken mir dann den Wagen angeschirrt vor das Haus?«

»Gewiß, Madame. Um wie viel Uhr?«

Frau von Rozan besann sich einen Augenblick. Das Rendezvous oder vielmehr die Abreise Camille’s und Susannens war auf drei Uhr festgesetzt. Sie mußte deßhalb eine Stunde oder wenigstens eine halbe Stunde später abfahren.

»Um halb vier Uhr,« sagte sie, indem sie dem Kaufmann ihre Karte gab.

Und sie wollte sich entfernen, als dieser zu ihr sagte:

»Es ist noch eine kleine Formalität zu erfüllen.«

»Welche?« fragte die Creolin erstaunt. ^

»Den Preis auszumachen,« antwortete der Kaufmann lachend.

»Das ist nicht meine Sache, mein Herr,« sagte die Creolin, indem sie ein Portefeuille aus ihrer Tasche zog. »Wie viel bin ich Ihnen schuldig?«

»Zwei tausend Franken,« antwortete der Kaufmann, »aber seien Sie überzeugt, daß Sie einen guten Wagen erhalten, elegant, leicht und solid zu gleicher Zeit. Mit diesem Wagen können Sie bis an’s Ende der Welt kommen.«

»Machen Sie sich bezahlt,« sagte die Creolin, indem sie ihm ihr Portefeuille hinbot.

Der Kaufmann nahm zwei Tausendfrankbillets, nachdem er sich mit der Unterwürfigkeit verbeugt, welche den Kaufmann characterisirt, wenn er einen Käufer dupirt hält,

»Präcis halb vier Uhr,« sagte die Creolin, indem sie das Magazin verließ.

»Präcis halb vier Uhr,« wiederholte der Kaufmann, indem er sich wieder bis zum Boden verbeugte.

Frau von Rozan fand, als sie nach Hause kam, Camille, der sie zum Frühstück erwartete.

»Du hast Einkäufe gemacht, mein Kind?« fragte er, sie küssend.

»Ja,« sagte die Creolin.

»Für unsere Reise?«

»Für unsere Reise,« wiederholte die Creolin.

Beim Frühstück war Camille voll Witz; er ließ alle Minen seines Geistes springen, um seine Frau zu unterhalten. Die Creolin zwang sich, zu lachen; aber zwei bis dreimal ergriff sie convulsivisch das Messer, und sah dabei ihren Mann an; dieser schien jedoch die Aufregung der Creolin nicht, zu bemerken.

Nachdem das Frühstück vorüber war – gegen halb drei—stand Camille plötzlich auf und jagte:

»Ich gehe nach dem Bois de Boulogne.«

»Du kommst nicht zum Diner?« fragte Frau von Rozan.

»Wir haben zu spät gefrühstückt,« warf Camille ein; »aber wenn Du willst, meine Liebe, werden wir zu Nacht speisen; in Deinem Zimmer,« fügte er mit einem verliebten Tone hinzu: »das wird uns an die schönen Nächte in der Louisiana erinnern.«

»Gut, Camille, wir werden zu Nacht speisen!« sagte die Creolin in düsterem Tone.

»Adieu denn, bis diesen Abend, meine Liebe!« sagte der Creole, indem er sie lebhafter und länger umarmte, als seit einigen Wochen, daß die Creolin unwillkürlich unter diesem Kusse schauerte.

Eine Frau täuscht sich selten über den wirklichen Werth eines Kusses. Frau von Rozan bildete sich aber im Momente ein, sie sei noch geliebt, und empfand eine Art von wilder Freude.

Sie ging in ihr Zimmer zurück, warf einige Effecten in einen Nachtsack, und den Dolch und die Pistolen aus der Tischschieblade nehmend, murmelte sie, den ersteren mit einem Blicke betrachtend, aus welchem Blitze leuchteten:

»O Camille, Camille! der Geist der Rache ist in mich eingekehrt und es ist keine Zeit mehr, ihm die Flügel zu schneiden. Ich wollte Dich retten, ehe es zu spät ist! Die Stimme, die mir sagt: »Stoß’ zu!« muß Dir in einigen Stunden sagen: »Sühne.!« O Camille, und ich habe Dich so sehr geliebt und liebe Dich noch immer. Aber ach! ein Wille, der stärker ist, als der meine, zieht mich, mich zu rächen! Du weißt, daß ich Dich gewarnt, daß ich Dich gegen meinen gerechten Zorn schützen wollte! Ich sagte zu Dir: »Laß uns von hier fortgehen! Wir wollen in unsere Heimath zurückkehren! Beim ersten Baume des Weges werden wir unsere Liebe wieder in Blüthe sehen,« aber Du wolltest nichts hören und warst entschlossen, mir zu entfliehen, indem Du mich belogst. O Camille, Camille, ich sollte Deinen Namen tragen; denn ich fühle in meinem Herzen alle Gefühle der Rache kochen und wie die römische Camilla fluche ich, indem ich liebe!«

In diesem Augenblick trat die Kammerfrau ein und meldete, daß Alles zur Abreise bereit sei.

»Gut!« sagte die Creolin lakonisch, indem sie ihren Dolch wieder nahm und ihn in ihre Tasche steckte.

Dann faltete sie die Hände und rief in einer religiösen Exaltation:

»Herr, gib mir die nöthige Kraft, um das Werk der Rache zu Ende führen zu können.«

Für ihre Kammerfrau ließ sie, einen großen Mantel umwerfend, das Wort fallen:

»Wir wollen gehen!«

Mit festem Schritt verließ sie das Zimmer, nachdem sie noch einen letzten traurigen Blick auf die Möbel, Bilder und die verschiedenen Gegenstände warf, welche Zeugen der ersten und letzten Stunden ihrer Liebe gewesen.

Sie stieg rasch die Treppe hinab und kam im Hose an, wo die Postpferde auf dem Pflaster stampften.

»Dreifaches Trinkgeld, wenn Sie dreimal so schnell fahren,« sagte sie zu dem Postillon, indem sie in den Wagen stieg.

Und der Postillon fuhr mit seinen Pferden durch das große Thor des Hotels, daß man sagen konnte, er wolle sein Geld ehrlich verdienen.

Wir übergehen die Eindrücke, welche die Creolin unterwegs bekam. Ganz in ihren tiefen Schmerz verloren, sah sie weder die Dächer der Häuser, noch die Glockenthürme der Kirchen, noch die Bäume des Weges.

Nur mit sich beschäftigt, sah sie nichts als die Blutstropfen, die aus seinem Munde flossen, und die Thränen, die aus ihren Augen traten.

Um sechs Uhr hatte sie den Wagen der Flüchtigen eingeholt. Sie kam beinahe zur selben Stunde der Nacht m Havre an und erfuhr von dem Postillon, der sie gefahren, daß sie im Hotel Royal am Kai abgestiegen waren.

»Nach dem Hotel Royal,« sagte sie zu ihrem Postillon.

Nach Verfluß von zehn Minuten war sie in einem der Zimmer des Hotels einlogirt. Wir werden im nächsten Capitel sagen, was sie dort sah und was sie dort hörte.

35.Die Diebe sterben nicht aus.
Türler ve etiketler
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Litres'teki yayın tarihi:
04 aralık 2019
Hacim:
1707 s. 13 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain