Kitabı oku: «Krimi Doppelband 2232», sayfa 2
Sie stellte das Salzsieb auf den Boden und hob das Zeitungspapier mit den Gemüseabfällen vor ihren Füßen auf und knüllte es zusammen.
Die Musik wurde unterbrochen. Ein schriller Ton. »Südfunk Stuttgart, Verkehrsfunk«, sagte die Stimme des Ansagers. »Die Polizei teilt mit: Auf der A 8 Stuttgart-München, in Richtung München am Aichelberg, Stau wegen hohen Verkehrsaufkommens. Und nun ein Fahndungshinweis der Polizei: Um 12.30 Uhr ist eine Bank in Burgstetten-Erbstetten bei Ludwigsburg überfallen worden. Der Täter entkam in einem weißen BMW mit Aschaffenburger Kennzeichen. Vorsicht, Schusswaffengebrauch! Wer ein verdächtiges Fahrzeug sieht, wird gebeten, die Polizei zu verständigen.«
Der Sprecher wiederholte die Durchsage. Unterdessen räumte Inge ihre Schüsseln zusammen und stellte sie in den Hausflur, in den Schatten.
Poehlkes Mutter trat in den Garten und sagte, dass die beiden Kinder noch bei ihr spielten.
»Haben sie aufgegessen?«, fragte Inge.
»Alles.«
»Sie sollen aber nicht so lange bleiben, ich will sie zum Einkäufen mitnehmen«, sagte Inge.
Ihre Schwiegermutter nickte, dann sagte sie: »Hast g’hört, in Erbstetten ist eine Bank überfallen worden? Jetzt geht's auch schon aufm Land los mit dem Verbrechen!«
»Auf dem Land hat's immer schon Verbrechen gegeben, bloß nicht so viel wie in der Stadt«, antwortete Inge. Anders als ihre Schwiegermutter und ihr Mann, die den Dialekt der Gegend sprachen, redete sie in münsterschem Tonfall, der viel härter wirkt als das Schwäbische. Poehlkes Mutter verstand ihre Schwiegertochter manchmal wegen der anderen Mundart nicht richtig. Kopfschüttelnd ging sie um die Ecke zum rückwärtigen Eingang in ihren Teil des Hauses. Man hörte die Kinder lärmen.
Im Radio wurden Operettenmelodien angesagt. »Dein ist mein ganzes Herz«, erklang, und Inge summte mit.
Draußen auf der Straße fuhr ein Streifenwagen der Polizei mit Blaulicht in hoher Geschwindigkeit vorbei. Die Sirene sichelte kurz den Tenor nieder, der die Arie vortrug.
Dann herrschte wieder Frieden in Strümpfelbach. Mücken spielten unter der Decke, durch die offenen Fenster zog weicher Duft von blühenden Bäumen. Die Standuhr im Wohnzimmer schlug dreimal hell und dünn. Viertel vor zwei.
*
In der Polizeidirektion in Ludwigsburg war längst die Fahndungsmeldung nach dem weißen BMW mit dem Aschaffenburger Kennzeichen durchgegeben worden. Den Besatzungen der Streifenwagen waren beide Straftaten dieses Tages in Umrissen bekannt: ein Tötungsverbrechen an der Mündung der Murr und ein Bankraub in Erbstetten.
Am frühen Nachmittag wurden beide Taten noch singulär behandelt. Eine gemeinsame Klammer zwischen der Tötung des Handlungsreisenden Pfitzer und dem Raub ergab sich aber sehr bald: Ein Hubschrauber der Polizei fand auf einem asphaltierten Feldweg nahe dem Wasserbehälter »Vorderes Eck« zwischen Marbach und Erdmannshausen schon um 14 Uhr den weißen BMW 520 i mit dem Aschaffenburger Kennzeichen AB-LN 471. Niemand war im Fahrzeug oder in dessen Nähe zu sehen, die Türen waren verschlossen. Im Fußraum vor dem Beifahrersitz lag ein fünf Kilogramm schwerer Vorschlaghammer mit einem abgewetzten Griff, teilweise mit einem Edelholz ausgehaftet und mit angetrockneten Zementspritzern dicht überzogen. Die erste Überprüfung des Kennzeichens über Funk ergab, dass als Halter der siebenundvierzig Jahre alte Handelsvertreter und Ingenieur Siegfried Pfitzer aus Aschaffenburg eingetragen war, der wenige Stunden vor dem Banküberfall in der Nähe des Klärwerks Häldenmühle von einem unbekannten Täter durch einen Genickschuss praktisch hingerichtet worden war.
Die Stelle, an der Siegfried Pfitzer starb, wurde am frühen Nachmittag von der Schutzpolizei abgeriegelt, um Neugierige fernzuhalten. Von der Polizeidirektion Ludwigsburg trafen die Kriminalbeamten und Techniker ein, die sich an die Arbeit machten, den Tatbestand aufzunehmen. Zwischen der schmalen Straße, die auf dem linken Ufer der Murr folgt, und dem Flüsslein liegt ein kleines Wäldchen, in dem der Junge, der die Leiche entdeckte, gespielt hatte. Der Randstein, der die Straße begrenzt, hat etwa hundertfünfzig Meter südlich des Klärwerksgeländes eine Absenkung, die die Zufahrt auf den Randstreifen der Straße erlaubt. Von hier aus zieht sich eine breite Lichtung ungefähr zwanzig Schritt hinüber zum Ufer des Flusses. Am Rand dieser Lichtung musste sich die Tat abgespielt haben. Der Fundort der Leiche ist von der kleinen Straße her leicht einzusehen.
Auf dem gegenüberliegenden Ufer führt die Straße nach Steinheim, allerdings ist von dort der Blick durch eine Pappelallee erschwert. Von der Mündung der Murr, die von einer Brücke überspannt wird, kann man ebenfalls sehr gut auf den nur wenige hundert Meter entfernten Tatort sehen. Auf der kleinen Straße unmittelbar am Parkplatz herrscht nur geringer, aber regelmäßiger Verkehr.
Die Situation berechtigte damals zu vorsichtigem Optimismus; denn die Leiche wurde relativ kurz nach der Tat entdeckt.
Der Vorfall ereignete sich bei Tageslicht, und es war denkbar, dass Passanten oder Fahrzeuginsassen wichtige Beobachtungen gemacht hatten.
Als erste bedeutsame Spur fand man in der Nähe der Leiche eine Patronenhülse des Kalibers 9 mm. Sie roch noch frisch nach Pulverschmauch, war folglich mit großer Wahrscheinlichkeit zu dem Projektil zu rechnen, mit dem Pfitzer getötet worden war.
Den Dienstvorschriften entsprechend, wurde ein Arzt aus der Umgebung gerufen, der den Tod formal feststellte. Die Kriminalbeamten sind gehalten, den Arzt, der als erster am Tatort antrifft, zur Sicherung von Spuren um eine Blutentnahme bei der Leiche zu bitten. Je früher das Blut entnommen wird, um so sicherer wird die spätere Grundlage für die Analyse.
Der Fundort der Patronenhülse wie auch die Lage der Leiche wurden exakt fotografiert. Kleine Trupps von Technikern durchsuchten Quadratmeter um Quadratmeter im gesamten Bereich des Leichenfundorts. Sie fanden keine vielversprechenden Spuren mehr, konnten aber aufgrund der Abdrücke im Gras und auf dem Boden vermuten, dass ein Auto in der Nähe der Leiche gehalten hatte.
Da zu diesem Zeitpunkt schon der Zusammenhang mit dem Überfall in Erbstetten hergestellt und auch der BMW beschlagnahmt worden war. lag die Vermutung nahe, dass das Opfer bis unmittelbar zum Tatort gefahren war und praktisch neben dem Wagen den Tod gefunden hatte.
Den weißen BMW schleppte die Polizei zur genauen kriminaltechnischen Untersuchung nach Ludwigsburg. Am Fundort gab es nichts zu sichern. Der Asphaltweg war trocken und konservierte keine Spuren. Möglich, dass der Täter mit seinem eigenen Fahrzeug zum Wasserbehälter »Vorderes Eck« gefahren war und ihn dort verborgen hatte, um dann zum Tatort des Mordes aufzubrechen, wie – das bleibt ungeklärt. Zwischen diesen beiden Punkten liegt eine Distanz von etwas mehr als einem Kilometer Luftlinie, die genau über Marbach führt. Scheute der Täter das Risiko, mit dem Vorschlaghammer durch den Elftausend Seelen-Ort zu wandern, dann musste er das Städtchen umgehen, was nur in nördlicher Richtung sinnvoll war; dabei fand er aber offenes Feld vor, das kaum Möglichkeiten zur Deckung bot. Wenn der Hammer nicht zuvor am Tatort oder auf dem Weg zur Bank verborgen worden war, dann musste der Mann in freier Landschaft jedem auffallen.
Denkbar ist auch, dass der Täter mit dem eigenen Auto in die Nähe der Häldenmühle gefahren und nach der Tat mit der Beute zurückgekehrt war. Dafür spricht, dass er den Hammer im Auto zurückgelassen hat - er war schwer zu tragen und zudem sehr auffällig und musste nach dem Überfall als signifikantes Kennzeichen gelten, dagegen aber, dass es riskant für ihn war, mit der Beute in der Hand in die Nähe des ersten Tatorts zurückzukehren, wobei er befürchten musste, gestellt und durchsucht zu werden.
Auf keine der beiden Versionen gab es eindeutige Hinweise, zumal damals am 3. Mai noch offen war, ob der Täter nicht aus Marbach stammte, was ihm die Wege verkürzt hätte, allerdings auch das Risiko erheblich erhöht, bei einem Mord in der Nähe des Wohnorts erkannt zu werden. Nirgends fand man ein Fadenende, das man hätte aufheben können, um eine Spur weiterzuverfolgen.
Man beorderte eine Hundertschaft der Polizei mit Suchhunden in das Gelände am Lemberg. Der Lemberg liegt in östlicher Richtung vom Fundort des BMW. Auf seinem Rücken befindet sich das einzige zusammenhängende Waldgebiet in der Gegend, in dem der Täter, wenn er noch in der Nähe war, hätte Schutz finden können. Hubschrauberunterstützung wurde aufgeboten. Eine Maschine flog das Gelände systematisch und in geringer Höhe ab. Der Copilot überwachte und dirigierte die Trupps mit den Hundeführern und suchte mit einem Fernglas Baumwipfel, Wege und Lichtungen ab.
Kein Verdächtiger lief den Beamten in die Arme.
*
»Norbert, hast du das Geld?«, fragte Frau Poehlke ihren Mann, noch bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Poehlke nickte und ließ die Tür offen. Es zog, die Vorhänge wehten um die geöffneten Fenster. Die Abendkühle hatte sich nach diesem ersten, fast heißen Frühlingstag in den noch feuchten Neubau der Familie Poehlke geschlichen. Die Frau ging wortlos die Türe schließen und sah ihrem Mann nach, der in die Küche gegangen war. Als sie ihm folgte, saß er am Tisch und zählte aus einem Briefumschlag Hundertmarkscheine auf den Tisch. Er legte sie in einem Fächer auf, wie ein Kartenspiel. Inge Poehlkes Finger tippten auf jeden Schein.
»Neunhundert?«
Poehlke brummte etwas, was man als Zustimmung auslegen konnte.
»Es wird auch Zeit«, sagte seine Frau und setzte sich. Sie fegte den Fächer der Scheine zusammen, klopfte sie säuberlich auf und ordnete sie, Bild zu Bild, wie bei der Bank.
»Hast du eine Quittung schreiben müssen?«, fragte sie.
»Quittung?« Poehlke lachte kurz und verächtlich; dann sagte er, dass alles klar sei und sie sich keine Sorgen machen müsse. Wagner sei ein anständiger Kerl, der niemanden bescheiße.
»Außer der Steuer«, warf Inge dazwischen.
Poehlke zuckte mit den Achseln und erkundigte sich nach den Kindern.
»Schlafen«, antwortete seine Frau.
»Wenn ich das Geld versteuere, dann kann ich mir auch gleich damit den Hintern abwischen«, sagte er nach einer Pause. Und dann verwünschte er noch die beamtliche Nebentätigkeitserklärung, die er abzugeben gezwungen wäre, wenn man alles korrekt abwickelte. Und dass man dann den Wagner verstehen könne, der seine Pelztransporte schwarz abwickle, mit der Steuer lohne sich das nicht, sage der Wagner immer. Bargeld lacht.
»Hoff nur, dass dein Wagner kein Hehler ist«, sagte Frau Poehlke und schloss die Scheine in den Küchenschrank. Er war leuchtend gelb und mit Bauernmalerei verziert, Bestandteil einer neuen Anbauküche, die erst vor wenigen Wochen geliefert worden war. Unter den Hängeschränken sahen noch die unangeschlossenen Elektrokabel heraus.
»Und wenn er ein Hehler ist, was weiß ich«, sagte Poehlke.
»Saubere Ansichten für einen Polizeiobermeister«, spottete Inge und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihre lockigen Haare, die heute ein wenig ungepflegt wirkten. Aber Inge Poehlke hatte ein großes neues Haus und zwei Kinder zu versorgen.
Poehlke gähnte. Er war es gewohnt, dass man ihn an seinem Beruf maß, mit dem ein hohes Ethos verbunden wird. Er stand auf und holte sich eine Sprudelflasche aus dem Kühlschrank, schraubte den Deckel ab und trank einen Schluck. Dann fragte er, ob man denn die Kinder verhungern lassen solle, bloß wegen der verdammten Steuer und der verdammten Bank. Geldgierig alle beide! Seine Frau antwortete nicht. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, vor dem Spülstein, in dem sich Berge ungewaschenen Geschirrs türmten. Sie besah die eingetrockneten Speisereste und beobachtete eine Fliege, die mit dem Rüssel an einer Krume Kinderbrei saugte.
»Solange er pünktlich bezahlt, und solange es keine Schwierigkeiten gibt, isses egal«, sagte Inge. »Bloß wenn er das Geld schuldig bleibt, wie in den letzten Wochen, dann frag’ ich mich, was es soll, dass du dich dort abrackerst. Gibt er dir auch was für die Hunde? Das ist was Zusätzliches, wenn einer scharfe Diensthunde von der Polizei für einen Transport mitbringt, hast du ihn gefragt?«
»Deswegen sind’s doch neunhundert«, sagte Poehlke.
»Mit den Hunden neunhundert?«
»Für heute.«
»Und was ist für die letzten drei Male?«, fragte Inge Poehlke, und ihre Stimme wurde scharf und klar. Sie drehte sich um, sah ihm in sein rundes bärtiges Gesicht. »Er hat also immer noch nicht alles gezahlt?«
Da huschte ein Grinsen über seinen Mund, das er sofort wieder mit dem Ärmel wegwischte. Er lehnte sich zurück und sah ihr zu, wie sie sich erregte, auf Wagner zu schimpfen begann, ihre Rede mit knappen, energischen Gesten unterstrich, ein klares unerschütterliches Urteil über einen Mann fällte, den sie noch nie gesehen hatte, nur aus den kargen Berichten ihres Mannes kannte.
Erst als sie dazu überging, ihm wegen seiner notorischen Faulheit und Lethargie Vorwürfe zu machen, erst dann hob er seinen Hintern von dem neuen und unbequemen Bauernstuhl und griff in die Hosentasche seiner grünen Uniform, zog einen, noch einen und schließlich den dritten Briefumschlag heraus, zerknittert, aber alle voll mit Geld. Ohne sichtbare Gemütsrührung, aber mit einem kleinen Triumph in den Augen, warf er die Päckchen auf die rustikal geschwärzte Tischplatte, eines nach dem anderen.
Die Geldscheine waren sehr unterschiedlich sortiert. Auch ein Fünfhunderter war dabei, ebenso wie kleine Scheine, Zehner und Zwanziger. Inge Poehlke stieß sich nicht daran, zählte und sortierte erneut.
»Zweisieben, zusammen mit dem da« sie zeigte über die Schulter »dreisechs.«
»Komm, gib mir zwei Hunderter«, sagte Poehlke zu seiner Frau und streckte die Linke bittend vor.
»Nichts«, gab sie zurück; man müsse die längst überfälligen Schulden bei Freunden bezahlen. Gepumptes Geld, hier hundert, dort dreihundert, und so weiter. Außerdem sei die Lieferantenrechnung für das Hundefutter noch offen, der Händler nehme auch Bares. Mit schwarzem Geld müsse man vorsichtig sein. So was kann man nicht einfach auf der Bank einzahlen, ohne zu riskieren, dass einer irgendwann einmal komische Fragen stellt. Inge Poehlke musste es wissen. Sie war vor sechs Jahren aus dem Polizeidienst ausgeschieden, des Kindes wegen, das sie damals erwartete, so hieß es. Zuletzt hatte sie bei dem Schwerpunktdezernat für Wirtschaftsdelikte in Stuttgart gearbeitet. Der fintenreiche Umgang anderer mit unversteuertem Geld war ihr aus der Dienstzeit noch bekannt.
»Komm, einen Hunderter«, wiederholte ihr Mann und verharrte in der Haltung des Bittstellers.
Sie musterte seine Hand, dann strich ihr Blick hinüber zur Linken. Der Bund des Hemdes war weit vorgezogen. Trotzdem sah man darunter ein Pflaster. Sie fragte, was er habe.
»Nix, eine Kleinigkeit, beim Transport«, antwortete Poehlke und streckte den Arm aus, so dass man das Pflaster genau sehen konnte.
»Geh raus und füttere deine Hunde«, sagte Inge Poehlke und wandte sich wieder der Betrachtung ihres Geschirrhaufens zu.
Poehlke verließ die Küche. Aber er ging nicht hinaus zum Hundezwinger, denn die beiden Tiere waren schon versorgt. Statt dessen stieg er leise hinauf in das Obergeschoss, öffnete die Tür zum Kinderzimmer, zog sich einen der Kinderstühle heran und hockte sich zwischen die Betten seiner kleinen Söhne, die er abwechselnd ansah. Das Fenster war angeklappt, der fade Schein der Straßenlaterne drang herein und ein süßer, flüchtiger Blütenduft, den der Wind aus den Gärten und Feldern hertrug. Die Kinder schliefen unruhig und wälzten sich herum. Norbert Poehlke kauerte still auf dem unbequemen Stühlchen und starrte vor sich hin. In der Küche klapperte Geschirr. Unten wurde das Radio angeschaltet. Eine volkstümliche Melodie drang herauf: Bläser, Akkordeon und ein Pärchen als Vokalisten, die ihr Lied mit betonter Heiterkeit vortrugen, eine Klarinette jubelte dazwischen. Poehlke saß stumm da, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Kutscherhaltung.
Im Radio folgte eine Ansage, die man nicht verstehen konnte. Musik setzte ein, ein Walzer, Blasmusik. Poehlke griff in seine Gesäßtasche und zupfte noch einige Geldscheine heraus, die er unschlüssig in den Händen drehte. Er nahm das Papier zwischen die Finger, befühlte dessen glatte und gegliederte Struktur, ertastete den Sicherheitsfaden; schließlich hob er es an die Nase, roch daran, schnüffelte und witterte, dabei sah er schräg hinüber zu dem matt erleuchteten Fenster. Er ließ die Hände sinken, er hatte seine Kiefer hart zusammengebissen und die Mundwinkel heruntergezogen; schließlich zerknüllte er die Scheine und warf sie mit gewaltigem Schwung gegen die Wand, wo die Papierkugel klatschend aufkam und zurücksprang, ihm vor die Füße rollte.
Es klingelte. Poehlkes Gesichtszüge spannten sich, die dichten Augenbrauen schoben sich zusammen; er trat an die Tür, stellte sich in der typischen Position eines Lauschers an den Spalt. Er vernahm die Stimme der Gipsersfrau, deren Mann die Poehlkesche Scheune früher gepachtet hatte. Für die Auflösung des Vertrages schuldete man dem Gipser einen Abstand. Inge ließ die Frau nicht eintreten, man begrüßte sich frostig.
»Ich komm' wegen dem Abstand«, sagte die Gipserfrau, »drei Raten wären jetzt schon fällig, drei Raten zu zweihundert.«
»Wenn Sie nur nicht immer so drängen würden. Frau Kurz«, antwortete Inge. Ihre Stimme klang freundlich und überlegen. »Es ist doch alles kein Problem, wissen Sie. Haben Sie Ihr Geld auch nur einmal nicht bekommen?«
»Ja, die letzten drei Monate.«
Poehlke hörte, dass seine Frau den Flur hinunter in die Küche ging, ohne zu antworten. Der Küchenschrank klappte, dann kam sie zurück. »Hier«, sagte sie kalt.
Geldscheine raschelten, Frau Kurz zählte.
»Quittung«, sagte Inge.
»Aber sicher.«
Während die Gipserfrau den Beleg schrieb, sagte Inge, dass das Drängen doch zu nichts führte. Der Bau habe genug Geld verschlungen, aber man wisse genau, was man schulde, exakt, alles eingeteilt. Da komme jeder an die Reihe, jeder, auch die Frau Kurz mit ihrem Abstand. »Sowieso zu viel Geld, dieser Abstand«, sagte Inge und öffnete die Tür. Ein Fenster fiel zu.
»Ihr Mann hat's unterschrieben«, sagte Frau Kurz im Hinausgehen.
»Ja, mein Mann hat unterschrieben«, antwortete Inge, und das hörte sich so an, als unterschreibe Poehlke zu viel und zu unvorsichtig. Die Tür klappte ins Schloss, ohne dass eine der Frauen gegrüßt hätte. Poehlke ging zurück ins Kinderzimmer, hob die Scheine auf und strich sie auf dem Oberschenkel glatt.
*
Die regionalen Zeitungen berichteten ausführlich über die Doppeltat: Mord und Raub. In den Magazinsendungen des Süddeutschen Rundfunks schilderte ein Reporter die Verbrechen. Die Kripo hatte noch am Abend des Vortages, rechtzeitig vor Redaktionsschluss, an die Medien folgende Fragen durchgegeben: Wer hat Siegfried Pfitzer in seinem weißen BMW in der Zeit nach 10.15 Uhr im Raum Freiberg-Benningen-Marbach gesehen? War er dabei in Begleitung eines Mannes, auf den die folgende Beschreibung des Bankräubers zutrifft: etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt. schlanke Figur, etwa 1,75 bis 1,80 Meter groß, dunkelblondes, glattes Haar, gepflegte Erscheinung, mit einem dunkelblauen Anzug bekleidet?
Wer hat zur erwähnten Zeit vor dem Mord (vor 10.30 Uhr) einen Mann zu Fuß oder in einem Fahrzeug im in Frage kommenden Raum gesehen, auf den diese Beschreibung passt?
Wer hat das Auto des Opfers nach dem Mord und dem Raubüberfall mit dem flüchtenden Täter gesehen (zwischen 11 und 13 Uhr)?
Wer hat den Unbekannten später evtl. im Stadtbereich Marbach und in der Umgebung gesehen?
Wo fiel ein Mann auf mit einer Handverletzung, auf den diese Beschreibung zutreffen könnte?
Wer kennt die Herkunft des Vorschlaghammers oder vermisst einen solchen , der beim Bankraub benutzt wurde und sichergestellt werden konnte?
Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Heilbronn hatte schon am ersten Tag für Hinweise, die zur Aufklärung der Verbrechen führen, eine Belohnung von 5.000 DM ausgesetzt.
Die Bevölkerung wurde um sachdienliche Hinweise gebeten; allerdings warnte die Polizei nachdrücklich davor, dass der Täter seine Schusswaffe einsetzen könnte.
Die Kriminalpolizei bildete eine Sonderkommission. Der bisherigen Ermittlungsgruppe wurden weitere Beamte zugewiesen, so dass die Sonderkommission ihre Sollstärke von zwanzig Mann erhielt, darunter Beamte der Kriminaltechnik, zuständig für die objektiven Tatbefunde und Spuren. Der Leiter der Sonderkommission war der Kriminalhauptkommissar Plieninger aus Ludwigsburg.
Später entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, eine Sonderkommission sei alleine wegen der Besonderheit dieses Tatkomplexes schon im frühesten Stadium zusammengestellt worden. Tatsächlich bildet die Kriminalpolizei bei jedem Kapitalverbrechen eine solche Gruppe besonders befähigter und spezialisierter Mitarbeiter, um schnellstens handeln zu können, denn die Erfahrung zeigt, dass die Aufklärungsquote mit dem zeitlichen Abstand zur Tat sinkt. Der Täter soll keine Gelegenheit haben, sich unbemerkt abzusetzen und seine Spuren zu verwischen.
Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestand darin, dass die beiden miteinander in Verbindung stehenden Verbrechen in unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen der Polizei verübt worden waren. Dieser Umstand sollte im Lauf der Ermittlungen eine erhebliche Bedeutung für die Fahnder bekommen. Siegfried Pfitzer wurde im Bereich der Polizeidirektion Ludwigsburg getötet; der Banküberfall fand im Bereich der Polizeidirektion Rems-Murr-Kreis statt. Deshalb setzte sich die Sonderkommission schon von Anfang an aus Beamten beider Dienststellen zusammen.
Mit Hochdruck wurde auch an der Spurensicherung im weißen BMW gearbeitet; erste Ergebnisse trafen bei der Sonderkommission ein. Die Techniker entdeckten einen Blutwischer, einen kaum wahrnehmbaren Film auf dem Lenkrad des Fahrzeugs. Die Probe befand sich schon auf dem Weg zur Blutgruppenanalyse, genauso wie ein blutiges Pflaster, das man auf dem Sitz gefunden hatte.
Der BMW stand hochgebockt in einer Halle, von Scheinwerfern taghell ausgeleuchtet. Zentimeter um Zentimeter arbeiteten sich die Spurensicherer vor und konservierten alles, was ihnen auch nur im entferntesten wichtig erschien. Gegenstände mit glatter Oberfläche wurden gepudert und auf Fingerspuren untersucht.
*
»Spring!« sagte Poehlke zu seinen beiden Schäferhunden. Die Klappe seines Mercedes-Kombi hielt er mit der linken Hand hoch, die Tiere sprangen federnd auf den Boden und sahen ihren Herren an, sie erwarteten die nächsten Befehle.
»Sitz!«, sagte Poehlke, die Hunde folgten, und er schloss sein Auto ab. Vom Schießstand ballerten Schüsse herüber. Die Hunde bewegten sich nicht. Poehlke knöpfte behäbig seine Uniformjacke zu und setzte die Schirmmütze auf. Er zog sie wie immer ein wenig schräg ins Gesicht, sah dann an sich herunter. Zwischen den Knöpfen des Uniformrocks bildeten sich Falten, sein Bauchfleisch spannte unter dem Stoff. Er schob das Koppel mit dem Pistolenhalfter zurecht und setzte sich in Bewegung. Die Hunde folgten auf seinen Zuruf.
Er hatte sich zum Übungsschießen zu melden. Er war ein wenig zu spät dran, doch das war nicht von Bedeutung, denn die Kollegen warteten bei der Aufsicht, um die genau abgezählten Patronen in Empfang zu nehmen und zu quittieren, bevor sie in den vorderen Schießstandbereich traten, um dort ihre Waffen aus dem Halfter zu nehmen. Poehlke reihte sich mit seinen Hunden ein. Die Tiere verhielten sich ruhig, schnüffelten und beobachteten einander mit gestellten Lauschern. Sie kannten sich untereinander am Geruch und an den Bewegungen, trotzdem gab es hier und da Beißereien, besonders dann, wenn sie auf engem Raum gehalten wurden. Der Stress der Schussgeräusche war für die empfindlichen Ohren der Schäferhunde aufpeitschend. Alle hatten den Fang geöffnet und hechelten mit heraushängender rosa Zunge.
Die Reihe der Uniformierten rückte vor. Am Tisch der Munitionsausgabe saß ein alter Polizeiobermeister, der schon seit Menschengedenken auf dem Schießstand Dienst tat; er war unabsetzbar, konnte sich deshalb viel erlauben. Zu Poehlkes Vordermann sagte er: »Ernst komm her, zeig mir die Pistol', hasch se noch net verkauft, Schuldensäckel?«
Die Polizisten in der Reihe lachten. Jeder wusste, dass der Ernst gebaut hatte und kaum noch was zum Beißen übrig war, seit vor zwei Jahren die Zinsen so gestiegen waren und die Zwischenfinanzierung bis zur Zuteilung des Bausparvertrages alles auffraß, was vorhanden war. Sie lachten, weil fast jeder dieser Beamten, alle zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, gebaut hatte, wie man so sagt; einige wenige hatten eine Eigentumswohnung erstanden, die Mehrzahl ein Reihenhaus in Nachbarschaftshilfe hochgezogen. Doch keiner jammerte so wie der Ernst, dabei gab es schlimmere Fälle als ihn, dessen Frau als Abteilungsleiterin in einem Supermarkt arbeitete.
Der alte Obermeister zählte die Patronen aus der Pappschachtel ab und ließ sie über die Holzplatte des wettergegerbten Tisches kullern.
Ernst, der mit Gelassenheit den Spott über sich ergehen ließ, zog die Pistole und legte sie vor den alten Kollegen. Der nahm sie, registrierte die Seriennummer der Waffe, verglich sie mit der Eintragung in der Liste, die den Namen des Beamten enthielt, dem sie zur dienstlichen Verfügung stand. Weil es den Polizisten erlaubt ist, nach Dienstschluss die Pistole mit nach Hause zu nehmen, wurden anlässlich der Schießübungen, die selten genug auf dem Dienstplan standen, die Nummern der Waffen überprüft.
»Ausnahmsweise in Ordnung«, sagte der Alte und schnickte die Pistole über den Tisch, so dass sie beinahe auf den Boden gefallen wäre, hätte der Polizeimeister Ernst sie nicht mit Geschick aufgefangen. Sein Hund hob den Kopf und legte die Ohren an. Als sein Herr ihm ein Kommando gab, folgte er.
Poehlke war an der Reihe.
»So, der Poehlke«, brummte der Alte.
Er erhielt keine Antwort, sah noch nicht einmal hoch beim Zählen und Nummernkontrollieren. Dann drehte er wie ein alter Vogel den Kopf auf die Seite und sagte zu den Wartenden: »Der Schützenkönig kriegt doppelte Munition!« Ein meckerndes Lachen folgte, er warf den Kopf in den Nacken, brach ab und sah den Hundeführern zu, wie sie, in einer unregelmäßigen Reihe stehend, zwei davon mit den Händen in der Tasche, Poehlke grinsend beobachteten, wie er mit den Augen die Patronen auf dem Tisch, die für ihn bestimmt waren, abzählte und dann mit ruhiger Hand die Hälfte wieder zurückschob. Die Abrechnung bei scharfer Munition war sehr genau, aus Tradition. Dann zog er den Block der Schießaufsicht herüber und quittierte den korrekten Empfang. Seine Pistole stopfte er zurück in das Futteral. Ein kurzer Ruf, und die beiden Hunde erhoben sich und folgten ihm am Fuß in die Wartestellung, unmittelbar vor den Schützenständen.
Lade- und Feuerkommandos waren zu hören. Eine Schießscheibe, die schwarz die Silhouette eines Menschen mit Kopf, angelegten Armen und Beinen zeigt, wird für fünf Sekunden aufgeklappt, dann fallen die Schüsse. Die Hunde der Schützen müssen möglichst regungslos danebenstehen und dürfen keinesfalls fliehen oder nervös werden. Die meisten halten es tapfer durch, auch wenn die Flanken beben und der Atem der Tiere hechelnd geht.
Die erste Gruppe ging nach vorne, um das Schießergebnis auszuwerten und die Löcher in den Scheiben zu überkleben. Endlich konnte Poehlkes Gruppe nachziehen. Die Beamten setzten sich in einer Reihe in Marsch, Poehlke als letzter, vor ihm Ernst. Kurz vor dem Einbiegen in die Schützenstände beobachtete Poehlke, wie seinem Vordermann eine der empfangenen Patronen aus der Hand fiel und in den Sand rollte. Poehlke ging weiter, ohne ein Anzeichen dafür zu geben, dass er den Vorgang registriert hatte, ohne Ernst auf den Verlust aufmerksam zu machen. Vorne mussten sie neben schmale Tische treten und sich bei der Schießaufsicht melden, dann kamen die Patronen auf den Tisch, kullerten harmlos herum, klein und rundlich und dick. Kaliber 9 mm, Kupferhülse und Bleimantelgeschoss, das harmlos weich und grau aussah.
»Laden!«, lautete das Kommando. Die Hunde hatten zu sitzen und stellten die Ohren.
»Stopp!« rief die schießaufsicht beim Polizeimeister Ernst, »es fehlt eine Patrone.«
»Stopfen!«, sagte der Schießleiter; keiner durfte mit dem Laden fortfahren. Die Pistolen der fünf Schützen klackerten auf die Holztische, dann folgten die Magazine der Waffen. Der Schießleiter trat an den Tisch, an dem der Kollege mit erhobenem Arm saß, um die Unregelmäßigkeit anzuzeigen.
Elf Patronen lagen nebeneinander, eine fehlte. Der Schießleiter, ein junger Oberkommissar, drehte sich herum und rief zum Alten herüber, ob der Ernst denn seine zwölf Patronen bekommen habe.
»Ja«, schrie der zurück, vielleicht habe der Ernst eine unterwegs zu Geld gemacht. Er war der einzige, der lachte.
»Kann doch nicht sein«, sagte der Schießleiter. »Haste eine verloren?«
Ernst sah sich um, als könne er von seinem Platz aus die Wegstrecke genau kontrollieren. Er zuckte mit den Schultern.
»Scheiße«, sagte der Kommissar, denn der Verlust einer Patrone, die nicht verfeuert wird, muss schnellstens aufgeklärt werden. Beim Umgang mit scharfer Munition wird schärfste Disziplin verlangt. Das weiß jeder Polizist. Alte Hasen haben für solche Fälle immer eine oder zwei Patronen in der Tasche, um sie gegebenenfalls nachschieben zu können. Keiner will Ärger bekommen. Es ist nichts leichter als der schnelle Ersatz aus dem Hosensack, denn die 9 mm-Munition gibt’s in Waffengeschäften. Wer von den Polizisten hat nicht schon seine privaten Zielübungen gemacht? Sonntag mittags. Frau und Kind mit vor Bewunderung aufgerissenen Augen daneben, wenn es so richtig kernig knallt und die Blechbüchsen klappernd von der Mauerkrone fallen und die Querschläger jaulen.