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4. August 2015
DER WESTLICHE SELBSTHASS
I.
Der Soziologe Max Weber nannte den vorherrschenden Typus des Intellektuellen in seinem 1919 veröffentlichten Essay Politik als Beruf zu Recht in pejorativer Absicht: Gesinnungsethiker. Deutschland besitzt, insbesondere im linken Spektrum, eine schier unerschöpfliche Quelle an »edlen Seelen« (Siegfried Kohlhammer), die in der Regel jegliche Verantwortung für ihre »reine und hehre Gesinnung« anderen bzw. der Allgemeinheit übertragen, die dann mit den unmittelbaren Folgen leben müssen. Ihre Positionen sind im besten Sinne apolitisch, da sie in den meisten Fällen keinen Bezug zur Realität oder den Friktionen der Realpolitik zeigen. Unerfüllbare Maximalforderungen und abstrakte Ideale, wie etwa ein bedingungsloser Pazifismus Käßmannscher Prägung oder das neueste Buchelaborat aus dem Prantlschen Paralleluniversum, sind typische Ausprägungen eines gesinnungsethischen Moralismus.
So mag es eine individuell erhöhende und wohlfeile Sache sein, den Anspruch eines jeden Ausländers auf Einwanderung und Versorgung durch den deutschen Sozialstaat zu fordern (»Kein Mensch ist illegal«). Nüchtern betrachtet stellt das aber nur eine Einladung an Millionen von Wirtschaftsflüchtlingen aus der ganzen Welt dar, gleich, ob sie politisch verfolgt werden oder nicht, die verpflichtende Grundsicherung (Unterkunft, Verpflegung, Geldleistungen) hier in Anspruch zu nehmen. Dabei spielt es objektiv nicht einmal eine Rolle, ob Deutschland ein, zwei oder mehrere Millionen Armutsflüchtlinge aufnimmt. Die Bevölkerungsexplosion in Afrika oder den meisten muslimischen Ländern würde die Verluste an Auswanderern jedes Jahr einfach ausgleichen. Die Zahl der Afrikaner ist etwa seit 1950 von 250 Millionen auf über eine Milliarde gestiegen. Millionen vor allem junge Männer, warten bereits auf die Chance, ihre Heimatländer zu verlassen und nach Europa zu kommen. Dafür gehen sie alle Risiken ein, insbesondere da sich herumspricht, dass, wer einmal in Europa, vor allem in Deutschland angekommen ist, in den allerwenigsten Fällen ausgewiesen wird, selbst wenn ein Asylstatus abgelehnt wird. Ökonomische Gründe mögen für die wachsenden Flüchtlingswellen wichtig sein; letztendlich ist es aber der demografische Faktor, der den Druck im Inneren vieler Staaten erhöht. Die extremen Youth bulges in Afrika und den arabischen Ländern, also die exorbitante Zunahme junger Männer in der Bevölkerungspyramide, für die keinerlei gesellschaftliche Position zur Verfügung steht und die im wahrsten Sinne des Wortes »Überflüssige« sind, zeigt sich aktuell in der Zunahme kriegerischer Konflikte in den betroffenen Regionen. Bürgerkriege, äußere Konflikte, ethnische und religiöse Spannungen sind stets historische Begleiterscheinungen von Youth bulges, wie Gunnar Heinsohn, ein akademischer Außenseiter, in seinem Buch Söhne und Weltmacht eindringlich zeigt.
II.
Die letzte Konsequenz vollkommen offener Grenzen ist, neben dem schon lange sichtbaren Import unzähliger Konflikte der Einwanderer und mentaler Inkompatibilitäten, das Ende unserer Sozialsysteme, wo man über längere Zeit Beiträge einbezahlt, um danach irgendwann Leistungen zurückzubekommen. Das Grundprinzip allen menschlichen Zusammenlebens lautet Reziprozität. Warum jemand, der hier nie einen Cent für die Allgemeinheit bezahlt hat, alle möglichen Forderungen stellen, den Staat erpressen und damit Erfolg haben kann – wie etwa in Berlin-Kreuzberg monatelang von sogenannten »Refugees« und ihren linksextremen »Supportern« vorexerziert –, das bleibt für die meisten Menschen, nicht nur in Deutschland, wohl rätselhaft. Es gibt, zugespitzt gesagt, keinen Generationenvertrag zwischen alternden Westeuropäern und Schwarzafrikanern, rumänischen Sintis, Irakern oder Afghanen. Offensichtlich gibt es aber so etwas wie einen »Schuldvertrag« zwischen dem »reichen Europa« und dem »armen Rest«, der leicht zu instrumentalisieren ist und jederzeit abgerufen werden kann. Der französische Soziologe Pascal Bruckner fasst dieses Verhältnis präzise und polemisch zusammen: »Europa schuldet Letzteren alles: Unterkunft, Verpflegung, Gesundheitsversorgung, Erziehung, ordentliche Löhne, prompte Erledigung ihrer Anliegen und vor allem Respektierung ihrer Identität. Bevor sie noch einen Fuß auf unseren Boden gesetzt haben, sind sie Gläubiger, die ihre Schulden einfordern.«
Über die tatsächlich Schuldigen, etwa die unsäglichen afrikanischen Regierungen, wird selten einmal berichtet. Inzwischen kommen die meisten afrikanischen Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa strömen, nicht aus den Bürgerkriegsländern und sind in der Regel nicht von Hunger bedroht. Die Ärmsten haben auch gar keine Möglichkeit, den Preis für die Schlepper zu bezahlen. Korruption und Vetternwirtschaft, ein mangelndes Bildungssystem, eine ineffiziente Administration, ausufernde Planwirtschaft, mangelnde Rechtssicherheit und ein Gangstertum an der Spitze vieler Staaten, die für sich und ihre Clans den Reichtum verschleudern, erzeugen eine Perspektivlosigkeit für viele Afrikaner, die offensichtlich alle Risiken auf dem Weg nach Europa in Kauf nehmen. Die afrikanische Union oder einzelne afrikanische Staaten scheint dieser Massenexodus der eigenen Bevölkerung, in der Regel junge Männer, nicht zu kümmern. Hat man bis dato einmal davon gehört, dass es einen Sondergipfel oder sonstige Zusammenkünfte afrikanischer Vertreter gab, die das Problem der Massenflucht thematisieren, geschweige sich die Frage stellen: »Was ist eigentlich mit unseren Ländern los, dass Menschen ihr Leben riskieren, um sie zu verlassen?« Das einzige, was wir von afrikanischen Potentaten hören, sind Vorwürfe, die in der Aussage gipfeln, Europa schotte sich ab. Darin gleichen sie den Claudia Roths, den Katrin Göring-Eckardts, den Heribert Prantls und anderen Linkspopulisten in Deutschland.
Im Übrigen zeigen die steinreichen arabischen Länder wie Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait ebenfalls keinerlei Interesse daran, ihre »muslimischen Brüder«, die sich in Religions- und Stammeskriegen gegenseitig massakrieren, aufzunehmen und zu alimentieren. Seltsam, wo doch sonst bei jeder angeblichen Beleidigung der Umma (der Gemeinschaft der Gläubigen) riesige »Solidaritätswellen«, meist gewalttätig, ausgelöst werden. Den afrikanischen wie auch arabischen Herrschern fehlt etwas vollkommen, das die europäischen Gesellschaften im Überfluss besitzen: Schuldgefühle und eine Verantwortungsethik. Es interessiert weder einen afrikanischen Despoten noch einen saudischen König, ob andere buchstäblich verrecken.
III.
Es ist natürlich ein Leichtes, im Namen christlicher oder moralischer Werte zu fordern, Deutschland müsse noch viel mehr Zuwanderer unabhängig von ihrer Qualifikation, Bildung oder Mentalität aufnehmen. Was die Tugendsamen aber zu dieser Forderung legitimiert oder was sie selbst für eine Integration der Einwandernden leisten, bleibt in der Regel unbeantwortet. Die aus ihrer moralinsauren Haltung entstehenden materiellen und vor allem sozialen Kosten für die Allgemeinheit spielen für die »Guten« eine zu vernachlässigende Rolle. Die unmittelbaren Folgen ihrer abstrakten Menschenliebe werden gerne an diejenigen delegiert, die an den Schnittpunkten sozialer Verwerfungen leben müssen und mit den Herbeigerufenen um Arbeitsplätze und Wohnraum konkurrieren müssen. Jedes noch so vorsichtig vorgebrachte ökonomische Argument, etwa die Frage, was wir in Europa denn mit Millionen von unqualifizierten Einwanderern anfangen sollen, wo doch die Arbeitslosigkeit insbesondere junger Menschen in den südlichen Ländern der EU dramatische Dimensionen angenommen hat, wird mit dem inzwischen inflationären Begriff »menschenverachtend« rasch abgebügelt. In den allermeisten Fällen betrifft die selbsternannten »edlen Seelen« die eigene Entscheidung weder finanziell noch lebensweltlich. Wird dennoch einmal – selten genug – ein Asylantenheim in der unmittelbaren Nähe des meist bürgerlichen und wohlhabenden Wohnumfeldes errichtet, ist der Aufschrei jedes Mal groß. Das geht nun aber doch nicht!
Es gilt allgemein: Rassistisch, das sind immer die anderen, etwa diejenigen, die auch für sich ein Recht auf ein zivilisiertes Umfeld fordern und den Preis der massenhaften und ungesteuerten Zuwanderung zahlen müssen. Dass Menschen aus korruptionsverseuchten Ländern, die über keinerlei demokratische Tradition verfügen, vielfach in tribalistischen Strukturen leben und denken, sich auf wundersame Weise und ohne größere Konflikte in unser politisches System und seine Werte integrieren, mag zwar ein frommer Wunsch sein, aber die Realität der letzten Jahrzehnte zeigt eine andere Tendenz – sieht man einmal von den Medien und den meisten Parteien ab, die alles dafür tun, das schöne Bild der bunten Republik nicht zu zerstören. Warnungen vor einer allzu naiven Sichtweise gibt es, aber sie werden entweder ignoriert oder die Verkünder der Botschaft in die rechte, gerne auch rechtspopulistische Ecke gestellt. Bezeichnenderweise sind es Politiker der SPD (einst traditionell die Vertreter des »kleinen Mannes«) wie Thilo Sarrazin oder der ehemalige Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky, die den Bezug zur Realität der normalen Bürger noch nicht ganz verloren haben – eine Tatsache, die längst nicht mehr zutrifft für ihre Partei, die sich mehr und mehr für ihre ehemaligen Stammwähler schämt. Die intellektuelle und akademische Elite schweigt in der Regel oder entspricht bei allen wichtigen Fragen rund um Zuwanderung und Integration ganz dem Typus des Weberschen Gesinnungsethikers. Eine der wenigen kritischen Stimmen, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, vor Kurzem selbst zur Zielscheibe linksextremer Denunzianten geworden, skizziert die aktuelle Situation, die für die nächsten Jahre bestimmend sein wird, in nüchternen Worten:
»Die größte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts wird nicht in der Gefährdung von Grenzen durch feindliche Militärverbände, sondern im Überschreiten dieser Grenzen durch gewaltige Flüchtlingsströme bestehen, die, wenn sie massiv auftreten, nicht der wirtschaftlichen Prosperität Europas zugutekommen, sondern die sozialen Sicherungssysteme der europäischen Staaten überfordern und damit die soziale Ordnung in Frage stellen. Gleichzeitig ist Europa infolge seiner Wertbindungen nicht in der Lage, diese Flüchtlingsströme an seinen Grenzen zu stoppen und zurückzuweisen, wie man dies bei einem militärischen Angriff versuchen würde.«
IV.
Über die Konsequenzen eines derartigen Szenarios auf längere Sicht nachzudenken mag kaum jemand. Die allgemeine Forderung, alle »Flüchtlinge« – und als solche werden inzwischen alle hier Eintreffenden unterschiedslos bezeichnet – unabhängig von ihren Gründen und ihrer individuellen Disposition aufzunehmen, ist da viel bequemer und gibt einem zugleich ein gutes Gewissen. In den klassischen Einwandererländern wie den USA, Kanada oder Australien sind nach einer Phase ungeregelter Einwanderung längst Immigrationsgesetze in Kraft getreten, die Zuwanderer auf ihren praktischen Nutzen für die Aufnahmegesellschaft prüfen. Was ist daran verwerflich? Einwanderer, wohlgemerkt: nicht politisch Verfolgte, die asylberechtigt sind, haben in der Regel ökonomische Gründe, sich für ein Land zu entscheiden. Wieso soll das nicht umgekehrt ebenso gelten? In Deutschland ist aber schon die einfache Frage: Können wir die Leute, die zu uns wollen, brauchen? Sind sie sozial und kulturell zu integrieren?, weitgehend tabuisiert. Fragen nach dem, was Einwanderer (von politisch Verfolgten und Asylberechtigten zu unterscheiden) für uns bringen, gelten als unmenschlich.
Woher kommt diese Weigerung, sich mit den konkreten Folgen des Zuzugs Hunderttausender auseinanderzusetzen? Warum soll alles eine Bereicherung sein, was von außen kommt, während das Eigene abgewertet wird? All das Gerede von der bunten Republik, von Diversitäten und kultureller Bereicherung soll uns letzten Endes suggerieren, dass wir froh sein sollen, nicht im nationalen Sumpf zu versinken, der direkt in den Faschismus führt. »Ausländer, lasst uns nicht mit den Deutschen allein« – dieser Slogan der 80er Jahre drückt die Sehnsucht nach dem Anderen und die Abwertung des Eigenen in aller Deutlichkeit aus.
Man kann in der aktuellen Situation ein allgemeines Symptom erblicken, das man mit dem Begriff der Dekadenz beschreiben kann. Diese besteht in einer feindseligen Haltung gegenüber der eigenen Gesellschaft und ihrer politischen Ordnung bei gleichzeitiger Glorifizierung alles »Fremden«, kurz: in einem Mangel an Selbstachtung und einem Hass auf das Eigene. Der Selbsthass und die eigene Bußfertigkeit, die in der Abwertung des Eigenen eine Tugend erblickt, sind so tief in den kulturellen Traditionen unserer protestantisch geprägten Schuldkultur verwurzelt, dass etwa jegliche Kritik an der selbstzerstörerischen Asylpolitik als moralisches Versagen und herzlose Haltung erscheint. Europa, der geografische und politische Raum, in dem die Menschenrechte erfunden wurden, wird so wahrscheinlich an der strikten Einhaltung seiner humanistischen Grundsätze zugrunde gehen.
20. September 2015
DIE FRANZÖSISCHE KASSANDRA: JEAN RASPAIL
I.
In seinem visionären Roman Das Heerlager der Heiligen, 1973 auf Deutsch erschienen, beschreibt der französische Autor Jean Raspail das Eintreffen von einer Million der ärmsten Inder an der französischen Küste. Bei Abfahrt der Flotte, die sich von Kalkutta aus mit hundert schrottreifen Schiffen auf den Weg macht, weigert sich einzig Australien (!) mit Verweis auf seine Einwanderungsgesetze, die Notleidenden aufzunehmen, und wird dafür von der Weltgemeinschaft geächtet und moralisch ausgeschlossen. Südafrika hat, als Apartheidstaat, sowieso keinen Ruf mehr zu verlieren und droht angesichts der Flotte vom Ganges mit militärischen Mitteln. Die ablehnende Haltung der beiden Staaten hat den Effekt, dass die hundert Schiffe vom Kap der Guten Hoffnung Richtung Norden steuern, Richtung Europa. Eine ungewöhnlich gute Wetterlage lässt die geheime Hoffnung der europäischen Regierungen, die Schiffe der Elenden würden in einem Sturm untergehen, rasch schwinden. Während alle darauf hoffen, dass der Kelch der Invasion an ihnen vorüber gehen wird, überbieten sich die einzelnen Regierungen, aufgrund des Drucks der moralisch Aufrechten in ihren Ländern, gegenseitig in Solidaritäts- und Willkommensadressen an die Flotte der Unglücklichen. Tägliche Medienkampagnen und eine landesweite pädagogische Indoktrination der intellektuellen Eliten verhindern jegliche kritische Auseinandersetzung in der französischen Öffentlichkeit über die Folgen des Ansturms der Elenden. Diese sollen vielmehr die kapitalistische und rassistische weiße Kultur – unter der Parole »Wir alle sind Menschen vom Ganges« – läutern und erlösen.
Ein großer, landesweiter Wettbewerb unter dem Motto »Kinder zeichnen das Weltgeschehen« hat das Thema »Wir und die Gäste vom Ganges« zum Gegenstand. Künstler und Prominente, die heroisch auf ihr Golfturnier am Wochenende verzichten, fungieren als Schirmherren. Eigens komponierte Balladen und Lieder ergänzen die erbauliche Veranstaltung. Zahlreiche Petitionen von linken Organisationen, Kirchen und Migrantenverbänden fordern die französische Regierung dazu auf, die potenziellen Einwanderer herzlich willkommen zu heißen. Zur gleichen Zeit beschließen siebzehntausendzweihundertzwölf Oberschullehrer, den Unterricht am folgenden Tag mit einer Ansprache gegen Rassismus zu beginnen.
Aus Gründen, die im Roman nicht näher benannt werden, steuert die »Armada der letzten Chance«, wie ein bekannter linker Aktivist die Flotte in einem Anfall von Geistesblitz nennt, tatsächlich auf die Küste Frankreichs zu. Noch bevor sie mit ihrer Fracht von Toten, Sterbenden und Zerlumpten die südfranzösische Küste erreicht, flieht die Bevölkerung in böser Vorahnung bereits nach Norden. Militär und Polizei, von fanatischen Propagandisten und Kirchenvertretern im Vorfeld ideologisch bearbeitet, lösen sich rasch auf. Der Präsident kapituliert am Ende vor der Invasion, da er längst ahnt, dass »das Weltgewissen« von ihm verlangt, die ausbeuterische und rassistische Kultur Europas zu verurteilen und die neue, bunte Welt zu begrüßen. Am Ostersonntag, als die Flotte Frankreich erreicht, wird endgültig klar, dass niemand mehr bereit ist, für seine Werte einzustehen. Angesichts der »Armada der letzten Chance« hat die Grande Nation nichts mehr entgegenzusetzen:
»Ihre Waffen sind die Schwäche, die Armut und das Mitleid, das sie erwecken, sowie das ungeheure moralische Gewicht, das ihnen in den Augen der Weltmeinung zukommt. (…) Wer vermag in einer solchen Lage in seinem Herzen noch einen letzten Rest jenes geächteten Mutes aufzubringen, der ihn vor dem Ansturm des Mitleids schützen könnte? Wo soll er im Labyrinth der vorgekauten Gedanken und der vorgefertigten Gefühle noch nach Widerstandskräften suchen?«
Die Armada strandet schließlich auf dem Sand und den Felsen der Cote d’Azur. Nach ihrem Vorbild schiffen sich auch an anderen Orten der Dritten Welt Millionen nach Norden ein …
II.
Raspails Roman hat in vielen seiner Facetten im Deutschland des Jahres 2015 eine fast schon unheimliche Entsprechung gefunden. Seine Dystopie beschreibt den aktuellen Zustand in zum Teil harten, zynischen, aber auch satirischen Sequenzen. Fernsehen, Radio und Printmedien überbieten sich zur Zeit in Deutschland gegenseitig in der täglichen Berichterstattung über all die »Schätze« (wörtlich!), die zu uns kommen, preisen die endlose Bereicherung an, die großartige Vielfalt, die unglaublichen Chancen, unser unverhofftes Glück, und stimmen uns auf die Veränderungen unser aller langweiligen und grauen Leben ein. Man fragt sich unwillkürlich, so wie Raspails Erzähler, wie man so lange auf diese Menschen hatte verzichten können!
Die Diskrepanz zwischen der harten Realität und der medialen Dauerpropaganda (gibt es ein anderes Wort dafür?) wirkt bereits mehr als absurd. Applaudierende Bürger stehen an Bahnsteigen und begrüßen illegale Migranten, die mit »Zügen der Hoffnung« (SPIEGEL) ankommen, wie siegreiche Fußballspieler. Die eigene Hilfsbereitschaft, mittels Handy und Smartphone gut dokumentiert, übernimmt wohl nur in den wenigsten Fällen Verantwortung für das eigene Tun, das über kurzfristige moralische Erbauung hinausgeht. Die mittel- und langfristigen Folgen des Zuzugs Hunderttausender, in den nächsten Jahren über Familiennachzug und weitere »Flüchtlingswellen« wahrscheinlich von Millionen, sollen dann wieder andere übernehmen, in der Regel diejenigen, die an den Schnittpunkten sozialer Verwerfungen leben müssen. Die Bilder der jubelnden Deutschen, von den Ankommenden sofort in die Heimat gesendet, werden weitere Signalwirkung haben. Sie setzen Anreize für noch mehr Migration, für noch mehr Schilder mit Angela Merkels Konterfei und der lauten Forderung, unverzüglich nach Germany geführt zu werden, denn hier, so suggerieren es die Bilder, ist jeder willkommen. Wohnung, Arbeit, Geldleistungen eingeschlossen. Der Versuch, in Zukunft über verbindliche Quoten Flüchtlinge, die – wie deutlich zu sehen – überwiegend nach Deutschland wollen, auf Bulgarien, Polen oder Estland zu verteilen, ohne deren massiven Widerstand dagegen mitzubedenken, ist nur ein weiterer Beweis für die Hilflosigkeit der politischen Klasse. Wer die Quotenlösung durchsetzen will, muss bereit sein, schwer bewachte Transporte quer durch Europa zu begleiten, mit zehntausenden von Menschen die um keinen Preis in Länder wie Litauen oder die Slowakei wollen.
Die Fallhöhe der Willkommenskultur in Deutschland wird in den nächsten Monaten enorm sein. Die staatlichen Medien, allen voran ARD und ZDF, aber auch SPIEGEL, ZEIT und andere Blätter, die nur noch Erziehungskuren für die Uneinsichtigen verordnen, wären gut beraten, die deutsche Gesellschaft auf die Zeit nach der verpflichtenden Willkommenskultur vorzubereiten. Doch das wird strikt verweigert. Man kann zwar insgeheim auf die Macht des Faktischen vertrauen, aber es ist zu befürchten, dass es zu spät sein wird, die Folgen der hybriden Politik Deutschlands noch in irgendeiner politisch vertretbaren Weise handhaben zu können. Kein demokratisch regiertes Land kann etwa Massenabschiebungen durchsetzen. Zudem hat Deutschlands faktische Aufgabe aller europäischen Asylgesetze Folgen für die europäische Gemeinschaft als Ganzes. In diesem Punkt ist den Ungarn Recht zu geben.
Der in diesem Jahr 90 Jahre alt gewordene Jean Raspail kann seine vor fast einem halben Jahrhundert verfasste Vision heute wohl als bestätigt sehen. Aber ich vergaß den entscheidenden Einwand gegen seine Voraussagen: Raspail ist ein »Rechter«.