Kitabı oku: «Elbkiller: 7 Hamburg Krimis», sayfa 10

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1. Kapitel

„Das Taxi wird gleich hier sein!“

Gerd Eggert stand vor dem Spiegel im begehbaren Schrank und band sich eine Seidenkrawatte, die Anna, seine langjährige Frau, ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Er stellte fest, dass deren Farbe nicht zum Hemd passte. Da er nur hellblaue und hellgraue Hemden trug, passte sie eigentlich zu keinem seiner Hemden. Er vermutete, dass dies genau der Grund war, weshalb er sie geschenkt bekommen hatte.

„Ich bin gleich fertig“, kam endlich die etwas unfreundliche Antwort. „Du hast es doch sonst nicht so eilig, wenn es um meine Veranstaltungen geht!“

Er band die verhasste Krawatte heute dennoch um. Sie sollte denken, dass er ihr einen Gefallen tun wollte, doch in Wirklichkeit würde er nur darauf warten, dass ihn jemand darauf ansprach. Dann könnte er erklären, dass es ein Geschenk seiner Frau war, und die Geschmacklosigkeit würde auf sie zurückfallen. Sollten ihre aufgeblasenen Freunde sich doch wundern. Ein Grinsen überzog sein Gesicht.

Gerd Eggert war Anfang fünfzig, schlank und sportlich. Er trat einen Schritt zurück und musterte sich im Spiegel. Es gefiel ihm, was er sah: Einen gut aussehenden Mann im besten Alter, grau meliertes, aber volles Haar, ebenmäßige Gesichtszüge, gut sitzender Anzug, Designerbrille. Über die grenzwertige Krawatte sah er hinweg.

Gerd Eggert war stolz auf sich und auf das, was er erreicht hatte. Er besaß ein gewisses Charisma, was für andere Politiker seiner Partei nicht selbstverständlich war. Außerdem war er ein hervorragender Redner, und so war es nicht verwunderlich, dass er es bis zum Wirtschaftssenator der Stadt Hamburg gebracht hatte. Diesen Posten besetzte er bereits seit vier Jahren, und er hatte nicht die Absicht, ihn in nächster Zeit aufzugeben. In der Partei besaß er viele Anhänger, nicht zuletzt deshalb, weil er für gute Wahlergebnisse sorgte.

Er spürte den Hauch des Parfüms, bevor Anna in Sicht kam. Sie sah wie immer hinreißend aus. Sie war nur ein Jahr jünger als er selbst, doch das hätte niemand vermutet. Sie quälte ihren Körper mit sportlichen Aktivitäten aller Art, gab ein Vermögen für Kosmetik-Artikel aus und war Dauergast eines bekannten Schönheitschirurgen.

Ihre grünen Augen musterten ihn. Beim Blick auf die Krawatte zuckte sie kurz, doch über ihr eigenes Geschenk konnte sie schlecht etwas Herabsetzendes sagen, obwohl Bemerkungen dieser Art durchaus zu ihrem Repertoire gehörten. Davon konnte Gerd Eggert ein Lied singen.

„Bis du fertig?“ Ihre Stimme klang immer noch so wie damals, als er sich als Erstes in ihre Stimme verliebt hatte, gefühlvoll, leicht rauchig und mit einer guten Portion Sexappeal.

Manchmal fragte er sich, weshalb ihre Ehe diese Entwicklung genommen hatte. Solange die Kinder noch im Haus waren, hatten die familiären Beziehungen die Entfremdung der Ehepartner überlagert. Doch seit ihre beiden Söhne außerhalb Hamburgs studierten und somit aus dem Haus waren, war die Stimmung zwischen Gerd Eggert und seiner Frau nahezu feindselig geworden. Nun, er hatte an anderer Stelle einen gewissen Ausgleich gefunden.

Nur die engeren Freunde bekamen einiges mit, aber für das gesellschaftliche Umfeld galten sie nach wie vor als glückliches Traumpaar. Immerhin spielte sie ihre Rolle als glückliche Ehefrau hervorragend, denn sie wusste, dass eine hässliche Scheidung Gift für die Wahlchancen ihres Mannes war. Sie gefiel sich durchaus als Ehefrau eines Senators.

Es klingelte.

„Das wird das Taxi sein“, sagte er. „Lass uns gehen.“

Der Senator hatte seinem Fahrer freigegeben. Er wollte nicht, dass er den ganzen Abend warten musste, um das Ehepaar einige Kilometer zu fahren. Von ihrer Villa an der Außenalster bis zur Kunsthalle war es nicht sehr weit. Die beiden Sicherheitsbeamten konnte er allerdings nicht nach Hause schicken. Sie würden mit ihrem eigenen Fahrzeug dem Taxi folgen.

Eigentlich war es der Abend seiner Frau. Als Vorsitzende ihrer Familienstiftung eröffnete sie heute eine von ihr gesponserte Ausstellung eines russischen Künstlers in der Galerie der Gegenwart, einem würfelförmigen Bau für moderne Kunst, von dessen Terrasse man einen wunderbaren Blick über die Binnenalster hatte. Er gehörte zur Hamburger Kunsthalle und lag dem Altbau genau gegenüber.

Sie bestiegen das Taxi und nannten dem Fahrer ihr Ziel. Während Gerd Eggert sich zurücklehnte, warf er einen kurzen Blick zu Anna, die neben ihm saß und stur nach vorn sah. Sie besaß eine unnahbar wirkende Schönheit, die auf viele Männer geradezu einschüchternd wirkte.

Die Stiftung ihrer Familie, deren Leitung sie vor einigen Jahren übernommen hatte, nachdem ihr Vater gestorben war, förderte vor allem moderne Kunst. Die Stiftung finanzierte Ausstellungen, vergab Stipendien an junge Künstler und kaufte gelegentlich Kunstwerke an, die dann einem der Hamburger Museen geschenkt wurden. Insofern war es keine Überraschung, dass sie ein gern gesehener Gast der einschlägigen Einrichtungen war.

In den Kreisen der Kunstinteressierten nahm sie eine wichtige Position ein. Ihr Wort brachte Künstler nach oben oder vernichtete sie. Kaum jemand wagte es, ihr Urteil zu kritisieren. Die Presse mochte sie, da sie ihre Meinung ungeschminkt zum Besten gab und immer für einen zitierfähigen Satz gut war.

Gerd Eggert hatte mit moderner Kunst nicht viel am Hut. Sein Kunstverständnis endete bei den Impressionisten. Na schön, den Expressionismus ließ er sich auch noch gefallen, vielleicht sogar Werke der Neuen Sachlichkeit, aber dann war Schluss. Er musste zwar zugeben, dass es auch in der Gegenwart bedeutende Künstler gab, aber Geld hätte er für deren Werke nicht ausgegeben. Mit seiner Kollegin, der Kultursenatorin, hatte er aus diesem Grund bei Senatssitzungen bereits einige Zusammenstöße gehabt, wenn es um die Bewilligung von Geldern ging.

Anna hatte sein Desinteresse an moderner Kunst ignoriert und ihn aus allen Angelegenheiten ihrer Stiftung herausgehalten. Dennoch erwartete sie, dass er bei offiziellen Anlässen wie bei der heutigen Ausstellungseröffnung an ihrer Seite war – genauso wie sie es im Gegenzug auch tat.

Gerd hatte einen flüchtigen Blick in den Katalog geworfen. Der junge russische Künstler, der in Berlin lebte, präsentierte vorwiegend Installationen und großformatige Fotos, die sich mit der russischen Geschichte beschäftigten. Soweit er es verstanden hatte, demonstrierten die Kunstwerke, dass sich das heutige Russland nicht allzu sehr vom Unterdrückungsregime der Zarenzeit unterschied. Eine Auffassung, die Gerd Eggert durchaus teilte, deren visuelle Umsetzung er jedoch als unbeholfen und misslungen empfand.

Das Taxi hielt. Sie waren angekommen. Die Sicherheitsbeamten stiegen vor ihnen aus und kontrollierten die Umgebung.

Der Senator seufzte. Er würde die Veranstaltung mit der nötigen Würde hinter sich bringen und versuchen, dabei eine gute Figur zu machen. Es konnte nicht schaden, auf dem einen oder anderen Pressefoto aufzutauchen.

*

Der Mann ging sehr sorgfältig vor.

Trotz seines Alters von Ende dreißig bewegte er sich wie eine Raubkatze. Seine schlanke Gestalt wirkte durchtrainiert. Die grauen Strähnen in seinen dunklen Haaren ließen ihn älter aussehen. Eine gezackte Narbe an der linken Wange trug ebenfalls dazu bei. Seine Kleidung war unauffällig wie seine ganze Erscheinung. Auf der Straße ging er leicht gebeugt und etwas schlurfend. Niemand würde einen zweiten Blick auf ihn werfen. Genau das war seine Absicht.

Als Erstes prüfte er den Sitz seiner Handschuhe, um dann den Schreibtisch in Längsrichtung vor das Fenster zu rücken. Danach vergewisserte er sich als gründlicher Mensch ein weiteres Mal davon, dass er das „Bitte-nicht-stören“-Schild so aufgehängt hatte, dass es nicht herunterfallen konnte. Es wäre fatal, wenn ausgerechnet jetzt ein Zimmermädchen klopfen würde, um das Bett aufzuschlagen und ein Stück Schokolade auf das Kopfkissen zu legen, wie es in Hotels dieser Kategorie üblich war.

Er hatte ohnehin nicht die Absicht, hier die Nacht zu verbringen, obwohl er dafür im Voraus bezahlt hatte. Die Folie, die er auf dem Teppichboden und über dem Schreibtisch ausgebreitet hatte und die er wieder mitnehmen würde, knisterte unter seinen Füßen, als er die zwei Schritte zum Bett machte.

Der Mann zog den Reißverschluss seiner großen Sporttasche auf und entnahm ihr das obenauf liegende Stativ, das er an der genau richtigen Position auf dem Schreibtisch platzierte.

Anschließend hob er das in Folie eingepackte Gewehr aus der Tasche, legte es auf das Bett und zog vorsichtig die Folie auseinander. Die zerlegten Teile der Waffe waren einzeln verpackt. Er baute alles zusammen. Mit seiner jahrelangen Erfahrung hätte er das auch blind tun können, doch er achtete genau darauf, dass alle Teile präzise und in der richtigen Reihenfolge ihren Platz fanden. Leichtsinnige Fehler waren in seiner Welt nicht vorgesehen.

Die heutige Aufgabe würde nicht leicht sein. Glücklicherweise war die Sicht gut. Es war hell genug, und es herrschte kaum Wind. Die Bedingungen waren also nahezu perfekt. Andererseits war das Ziel sehr weit entfernt. Doch er hatte schon unter schwierigeren Bedingungen gearbeitet.

Schließlich war alles aufgebaut. Der Mann betrachtete sein Werk. Auf dem Stativ ruhte jetzt ein Dragunow-Scharfschützengewehr vom Typ SWD-K, wie es vom russischen Militär verwendet wurde. Das übliche PSO-Zielfernrohr hatte er durch ein präziseres und sehr viel teureres Gerät von Bushnell ersetzt. Das Magazin mit den Patronen vom Kaliber 9,3 x 64 mm war eingesetzt. Auf der Mündung steckte der Schalldämpfer. Er überlegte kurz, ob die Treffsicherheit wesentlich davon beeinflusst werden könnte. Schließlich war es ein Schuss über eine lange Distanz, zwischen sechshundert und siebenhundert Metern.

Er nahm den Laser-Entfernungsmesser in die Hand. Gleich würde er es genau wissen. Das Dragunow war sicher nicht das beste Scharfschützengewehr der Welt, doch es war zuverlässig und würde mit dieser Distanz zurechtkommen.

Er maß die genaue Entfernung und stellte einige Berechnungen an. Das Geschoss würde eine Anfangsgeschwindigkeit von etwa achthundert Metern in der Sekunde besitzen und war damit mehr als doppelt so schnell wie der Schall. Bis zum Ziel würde es fast eine Sekunde dauern. Er hoffte, dass sein Ziel sich in dieser kurzen Zeitspanne nicht bewegte. Er hatte sehr genaue Instruktionen erhalten, wie er dabei vorgehen sollte.

Dazu gehörte es auch, einige Gegenstände in dem Hotelzimmer zu platzieren. Er griff wieder in seine Tasche und zog eine halbvolle Wodkaflasche heraus, die er unter das Bett rollen ließ. Eine zerdrückte leere Packung einer billigen russischen Zigarettenmarke ließ er in den Papierkorb fallen. Schließlich faltete er eine Zeitung auseinander und legte sie so wieder zusammen, als hätte jemand im Innenteil gelesen. Die Zeitung kam auf den Nachttisch. Kritisch betrachtete er sein Werk und nickte. Alles richtig!

Die Idee seines Auftraggebers, eine falsche Spur zu legen, war schließlich auch in seinem Sinn.

Als Nächstes richtete der Mann das Gewehr auf die Zielposition aus und legte die schalldämpfenden Ohrschützer auf die Schreibtischplatte. Das Fenster würde er erst kurz vor dem Schuss öffnen, um keine vorzeitige Aufmerksamkeit zu erregen. Er war sicher, dass aufgrund der großen Entfernung niemand in der Nähe seiner Zielperson wissen würde, woher der Schuss gekommen war. Vermutlich würden sie ihn daher und wegen des Schalldämpfers nicht einmal hören.

Es würde einige Zeit dauern, bis die Sicherheitsbehörden herausfinden würden, von wo genau der tödliche Schuss gekommen war. Er brauchte diese Zeitspanne unbedingt, um aufzuräumen und danach ungesehen zu verschwinden.

Doch jetzt musste er warten, bis sein Ziel in Sicht kam. Er setzte sich auf die Bettkante und begann mit seinen Meditationsübungen, die ihm die nötige Konzentration für seine Aufgabe verschaffen sollte. Er versank in fast völlige Bewegungslosigkeit.

*

Senator Gerd Eggert stieg mit seiner Frau und in geringem Abstand von seinen beiden Sicherheitsbeamten gefolgt, die Treppe zu der großen Plattform hoch, die sich zwischen dem Altbau der Kunsthalle und der Galerie der Gegenwart befand. Die ebene Fläche, normalerweise ein Tummelplatz für vorwiegend jüngere Besucher, war heute gesperrt, da auf der Treppe zum Altbau eine erste Begrüßung der Gäste erfolgen sollte, bevor sich dann alle ins Innere begaben, um diverse Ansprachen sowie Häppchen und Getränke genießen zu können. Gerd Eggert schwor sich, diesmal den Wein nicht anzurühren, von dem er immer Sodbrennen bekam.

Auf der Treppe hatten sich bereits zahlreiche Menschen versammelt. Ein einsames Mikrofon auf einem Ständer verriet, dass hier gleich jemand reden würde. Gerd Eggert war glücklich, dass er heute nicht gefragt war und nur als Staffage für seine Frau diente.

Es ist ein russischer Künstler, dachte er. Vielleicht haben sie ein paar Flaschen Wodka kalt gestellt.

Dem allgemeinen Händeschütteln konnte er sich nicht entziehen. Der Künstler wurde ihm vorgestellt, doch den Namen vergaß er gleich wieder. Er entdeckte die TV-Kamera eines örtlichen Senders und wandte ihr aus alter Gewohnheit sofort seine fotogene Seite zu. Seine Frau hatte das kleine Manöver bemerkt und kräuselte verächtlich den Mund.

Dann bemerkte er den Mann, der eben die Treppe hochstieg. Der hatte ihm gerade noch gefehlt! Seine Stimmung sank sofort auf einen Tiefpunkt.

Doktor Werner Larsen war ihm zutiefst zuwider. Es handelte sich um einen gut aussehenden, jüngeren Mann von Mitte dreißig, immer modisch gekleidet und immer leicht grinsend, als sei seine gute Laune im Gesicht festgefroren. Er galt ebenfalls als einer der großen Kunstmäzene der Stadt, wurde vom Kunstbetrieb hofiert und umgab sich gern mit aufstrebenden Künstlern.

Seine Frau schätzte ihn, was Gerd Eggert am meisten ärgerte.

Schon standen die beiden wieder zusammen und tuschelten miteinander. Der Senator trat näher und wurde sofort von Larsens falschem Lächeln begrüßt.

„Hallo, Herr Senator! Schön, dass wir uns bei dieser Gelegenheit wiedersehen. Ich habe Ihrer Frau gerade gesagt, welchen Spürsinn sie bewiesen hat, diesen außergewöhnlichen Künstler für unsere Stadt zu entdecken.“

Eggert knurrte etwas Unverständliches und drehte sich um, als jemand an das Mikrofon klopfte. Der Direktor, der die Gäste kurz begrüßen wollte, bevor sich die Menge in die Ausstellungsräume drängte, war nach vorn getreten.

Der junge russische Künstler stand neben dem Mikrofon. Trotz der warmen Witterung trug er eine Wollmütze auf dem Kopf. Seine etwas abgewetzte Kleidung wirkte künstlerisch, schien aber nicht so recht in das Umfeld zu passen. Der Senator, seine Frau und Dr. Larsen bauten sich schräg hinter dem Mikrofon auf, wie sie es von vergleichbaren Veranstaltungen gewohnt waren. Anna Eggert betrachte den neben dem Direktor stehenden jungen Mann mit Wohlgefallen.

Der Senator wiederum stand ziemlich dicht hinter dem Russen, den er um einen Kopf überragte. Etwa einen Meter entfernt hatte sich Larsen positioniert. Alle standen so, dass sie von der Fernsehkamera erfasst wurden.

Kaum hatte der Direktor den ersten Satz ausgesprochen, wirbelte der Künstler um seine eigene Achse und stieß einen lauten Schmerzensschrei aus. Gleichzeitig wurde Senator Gerd Eggert nach hinten geschleudert und fiel mit einer halben Drehung auf die oberste Treppenstufe, wo er regungslos liegenblieb.

Die Sicherheitsbeamten reagierten als Erste. Einer beugte sich über den Senator, als wollte er ihn abschirmen, der andere sicherte mit gezogener Waffe in geduckter Haltung den am Boden Liegenden und ließ seine Blicke kreisen, um den Schützen auszumachen. Auch wenn er den Schuss nicht gehört hatte, wusste er instinktiv sofort, was geschehen war.

Inzwischen hatten auch andere Leute mitbekommen, dass hier etwas nicht stimmte. Rufe und Schreie erklangen, die Menge wogte hin und her, als könne sie sich nicht entscheiden, in welche Richtung sie fliehen sollte.

Einer der Beamten sprach hektisch in sein Sprechfunkgerät, der andere kümmerte sich um den Senator. Nach kurzer Zeit warf er seinem Kollegen einen Blick zu und schüttelte den Kopf.

Der russische Künstler saß völlig verstört auf der Treppe und hielt sich seinen linken Arm. Er starrte auf den dunklen Fleck, der sich auf seiner Jacke immer stärker ausbreitete, dann fiel er ohnmächtig auf die Seite.

Anna Eggert schien noch nicht begriffen zu haben, was passiert war. Sie starrte aus zwei Metern Entfernung fassungslos auf ihren Mann, dann zuckte ihr Blick zu dem Künstler. Erst jetzt stieß sie einen gequälten Schrei aus.

Werner Larsen, der dicht neben ihr stand, legte seine Hand auf ihre Schulter und flüsterte ihr etwas zu.

„Nicht jetzt!“, zischte sie und schüttelte die Hand ab.

Niemand hatte das kleine Intermezzo mitbekommen, nun ja, fast niemand.

Eine erste Sirene erklang in der Ferne.

*

Der Mann hinter dem Fenster löste sich vom Okular des Zielfernrohrs und richtete sich aus seiner Schussposition auf.

Nur ein Schuss – und er war perfekt gewesen!

Er warf einen bedauernden Blick auf das Dragunow-Gewehr, doch er würde es zurücklassen müssen. Allerdings ließ er das Magazin mit den restlichen Patronen herausgleiten und suchte dann die Hülse der verschossenen Patrone. Beides verschwand in seiner Tasche.

Er schloss die Fensterflügel und zog die Vorhänge zu. In den Raum fiel nur noch gedämpftes Licht. Anschließend faltete er die ausgebreitete Folie zusammen und verstaute sie ebenfalls in seiner Tasche.

Er überprüfte mit einem Rundblick das hinterlassene Arrangement. Es war alles so, wie es sein sollte.

Er nahm seine Tasche und ging zur Tür. Bevor er den Raum verließ, drehte er sich doch noch einmal um und ging zu seinem Gewehr zurück.

Mit einem oft geübten Griff löste er das Zielfernrohr von der Befestigungsschiene und legte es ebenfalls in die Tasche.

Das Gerät war einfach zu teuer, um es zurückzulassen!

Erst auf dem Gang vor dem Zimmer zog er seine Handschuhe aus, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war. Er würde das Hotel durch die Tiefgarage verlassen, und auf dem Weg dorthin brauchte er nichts mehr anzufassen.

Ein vergnügtes Lächeln zog über sein Gesicht.

2. Kapitel

Hauptkommissar Cornelius Brock hatte sich auf den Abend gefreut. Nachdem er fast den ganze Tag mit Papierkram zugebracht hatte, eine Tätigkeit, die er nicht besonders schätzte, hatte er jetzt die Absicht, die nächsten Stunden ganz allein zu verbringen – ohne jede Verpflichtung, ohne Besuch von Freunden, ohne jede sonstige Störung.

Sein letzter Fall war nicht gut ausgegangen. Sie hatten den Entführer und Vergewaltiger zwar gefasst, doch er hatte seinem Opfer vorher schwere Verletzungen zugefügt. Es würde lange dauern, bis die junge Frau wieder ein normales Leben führen konnte.

Cornelius Brock zeigte nach außen hin eine harte Kante, wie es in seinem Beruf auch nötig war, doch in seinem Inneren war er ein sehr mitfühlender und sensibler Mensch. Er litt unter dem, was er täglich sehen musste. Was sich Menschen gegenseitig antaten. Es war an der Zeit, wieder auf andere Gedanken zu kommen.

Aus seiner umfangreichen Sammlung von Schallplatten, hauptsächlich bestehend aus Jazzmusik und Swing, zog er eine Scheibe von Glenn Miller, dessen unverwechselbare Musik er zum Entspannen sehr schätzte. Er war der Überzeugung, dass der Sound einer Schallplatte durch keinen modernen Tonträger ersetzt werden konnte.

Er öffnete den Deckel seines futuristisch aussenden Plattenspielers, der ihn fast ein Monatsgehalt gekostet hatte, und legte vorsichtig die Platte auf den Teller.

Das Telefon klingelte!

Er zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen, schob die Platte zurück in ihre Hülle, hob den Hörer auf und meldete sich mit einem unverständlichen Knurren.

„Eingang Kunsthalle! Sofort!“ Das war Birgit Kollmann, seine direkte Vorgesetzte, Erste Hauptkommissarin und Leiterin der Abteilung, die in der Öffentlichkeit nicht ganz korrekt als Mordkommission bezeichnet wurde.

„Du weißt, wie spät es ist?“, erkundigte sich Brock.

„Ist mir egal! Beeil’ dich, ein Streifenwagen ist unterwegs und wird gleich vor deiner Haustür stehen. Einige der hohen Tiere werden auch am Tatort sein. Ich fürchte, wir haben eine Krise.“

Ohne ein weiteres Wort brach sie das Gespräch ab. Brock blickte nachdenklich auf den Hörer in seiner Hand, bis er ihn sanft auflegte. Er betrachtete die Flasche mit dem teuren Single Malt Whisky, den er bereitgestellt hatte, und fluchte erneut leise vor sich hin.

Dann zog er seine leichte Lederjacke wieder an und verließ seine Wohnung in der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses in der Alsterdorfer Straße. Nach der Scheidung war seine Frau ausgezogen, er hatte die Wohnung behalten und verstand sich gut mit den Eigentümern, einem älteren Ehepaar, das im Erdgeschoss wohnte. Der größte Vorteil der Wohnung war, dass sein Arbeitsplatz im Polizeipräsidium nur wenige Autominuten entfernt war.

Die beiden Streifenbeamten, die ihn hinten einsteigen ließen, erkannten sofort, dass er nicht zu belanglosen Gesprächen aufgelegt war. Die Fahrt in die Innenstadt dauerte lange, und das Martinshorn musste mehrere Male betätigt werden.

Sie setzten ihn an der Bushaltestelle vor der Kunsthalle ab, und auch Brock musste die Treppe emporsteigen, die vor ihm schon Senator Eggert mit seiner Frau genommen hatte. Oben angekommen, musterte er die Szene, die sich ihm bot.

Zahlreiche gut gekleidete Menschen drängten sich hinter einem Flatterband der Polizei. Einige Streifenpolizisten versuchten, die Menge auf Distanz zu halten. Die breite Treppe, die zum Eingang der Kunsthalle führte, war zusätzlich abgesperrt. Als Erstes sah er das am Boden liegende Mikrofon, weiter oben auf der Treppe lag ein Körper halb auf der Seite, offensichtlich das Opfer. Blutrinnsale hatten ihre Spuren auf den Stufen hinterlassen.

Ein paar Meter entfernt saß ein jüngerer Mann mit einer Wollmütze auf dem Kopf auf einer der Stufen, einen dicken Verband um den linken Arm. Ein Sanitäter kümmerte sich um ihn und redete auf ihn ein. Ein weiteres Opfer? Hatte es mehrere Schüsse gegeben? Eine Messerattacke?

Dann bemerkte er auf der anderen Seite der Treppe eine Fernsehkamera sowie einige Fotoreporter. Alle waren mit ihren Aufnahmen beschäftigt. Auf Brocks Stirn zeigte sich eine Zornesfalte.

Wieso war die Presse schon vor ihm hier?

Etwas abseits stand eine Personengruppe, die ihre Blicke auf das am Boden liegende Opfer gerichtet hatte. Er erkannte Birgit Kollmann, die sich in diesem Moment umdrehte und ihn nach kurzem Zögern heranwinkte.

Brock drängte sich durch die Menge. Ein Uniformierter, der ihn offenbar erkannte, hob das Flatterband hoch, sodass er die Absperrung passieren konnte.

Neben Birgit Kollmann entdeckte er den Vizepräsidenten der Hamburger Polizei, der sich angeregt mit einem anderen Mann unterhielt, den er nicht kannte.

Seine Chefin kam ihm zwei Schritte entgegen. „Das wird eine ganz wichtige Sache“, sagte sie aufgeregt.

„Guten Abend erst mal“, entgegnete Brock. „Wieso bist du schon vor mir da?“

Sie blickte zu der Gruppe mit dem Vizepräsidenten. „Er hat mich eingeladen mitzukommen.“

„Der alte …?“

„Sei vorsichtig, was du sagst!“, unterbrach sie ihn.

Brock kannte Birgit Kollmann schon lange. Sie war ebenso alt wie er, nämlich vierzig Jahre, hatte ihre Karriere aber irgendwann an ihm vorbeigeführt. Sie pflegten jedoch nach wie vor einen freundlichen Umgangston, der nur bei sehr offiziellen Anlässen durch eine förmliche Anrede ersetzt wurde.

Birgit besaß durchaus praktische Erfahrung, hatte ihre Ausbildung zur gleichen Zeit wie Brock absolviert und sich anschließend bei den hohen Tieren schnell beliebt gemacht. Nicht durch Speichelleckerei, wie es viele andere versuchten, sondern durch ihre Begabung, komplizierte Sachverhalte mittels Power Point-Software in anschauliche Grafiken, Tabellen und Übersichten zu verwandeln.

Ihre speziellen Präsentationen beschäftigten sich viel mit Effizienz, Kostenreduzierung und Personalplanung. Das kam oben gut an und war schon bis zum Polizei-Präsidenten vorgedrungen.

Und der Vizepräsident schien sie auch zu schätzen, dachte Brock. Nun, er hatte keinen Anspruch auf Birgit, auch wenn er sie ziemlich attraktiv fand. Doch Beziehungen an einem gemeinsamen Arbeitsplatz waren so eine Sache, wie er wusste, und er hatte nicht die Absicht, mehr aus ihrer Freundschaft zu machen.

Erst jetzt, als ihr leichter Sommermantel aufklappte, sah er ihr Chanel-Kostüm, wie er mit kundigem Blick feststellte. Sie hatte sich dezent geschminkt und eine goldene Kette mit einem Anhänger um den Hals gelegt.

„Du hast dich ganz schön in Schale geschmissen.“

Sie ließ ihren Blick über seine alte Lederjacke gleiten. „Der Vizepräsident ist Mitglied im Förderverein der Kunsthalle und hat mich gefragt, ob ich Lust hätte mitzukommen. Die Ausstellung würde sich lohnen. Ich hatte heute Abend nichts vor und habe zugesagt. Aber eigentlich geht dich das überhaupt nichts an!“

Brock grinste, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Wer ist der Tote? Ich nehme jedenfalls an, dass er tot ist.“

„Das ist unser Wirtschaftssenator Gerd Eggert. Er wurde erschossen – mit einem einzigen Schuss, den wir nicht einmal gehört haben.“

In der aufgeregt tuschelnden Menge wurde eine Gasse sichtbar, durch die ein Trupp Personen eilte, die in weiße Overalls gekleidet waren. Über die Füße hatten sie Plastiküberzüge gestreift.

„Endlich!“, rief Birgit Kollmann. „Die Spurensicherung.“

„Und Doktor Fischer. Der Pathologe ist auch dabei“, stellte Brock fest. „Dann werde ich mir mal den Toten ansehen.“

Seine Chefin hielt ihn am Ärmel fest. „Der Vizepräsident hat mich mit der Leitung der Ermittlungen beauftragt. Ich weiß, dass du von diesen Dingen sehr viel mehr verstehst als ich, doch wir müssen die Form wahren.“

Doktor Bernd Fischer grüßte nur kurz, während er an ihnen vorbeiging und sich neben den Senator kniete. Die Leute der Spurensicherung stellten einen weiträumigen Sichtschutz um den Tatort auf.

„Wer hat den Fernsehleuten eigentlich erlaubt, hier zu drehen?“, fragte Brock vorwurfsvoll.

„Die waren da, um die Ausstellungseröffnung zu dokumentieren. Wir wollten sie nicht verjagen – vor all den Menschen.“

„Wir werden auf jeden Fall das Material sicherstellen. Die haben doch sicher die Szene gefilmt, oder?“

Birgit Kollmann nickte. „Ich denke, schon.“

„Darum kann sich Spengler kümmern.“ Brock sah sich um. „Wo ist mein Assistent überhaupt? Hat ihn niemand informiert?“

Seine Chefin hob die Hand. „Dort drüben kommt er.“

Kommissaranwärter Horst Spengler atmete schwer, als er bei ihnen ankam. „Es ging leider nicht schneller.“

Brock hob die Hand. „Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit.“

Der Sichtschutz war inzwischen aufgebaut. Brock winkte einen der Uniformierten heran.

„Sie und Ihre Kollegen sollten die Personalien der Leute aufnehmen und sie dann nach Hause schicken.“

„Das haben wir gleich am Anfang gemacht. Wir hatten Gästelisten, die wir abgehakt haben. Das ging ziemlich schnell.“

„Na, schön, dann sollen sie jetzt verschwinden. Wir werden uns später mit den Zeugenaussagen befassen.“

Er grinste Birgit an. „Schließlich haben wir erstklassige professionelle Zeugen zur Verfügung.“

Er wandte sich an seinen Assistenten. „Spengler, wir brauchen einen Mitschnitt der TV-Aufzeichnung. Klären Sie das mit den Kollegen vom Fernsehen.“

Im Sichtschutz öffnete sich ein Spalt, und Fischers Kopf erschien. Er nickte ihnen zu.

„Geh’ vor“, sagte Birgit Kollmann. „Ich habe schon lange keine Leiche mehr gesehen.“

Sie betraten hintereinander durch einen schmalen Spalt den abgeschirmten Bereich. Die Spurensicherer waren in ihre Arbeit vertieft. Einer von ihnen kam auf sie zu. Brock kannte ihn: Kommissar Ritter. Der Mittvierziger sah immer aus, als hätte er gerade eine schlimme Nachricht bekommen. Doch er war ein guter Mann und erledigte seine Arbeit sehr sorgfältig. Brock setzte großes Vertrauen in ihn, und er war dankbar, dass Ritter diesen Fall nicht nur seinen Untergebenen überließ.

Sie begrüßten sich kurz, dann bekamen die Neuankömmlinge Plastikhüllen für ihre Füße verpasst. Brock zupfte seine Handschuhe aus einer Tasche. Birgit Kollmann blieb am Zugang des Tatorts stehen. Sie wollte offensichtlich nur den Beobachter spielen.

„Ein Präzisionsgewehr“, begann Ritter. „Da niemand den Schuss gehört hat, muss der Schütze aus großer Distanz geschossen haben.“

Sie stiegen zusammen auf die oberste Stufe. Von hier aus konnten sie knapp über die Oberkante des Sichtschutzes sehen.

Brock drehte sich um seine Achse. „Da gibt es nicht viele Möglichkeiten, soweit ich das überblicken kann.“

Er starrte in Richtung Binnenalster. „Eigentlich nur eine.“

Ritter nickte. „Das ist auch meine Vermutung. Wir müssen jetzt den Tatort rekonstruieren, um die genaue Richtung der tödlichen Kugel festzustellen.“

Brock sah zu den Gebäuden auf der anderen Alsterseite hinüber. „Das ist eine beträchtliche Entfernung. Ist ein präziser Treffer überhaupt möglich?“

Ritter folgte seinem Blick. „Mit einer entsprechenden Waffe ist das für einen ausgebildeten Scharfschützen kein unlösbares Problem. Es hat schon Treffer aus weit größerer Entfernung gegeben.“

„Habt ihr das Geschoss schon gefunden?“

Ritter schüttelte den Kopf. „Wir müssen die Wände absuchen. Wenn wir die Kugel haben, können wir die grobe Richtung der Schussbahn schon mal festlegen.“

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
840 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783956178269
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