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Kitabı oku: «Zwanzig Jahre nachher», sayfa 5

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V
Gascogner und Italiener

Während dieser Zeit war der Cardinal in sein Cabinet zurückgekehrt, an dessen Thüre Bernouin wachte, den er fragte, ob nichts Neues vorgefallen und ob keine Meldung von Außen gekommen wäre. Auf seine verneinende Antwort hieß er ihn durch ein Zeichen sich entfernen.

Allein geblieben öffnete er die Thüre des Corridors und dann die des Vorzimmers. D’Artagnan schlief ermüdet auf einer Bank.

»Herr d’Artagnan!« sprach er mit leiser Stimme.

D’Artagnan rührte sich nicht.

»Herr d’Artagnan!« sprach er lauter.

D’Artagnan fuhr fort zu schlafen.

Der Cardinal näherte sich ihm und berührte seine Schulter mit der Fingerspitze.

Dießmal fuhr d’Artagnan zusammen, erwachte und stand erwachend auch aufrecht, wie ein Soldat unter den Waffen.

»Hier!« sagte er, »wer ruft mich?«

»Ich,« erwiderte Mazarin mit seinem freundlichsten Gesichte.

»Ich bitte Eure Eminenz um Vergebung,« sprach d’Artagnan, aber ich war so müde …«

»Bittet nicht um Vergebung, mein Herr,« erwiderte Mazarin, »denn Ihr habt Euch in meinem Dienste ermüdet.«

D’Artagnan bewunderte die anmuthige Miene des Ministers.

»Oho!« murmelte er zwischen den Zähnen, »ist das Sprichwort wahr, welches sagt: Das Gute kommt im Schlafe?«

»Folgt mir, mein Herr,« sagte Mazarin.

»Vortrefflich,« murmelte d’Artagnan, »Rochefort hat mir Wort gehalten; nur möchte ich wissen, wo des Teufels er herausgekommen ist?«

Und er schaute in allen Winkeln des Cabinets umher, aber es war kein Rochefort da.

»Herr D’Artagnan,« sagte Mazarin, nachdem er sich gesetzt und eine bequeme Stellung in seinem Fauteuil eingenommen hatte, »Ihr seid mir immer als ein braver muthiger Mann vorgekommen.«

»Das ist möglich,« dachte d’Artagnan, »aber er hat sich Zeit gelassen, es mir zu sagen.« Dessen ungeachtet bückte er sich vor Mazarin bis auf den Boden, um sein Compliment zu erwidern.

»Nun wohl,« fuhr Mazarin fort, »der Augenblick ist gekommen, um aus Eurem Talente und aus Eurem Rathe Nutzen zu ziehen.«

Die Augen des Offiziers schleuderten gleichsam einen Freudenblitz, der sogleich wieder erlosch, denn er wußte nicht, wo Mazarin hinaus wollte.

»Befehlt, Monseigneur, ich bin bereit, Eurer Eminenz zu gehorchen.«

»Herr d’Artagnan,« fuhr Mazarin fort, »Ihr habt unter der letzten Regierung gewisse Thaten vollbracht …«

»Eure Eminenz ist zu gut, daß sie sich dessen erinnert … Es ist wahr, ich habe den Krieg mit ziemlich günstigem Erfolg mitgemacht …«

»Ich spreche nicht von Euren Kriegsthaten,« entgegnete Mazarin, »denn obgleich sie einiges Aufsehen machten, »so sind sie doch von andern übertroffen worden.«

D’Artagnan spielte den Erstaunten.

»Wie?« sprach Mazarin, »Ihr antwortet nicht?«

»Ich warte darauf,« versetzte d’Artagnan, »daß Monseigneur mir sagt, von welchen Thaten er zu sprechen die Gnade hat.«

»Ich spreche von den Abenteuern in … Ihr wißt wohl, was ich sagen will?«

»Ach nein, Monseigneur,« antwortete D’Artagnan ganz erstaunt.

»Ihr seid verschwiegen? desto besser! Ich spreche von jenem Abenteuer der Königin, von den Nestelstiften, von der Reise, die Ihr mit drei von Euren Freunden gemacht habt.«

»He, he!« dachte der Gascogner, »ist das eine Falle? Da müssen wir fest halten.«

Und er bewaffnete seine Züge mit einem Erstaunen, um das ihn Mondori und Bellerose, die zwei besten Schauspieler jener Zeit, beneidet hätten.

»Sehr gut!« rief Mazarin lachend. »Bravo! man hat mir wohl gesagt, Ihr wäret der Manns dessen ich bedürfe. Laßt hören, was würdet Ihr wohl für mich thun?«

»Alles, was Eure Eminenz mir zu thun befehlen wird,« antwortete D’Artagnan.

»Werdet Ihr für mich thun, was Ihr einst für eine Königin gethan habt?«

»Es ist entschieden,« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »man will mich zum Sprechen bringen. Lassen wir ihn immerhin herankommen. Der Teufel ist nicht feiner, als Richelieu.«

»Für eine Königin, Monseigneur? ich begreife nicht!«

»Ihr begreift nicht, daß ich Eurer und Eurer drei Freunde bedarf?«

»Welcher Freunde, Monseigneur?«

»Eurer drei ehemaligen Freunde.«

»Ehemals hatte ich nicht drei, sondern fünfzig Freunde, Monseigneur,« antwortete d’Artagnan. »Mit zwanzig Jahren nennt man alle Menschen seine Freunde.«

»Gut, gut, Herr Offizier,« sagte Mazarin; »die Verschwiegenheit ist eine schöne Sache, aber heute könntet Ihr es bereuen, zu verschwiegen gewesen zu sein.«

»Monseigneur, Pythagoras ließ seine Schüler fünf Jahre lang Stillschweigen beobachten, um sie schweigen zu lehren.«

»Und Ihr habt es zwanzig Jahre lang beobachtet, mein Herr, das ist fünfzehn Jahre mehr, als ein pythagoräischer Philosoph, was mir hinreichend erscheint. Sprecht also heute immerhin, denn die Königin selbst entbindet Euch Eures Schwures.«

»Die Königin!« sagte d’Artagnan mit einem Erstaunen, das diesmal nicht gespielt war.

»Ja, die Königin. Und zum Beweise, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche, hat sie mich beauftragt, Euch diesen Diamant zu zeigen, von welchem sie behauptet, Ihr kennt ihn, und den sie von Herrn des Essarts wieder erkauft hat.«

Mazarin streckte die Hand nach dem Offizier aus, und dieser seufzte, als er den Ring wieder erkannte, den ihm die Königin am Abend des Balles im Stadthause geschenkt hatte.

»Es ist wahr,« sagte D’Artagnan, »ich erkenne diesen Diamant, welcher der Königin gehört hat.«

»Ihr seht also wohl, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche. Antwortet mir, ohne fernerhin Komödie zu spielen. Ich habe Euch schon gesagt und wiederhole, daß Euer Glück davon abhängt.«

»Meiner Treu, Monseigneur, ich habe es sehr nöthig, mein Glück zu machen. Eure Eminenz vergaß mich so lange!«

»Es braucht nicht mehr, als acht Tage, um dies gut zu machen. Ihr seid einmal hier; aber wo sind Eure Freunde?«

»Ich weiß es nicht, Monseigneur.«

»Wie, Ihr wißt es nicht?«

»Nein, wir sind seit geraumer Zeit getrennt, denn alle Drei haben den Dienst verlassen.«

»Aber wo werdet Ihr sie wiederfinden?«

»Ueberall, wo sie sich aufhalten; das ist meine Sache.«

»Gut … Eure Bedingung?«

»Geld, Monseigneur, so viel, als unsere Unternehmungen fordern. Ich erinnere mich zuweilen nur zu gut, wie sehr wir ohne Geld gehemmt waren, und ohne diesen Diamant, den ich zu verkaufen mich genöthigt sah, wären wir auf dem Wege liegen geblieben.«

»Teufel! Geld, und zwar viel,« sprach Mazarin. »Wie rasch Ihr darauf losgeht, Herr Offizier! Wißt Ihr, daß in den Kassen des Königs kein Geld ist?«

»Macht es wie ich, Monseigneur, verkauft die Diamanten der Krone. Glaubt mir, wir wollen nicht handeln; man führt große Dinge nur schlecht aus mit kleinen Mitteln.«

»Nun wohl,« sprach Mazarin, »wir werden Euch zu befriedigen suchen.«

»Richelieu,« dachte d’Artagnan, »hätte mir bereits fünfhundert Pistolen Handgeld gegeben.«

»Ihr gehört also mein?«

»Ja, wenn meine Freunde wollen.«

»Aber falls sie sich weigern, kann ich auf Euch zählen?«

»Ich habe nie etwas Gutes ganz allein gethan,« antwortete D’Artagnan, den Kopf schüttelnd.

»Sucht sie also auf.«

»Was soll ich ihnen sagen, um sie zu bestimmen,« Eurer Eminenz zu dienen?«

»Ihr kennt sie besser als ich; nach ihren Charakteren versprecht ihnen.«

»Was soll ich ihnen versprechen?«

»Sie mögen mir dienen, wie sie der Königin gedient haben, und meine Dankbarkeit wird glänzend sein.«

»Was sollen wir thun?«

»Alles, denn es scheint, Ihr wißt Alles zu thun.«

»Monseigneur, wenn man Vertrauen zu den Menschen hat und man will, daß sie Vertrauen zu uns haben sollen, so unterrichtet man sie besser, als dies Eure Eminenz thut.«

»Ist der Augenblick gekommen,« versetzte Mazarin, »so werdet Ihr alle meine Gedanken erfahren, darüber seid unbesorgt.«

»Und bis dahin?«

»Wartet und sucht Eure Freunde.«

»Monseigneur, vielleicht sind sie nicht in Paris; ja dies ist sogar wahrscheinlich, ich werde reisen müssen. Ich bin nur ein sehr armer Musketierlieutenant und die Reisen sind theuer.«

»Es liegt nicht in meiner Absicht,« sagte Mazarin, »daß Ihr mit einem großen Gefolge erscheint. Meine Pläne bedürfen des Geheimnisses und würden unter einer großen Equipage leiden.«

»Ich wiederhole, Monseigneur, ich kann nicht mit, meinem Solde reisen, da man bei mir mit drei Monaten im Rückstande ist, und ich kann auch nicht mit meinem Ersparnissen reisen, insofern ich seit zweiundzwanzig Jahren, die ich im Dienste bin, nur Schulden erspart habe.«

Mazarin blieb einen Augenblick nachdenkend, als ob sich ein gewaltiger Kampf in seinem Innern entspänne. Dann ging er auf einen dreifach geschlossenen Schrank zu und zog einen Sack hervor, den er wiederholt in der Hand wog,.ehe er ihn d’Artagnan gab.

»Nehmt dieß,« sprach er mit einem Seufzer, es ist für die Reise.«

»Wenn es spanische Dublonen oder Goldthaler sind,« dachte D’Artagnan, »so können, wir noch ein Geschäft mit einander machen.«

Er verbeugte sich vor dem Cardinal und schob den Sack in seine weite Tasche.

»Nun, das ist abgemacht,« versetzte der Cardinal, »Ihr reise.«

»Ja, Monseigneur.«

»Schreibt mir alle Tage und gebt mir Nachricht von Eurer Unterhandlung.«

»Ich werde nicht verfehlen, dies zu thun, Monseigneur.«

»Gut. Doch halt, der Name Eurer Freunde …«

»Der Name meiner Freunde?« wiederholte D’Artagnan mit einem Reste von Unruhe.«

»Ja, während Ihr Eurerseits suchet, werde ich mich meinerseits erkundigen und vielleicht erfahre ich etwas.«

»Der Herr Graf de la Fère, sonst Athos genannt, Herr du Vallon, sonst Porthos genannt, und der Herr Chevalier d‘Herblay, gegenwärtig Abbé d‘Herblay früher Aramis genannt.«

»Der Cardinal lächelte.

»Junker,« sprach er, die sich unter falschen Namen unter den Musketieren hatten aufnehmen lassen, um nicht ihre Familiennamen zu compromittiren … lange Stoßdegen, leichte Börsen. Man kennt das.«

»Wenn es Gottes Wille ist, daß diese Stoßdegen in den Dienst Eurer Eminenz treten,« erwiderte D’Artagnan, »so wage ich den Wunsch auszudrücken, die Börse Eurer Eminenz möge leicht und die ihrige dafür schwer werden; »denn mit diesen drei Männern und mit mir kann Euere Eminenz ganz Frankreich und sogar ganz Europa in Bewegung setzen, wenn es Euch beliebt.«

»Diese Gascogner,« sprach Mazarin lächelnd, »kommen den Italienern in der Prahlerei gleich.«

»Ist jedem Fall,« sagte D’Artagnan mit einem Lächeln, ähnlich dem des Cardinals, »in jedem Fall stehen sie über ihnen, was das Schwert betrifft.«

Und er trat ab, nachdem er um einen Urlaub gebeten hatte, der ihm sogleich bewilligt, und von dem Cardinal selbst unterzeichnet wurde.

Kaum war er außen, so näherte er sich einer Laterne, welche er im Hofe fand, und schaute rasch in den Sack.

«Silberthaler!« rief er verächtlich, »ich vermuthete es! Ach, Mazarin, Mazarin! Du hast kein Vertrauen zu mir. Desto schlimmer! das wird Dir Unglück bringen.«

Während dieser Zeit rieb sich der Cardinal die Hände.

»Hundert Pistolen!« murmelte er, »hundert Pistolen!« um hundert Pistolen habe ich ein Geheimniß erhandelt, wofür Herr Richelieu zwanzig tausend Thaler bezahlt hätte. Diesen Diamant nicht zu rechnen,« fügte er bei und warf einen verliebten Blick aus den Ring, den er behalten hatte, statt ihn D’Artagnan zu geben, »diesen Ring nicht zu rechnen, welcher wenigstens zehntausend Livres werth ist.«

Und der Cardinal kehrte in sein Zimmer zurück, ganz freudig über diesen Abend, an welchem er einen so schönen Vortheil gemacht hatte, legte den Ring in ein mit Brillanten aller Art ausgestattetes Etui, denn Mazarin hatte Geschmack für Edelsteine, und rief sodann Bernouin, um sich auskleiden zu lassen, ohne sich weiter um den Lärmem der fortwährend, gleichsam in Windstößen an die Fensterscheiben schlug, und um die Flintenschüsse zu bekümmern, welche noch in Paris erschollen, obgleich es bereits elf Uhr vorüber war.

Während dieser Zeit ging d’Artagnan in die Rue Tiquetonne, wo er in der Herberge zur Rehziege wohnte. Wir wollen mit wenigen Worten erzählen, wie es gekommen war, daß D’Artagnan dieses Quartier gewählt hatte

VI
D’Artagnan mit vierzig Jahren

Ach! seit der Zeit, wo wir in unserem Romane der drei Musketiere D’Artagnan in der Rue des Fossoyeurs Nro. 12 verließen, waren viele Dinge und besonders viele Jahre vorüber-gegangen.

D’Artagnan hatte sich nicht gegen die Umstände verfehlt, wohl aber verfehlten sich die Umstände gegen D’Artagnan. So lang seine Freunde ihn umgaben, war D’Artagnan in seiner Jugend und in seiner Poesie geblieben. Er war eine von den feinen und geistreichen Naturen, welche sich leicht mit den Eigenschaften Anderer in Einklang setzten. Athos gab ihm von seiner Größe, Porthos von seinem Feuer, Aramis von seiner Eleganz. Hätte D’Artagnan fortwährend mit diesen drei Männern gelebt, so wäre er ein erhabener Mensch geworden. Athos verließ ihn zuerst, um sich auf ein kleines Landgut zurückzuziehen, das er in der Gegend von Blois geerbt hattet sodann Porthos, um seine Procuratorin zu heirathen, und endlich Aramis, um wirklich in den geistlichen Stand einzutreten und sich zum Abbé machen zu lassen. Von diesem Augenblick an fand sich D’Artagnan, der seine Zukunft mit der dieser drei Freunde vermischt zu haben schien, vereinzelt und schwach, ohne den Muth, eine Laufbahn zu verfolgen, auf der er, wie er fühlte, nur unter der Bedingung etwas werden konnte, daß ihm jeder von seinen drei Freunden, wenn man so sagen darf, einen Theil des elektrischen Fluidums, das er vom Himmel erhalten hatte, abtreten würde.

Obgleich Lieutenant der Musketiere geworden, sah sich D’Artagnan darum nicht minder vereinzelt. Er war nicht von hinreichend hoher Geburt, wie Athos, daß sich die großen Häuser vor ihm geöffnet hätten. Er war nicht eitel genug wie Porthos, um glauben zu machen, er sehe die vornehme Gesellschaft. Er war nicht Edelmann genug, wie Aramis, um sich die Elemente hierzu aus sich selbst ziehend, in seiner natürlichen Eleganz zu erhalten. Eine Zeit lang hatte die reizende Erinnerung an Madame Bonacieux dem Geiste des jungen Lieutenants das Gepräge einer gewissen Poesie verliehen; aber wie die Erinnerung an alle Dinge dieser Welt vergänglich ist, so verwischte sich auch diese allmälig; das Garnisonsleben ist sehr nachteilig, selbst für aristokratische Organisationen. Von den zwei entgegengesetzten Naturen, welche die Individualität von d’Artagnan bildeten, trug die materielle Natur endlich den Sieg davon, und ganz sachte war D’Artagnan, stets in Garnison, stets im Lager, stets zu Pferde, das geworden; was man gegenwärtig (ich weiß nicht, wie man es zu jener Zeit nannte), einen wahren Cavaleristen nennt.

Darum hatte d’Artagnan nicht gerade seine ursprüngliche Feinheit verloren, nein, durchaus nicht. Diese Feinheit hatte sich im Gegentheil vielleicht noch vermehrt oder erschien wenigstens doppelt merkwürdig unter einer etwas plumpen Hülle; aber er hatte diese Feinheit auf die kleinen und nicht auf die großen Dinge des Lebens angewendet, auf den materiellen Wohlstand, was die Soldaten darunter verstehen, d. h. auf den Besitz eines guten Lagers, einer guten Tafel, einer guten Wirthin.

Und D’Artagnan hatte Alles dies seit sechs Jahren in der Rue Tiquetonne unter dem Schilde der Rehziege gefunden.

In der ersten Zeit seines Aufenthalts in diesem Gasthofe verliebte sich die Wirthin, eine schöne, frische Flamänderin von fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahren, sterblich in ihn. Nach einigen Liebschaften, welche sehr durch einen unbequemen Gatten durchkreuzt wurden, dem D’Artagnan zehnmal zum Scheine gedroht hatte, er werde ihm seinen Degen durch den Leib rennen, war dieser Gatte an einem schönen Morgen verschwunden, um für immer zu desertieren, nachdem er heimlicher Weise einige Fässer Wein verkauft und das Geld und die Juwelen mitgenommen hatte. Man hielt ihn für todt, seine Frau besonders, die sich mit dem süßen Gedanken des Wittwenstandes schmeichelte, behauptete keck, er wäre hinübergegangen. Endlich nach drei Jahren einer Verbindung, welche D’Artagnan zu brechen sich wohl hütete, denn er fand jedes Jahr seine Geliebte und sein Lager angenehmer als zuvor, hatte die Herrin des Hauses die auffallende Anmaßung, wieder in den Ehestand treten zu wollen, und machte D’Artagnan den Antrag, sie zu heirathen.

»Ah, pfui!« antwortete D’Artagnan, »Doppelehe, meine Liebe! Stille, Ihr denkt nicht daran.«

»Aber er ist todt, ich bin es fest überzeugt.«

»Es war ein ärgerlicher Schuft und er würde sicherlich zurückkommen, um uns hängen zu lassen.«

»Nun wohl, wenn er zurückkommt, so tödtet Ihr ihn; Ihr seid so muthig und so geschickt!«

»Pest, mein Kätzchen, das ist ein zweites Mittel, um gehängt zu werden.«

»Also Ihr weist meine Bitte zurück?«

»Allerdings, ganz und gar.«

Die schöne Wirthin war in Verzweiflung; sie hätte gerne aus Herrn D’Artagnan nicht nur ihren Gatten, sondern auch ihren Gott gemacht. Er war ein so schöner Mann und ein so stolzer Schnurrbart!«

Gegen das vierte Jahr dieser Verbindung kam die Expedition nach Franche-Comté! d’Artagnan wurde zur Theilnahme bezeichnet und schickte sich an, aufzumarschieren. Da gab es große Schmerzen, Thränen ohne Ende, feierliche Versprechungen, treu zu bleiben: Alles von Seiten der Wirthin, wohlverstanden. D’Artagnan war zu sehr vornehmer Mann, um etwas zu geloben; auch versprach er nur, zu thun, was in seinen Kräften läge, um den Ruhm seines Namens zu erhöhen.

In dieser Hinsicht kennt man den Muth von d’Artagnan. Er bezahlte auf eine bewunderungswürdige Weise mit seiner Person. Und als er an der Spitze seiner Compagnie angriff, erhielt er eine Kugel durch die Brust, die ihn auf das Schlachtfeld niederstreckte. Man sah ihn vom Pferde fallen, man sah, daß er sich nicht wieder erhob, man hielt ihn für todt, und alle diejenigen, welche Hoffnung hatten, ihm in seinem Grade zu folgen, sagten auf gut Glück, er wäre es. Man glaubt gern an das, was man wünscht, denn von den Divisionsgeneralen, welche den Tod des Obergenerals wünschten, bis zu den Soldaten, die den Tod der Corporale wünschen, wünscht in der Armee Jedermann den Tod von irgend Jemand.

Aber D’Artagnan war nicht der Mann, der sich nur so tödten ließ. Nachdem er während der Tageshitze ohnmächtig auf dem Schlachtfelde liegen geblieben war, bewirkte die Kühle der Nacht, daß er wieder zu sich kam. Er erreichte ein Dorf, klopfte an die Thüre des schönsten Hauses und wurde aufgenommen, wie überall und immer die Franzosen aufgenommen werden, wenn sie verwundet sind; man verband, pflegte und heilte ihn und sich besser befindend als je, schlug er an einem schönen Morgen den Weg nach Frankreich ein, einmal in Frankreich, die Straße nach Paris, und einmal in Paris die Richtung der Rue Tiquetonne.

Aber d’Artagnan fand sein Zimmer von einem vollständigen Männer-Kleiderständer besetzt, abgesehen von einem Degen, der an der Wand befestigt war.

»Er wird zurückgekommen sein,« dachte er; desto schlimmer und desto besser.«

Es versteht sich, D’Artagnan dachte immer an den Gatten.

Er erkundigte sich: neue Kellner, neue Magd, die Herrin den Hauses war auf die Promenade gegangen.

»Allein?« fragte d’Artagnan.

»Mit dem Herrn.«

»Der Herr ist also zurückgekehrt?«

»Allerdings,« antwortete naiv die Magd.

»Wenn ich Geld hatte,« sprach d’Artagnan zu sich selbst, »so würde ich gehen, aber ich habe keines. Ich muß bleiben und bei Durchkreuzung der ehelichen Pläne dieses ungelegenen Gastes den Rath mein Wirthin befolgen.«

Er vollendete eben diesen Monolog, was zum Beweise dient, daß unter großartigen Umständen nichts natürlicher ist, als der Monolog, da rief plötzlich die Magd, welche an der Thüre lungerte:

»Ah! sieh da, hier kommt gerade Madame mit dem Herrn.«

D’Artagnan warf einen Blick weit in die Straße hinaus und sah wirklich an der Biegung der Rue Montmartre die Wirthin, welche, am Arme eines ungeheuren Schweizers hängend, zurückkehrte. Der Schweizer wiegte sich im Gehen mit einer Miene, welche Porthos auf eine angenehme Weise seinem Freunde in das Gedächtniß zurückrief.

»Das ist der Herr?« sprach d’Artagnan zu sich selbst. »Oh! Oh! er ist gewaltig gewachsen, wie es mir scheint.«

Und er setzte sich in dem Saal an eine Stelle, wo er völlig sichtbar war.

Die Wirthin bemerkte D’Artagnan bei ihrem Eintritte sogleich und stieß einen kurzen Schrei ans.

Bei diesem Schrei stand D’Artagnan, der sich-für erkannt hielt, rasch auf, lief auf sie zu und umarmte sie, zärtlich.

Der Schweizer schaute mit einer erstaunten Miene die Wirthin an, welche ganz bleich blieb.

»Ah, Ihr seid es, Herr! was wollt Ihr von mir?« fragte sie in der größten Unruhe.«

»Der Herr ist Euer Vetter?« der Herr ist Euer Bruder?« sprach d’Artagnan, ohne sich, im Geringsten aus der Rolle bringen zu lassen- die er spielte, und ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, warf er sich in die Arme des Helvetiers, der ihn mit großer Kälte gewähren ließ.

»Wer ist dieser Mensch?« fragte dieser.

Die Wirthin antwortete nur mit krampfhaften Zuckungen.

»Wer ist dieser Schweizer?« fragte D’Artagnan.

»Der Herr will mich heirathen,« antwortete die Wirthin zwischen zwei Krämpfen.

»Euer Gatte ist also endlich gestorben?«

»Was geht das Euch an?« entgegnete der Schweizer.

»Es geht mich viel an?« sprach d’Artagnan, »insofern Ihr diese Frau ohne meine Einwilligung nicht heirathen könnt, und insofern …«

»Und insofern?« fragte der Schweizer.

»Und insofern ich sie nicht gehe, antwortete der Musketier.«

Der Schweizer wurde purpurroth, wie eine Gichtrose. Er trug seine schöne mit Gold besetzte Uniform; D’Artagnan war in eine Art von grauem Mantel gehüllt. Der Schweizer maß sechs Fuß; D’Artagnan kaum über fünf. Der Schweizer glaubte sich zu Hause; d’Artagnan erschien ihm als ein Eindringling.«

»Wollt Ihr Euch wohl von hier entfernen?« sagte der Schweizer und stampfte heftig mit dem Fuße, wie ein Mensch, der im Ernste zornig zu werden anfängt.

»Ich? Keineswegs,« sagte d’Artagnan.

»Aber man braucht nur Wache herbeizuholen!« rief ein Kellner, der nicht begreifen konnte, wie es dieser kleine Mensch wagte, dem so großen Manne den Platz streitig zu machen.

»Du,« sagte D’Artagnan, den der Zorn ebenfalls an den Haaren zu fassen anfing, indem er den Kellner beim Ohre nahm. »Du bleibst auf dieser Stelle, oder ich reiße Dir aus, was ich in der Hand halte. Ihr aber, erhobener Abkömmling von Wilhelm Tell, Ihr macht einen Pack aus Euren Kleidern, die in meinem Zimmer sind und mich belästigen, und sucht Euch schleunigst eine andere Herberge auf.«

Der Schweizer brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Ich, gehen!« sagte er, »und warum?«

»Ah, das ist gut,« erwiderte d’Artagnan, »ich sehe, daß Ihr das Französische versteht. Dann macht einen Gang mit mir, und ich werde Euch das Uebrige erklären.«

Die Wirthin, welche d’Artagnan als eine feine Klinge kannte, fing an zu weinen und sich die Haare auszuraufen.«

D’Artagnan wandte sich nach der Seite der schonen Thränenreichen um und sagte:

»So schickt ihn fort, Madame.«

»Bah!« versetzte der Schweizer, der einer gewissen Zeit bedurft hatte, um sich Rechenschaft von dem Vorschlage d’Artagnan‘s zu geben, »bah! Ihr seid ein Narr, daß Ihr mir zumuthet, einen Gang mit Euch zu machen.«

»Ich bin Lieutenant bei den Musketieren Seiner Majestät,« sprach d’Artagnan, »und stehe folglich in jeder Beziehung über Euch. Nur handelt es sich hier nicht um den Grad sondern um Einquartierungsbillets, und Ihr kennt den Gebraucht holt das Eurige, und wer zuerst zurück ist, nimmt sein Zimmer wieder hier ein.«

D’Artagnan führte den Schweizer fort, trotz der Wehklagen der Wirthin, die ihr Herz wieder zu ihrer alten Liebe sich hinneigen fühlte, aber nicht ungerne dem stolzen Musketier eine Lection gegeben haben würde, der ihr die Schmach angethan hatte, ihre Hand auszuschlagen.

Die zwei Gegner gingen geradezu nach den Fossés Montmartre. Es war Nacht, als sie dieselben erreichten. D’Artagnan bat den Schweizer höflich, ihm das Zimmer abzutreten und nicht mehr zurückzukommen.

Dieser weigerte sich mit einem Zeichen des Kopfes und zog seinen Degen.«

»Dann werdet Ihr hier ruhen,« sprach d’Artagnan. »Es ist eine häßliche Lagerstätte, aber das ist nicht mein Fehler, denn Ihr habt es so gewollt.«

Bei diesen Worten zog er ebenfalls vom Leder und kreuzte den Degen mit seinem Gegner.

Er hatte es mit einer rauhen Faust zu thun, aber seine Geschmeidigkeit war über jede Kraft erhaben. Der Stoßdegen des Schweizers fand nie den des Musketiers. Der Schweizer erhielt zwei Degenstiche und nahm es Anfangs nicht wahr; plötzlich aber nöthigten ihn der Blutverlust und die Schwäche, welche dieser zur Folge hatte, sich zu setzen.

»Seht!« sprach D’Artagnan, »hab’ ich es Euch nicht vorher gesagt? Ihr seid nun weit vorgerückt, Ihr halsstarriger Mensch. Zum Glücke habt Ihr nur für vierzehn Tage. Bleibt hier und ich werde Euch Eure Kleider durch den Aufwärter schicken. Auf Wiedersehen! Doch, halt! quartiert Euch in der, Rue Montorgueil in der spielenden Katze ein. Ihr bekommt dort vortreffliche Kost, wenn es immer noch dieselbe Wirthin ist. Adieu!«

Und hiernach kehrte er ganz heiter in die Wohnung zurück und schickte wirklich die Kleider dem Schweizer, welchen der Aufwärter auf demselben Platze sitzend, wo ihn D’Artagnan gelassen hatte, und noch ganz verblüfft über das lecke Benehmen seines Gegners fand.

Der Aufwärter, die Wirthin und das ganze Haus legten gegen d’Artagnan die Achtung an den Tag, die man Herkules zollen würde, wenn er auf die Erde zurückkäme, um seine zwölf Arbeiten wieder zu beginnen.«

Als er aber mit der Wirthin allein war, sagte er: »Nun schöne Madeleine, Ihr wißt, welcher Unterschied zwischen einem Schweizer und einem Edelmann stattfindet, Ihr aber habt Euch wie eine Schenkwirthin benommen. Desto schlimmer für Euch; denn unter diesen Umständen verliert Ihr meine Achtung und meine Kundschaft. Ich habe den Schweizer fortgejagt, um Euch zu demüthigen; aber ich werde nicht hier wohnen. Ich nehme mein Lager nicht da, wo ich verachte. Holla! Aufwärter! Man bringe mein Felleisen in die Liebestonne, Rue des Bourdonnais. Gott befohlen, Madame!«

D’Artagnan war, wie es scheint, während er diese Worte sprach, zugleich majestätisch und rührend. Die Wirthin warf sich ihm zu Füßen, bat ihn um Verzeihung und hielt ihn mit süßer Gewalt zurück. Was soll ich noch mehr sagend Der Bratspieß drehte sich, der Ofen summte, die schöne Madeleine weinte: D’Artagnan fühlte, wie sich Hunger, Kälte und Liebe zu gleicher Zeit wieder in ihm regten: er vergab, und nachdem er vergeben hatte, blieb er. So kam es, daß d’Artagnan in der Rue Tiquetonne, in der Herberge zur Rehziege wohnte.«