Kitabı oku: «Die zehn Lebensempfehlungen des Yoga», sayfa 3

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Die Gegenspieler der Gewaltlosigkeit: Gier, Täuschung und Zorn

Gewalt ist verführerisch. Wenn wir auf unser Leben zurückschauen, werden wir wahrscheinlich eine große Zahl von Menschen verletzt haben – sei es aus Unwissenheit, Müdigkeit, Unachtsamkeit oder manchmal auch aus reinem Vorsatz. In dieser Erkenntnis können wir versuchen, die Gewaltbereitschaft durch bewusstes Verhalten einzudämmen. Im Yoga werden hier insbesondere drei Emotionen als schädlich für uns selbst und für andere eingestuft: Gier (Lobha), Täuschung (Moha) und Zorn (Krodha) bilden oft die treibenden Kräfte hinter Gedanken und Taten.


Abbildung 5: Ahimsa – Potenziale und Risiken der Gewaltlosigkeit

Indem ein Mensch über interessante Objekte nachdenkt, entsteht ein Verlangen nach ihnen, woraus wiederum Wünsche entstehen. Erlange ich dann nicht das Gewünschte, entstehen Unbehagen, Zorn und Wut, aus denen wiederum Täuschung („Betörung“) entsteht. Diese Täuschung besteht in dem Glauben, dass mich der Besitz des gewünschten Objekts dauerhaft zufrieden und glücklich machen würde. In der Folge drohen Verwirrung, der Verlust des Gedächtnisses sowie das Schwinden von Erinnerung, Achtsamkeit und Unterscheidungsfähigkeit. Diese Beobachtungen des menschlichen Verhaltens werden in den Quellschriften des Yoga (wie beispielsweise der Bhagavad Gita) ausführlich beschrieben.

Bei dem Menschen, der über die Objekte nachdenkt, entsteht ein Hang zu ihnen; aus dem Hang geht die Begierde hervor, aus der Begierde entsteht der Zorn.

Aus dem Zorn entspringt die Betörung, aus der Betörung die Verwirrung des Gedächtnisses, aus der Störung des Gedächtnisses der Verlust der Vernunft, und infolge des Verlustes der Vernunft geht man zugrunde.

Wer aber, sich selbst beherrschend, an die Objekte herantritt mit Sinnen, die frei sind von Begierde und Abneigung und in seiner Gewalt stehen, der gelangt zum Frieden.

BHAGAVAD GITA, KAP. 2, V. 62 F.14

Die in diesen Versen liegende tiefe Weisheit erschloss sich mir persönlich erst spät, und zwar mithilfe einer konkreten Situation in meinem Leben. Im Himalaya Yoga Zentrum Hamburg wurde ein Akhanda Japa geplant, eine für Meditierende aller Richtungen offene Veranstaltung, in der über längere Zeit ein Mantra lautlos im Geiste rezitiert wird. Seit 2006 wird in einem jährlichen Treffen das bekannte Gayatri-Mantra von den Teilnehmern wiederholt.

Als Organisator entwickelte ich bestimmte Vorstellungen für „die runde und perfekte“ Veranstaltung. Mit dem Team von Yoga-Lehrern gut abgestimmt und vorbereitet schien alles sanft und zielgerichtet abzulaufen. Plötzlich kam Gegenwind auf, Kritik wurde laut, ich fühlte mich angegriffen. Eine langjährige und geschätzte Yoga-Weggefährtin schien plötzlich die Länge und den Ablauf der Veranstaltung nicht gut zu finden. Weitere Fragen und Probleme tauchten auf. In mir entstand das Gefühl, dass ich trotz besten Bemühens niemandem mehr etwas recht machen konnte.

In den darauf folgenden Wochen entwickelten sich immer mehr Wut und Frustration. Schlafstörungen und Selbstgespräche tauchten auf. Meine Gedanken begannen einzig um dieses Thema zu kreisen. Ärger und Zorn kochten in mir hoch und führten dazu, jede gemachte Äußerung gedanklich zu zerlegen und innerliche Rechtfertigungen zu stricken. Eine Wegbegleiterin wurde zur Gegnerin – Jahre des gemeinsamen Yoga-Wegs waren sofort in mir vergessen. Indem ich mich mehr und mehr in fiktive Streitgespräche hineinsteigerte, entschloss ich frustriert und müde, dass dies meine letzte Veranstaltung von Akhanda Japa sein würde („Sollen sie’s doch selber machen …“).

Das Thema hielt mich weiter in seinen Fängen. Mehrere Wochen später trafen wir uns zu einer gemeinsamen Aussprache. Hier wurde klar, dass sie mir mit ihren Anregungen einzig hatte helfen wollen. Meine ganzen Gedankenspielereien und meine innerliche Aufregung waren umsonst gewesen. Im Nachhinein bin ich ihr sehr dankbar für diese Erfahrung. Monate später war meine Yoga-Gefährtin eine der tragenden Säulen des Akhanda Japa, die mit ihrer Kraft, Energie und Erfahrung stundenlang meditierte und das Mantra viele hundert Male rezitierte.

Wie ist dieses Geschehen in meinem Inneren abgelaufen?

•Verlangen (nach Lob für „meine“ gute Organisation),

•Wünsche („Meine“ Veranstaltung wird perfekt),

•Wut („Ich kann machen, was ich will“),

•Täuschung („Es gibt nichts Gemeinsames mehr“),

•Verwirrung des Gedächtnisses und der Erinnerung (Alles Positive der Kameradin war vergessen),

•Verlust der Achtsamkeit (Die Gedanken- und Frustrationsspirale läuft permanent, bewusst und unterbewusst),

•Verlust der Unterscheidungsfähigkeit, Zugrundegehen (Müdigkeit, Aufgeben, Resignieren).

Während dieser Zeit fühlte ich mich ständig verwundet: Ich ahnte nicht, dass sich durch das wiederholte negative Denken innerliche Verletzungen weiter verstärkten. Ich hatte die Prinzipien von Ahimsa vergessen und so setzte mein Verlangen eine Kette von Gewalt (Himsa) in Gang. Sukadev Volker Bretz beschreibt diese Abfolge in seinem Kommentar der Yoga-Sutras sehr klar:

Zuerst kommt der Wunsch. Der Wunsch führt zu Ärger. Aus Ärger kommen Täuschung, Verblendung und Vergessen; und dann tut der Mensch Dinge, die er normalerweise niemals tun würde.15

Gedanken und Emotionen sind der Motor unseres Tuns. Die Geistesschulung des Yoga regt Handlungen an, die für uns nicht-verletzend und unterstützend sind. Diese Disziplinierung des Geistes wird Sadhana, spirituelle Praxis genannt. Wesentliche Bausteine dieser Schulung sind Abhyasa (die Übung) und Vairagya (die Nichtanhaftung). Dies wird beim fünften Niyama Ishvara Pranidhana mit der „Meditation in Aktion“ vertieft erläutert werden.

Gewaltlosigkeit – Ein spirituelles Dilemma?

Wenn alle und alles verschiedene Manifestationen einer einzigen Gottesinstanz sind, dann ist prinzipiell jeder Akt von Unterdrückung und Zerstörung ein Ausdruck gegen die Schöpfungsmacht.

Dem steht entgegen, dass Vernichtung und Gewalt integraler Teil der Welt und wesentlicher Bestandteil menschlichen Verhaltens sind. Beim Spaziergang durch den Stadtpark werden vermutlich Hunderte von kleinsten Lebewesen schlicht durch meine bloße Anwesenheit und durch den Druck meines Körpergewichts getötet. Beim Zähneputzen und durch Mundspülungen vernichte ich Bakterien, die Zähne und Zahnfleisch angreifen. Und um zu leben, müssen wir essen – wodurch pflanzliches und tierisches Leben ausgelöscht wird. Durch übermäßiges Konsumverhalten verschmutze ich mit meinen gefällten Entscheidungen die Umwelt, zerstöre Regenwälder, unterstütze Monokulturen und fördere den Einsatz giftiger Pestizide.

Verstößt nicht ein Polizist gegen Ahimsa, wenn er eine Demonstration auf Befehl notfalls gewaltsam auflöst, selbst wenn es zum Schutze der eigenen Bevölkerung dient? Dient ein Wehrdienstverweigerer mehr dem Prinzip der Gewaltlosigkeit als ein Soldat, der auf dem Schlachtfeld seine Pflicht für Freiheit und Gerechtigkeit erfüllt? Wenn zwei Soldaten sich zum Kampf bereit auf dem Schlachtfeld begegnen, ist die Pflicht des einen höher zu bewerten als die Pflicht des anderen?

Eine Mutter, die ihrem Kind eine Ohrfeige gibt, weil es seinem Ball über die Straße nachrennt – ist diese Frau gewalttätig, wenn sie das Beste für ihr Kind zu tun glaubt? Ein Yoga-Meister, der seinen Schüler vor „versammelter Mannschaft“ lautstark korrigiert – lebt dieser Yogi wirklich Ahimsa vor?

Ahimsa ist eine Lebensempfehlung mit unterschiedlichsten Facetten: beeinflusst von unserer Lebenssituation, Gesellschaftskultur, Alter und je nach Bewusstseinsgrad und Absicht, wie im Leben aktuell gehandelt wird.

Gewaltlosigkeit schließt Zwang und Druck nicht aus, wenn gesellschaftliche Ordnung und friedvolles Zusammenleben in besonderer Weise gefährdet sind. Alle Menschen haben das Recht, das eigene Leben in der von ihnen gewünschten Art und Weise zu leben. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Wenn Terroristen drohen oder Verbrecher und Chaoten das Leben von Bürgern einschränken, ist es die Pflicht von Polizisten, dem entgegenzutreten und die gewählte Ordnung zu sichern. Dagegen kann ein Ordnungshüter in einer Diktatur – hier als Werkzeug von Unterdrückung – Ahimsa massiv verletzen. In beiden aufgeführten Situationen werden Schlagstöcke, Handschellen, Wasserwerfer oder Hunde eingesetzt, was von außen betrachtet keinen Unterschied ausmacht. Die zugrunde liegende Intention des Handelnden ist das entscheidende Kriterium dafür, ob Ahimsa geachtet wird oder nicht.

Neben der Absicht ist die Angemessenheit unserer Reaktionen zu beachten. Ein Terrorist mag nur mit einem finalen Todesschuss aufzuhalten sein, wenn er ein Passagierflugzeug in die Luft sprengen will. Bei einem Kind, das Spielzeug stiehlt, würde man solch ultimative Mittel nicht ernsthaft erwägen. Das mag sich in der Theorie schlüssig und nachvollziehbar anhören, aber wie sieht es im persönlichen konkreten Handeln aus?

In der Silvester-Nacht 2004 geriet ich in Berlin in eine Demonstration von Jugendlichen, die gegen die Haftbedingungen und Verhaftungen von Altersgenossen protestierten. Die Demonstration fand vor dem Jugendgefängnis Berlin-Moabit statt, wo zu meinem Pech mein Wagen parkte. Die Polizei marschierte auf und die Situation eskalierte. Ich konnte weder vor noch zurück. Plötzlich schleuderte ein Demonstrant eine Schnapsflasche gegen mein Auto. Ohne nur den Bruchteil einer Sekunde abzuwarten, stürzte ich mich laut brüllend auf den Werfer. In letzter Sekunde ging ein anderer Demonstrant dazwischen und drängte mich ab. Der Werfer war mit Sicherheit größer und kräftiger als ich, aber er zog sich vor meiner gewaltbereiten Energie zurück. Die Polizisten griffen nicht ein, schafften aber letztendlich endlich eine Gasse und ließen mich wegfahren.

Erstaunlicherweise hatte ich einige Wochen zuvor im Fernsehen hunderte brennender Fahrzeuge gesehen, angezündet durch perspektivlose und frustrierte Jugendliche in den französischen Banlieues (Vorstädten). Ich war damals erstaunt, aber letztlich saß ich ohne innere Anteilnahme vor dem Fernseher.

Was war der Unterschied zu der Situation in Berlin? Es ging um „meinen“ neuen Wagen, und alle sogenannte yogische Ausgeglichenheit war in Sekundenschnelle vergessen. Ich vergaß Ahimsa durch die Bindung an meinen Besitz, an mein Auto, und nahm Kampf und Verletzung für mich und den anderen billigend in Kauf – ohne nachzudenken, ohne innezuhalten, ohne zu reflektieren. Gewaltlosigkeit braucht Achtsamkeit, Nachdenken sowie das Suchen von Alternativen. Es benötigt mehr als rasche, gedankenlose Gewaltbereitschaft. Eine Ausnahme mag aber reine Notwehr sein, wenn es um das nackte Überleben und instinktive Reaktionen geht und keine Zeit mehr für eine achtsame Reflektion vorhanden ist.

Falsch verstandene Gewaltlosigkeit

Gewaltlosigkeit mag ihre Schattenseiten und Risiken dort haben, wo sie falsch ausgelegt wird. Eine beliebte indische Geschichte verdeutlicht, wie Ahimsa missinterpretiert werden kann.

Einst ging ein weiser Lehrer durch ein friedvolles Dorf. Als er sich dort ausruhte, näherten sich die Dorfbewohner und baten ihn um Hilfe.

Eine riesige Schlange erschreckte und biss seit Monaten die Dorfkinder auf dem Weg zur Wasserquelle. Sie waren so verängstigt, dass sie sich weigerten, Wasser zu holen oder entfernt von ihren Häusern zu spielen. Die Dorfbewohner wussten schließlich keinen Rat mehr.

Der Meister versprach zu helfen. Er setzte sich zu der Schlange und begann, ihr das Gesetz von Karma zu erklären.

„Karma ist das Gesetz der perfekten Gerechtigkeit“, sagte er. „Was du säst, erntest du. Säst du Schmerz, wird Schmerz deine Ernte sein. Dein Gift ist nun einmal schädlich – wenn du die Kinder beißt, fügst du ihnen schreckliche Qual zu. Du magst denken, dass dies nicht dein Problem ist, aber es wird dein Problem werden. Welchen Schaden du den Kindern auch zufügst – in der Zukunft wird er zu dir zurückkehren.“

Die Schlange hörte sehr konzentriert zu und nahm sich diese Wahrheit zu Herzen. Sie gab dem Meister das Versprechen, dass sie von nun an die Kinder nicht mehr beißen würde. Dieser kehrte mit den guten Neuigkeiten zu den Dorfbewohnern zurück und wanderte dann weiter.

Einige Zeit später kehrte er ins Dorf zurück. Als er zur Wasserstelle lief, bemerkte er ein merkwürdiges Objekt auf dem Boden. Näherkommend erkannte er eine Schlange, die mühsam über den staubigen Pfad kroch. Vollständig ausgemergelt und zerschunden, die Haut zerrissen, sah sie so aus, als ob kaum noch Leben in ihr steckte.

Bewegt von ihrem bedauernswerten Zustand kniete sich der Meister neben sie und fragte: „Wer bist Du? Was ist der Grund für dein Elend?“

„Du kannst dich nicht mehr an mich erinnern?“, schluchzte die Schlange bitterlich. „Du erklärtest mir das Gesetz des Karma und warum ich die Kinder nicht mehr beißen sollte. Ich gehorchte und nun sieh, was geschehen ist! Die Kinder drangsalierten mich und warfen Steine und Äste nach mir. Sie knoteten mich an einen Stock, schleuderten mich durch die Luft und banden mich um Bäume. Mein Leben ist nicht mehr zu ertragen und bald werde ich daran sterben.“

„Oh, du Ärmste“, erwiderte der Meister, „du hast mich nicht korrekt verstanden. Ich sagte, dass es das Beste ist, andere nicht zu verletzen, und das ist wahr. Aber ich sagte dir nicht, dass du einwilligen solltest, selbst verletzt zu werden. Ich bat dich, nicht zu beißen, aber ich habe dir nicht verboten zu zischen!“

Das Üben von Gewaltlosigkeit heißt nicht Verzicht auf Selbstverteidigung und Notwehr. Als ich 1992 im Himalaya Institut of Yoga Science and Philosophy in Honesdale, USA eintraf, machte ich eine Besichtigungstour durch die Gebäude. Mein Erstaunen war groß, als ich im Auditorium etwa 50 Menschen aller Altersstufen Karate trainieren sah. Viele der Yoga-Lehrer trugen den Schwarzen Gürtel und brüllten Kampfrufe, während ein anerkannter japanischer Sensei die Kämpfe beobachtete und seine Schülerschar korrigierte. Später erfuhr ich, dass der Leiter des Ashrams es für wichtig hielt, sich selbst verteidigen zu können.

Da fiel mir eine Geschichte ein, die ich als Junge über japanischen Kampfsport gelesen hatte. Ein Karate-Meister wird nachts von Dieben in die Ecke gedrängt. Anstatt sich zu wehren und seine Überlegenheit auszuspielen, täuscht er einen Schlag an, taucht ab und sucht das Weite. Während er die Begebenheit einem Journalisten erzählt, zertrümmert er mehrere Ziegelsteine mit einem einzigen Schlag. „Wie hätte ich eine solche Waffe guten Gewissens gebrauchen können?“, fragt er. Dies beschreibt meiner Ansicht nach gut den kraftvollen Aspekt von Ahimsa.


1992, Schweigeseminar am Langsee in Güldenholm/Schleswig-Holstein. Während der täglichen Fragestunde an den Seminarleiter erzählt ein Teilnehmer, wie sich heute während der Meditation eine Mücke auf seiner Hand niederließ. Er scheuchte sie nicht weg, er brachte sie nicht um, und das Insekt flog wieder davon. Es gab keine typischen Anzeichen eines Mückenbisses.

2007, Schweigeseminar im buddhistischen WAT PO Kloster, Khonkhaen, Thailand. Die Ventilatoren im Tempel laufen unaufhörlich, damit der kühle Zugwind alle Moskitos aus der Meditationshalle hinaus treibt. Auf die Frage an den Abt Dr. Somchai Kantasilo, ob ich Moskitos – auch zum Schutz vor Krankheiten – während der Meditationszeit totschlagen darf, antwortet er sinngemäß:

Menschen sind intelligent, Kakerlaken und Moskitos nicht. Sie wissen nicht, dass du der Besitzer dieses Hauses bist. Der Mensch wiederum weiß, dass diese Tiere keine Intelligenz haben und muss sich daher erstens vor ihnen schützen, zum Beispiel durch ein Moskitonetz oder einen Ventilator. Zweitens darfst du sie nicht bewusst und mutwillig vernichten. Im Gegenteil, wenn möglich, solltest du ihnen einen Weg aus dem Haus eröffnen, sodass sie in die Freiheit gelangen. Damit beschützt du diejenigen, die eigentlich schwächer sind als du. Wenn das Feuer der Feindseligkeit nicht geschürt wird, erlischt es.

Regelmäßig kommen viele Weberknechte und Kreuzspinnen in meine Wohnung auf dem Land. Die Fenster öffnend helfe ich ihnen behutsam hinaus. Ich zerstöre nicht ihre Netze, sondern bewundere ihre Kunstfertigkeit. Es geht um leben und leben lassen.

Andererseits kam kürzlich ein Kammerjäger, der Wolllauskäfer mit allerlei Chemie und tödlichen Giften bekämpfte. Diese Insekten hatten unsere Kleidung angriffen und mit reichlich Löchern versehen. Sie hätten die Wohnung nicht verlassen, und so entschloss ich mich zu diesem gewalttätigen Schritt.

Gewaltlosigkeit bedeutet nicht Wehrlosigkeit um jeden Preis. Und es geht nicht darum, Lebewesen auf gar keinen Fall umzubringen, sondern abzuwägen und sich bewusst zu machen, dass andere – aber auch ich – ein Recht auf Unversehrtheit haben. Und dennoch: Selbst in Notwehr ist nur soviel Selbstverteidigung wie nötig angeraten, nicht mehr. Notwehr artet nicht aus in Rache und weitere übertriebene Reaktionen, da dann die Gegenwehr wiederum zu einem Gewaltakt führen würde.

Yogis von hoher Entwicklungsstufe würden allerdings solche Argumentationsketten strikt ablehnen, wenn sie in der Gewaltlosigkeit als höchstes Lebensprinzip fest verankert sind. Noch nicht mal eine einzige gewalttätige Aktion ist dann angemessen, egal wie klein das Lebewesen ist (z.B. eine summende Mücke totzuschlagen, weil sie einen schier zum Wahnsinn treibt).

Solche Yogis erheben dann nicht mal mehr die Hand zur Verteidigung, wenn ihr eigenes Leben ernsthaft bedroht wird. Sukadev Bretz beschreibt beispielsweise in seinem Kommentar der Yoga-Sutras, wie Swami Sivananda von einem Attentäter mit einer Axt angegriffen wird. Dieser verteidigt sich nicht selber; erst sein Assistent rettet ihm das Leben. Und die anschließende Reaktion ist erstaunlich: Swami Sivananda belehrt zunächst seinen Retter, um dessen Zorn zu mäßigen – und der Attentäter wird nach Hause geschickt und später als sein Schüler angenommen.


In manchen Berufen ist Gewalt alltäglich und durch die Ausübung einer Arbeit bedingt. Ein Metzger schlachtet beispielsweise Vieh, ein Fischer fängt Fische. Beide vernichten tierisches Leben. Ahimsa könnte für den Fischer folgendermaßen interpretiert werden: „Ich lebe das Prinzip der Gewaltlosigkeit, aber ich fische. Mit meinem Beruf verdiene ich den Lebensunterhalt. Ich bin nicht gewalttätig, aber diese Art der Gewalt des Fischens ist dadurch akzeptiert, dass ich ein Fischer bin und für mein Leben und das meiner Familie sorgen muss; und (andere) Menschen müssen auch essen.“

Rutscht Ahimsa damit in willfährige Beliebigkeit? Ein Angestellter in der Rüstungsindustrie beispielsweise verdient seinen Lebensunterhalt mit der Herstellung von Waffen, welche oft in Entwicklungs- und Schwellenländer exportiert werden. Trotzdem hätte dieser Arbeitnehmer sicherlich Möglichkeiten, in einem anderen Wirtschaftszweig zu arbeiten. Es ist seine Entscheidung, in der Waffenherstellung zu arbeiten, und dadurch trägt er auch Verantwortung dafür. Ein Fischer in einem Entwicklungsland besitzt vermutlich weniger Wahlmöglichkeiten. Anmaßend wäre, für beide den gleichen Maßstab anzusetzen.

Gewaltlosigkeit vs. Anhaftung und Abneigung?

Ahimsa bedeutet, alle Menschen gleichermaßen zu lieben, zu schätzen und zu respektieren und niemanden von dieser Liebe auszuschließen. Es gibt keine Unterteilung in Freund oder Feind: Zwischen diesen Polaritäten herrschen keine Abstufungen. In der Tat eine schwierige Übung: Schließlich steht uns beispielsweise die eigene Familie normalerweise näher als die Arbeitskollegen. Selbst zwischen den eigenen Arbeitskollegen mag Achtung und Wertschätzung je nach persönlicher Wellenlänge unterschiedlich verteilt sein.

In der Nähe von Freunden fühle ich mich wohl. Menschen, die ich nicht mag, begegne ich dagegen mit Distanz. Zu Fußgängern auf einer vollen Shoppingmeile entwickele ich gar kein Empfinden, während Bettler und Obdachlose vielleicht Mitleid, Abscheu oder ein schnelles Wegschauen verursachen.

Ein vorurteilloser, mit Mitgefühl, Verbundenheit und Offenheit gepaarter Blick ist hilfreich, um Menschen mit Gewaltlosigkeit zu begegnen. Swami Anubhavananda sagte während eines Seminars in Österreich sinngemäß zu mir: „Schau, bevor ich nach Österreich kam, war ich dieses Jahr in Australien, Neuseeland, USA, Großbritannien und Deutschland. Niemals bleibe ich länger als sieben Tage an einem Ort. Warum sollte ich in sieben Tagen Freundschaften oder Feindschaften entwickeln?“ Auf diese Weise kann das Leben in seiner Ganzheit betrachtet werden – 70 Jahre vergehen sehr schnell. Wenn der Tod gewiss ist, warum sollen wir in Anhaftung Freundschaften pflegen oder Feindschaften aufbauen?

Vertraute Menschen bewahren uns nicht vor dem Tod. Allein auf die Welt gekommen, werden wir sie wieder allein verlassen. Das bedeutet aber keineswegs als „einsamer Wolf“ oder „Lonesome Cowboy“ bindungsunfähig durchs Leben zu gehen, Gemeinschaft und Nähe zu anderen zu meiden oder menschliche Begleitung gering zu schätzen. In diesem Aspekt von Ahimsa wird keine Kraft zehrende Energie für die Entscheidung vergeudet, wen wir beispielsweise als:

•„gut“ oder „böse“,

•„sympathisch“ oder „unsympathisch“,

•„attraktiv“ oder „unattraktiv“,

•„hilfreich“ oder „nicht hilfreich“ betrachten.

Die gewohnte Tendenz des Sich-Vergleichens und Unterscheidens erlischt dann. Wertschätzung, Offenheit, Freude, Neugierde und aufrichtiges Interesse am anderen sind Werte, die aus diesem kraftvollen Verhaltenskodex entstehen. Ist Gewaltlosigkeit fest etabliert, erlöschen idealerweise Ängste, Konflikte, Feindschaft und Trennung in uns und anderen gegenüber – eine Voraussetzung für Frieden auf Erden.

Wenn mir aber nun jemand gegenübersteht, den ich partout nicht leiden kann? Die meisten von uns sind bei aller Bemühung keine fortgeschrittenen Yogis. Wir sind Menschen, die bewerten und beurteilen, manchmal bei der ersten Begegnung und auf den ersten Blick.

Vor Jahren verblüffte mich ein Seminarleiter, der vor seinem Publikum von etwa 70 Leuten sinngemäß erklärte: „Wissen Sie, auch hier im Publikum gibt es Menschen, die mir nicht sympathisch sind. Aber wenn ich mit ihnen in der Einzelarbeit zusammentreffe, ihre Lebensgeschichte erfahre, ihre Träume, Drehbücher und Verletzungen, dann bleibt nur Mitgefühl und Liebe für diese Menschen übrig.“ Vorschnell Menschen in Schubladen zu stecken ist leichtfertig. In uns allen steckt mehr, als im ersten Augenblick wahrgenommen wird.


„Du sollst alle Menschen lieben, aber manche aus größtmöglicher Entfernung“, sagte einmal ein Yogalehrer zu mir. Seine Worte begleiteten mich jahrelang. Auf sehr pragmatische Weise halfen sie im Umgang mit Menschen, die mir – aus welchem Grund auch immer – nicht „gut“ tun. Niemanden aus dem Herzen auszuschließen und gleichzeitig bei Bedarf ein Schutzschild aufzubauen, ist ein wichtiger Aspekt der Gewaltlosigkeit. In einem freien Land lebend bin ich nicht verpflichtet, mich verletzen zu lassen, von wem auch immer. Abstand kann manchmal die beste Verteidigung sein.

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