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Kitabı oku: «Salvator», sayfa 97

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CXXXI
»Ehre dem Muthe im Unglück!«

Herr von Marande war es, der Chante Lilas den Tod von Madame de Rozan und die Arretirung des amerikanischen Gentleman anzeigte.

Die Prinzessin von Vanvres vergoß eine Thräne der Erinnerung für ihren Geliebten und ging dann rasch zu einem andern Gesprächsgegenstande über.

Das ist das Eigenthümliche unserer unglücklichen Grisetten von Paris, daß sie das Hemde für ihren ersten Geliebten hergeben, aber kaum eine Thräne für die übrigen haben, die ihm folgen.

»So mußte dieser Mensch enden!« sagte sie, als ihr Herr von Marande meldete, daß Camille zum mindesten und nur durch viele Protection auf mehre Jahre zu den Galeeren verurtheilt werden würde.

»Und warum, liebe Freundin,« fragte Herr von Marande, »glauben Sie, daß Alle, die die Ehre haben, Sie zu lieben, so traurig enden? Das ist ein sehr grausamer Schluß.«

»Sie wechseln nur die Karten,« antwortete die Grisette lachend. »Und dann,« fügte sie mit einem spöttischen Blicke auf den neuen Minister der Finanzen hinzu, »ich sage auch nicht, daß Alle so enden! Zum Beispiele Du, mein Augapfel, Du hast viel zu wenig auf Erden gesündigt, daß man Dir nicht eine Loge im Paradiese miethen sollte. Apropos, Loge und Paradies, wann debutirt denn endlich mal die Signora Carmelite?«

»Uebermorgen,« antwortete Herr von Marande.

»Hast Du mir die Loge reserviert, um die ich Dich gebeten?«

»Natürlich,« antwortete der Banquier galant.

»Laß sehen,« sagte sie mit einem schmeichelnden Ausdruck, indem sie den Hals von Herrn von Marande umschlang.

»Hier,« machte dieser, indem er das Billet aus der Tasche zog.

Chante Lilas ergriff das Billet und betrachtete es vor Freuden erröthend.

»Also werde ich den Prinzessinnen gegenüber sitzen?« rief sie.

»Bist Du nicht selbst eine Prinzessin?«

»Da haben wir’s, jetzt moquirt er sich über mich,« sagte die Prinzessin von Vanvres schmollend; »aber ich habe vor drei Monaten die Brocante befragt und sie hat mir geschworen, daß ich die Tochter eines Fürsten und einer Fürstin sei.«

»Das ist nicht genug, Mignonne, und sie hat Dir die Wahrheit verschwiegen! Du bist nicht blos Prinzessin, Du bist Königin; die Findelkinder sind die Könige der Erde.«

»Und die verlorenen Männer sind ihre Minister!« sagte Chante Lilas maliziös, indem sie den Banquier ansah. »Aber ich werde doch die Prinzessinnen in der Nähe sehen; denn ich war vorgestern sehr schlecht in das Porte Saint Martin placirt, als man das Stück Ihres Freundes Jean Robert gab: ich erinnere mich des Titels nicht mehr.«

»Die Welsen und Ghibellinen!« sagte Herr von Marande lächelnd.

»Ja ja, die Wespen und Giffelinen!« rief die Prinzessin von Vanvres. »Diesmal werde ich den Namen behalten. Wo warst Du denn am Ende des Stücks, mein Lieber?«

»Ich ging in die Loge der Frau von Marande hinab, um ihr zum Erfolg unseres Freundes Jean Robert Glück zu wünschen.«

»Oder um eine Untreue an mir zu begehen, Elender!« unterbrach ihn Chante Lilas. »Ist es wahr, daß Du allen Frauen nachläufst?«

»Man sagt es!« antwortete Herr von Marande ziemlich albern; »aber wenn ich mir erlaube, allen Frauen nachzulaufen, so bleibe ich doch nur bei einer stehen.«

»Einer großen Dame?«

»Der größten von meiner ganzen Bekanntschaft.«

»Einer Prinzessin?«

»Von Geburt.«

»Und ich kenne sie?«

»Natürlich, weil Du es bist, Prinzessin.«

»Und Sie sagen, daß Sie zu meinen Füßen liegen?«

»Du siehst es,« sagte Herr von Marande, indem er vor Chante Lilas niederkniete.

»So ist’s recht,« sagte sie kopfschüttelnd, »so mußt Du büßen, Du hast es wohl verdient.«

»Das ist eine Belohnung, Prinzessin. Sagtest Du nicht so eben noch, daß ich wegen meines Verdienstes direct in den Himmel kommen würde?«

»Dann habe ich mich schlecht ausgedrückt,« unterbrach ihn die Grisette.

»Es ist ein Unterschied zwischen Tugend und Tugend, und Sünde und Sünde. Mit andern Worten, es gibt Tugenden, die Sünden sind, und Sünden, die Tugenden sind.«

»Zum Beispiel, Prinzessin?«

»Ich wußte nicht, daß Du eine solche Cafuistin seiest, mein Liebling.«

»Ich habe einige Zeit,« sagte die Prinzessin von Vanvres die Augen senkend und erröthend, »ich habe bei den Jesuiten von Montrouge Wasche aus- und eingetragen und diese haben mich . . . «

»Ueber den Gegenstand belehrt,« unterbrach sie der Banquier.

»Ja,« murmelte Chante Lilas halblaut, »ja,« wiederholte sie, einen Seufzer erstickend.

»Du konntest Dich an keine besser Unterrichteten wenden. Und was haben sie Dich mehr gelehrt, als was Du nicht von Natur aus wußtest?«

»Tausend Dinge, die ich nicht – behalten,« antwortete die Grisette erröthend, obgleich sie nicht leicht roth wurde.

»Zum Teufel,« rief der Minister aufstehend, »ich gehe, um Sie nicht an das zu erinnern, was Sie so ehrbar vergessen.«

»Das ist eine ächt jesuitische Ausflucht!« sagte Chante Lilas und biß sich auf die Lippen, »damit sind Ihre Sünden nicht abgekauft,« fügte sie hinzu, Herrn von Marande fest ansehend.

»Bestimmen Sie selbst den Preis der Sühne,« sagte der Banquier.

»Zuerst knieen Sie nieder.«

»Das bin ich.«

»Bitten Sie mich um Vergebung, daß Sie mich beleidigt haben.«

»Ich bitte Sie demüthig wegen meiner Beleidigungen um Vergebung, aber ich möchte diese Beleidigung auch kennen.«

»Sie wissen sie nicht?«

»Natürlich nicht, ich frage Sie ja.«

»Sie sind ein verkehrterer Mensch als ich glaubte.«

»Richten Sie mich wieder zurecht, Prinzessin.«

»Das Mittel?« seufzte Chante Lilas.

»Gib mir den Glauben, meine Liebe.«

»Ich fürchte sehr, daß der Glaube Sie nicht rettet.« .

»Versuche es,« sagte Herr von Marande etwas verlegen über die Wendung, welche das Gespräch nahm.

»Sieh mich an,« sagte Chante Lilas, indem sie ihre großen schwimmenden Augen voll Wollust auf den Banquier richtete.

Herr von Marande senkte die Augen unter dem Feuer dieses Blickes.

»Nun denn,« sagte die Grisette, »was ist Ihnen? Sollten Sie zufällig Maltheserritter sein und das Gelübde der Keuschheit abgelegt haben?«

Herr von Marande lächelte, aber nicht sonderlich anmuthig.

»Kind!« sagte er, indem er die Hände der Prinzessin von Vanvres nahm und sie küßte; »Kind,« wiederholte er, da er nicht mehr zu sagen wußte.

»Gestehen Sie, daß Sie mich nicht lieben,« sagte Chante Lilas.

»Ich werde das nie zugestehen,« sagte der Banquier.

»So bekennen Sie, daß Sie mich lieben.«

»Das will ich lieber.«

»Und . . . beweisen Sie es mir auch.«

Herr von Marande machte ein Mäulchen, was deutlich sagte:

»Das will ich weniger.«

»Erwarten Sie nicht etwa Gesellschaft?« fragte er, sei es um den Gegenstand des Gespräches zu wechseln, sei es, weil er hoffte, der Gefahr zu entgehen, die ihm drohte, eine Gefahr, die mit jedem Augenblicke durch die verzehrenden Blicke der Prinzessin größer wurde.

»Ich erwarte nur Sie,« antwortete Chante Lilas.

Sie war heute entzückend schön, die Prinzessin von Vanvres; die anmuthigsten Rosen lagen auf ihren Wangen, weiße Rosen waren in ihr Haar geflochten, von ihren Lippen strömte Feuer, Flammen schlugen aus ihren Augen; ihr weißer, etwas langer Hals bewegte sich weich und biegsam wie der eines Schwans; ihre weiße Brust hob und senkte sich in schönen Wellen.

Eingeschlossen genug, um Wünsche rege zu machen, und doch so entblößt, um sie zum höchsten Verlangen zu steigern, verhüllt endlich von einer blauen Gaze, die ihr bis auf die Füße herabfiel, machte sie den unaussprechlichen Eindruck, welchen der Anblick der Azurgrotte hervorbringt, in deren blauen Aether man sich stürzt, ohne zu wissen, ob man je wieder herauskommt.

Herr von Marande war weit entfernt, die Schönheiten dieses Schauspiels zu verkennen; er war aber noch weiter entfernt, sie zu kosten. Das Wichtige für ihn war nicht das Herauskommen oder Nichtherauskommen aus der Azurgrotte, sondern das Hineingehen; aber er beschloß wenigstens sich nichts merken zu lassen, und that Alles, um sich ein leidenschaftliches Ansehen zu geben.

Die Prinzessin von Vanvres, so sehr sie auch Frau war – und sie war es bis in die Nägelspitzen, – ließ sich einige Zeit täuschen. Sie klagte innerlich über die Kälte des Herrn von Marande, indem sie seine Zurückhaltung auf Kosten der Verachtung schrieb, die der Banquier gegen sie fühlen mußte.

Sie suchte deßhalb auf dies Gefühl einzugehen, indem sie sich des Leichtsinns anklagte, die Sünden ihres Lebens bekannte, und sich zu bessern und in Zukunft würdiger zu leben versprach, um sich die Achtung eines ehrenhaften Mannes zu verdienen. Eitler Versuch, unfruchtbare Bemühung.

Herr von Marande drückte sie in einem leidenschaftlichen Momente in seine Arme und rief:

»Wie schön Du bist, Mignon!«

»Schmeichler!« sagte Chante Lilas bescheiden.

»Ich kenne wenige Geschöpfe, die so schön wären, wie Du.«

»Du willst mich täuschen?«

»Dich täuschen, Prinzessin?« sagte der Banquier, indem er ihr den Arm vom Gelenke bis zur Schulter küßte.

»Du liebst mich also ein wenig?«

»Ob ich Dich liebe, meine Schöne! Ich liebe Dich nur zu sehr!«

Er nahm den Hals der jungen Frau in seine Hände und sagte mit einem so verliebten Blicke, als ihm nur möglich war:

»Bei dem Frühling, dessen Farben Du trägst, bei der Blume, deren Namen Du führst, liebe ich Dich ganz unaussprechlich, Prinzessin! Ich halte Dich für eines der reizendsten Geschöpfe, die ich in meinem Leben gesehen. Du gleichst zum Tauschen ähnlich einem der hübschen Mädchen, die das Fest der Hochzeit zu Cana von Paul Veronese schmücken. Aber ich habe Unrecht, zu suchen, wem Du gleichst, Du gleichst Niemand, Du gleichst nur Dir selbst und deßhalb fühle ich eine so innige Liebe für Dich; mit ein wenig gutem Willen wirst Du sie in meinen Augen finden.«

»In Deinen Augen! . . . ja . . . « sagte Chante Lilas melancholisch lächelnd.

Inzwischen war Herr von Marande aufgestanden, und dadurch in die Nähe der Lippen der Prinzessin von Vanvres gekommen, küßte er sie, um sie zu trösten, lebhafter, denn gewöhnlich.

Diese ließ den Kopf zurücksinken und murmelte leise oder seufzte vielmehr mit halb erstickter Stimme die drei in einem verliebten Munde so ausdrucksvollen Worte:

»O mein Freund! . . . o mein Freund!«

Aber der Freund, der unter diesen Conjuncturen gewiß dieses Titels nicht würdig war, weil er aus ihm bekannten Ursachen fürchtete, sich zu weit einzulassen oder weil er sicher war, sich nicht genug einzulassen, der Freund, sagen wir, wollte den Rückweg antreten, als der Mitarbeiter der Leute von Geist, den man den Zufall nennt, ihm Verstärkung schickte unter der Gestalt einer Glocke, deren Ton bis in das Boudoir der Grisette drang.

»Man bat geläutet, Prinzessin,« sagte Herr von Marande, dessen Gesicht vor Freude strahlte.

»Ich glaube wirklich, daß man geläutet hat!« antwortete Chante Lilas etwas verwirrt.

»Sie erwarten Leute?« fragte der Banquier, der sich die Miene gab, als wenn ihm das unangenehm wäre.

»Ich schwöre Ihnen, nein,« antwortete die Grisette, »und wenn Sie sich die Mühe nehmen wollten, die Person, welche geläutet, fortzuschicken, so würden Sie mir einen wahren Gefallen erweisen. Ich habe meine Kammerfrau verabschiedet, und kann doch nicht selbst sagen, daß ich nicht zu Hause in.«

»Das ist ganz richtig, Prinzessin,« sagte Herr von Marande lächelnd; »ich werde also den Unbequemen fortschicken.«

Er ging noch der Thüre, während er das Wesen, das ihn aus einer so fatalen Lage riß, segnete.

Er kam nach einem Augenblicke wieder.

»Ruthen Sie, wer es war, Prinzessin,« sagte er.

»Die Gräfin von Battoir ohne Zweifel?«

»Nein, Prinzessin.«

»Vielleicht meine Amme?«

»Noch weniger.«

»Meine Näherin?«

»Nein, ein junger Mann.«

»Ein Gläubiger?«

»Die Gläubiger sind immer alt! Ein junger Mann kann nur der Schuldner einer schönen Frau sein.«

»Also vielleicht mein Vetter Alphonse?« sagte Chante Lilas erröthend.

»Nein, Prinzessin! es ist ein junger und hübscher Knabe,« sagte er, »den Herr Jean Robert schickt.«

»Ah! ich weiß, wer es ist. Es ist ein armer Junge, der kein Geld hat, seinen Platz in der Porte Saint Martin zu bezahlen und der meine Protection bei Herrn Jean Robert nachsucht. Sie sind aus einer Provinz, aber er ist sehr schüchtern und wagt es nicht, seine Bitte direct anzubringen . . . «

»Deßhalb kommt er, Sie darum anzugehen,« fuhr Herr von Marande fort, »und er hat meiner Treu recht, Prinzessin. Er ist charmant, Prinzessin, der Junge. Und Sie sagen, er sei arm?«

»So arm, als jung.«

»Und was will er m Paris?«

»Sein Glück machen.«

»Ein großes Glück machen, Prinzessin, da er sich an Sie gewandt. Und weiß er etwas, außer seiner natürlichen Kenntniß?«

»Er kann lesen und schreiben . . . wie alle Welt.«

»Wie alle Welt, das will viel sagen,« dachte der Banquier, der die Schrift und den Styl der Prinzessin kannte. »Versteht er auch vielleicht zu rechnen?«

»Er ist Batelier dèslettres!«36 sagte Chante Lilas.

»Wenn er wirklich Batelier ist,« fuhr der Banquier fort, »so will ich ihm eine Barke geben, daß er damit fahren kann.«

»Sie würden das für ihn thun, während Sie ihn gar nicht kennen?« rief Chante Lilas.

»Ich thue das für Sie, den ich nicht genug kenne,« antwortete Herr von Marande höflich. »Sie können ihn morgen zu mir auf das Ministerium schicken. Wenn er so gescheut, wie angenehm ist, so sorge ich für seine Zukunft. Und in dieser Rücksicht, Prinzessin, möchte ich ein wenig von der Ihrigen sprechen, um nicht derangiert zu werden, wie eben. Ich fürchte, daß Sie sich über die Rolle täuschen, die ich Sie in meinem Leben zu spielen bat. Ich bin ein sehr beschäftigter Mann, Prinzessin, und die Staatsgeschäfte, abgesehen von den meinen, absorbieren mich so ausschließlich, daß es mir nicht erlaubt ist, mich mit Kleinigkeiten zu amüsieren. Auf der andern Seite bin ich aus politischen Gründen, die ich Ihnen jetzt nicht auseinander setzen kann, genöthigt, den Schein zu haben, als besitze ich eine Maitresse. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, mich zu verstehen?«

»Vollständig!« antwortete Chante Lilas.

»Nun denn, meine liebe Freundin, Sie haben das übernommen. Aber damit Sie es nicht vergessen, habe ich den wahren Sinn unserer Beziehungen in einer Art von Vertrag formuliert, den ich Ihnen hier lasse, damit Sie ihn nach Muße durchgehen können; Sie werden, hoffe ich, mit dem Preis, den ich für unser originelles Verhältniß festgesetzt, zufrieden sein. Und jetzt, Prinzessin, erlauben Sie mir, Ihre Haare zurecht zu rücken, die ich etwas aus der Ordnung gebracht.«

Und Herr von Marande zog aus seiner Brieftasche mehre Tausendfrankenbillets und steckte sie in Form von Papilloten in die Haare der Prinzessin von Vanvres.

»Leben Sie wohl, Prinzessin,« sagte er, nachdem er sie väterlich auf die Stirne geküßt; »ich werde Ihnen den Landsmann Jean Robert’s senden, und seien Sie überzeugt, daß der Junge uns Beiden die größte Ehre machen wird. Und wenn sein Gesang seinen Federn gleicht, so haben Sie ganz entschieden den Phönix gefunden, von dem Juvenal spricht.«

Und Herr von Marande verließ das Boudoir seiner Grisette, hoch erfreut, so billigen Kaufe weggekommen zu sein.

CXXXII
Colombe

Drei Jahre nach dem Drama, welches wir so eben erzählt und drei Tage nach dem Besuch des Herrn von Marande bei Chante Lilas, das heißt, am Ende des Winters von 1830 gab das Théâtre Italien, eine außerordentliche Vorstellung des Othello zu den Debuts einer Sängerin, welche zwei Jahre später in Italien als Signora Carmelite berühmt wurde, und welche die öffentliche Stimme noch ausdrucksvoller Signora Colomba nannte.

Ganz Paris, wie man gegenwärtig schreibt, aber wie man zu jener Zeit nur sagte, das ganze vornehme, intelligente, reiche Paris, kurz, das kunstliebende Paris, schien sich an jenem Abend bei den Italienern ein Rendezvous gegeben zu haben.

Sobald dieses Debut annonciert war, war auch der ganze Saal von oben bis unten verkauft, und die jungen Leute, welche an der Thüre Queue machten, riskierten keinen Eintritt zu bekommen. Was dieses Drängen, diesen antizipierten Enthusiasmus rechtfertigt, war, offen gesagt, nicht allein das anerkannte Talent der Debutantin, sondern auch ihr Charakter und das Interesse, das sie Allen einflößte, die einen Theil ihrer Lebensgeschichte kannten.

Schriftsteller jeden Genres, Lyriker, Romanschreiber, Dramatiker, Journalisten hatten sie unter allen Formen und in allen Tonarten besungen.

Jean Robert und Petrus hatten zum Erfolg Carmelitens viel beigetragen. Wir wissen, daß sie desselben würdig war.

Nach einem Jahre schwerer Prüfung, während welcher sie moralisch zwischen Leben und Tod geschwebt, hatte sie ihre drei Freundinnen, Regina, Lydia und Fragola über die zu ergreifende Lebensstellung befragt, welche ihr die Mittel an die Hand gebe, ihren Schmerz einzuschläfern.

Frau von Marande hatte zur großen Welt gerathen.

Regina zum Kloster.

Fragola zum Theater.

Sie hatten alle drei Recht; von irgend einem, Standpunkte aus sind die große Welt, das Kloster und das Theater drei Abgründe, in die man sich stürzt, wenn man den Weg verloren hat.

Die Persönlichkeit verschwindet, man gehört Gott, dem Vergnügen oder der Kunst an; nur sich selbst gehört man nicht mehr an.

Wir sehen Carmelite sich bei Frau von Marande versuchen, an jenem Abend, wo sie Camille von Rozan wieder fand und sich seinen Blicken ebenso plötzlich entzog.

Der alte Müller, kam eines Tages zu Carmelite und sagte ihr:

»Folge mir.«

Und er führte sie fort, ohne ihr zu sagen, wohin.

Eines Morgens erwachte sie in Italien. In Mailand angekommen, führte sie Müller in die Scala. Man spielte die Semiramide.

»Sieh, das ist Dein Kloster,« sagte er. auf das Theater deutend.

Dann zeigte er ihr Rossini im Hintergrunde einer Loge und fügte hinzu:

»Sieh, das ist Dein Gott.«

Vierzehn Tage später debutirte sie in der Scala in der Rolle der Arsace in der Semiramide, und Rossini erklärte sie für die prima Prima-Donna Italiens.

Drei Monate später spielte sie in Venedig die Donna del Lago und die jungen edlen Venezianer veranstalteten ihr auf dem großen Kanal unter den Fenstern ihres Palastes eine Serenade, von der noch alle Gondoliere sprechen.

Während der beiden Jahre, die sie in dem Lande der Melodie zugebracht, war sie, wie ungesehen, von Triumph zu Triumph geflogen; sie hatte sich zum Rang der diva erhoben; Rossini hatte sie geküßt, Bellini eine Oper für sie geschrieben, und Rußland, das schon zu jener Zeit uns die großen Künstler zu entführen suchte, die wir verkennen oder schlecht bezahlen, machte Carmelite den Antrag eines Engagements mit einer Gage, welche der Civilliste eines königlichen Prinzen gleich kamen.

Italienische Marquis, deutsche Barone, russische Fürsten, kurz hundert Prätendenten hatten um ihre Hand geworben; aber diese Hand sollte ewig den kalten Druck Colombaus fühlen.

Der Enthusiasmus der Menge war deßhalb, wie wir im Beginn dieses Kapitels sagten, wohl gerechtfertigt.

Der Saal strahlte von Blumen, Diamanten und Lichtern.

Der Hof nahm die Baronen, die Gesandtinnen die Balkonlogen, die Frauen der Minister die Logen gegenüber der Bühne ein.

In der fünften Loge zur Linken des Schauspielers saßen drei Personen, deren Schönheit das Auge der ganzen Welt auf sich zog, und deren Glück den Neid der ganzen Versammlung erregte.

Es war unser Freund Petrus Herbel, welcher seit einem Jahr mit der Prinzessin von Lamothe-Houdan verheirathet war; es war die junge und reizende Prinzessin Regina und die kleine Abeille, die seit einigen Wochen zur jungen Dame entfaltet, von der Kindheit nichts mehr hatte als jenen letzten Strahl, welchen die warmen Tage des Frühlings vom Morgen bewahren.

Gegenüber dieser Loge, auf der andern Seite des Saals, zur Rechten des Schauspielers, zog ebenfalls ein Paar, aus dessen Augen das unaussprechlichste Glück leuchtete, den Blick der Menge auf sich: es war unser Freund Ludovic, der erst kürzlich die kleine Rose-de-Noël geheirathet, welche durch den Tod des Herrn Gerard zur Millionärin, durch die Liebe Ludovic’s das glücklichste Wesen auf der Erde geworden.

In der Mitte des Saals gegenüber der Szene zogen zwei Logen, oder vielmehr die Personen die darin saßen, die Aufmerksamkeit auf eine eigenthümliche Weise auf sich. Wir müssen jedoch sogleich sagen, daß die Aufmerksamkeit, welche man der Loge zur Rechten zuwandte, anderer Art war, als die, welche man der Loge zur Linken zuwandte.

In der Loge zur Linken spreizte sich in einer wie die Sonne glänzenden Robe, deren Umfang alle Crinolinen der Zukunft übertraf, die Prinzessin von Vanvres, die hübsche Chante Lilas, welche von Zeit zu Zeit den Kopf langsam umwandte, um Herrn von Marande zu antworten, der sich im Hintergrund der Loge versteckte oder sich wenigstens den Schein davon gab.

Aber was den höchsten Grad von Aufmerksamkeit der Zuschauer fesselte, waren die Personen in der Loge zur Linken.

Der liebe Leser erinnert sich vielleicht nicht mehr, oder gestehen wir es offen, wir erinnern uns selbst kaum mehr jener reizenden Tänzerin, Namens Rosenha Engel, bei deren Benefice im kaiserlichen Theater zu Wien wir zugegen waren.

Sie saß in der Mitte der Loge in einer Robe von weißer Gaze, welche von Perlen, Steinen und Diamanten funkelte.

Zu ihrer Rechten, diesmal in Schwarz, der Mann, den wir im Wiener Theater in einem mit Gold und Perlen durchwirkten weißen Kaschemir, den Kopf mit einem Turban von Brokat umwunden, aus welchem Pfauenfedern herabhingen, gesehen; her, welchen man damals für den Geist des Genius der Diamantminen von Puna gehalten, der General Lebastard de Premont.

Zur Linken der Signora Rosenha Engel stand in Schwarz gekleidet wie der General, gleichsam der Schatten der Tänzerin und ernst wie der Schmerz, Herr Sarranti.

Wenn man von dieser Loge seine Blicke auf die Logen des Parterres warf, so konnte man an der Haltung der Personen, die darin saßen, leicht erkennen, daß sie nicht weniger als diese bei den Succes der Debutantin interessiert waren.

Wirklich waren es Justin und Mina, neuerdings verheirathet, welche den alten Müller zu beruhigen suchten, dessen Herz vor Furcht bei dem Gedanken schlug, das französische Publikum könne den Erfolg seiner Schüler nicht ratifizieren.

Neben ihnen saß ein reizendes Paar, Salvator und Fragola, d. h. die ungetrübte, wolkenlose, heitere Liebe, das Doppelglück, frisch wie die erste Liebe, stark und solid wie die letzte.

Gegenüber von diesen Logen saßen zwei Personen, welche die Aufmerksamkeit weder auf sich zogen, noch auf sich zu ziehen den Wunsch zu hegen schienen. Wir sprechen von Jean Robert und Frau von Marande. Wenn ihr je, meine lieben Leser, zwei Stunden mit der Frau, die ihr liebtet, in einer dunkeln Loge zugebracht und ihr in die Augen geschaut, während ihr eine gute Musik hörtet; wenn ihr je, meine schönen Leserinnen, für zwei Stunden abgeschieden von der Welt und tête-à-tête in aller Ruhe und Sicherheit die Schätze des Geistes und des Herzens eures Geliebten genießen konntet, so werdet ihr begreifen, wie der Abend für unsern Freund Jean Robert und für Frau von Marande verfloß.

Wenn wir endlich berichtet, daß mitten in den Orchesterplätzen, allein wie ein Paria, Herr Jackal saß, die Nase mit Tabak sich philosophisch stopfend, ohne Zweifel, um sich über seine Verlassenheit und über die Undankbarkeit der Menschen zu trösten, so haben wir alle wichtigen Schauspieler genannt, welche in diesem Drama mitwirkten.

Der Erfolg Carmelitens (oder vielmehr Colomba’s! denn von diesem Tage an blieb ihr der Name) übertraf alle Erwartungen. Nie hatte die Pasta, wie die Pizzaroni, die Mainvielle, die Catalani, die Malibran und in unsern Tagen die Grisi, Pauline Viardot, Frezzolini, nie hat eine dieser großen Sängerinnen die Räume eines Theaters von wärmeren Bravo’s, von begeistertem Applaus erdröhnen hören.

Die Romanze des letzten Actes:

Al piè d’un slice

wurde dreimal wieder verlangt: man hätte glauben sollen, die Zuschauer könnten sich nicht von dem Saal trennen, die Stimme Colomba’s umklammerte sie förmlich.

Man rief sie zehnmal; die Männer brachen in einen wahren Jubel aus und die Frauen warfen ihr Bouquets und Kränze zu.

Tausend Personen erwarteten sie an der Thüre, um sie zu beglückwünschen, das schöne und ernste junge Mädchen, in welcher die Kunst der Musik ihre wahre Form und Farbe zu gewinnen schien, in der Nähe zu sehen und wo möglich zu berühren.

Unter den Personen, welche sie an der Thüre erwarteten, war der alte Müller, der vor Freuden weinte, indem er den Hut abnahm.

Sie zeichnete ihn unter Allen aus, und auf ihn zugehend, ohne sich um die Bewunderung der Menge zu bekümmern, sagte sie:

»Meister, sind Sie mit mir zufrieden?«

»Du singst die Musik, wie Gott sie dictirt und wie Weber sie schreibt, meine Tochter, d. h. tadellos.«

Diese einfache und ehrfurchtsvolle Huldigung, welche der Alte dem jungen Mädchen darbrachte, wurde von der Menge so gut begriffen, daß Jedermann das Haupt entblößte und sich verbeugte, als sie vorüberging.

Sie aber nahm den Arm ihres alten Lehrers und verschwand mit den Worten:

»Warum hat mich Colombau statt zu sterben, nicht wie Othello die Desdemona erstickt?«

36.Baccalaure. Batelier = Schiffer.

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04 aralık 2019
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