Kitabı oku: «Yoga und soziale Verantwortung», sayfa 2

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Welche Schritte werden wir in diesem Buch gehen?


Rückblick in die Geschichte

Als ersten Schritt werde ich im nächsten Kapitel im Zeitraffer aufzeigen, wie sich der Verantwortungsbegriff im Laufe der Geschichte geändert hat und warum soziale Verantwortungsübernahme heute so überaus bedeutsam ist. Ich denke, vieles lässt sich in der Gegenwart leichter verstehen, wenn man aktuelle Entwicklungen in einen historischen Kontext stellt.

Der Schatz des Yoga – die fünf moralischen Grundprinzipien

Dann kommen wir zu dem Schatz an Weisheit, den der Yoga zu einer gesellschaftlichen Entwicklung heute beitragen kann: zu den fünf Yamas als moralische Grundprinzipien, die uns richtungweisend darin bestärken können, Ziele zu formulieren und Haltung in der Gesellschaft einzunehmen. Die Yamas bilden die erste Stufe des Achtfachen Pfades in den Yoga-Sutren, der einen Weg der spirituellen Transformation beschreibt.

Ich möchte daher folgende These aufstellen: Ist nicht überhaupt ein heilsames Miteinandersein und damit auch die Übernahme von Verantwortung füreinander der erste Schritt auf dem Weg zu spiritueller Entwicklung? Braucht es nicht zuerst soziales Bewusstsein und Erfahrung im Miteinander, um dann diese Erfahrungen für eine authentische spirituelle Entwicklung zu nutzen? Braucht es nicht moralische Bewährung, bevor man in die Versenkung geht?

Es wird viele Yogaerfahrene geben, die das so lieber nicht formuliert haben möchten. Es wird auch Yogi:nis geben, die überhaupt verneinen, dass es beide Wege geben muss, und nur für die spirituelle Einsiedelei plädieren. Aber ich nehme an, dass Leser:innen, die sich für das Thema »soziale Verantwortung« interessieren, doch zumindest davon ausgehen, dass sich beide Ausrichtungen, Sinn im Leben zu erfahren, bereichernd ineinander verschränken sollten.

Für mich keine Frage: Spirituelle Praxis und Rückzug unterstützen uns dabei, gleichmütig und trotzdem energiegeladen in der Welt wirken zu können. Denn ohne eine Methode des Rückzugs und der Rückbindung an das beständig Heilsame laufen wir Gefahr, im selbstlosen Tun auszubrennen. Umgekehrt brauchen wir das sinnstiftende, gesellschaftliche Tun, um unsere Energie und unsere Einsicht in die Welt einzubringen und umzusetzen. Spiritueller Rückzug als alleinseligmachender Weg ist Weltflucht; ein Weg, der zwar keinen Schaden anrichtet, aber auch keinen Beitrag für ein erfüllendes Miteinander leistet.

Wie kann man moralische Grundwerte üben?

Sobald ein Yama definiert ist und uns klar geworden ist, warum es uns moralisch bedeutsam ist (ich nenne das im Folgenden »Moralitäts-Check«), können wir mit dem Üben beginnen. Ich möchte eine weitere These aufstellen: Moral, die nur im Kopf ist, wird möglicherweise im konkreten Tun schwer umsetzbar sein. Erstens, weil sie zu abstrakt ist und nicht auf die konkrete Handlung anwendbar scheint. Und zweitens, weil sie gar nicht verinnerlicht ist. Theoretisch ein Spiel beherrschen und die Regeln kennen ist etwas ganz anderes, als es praktisch geübt zu haben. Auch Moral braucht Übung. Ich habe daher zu jedem Yama vier Beispiele aus meinem Leben niedergeschrieben. Meine Gefühle haben mir die Fragen während des Schreibens eigentlich wie von selbst aufgetischt. Ich brauchte dann nur nachzufragen – warum, wieso? So, wie ich meine Schüler:innen im Yogaunterricht ermutige, mit wachem Forschergeist sich selbst bei der Asanapraxis zu beobachten, möchte ich mit meinen Geschichten in den fünf Abschnitten des vierten Kapitels anregen, die eigenen Alltagssituationen forschend unter moralischen Gesichtspunkten zu hinterfragen.

Es geht dabei nicht darum, die Moralkeule zu schwingen à la »Du sollst« und »Du sollst nicht«! Vor der Moralkeule verstecken sich die Gefühle, sie haben Angst davor, geschlagen zu werden. Wenn wir aber die Gefühle zulassen und diesen inneren moralischen Zwiespalt, dann haben wir zumindest die Chance, dass irgendwann ein innerer Impuls auftaucht, wenn man so will, eine Hinwendung, ein Hinabsinken in den tieferliegenden moralischen Grund. Dieser kann uns dann Sicherheit geben, wie einem Baum, dem weitere Wurzeln wachsen.

Moral soll sich stimmig anfühlen, soll diffuse Gefühle lichten, sorgenvolle Gedanken klären. Eine Moral, die nur funktioniert, wenn sie die Gefühle unter den Teppich kehrt, kann sich schwer festigen und wird vor allem dann Mühe haben, wenn es darauf ankommt. Wir müssen uns selbst vertrauen und uns Zeit geben. Übung hilft.

Ich gebe mit diesen Beispielen von meinem Leben etwas preis, weil ich Menschen darin ermuntern möchte, eigene Erlebnisse zu durchdenken. Meine Geschichten sind nur Beispiele – vielleicht regen sie zum Nachdenken an, aber sie sollen keinesfalls ein »moralisch vorbildliches Verhalten« demonstrieren. Die Beispiele sind bedingt durch meine Interessen, meine Stärken und Schwächen und mein persönliches Umfeld. Natürlich habe ich eine gesellschaftspolitische Haltung, sonst würde ich ja nicht über so ein Thema ein Buch schreiben. Die Geschichten sollen aber vor allem zum Weiterdenken und Selbstfühlen anregen und ruhig auch – zum Bessermachen!

Nur durch Durchdenken und Durchspüren kann man sich selbst besser kennenlernen und vielleicht das nächste Mal klarsichtigere Entscheidungen treffen. Wie das Leben eben so spielt, mal geht es leichter und fühlt sich freudvoll an, dann ist es wieder schwieriger, und Gefühle wie Hilflosigkeit und Traurigkeit stellen sich ein. Situationen wiederholen sich in ähnlicher Form. Darunter kann man leiden – oder man erkennt diesen wiederkehrenden Moment als zweite Chance.

Selbstfürsorge oder die Rückbindung an das Selbst

Im fünften und letzten Kapitel geht es dann um den Weg nach innen, die Rückbindung an das Selbst. Im Kontext von sozialer Verantwortung möchte ich diese Prozesse als Selbstfürsorge beschreiben, die im Yoga einen hohen moralischen Stellenwert hat. Das kann jetzt für manche Ohren, die es gewohnt sind, soziales Engagement mit Selbstaufopferung gleichzusetzen, befremdlich klingen. Genau darum ist es aber so wichtig zu verstehen, warum eigene Yogapraxis und ein Rückzug in Stille bedeutsam sind. Denn auch die beste Vision und die überzeugendste Moral bewahren uns nicht davor, im konkreten Tun auszubrennen. Dann nämlich, wenn wir uns mit unseren eigenen Erwartungen überfordern oder an den Spitzfindigkeiten der Realität zerbrechen.

Erst diese Rückbindung an meine inneren Ressourcen regeneriert mich und lässt mich wieder hinspüren zu dem, was es jetzt gerade braucht – für mich. Passt mein Engagement noch? Oder halte ich nurmehr an einem Dogma fest, das meine »inneren Antreiber« von mir einfordern? Die fünf Niyamas, moralische Verhaltensregeln uns selbst gegenüber, können uns helfen, unbeschadet durch einen Verantwortungsprozess zu kommen.

Zu jedem der fünf Niyamas habe ich abschließend vier Stilleübungen entwickelt. Eine Auswahl von fünf Übungen gibt es über einen QR-Code und einen Downloadlink auf Seite 221 auch zum Nachhören. Der Atem wird dabei unser freundlicher Reisebegleiter werden. Hier findet sich also die Brücke von der moralischen hin zur spirituellen Praxis. Es sind meditative, selbstreflexive Übungen mit sehr unterschiedlichem Fokus. Patanjali, der offizielle Verfasser der Yoga-Sutren, beschreibt eine Fülle von Methoden, wie der Weg in den stillen Rückzug, im Rückzug der Sinne von außen, gestaltet werden könnte. Wir haben gerade hier eine große Gestaltungsfreiheit und Wahlmöglichkeiten. Natürlich ist es vertiefend sinnvoll, sich einer ehrenwerten Tradition zu verpflichten und dann diese Form von Meditation, am besten in einer Gruppe, jahrelang zu üben. Vielleicht helfen Ihnen die verschiedenen Einstiegsmöglichkeiten ja dabei, auf den Geschmack zu kommen.

2. Kapitel


Die Geschichte der sozialen Verantwortung

»Wer über Verantwortung schreibt – und auch liest –, mag bisweilen an ihrer Vielschichtigkeit verzweifeln. Eine Unzahl an Aspekten scheint sich einer eindeutigen Klassifikation zu erwehren.«

Ann Elisabeth Auhagen5


Ein aufklärerischer Appell an die Eigenverantwortung


Eine bedeutende moralische Zeitenwende in Europa war die Epoche der Aufklärung, als deren berühmtester deutschsprachiger Philosoph, Immanuel Kant, in die Geschichte eingegangen ist. 1785 veröffentlichte er in Riga ein Buch mit dem Titel »Kritik der praktischen Vernunft«. Ich habe es mir aus Interesse gekauft, weil ich diesen Meilenstein an Denkkraft und Vernunft selbst in Händen halten wollte. Lesen kann ich den Text ehrlich gesagt nicht. Das ist etwas für Spezialist:innen. Aber diesen einen, so berühmt gewordenen Leitsatz, den möchte ich hier doch anführen:

»§ 7. Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.« Und Kant erklärt: »Denn reine, an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend.«6

Ich erkläre mir diesen Appell an die Ratio so: »Denk mal nach! Willst du wirklich, dass das, was du dir jetzt gerade für dich herausnimmst, zum allgemeingültigen Gesetz wird, und dass alle anderen auch so handeln können?« Es ist ein erster, großer Appell an die Eigenverantwortung, die wir heute, mehr denn je, aufgeregt diskutieren, ob es nun um Corona-Selbstbeschränkungen oder um richtiges Handeln zum Schutz der Umwelt geht. Denn es dämmert uns langsam, dass wir uns nicht nur auf staatliche Gesetze oder religiöse Gebote bzw. Verbote berufen, verlassen oder herausreden können, sondern endlich beginnen müssen, situativ und eigenverantwortlich zu entscheiden – allerdings im Bewusstsein, dass unser individuelles Verhalten auch dem Wohl der Gemeinschaft förderlich sein sollte. Kant stellte das schon vor über zweihundert Jahren zur Diskussion.

Die Philosophin Bettina Stagneth ist ausgewiesene Kant-Expertin und betont: »Es ist nicht so, dass Kant nicht auch gern ein Idealist gewesen wäre. Er hatte nur erkannt, dass uns dafür jede Voraussetzung fehlt. Das einzig Eindeutige, das alle Menschen jederzeit in sich vorfinden und auf das wir uns deshalb auch einigen können, ist unser Sinn für Stimmigkeit und Widerspruch unserer Vorstellungen, also die Vernunft in einfachster Bedeutung als Bewusstsein, das einfach immer da ist, bevor wir es auf unterschiedliche Weise gebrauchen, also mit anderen Erkenntnisvermögen verknüpfen.«7

Wie kann sich dieser Sinn für Stimmigkeit schärfen? Heute wissen wir, dass Gefühle Gedanken auslösen und steuern. Will die Vernunft alleine ganz praktisch entscheiden, so müssen zumindest vorher die Gefühle geklärt und beruhigt sein, damit wir zur selbstkritischen Reflexion fähig sind.

Die Zeiten Kants waren aufregend. 1789 wurde in Paris die Bastille gestürmt, und die Parolen der Revolutionäre faszinierten und verschreckten gleichermaßen das restliche Europa mit drei neuen Werten: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Soziale Verantwortung wird zur Gesinnung


Das darauf folgende 19. Jahrhundert war geprägt durch rasanten technischen Fortschritt und infolgedessen großer sozialer Veränderungen – auf die Revolution des Geistes und der Werte folgte eine industrielle Revolution mit gravierenden sozialen und auch politischen Auswirkungen. Das soziale Elend war in kurzer Zeit unfassbar groß geworden, auch Wien wurde zu einem unrühmlichen Beispiel. Extreme Wohnungsnot durch Zuzug und Landflucht führte zu Phänomenen wie den sogenannten Bettgeher:innen. Kinderarbeit, Ausbeutung und beinahe sklavenähnliche Zustände für die in den Ziegelbrennereien arbeitende Bevölkerung waren an der Tagesordnung. Gleichzeitig ließ sich das wohlhabende Wiener Bürgertum großzügige Palais erbauen und profilierte sich als Förderer der schönen Künste. In hochromantischen Liedern und Dichtungen verklärte man die ländliche Idylle, während die Menschen vom Land in Elendsquartieren ein paar Kilometer weiter weg darben mussten. Die Obrigkeit versagte in diesem Fall, weder Kirche noch Kaiser interessierten sich für die Verelendeten.

Der österreichische Arzt Victor Adler erkannte dieses Unrecht. Obzwar aus bürgerlichem Hause, hatte er beruflich persönlichen Kontakt zu den Ärmsten der Armen. Diese Unrechtserfahrung bewirkte bei ihm den Entschluss, für Menschen, die gar nicht seiner Gesellschaftsschicht angehörten, Verantwortung zu übernehmen und ihnen eine politische Stimme zu geben. Er ermächtigte sich freiwillig und ohne Auftrag von oben, einfach weil er erkannte, dass er gebraucht wurde und sein Gewissen und seine Vernunft ihm dies geboten. Victor Adler schaffte es, zur Jahreswende 1888/89 im niederösterreichischen Hainfeld alle Gesinnungsgenossen trotz Versammlungsverbot und staatlicher Bespitzelung zusammenzubringen und zu einer Bewegung zu einen, die sich später Sozialdemokratische Partei Österreichs nennen sollte.

Ich wohne in der Region. Gemeinsam mit der Historikerin Dr. Margarete Kowall habe ich das Stadtmuseum Hainfeld konzipiert und auch am sogenannten »Einigungsparteitagsraum« mitgearbeitet. Eine unserer Vorarbeiten bestand darin, die komplett erhaltenen Gesprächsprotokolle aus der Frakturschrift zu transkribieren, sie sprachlich behutsam zu modernisieren und auch zu digitalisieren. Wir arbeiteten in drei Teams, meist zu zweit. Die Reden dieser Delegierten, die keine Berufspolitiker waren und vom Leid von Ihresgleichen erzählten, waren zutiefst berührend. Ihr einendes Anliegen war es, endlich das Leid und die Ungerechtigkeit zu lindern. Ihre Sprache war klar und kraftvoll. Diese Männer (es waren damals leider nur Männer zugelassen, auch wenn Frauen sich angeboten hatten) übernahmen Verantwortung und bewiesen Rückgrat. Ihre Haltung wurzelte in der tiefsten Überzeugung, dass diese Art soziales Unrecht großes Leid provoziert und daher bekämpft werden muss. Eine Überzeugung, die zur Gesinnung wurde und in die Gründung einer Partei mündete. Interessanterweise ist das Wort Verantwortung kein einziges Mal im Text zu finden, dafür 26-mal das Wort Pflicht, sogar von heiliger Pflicht ist die Rede:8

»Rissmann (Graz): (…) Aber eines ist unsere Pflicht: dass wir das Volk über seine Verhältnisse und seine Stellung aufklären, alles andere aber ruhig dem Volk überlassen. Wir sind keine Aufwiegler.«

»Hybeš (Brünn): (…) Ich will also nur aufmerksam gemacht haben, dass eine solche Statistik unsere heiligste Pflicht ist, und wir haben in Brünn schon ein derartiges Material gegen viele Fabrikanten, die im heurigen Jahr noch nicht an einem einzigen Tag die Gewerbeordnung respektiert haben.«

Männer wie Victor Adler und seine Genoss:innen kämpften in der ganzen industrialisierten Welt für mehr Gerechtigkeit. Der Kampf, geeint durch eine parteipolitische Vision, lohnte sich, trotz der schweren Rückschläge während der NS-Diktatur und auch schon davor.

Die europäischen Wohlfahrtsstaaten des 20. Jahrhunderts gründen auf dieser Gesinnung. Inzwischen kommt es wieder zu einer schleichenden Erosion der hart erkämpften Rechte, und eine Solidarität unter den Arbeitnehmer:innen, wie sie damals möglich wurde, scheint heute aus den unterschiedlichsten Gründen wieder in das Reich der Utopien zu verschwinden.

Die soziale Verantwortung wird ethisch


Heute dürfen wir in Österreich soziale Errungenschaften genießen, wie sie in vielen Teilen der Welt nicht selbstverständlich sind. Trotzdem kann auch die beste moralische Gesinnung in die Irre führen, wenn sie sich von den ursprünglichen Zielen entfernt oder negative Auswirkungen ihrer Postulate vernachlässigt oder verleugnet. Darauf wies im Jahr 1919 der deutsche Soziologe und Nationalökonom Max Weber hin, und zwar in einem Vortrag zum Thema »Politik als Beruf«. Er machte damals klar, dass es einen Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik gibt. Diese Begriffe haben sich in die Lehrbücher von Student:innen der Politikwissenschaften und der Soziologie eingeschrieben:

»Als gesinnungsethisch wird ein Handeln bezeichnet, das sich strikt an einem Wertgesichtspunkt (etwa Gleichheit) oder einem abstrakten Prinzip (z. B. Pazifismus) orientiert, ohne die Folgen zu bedenken.

Verantwortungsethisch wird eine Handlungsweise genannt, bei der möglichst alle Folgen und Nebenfolgen für alle Betroffenen in die Kalkulation der besten Handlungsstrategie eingehen.«9

Mit dem Hinweis auf die Folgen mischt sich nun die Sorge um die Zukunft vermehrt in die Diskussion über die Verantwortung. Als junge Frau erlebte ich diesen Unterschied erstmals eindrücklich bei den Diskussionen rund um die Besetzung der Stopfenreuther Au östlich von Wien durch Umweltaktivist:innen im Dezember 1984. Damit sollte der Bau des Donau-Kraftwerks bei Hainburg verhindert werden. Besonders die Gewerkschaftsvertreter:innen setzten sich mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung für die Räumung ein. Nach einer gewaltsamen Polizeiaktion demonstrierten 40.000 Menschen gegen den Kraftwerksbau. Schließlich kam es zum »Weihnachtsfrieden« von Hainburg, und das Projekt wurde gestoppt. Die soziale Forderung »Arbeitsplätze schaffen« traf hier, für mich erstmals deutlich, auf einen neuen moralischen Wert: die Natur zu erhalten und zu schützen. 1996 wurde das Gebiet zum Nationalpark »Donau-Auen« ernannt.

Die ökologische Verantwortung vermischt sich mit der sozialen Verantwortung


Einer, der einen großen Beitrag zu diesem Umdenken leistete, nämlich dass der Schutz der Umwelt als ein moralisches Anliegen anzusehen ist und wir dafür Verantwortung übernehmen müssen, war der in Deutschland geborene Religionsphilosoph Hans Jonas. Nach seiner Emigration über England und Palästina lehrte er von 1955 bis 1976 als Professor an der New School for Social Research in New York. 1979 veröffentlichte er das Buch »Das Prinzip Verantwortung«, das als sein Hauptwerk gilt (und ganz aktuell im Jahr 2020 neu aufgelegt wurde). Darin fordert er zu nichts Geringerem auf, als Ethik völlig neu zu denken. Denn traditionelle Ethik verstehe die Umwelt als eine unveränderliche Konstante, und das sei aufgrund der unabschätzbaren, weltweiten Auswirkungen auf die Natur durch die moderne Technik und durch neue Technologien nicht mehr gegeben. Jonas warnte unter anderem vor nicht absehbaren Folgen durch die Gen- und Gehirnforschung und forderte zu einer Verhaltenskontrolle bei chemischen Substanzen auf.

Jonas referenziert auf Kants kategorischen Imperativ und schreibt ihn zu einem ökologischen Imperativ um:

»›Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden‹; oder negativ ausgedrückt: ›Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens‹; oder einfach: ›Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden‹; oder, wieder positiv gewendet: ›Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein‹«.10

Hardy Fürch, in Köln lebender Yogalehrer und lange im BDY-Vorstand aktiv, verwendet in seinem Buch »Yoga for Future« den Begriff »enkeltauglich«.11 So könnte man das auch gut auf den Punkt bringen.

»Was geht mich das an?«, könnten Sie jetzt sagen.»Mir doch wurscht«, sagt man in Österreich.

Für Jonas ist diese Verantwortung für die Natur vergleichbar mit der Verantwortung von Eltern für ihre Kinder. Er sieht sie als eine natürliche Verantwortung, denn die Natur ist in weiten Teilen abhängig von uns, wie ein kleines Kind. Wir sind also so etwas wie ein weltweites Elternkollektiv. Der Pferdefuß der kollektiven Verantwortung ist nur leider die Freiwilligkeit. Nicht alle nehmen die Natur als von ihnen abhängig wahr und sorgen sich um sie. Viele empfinden vielleicht diese Verantwortung sogar als Zumutung und Belastung. Elternschaft für die Natur, ist das das Kuckucksei des 21. Jahrhunderts? Wozu haben wir gewählte Regierungen und hochbezahlte Expert:innen?

Dabei ist diese gegenseitige Abhängigkeit eigentlich nicht so schwer zu verstehen. Die Art und Weise, wie wir die Natur behandeln, sie schützen oder schädigen, wirkt direkt auf uns zurück. Wir interagieren mit der Natur ja mit jeder Ein- und jeder Ausatmung. Wir nehmen Sauerstoff aus der Natur auf und geben Kohlendioxid ab. Die Natur ist also eine existenzielle Partnerin von uns. Und umgekehrt ist es auch so. Unser Verhalten ist existenziell für die Natur. Ob wir Fleisch essen oder Gemüse, ins Auto steigen oder aufs Fahrrad, mit Öl oder mit Sonne heizen, jede Handlung provoziert eine Antwort der Natur.

Wenn ich also in diesem Buch über Verbundenheit schreibe, dann denke ich die Natur immer mit. Ich definiere Verbundenheit nicht nur als einen Prozess des Ankommens im eigenen Körper, im Du, im Wir, sondern auch als ein Ankommen in der Natur – im Miteinander-Sein von allem. Wir können von Hans Jonas lernen, das Prinzip Verantwortung in seiner ethischen Dimension zu erfassen und die Natur dabei immer mitzudenken.

Türler ve etiketler

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0+
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243 s. 22 illüstrasyon
ISBN:
9783864103643
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