Kitabı oku: «Die zehn Lebensempfehlungen des Yoga», sayfa 2
Die zehn Lebensempfehlungen im Überblick
Durch die Yamas werden gesunde und harmonische Beziehungen zu anderen entwickelt; Niyamas werden praktiziert, um diese Art von Beziehungen auch zu uns selbst aufzubauen. Beide Übungsformen beinhalten, Verantwortung für das Leben zu übernehmen und dieses aktiv, bewusst und freudvoll zu gestalten.
Die zehn Lebensempfehlungen werden auch als Mahavratas, als große Gelübde bezeichnet. Yogis betrachten diese ethischen Prinzipien als tiefes Bekenntnis, die eigene Persönlichkeit freiwillig zum Positiven zu verändern. Sie werden als universell gültig betrachtet, und können ihren Wert nicht durch Veränderungen von Zeit, Ort, Geschlecht, Situation oder Lebensumständen verlieren. Andere spirituelle Traditionen besitzen ebenfalls ethische Verhaltensempfehlungen – zur Anregung im Folgenden zwei Aufstellungen aus der christlichen und buddhistischen Lehre.
Die erste Stufe des Raja-Yoga (s. Abb. 2, S. 18 und Abb. 3, S. 24) definiert einen sozialen Verhaltenskodex. Das Wort Yama bedeutet „das, was hilft, innerhalb unserer Grenzen zu bleiben und nicht die Grenzen anderer zu überschreiten“. Verkürzt ausgedrückt: „Leben und leben lassen.“ Handlungen, die anderen oder einem selbst Schaden zufügen, sollten nicht begangen werden. Yama stammt von der Wortwurzel yam, was kontrollieren meint: die bewusste Kontrolle und Pflege unserer Beziehungen zu allen Geschöpfen ohne Ausnahme und ohne Ausschluss.
Christentum 4
1.Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
2.Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.
3.Du sollst den Feiertag heiligen.
4.Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.
5.Du sollst nicht töten.
6.Du sollst nicht ehebrechen.
7.Du sollst nicht stehlen.
8.Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
9.Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.
10.Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was dein Nächster hat.
Buddhismus 5
1.Enthaltung vom Töten
2.Enthaltung vom Stehlen
3.Enthaltung von allen sexuellen Aktivitäten
4.Enthaltung vom Lügen
5.Enthaltung von Rauschmitteln
6.Enthaltung von Nahrungszufuhr nach 12 Uhr
7.Enthaltung von sinnlichen Vergnügungen und kostbaren Gewändern und Schmuck
8.Enthaltung von hohen und luxuriösen Betten
YAMAS
Ahimsa
1. Nicht verletzen, nicht schaden, nicht töten
· Gewaltlosigkeit; Verschwinden von Feindschaft
· Entwickeln von Mitgefühl, Toleranz, Offenheit
· Erkennen wechselseitiger Beziehungen aller Lebewesen auf der Welt
· Befreiung von Isolation und Trennung;
Dialog- und Kooperationsbereitschaft
· Entwicklung von Mut, Eindeutigkeit, Selbstvertrauen
Satya
2. Nicht lügen
· Wahrhaftigkeit
· Mutiges Ansprechen von Missständen
· Vermeiden von Übertreibungen, Heucheleien, Falschheit
· Andere Menschen und Situationen nicht als Bedrohung empfinden
Asteya
3. Nicht stehlen
· Beenden von gierigem oder eifersüchtigem Verhalten
· Respektieren von Eigentum und Beziehungen anderer Menschen
· Sich nicht korrumpieren und bestechen lassen
Brahmacharya
4. Nicht Energie verschwenden
· Regulieren und Halten der eigenen Lebensenergie; z. B. durch sinnliche/sexuelle Mäßigung
· Wandeln im Göttlichen (Brahman): geistige Konzentration und Transformation zum Göttlichen
Aparigraha
5. Nicht Besitz anhäufen
· Nicht nach materiellem Besitz streben
· Bescheidenheit, Genügsamkeit
· Angemessene Verwendung von Ressourcen
· Ende der Anhaftung an äußere Objekte
· Beenden von Abhängigkeiten: mehr Zeit und Raum zur Erforschung des Sinns des Lebens
Abbildung 3: Yamas – Ausgewählte Facetten des ethischen Umgangs mit anderen
NIYAMAS
Saucha
1. Sich reinigen
· Körperliche Hygiene und geistige Reinheit
· Gesunde Ernährung und Atmung
· Reinigungsübungen (Shatkarmas)
· Relativieren der Bedeutung des Körpers
· Üben von Unterscheidungsvermögen und Achtsamkeit
Santosha
2. Zufrieden sein
· Innere Ruhe des Geistes
· Zufriedenheit und Gelassenheit unter allen Umständen
· Entwickeln von Dankbarkeit und innerer Freude
· Akzeptanz von Wandel
Tapas
3. Sich selbst disziplinieren
· Askese
· Entzünden des „inneren Feuers“, Motivation
· Zielorientierung, Willenskraft, Selbstvertrauen, Beharrlichkeit
· Freiwillige Entbehrung, Freude an Selbstdisziplin
· Loslösung von der inneren Bindung an Objekte
Svadhyaya
4. Sich und das Selbst studieren
· Studium der Schriften
· Selbstreflektion
· Verständnis der eigenen Natur
· Mantra-Meditation
· Lernen mit kompetenten Lehrern
· Erkennen des Ziels des Yoga
Ishvara Pranidhana
5. Sich Höherem hingeben
· Überwinden der Ichbezogenheit
· Öffnung und Hingabe an Gott
· Meditation in Aktion (Karma Yoga)
· Erleben einer Gotteserfahrung
· Teil eines allumfassenden Ganzen werden
Abbildung 4: Niyamas – Ausgewählte Facetten des Umgangs mit sich selbst
Yamas definieren zunächst Beziehungen zwischen Lebewesen. Das eigene Leben wird durch Einsicht und Selbstverpflichtung so gestaltet, dass Stress sich verringert. Schädigendes Verhalten reduzieren wir so zum Wohle anderer, ohne uns selbst dabei zu verleugnen. Da ist zuallererst Gewaltlosigkeit – wenn man freundlich und liebevoll zu Menschen ist, hat man tendenziell weniger Stress. Wahrhaftigkeit – sind wir ehrlich zu Menschen, kommt es tendenziell zu weniger Stress. Gleiches gilt für das Nicht-Stehlen, das sinnliche Maßhalten, und die Anspruchslosigkeit. Beim Anwenden und Üben werden wir immer weniger zur Quelle von Anspannung und Bedrohung für andere – auch wenn es manchmal gar nicht vorstellbar erscheint, dass wir in anderen Menschen Stress hervorrufen könnten! Friedfertigkeit entwickelt sich zunehmend im Umgang mit uns selbst und mit den Mitmenschen. Wie dies genau geschieht, wird in den folgenden Kapiteln detaillierter erläutert werden.
Mit den Niyamas nehmen wir die zweite Stufe des Raja-Yoga (s. Abb. 2, S. 18 und Abb. 4, S. 25). In älteren Yoga-Büchern werden diese als Selbstzucht und Beherrschung umschrieben, als fünf Grundtugenden und Selbstverpflichtungen. Mit ihnen werden eigene Gewohnheits- und Verhaltensmuster durchdrungen und verändert. Der Politikwissenschaftler Ulrich Fritsch, Yogalehrer, BDY-Referent und -Moderator führt zu den Niyamas weiter aus:
Die Niyamas beschreiben einen Reifungsprozess, der über die Entfaltung der Persönlichkeit zur Transzendenz führt.
Im Gegensatz zu den Yamas kann die Reihenfolge bei den Niyamas nicht verändert werden. Denn bei den Niyamas steht der Entwicklungsprozess, den wir mit unserem Üben durchlaufen, im Vordergrund. Sie stehen in einer hierarchischen Abhängigkeit zueinander. Ihre Reihenfolge ist nicht austauschbar, denn sie bauen aufeinander auf.6
Die Abgrenzung zwischen Yamas und Niyamas ist nicht so scharf und eindeutig, wie man zuerst vermuten könnte. Ahimsa wird bei den Yamas als Grundstein für gewaltloses Zusammenleben mit der Schöpfung benannt. Gleichzeitig ist nicht-verletzendes Handeln essenziell für sämtliche Niyamas, um keine Rigidität und Verletzungen für sich selber heraufzubeschwören. Dass die Yamas für äußere Beziehungen und die Niyamas in Beziehungen zu uns selbst geübt werden, gilt vorerst als Faustregel und erste Annäherung an das Thema. Es gibt Wechselwirkungen, die in den Einzelbeschreibungen der verschiedenen Lebensempfehlungen noch sichtbar werden.
Yamas – Im Einklang mit der Welt leben
Ahimsa – Gewaltlosigkeit
In der Präsenz eines Yogi, der fest gegründet steht in der Gewaltlosigkeit, erlischt alle Feindseligkeit.
YOGA-SUTRAS, KAP. 2, V. 357
Als erste ethische Maxime nennt der Raja-Yoga Ahimsa – gelebte Gewaltlosigkeit und bedingungslose Liebe. Warum wird dieses Prinzip den anderen Tugenden wie Wahrheit, Nichtstehlen usw. vorangestellt?
Das Wort Ahimsa setzt sich aus dem Buchstaben a (nicht) und dem Wort himsa (töten, Gewalttätigkeit, Schmerzen verursachen) zusammen. Ahimsa bedeutet, von vorsätzlicher Gewalt in jeder Form Abstand zu nehmen. Weder in Gedanken, in der Sprache noch in Handlungen soll eine Beteiligung an den Verletzungen, Verwundungen oder Schmerzen anderer stattfinden. Und zusätzlich wäre es genauso falsch, den gewalttätigen Handlungen anderer schweigend zuzustimmen.
Gewaltlosigkeit ist das Herzstück der Yamas und Niyamas – die erste Stufe des Raja-Yoga sowie das wichtigste Grundprinzip der Tradition der Weisen der Himalayas. Dieser Orden wurde offiziell um 1200 unserer Zeitrechnung von dem Weisen Shankaracharya gegründet, jedoch reicht seine Gründung nach anderen Quellen bis zu 5000 Jahre und mehr in die Vergangenheit zurück. Manche Yogis halten Gewaltlosigkeit für die wesentlichste Richtschnur zur vollständigen Entfaltung unserer menschlichen Potenziale. Wird dieses Leitprinzip vollständig verinnerlicht und gelebt, sind die weiteren Yamas leicht zu befolgen.
Stellen wir zu Beginn eine einfache Frage, um Ahimsa als ethisches Prinzip zu verdeutlichen: „Wer oder was ist verantwortlich, damit zu Hause das Licht angeht?“ Bin ich es selbst, da mein Finger den Lichtschalter drückt? Dieser Gedanke ist aber nicht vollständig, denn jemand …
•hat den notwendigen Lichtschalter konzipiert und hergestellt,
•hat die Rohstoffe dafür abgebaut,
•hat sie an die Lichtschalterfabrik geliefert,
•hat sie vielleicht über das Meer verschifft,
•hat vielleicht ebenfalls in einem fernen Land die Fahrzeuge, die für den Transport benötigt wurden, geplant und montiert,
•hat die Menschen für diese Arbeit ausgebildet,
•hat den Schalter in ein Regal im Baumarkt einsortiert,
•hat ihn für die Installation gekauft,
•hat an der Kasse das Geld entgegengenommen …
Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig. So stecken zum Beispiel die Erfahrungen seit dem ersten Benzinmotor (und seit dem ersten Straßenbau der Menschheit!) in diesem kleinen Schalter. Er ist nur ein kleiner Pfennigartikel in einem großen Haus – dennoch brennt ohne ihn kein elektrisches Licht.
Egal, ob ich in meiner Wohnung Lebensmittel, Kleidung, Pflanzen oder Möbel betrachte: Alles wurde von tausenden Menschen erstellt und berührt. Viele Erdenbürger trugen einen kleinen, oftmals nicht wahrnehmbaren Teil dazu bei. Die Quintessenz daraus lautet, dass sämtliche Gedanken, Worte und Handlungen selbst aus weiter Entfernung Dinge und Menschen beeinflussen. Wir sind miteinander in einer komplexen, menschlichen Gemeinschaft verbunden. Jede gewaltsame wie auch gewaltlose Tat zeigt irgendwo und irgendwann Folgen für einen uns vielleicht unbekannten Mitmenschen. Im Zeitalter der Globalisierung wird dies immer deutlicher sichtbar. Deswegen erlangt gewaltfreies und nachhaltiges Handeln zunehmend eine gewichtigere Bedeutung.
Ein drastisches Beispiel sind meines Erachtens die steigenden hohen Lebensmittelpreise in den Entwicklungsländern, die bereits zu gewaltsamen Unruhen führten. Neben einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung scheint u.a. der erhöhte Bedarf der Industrieländer an Bio-Sprit mitverantwortlich zu sein. Dieser wird in Entwicklungsländern unter teilweise menschenunwürdigen Arbeitsverhältnissen produziert. Dadurch wird die eigene landwirtschaftliche Produktion zugunsten des Exports reduziert, was zur Lebensmittelknappheit führt. Zunehmend wird auch mit der Ware „Lebensmittel“ an den Finanzmärkten spekuliert, einzig im Hinblick auf Gewinn- und Profitmaximierung – und ohne an die verheerenden Folgen wie Kostenexplosion, Armut und Hunger für weite Bevölkerungsgruppen zu denken.
Wenn von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll, müssen wir zum Beispiel auch die heimische Rüstungsindustrie kritisch hinterfragen. Trotz aller Abrüstungsinitiativen boomt der Waffenhandel durch die Aufrüstung unserer Welt und weltweit ist die Bundesrepublik Deutschland nach Russland und den USA der drittgrößte Waffenexporteur der Welt8. Fördern wir Deutschen dadurch nicht Krieg, Gewalt und die Unterdrückung von Freiheitsbewegungen, indem wir diesen Industriezweig stillschweigend dulden? Vielleicht aus der versteckten Sorge um den Verlust von Arbeitsplätzen? Vielleicht weil Waffenhandel finanziell sehr lukrativ ist?
Der immer sichtbarere Klimawandel bietet ein weiteres globales Handlungsfeld für Ahimsa. Als ein Aspekt, der für die klimatischen Veränderung mit verantwortlich ist, wird aktuell die Massentierhaltung diskutiert, die aufgrund des zunehmenden Fleischverzehrs ein profitables Geschäft geworden ist. Aber die Konsequenzen scheinen dramatisch: Rodung der Regenwälder, Auslöschung vieler Pflanzen- und Tierarten, Änderung des Wasserhaushalts und des Kohlendioxidgehaltes der Luft sowie erhöhte Treibhausgas-Emissionen.9 Gleichzeitig werden zum Beispiel subventionierte Fleischüberschüsse aus der EU zu Dumpingpreisen in afrikanische Entwicklungsländer verkauft, wo sie die dortige Landwirtschaft massiv schädigen und ruinieren. Das simple Fazit: Weniger Fleischverzehr würde Menschen, Tiere und die Umwelt dieses Planeten enorm bei seiner Gesundung unterstützen.
Die Erde ist „kleiner geworden“, Menschen rücken näher zusammen. Daraus ergibt sich für den Einzelnen eine besondere Verantwortung für die gesamte Menschheit – wir können uns dem nicht mehr entziehen.
Zusammenleben bedeutet Beziehungen zu Menschen aufbauen und pflegen. Dies Miteinander und Aufeinander-Zugehen erfolgt zunächst in der Familie, später kommen Partner, Freunde und Kollegen in Schule und Berufswelt hinzu. Dieses sind wichtige Übungsfelder in einer miteinander verflochtenen und verzahnten planetarischen Gemeinschaft. Unsere größte Stärke liegt nicht darin, inwieweit wir uns voneinander unterscheiden, sondern in dem, was uns gemeinsam ist.
Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.
ALBERT SCHWEITZER10
Ahimsa ist eine Grundlage im Aufbau reifer, achtungsvoller Beziehungen in unserer Gesellschaft, aber auch im Umgang mit der eigenen Persönlichkeit. „Sei gut zu dir und anderen“ ist eine saloppe Umschreibung dieses Prinzips, das – richtig verinnerlicht – eine besondere Tiefe in das eigene Leben, in Beziehungen, sowie in das Arbeitsleben bringt.
Gewaltlosigkeit bedeutet nicht nur, gegenüber anderen gewaltfrei zu handeln, sondern sie sollte zuerst auf uns selbst angewandt werden. Wie kann ich anderen gewaltlos entgegentreten, wenn ich mich selbst innerlich trete und verletze? Sich selbst zu verurteilen und sich ständig einzureden, wie hilflos, hoffnungslos, schlecht, ineffektiv und zu nichts nütze man sei, stellt eine grobe Selbstverletzung dar. Auf dem größten spirituellen Fest der Welt, der Maha Kumbha Mela in Indien, traf ich 2001 den Yogi Sri Tapasvi Baba, der auf die Frage nach der Ursache seines Glücks sinngemäß erwiderte:
„Ich mag, wer ich bin und ich mag, was ich tue.“
Frieden beginnt in uns selbst: als ein fortwährender Prozess von Selbstbeobachtung und -erkenntnis, der sich schrittweise ausdrückt in Vergebung, Mitgefühl und Freundlichkeit sich selbst gegenüber. Helga Walter, Yogalehrerin und Leiterin der Shakti-Yoga-Schule, beschreibt folgende Indizien, die anzeigen, wann Gewaltlosigkeit stärker in den Blickpunkt persönlicher Übungspraxis treten könnte:
•Neige ich dazu, mich im Alltag zu verletzen (sogenannte Haushaltsunfälle)?
•Habe ich mehr von mir verlangt, als eigentlich möglich war (über Grenzen gehen)?
•Respektiere ich meine Einschränkungen wie Kopfschmerz, Grippe etc. und handle entsprechend?
•Habe ich mich beim Sport, Yoga übernommen, meinen Atem gezwungen?
•Nähre ich mich mit meinen Nahrungsmitteln oder stille ich meinen Hunger?
•Schade ich mir durch Drogen wie Medikamente, Rauchen, Alkohol?
•Strapaziere ich mich durch zu viel Tun und zu wenig Sein?
•Habe ich gewaltvolle Gedanken und neige zu Abwertungen meiner Person und Selbstbeschimpfung?11
Gewaltlosigkeit bedeutet, eigene Stärken und Schwächen liebevoll anzunehmen und zu akzeptieren. Aus einer Haltung der Selbst-Liebe und Selbst-Umarmung werden die nächsten konkreten Schritte angegangen, beispielweise mit der Arbeit an weiteren Yamas und Niyamas.
Andererseits ist es auch nicht richtig, wenn ein Gegenüber mir Schaden zufügt. Manchmal treffen wir die Entscheidung, uns verletzen zu lassen. Ich muss mir aber nicht alles gefallen lassen – Notwehr ist manchmal „vonnöten“. Dazu bedarf es innerer Kraft und eines starken Selbstbewusstseins.
Ahimsa ermutigt, behutsam und geduldig zu agieren, damit man sich in der Welt in friedlicher Koexistenz und im Dialog respektvoll begegnen kann. Dies bildet die Grundlage jeden Bemühens um dauerhaften Frieden. In der Übung der Gewaltlosigkeit wird beispielsweise gelernt, andere nicht zu stören, sondern sie zu akzeptieren und zu fördern. Jeder soll sich schrittweise, in einem für ihn passenden Tempo entfalten können.
Gewalt existiert nur partiell auf einer äußerlich sichtbaren, aggressiven, schlagkräftigen oder „blutrünstigen“ Ebene. Durch die Androhung juristischer Bestrafung und sozialer Ächtung wird sie in unserer Gesellschaft im Zaum gehalten; sie findet stattdessen aber andere Ventile und verletzende Ausdrucksformen:
•Gewalt wirkt im Individuum selbstzerstörend (zum Beispiel als Minderwertigkeitsgefühl oder Selbsthass).
•In Beziehungen versteckt sie sich zuweilen in zynisch-sarkastischer Sprache. Negativität und Einschüchterung verletzen mittels subtilem Witz und Ironie („Man wird auf den Arm genommen“). Vielen Menschen fällt es schwer, mit solch hintergründiger Gewalt adäquat umzugehen.
•Im Fernsehen haben gewaltverherrlichende Sendungen einen festen und selbstverständlichen Programmplatz.
•Terror, Unterdrückung, die Ausgrenzung von Randgruppen oder Fundamentalismus sind Zeichen von staatlicher, ideologischer oder religiös geprägter Gewalt.
Behandele andere so, wie du selbst behandelt werden willst – wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es heraus. Eigene Gereiztheit, Ärger und Wut werden in einer Begegnung schnell gespiegelt. Wenn ich in diesen Momenten nicht mit achtsamen Menschen spreche, die meine momentane Gemütsverfassung richtig einschätzen und ihr gegebenenfalls entgegenwirken, entstehen schnell Missverständnisse, Diskussionen und Streit.
Eigene Frustration und eigenen Ärger rechtzeitig zu erkennen und in nicht-verletzende Handlungsweisen umzusetzen, führt zu gelebter Gewaltlosigkeit. Wenn das Verbindende mit anderen Menschen geachtet und wahrgenommen wird – nämlich das gemeinsame Streben nach Gesundheit, Zufriedenheit, Erfolg und Erfüllung – kann jeder Begegnung mit Dankbarkeit und Verständnis einfühlsam entgegengesehen werden. Ahimsa bedeutet so auch Entwicklung von Empathie, Mitgefühl und Dialogfähigkeit.
Bei kritischen Äußerungen ist die Verletzungsgefahr besonders hoch. Menschen handeln aus Motiven und Gründen, die für sie selbst schlüssig und erklärbar sind. Sie dafür zu kritisieren bedeutet, ihre Erfahrungen, Beweggründe, Wertesysteme und Glaubenssätze, aus denen heraus sie sich identifizieren, anzuzweifeln. Wir kritisieren ohne zu erkennen, dass alle Menschen eine ebenso essenzielle Rolle im Weltgeschehen spielen wie wir selber. Wie vertragen wir selbst harsche Kritik? Ist sie nicht auch für uns schmerzhaft?
Meine persönliche Erfahrung: Eine vorsätzliche und harsche Verletzung des Gegenübers, versteckt unter dem Deckmantel einer vermeintlichen „objektiven“ Wahrheit, ist selten hilfreich. In dem Film „Gandhi“ gibt es eine Szene, in der Gandhi dem Vizekönig von England gegenübersteht. Bereits zuvor wurde durch den Kampf gegen die gewaltsame Unterdrückung Indiens das Vorgehen der britischen Kolonialmacht wiederholt öffentlich an den Pranger gestellt.
Gandhi begrüßt den Vizekönig mit den Worten: „Ich bin mir bewusst, dass ich Sie mit meinen Aktionen sehr irritiert haben muss, Eure Exzellenz, aber ich hoffe, dies steht nicht zwischen uns als Menschen.“ Der Vizekönig nimmt Gandhis Worte mit versteinertem Gesicht auf und lädt ihn dann zu einer Konferenz nach London ein, um die Möglichkeit eines unabhängigen Indiens zu erörtern.12 Gandhi wusste, dass er in seinem Streben nach Freiheit den Vizekönig verletzt hatte; aber er fühlte sich dem höheren Wert der Freiheit verpflichtet und wählte die friedliche Auseinandersetzung. Bei passivem Verhalten der Inder hätten die Briten ihre Kolonialherrschaft nicht aufgegeben. Gandhi sah im Vizekönig einen Weggefährten auf einem gemeinsamen Weg und betrachtete ihn nicht als Gegner.
1994 traf ich eine Frau, die etwas sehr Verletzendes über mein Aussehen sagte. Als ich sie daraufhin ansprach, kam als lapidare Antwort: „Ich muss halt immer die Wahrheit sagen!“ Nach all den Jahren ist dies noch in bleibender Erinnerung. Hier treffen die Prinzipien von Ahimsa, der Gewaltlosigkeit und Satya, dem Yama der Wahrhaftigkeit aufeinander. In der Beziehung zu anderen Menschen ist eine solche Form von „Aufrichtigkeit“ keine Entschuldigung dafür, einem Gegenüber alles an den Kopf zu werfen, was einem gerade in den Sinn kommt. Zuallererst kommt Ahimsa; Gewaltlosigkeit wird im Yoga noch über das Prinzip der Wahrhaftigkeit gestellt.
Taktlosigkeit und verletzende Wahrheiten fördern nicht. Sie sind eher eine Bewertung, im schlimmsten Fall bedeuten sie die Abwertung eines Mitmenschen. Sie sagt vieles über den inneren Zustand des Bewertenden aus – und nichts über den Kritisierten. Ein schönes Beispiel ist ein Friseurbesuch. „Du siehst mit deiner neuen Friseur supertoll aus“ entzückt den Zuhörer. Dagegen wird die Äußerung „Den Prozess gegen deinen Friseur wirst du gewinnen“ definitiv nicht aufbauend wirken. Beide Meinungen sagen aber nichts über den Friseurbesucher, sondern einzig etwas über die urteilende Person aus.
Ahimsa führt gekoppelt mit Aufrichtigkeit zu der Erkenntnis, dass das Aussprechen von Unangenehmem sehr verletzend sein mag. Freundlichkeit, Mitgefühl, Klarheit und Taktgefühl sind unabdingbar, um unbequeme und dennoch notwendige Dinge anzusprechen.
Aber um es klar zu sagen: Wahrheit kann durchaus unangenehm sein. Sie wird dadurch zum Motor für Nachdenken und Veränderung. Nur weil wir etwas hören, was uns partout nicht gefällt, bedeutet dies keinesfalls, dass es nicht der Wahrheit entspricht. Aber wie wir Wahrheit bzw. eine andere Meinung mitgeteilt bekommen, macht einen entscheidenden Unterschied.
Niemand hindert uns daran, andere ehrlich zu loben und deren Bemühungen und Fortschritte anzuerkennen. Doppelt so viel zu loben anstatt zu kritisieren würde ein Zusammenleben deutlich positiv verändern. Der Versuch lohnt sich.
Im Dialog ist also wichtig, nichts vorsätzlich Verletzendes zu sagen. Dennoch müssen bei der Umsetzung der Gewaltlosigkeit deutliche Worte gesprochen werden. Klartext zu reden bedeutet auch Wertschätzung und Interesse auszudrücken. Martin Luther King und Gandhi sprachen sich selbstbewusst, offen und kämpferisch gegen Unterdrückung und Missstände aus. Ihre Reden inspirierten Millionen Menschen, die bis in die heutige Zeit nachwirken. Ihre klaren Botschaften wirkten oft auch verletzend und riefen Wut in den angeprangerten Unterdrückern hervor, aber ebenfalls Respekt. Offen und direkt und dabei gleichzeitig einfühlsam und aufbauend zu kommunizieren, ist eine Gratwanderung in der Übung von Ahimsa.
Auch in einer Partnerschaft ist Gewaltlosigkeit nicht immer einfach zu leben. Gemeint ist hier nicht die oft vorhandene physische und psychische Brutalität in Familien, egal ob gegenüber Männern, Frauen und Kindern. Wenn man müde und abgespannt von der Arbeit nach Hause kommt, mag die Hemmschwelle selbst gegenüber geliebten Menschen sehr niedrig sein. Nervöse Gereiztheit, eine dumme Bemerkung, ein unbedachtes Wort zu viel schaffen schnell eine Atmosphäre, in der Gewaltlosigkeit einen schweren Stand hat. Aber auch Gelächter zur falschen Zeit, Schadenfreude, Sarkasmus, Zynismus, Ironie, Spott oder jemanden liebevoll „auf die Schippe“ zu nehmen stellen subtile Formen von Gewalt dar, da ein Gegenüber oftmals diese versteckten Signale nicht recht einschätzen kann. Deswegen ist die Familie das erste und wichtigste Feld für das regelmäßige Üben von Gewaltlosigkeit, auch um Kindern diesen ethischen Wert so früh und so oft wie möglich zu verdeutlichen.
Gewaltlosigkeit wird manchmal als Wehrlosigkeit, Passivität, Tatenlosigkeit, Utopie oder schlichtweg als weinerliches Getue von „Weicheiern“ belächelt. In Wirklichkeit erfordert sie aber viel Mut und Opferbereitschaft. Im indischen Freiheitskampf wurden Demonstranten im Protest gegen die britische Krone brutal niedergeknüppelt. Dennoch traten sie den britischen Polizeikompanien ruhig, unbewaffnet und friedlich gegenüber. Keine Hand erhob sich gegen die Besatzer, obwohl es zahlreiche und teilweise schwere Verletzungen der Demonstranten gab.
Sich Gewalt in dieser scheinbar „passiven“ Haltung gegenüberzustellen erscheint zunächst nicht als kraftvolle und deutliche Alternative. Daher wurden bewaffneter Widerstand und Terroranschläge von den indischen Rebellen zeitweilig als Möglichkeit erwogen, um die Unterdrückung zu bekämpfen. Die friedlichen Kräfte setzten sich letztendlich durch.
Martin Luther King und Nelson Mandela brauchten Jahrzehnte geduldigen Ringens für die Erfüllung ihres Lebenstraumes: der respektvollen Gleichbehandlung aller Menschen ihres Landes. Geduld und Beständigkeit sind Schlüssel zum besseren Verständnis der immensen Kraft von Ahimsa.
Als das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 durch einen Terrorschlag zusammenstürzten, sandte ich Kondolenzschreiben an Bekannte in den USA. Eine Rückantwort lautete: „Wir werden die Terroristen auslöschen, ausbomben, vernichten, wo immer sie sich versteckt halten: Wir werden sie ‚finden‘.“ Der Schmerz war groß, ebenso der folgende Verlust an Menschenleben. Der Krieg in Afghanistan und im Irak folgte als Antwort – allein im Irak verloren nach US-Regierungsangaben mehr als 4.500 US-Soldaten ihr Leben. An zivilen Opfern sind schätzungsweise 114.000 Menschen ums Leben gekommen. Täglich kommen durch Terroranschläge neue Opfer hinzu. Gewalt scheint zu noch mehr Gewalt zu führen.13 Martin Luther King und Mahatma Gandhi führten die unterdrückte Bevölkerung ihrer Nationen zu Freiheit und Unabhängigkeit, ohne dass ein Schuss ihrerseits fiel. Die friedliche Revolution in der Deutschen Demokratischen Republik 1989 ist ein weiteres Beispiel, wie Gewaltlosigkeit und der Wunsch nach Freiheit und Selbstentfaltung zum Sturz einer „Mauer“ führte. Millionen von Menschen lassen Gewaltlosigkeit zu einer mächtigen Kraft werden, die Nationen und Geschichte verändert. Jeder Einzelne kann dazu seinen persönlichen Beitrag im „Nicht-Verletzen“ leisten, wodurch eine Gesellschaft oder ein System sich letztendlich verändern mag. Gewalt erlischt und Frieden erwacht in uns sowie in unserer Umgebung, wenn Gewaltlosigkeit im Einklang von Gedanken, Worten und Handlungen von jedem Einzelnen authentisch gelebt und Ahimsa auf diesen drei Ebenen verinnerlicht wird.
Wenn Gedanken gewalttätig sind, wird die Sprache davon gefärbt. Wenn Kommunikation solche Impulse verrät, wirkt sich dies wieder auf unser Tun aus. Gewalt im Inneren geht also der Gewalt im Außen voraus. Sich selbst und andere mehr zu akzeptieren und gleichzeitig weniger zu verdammen oder zu verurteilen, führt zu einer inneren Haltung, in der stetig mehr Liebe und Verständnis für alles wachsen können.