Kitabı oku: «Die Orbit-Organisation», sayfa 5

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New School: Die Architektur von Jungunternehmen

New-School-Organisationen schaffen eine Kultur, die mit dem schnellen Wandel Schritt hält, und die notwendigen Rahmenbedingungen, um dies möglich zu machen. Bisweilen bezeichnen wir sie in diesem Buch auch als Netzwerkorganisationen oder agile, innovative Jungunternehmen. Ihre Gründung fällt in die Internetzeit, weshalb sehr viele von ihnen in der Digitalwirtschaft tätig sind. Wie solche Unternehmen agieren:

Sie lieben ihre Kunden (und deren Daten).

Sie hassen Bürokratie, da sie Verschwendung verursacht.

Ihr Vorgehen ist offen, wendig, flexibel und schnell.

Sie nutzen agile und kollaborative Arbeitsmethoden.

Sie agieren niedrighierarchisch mit Minimalstrukturen.

Die Mitarbeiter arbeiten weitestgehend selbstorganisiert.

Die Kernbelegschaft wird durch Externe (Freelancer) ergänzt.

Die Vermarktung geschieht über Wertschöpfungsnetzwerke.

Wenig Besitz, vielmehr kostengünstiges Mieten und Teilen.

Sie denken ihre Geschäftsmodelle von Anfang an digital.

Sie streben nach hoher Skalierbarkeit bei minimalen Kosten.

Die Architektur innovativer Jungunternehmen ist geprägt von Offenheit und Vernetzung. Die Prozesse sind stets hochflexibel und laufen sehr zügig ab. Die Orte der Arbeit sind meist minimalistisch und sehr funktional. Sie bieten die Grundlage für Kollaboration und Konnektivität. Zwar haben steife Vorgaben in Jungunternehmen keinen Platz. Mehr noch als in Großunternehmen würden sie hier zu Verzettelung, Frust und Effizienzverlust führen. Dennoch braucht es ein Mindestmaß an Strukturen ebenso wie die Standardisierung von Basisprozessen. Sie geben Halt und sorgen für Sicherheit.

Kundenorientierung erfordert, dass die Prototypisierung beim Kunden beginnt – und nicht in der Entwicklungsabteilung. Es ist nämlich ziemlich intelligent, wenn man erst den Kunden versteht, bevor das Produkt entsteht. Deshalb bauen Jungunternehmen ihre Teams interdisziplinär um Kundenprojekte herum, und zwar entlang der Prozesskette, in der die Kundenleistung entsteht: Der Entwickler, der Designer, die Produktion, der Vertrieb, der Kundendienst und wer sonst noch wichtig ist, agieren gemeinsam, damit das Ganze wie aus einem Guss funktioniert. Eine Führungskraft im klassischen Sinne ist nicht mit dabei. Denn Macht killt Kreativität. Sie verlangsamt Entscheidungsprozesse. Sie züchtet das Jasagersyndrom. Und sie stört den Fortlauf der operativen Arbeit.

Neue Mindsets: Die Kultur von Jungunternehmen

Agile Jungunternehmen binden die Kunden aktiv in die Entwicklung mit ein. Dies hilft ganz enorm, den Kunden so gut zu verstehen, dass man Angebote erstellen kann, die dessen Bedürfnisse perfekt bedienen. Was nicht dem Kunden dient, ist Verschwendung. Was aus Kundensicht nutzlos ist, wird sofort ausgemustert. Und darüber hinaus: Jungunternehmererfolg hat fast immer mit Software, Daten, Algorithmen, neuesten Technologien, Communitys, Plattformen und Netzwerkeffekten zu tun. Sie beschäftigen sich zuvorderst mit Problemstellungen, die durch digitale Ideen gelöst werden können.

Jungunternehmer müssen keinen Markt verteidigen und keine Rücksicht auf tradierte Geschäftsmodelle nehmen. Sie sind nicht in überholten Strukturen und veralteten Mindsets gefangen. Sie brauchen weder auf hierarchische Tabus noch auf politische Spielchen zu achten. Sie probieren alles Mögliche aus, preschen schnell vor, wenn sich Erfolgsaussichten am Horizont zeigen, brechen aber genauso schnell wieder ab, wenn ihr Plan nicht zündet. Ihre Maximen: Versuch und Irrtum statt Befehl und Gehorsam. Und: Mut zum Spielraum statt Steuerung nach Plan. In der Szene gilt, klar auf Englisch:

Start many, try cheap, fail early, learn fast.

Die Kultur innovativer Jungunternehmen basiert auf ständiger Weiterentwicklung. Alles steht immer auf dem Prüfstand, um sich permanent zu verbessern und nie den Anschluss zu verpassen. Das kann in unserer digitalen Welt sehr schnell passieren. (So können wir auch keine Garantie dafür übernehmen, dass die in diesem Buch genannten Unternehmen noch am Markt sind, wenn Sie es lesen.)

Jungunternehmen arbeiten vornehmlich in sich selbst organisierenden Teams. Die Begegnungsqualität ist dabei sehr hoch. Sie haben ganz einfach verstanden, wie wichtig Zugehörigkeit, Zusammenhalt, Verbundenheit, ein enges Miteinander und ein starkes Wirgefühl sind. Die Führungskräfte zeichnet häufig Demut und Willenskraft aus. Sie wissen, dass schlechte Führung ein zentraler Grund für das Ausscheiden von High Potentials ist. Sie schaffen ein Umfeld, in dem Mentoring, konstruktives Feedback und eine ausgeprägte Lernkultur etabliert sind. Versuch und Irrtum führen zu permanenten Fortschritten. Neupositionierungen erfolgen, wenn nötig, sehr zügig.

Neue Geschäftsmodelle: Von Game-Changern gemacht

Kommt wie aus dem Nichts plötzlich ein Branchendisruptor daher, sind die Reaktionen fast immer gleich: erst belächeln, verspotten, kleinreden, niedermachen – dann Aufschrei, Empörung, Skandal! Oder klagen und jammern. »Jetzt kaufen unsere Kunden doch tatsächlich bei diesen Jungspunden ein. Hätten wir nicht gedacht. Da müssen wir uns aber bald mal was einfallen lassen.« Zu spät. Selbst mit Geldgeschenken sind die Nicht-mehr-Kunden nicht mehr zu locken.

Das Neuland wird längst von ambitionierten Digital Natives beackert. Sie lehnen sich, und das ist der wohl größte Unterschied zur Transformationsgeneration der 68er, nicht gegen Altes auf. Sie machen, ganz unaufgeregt, einfach neu. Interessanterweise arbeiten sie gar nicht gezielt auf den Untergang der Old Economy hin. Sie machen einfach ganz genau das, was für die Kunden erfreulicher, einfacher, praktischer, besser, schneller ist als das, was alteingesessene Unternehmen dem Markt derzeit bieten. Jedes ungelöste Kundenproblem kann für sie zu einem erfolgreichen Startpunkt werden.

»In unserer Branche geht so was nicht!« Das hören wir in konventionellen Umfeldern oft. Disruptoren wissen das nicht – und es ist ihnen auch völlig egal. Sie betreten keinen bestehenden Markt, sie erzeugen einen neuen. Digital fit, superagil, vielseitig interessiert, global geprägt und ständig auf der Suche nach guten Ideen, erkennen die unternehmerischen Millennials (ab etwa 1985 geboren) Potenziale blitzschnell, können Marktdifferenzen rasch identifizieren und Lösungen ganz neu kombinieren. Sie sind Zukunftsversteher. Und Transformationsexperten per se. Game-Changer nennen sie sich. So haben sie, von tradierten Modellen völlig entkoppelt, längst eine Parallelwelt erschaffen, die sich der Old Economy, wenn überhaupt, nur ansatzweise erschließt.

Sie versuchen erst gar nicht, alte Technologien aufzupeppen. Sie überspringen sie einfach. Herkömmliche Branchengesetze sind ihnen völlig egal. Gewohntes wird radikal infrage gestellt. Sie entwickeln nicht weiter, sondern kreieren unbekümmert, wagemutig und vor allem digitalbasiert die Dinge völlig anders und neu. Dabei entstehen Innovationen, die die Welt so umfassend verändern wie niemals zuvor. Mit Nischengespür packen sie jede Chance beim Wickel, die sich durch die fortschreitende Digitalisierung ergibt. Sie brauchen keine Fabrik, nicht mal eine Garage, um Geschäftsmodelle zu entwickeln, die Traditionsunternehmen erzittern lassen. Denken wir nur mal daran, wie WhatsApp mit anfangs einer Handvoll Mitarbeitern das SMS-Geschäft der großen Telekommunikationsfirmen pulverisierte. Als Anbieter mag man das unfair finden, doch das ist egal. Ist es aus Kundensicht nützlich, setzt es sich durch.

Für bahnbrechende Entwicklungen reichen heute schon Laptop und Wi-Fi.

Jeder Einzelne mit passablen Technik-Skills und etwas Programmier-Know-how kann jetzt Dinge entwickeln und weltweit vertreiben, für die früher ein Riesenunternehmen notwendig war. Laptop und Wi-Fi reichen heute meist aus. Gegen das unerschrockene Vorgehen smarter Jungunternehmer haben die Old-School-Apparatschiks – trotz sehr oft fundiertem Know-how – mit ihrer Absicherungsmentalität, ihren langatmigen Expertenrunden und ihren behäbigen Entscheidungsprozessen kaum eine Chance.

Was Etablierte von Jungunternehmen lernen können

Früher galten die namhaften Unternehmensberatungen als Kaderschmieden für das Topmanagement. Heute sucht man mehr und mehr nach Talenten, die eine leitende Stelle in einem jungen Digitalunternehmen bekleiden. Denn mit ihnen erwirbt man zugleich die digitale Denke und das agile Handeln. Gestandene Unternehmen, von Jungunternehmern liebevoll Grown-ups genannt, können von den Startups viel lernen.

Was Sie sich bei der jungen Elite abschauen können

Pivotieren: Das ist ein kontrollierter Kurswechsel, bevor es zu spät ist. Ursprünglich geplante Vorgehensweisen werden sofort über Bord geworfen, wenn sie sich als marktuntauglich erweisen. Ein Pivot ist allerdings kein Komplettausstieg, sondern bedeutet, dass mindestens ein Aspekt des ursprünglichen Geschäftsmodells gezielt geändert wird. Als etwa Kevin Systrom, Mitgründer von Instagram, erkannte, dass die User den Instagram-Vorläufer Burbn hauptsächlich wegen der Fotoposting-Funktion nutzten, richtete er sein Start-up neu aus und legte damit den Grundstein für die Instagram-Erfolgsgeschichte. In Unternehmen alter Schule hingegen hält man an laufenden Projekten und / oder an seiner Jahresplanung auch dann noch fest, wenn die Nichtmachbarkeit längst absehbar ist. Bewahrenwollen ist dort die Norm. Und die daraus folgende Verachtung für gescheiterte Vorhaben ist legendär.

Verschwendung vermeiden: Dies ist ein Grundprinzip in agilen Jungunternehmen, denn Ressourcen in Form von Zeit, Geld und Mitarbeitern sind ständig knapp. Aufwendige Reportings, unnötige Meetings sowie die gesamte Selbstbeschäftigungsbürokratie klassischer Organisationen sind dort tabu. Generell arbeitet man viel mit Freelancern zusammen. Bei Arbeitsspitzen versorgt man sich mit »Staff on Demand«. Die Fixkosten werden so niedrig wie möglich gehalten. Man zahlt für Zugang und Nutzung, nicht für Besitz. Das systematische Teilen von Wissen führt zu einer äußerst produktiven Form der Zusammenarbeit. Das »Sharen« von Gegenständen, bei dem das Web als Organisationsplattform dient, spart Geld und schont die Umwelt. Wenn alle ihr geistiges und materielles Eigentum teilen, bleibt mehr für alle. So mischt sich Unternehmertum mit sozialem Engagement.

Iteratives Lernen: Die Geschäftsidee selbst sowie die dazugehörigen Produkte und Lösungen werden inkrementell, also schrittweise, entwickelt. Zudem werden sie iterativ, also über permanente Lernschleifen, mithilfe von Kundenmeinungen optimiert, um frühzeitig auszusondern, was niemand braucht. So kommt validiert nur das auf den Markt, wofür die Menschen tatsächlich Geld ausgeben wollen. Bei der Ideation, der Ideenentwicklung, nutzt man das Prinzip der »Weisheit der Vielen«. Die besten Ideen kommen dabei oft von draußen. Das ständige Feedback über »testen – lernen – verbessern – testen – lernen – verbessern« macht sofortige Kurskorrekturen möglich. Hierzu werden nutzbare, minimal funktionsfähige Produkte (Minimal Viable Products) schnell auf den Markt gebracht und sukzessive durch User in deren realem Umfeld getestet. Überflüssiges kommt frühestmöglich weg. Brauchbares wird in einem laufenden Prozess optimiert. »Permanent Beta« nennt man das auch. Ein prima Nebeneffekt: Über Updates ist man regelmäßig in Kontakt mit seinen Kunden.

Vom Kunden her denken: »Raus auf die Straße, Nutzer beim Anwenden beobachten und mit (potenziellen) Kunden reden« ist eine Basisdevise. Wer zum Beispiel eine App für junge Zielgruppen entwickelt, geht in ein Café, spendiert ein paar jungen Leuten einen Drink, schaut ihnen über die Schulter und lauscht ihren Kommentaren, während sie mit der App hantieren. In traditionellen Unternehmen hingegen wird eine vermeintlich perfekte Lösung komplett inhouse entwickelt, dann in den Markt geworfen und in einer Rückschau durch aufwendige Kundenzufriedenheitsuntersuchungen validiert. Repräsentativität sei aber doch wichtig? Unsinn! Wenn zehn von zehn Testern ein Leistungsmerkmal unerträglich oder völlig unnötig finden, ist das ziemlich aussagekräftig.

Skalieren: Skalieren bedeutet, dass sich ein Grundmodell relativ mühelos um einen Faktor X vervielfachen lässt. Digitale Lösungen haben dabei einen entscheidenden Vorteil: Bei ihnen verursacht eine Skalierung kaum Kosten. Ein physisches Produkt oder ein Filialkonzept zu multiplizieren kann sehr aufwendig sein. Das Duplizieren einer Anwendung oder der Zuwachs um ein paar Hunderttausend Webportalnutzer hingegen kostet so gut wie nichts. Oder: Die üblichen Werkstattbesuche sind für einen Autobesitzer mühsam und teuer. Das Aufspielen einer neuen Software, etwa beim Tesla, geht hingegen virtuell, zudem erfolgen die Updates dann bei allen Autos gleichzeitig. Insofern streben Gründer vorrangig nach hohen Skalierungseffekten. Das macht sie für den Kapitalmarkt sehr interessant. Nach einer Durststrecke des Aufbaus sind extrem hohe Wertsteigerungen möglich.

Alle fünf Vorgehensweisen können auch in klassischen Unternehmen, egal, welcher Größe und Branche, umgesetzt werden. Voraussetzung ist natürlich, dass »Old School« von »New School« lernen will und ein Perspektivenwechsel gelingt. Anthropologisch betrachtet ist es ja neu, dass Wissen von Jung auf Alt übertragen wird. Bislang war das stets umgekehrt. Die Blockaden sitzen also tief eingewoben in unseren Genen. Und genau deshalb sind die zu überspringenden Hürden so hoch.


Abb. 6: Wesentliche Vorgehensweisen in New-School-Unternehmen

Mit Häme wird von Old-School-Managern gern darauf hingewiesen, dass viele Start-ups nicht überleben. Dazu Zahlen von 2017 für Deutschland: In die Insolvenz gingen 11,4 Prozent der Unternehmen mit einem Betriebsalter bis zu zwei Jahren, jedoch 18,3 Prozent der Unternehmen, die mehr als 20 Jahre alt sind.17 Häme ist also ganz gewiss kein guter Plan. In den USA ist seit dem Jahr 2000 bereits gut die Hälfte der Firmen aus der Fortune-500-Liste verschwunden.18 Die Hauptgründe dafür: Selbstherrlichkeit, verpasste Trends und fehlende Anpassungsfähigkeit. Längst stehen neue, junge Player an der Spitze der Wirtschaft. Und die Old Economy fällt immer weiter zurück.

Zudem floppen beim klassischen Vorgehen Geschäftsmodelle oder Produkte erst ganz zum Schluss, nachdem man sie mit hohen Entwicklungs- und Werbekosten in den Markt gedrückt und die Konsumenten vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Die Flops in jungen Unternehmen hingegen kommen schnell, passieren früh und mit wenig spektakulären Folgen. Die gemachten Erfahrungen werden sogleich dazu genutzt, ein zweites, besseres Unternehmen aufzubauen. Viele Investoren ziehen inzwischen sogar Gründer vor, die schon einmal gescheitert sind. Weil Fehlschläge Lernchancen sind.

Ambidextrie: Wie sich das Sowohl-als-auch manifestiert

Kaum ein Wort kann das, was wir derzeit erleben, besser beschreiben als Ambidextrie. Im ursprünglichen Sinn bedeutet es Beidhändigkeit. Philosophisch betrachtet ist es die Gleichzeitigkeit des Ungleichen, eine Paradoxie. Organisationale Ambidextrie beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, zugleich effizient und flexibel zu sein. Das bedeutet, nicht im konkurrierenden Entweder-oder zu agieren, sondern im kollaborierenden Sowohl-als-auch das »Beste aus beiden Welten« zusammenzuführen.

Ambidextrie umfasst auch das Wechselspiel von Exploitation, dem Ausschöpfen von Bestehendem, und Exploration, dem Erkunden von Neuem auf unbekanntem Terrain. Ferner geht es um das Geschick, zeitgleich in zwei Welten zu wandeln: im Spannungsfeld zwischen Kurz- und Langfristigkeit, Daten und Intuition, Kontrolle und Autonomie, Tradition und Disruption, Alt und Jung, männlicher und weiblicher Psyche, menschlicher und künstlicher Intelligenz. Brückenbauer, zu denen wir später kommen, sind überaus nützlich, um den jeweiligen Spagat mit Bravour zu meistern.

Im Innovationsvorzeigeland Estland bezeichnet man eine Person als »Sild«, also als Brücke, wenn sie es vermag, zwei unterschiedliche Welten zu verbinden. Das ist dann stets ein Kompliment. Denn eine solche Person versteht beide Perspektiven, so fremd sie auch sein mögen, und schafft Verständnis. Eine estnische Freundin von Alex, Elina, verkörpert genau das. Sie ist einerseits eine knallharte PR-Spezialistin und gut in der estnischen Regierung vernetzt. Außerdem lebt sie ihre Verbindung zur Natur und veranstaltet spirituelle Teezeremonien und Frauen-Workshops. Estlands Wirtschaft hat seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 vor allem durch die frühe Hinwendung zur Digitalisierung eine beeindruckende Erfolgsgeschichte hingelegt. Ambidextrie ist quasi in die Erziehung eingebaut. Analog und digital kommen wie aus einem Guss. »Jeder Este weiß, wie man ein Kartoffelfeld kultiviert, und bedient genauso problemlos die allumfassenden digitalen Bürgerschnittstellen«, so Elina.

Zweigleisigkeit ist also ein möglicher und zugleich beschleunigender Übergangsweg. Viele Unternehmen stecken nämlich in einem Dilemma: Zerschlagen sie ihr etabliertes Geschäftsmodell, bleiben die Gewinne, die erwirtschaftet werden müssen, um ihren vielfältigen Verpflichtungen nachkommen zu können, zunächst aus. Zudem gibt es vielerorts Restriktionen durch Börsenvorschriften, Tarifverträge und geltendes Recht. So hat Bahnbrechendes in tradierten Organisationen oft sehr schlechte Karten. Der Ausweg aus diesem Dilemma: Man gründet aus, dockt an Innovationszentren an und / oder arbeitet mit passenden Start-ups zusammen, was wir in Kapitel sieben ausführlich betrachten. Disruptionen beginnen immer in einer Nische oder an den Rändern einer Organisation. Kleine Einheiten können zudem die Wachstumschancen in zu Beginn meist kleinen Märkten wesentlich besser nutzen.

In seinem wegweisenden Werk The Innovator’s Dilemma hat Clayton M. Christensen, Professor an der Harvard Business School, bereits 1997 darauf hingewiesen, dass klassischen Organisationen disruptive Innovationen nur dann gelingen, wenn sie diese in kleine Einheiten auslagern und nach einer komplett anderen als der üblichen Managementlogik entwickeln.19 John Paul Kotter, weltweit anerkannter Experte für Veränderungsmanagement, schlug 2012 in einem viel beachteten Beitrag für die Harvard Business Review eine temporäre Parallelorganisation vor, die er »duales System« nannte.20 Hierbei entsteht neben der klassischen Aufbauorganisation eine zusätzliche Netzwerkorganisation, die sich ohne die Repressalien einer formellen Hierarchie schnellen, lukrativen Innovationen widmen kann. Im Gegensatz zu einem ähnlichen älteren Konzept von Peter Drucker wird dieses Gebilde nicht abgetrennt, sondern es agiert komplementär zur bestehenden Organisation.

Ambidextrie betrifft die Geschäftsmodelle genauso wie die Arbeitsweisen und das Führungsverhalten. Das Beste aus beiden Welten heißt demnach: Zunächst trennt man sich konsequent von veralteten Produkten, Methoden und Mindsets. Danach sorgt man für ein traditionelles Standbein und ein agiles Spielbein. Man kapitalisiert die derzeitigen Renditebringer und beginnt – abseits des Unternehmenszentrums – vehement mit etwas ganz Neuem. Insofern gilt es einerseits, die Ertragskraft der Kernaktivitäten zu sichern. Das laufende Geschäft muss die Innovationen mitfinanzieren, solange man nicht von Letzteren leben kann. Andererseits geht es darum, Jungunternehmer-Qualitäten und Pioniergeist zu entwickeln, sich also innovativ, rasend schnell und risikoaffin zu bewegen. Organisational gilt das Gleiche: Verschiedene Einheiten agieren noch mehr oder weniger klassisch, andere arbeiten bereits komplett selbstorganisiert.

Eine Trennung zwischen »Core-Business« und »Future-Business« kann sinnvoll sein.

Selbstorganisierte Einheiten orchestrieren sich, ohne in formelle Hierarchien eingebunden zu sein, mithilfe agiler Methoden autonom. Nur so können sie Innovationen schnell entwickeln und in den Markt katapultieren. Hierzu braucht es neue Prozesse, neue Umgangsformen und neue Qualifikationen, wie wir in Kapitel vier, fünf und sechs ausführlich zeigen. Empfehlenswert ist es aus unserer Sicht, zunächst eine kleinere Zahl von Bereichen auf Selbstorganisation umzustellen. Schnell wird der Rest der Organisation allerdings merken: Diese sind sehr viel flotter unterwegs. Zudem macht das Arbeiten dort richtig viel Spaß. Und es ist weit produktiver. Die Ambidextrie ist somit ein Brückenkopf für den Übergang in die Next Economy und ein Zwischenschritt auf dem Sprung in die Next Organisation. Die Kunst dabei? Das Zusammenspiel von klassischen und selbstorganisierten Einheiten sowie von Mutterhaus und ausgelagerten Business-Units zu meistern. So gilt es, im beidhändigen Sowohl-als-auch eine Balance zu finden, sich zu synchronisieren und gegenseitig zu befruchten, anstatt sich in die Quere zu kommen. Bewährte Ordnungsstrukturen sind eben hie und da durchaus noch relevant, vor allem da, wo es gut strukturierbare Aufgaben unter vorhersehbaren Marktbedingungen in einem stabilen Umfeld gibt. Doch je dynamischer das Marktgeschehen wird, desto mehr Selbstorganisation wird gebraucht, um schnelle Anpassungen möglich zu machen. Dabei benötigen auch autonome Einheiten ein Mindestmaß an Struktur und Ordnung, Routinen und Regeln. Was wir hingegen quer durch die gesamte Unternehmenswelt sicher nicht brauchen: einen Rückfall in das alte System aus Dominanz, Befehl und Gehorsam.

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