Kitabı oku: «Eigensinn und Bindung», sayfa 18

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Dialektik von Geborgenheit und Ungeborgenheit

Wusts Hauptwerk „Ungewißheit und Wagnis“ setzt – wie schon eingangs angedeutet – mit der neutestamentlichen Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 – 32) ein. Hiernach verlässt ja bekanntlich der jüngere der beiden ungleichen Brüder, allen Warnungen des weise vorsorgenden Vaters zum Trotz, die Gesichertheit des väterlichen Hauses und stürzt sich in das Wagnis einer unbekannten Welt. Wust deutet diese Parabel als ein Bild des Menschseins als solchen. Hiernach verlangt das Leben in seiner Sinnganzheit die unaufhebbare Dialektik von Geborgenheit und Ungeborgenheit. Es ist nicht so, als gäbe es nur die beiden Seiten der Geborgenheit oder der Ungeborgenheit. Sondern diese beiden Seiten sind dialektisch ineinander verschlungen: Es gibt eine Ungeborgenheit in der Geborgenheit, und es gibt eine Geborgenheit in der Ungeborgenheit. Wust führt dazu aus:

„Wohl hat zunächst die Gesichertheit des Lebens ihr Recht und ihren ganz tiefen Sinn. Und man wird es selbstverständlich finden, daß der Mensch auf sie hinstrebt und sich gegen die Ungesichertheit des Lebens zu schützen sucht. Das Leben selbst aber, wenn man es auf sein Wesen hin näher untersucht, scheint viel eher mit der Ungesichertheit insgeheim im Bunde zu sein als mit der Gesichertheit, und zwar nicht etwa, wie der Mensch aus seiner Alltagssicht so leicht anzunehmen geneigt ist, weil es ihm aus einer ihm eingeborenen Feindseligkeit heraus sein Glück mißgönnen würde, sondern vielleicht gerade deshalb, weil erst die Ungesichertheit zu jener besonderen Art von Gesichertheit führt, die den Menschen als Menschen über sich selbst hinausdrängt und ihn damit erst ganz zu sich emporhebt.“ (UW 30 f.)

Wust sieht in der Ungesichertheit also immer auch einen positiven Sinn. Es geht ihm dabei in keiner Weise darum, jeglicher Tradition und allem Ordnungsstreben des Menschen den Kampf anzusagen „und gewissermaßen das Prinzip einer Revolution in Permanenz auf seine Fahne [zu] schreiben“ (UW 38). Aber nach Wust steht „das Sekuritätsstreben der Menschen (...) so sehr im Vordergrunde aller Lebenserfahrung, daß es geradezu einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, um die positive Bedeutung der Ungesichertheit als ein ernstes metaphysisches Problem des Lebens in den Blickpunkt der Alltagsmenschen zu bringen“ (UW 37 f.). Wust will die „Totalität des Lebens“ (UW 31) sichtbar machen. Das ist ihm zufolge aber nur möglich, wenn die ganze Dialektik des Lebens nach seinem Wechselverhältnis von Gesichertheit und Ungesichertheit im Auge behalten wird.

Die Daseinssituation des Menschen unterscheidet sich nach Wust nicht nur gradhaft von der Daseinssituation des Tieres, sondern wesenhaft. Es liegt hier ein „seinsmäßiger ,hiatus‘“ (UW 40) vor. Was meint er damit? „Das Tier ist von Natur ein ,animal securum‘, ein Wesen der Seinsbehütetheit. Demgegenüber ist der Mensch ebenso naturhaft das ,animal insecurum‘ schlechthin, das Wesen, dem die Ungesichertheit von Hause aus in seine ganze Struktur mithineingegeben ist.“ (Ebd.) Diese Insecuritas humana kann man von zwei Seiten aus betrachten, sowohl von der objektiven als auch von der subjektiven Seite her. „Objektiv betrachtet, ist der Mensch ein Wesen der Ungesichertheit. Dem entspricht auf der subjektiven Seite seine Ungewißheit in den entscheidendsten Fragen seines Daseins.“ (Ebd.) Aber diese Ungewissheit gibt dem Menschen auch wiederum den nötigen Spielraum für seinen Selbsteinsatz, für das Wagnis, also für jene Form der Freiheit, die nur ihm eigen ist.

Im Gegensatz zum Tier ist der Mensch als „Sinnenwesen und Geistwesen“ „gewissermaßen in eine paradoxe Situation versetzt“ (UW 45): Er ist nämlich von seinem Wesen her „heimatlos“ – wie Wust sagt. Und in dieser Heimatlosigkeit ist der Wesenskern seiner Insecuritas zu suchen. Wust beschreibt diese Heimatlosigkeit so:

„Es ist dem Menschen zugemutet, dauernd in einem dialektischen Schwebezustand zu existieren, indem sein Wesen stets nach zwei Seiten hin ponderiert, ohne daß jemals ein Gleichgewicht hergestellt werden kann. Zwischen (...) Bios und Logos ist der Mensch so eingespannt, daß er sowohl beiden Bereichen zugehört als auch in keinem der beiden Bereiche wahrhaft ansässig ist. Ein ewiger, unschlichtbarer Widerstreit in ihm zwingt ihn dazu, seine Existenz von Augenblick zu Augenblick im Kampfe mit sich selbst zu erringen, und niemals kann er hoffen, diesen Kampf endgültig durchgekämpft zu haben. Hier erst kommt der tiefere Sinn einer Indefinitheit zum Vorschein, die selig-unselige Unendlichkeitsbestimmtheit seines Wesens.“ (UW 45 f.)

Diese Heimatlosigkeit sieht Wust durch eine tragische Dialektik gekennzeichnet, die daraus resultiert, dass der Zustand einer absolut unanfechtbaren Selbstsicherheit prinzipiell nicht zu erreichen ist. So bleibt selbst der ausgeglichenste Mensch von dieser Situation der Insecuritas dauernd überschattet. Diese grundsätzliche Dialektik der menschlichen Daseinssituation rührt letztlich daher, dass es dem Menschen eben nicht möglich ist, sich von der „metaphysischen Spannung seiner Natur“ abzulösen, die darin besteht, dass er weder reines Tier noch reiner Geist ist. Uns Menschen ist eben „die schöne, sinnliche Naturunmittelbarkeit des Tieres“ ebenso versagt wie das Extrem eines reinen Spiritualismus. Lehnt sich hier der Logos gegen den Bios auf, so dort der Bios gegen den Logos (UW 47).

Dieser objektiven Seite der Insecuritas humana entspricht nun „die subjektive Seite der menschlichen Ungewißheit“ (UW 48). Natürlich hat der Mensch dem Tier die Wissensmöglichkeit und auch das wirkliche Wissen voraus. Und doch zeigt sich auch hier wieder der schon bekannte dialektische Zwischenzustand seiner ganzen Natur. Und diesen hat kein anderer als Platon in seinem meisterhaften Dialog „Symposion“ dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er hier die Situation des Menschen mythologisch mit Hilfe eines halbgöttlichen Wesens, eines Dämons, nämlich „Eros“, darzustellen sucht. Eros ist ja hiernach das selig-unselige Kind aus der Ehe zwischen einer sterblichen Mutter und einem von den Göttern stammenden unsterblichen Vater. Penia, die Armut, empfängt von Poros, dem Reichtum, und sie gebiert Eros, dieses irdisch-überirdische Zwischenwesen.20 Und es ist nach Platon dieser Eros, der das Wesen des Menschen entscheidend bestimmt: Trotz seines Wissens lebt der Mensch in der Ungewissheit. Wust bezeichnet ihn darum auch als „metaphysisches Sucherwesen“: „Der Mensch ist der ewige Glückssucher, der unermüdliche Wahrheitssucher, der nie zur Ruhe gelangende Gottsucher.“ (UW 49) Und er ist das alles, weil er bei aller Möglichkeit zum Wissen letztlich doch in der Ungewissheit bleibt. Bei aller prinzipiellen Evidenzmöglichkeit bleibt doch auch immer die Ungewissheit der Evidenz. Augustinus und Cusanus haben hierfür ja bekanntlich den Ausdruck der docta ignorantia geprägt.

Der Spielraum dieser Insecuritas humana ist nach Wust so weit und umfassend wie das menschliche Dasein selbst. Sowohl das Einzelleben als auch das Gemeinschaftsleben unterliegen diesem Gesetz der Insecuritas. So wechseln sich in der Geschichte Epochen der Sekurität mit solchen der Irrationalität und Unberechenbarkeit ab. Und das Einzelleben des Menschen steht nicht minder unter dem Gesetz dieser Dialektik. In deutlicher Anlehnung an Schelers Unterscheidung zwischen Herrschaftswissen, Bildungswissen und Erlösungswissen21 – wobei das erste das Wissen von Technik und Wissenschaften meint, das zweite das philosophische und das dritte das religiöse – sieht Wust beim Menschen näherhin drei Bereiche der Insecuritas: den Bereich der vitalen Existenz, den der geistigen Existenz und den der übernatürlichen Existenz. In keinem dieser Bereiche, das ist die Grundeinsicht Wusts, kommt der Mensch zu einer letzten Gesichertheit bzw. Gewissheit. Und doch führt ihn das übernatürliche Wagnis der Glaubensweisheit „in die übernatürliche Situation einer ,Securitas insecuritatis‘“ (UW 185): Der Mensch fühlt sich hier letztlich geborgen in der Ungeborgenheit. Das kommt ja auch schon in der eingangs beleuchteten Parabel vom verlorenen Sohn zum Ausdruck. „Spontan stimmt man der Lebenshaltung des älteren Bruders bei, aber die Symbolik weist hin auf die Dialektik zwischen der Gesichertheit und der Ungesichertheit. Denn der Umweg des jüngeren Bruders über die Ungesichertheit der Fremde läßt ihn schließlich tiefer in der Geborgenheit des Vaterhauses ausruhen, als der ältere in seiner alltäglichen und oberflächlichen Lebensgesichertheit.“22

Insecuritas humana und homo religiosus

Auf die Ungesichertheit des „homo religiosus“ kommt Wust in den Kapiteln neun bis dreizehn von „Ungewißheit und Wagnis“ näher zu sprechen. In diesen Kapiteln scheint er seinen eigenen religiösen Weg verarbeitet zu haben, der über „Trotz und Hingabe“ schließlich zu jener Gelassenheit im Geiste der Liebe führt, mit der allein die Dunkelheiten zu überwinden sind.

Letzten Endes muss die Frage nach dem Wesen der Insecuritas humana nach Wust als ein religiöses Problem gesehen werden, und er erklärt dies so:

„In gewissem Sinne ist der Mensch in allen seinen Lebenslagen, mögen sie auch zunächst noch so alltäglich erscheinen, als ein Wesen zu erkennen, das im tiefsten Grunde seiner Natur immer von der einen Frage bestimmt und bedrängt wird, die seine existentielle Erdennot betrifft, nämlich von der Frage nach seinem religiösen Heil oder Unheil. In all seinem Streben nach Gesichertheit ist schließlich diese seine religiöse Kontingenznot wiederzuerkennen, sei es nun, daß er in diesem Streben sich selbst ausweichen will durch die Flucht in niedere Wertbereiche, die ihm für Augenblicke das Wesentliche seiner Existenz verhüllen, sei es, daß er mit offenem Auge diese metaphysische Not vor sich sieht und sich mit ihr auseinandersetzt. Selbst sein Streben nach der vitalen Existenzsicherung verrät noch überall etwas von dem letzten Ewigkeitsdurst seiner Seele. Und erst recht ist sein grenzenloses Wissensstreben, seine nie stillstehende Intellektunruhe, ein deutliches Zeichen dafür, daß der tiefste Grund seiner Seele über das Endliche hinausdrängt, um in der wahrhaften Unendlichkeit Ruhe und Frieden zu finden. Der ,homo faber‘ mit seiner ins Grenzenlose zielenden Zivilisationsunruhe und der ,homo philosophus‘ mit seiner leidenschaftlichen, in immer tiefere Regionen hinabdrängenden Frageunruhe, sie deuten beide über sich hinaus auf den ,homo religiosus‘ mit seinem unstillbaren Heimweh nach einer letzten Region überzeitlicher Vollendung.“ (UW 119)

Wust verengt den Begriff des „homo religiosus“ hier nicht auf den „positiv-christlichen Menschen“, sondern er möchte darunter im weitesten Sinne „den Menschen als Menschen überhaupt“ verstehen, denn er deutet die „religiositas“ als ein konsekutives Merkmal der menschlichen „rationalitas“ (UW 120), was ganz auf der Linie eines Max Scheler oder Paul Tillich liegt.23 Der Mensch „mag noch so irreligiös leben, sei es nun im Sinne der Indifferenz gegenüber seiner religiösen Anlage, sei es im Sinne positiver Ablehnung dessen, was diese Anlage von ihm fordert, seine Irreligiosität sogar gehört dann noch in den Bereich des Religiösen hinein.“ (Ebd.) Das bedeutet, dass es nach Wust keinen Ort gibt, wohin man vor Gott fliehen könnte.

Dass die Insecuritas-Situation in Bezug auf den religiösen Menschen geradezu kulminiert, versucht Wust mit einem Hinweis auf den berühmten „Don Quichote“ des spanischen Dichters Cervantes zu illustrieren (UW 122 ff.). Don Quichote und sein Stallknecht Sancho Pansa stellen – so Wusts Deutung – nur eine einzige Gestalt dar, sie symbolisieren den zwiespältigen Menschen, der zwei Stimmen in seiner Brust hat, nämlich die Stimme der „Welt“ und die Stimme der „Überwelt“. Letztlich geht es hier also um die Dialektik von Glaube und Unglaube, eine Ambiguität, die der Mensch nie wirklich los wird (vgl. UW 124). Diese Ambiguität ist auch nicht aufzulösen durch eine „Flucht des religiösen Menschen vor der ,Welt‘“, denn eine solche bedeutete nach Wust „eine feige Flucht aus der ,Insecuritas mundi‘ in eine ,sacra securitas‘ des Glaubens“, die den Sinn des Glaubenswagnisses geradezu entstellt (UW 125). Denn „der religiöse Mensch, der der ,Welt‘ ins Heiligtum des Übernatürlichen entfliehen wollte“, ist damit der Welt erst recht ausgeliefert (UW 126). Im Bereich des Religiösen gilt nämlich nicht „die natürliche Sancho-Pansa-Vernunft“, sondern „es gilt eben hier jene paradoxe Zuteilungsordnung, wie sie uns in der Parabel von den Arbeitern im Weinberge symbolisch vor Augen gestellt wird: ,Die Ersten werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein.‘“ (UW 125)

Psychologisch äußerst subtil und bilderreich beschreibt Wust hier die Erfahrungen, die der religiöse Mensch macht: „Gerade dann, wenn die Flitterwochen des jungen Eheglücks mit dem Übernatürlichen vorüber sind und die tiefe Trostlosigkeit der enttäuschten Seele sich einstellt, öffnet sich auch sehr leicht für sie der dunkle Abgrund der Menschennatur. Und dann kommen plötzlich alle jene dämonischen Plagegeister aus diesem Abgrund wieder hervor, die der Mensch bereits für immer bezwungen zu haben glaubte.“ (UW 126) Nur wenn der religiöse Mensch diese Dunkelheit mit Gelassenheit hinnimmt, einer Gelassenheit, „die aus dem Geiste der Liebe stammt“, nur dann wandelt sich die Situation der höchsten Gefährdetheit „in eine Situation der größten Fruchtbarkeit“ (UW 127).

Glaube und Zweifel

Diese prinzipielle Ungesichertheit erlebt der religiöse Mensch nach Wust näherhin in Bezug auf drei Hauptfragen, nämlich in Bezug auf die Fragen der religiösen Gottesgewissheit, der Offenbarungsgewissheit und der persönlichen Heilsgewissheit. So erfährt der Mensch nicht nur die Gottesnähe, sondern immer auch die Gottesferne: „Gott ist im religiösen Gottesbewußtsein für die Seele zugleich da und nicht da. Dadurch entsteht für sie ein gewisser Schwebezustand zwischen Gewißheit und Ungewißheit.“ (UW 132) Damit bekommt der Unglaube für Wust eine „eminent positive Bedeutung“, denn dieser gehört immer schon zum Glauben dazu und verhindert so, „daß der Glaube sich einer bequemen Sekurität überlassen kann“ (ebd.). „Der Unglaube ist das nie aufhörende Stimulans des Glaubens, den er stets zu neuer Vergeistigung und zu lebendiger Verjüngung antreibt. (...) In dem Maße, wie der Gegendruck des Unglaubens nachläßt, pflegt sehr oft auch die jugendliche Beschwingtheit des Glaubens zu erlahmen.“ (Ebd.)

Auf der anderen Seite macht diese Einsicht aber auch deutlich, dass der Ungläubige „niemals zu einer bequemen ,securitas dubii‘ gelangt. Bei aller angemaßten Sicherheit in seinem positiven Gotteszweifel wird er das Unbehagen einer gewissen Unsicherheit, eines wenn auch noch so verborgenen Zweifels am Zweifel, nicht los.“ (UW 133) Von hier aus wird auch der Fanatismus des Glaubens wie des Unglaubens verständlich, nämlich als der nicht durchschaute Kampf gegen den Gegner in der eigenen Brust: „Während der Fanatismus des Unglaubens oft aus einem ihm selbst unbewußten Glauben stammt, der ihn beständig zum Kampf reizt, stammt der Fanatismus des Glaubens nicht selten aus einem ihm selbst verborgen bleibenden Unglauben, der die scheinbar oder manchmal auch wirklich überlegene Logik der ,Welt‘ als eine tatsächliche Gefahr für seine Sache betrachtet, ohne sich selbst freilich dieses Minoritätsbewußtsein offen einzugestehen.“ (UW 134) Demgegenüber gründet der Glaube, der durch den Zweifel hindurchgeht, in der Liebe und in der Demut, die an die unendliche Langmut und großzügige Geduld Gottes – selbst den Irrenden gegenüber – erinnern.

Die Brisanz dieser impliziten innerreligiösen Kritik, die sich in solchen Sätzen ausdrückt, scheint der spätere Kardinal von Galen erahnt zu haben, wenn er Wust nach Erscheinen von „Ungewißheit und Wagnis“ entgegengehalten haben soll, „der Glaube sei für ihn weder Ungewißheit noch Wagnis und solche Lektüre eigne sich auch nicht für seine Theologen“ – eine Äußerung, die Wust „tief verstört und verletzt“ haben muss (GW VIII, 82). Dass der Zweifel ein integraler Bestandteil des Glaubens ist, verbindet Wust mit dem großen Religionsphilosophen und evangelischen Theologen Paul Tillich, dessen Schriften er zum Teil gekannt haben wird.24

Das, was Wust über die Dialektik der religiösen Gottesgewissheit ausführt, bestätigt sich auch in Bezug auf die Offenbarungsgewissheit. Denn auch gegenüber dem Offenbarungswort haben „der Glaube wie der Unglaube in gleicher Weise Raum“ (UW 141). Im Rahmen dieser Überlegungen spart Wust keineswegs mit Kritik an der Institution Kirche, die immer wieder „durch das tiefe Dunkel des Menschlichen, allzu Menschlichen“ überschattet wurde und wird (UW 145). Zusammenfassend resümiert er:

„Wie aber so die Gesamtoffenbarung, zugleich mit Christus und der Kirche, immer für die ,Welt‘ in diesem sonderbaren Zwielicht dasteht, in dem sich die Scheidung der Geister vollzieht, die Scheidung zwischen den beiden Reichen des Glaubens und des Unglaubens, so verbleibt auch die einzelne gläubige Seele im sakralen Raum der Offenbarungsgewißheit immer ,in statu insecuritatis‘. Der lebendige Glaube an das Ewige Wort, an Christus und die Kirche mag noch so felsenfest sein, er wird trotzdem niemals die Seele auf ihrem inneren Wege zu Gott von den Anfechtungsmöglichkeiten befreien, die nun einmal zum Schicksal der irdischen Pilgerschaft gehören. Die irdische Hülle kann für niemand hinweggenommen werden.“ (UW 147)

Entsprechend kann auch die persönliche Heilsgewissheit nie zu einer absoluten werden. Denn eine solche würde nach Wust geradezu „eine Verwegenheit, ja eine Vermessenheit“ bedeuten (UW 152). So findet hier „das überall für die menschliche Daseinssituation geltende ,Insecuritas‘-Gesetz seine markanteste Bestätigung“. Der Mensch „muß sich erfahren als ein Wesen, das ungesichert ist bei prinzipieller oder allgemeiner Gesichertheit, als ,insecurus in securitate‘ und als ,securus in insecuritate‘“ (UW 154). Mit Josef Pieper kann Wust darum den „Habitus der hoffenden Gelassenheit“ als „den einzig angemessenen“ der menschlichen Daseinssituation bezeichnen (UW 155).

Insecuritas humana und der Weg der Mystik

Wenn auch mit Beantwortung der drei Fragen nach der religiösen Gottesgewissheit, der Offenbarungsgewissheit und der Heilsgewissheit die oberste Ebene des „Insecuritas“-Raumes grundsätzlich durchschritten ist, so wird die Dialektik von Gottesnähe und Gottesferne Wust zufolge von dem mystischen Weg, den nur noch wenige Einzelne beschreiten, noch einmal überhöht und überschritten. Mit der bekannten Mystikerin Evelyn Underhill25 unterscheidet Wust fünf Phasen des mystischen Weges: Während der „niedere Weg“ die Phase des Erwachens der Seele zu sich selbst sowie die Phasen der Reinigung und der Erleuchtung ihres Inneren umfasst, beginnt der „höhere Weg“ mit der Phase der „Dunklen Nacht“, und er endet mit der Phase der „Einung“ (UW 159 f.).

Was Wust in diesem Zusammenhang beschreibt, scheint zu einem guten Teil der eigenen Erfahrung zu entstammen:26 Auf die Metanoia, „durch die das Steuer (...) [des] Lebensschiffes ruckhaft in die Richtung der höheren Wertdimension herumgeworfen wird“, wobei „dieser ruckhaften Umwälzung im Innern der Seele ein langer und qualvoller Zustand der Ungewißheit voraus[geht]“ (UW 160), folgt aber schon bald wieder „ein Rückschlag von anderer Art“:

„Denn das aus den Fesseln der Weltlust befreite höhere Wertbewußtsein des erwachten Selbst erkennt nun auf einmal ganz klar die ungeheure Distanz zwischen seinem bisherigen Dasein und dem noch in weiter Ferne vor ihm liegenden Ziel, dem es auf dem mystischen Weg entgegengeführt werden soll. Es erschrickt förmlich über sich selbst, sobald es sich einmal im Spiegel dieses übernatürlichen Vollkommenheitsideals erblickt. Und so verwandelt sich denn jetzt die ursprünglich als ein so großes neues Glück empfundene göttliche Nähe in eine Gottesferne, die vernichtend wirkt.“ (UW 161)

Dieser Rückschlag ist nach Wust unbedingt notwendig, kann doch erst jetzt die Phase der inneren Erleuchtung einsetzen. „Das mystische Selbst findet im Rückzug auf den Seelengrund, der die eigentliche Begegnungsstätte zwischen Gott und der Seele ist, zum ersten Male den ganz tiefen Frieden und die große Stille, die ihm alle Verluste irdischer Güter so reichlich ersetzen, daß allmählich der Kampf aufhört und eine gewisse Kontinuität des neuen Lebenswillens entsteht.“ (Ebd.)

Aber damit ist erst der „niedere Weg“ an ein Ende gekommen, und der „höhere Weg“ steht noch bevor, der mit der „Dunklen Nacht“ einsetzt, wo die Seele völlig allein mit sich selbst zu sein scheint und das „Schweigen Gottes“ erlebt – ein Gefühl „äußerster Gottverlassenheit“ (UW 163), ja „geistiger Leere und Langeweile“ (UW 164), was bis zur „Gefahr der äußersten Verzweiflung“ (UW 165) führen kann. Aber wenn die Seele schließlich „in dieser äußersten Bedrohung standgehalten hat, dann tritt plötzlich die Erlösung ein. Die abgründige Finsternis der ,Dunklen Nacht‘ beginnt zu weichen. Neues Licht strömt auf einmal von allen Seiten in ihr Inneres herein. (...) Sie hat sich jetzt der letzten Phase der Erleuchtung genähert.“ (Ebd.) Den „Höhepunkt der mystischen Entwicklung der Seele“ deutet Wust mit einem Hinweis auf die Symbolik von Albrecht Dürers „Hieronymus im Gehäus“ – die bildende Kunst scheint hier als Ausdrucksmittel angemessener zu sein als die Sprache:

„Wir sehen, wie die Zelle des Einsiedlers ganz in ein überirdisches Licht getaucht ist. Dieses Licht quillt förmlich aus den Wänden hervor und durchrieselt die winzigsten Dinge in der Umgebung des Klausners. Im Vordergrund liegt der Löwe ganz zahm und friedlich – der Dämon der Selbstsucht ist bezwungen. Der Einsiedler ist ganz in Andacht vertieft in das Heilige Wort der Schrift: seine erlöste Seele ist ganz Hingabe geworden. Die Sabbatstille des siebenten Tages erfüllt ihn selbst wie den ganzen Raum um ihn her. Alles atmet hier jenen Frieden, den die Welt nicht geben kann. Der ,sopor mysticus‘, der mystische Schlaf der ,Einung‘, hat die Seele ganz umfangen. Nicht sie selbst wirkt jetzt mehr, sondern Gott ist es, der noch allein in ihr wirkt.“ (UW 166)

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