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Kitabı oku: «Salvator», sayfa 96

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Und das junge Mädchen schritt drohend nach der Thüre.

»Du wirst nicht gehen!« rief Camille, indem er sie heftig am Arme ergriff und sie nach dem Kamine zurückführte.

»Du wirst nicht von hier weggehen!« rief Camille.

»So werde ich rufen,« sagte Susanne, indem sie sich von Camille loswand und nach dem Fenster stürzte.

Camille zog sie an den Haaren zurück, die bei ihren Liebkosungen aufgegangen waren.

Aber Susanne hatte Zeit gehabt, den Riegel des Fensters zu fassen und sich daran anzuklammern; Camille machte vergebliche Versuche, sie davon loszureißen.

In diesem Kampfe zerschlug ein Arm Susannens eines der Fenster.

Durch die Scherben der Scheiben verwundet, färbte sich der Arm mit Blut.

Bei dem Anblicke desselben kam Susanne in eine solche Wuth, daß sie, vielleicht ohne Ueberlegung, ohne zu wissen, was sie that, mit aller Gewalt den Schrei ausstieß:

»Zu Hilfe! ergreift den Mörder!«

»Schweige!« sagte Camille, indem er ihr den Mund mit der Hand zuhielt.

»Ergreift den Mörder! Zu Hilfe!« fuhr Susanne zu schreien fort, indem sie ihm mit aller Gewalt ihrer Zähne die Hände zerfleischte.

»Wirst Du schweigen, schweige!« sagte Camille dumpf, indem er ihr mit der andern Hand den Hals zudrückte und sie loszulassen zwang.

»Mörder! Mörder . . . !« stammelte Fräulein von Valgeneuse mit erstickter Stimme.

Camille, welcher kein anderes Mittel mehr fand, sie zum Schweigen zu bringen, warf sie zu Boden, indem er ihr immer fester den Hals zudrückte, während sie dicht neben Frau von Rozan lag.

Es war ein furchtbarer Kampf. Susanne krümmte sich in den Convulsionen des Todeskampfes, indem sie sich loszuringen suchte. Camille, welcher einsah, daß er verloren wäre, wenn es ihr gelänge, emporzukommen, drückte sie immer stärker; endlich war er ihrer Herr und ihr das Knie auf die Brust stemmend, sagte er:

»Susanne, wir kämpfen um Leben und Tod: schwöre mir, daß Du schweigen willst, oder ich mache bei meiner Seele zwei Leichen statt einer.«

Susanne stieß ein dumpfes Röcheln aus; dieses Röcheln war offenbar eine Drohung.

»Nun, es sei, wie Du willst, Viper!« sagte der junge Mann, indem er mit gleicher Schwere auf der Brust und dem Halse des Fräuleins von Valgeneuse lag.

So verflossen einige Sekunden.

Plötzlich glaubte Camille die Schritte mehrerer Personen zu hören: er wandte sich um.

Durch die Thüre des Zimmers von Dolores, welches nach dem Corridor zu offen geblieben und in das von Camille führte, erschien der Wirth mit einer Doppelflinte, gefolgt von drei bis vier Personen, zur Hälfte Reisenden, zur Hälfte Dienerschaft, welche auf den Schrei herbeigeeilt waren.

Er erhob sich unwillkürlich und ließ Susanne von Valgeneuse liegen.

Aber sie blieb ebenso unbeweglich als Frau von Rozan.

Camille hatte sie im Ringen erdrosselt.

Sie war todt.

Fünf bis sechs Jahre später, das heißt im Jahre 1835, als wir das Bagno von Rochfort besuchten, wo wir dem heiligen Vincenz von Paula des 19. Jahrhundert, dem Abbé Dominique einen Besuch machten, zeigte uns dieser den Geliebten von Chante Lilas, den Mörder von Colombau und den Meuchelmörder Susannens. Seine Haare, sonst so schwarz, waren weiß geworden wie der Schnee, sein sonst so heiteres Gesicht trug das Gepräge finsterer Verzweiflung.

Gibassier, der noch immer muntere, frische, lachende Junge, behauptete, Camille von Rozan sei etwas über hundert Jahre älter, als er.

CXXIX
Wo eine Fromme einen Voltairianer tödtet

Wir haben unseren Freund Petrus bei seinem Onkel, dem Grafen Herbel in der Eigenschaft eines Krankenwärters zurückgelassen; von dort hatte er an Regina geschrieben, daß, sobald der Gichtanfall vorüber sei, er seine Freiheit wieder bekommen würde und seine schöne Freundin aufsuchen konnte.

Aber die Gicht hat leider viel Aehnliches mit den Gläubigern: sie verläßt uns nur in der Stunde des Todes, das heißt, wenn sie nichts Anderes mehr thun kann.

Und der Gichtanfall des Grasen Herbel war weit entfernt, so rasch vorüber zu gehen, als sein Neffe geträumt hatte; im Gegentheil, er erneute sich von Stunde zu Stunde, und der General hatte in einem dieser schlimmen Augenblicke schon den Entschluß gefaßt, seiner Gicht einen Schabernack zu spielen, und sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen.

Petrus liebte seinen Onkel zärtlich; er hatte seinen Gedanken geahnt, und einige gute Worte, die von Herzen kamen, von mehreren Thränen begleitet, hatten den General so weit erweicht, daß er auf seinen finsteren Plan verzichtete.

Sie waren auf diesem Punkte angekommen, als sie die Marquise de Ia Tournelle, von Kopf bis zu Fuß schwarz gekleidet, hereinstürmen sahen.

»Oh!« rief der Graf Herbel, »ist der Tod so nahe, daß er mir die größte Qual meines Lebens schickt?«

»Lieber General,« sagte die Marquise de la Tournelle mit einer Stimme, der sie einen bewegten Ausdruck zu verleihen versuchte.

»Nun, was gibt es?« fragte der Graf barsch. »Können Sie mich nicht in Frieden sterben lassen, Marquise?«

»General, Sie wissen, was für ein Unglück über das Haus der de Lamothe-Houdan hereingebrochen ist.«

»Ich sehe, was es ist,« sagte der General Graf Herbel, indem er die Augenbrauen zusammenzog und sich auf die Lippen biß; »Sie ahnten, daß mein Neffe und ich den kürzesten Weg suchten, um aus diesem Leben zu kommen, und Sie eilten herbei, um ihn abzukürzen.«

»Sie sind heute nicht sonderlich gut gelaunt, General.«

»Gestehen Sie, daß ich keinen Grund dazu habe,« antwortete der Graf, indem er zuerst die Marquise und dann sein Bein ansah: »die Gicht und . . . . «

Er wollte sagen: und Sie, aber er hielt inne und fuhr dann fort:

»Nun, was wollen Sie?«

»Sie willigen also ein, mich anzuhören?« sagte die Marquise heiter.

»Was soll ich anders thun?« antwortete der Graf, indem er mit den Achseln zuckte.

Dann wandte er sich nach seinem Neffen um und sagte:

»Petrus, Du hast drei Tage lang die Luft von Paris nicht mehr geathmet, ich gebe Dir für zwei Stunden Deine Freiheit, mein Kind; denn ich kenne die Plaudereien der Frau Marquise, und ich zweifle nicht, daß sie mir das Vergnügen machen werde, diese bis zu Deiner Zurückkehr zu verlängern. Aber nicht langer als zwei Stunden, hörst Du? oder ich stehe nicht für mich ein.«

»In einer Stunde werde ich hier sein, mein Oheim,« rief Petrus, indem er die Hände des Generals herzlich drückte; »so viel Zeit brauche ich, um zu mir nach Hause zu gehen.«

»Bah!« rief dieser, »wenn Du einen Besuch zu machen hast, geniere Dich nicht.«

»Ich danke, Oheim!« sagte der junge Mann, indem er sich vor der Marquise verbeugte und ging.

»Jetzt sind wir beide allein, Marquise!« sagte der Graf Herbel, nachdem sein Neffe weggegangen war, in halb ernstem, halb spöttischem Tone. »Sie wollen mein Leben abkürzen, nicht wahr?«

»Ich will nicht den Tod des Sünders, General!« sagte die Frömmlerin salbungsvoll.

»Nun, da Herr Rappt, Ihr Sohn . . . «

»Unser Sohn,« unterbrach ihn die Marquise de la Tournelle lebhaft.

»Nun, sagte ich,« fuhr der General ruhig fort, »da Herr Rappt, Ihr Sohn, vor dem Richterstuhl des Ewigen Rechenschaft abzulegen gegangen ist, brauchen Sie mein Erbe nicht mehr für ihn.«

»Es handelt sich nicht um Ihr Erbe, General.«

»Jetzt,« fuhr der Graf Herbel fort, ohne den Worten der Marquise die geringste Aufmerksamkeit zu schenken zu scheinen, »jetzt, da der erlauchte und berühmte Marschall de Lamothe-Houdan, Ihr Bruder, todt ist, brauchen Sie meine Unterstützung nicht mehr zu verlangen, wie bei Ihrem letzten Besuche, um für eines jener monstruosen Gesetze stimmen zu lassen, deren sich die Völker bedienen, die Könige in’s Gefängniß zu werfen oder zu verbannen, die königlichen Kronen in die vier Winde zu streuen und die Throne in den Fluß zu schleudern. Wenn Sie mir also weder vom Grafen Rappt, noch vom Marschall de Lamothe-Houdan sprechen wollen, was kann mir dann die Ehre Ihres Besuches verschaffen?«

»General,« sagte die Marquise de la Tournelle in klagendem Tone, »ich habe viel gelitten, bin sehr gealtert, habe mich seit diesem doppelten Unglücksfall sehr verändert. Ich komme nicht, um mit Ihnen von meinem Bruder oder unserem Sohne zu sprechen . . . «

»Ihrem Sohn!« unterbrach sie Graf Herbel mit ungeduldiger Miene.

»Ich wollte Ihnen von mir sprechen, General.«

»Von Ihnen, Marquise?« fragte der General, indem er die Frömmlerin mit mißtrauischem Blicke ansah.

»Von mit und von Ihnen, General.«

»Nun also, halten wir aus,« murmelte der Graf Herbel. »Welche angenehme These können wir mit einander zu besprechen haben, Marquise? über welches interessante Sujet?«

»Mein Freund,« begann die Marquise de la Tournelle mit der süßesten Stimme, indem sie dem Grafen Herbel verliebte Taubenblicke zuwarf, »mein Freund, wir sind nicht mehr jung.«

»Wem sagen Sie das, Marquise?« antwortete oder flüsterte vielmehr der General.

»Die Stunde, die Fehler unserer Jugend zu sühnen,« fuhr die Marquise de la Tournelle in salbungsvollem Frömmlertone fort, »hat für mich schon lange geschlagen; wird sie nicht auch endlich für Sie schlagen, mein Freund?«

»Was nennen Sie die richtige Stunde der Sühne, Marquise?« fragte der Graf Herbel in mißtrauischem Tone und die Stirne runzelnd; »auf welchem Kirchthurm haben Sie sie schlagen hören?«

»Ist es nicht Zeit, General, uns zu erinnern, daß wir uns in unserer Jugend zärtlich geliebt?«

»Offen gesagt, Marquise, ich glaube nicht, daß es Zeit sei, sich dessen zu erinnern.«

»Sie leugnen, daß Sie mich geliebt?«

»Ich leugne es nicht, ich vergesse es, Marquise.«

»Sie bestreiten mir die Rechte, welche ich an Ihre Erinnerung habe?«

»Durchaus, Marquise.«

»Sie sind ein sehr verachtungswerther Mensch geworden.«

»Sie wissen, daß die alten Teufel Eremiten werden und die Menschen, wenn sie alt werden, Teufel. Wenn Sie nicht daran glauben, Marquise, so will ich Ihnen mein Bein zeigen.«

»Sie machen sich also keine Vorwürfe?«

»Verzeihen Sie, Marquise, ich mache mir einen.«

»Und welchen?«

»Daß ich Ihnen so viel kostbare Zeit raube.«

»Das heißt mich auf eine indirecte Weise verabschieden,« sagte die Marquise entrüstet.

»Sie verabschieden, Marquise!« rief der Graf Herbel gutmüthig. »Sie verabschieden!« wiederholte er. »Was für ein abscheuliches Wort sprechen Sie da aus? Wer zum Teufel denkt daran, Sie zu verabschieden?«

»Sie!« antwortete die Marquise de la Tournelle, »Sie, der Sie mir seit meinem Eintreten nichts als Impertinenzen sagen.«

»Gestehen Sie, Marquise, daß Sie lieber mir welche machen würden.«

»Ich begreife Sie nicht!« unterbrach ihn die Marquise de la Tournelle lebhaft.

»Das beweist zur Genüge, Marquise, daß wir beide das Alter überschritten haben, wo man sich Sottisen macht, statt sich welche zu sagen.«

»Ich wiederhole Ihnen, daß Sie ein abscheulicher Mensch sind, und daß meine Gelübde und Gebete Sie nicht retten werden.«

»Ich bin also wirklich in Gefahr, Marquise?«

»Sie sind mehr als halb verdammt.«

»Wirklich?«

»Ich sehe von hier schon die Region, in der Sie Ihr ewiges Leben zubringen werden.«

»Sprechen Sie von der Hölle, Marquise?«

»Ich spreche wenigstens nicht vom Paradiese.«

»Zwischen der Hölle und dem Paradiese, Marquise, ist das Fegefeuer, und wenn Sie es mich hier nicht thun lassen, so wird es mir doch dort oben gestattet sein, über meine Sünden nachzudenken.«

»Ja, wenn Sie sich bessern.«

»Auf welche Weise?«

»Wenn Sie Ihre Sünden eingesehen und büßen.«

»Es ist also eine Sünde, Sie geliebt zu haben?« sagte der Graf Herbel galant. »Gestehen Sie selbst^ es wäre nicht sehr höflich, wenn ich es bereuen wollte.«

»Es wäre nur gerecht, es zu sühnen.«

»Ich weiß, was es ist, Marquise; Sie wollen mich beichten machen und mir eine Strafe auferlegen; wenn diese meine Kräfte nicht übersteigt, so schwöre ich Ihnen auf mein Ehrenwort, daß ich sie über mich ergehen lassen will.«

»Sie werden bis zu Ihrem letzten Augenblicke scherzen!« sagte die Marquise unwillig.’

»O, noch viel länger, Marquise.«

»Kurz, wollen Sie Ihre Sünden sühnen oder nicht?«

»Sagen Sie mir das Mittel.«

»Heirathen Sie mich.«

»Man sühnt nicht eine Sünde durch eine andere, liebe Freundin!«

»Sie sind ein Unwürdiger!«

»Unwürdig, Sie zu heirathen, gewiß.«

»Sie weigern sich also?«

»Entschieden. Wenn es ein Ersatz wäre, so fände ich ihn zu schwach; wenn es eine Strafe, so finde ich sie zu stark.«

In diesem Augenblicke zog sich das Gesicht des alten Edelmannes so heftig zusammen, daß die Marquise de la Tournelle unwillkürlich schauerte.

»Was haben Sie, General?« rief sie.

»Einen Vorgeschmack der Hölle, Marquise,« sagte der Graf Herbel melancholisch lachend.

»Sie leiden viel.«

»Furchtbar, Marquise.«

»Wollen Sie, daß ich rufe?«

»Es ist unnöthig.«

»Kann ich Ihnen mit etwas dienen?«

»Gewiß.«

»Womit?««

»Wenn Sie gehen, Marquise.«

Die frivole Weise, in der diese drei Worte ausgesprochen wurden, machten die Marquise de la Tournelle erblassen. Sie erhob sich rasch und sah den alten General mit jenem giftigen Blicke an, aus den die Frömmler allein ein Privilegium haben.

»Gut!« sagte sie; »der Teufel hole Ihre Seele!«

»Ach! Marquise,« sagte der alte Edelmann, traurig seufzend, »ich sehe, daß ich ewig der Ihre bleiben werde!«

In diesem Augenblicke trat Petrus in das Schlafzimmer, dessen Thüre die Marquise gerade halb geöffnet.

Ohne auf die Marquise zu achten, und nur das verstörte Gesicht des Grafen sehend, lief er auf seinen Oheim zu, umschlang ihn mit seinen Armen

und sagte:

»Mein Oheim, mein lieber Oheim!«

Dieser sah Petrus mit einem Auge voll Trauer an, indem er sagte:

»Ist sie fort?«

In diesem Augenblicke schloß die Marquise gerade die Thüre.

»Ja, Oheim!« antwortete Petrus.

»Die Unglückliche!« seufzte der General, »sie hat mir den Todesstoß gegeben.«

»Kommen Sie zu sich, mein lieber Oheim!« rief der junge Mann, den die Blässe des Grafen erschreckte; »ich habe den Doktor Ludovic mitgebracht; erlauben Sie, daß er eintritt?«

»Allerdings, mein Kind!« sagte der Graf, »obgleich die Anwesenheit eines Arztes unnütz ist . . . es ist zu spät.«

»Mein Oheim! mein Oheim!« rief der junge Mann, »sprechen Sie nicht so!«

»Muth, Junge! und wenn ich immer als Edelmann gelebt, laß mich nicht so bürgerlich sterben, daß ich über diesen Schritt weich werden sollte. Hole Deinen Freund.«

Ludovic trat ein.

Nach Verfluß von fünf Minuten konnte Petrus in den Augen Ludovic’s das Todesurtheil des Grafen Herbei lesen.

Nachdem er dem jungen Doctor seine Hand gereicht, sagte der General, indem er die Hand seines Neffen lebhaft erregt ergriff, in seinem rührendsten Tone:

»Mein Kind, die Marquise de la Tournelle forderte mich soeben auf, da sie meinen Tod herannahen fühlte, daß ich ihr die Vergehen meines Lebens beichten solle. Ich habe, so viel ich weiß, nur eines begangen: es ist freilich nicht zu sühnen; ich habe versäumt, den ehrenwerthesten Menschen, dem ich in meinem Leben begegnet, aufzusuchen; ich spreche von Deinem Corsaren von Vater. Du wirst diesem alten Jacobiner sagen, daß mein einziger Schmerz im Augenblick des Todes der gewesen, daß ich ihm die Hand nicht mehr drücken konnte.«

Die beiden jungen Leute wandten den Blick ab, um dem guten alten Mann die Thränen zu verbergen, die aus ihren Augen rollten.

»Nun, Petrus,« sagte der Graf Herbel, der diese Bewegung bemerkte und die Bedeutung verstand, »bist Du kein Mann und ist der Anblick einer erlöschenden Lampe ein so außergewöhnlich Schauspiel, daß Du mir Dein treues Gesicht in diesem letzten Augenblicke verbirgst? Komm näher zu mir, mein Kind; auch Sie, Doctor, sein Freund. Ich habe viel und lang gelebt und habe, ohne mir das Aussehen zu geben, das letzte Wort des Daseins gesucht; sucht es nicht, meine Kindes denn ihr kommt sonst, wie ich, zu dem melancholischen Schlusse, daß mit Ausnahme von ein oder zwei glücklichen Gefühlen, wie die, welche Du und Dein Vater mir eingeflößt, der süßeste Augenblick des Lebens der ist, wo man es verläßt.«

»Mein Oheim! mein Oheim!« rief Petrus schluchzend; »um des Himmels willen, lassen Sie mich glauben, daß wir noch, viele Tage haben, um über Tod und Leben zu philosophiren.«

»Kind!« sagte der Graf Herbel, indem er seinen Neffen mit einem Blicke voll Schmerz, Ironie und Resignation ansah, »Kind, flieh!«

Dann erhob er sich, wie wenn er von einem oberen Militär aufgerufen würde und sagte, wie der alte Mohicaner der Prairie:

»Hier!«

So starb der Abkömmling der Courtenay, der General Graf Herbel!

CXXX
Ende gut, alles gut

Die Zauberinnen haben ein Herz, wie beinahe alle Naturmenschen und ihr Herz strömt bisweilen über, und um so reichlicher, je tiefer es gegraben ist.

Der Leser, der sich der abstoßenden Häßlichkeit Brocante’s erinnert, wird vielleicht sehr erstaunt sein, wenn wir ihm sagen, daß die Brocante zweimal während ihres phantastischen Lebens von Leuten, die sich auf Schönheit verstanden, von Jean Robert und Petrus, so schön gefunden wurde, daß sie die Erinnerung an sie festzuhalten suchten, der Eine auf dem Papier, der Andere auf der Leinwand.

Aber als getreuer Erzähler glauben wir die Wahrheit sagen zu müssen, wie groß auch das Staunen und die Ungläubigkeit unserer Leser sein mag.

Die Brocante war bei zwei Gelegenheiten schön gewesen: das erste Mal am Tage des Verschwindens von Rose-de-Noël, das zweite Mal am Tage der Rückkehr des jungen Mädchens in das Haus der Rue d’Ulm.

Man weiß, daß wenn Salvator etwas von der Brocante erreichen wollte, er nur drei Worte auszusprechen brauchte, nämlich: »Sesam, öffne Dich!« Er sagte:«Ich entführe Rose-de-Noël« und augenblicklich ließ sie es geschehen.

Sie betete den Findling an.

Jeder Verbrecher, jeder Egoist hat – so sehr sie auch verborgen sein mag – eine Fiber, die die Jugend eines Tages vibriren machen kann.

Diese alte, finstre, egoistische Natur betete Rose-de-Noël an, wie wir beim Beginne unserer Erzählung sagten.

Erinnert Ihr euch jenes, bewundernswürdigen Pianto von Triboulet in le Rui s’amuse unsres lieben Hugo? Nun, der Schrei des Schreckens und der Bestürzung, welchen Brocante ausstieß, als sie bei ihrer Heimkehr erfuhr, daß Rose-de-Noël verschwunden, war nicht minder groß, als jener.

Jener alte Narr, der Triboulet ist von einer erhabenen Schönheit, als er die Entführung seiner Tochter erfährt; so schön war auch die Brocante, als sie die Entführung Rose-des-Noëls erfuhr.

Wenn ich nicht fürchtete für paradox zu erscheinen, so würde ich zu zeigen suchen, daß der Verlust eines Kindes ebenso grausam und fürchterlich für eine Adoptivmutter ist, als für die wirkliche Mutter.

Bei der Einen kommt der Schmerzensschrei aus dem Innern des Körpers: es ist ein Stück Fleisch, das sich losreißt; bei der Andern kommt es aus dem Herzen: es ist das Leben, das entflieht.

Ich kannte einen alten alten Mann, der ein Kind fünfundzwanzig Jahre lang erzogen hatte; er war augenblicklich des Todes, als er erfuhr, daß sein Sohn im Spiele betrogen. Der wirkliche Vater hätte ihm Vorwürfe gemacht und ihn nach Belgien oder Amerika geschickt, um dort die Verjährung seines Verbrechens abzuwarten.

Die Trauer war wirklich groß, als sie diese Nachricht erhielt. Sie wiegelte das ganze Zigeunercorps auf; sie bot, wenn es nöthig sei, für die Wiederauffindung des kostbaren Steines, den man Adoptivkind nennt, den Hauptjuwel der Krone des ersten Königs von Böhmen, welchen sie im denkwürdigen Kampfe mit dem Satanas selbst errungen. Ihr Schmerz war mit einem Worte auf’s Höchste gestiegen, und nur die Freude konnte ihm gleichen, als sie das Kind wiederfand.

An jenem Tage brachen Jean Robert, Petrus, Ludovic und vor allem Salvator über die triumphierende Schönheit der Zauberin in Bewunderung aus.

Deßhalb erlaubten wir uns zu sagen, jene häßliche Alte sei zweimal in ihrem Leben schön gewesen.

Ihre Schönheit dauerte freilich nicht lange.

Man erinnert sich, daß Rose-de-Noël bis zu dem für die Heirath mit Ludovic bestimmten Augenblicke in eine Pension treten sollte. Als Salvator der Brocante diese Kunde mittheilte, vergoß die Zauberin Thränen; dann stand sie auf und sah Salvator mit einem drohenden Blicke an, indem sie ausrief:

»Nie!«

»Brocante,« machte Salvator sanft, und im tiefsten Herzen von dem Gefühle bewegt, das diese Worte dictirte, »Brocante, das Kind muß die Welt kennen lernen, in die es eintreten soll. Es ist nicht damit gethan, daß man die Namen der Krähen und der Hunde kennt; die Gesellschaft verlangt eine vielseitige Bildung. An dem Tage, wo das arme Mädchen den Fuß in den kleinsten Salon setzte, würde sie sich so unbehaglich fühlen, wie ein Wilder aus den Urwäldern in einem Salon der Tuilerien.«

»Es ist meine Tochter,« sagte die Brocante bitter.

»Gewiß!« sagte Salvator in ernstem Tone, »Und was dann?«

»Sie gehört mir,« fuhr die Brocante fort, als sie Salvator von ihren mütterlichen Rechten so überzeugt sah.

»Nein!« antwortete Salvator; »sie gehört der Welt, sie gehört namentlich und vor Allem dem Manne, der sie aus Liebe gerettet oder sie geliebt, indem er sie rettete; er ist ihr Adoptivvater (ein Arzt ist ein Vater!), wie Du ihre Mutter bist! Man muß sie für die Welt erziehen, in der sie leben soll, und Du, Brocante, kannst sie nicht unterrichten. Ich nehme sie also fort.«

»Nie!« wiederholte die Brocante mit einem herzzerreißenden Tone.

»Es muß sein, Brocante,« sagte Salvator streng.

»Herr Salvator!« rief die Zauberin mit bittendem Tone, »lassen Sie sie mir noch ein Jahr, nur noch ein Jahr!«

»Es ist unmöglich!«

»Ein kleines Jahr, ich flehe Sie darum an! ich hatte viele Sorge mit dem Kinde, ich versichere Sie; ich werde noch mehr sorgen für sie! Ich werde sie in Sammet und Seide kleiden; es soll kein schöneres Mädchen geben, als sie. Ich bitte Sie, Herr Salvator, lassen Sie sie mir noch ein Jahr, nur noch ein Jahr.«

Die arme Hexe weinte, als sie diese Worte sprach. Salvator, auf’s Tiefste gerührt, wollte noch nichts von seiner inneren Bewegung merken lassen. Weit entfernt, that er sogar, als wenn er gereizt wäre. Er zog die Brauen zusammen und sagte laconisch:

»Es ist entschieden!«

»Nein! nein! nein!« wiederholte die Brocante Schlag auf Schlag. »Nein, Herr Salvator, Sie werden das nicht thun. Sie ist noch kränklich, vorgestern hatte sie einen furchtbaren Anfall. Herr Ludovic hatte sie kaum verlassen. Eine Viertelstunde nach seinem Weggang stieß sie einen Schrei au« und sagte: »Ich ersticke!« Das Blut stieg ihr bis in die Augen. Arme kleine Rose! In diesem Augenblicke, Herr Salvator, glaubte ich, sie verlieren zu müssen. Wenig hat gefehlt. Sie fiel auf den Stuhl zurück, sie schloß die Augen und stieß Schreie aus! . . . was für Schreie, guter Gott: Schreie aus der andern Welt, Herr Salvator! Dann nahm ich sie in meine Arme, legte sie auf die Erde, wie mir Herr Ludovic befohlen und sagte: »Rose! mein Röschen! meine kleine Rose!« kurz Alles, was ich ihr sagen konnte. Man mußte sehen, wie die kleine Brust zuckte, wie wenn sie in einen Schraubstock gethan gewesen, und die Adern ihres Halses schwollen an, daß man hätte glauben können, sie würden bersten. O! Herr Salvator, ich habe viel Trauriges in der Welt gesehen, aber nichts Traurigeres, als das. Endlich hat sie geweint: ihre Thränen haben sie erfrischt, wie ein guter Regen; sie hat ihre schönen Augen wieder geöffnet und gelacht; sie war für diesmal gerettet; aber sie hören mich ja gar nicht, Herr Salvator! . . . «

Die naive Erzählung der größten Krisis des Weibes vor und nach der Geburt, welche man das Spasma nennt, hatte auf unsern Freund Salvator einen so tiefen Eindruck gemacht, daß er den Kopf abgewandt, um seine Bewegung zu verbergen.

»Ich weiß das, Brocante,« sagte Salvator, mit einem Tone, den er trocken zu machen suchte, »Ludovic hat es mir diesen Morgen erzählt und deßhalb will ich sie fortbringen. Das Kind bedarf größerer Pflege.«

»Und wohin wollen Sie sie bringen?« fragte die Brocante.

»Ich habe Dir’s bereits gesagt, in ein Pensionnat!«

»Das ist doch nicht Ihre Absicht, Herr Salvator! Nicht wahr in ein Pensionnat hat man die kleine Mina gebracht?«

»Allerdings.«

»Hat man sie nicht entführt?«

»Aus diesem Pensionnat wird man sie nicht entführen.«

»Wer wird sie denn bewachen?«

»Du fällst es sogleich erfahren. Wo ist sie denn?«

»Wo sie ist?« sagte die Zauberin, indem sie Salvator mit scheuem Blicke ansah und schauerte, als sie merkte, daß der Augenblick der Trennung herannahte.

»Nun ja! wo ist sie?«

»Sie ist nicht hier,« stotterte die alte Frau: »für den Augenblick ist sie abwesend. Sie ist« . . .

»Du lügst, Brocante!« unterbrach sie Salvator.

»Ich schwöre es Ihnen, Herr Salvator.«

»Du lügst, sage ich!« wiederholte der junge Mann, indem er die Brocante mit strengem Blicke ansah.

»Gnade, Herr Salvator!« rief die arme Alte und fiel, seine Hände küssend, Salvator zu Füßen. »Gnade, nehmen Sie sie nicht fort! Sie tödten mich! es ist mein Tod!«

»Auf! erhebe Dich!« sagte Salvator immer gerührter; »wenn Du sie wahrhaft liebst, mußt Du wünschen, stolz auf sie sein zu können. Und dazu muß sie Unterricht erhalten; Du kannst sie sehen, wann Du willst.«

»Sie versprechen es mir, Herr Salvator?«

»Ich schwöre es Dir,« sagte der junge Mann feierlich. »Rufe sie.«

»O Dank! Dank!« rief die alte Frau, indem sie die Hände Salvator’s mit Thränen und Küssen bedeckte.

Dann erhob sie sich mit einer Lebhaftigkeit, die man nicht von ihrem Alter erwarten durfte.

»Rose, Röschen, meine liebe Rose!« rief sie.

Auf diesen Ruf erschien Rose-de-Noël.

Die Hunde bellten lustig, die Krähe schlug mit den Flügeln.

Es war nicht mehr das Kind, das wir beim Beginne dieser Geschichte, in dem Capernaum der Rue Triperet sahen; es war nicht mehr das junge, wie die Mignon unsres tiefbeweinten Ary Scheffer gekleidete Mädchen; es war nicht mehr das kränkliche Gesicht des armen Kindes unserer Faubourgs; es war ein großes, hochaufgeschossenes Mädchen, mit tief unter den schwarzen und dicken Brauen liegenden Augen, welche vielleicht etwas scheu aussahen, aus denen aber belebende Flammen schossen.

Bei ihrem Eintritt in das Empfangszimmer der Brocante färbten sich ihre Wangen mit einem sanften Rothe, das bei dem Anblicke Salvator’s in ein tiefes Roth überging.

Sie ging auf ihn zu, fiel ihm um den Hals, umschlang ihn und küßte ihn zärtlich.

»Und ich?« sagte die Brocante, indem sie mit einem eifersüchtigen Blicke auf diese Szene sah.

Rose-de-Noël eilte auf die Brocante zu und rief, indem sie sie in ihren Arm preßte und küßte:

»Liebe Mutter!«

In diesem Augenblicke trat eine neue Persönlichkeit ein oder vielmehr sprang wie ein Gummiball in den Salon.

»Hah! Brocante!« sagte diese Person, indem sie ein Rad schlug, vermuthlich, um rascher bei der Person zu sein, an die sie sich wandte, »ich melde Dir, daß Gesellschaft kommt, vier Frauen von der haute, die sich wollen Karten schlagen lassen für ihre blanken Thaler.«

Und Salvator bemerkend, fuhr der Genannte fort, indem er sich wieder auf die Füße stellte und die Augen senkte:

»Verzeihung, Herr Salvator, ich sah Sie nicht.«

»Du bist es, Taugenichts!« sagte Salvator zu Babolin, den auch der wenigst scharfsinnige Leser erkannt haben wird.

»Ich bin es!« sagte Babolein, wie vor ihm und lange nach ihm der berühmte Sire von Framboisy gesagt!

»Von welcher Gesellschaft sprichst Du?« fragte Salvator.

»Vier Damen,« antwortete Babolein, »die sich ohne Zweifel ihr Glück prophezeien lassen wollen.«

»Bringe sie herauf!« sagte Salvator.

Und schon nach einem Augenblick traten vier junge Frauen in das Zimmer,

»Hier!« sagte Salvator zu der Brocante, indem er auf die vier Damen deutete, »hier sind die vier mit der Erziehung Rose-de-Noël’s beauftragten Damen.«

Die Zauberin zitterte.

»Diese Dame,« sagte Salvator, indem er auf Regina deutete, »wird das Kind das Zeichnen lehren, von dem Petrus ihr schon die Anfangsgründe beigebracht; diese Dame, fuhr er mit einem melancholischen Blicke auf Carmeliten fort, »wird ihr die Musik lehren; diese Dame,« fügte er hinzu, indem er auf Frau von Marande deutete, und sie beinahe lächelnd ansah, »wird ihr die Haushaltung führen lehren. Was diese Dame endlich betrifft,« schloß er mit einem zärtlichen Blicke auf Fragola, »so wird sie ihr« . . .

Regina, Carmelite und Lydia ließen ihn nicht aussprechen, sie sagten zu gleicher Zeit:

»Die Liebe lehren!«

Salvator dankte mit dem Blicke.

»Wollen Sie mit uns kommen, Kind?« sagte Regina.

»Ja, gute Fee Carita!« antwortete Rose-de-Noël.

Die Brocante zitterte an allen Gliedern; ihre Wangen wurden so roth, daß Salvator einen Augenblick fürchtete, sie habe einen Schlagfluß bekommen.

Er eilte auf sie zu.

»Brocante,« sagte er, ihre Hand fassend, »Muth! hier sind vier Engel, welche Gott sendet, Dich aus der Hölle zu erretten. Betrachte sie. Glaubst Du nicht, daß dieses Kind, das Du liebst, besser unter ihren weißen Flügeln aufbewahrt sei, als unter Deinen schwarzen Klauen? Auf, Muth, arme Alte! ich wiederhole Dir, Du wirst sie nicht verlassen! und einer der guten Geister wird Dich adoptieren, wie sie Dein Kind adoptiren. Welche von euch wird Brocante adoptieren?« fügte er hinzu, indem er sich in dem Kreise umsah.

»Ich!« sagten sie alle zu gleicher Zeit.

»Du siehst, Brocante,« sagte Salvator.

Die alte Frau senkte den Blick.

»Das beweist,« fügte der junge Mann philosophisch hinzu, indem er die Zauberin und die vier Frauen ansah, »daß es in der künftigen Welt keine Waisen mehr geben wird, denn die Gesellschaft wird ihre Mutter sein!«

»So sei es!« rief nicht minder prophetisch Babolein, indem er ironisch das Zeichen des Kreuzes machte.

—–

Ein Jahr nach dieser Szene heirathete Rose-de-Noël, welche nunmehr zwei Millionen besaß, die ihr Herr Gerard wider seinen Willen hinterlassen, unsern Freund Ludovic, der einer unserer berühmtesten Aerzte und eine unserer größten wissenschaftlichen Notabilitäten geworden.

Und wie um das Sprichwort zu rechtfertigen: »Ende gut, Alles gut,« hat Rose-de-Noël ihre Gesundheit durch die Liebe wieder gewonnen; was beweist, daß Molière, wie Jean Robert sagte, noch immer der berühmteste Arzt ist, den man kennt, da er »die Liebe als Arzt« geschaffen.

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04 aralık 2019
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1707 s. 13 illüstrasyon
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