Kitabı oku: «Liccle Bit. Der Kleine aus Crongton», sayfa 3

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EIN DÄMLICHES ARSCHLOCH

»HÖR AUF RUMZUSCHREIEN, LEMAR.«Gran kam in den Flur. Mit einem Finger stocherte sie in Richtung von Elaines Zimmer. »Klopf an die Tür. Oder willst du Jerome wecken?«

»Wo ist Mum?«, fragte ich leise.

»Hast du dein Hirn heute nicht eingeschaltet, Lemar? Weißt du nicht, dass Samstag ist? Sie ist bei der Arbeit. Müsste eigentlich schon auf dem Nachhauseweg sein.«

Ich hatte gehofft, dass Mum da sein würde. Ich wollte ihr zeigen, dass ich was für Jerome mitgebracht hatte. Zwar hatte ich die Klamotten nicht selbst gekauft, aber immerhin lieferte ich sie ab. Wer weiß?, dachte ich. Vielleicht versuchen Manjaro und Elaine es danach noch mal auf diplomatischem Wege und vertragen sich wieder. Manjaro hat recht. Ein Dad muss im Leben seiner Kinder vorkommen. Das wird Elaine einsehen.

Als ich an ihre Tür klopfte, war ich eigentlich ganz zuversichtlich.

»Komm rein«, rief Elaine.

Sie saß auf dem Bett, schaukelte Jerome in den Schlaf. Ein jamaikanisches Kopftuch zierte ihre Stirn und ihr Afro schien direkt da rauszuwachsen. Wenn sie grinste, wurden die Grübchen in ihren Wangen tiefer. Aus Elaines Gettoblaster kam leise »New Me Dawning« von Tasha’s World – sie glaubte, entspannte Grooves würden Jerome beim Einschlafen helfen. Sie berührte Jeromes Lippen mit dem rechten Zeigefinger. War ein gutes Gefühl, sein Onkel zu sein. »Ich hab was für ihn«, sagte ich.

»Was denn?«, fragte Elaine, schaute dabei aber weiter Jerome an.

»Steht draußen im Flur.«

»Kannst du mir nicht sagen, was es ist?«

»Komm und sieh’s dir an.« Ich grinste.

»Verschwende bloß nicht meine Zeit, Lemar. Ich muss noch Jeromes Fläschchen spülen, seine Klamotten waschen und mir die Haare machen.«

»Ich verschwende deine Zeit schon nicht, Sis.«

Sie ließ die Tür offen und kam mit mir raus in den Flur.

»Alles für Jerome«, sagte ich stolz und zeigte auf die Tüten.

Elaine stemmte die Hände in die Hüften und verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein. Ihre Augen sprühten Funken. »Woher hast du das Geld, Lemar?«

Meine Zuversicht schwand. »Ich … ich hab Manjaro im Park getroffen. Er wollte ein paar Sachen für Jerome besorgen …«

Elaine erstarrte. »Spinnst du, Lemar? Ich kann den Scheiß nicht annehmen! Das weißt du doch!«

»Elaine! Wieso benutzt du solche schmutzigen Wörter hier zu Hause?«, schimpfte Gran und kam aus der Küche.

»Ich … ich wollte nur helfen«, erklärte ich.

»Damit hilfst du nicht!«, fuhr Elaine mich an. »Du weißt, dass ich mit ihm nichts zu tun haben will, und dann schleppst du Sachen für Jerome hier an? Hast du sie noch alle? Hat dir jemand ins Gehirn geschissen oder was …«

»Jetzt reicht’s!«, sagte Gran. »Und hör auf mit den Schimpfwörtern, sonst platzt mir der Kragen! Lemar wollte bloß helfen.« Sie ging an die Tüten und sah sie durch.

»Dann erklär du diesem schwachsinnigen Vollpfosten, dass ich nichts von meinem Ex haben will. Du hast keine Ahnung, was ich wegen diesem Geisteskranken durchgemacht hab.«

»Aber ich …«

Bevor ich den Satz beenden konnte, schlug Elaine mir auf den Arm. »Manchmal hast du echt den Verstand verloren, Lemar! Bring ihm die Tüten zurück und sag ihm, dass ich sie nicht will! Sag ihm, den Kram kann er sich hinschieben, wo die Sonne niemals scheint! Hast du verstanden? Und jetzt geh mir aus den Augen!«

Genau in diesem Moment öffnete sich die Wohnungstür und Mum kam rein, schaute von einem zum anderen. »Was ist denn hier los? Elaine! Ich hab dich bis unten schreien hören …«

»Sag deinem bescheuerten Sohn, er soll keine Sachen von meinem Ex hier anschleppen! Ich kann nicht glauben, dass er das gemacht hat!«

»Du hörst jetzt auf zu schreien, Elaine, sonst fängst du eine«, warnte Mum sie und zog den Mantel aus.

»Beruhigt euch erst mal alle«, sagte Gran, hob beschwichtigend die Hände. »Jetzt wird nicht mehr geflucht.« Allmählich standen zu viele Leute im Flur. Plötzlich verspürte ich das dringende Bedürfnis, in mein Zimmer zu flüchten.

Dann hörten wir alle, wie Jerome zu schreien anfing. »Siehst du, was du gemacht hast, Lemar?«, brüllte Elaine mich an. »Manchmal bist du echt ein verdammt dämliches Arschloch von einem Bruder!«

»Wenn du weiter so redest, kannst du dir eine andere Wohnung suchen!«, explodierte Mum.

»Ich kann’s nicht abwarten! Meinst du, ich bin gerne hier? Vielleicht erziehe ich Jerome ja besser als du uns!«

Elaine tobte davon, um nach Jerome zu sehen. Mum blieb im Flur stehen, schüttelte den Kopf. Dann durchbohrte sie mich mit den Augen. Gran verschwand in die Küche. »Wieso musstest du dich mit Manjaro einlassen?«, fragte Mum. So wie sie mich ansah, war es ganz egal, was ich antwortete. Sie gab sowieso mir an allem die Schuld.

»Elaine mault immer rum, dass sie kein Geld hat, um Jerome Klamotten zu kaufen, und als Manjaro kam und …«

»Wir brauchen sein Geld nicht«, fiel mir Mum ins Wort.

»Aber …«

»Aber gar nichts, Lemar! Du hast deine Schwester wütend gemacht und Jerome schreit hier alles zusammen. Ich hab den ganzen Tag gearbeitet, und nicht mal in meiner eigenen Wohnung hab ich meine Ruhe! Weißt du eigentlich, wie müde ich bin?«

»Ich wollte nur helfen …«

»Geh mir aus den Augen, Lemar! Verschwinde in dein Zimmer und zeichne was oder so! Ich hatte einen langen Tag, mir tun die Füße weh und ich brauch das nicht!«

Ich ging in mein Zimmer, knallte die Tür hinter mir zu und ließ mich aufs Bett fallen.

»Wenn du die Tür kaputt machst, brech ich dir die Knochen!«, schrie Mum aus dem Flur.

Was ist bloß los mit dieser scheiß Familie?, dachte ich. Wieso bin immer ich an allem schuld? Wieso kapieren meine Mum und meine Schwester nicht, dass ich Jerome nur was Gutes tun wollte? Ich bin vierzehn, verdammt noch mal!! Wieso reden alle mit mir, als wäre ich ein kleines Stück Scheiße? Wenn Elaine den Kram nicht will, soll sie ihn selbst zu Manjaro zurückbringen. Ich mach’s jedenfalls nicht!

Über eine Stunde rührte ich mich nicht, ignorierte den Essensgeruch und das Besteckklappern, obwohl mein Magen allmählich knurrte. Ich starrte nur an die Decke und dachte, was für ein verkorkstes scheiß Leben ich lebte. Sobald es Ärger gab, zeigten alle mit dem Finger auf mich. Wenn ich nicht hier wäre, wem hätten sie dann die Schuld gegeben?

Schließlich klopfte es an meine Tür und ich stand vom Bett auf. Ich wusste, dass es Gran war, weil Elaine oder Mum gar nicht erst anklopfen würden. Sie brachte mir einen Teller mit einer großen Portion Karottenkuchen. »Wir hatten alle schon ein Stück«, sagte Gran. »Ich will nur sicher sein, dass du deins auch bekommst.«

»Danke, Gran.«

Ich biss zweimal in den Karottenkuchen und Gran setzte sich neben mich. »Elaine meint das nicht so, wie sie’s sagt«, erklärte sie. »Sie hat’s nicht leicht – Jerome ganz alleine großziehen und eine Wohnung beantragen. Außerdem ist sie ein kluges Mädchen. Sie sollte was aus sich machen, aber seit Jerome auf der Welt ist … na ja, sie hat’s jedenfalls nicht leicht. Weißt du noch, wie wir gefeiert haben, als Elaine ihre Prüfungsergebnisse bekommen hat?«

»Ja, Mum und du seid mit uns in den Cheesecake-Laden um die Ecke an der Crongton High Street gegangen. Trotzdem muss sie ihren Scheiß nicht an mir auslassen. Mum und Elaine lassen immer alles an mir aus! Ich hab Elaine nicht gebeten, sich schwängern zu lassen und die Schule zu schmeißen! Und ich bin auch nicht schuld dran, dass Dad abgehauen ist.«

»Nein, bist du nicht«, gab Gran mir recht. »Alle haben Stress. Ist nicht leicht.«

»Deshalb hab ich die Tüten von Manjaro angenommen«, sagte ich. »Und ich finde immer noch nichts Schlimmes dabei, Gran. Aber was krieg ich dafür? Elaine beschimpft mich und Mum stellt sich auf ihre Seite. Sie ist immer auf ihrer Seite.«

»Nein, das ist sie nicht, Lemar.«

»Doch, ist sie wohl! Hast du nicht gehört, wie sie geflucht hat? Und was macht Mum? Nichts! Hätte ich mich das getraut, hätte sie mir den Reistopf über den Schädel gezogen!«

»Iss deinen Kuchen, Lemar. Morgen geht’s dir besser.«

Gran legte mir eine Hand auf die Wange, lächelte und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Dann ging sie raus und ich futterte erst mal.

Der Karottenkuchen war gut. Als ich aufgegessen hatte, legte ich das Geld, das nach der Cola und den Erdnüssen noch übrig war, in den Schuhkarton in meinem Schrank. Immerhin wusste ich jetzt, was Manjaro mit »Unannehmlichkeiten« gemeint hatte.

6
KRIEG IN CRONGTON

AM NÄCHSTEN MORGEN WACHTE ICH um 6.45 Uhr auf und es ging mir nicht besser. Ich dachte, dass ich vielleicht Dad fragen sollte, ob ich eine Weile bei ihm wohnen durfte, aber hätte ich davon auch nur andeutungsweise angefangen, wäre Mum abgegangen wie ein Tornado, der verstopfte Kloschüsseln aus der Verankerung reißt. Ich machte den Fernseher an und merkte, dass mein Handy blinkte. Ich nahm es und sah eine SMS von Jonah. Wieso schickt der mir so früh schon Nachrichten? Ich öffnete sie.

South Crong im Wareika Way ermordet. Bullen haben alles abgesperrt. McKay ist unterwegs. Treffen uns dort.

Scheiße! Es geht los. Wareika Way war nicht weit vom Park entfernt. Größtenteils bestand er aus vierstöckigen Wohnblocks, nur am Anfang und am Ende standen fünfzehnstöckige Hochhäuser. Eigentlich kam es dort nicht häufig zu Messerstechereien oder sonstigem Ärger, weil Manjaro die Gegend kontrollierte. Die meisten, die da wohnten, gehörten zu Manjaros Crew, deshalb war ich auch so geschockt, dass es den Bruder ausgerechnet dort erwischt hatte. Ich antwortete Jonah.

Bin unterwegs

Ich wusch mich in Windeseile, zog mich an, und als ich am Wareika Way eintraf, fuhr gerade der Krankenwagen davon, aber nicht besonders schnell und die Sirene war auch nicht eingeschaltet. Die Bullen hatten die ganze Straße abgesperrt, aber an beiden Enden hatten sich Menschentrauben gebildet. Leute ungefähr im selben Alter wie meine Mum standen in ihren Morgenmänteln da. Ich hörte eine Frau weinen, konnte sie aber nicht sehen. Andere starrten aus den Fenstern, und ein paar Brüder standen auf Mauern oder waren an Laternenmasten hochgeklettert. Alle beobachteten sie die Typen von der Spurensicherung in ihren weißen Overalls. Einige von denen hatten sogar Gesichtsmasken übergezogen. Wär’s keine Messerstecherei gewesen, hätte man auch denken können, irgendeine fiese leberzerfressende Pest hätte Crongton heimgesucht. Die Bullen untersuchten jeden Zentimeter. Sie hatten kleine Pinselchen und Plastiktütchen in den Händen, und insgeheim dachte ich, dass ich den Boden lieber nicht so genau unter die Lupe nehmen würde, weil ich mindestens eine Million Typen da schon hatte hinpissen und hinrotzen sehen. Mir schoss in den Kopf, dass der Tatort ein gutes Motiv für eine Skizze oder ein Gemälde gewesen wäre.

Dann entdeckte ich McKay und Jonah am anderen Ende vom Wareika Way, ich musste also noch mal ganz außen rum, um zu ihnen zu kommen. Als ich dort war, schoben uns die Bullen noch mal ein Stück weiter zurück.

»Zurücktreten, bitte, bitte, weiter zurück«, sagte einer von ihnen und hielt die Hände ausgestreckt vor sich. »Das ist ein Tatort.«

In Augenblicken wie diesen hasste ich es wirklich, so klein zu sein. Ich sah nur Schultern und Köpfe vor mir.

»Das war Nightlife«, flüsterte McKay mir ins Ohr. »Durchlöchert wie ein Sieb. Die haben ihm sogar ein Stück vom Ohr abgerissen – typisch für die North Crongs. Patricia Byrne, die da oben im vierten Stock wohnt, hat gesagt, da sind Sturzbäche von Blut in den Gully gelaufen.«

»Du meinst, den großen Weißen, der immer amerikanische Footballtrikots anhatte?«

»Genau den.« McKay nickte. »Stand auf die Washington Redskins. Vor ein paar Jahren hat ihm sein Dad einen Redskins-Helm zum Geburtstag geschenkt, kurz bevor er auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist.«

»Nightlife war einer von Manjaros besten Kumpels«, meinte Jonah.

»Wieso wurde er so genannt?«, fragte ich.

»Weil er nachts immer raus ist. Seine Mum hat ihm nicht erlaubt, in der Wohnung zu kiffen«, erwiderte McKay.

»Und deshalb wussten die auch, wo sie ihn kriegen«, flüsterte ich.

»Genau«, erwiderte McKay. »Vielleicht haben ihn die North Crongs schon eine Weile beobachtet. Die Kacke wird so was von überkochen. Manjaro muss sich ernsthaft was einfallen lassen. Überleg dir das mal: ein North-Crong auf South Crong-Gebiet – im Wareika Way –, und dann macht er einen South Crong alle? Genauso gut hätten sie Manjaro persönlich aus einem Hubschrauber raus auf den Kopf kacken können.«

Ich sah mich um und entdeckte nur einen South Crong mit einer blauen Basecap. Er machte irgendwas mit seinem Handy.

»Wahrscheinlich werden die Bullen überall rumfragen«, sagte McKay. »Halt bloß dicht, wenn die bei euch auf der Matte stehen.«

»Ich weiß eh nichts«, erwiderte Jonah.

Wir verzogen uns wieder in Richtung unserer Blocks und fragten uns, wie’s jetzt weitergehen würde in diesem South-Crong-North-Crong-Krieg. Als wir eine Abkürzung durch eine schmale Gasse nahmen, fing McKay zu mosern an, weil er noch nichts zum Frühstück gehabt hatte.

Ich weiß nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, dass uns jemand folgte. Um mich zu vergewissern, schaute ich mir drei Mal über die Schulter, aber da war keiner.

»Was ist los mit dir, Bit?«, fragte McKay. »Glaubst du, die Bullen sind dir auf den Fersen?«

»Nein«, erwiderte ich. »Hab nur kurz gedacht, es wäre jemand hinter uns.«

Jonah drehte sich auf der Stelle um, schaute hier- und dorthin. Ich hatte immer noch so ein komisches Gefühl und dachte, dass es Jonah und McKay genauso ging, auch wenn sie sich’s niemals anmerken lassen würden.

»Kein Wunder, dass du Paranoia schiebst«, sagte McKay. »Ich kann’s auch kaum glauben, dass die Nightlife auf South-Crong-Gebiet abgestochen haben. Manjaro poliert bestimmt schon seine Kalaschnikows und schnallt sich Granaten vor die Brust. Würde mich nicht wundern, wenn der Flugabwehrraketen und so einen Scheiß hat. Wisst ihr, solche, wie die arabischen Brüder hinten auf die Ladeflächen von ihren Lastern bauen.«

Jonah und ich schüttelten die Köpfe und verdrehten die Augen.

Wir bogen in einen schmalen Weg hinter einer Reihe von kleinen Häusern ein. Die Hinterhöfe waren kaum größer als Hobbithöhlen. Überall hingen Schilder mit »Achtung bissiger Hund« an den Toren, obwohl ich wusste, dass viele gar keine Hunde hatten.

»Keine Ahnung, wie’s euch geht, aber auf mich warten ein paar fette Würstchen, Speck, Bohnen und gebratene Tomate«, sagte McKay. »Das muss ich mal eben schnell mit Mango- und Ananassaft runterspülen. Also gehabt euch wohl und lasst euch nicht abstechen.«

McKay joggte davon, während Jonah und ich um die nächste Ecke bogen. Rumms! Fast wären wir gegen Manjaro gedonnert. Mein Rückgrat erstarrte zum Eiszapfen. Mit dem Rücken zur Wand stand er da. Alleine. Eine Sekunde lang dachte ich, er wäre uns gefolgt. Nee, aber wieso sollte er mir nachlaufen? Er trug ein schwarzes T-Shirt und schwarze Schweißbänder an den Handgelenken. Die Morgensonne glänzte auf seinem rasierten Schädel. Er schaute in den Himmel, als würde er sich eine böse alttestamentarische Rache ausdenken. Ich sah Jonah an, und einen Augenblick lang war er starr vor Angst, dann machte er kehrt und rannte los, als hätte er gerade erfahren, dass einer aus der Siebten sein Lieblings-PS3-Spiel konfisziert hatte.

»Wieso haut dein Bro ständig ab?«, wollte Manjaro “wissen. »Ich tu ihm doch nichts.«

»Der ist ein bisschen nervös«, sagte ich.

»Verständlich.« Manjaro nickte. Er richtete den Blick nach Osten, dann nach Westen, misstrauisch gegenüber jedem, der ihn zur Kenntnis nahm. Ich spürte mein Herz in meiner Kehle poltern. »Ich hab dich im Wareika Way gesehen.«

»Wir … wir haben gehört, was passiert ist«, brachte ich heraus.

»Nightlife … das war ein loyaler Bruder«, sagte Manjaro. Seine Stimme war schwer vor lauter Trauer. Sein Tonfall überraschte mich. »Wenn ein Bruder in der Scheiße gesessen hat, war er immer der Erste, der angerannt kam, um zu helfen, hast du kapiert? Der hat nicht gezögert, Renegaten an die Wand zu drücken.«

»Rene … was? Klar, kapiert… tut mir leid, du weißt schon, tut mir echt leid.«

»Das weiß ich zu schätzen, Kleiner, ja wirklich. Ich werde mich um seine Familie kümmern, weißt du, denen was spenden. Die brauchen es, sein Dad hat sich schon lange verpisst. Keine Ahnung, wieso er die einfach hat sitzen lassen.« Pause. »Ich will, dass du mir einen Gefallen tust.«

»Ich?«

Ich hoffte, dass es was Leichtes sein würde, wie zum Beispiel Eis aus dem Laden holen. Aber irgendwie wusste ich schon, dass es das nicht war.

»Ja, du«, sagte er. »Ich hab das Gefühl, ich kann dir vertrauen. Du bist ehrlich.«

Ich stellte mir Elaine und Mum vor, wie sie mich beschimpften, aber schließlich konnte ich meine eigenen Entscheidungen treffen, oder? Außerdem war egal, was ich machte, die beiden hassten mich sowieso.

»Was soll ich machen?«, platzte es aus mir heraus.

»Bloß wo hingehen und was abholen«, erwiderte Manjaro. »Kein großes Ding, aber wenn du mir den Gefallen tust, spende ich dir was.«

Ich fragte mich, wie viel das sein würde. Wenn ich noch öfter was für Manjaro erledigen könnte, wäre vielleicht außer den neuen Sneakern auch noch ein neues Adidas-Trikot drin. Gar nicht so schlecht, oder? Nur eine kleine Besorgung, dann konnte ich mir neue Klamotten kaufen. Vielleicht würde Venetia mich dann endlich mal zur Kenntnis nehmen. »Ist es weit?«

»Nein, ungefähr zwanzig Minuten zu Fuß hinter den alten Fabriken. Nicht weit von Crong Village.«

»Und soll ich heute da hin?«

»Nein, nicht heute. Heute trauern wir um Nightlife und in den nächsten Tagen auch noch. Gib mir deine Handynummer, dann bekommst du einen Anruf, wenn das Ding abgeholt werden muss.«

Muss ich wirklich meine Nummer rausrücken? Und wenn er mich zu Hause anruft, wenn Elaine da ist? Von jetzt an stell ich mein Handy lieber auf lautlos.

»Was ist es denn?«, wollte ich wissen.

»Kein großes Ding«, sagte Manjaro schulterzuckend. »Ich würd’s selbst holen, aber sobald ich das Viertel hier verlasse, hab ich die Bullen an den Fersen. Du weißt doch, wie das ist, wenn die einen anhalten und durchsuchen, die ganze Scheiße, hast du kapiert? Jetzt wo Nightlife tot ist, wird’s noch schlimmer – der wusste, was es bedeutet, ein wahrer Bruder zu sein. Ich will mich nicht mit den Bullen anlegen, solange ich um Nightlife trauere.«

»Kann ich verstehen«, erwiderte ich.

»Und du hast doch noch nie Ärger mit den Bullen gehabt, oder? Wenn du was rumschleppst, dann doch meistens deine Schultasche und deine Zeichnungen, oder?«

»Ich und Ärger? Meine Mum würde mir so die Ohren lang ziehen, das würdest du noch am anderen Ende von Crongton hören.«

Manjaro grinste, aber kurz danach war sein Gesicht wieder wie Beton.

Ich gab Manjaro meine Nummer. Ich fand’s komisch, dass er sie sich aufschrieb und nicht in sein Telefon einspeicherte.

»Du hörst von uns«, sagte er.

»Okay«, sagte ich.

Dann schob er sich die Hände in die Taschen und verzog sich. Ich sah ihm nach, bis er um eine Ecke bog, und fragte mich, ob es richtig gewesen war, ihm meine Nummer zu geben. Gar kein Ding, fand ich. Wahrscheinlich soll ich ein paar Sneaker oder so was bei einer Freundin abholen – McKay schätzt, Manjaro hat in ganz Crongton an die sechs Ladys verteilt. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb meine Schwester ihn abgesägt hatte.

7
KURIERDIENST

DIE NÄCHSTEN FÜNF TAGE VERGINGEN, ohne dass ich was von Manjaro hörte. Allerdings umso mehr von Mum und Elaine. Sie meckerten, weil ich vergessen hatte, den Flur und die Küche zu wischen, schimpften, weil ich den Abfall am Montag nach dem Essen nicht runtergebracht hatte, und brüllten mich an, weil ich drei Gläser Ribena getrunken und die Flasche leer gemacht hatte. Am Dienstagabend nahm Mum mir den Fernseher weg, weil ich zurückgemotzt hatte, als sie mich einen »kleinen Gierschlund, der immer nur Geld will« geschimpft hatte. Dabei hatte ich es nur gewagt, sie um ein paar Pfund für einen Haarschnitt zu bitten.

Ich fing ein neues Bild an. Ich hatte noch genau im Kopf, wie die Bullen am Tatort ermittelten, und zeichnete die Blocks im Wareika Way mit den Leuten an den Fenstern. Gran kam ab und zu in mein Zimmer und schaute schweigend zu, wie ich zeichnete, und wenn sie aufstand und wieder rausging, sagte sie immer: »Weiter so, Lemar. Gott hat dich mit Talent gesegnet.«

Mum und Elaine nahmen es nicht mal zur Kenntnis.

Am Mittwochabend, als ich die Menschenmenge dazu zeichnete, hörte ich mein Handy piepen. Es war kurz nach sieben und ich dachte, Jonah oder McKay würden mir eine SMS schicken – dass Manjaro was von mir wollte, hatte ich schon vergessen. Ich öffnete die Nachricht.

Ware abholen in der Crongton Lane 269 – 20 Uhr

Von wem die Nachricht kam, wurde nicht angezeigt. Keine Ahnung, was das war, aber irgendwas in mir prickelte vor Aufregung. Ich sah auf meinem Handy nach der Uhrzeit. 19.10 Uhr. Dann las ich die Nachricht noch einmal. Soll ich sie ignorieren? Vielleicht sollte ich Manjaro sagen, dass ich schon schlief? Nee, das kauft er mir nie ab. Wieso hab ich jetzt Schiss? Er will doch nur, dass ich was abhole, und dafür krieg ich was. Genau. Ich gehe. Die Crongton Lane ist auch gar nicht so weit.

Ich ging ins Wohnzimmer. Gran glotzte irgendeine Talkshow, und Mum hatte sich auf dem Sofa zusammengekauert und pennte. »Ich … ich geh rüber zu McKay. Ich … brauch Hilfe bei den Mathe-Hausaufgaben.«

»Macht aber wirklich Hausaufgaben und verschwendet nicht eure Zeit mit der blöden Playstation«, sagte Gran. »Und sei vorsichtig da draußen.«

»Klar Gran, wir lernen.« Ich hob die Stimme ein bisschen, hoffte, dass Mum mich hören würde. »Mum! Ich geh zu McKay. Bis später!«

»Glaubst du, ich steh im zehnten Stock?«, erwiderte Mum und öffnete schläfrig ein Auge. »Hab’s schon beim ersten Mal gehört. Jetzt lass mich schlafen.«

Ich ging noch mal zurück in mein Zimmer, holte tief Luft und zog meine Sneaker an. Wer wohl dort sein würde? Einer, den ich kannte? Vielleicht jemand von ganz oben aus Manjaros Crew. Was sollte ich holen? Ich musste zugeben, dass ich ganz schön Angst im Bauch hatte, aber ich fand’s auch echt aufregend. Manjaro bittet mich um einen Gefallen, und er wird mir was spenden. Ich setzte mich auf mein Bett, dachte über die Vor- und Nachteile der Situation nach.

Als ich eine Viertelstunde später das Haus verließ, sah ich mich immer wieder um, dachte, dass mir Mum oder Gran vielleicht hinterhergingen. Ich kam vorbei an dem kaputt randalierten Jugendklub, wo mein Dad früher immer gewesen war, und an der alten verfallenen Fabrik, in der jetzt Penner übernachteten. Immer weiter Richtung Central Crongton.

Fünfzig Meter vor der High Street ging die Crongton Lane links ab. Vor den Häusern führten Betonstufen zu breiten Haustüren hinauf und in einigen Häusern standen Billardtische im Keller. BMWs, Mercedesse und andere schweineteure Autos parkten in den schräg eingezeichneten Lücken. Ich hörte kein irres Geschrei aus den Häusern, wie bei uns im Block.

Ich suchte die Hausnummer. Zweihunderteinundfünfzig, zweihundertdreiundfünfzig, ich blieb stehen. Noch kann ich mich umdrehen und nach Hause verschwinden, dachte ich. Ich muss das nicht machen. Ich bin sicher, Manjaro findet auch einen anderen Bruder, der ihm holt, was er haben will. Aber, hey-ho, ich brauchte ein paar neue Sneaker und ich hatte keine Lust, mich noch mal mit meiner bekloppten Frisur vor Miss Fitness Venetia King blicken zu lassen. Ich brauchte unbedingt einen Haarschnitt. Zweihundertsiebenundfünfzig, zweihundertneunundfünfzig. Ich holte tief Luft und joggte den Rest des Weges. Zweihundertneunundsechzig. Langsam stieg ich die Stufen hinauf und las noch mal die Adresse vom Handydisplay ab. Ich war da. Zehn Sekunden lang stierte ich auf die Türklingel, als wär’s eine Sprengkapsel. Aus irgendeinem Grund fielen mir lauter alte Zeichentrickfilme mit irren Explosionen ein. Wile E. Coyote, der den Road Runner jagt und sich dabei aus Versehen selbst in die Luft sprengt. Den mochte mein Dad immer am liebsten, glaube ich. Dann schloss ich die Augen und klingelte.

Sekunden später ging drinnen Licht an. Ich stieg eine Stufe runter. Etwas Feuchtes und Kaltes lief mir den Rücken runter. Durch die Milchglasscheibe sah ich einen Schatten auf mich zukommen. Die Tür ging auf und ein weißes Mädchen, ungefähr neunzehn Jahre alt, stand vor mir. Sie hatte die Haare zum Pferdeschwanz zurückgebunden und trug ein ausgeleiertes blaues T-Shirt und eine blaue Trainingshose. An den Handgelenken blaue Schweißbänder. Nichts an den Füßen. Ihre krummen Zehen sahen aus, als hätte sie versucht, barfuß in Eierbechern zu laufen.

»Bit?«, fragte sie.

Ich nickte.

»Gib mir dein Handy«, verlangte sie.

»Wieso?«

»Gib mir einfach dein scheiß Handy!«, beharrte sie.

Ich gab ihr mein Handy. Sie nahm es mir ab, markierte meine Nachrichten und löschte alle. Dann gab sie’s mir wieder und sagte: »Warte hier.«

Ein eiskalter Dämon trieb in meinem Blutkreislauf. Sie schloss die Tür und ich sah ihren Schatten im Haus verschwinden. Zwei Minuten später kam sie mit einem braunen Päckchen, das mit braunem Paketband zugeklebt war, wieder raus. Ungefähr so groß wie mein Schuhkarton im Schrank, aber nicht ganz so hoch. Dann gab sie mir einen zusammengefalteten Zettel. Ich faltete ihn auseinander und erkannte eine Adresse in meiner Siedlung. »Remington House 9?«, fragte ich.

Das Mädchen nickte. »Deine Spende«, sagte sie und zog einen frischen Zehner aus der Hosentasche.

»Danke.«

»Bring’s dorthin, jetzt«, verlangte sie. »Geh nicht erst nach Hause oder sonst wohin. Hast du kapiert?«

»Kapiert.«

»Gib mir den Zettel wieder«, befahl sie.

Ich las noch mal die Adresse, dann gab ich ihn ihr zurück. Sie riss den Zettel in winzige Fetzen und zerknüllte sie in der Faust.

»Denk dran«, sagte sie und hielt mir den rechten Zeigefinger vor die Nase. »Geh jetzt da hin, wenn du da bist, kriegst du noch eine Spende. Die wissen, dass du kommst.«

Ich fragte mich, wer die waren.

Sie machte die Tür zu, bevor ich weitere Fragen stellen konnte. Eine Weile blieb ich stehen, betrachtete das Päckchen. Es war sehr sorgfältig zugeklebt, als wäre was Wertvolles drin. Scheiße! Auf was hab ich mich da eingelassen? In dem Päckchen konnten Drogen sein, Munition oder sonst was. Vielleicht sollte ich es zurückgeben und das Geld auch? Andererseits weiß ich nicht, was die Schwester mit mir macht oder jemand anderen mit mir machen lässt. Wahrscheinlich ist sie eine ganz große Nummer in Manjaros Crew. Und ich bin bloß ein kleiner Hosenscheißer, dachte ich. Was richtig Überkrasses würden die mir doch gar nicht anvertrauen.

Das Päckchen war so schwer wie mehrere Schulbücher, vielleicht drei, ich würde das bloß durchziehen können, wenn ich nicht drüber nachdachte, was drin war.

Ich drehte mich um und sprang die Stufen runter, nahm zwei auf einmal. Remington House war der Block hinter dem von McKay. Ich vermutete, dass es eine Erdgeschosswohnung war, wegen der Nummer neun. Vielleicht würde ich auf dem Heimweg noch mal bei McKay reinschauen.

Halb joggte ich zu meiner Lieferadresse, fragte mich, wer wohl da sein würde. Vielleicht Manjaro selbst? Oder eins seiner Mädchen. Elaine hatte nicht allzu viel darüber verraten, wo sie sich mit Manjaro getroffen hatte, als sie noch mit ihm zusammen war. Jedenfalls mir nicht.

In fünfzehn Minuten war ich dort. Schweiß rann mir über die Schläfen. Ich wartete, bis ich wieder normal atmete, dann klopfte ich an die lackierte Holztür und drehte mich um, aber es war niemand in der Nähe. Oben hörte ich einen Hund bellen, und einer der Nachbarn hatte den Fernseher viel zu laut laufen, aber das war ganz normal in South Crongton. Zwei Minuten wartete ich, ohne dass jemand kam. Ich checkte die Nummer an der Tür. Neun. Ich klopfte noch mal, dieses Mal lauter.

Eine Minute später hörte ich einen Schlüssel im Schloss. Die Tür ging zehn Zentimeter weit auf. Ich hörte noch, wie sich der Spülkasten vom Klo wieder füllte. Das Gesicht eines Mischlingstypen von ungefähr zwanzig Jahren tauchte in dem Spalt auf. Seine Brust war breiter als der alte Kleiderschrank von meiner Gran und er hatte oberschwere Fäuste. Die blaue Cap saß verkehrt rum auf seinem Kopf und in seinem Mund blinkte ein einzelner Goldzahn. Mein Herz trommelte ein Solo.

»Bist du Bit?«, fragte er.

»Ja«, erwiderte ich.

Er drehte den Kopf. »Bit ist da!«, schrie er.

»Lass den Bruder rein!«, schrie jemand zurück.

Der Schwergewichtler ließ mich rein, musterte mich dabei mit einem Blick, als wäre ich eine unerwünschte Fliege. Dann zeigte er den Flur entlang. »Hinten rechts«, wies er mich an.

Lackierter Holzboden. Ich schwitzte schon, weil ich mir die Füße nicht abgewischt hatte. Schwarz-Weiß-Fotos von Filmstars hingen an den Wänden. Irgendein Putzmittel oder Raumspray kitzelte mir in der Nase. Ich ging vorbei an einer leeren Küche und bog in ein Wohnzimmer ab, aber da war niemand. Ein großer Flachbildfernseher hing an der Wand und ein Nachrichtensprecher berichtete bei runtergedrehter Lautstärke über den Nahen Osten. Auf dem Boden lag ein dreiteiliger schwarzer Lederanzug, bildete einen Halbkreis neben einem langen Tisch mit aufgezeichnetem Schachbrett. Die Figuren waren aus Glas oder irgendeinem durchsichtigen Plastik und mir fiel wieder ein, wie mein Dad mal versucht hatte, es mir beizubringen.

»Setz dich«, sagte eine Frauenstimme.

Ich drehte mich um und sah ein braunhäutiges Mädchen von ungefähr einundzwanzig Jahren, vollkommen blau angezogen und mit großen goldenen, pyramidenförmigen Ohrringen. Sie war so hübsch wie ein Bond-Girl.

Ich tat, wie mir geheißen, hielt immer noch das Päckchen fest in beiden Händen.

»Willst du was trinken?«, fragte das Mädchen. Wahrscheinlich hatte sie die Schweißtropfen auf meiner Stirn gesehen.

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