Kitabı oku: «Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis», sayfa 8
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Lenny Burkhart konnte wegen der Ermordung von Dennis Brother und Clark Latham nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Obwohl es ein Dutzend Hinweise auf seine mutmaßliche Täterschaft gab, war kein Zeuge bereit, die Anklage zu stützen.
Lenny Burkhart fand kaum Zeit, sich seines Triumphes zu erfreuen. Eine Woche später wurde er das Opfer einer Messerstecherei, weil man ihn verdächtigt hatte, beim Pokern mit gezinkten Karten gespielt zu haben. Die Summe, um die es ging, betrug neun Dollar.
Das Correggio-Syndikat wurde nahtlos weitergeführt. Die Großfamilie der Mafia sorgte auf diskrete, sehr effiziente Weise für eine Neuverteilung der Bezirke und Interessen, das .Personal' wurde übernommen.
Leslie Harper zeigte sich bereit, gegen Joyce Finch auszusagen und Konstantin Andreous trug es mit Fassung, ein Opfer dieser Aussage zu werden.
Joyce Finch wurde im Gefängnis zur grauen Maus, zu einem verbitterten, von ihren Mitgefangenen gemiedenen Wesen, das nicht verwinden konnte, ihre glänzende Mittelpunktrolle verloren zu haben.
James Thorpe blieb, was er immer gewesen war: der tüchtige Bankmanager, der um seine Verantwortung wusste und bereit war, sie auszudehnen.
Vier Monate nach Jessicas Tod heiratete er ein junges, schönes Mädchen aus gutem Hause und schwor sich, sie glücklich zu machen.
Seine Freunde behaupten, er sei damit gescheitert, jedenfalls begann seine enttäuschte, attraktive Frau schon bald, sich nach Zerstreuung umzusehen.
James Thorpe versucht, diese Tatsache zu ignorieren, aber er befürchtet, eines Tages wieder die Dienste von Bount Reiniger in Anspruch nehmen zu müssen.
ENDE
Anita Berber - eine Todesgöttin?
Krimi von Tomos Forrest
Fräulein Dr. Dorothee Keller & Thomas E. Faust ermitteln
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Klappentext:
Das hat es in der langen Familiengeschichte der Fausts noch nicht gegeben: Seit dem 19. Jahrhundert werden die männlichen Mitglieder Polizisten in Braunschweig und es war der erste Thomas Faust, der zusammen mit Sherlock Holmes einen hochpolitischen Fall löste und auch den Mordanschlag auf den Fußballpionier Konrad Koch aufdeckte. Jetzt, in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts, sind drei dieser Namensträger noch aktiv. Da ist zum einen der Großvater, der, fast hundertjährig, noch regen Anteil an den Verbrechen seiner Heimatstadt nimmt sowie der ehemalige Polizeipräsident und dessen aktiver Sohn Thomas E. Faust.
Die aus Chicago nach Braunschweig übergesiedelte Dr. Dorothee Keller verblüfft jedoch alle Generationen nicht nur mit ihren außergewöhnlichen Methoden und ihrem Wissen bei der Aufklärung von Verbrechen. Man stelle sich vor: Eine Frau mit einem Bubikopf-Haarschnitt und in Hosen!
Und gemeinsam machen sie sich daran, einen in aller Öffentlichkeit verübten Mord aufzuklären ...
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Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© Roman by Author
© Cover: Kathrin Peschel, 2021
Lektorat/Korrektorat: Kerstin Peschel
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
1.
Der junge Polizeiagent Thomas Edward Faust sprang die steinernen Treppen im Polizeipräsidium hinunter, und zwei ältere Polizisten in Uniform, die ihm entgegenkamen, schüttelten nur die Köpfe, kaum dass er mit einem fröhlichen Gruß an ihnen vorüber war.
„Kennst du den?“, erkundigte sich der eine, ein rotgesichtiger, etwas korpulenter Wachtmeister, der vom Treppensteigen bereits hörbar außer Atem gekommen war. Er blieb auf dem Absatz stehen, um tief Luft zu holen.
„Natürlich!“, antwortete der andere, der optisch das genaue Gegenteil seines Kameraden war, lang und dürr und mit einem geradezu wachsbleichen Gesicht, in dem der schwarze Schnurrbart wie ein Fremdkörper unter der Nase hing. „Das war der junge Faust, der neulich Aufsehen erregte, als er die Bande mit den Falschmünzern auffliegen ließ!“
„Der ist das?“, stöhnte der andere und beugte sich etwas über das Treppengitter, um noch einen Blick auf den Beamten zu werfen. „Und das ist der Sohn des alten Faust – oder ist der Name nur ein Zufall?“
Der Hagere schüttelte lächelnd den Kopf. „Wen bezeichnest du als den ‚alten‘ Faust? Sein Vater steht kurz vor der Pensionierung, aber sein legendärer Großvater lebt auch noch, ist aber schon fast einhundert Jahre! Verwechselst du die beiden vielleicht?“
Der Rotgesichtige machte eine Abwehrbewegung mit der rechten Hand.
„Mach mich doch nicht irre, Kollege! Ich werde doch wohl den ehemaligen Polizeipräsidenten meinen, der trotz seines hohen Alters immer mal wieder bei uns in der Münzstraße hereinschaut. Ich meine natürlich den Vater, der so zahlreichen Halunken das Handwerk gelegt hat! So alt, dass ich den Großvater noch erlebt habe, bin ich nun auch nicht. Aber dass die Erstgeborenen in der Familie auch alle den Vornamen Thomas bekommen – das ist doch eine Masche!“
„Ja, hat aber seine Bedeutung. Unser ehemaliger Präsident war doch in den Fall verwickelt, in dem sogar Bismarck ...“ Der korpulente Wachtmeister zog die Augenbrauen hoch und verstummte. Aber der Blick, den er seinem Kollegen zuwarf, sprach Bände. Und der Hagere nickte sofort zu den Worten und grinste dabei über das ganze Gesicht.
„Weiß schon, weiß schon!“, beeilte er sich. „Noch heute soll diese Akte unter Verschluss liegen, damit niemand auf dumme Gedanken kommt! ‚Geheimakte Braunschweig!‘ Ha, das ist bestimmt ein brisanter Lesestoff!“
„Und dieser berühmte, englische Detektiv war ja auch dabei und kam später noch einmal in unsere schöne Stadt!“, ergänzte der andere.
„Du meinst diesen – Sherlock Holmes? Ich glaube, die Berichte über den Detektiv sind, gelinde gesagt, etwas übertrieben. Aber es war ja der alte Faust, der den Fall löste, oder etwa nicht?“
Der Hagere setzte seinen Weg bereits fort, drehte sich noch einmal kurz um und antwortete: „Du meinst den Fall mit dem ... du weißt schon, wen ich meine – oder den Fall mit dieser Spionin?“
„Ich hörte einmal, dass diese geheimnisvolle Frau gar nicht die Spionin Mata Hari, sondern eine Schwindlerin gewesen sein soll!“
Der rotgesichtige Wachtmeister schnaufte und bemühte sich, dem Kollegen rasch zu folgen, während Thomas Faust die Tür zur Münzstraße aufriss und erstaunt stehen blieb. Eben war eine Landaulet-Kutsche vorgefahren, wie sie nur noch ganz vereinzelt von älteren Droschken-Kutschern in Braunschweig betrieben wurden. Aber als der Blick des Polizeiagenten auf den Herrn fiel, dem eben der Schlag geöffnet wurde, wurde ihm sofort klar, dass sein Vater sich niemals in eine der üblichen Kraftdroschken setzen würde, die von einem Berufskraftfahrer gelenkt wurde. Der ehemalige Polizeipräsident, der Jurist Dr. Thomas Faust, fuhr zwar selbst gern ein Automobil, sowie es aber um eine Benzindroschke ging, erklärte er seiner verblüfften Umwelt kurzerhand, dass er von dem Geruch Kopfschmerzen bekäme, und benutzte weiterhin die guten, alten Pferdedroschken, wenn er in ‚amtlicher Mission‘ tätig war. Ein pensionierter Polizeipräsident war zwar keineswegs mehr in solchen Missionen tätig, aber für Dr. Thomas Faust galten da eigene Regeln.
„Herr Präsident!“, rief Thomas E. Faust überrascht aus und nahm unwillkürlich eine straffe Haltung an. Er hatte sich längst angewöhnt, seinen Vater in der Öffentlichkeit nur mit seinem alten Titel anzureden. Nicht auszudenken, den alten Herrn mit „Herr Vater“ anzureden! Nein, der alte Herr machte noch immer eine tadellose Figur, wie er mit seinem altmodischen Überrock aus der Kutsche stieg und sich den Zylinder wieder fest in die Stirn drückte. In diesem Jahr hatte er bereits seinen 78. Geburtstag gefeiert, aber sein noch dichtes, weißes Haar stand im Kontrast zu den noch immer dunklen Augenbrauen und dem Knebelbart, den er nach Art des flämischen Malers Anthonis van Dyck trug und stets sorgfältig ausrasieren ließ.
„Das trifft sich gut, mein Junge!“, antwortete er und nickte seinem Sohn aufmunternd zu. „Ich bin auf dem Weg zu dir!“
„Ich habe jetzt dienstfrei und kann dich gern begleiten, wohin du möchtest. Wollen wir eine gute Tasse Kaffee und einen Asbach im Café Wagner zu uns nehmen?“
Der alte Herr lachte kurz, aber herzlich auf.
„Nein, mein Junge, ich wollte dich zu einer Veranstaltung einladen! Komm, steig ein, auch wenn es gleich um die Ecke ist. Wir sind ein wenig spät dran.“ Bei diesen Worten zog er an der Kette, die sich vom Knopfloch über den nicht sonderlich kräftigen Bauch bis zur Uhrenkette spannte, nahm die Taschenuhr in die Hand und ließ den Deckel aufspringen. „Gerade richtig, also – eingestiegen!“
Gehorsam kletterte Thomas E. Faust in die Kutsche, gefolgt von seinem Vater, der sich scheinbar mühelos auf die lederbezogene Sitzbank schwang. Der Kutscher schloss den Schlag, kletterte auf den Bock, und gleich darauf ruckten die Pferde an, die Droschke bewegte sich in Richtung Bohlweg. Der Kutscher musste eine Anweisung erhalten haben, den Weg über die Dankwardstraße und den Bohlweg zu nehmen. Als sie an dem Polizisten vorüberrollten, der auf der Kreuzung Bohlweg/Steinweg stand und den Verkehr regelte, deutete Faust Senior durch das Fenster.
„Die neue Sommeruniform. Möchte mal wissen, wer sich das ausgedacht hat!“
Sein Sohn kannte die Vorliebe seines Vaters für die alten Uniformen. Schon die Einführung des Tschakos als neue Kopfbedeckung im Jahre 1920 missfiel dem alten Herrn. Dann folgten 1924 die schwarzen Uniformen mit den hellblauen Aufschlägen, und im Sommer dieses Jahres die leichten, grauen Uniformen aus Leinen- und Baumwollstoffen. Aber sein Sohn ging auf die Bemerkung nicht ein, sondern war mit seinen Gedanken ganz woanders. An der Ecke befand sich das Geschäft von Johann Suhr, Zigarren-Tabake-Zigareilen, daneben Radatz & Reinecke, Büro-Einrichtungen, Papiere, Zeichen- und Bürobedarf. Ein Griff in seine Jackett-Innentasche erinnerte ihn schmerzlich daran, dass er sich sowohl neue Zigarren wie auch ein Notizbuch kaufen wollte. Mit leisem Seufzer lehnte er sich in das Polster zurück und erkundigte sich: „Brünings Saalbau?“, und sein Vater nickte nur knapp. „Dann willst du mit mir tatsächlich zu dieser ... Amerikanerin?“
Beim Tonfall des jungen Polizeiagenten zog sein Vater erstaunt die buschigen Augenbrauen hoch.
„Was hast du gegen eine amerikanische Wissenschaftlerin? Du wirst dich doch wohl erinnern, dass ich seit gut einem Jahr mit ihr korrespondiere! Sie interessiert sich für lange, zurückliegende Fälle in Braunschweig.“
„Nichts, gar nichts, Herr Präsident, habe ich gegen die Dame. Aber, mit Verlaub gesagt – eine Frau, die einen Vortrag über ein kriminalistisches Thema in unserer Stadt halten will? Ich staune!“
Der alte Herr lächelte, griff in seine Jackentasche, zog ein silbernes, rundes Etui heraus und entnahm ihm eine Zigarre. Die zweite darin reichte er seinem Sohn, dessen vergebliches Kramen in der Rocktasche ihm nicht entgangen war. Wenig später pafften die beiden dicke, blaue Rauchwolken, während sich der alte Herr bequem zurücklehnte und aus dem Fenster auf das Treiben am Bohlweg blickte.
Offenbar war er nicht bereit, das Gespräch fortzusetzen. Der Polizeiagent hatte genug Erfahrung im Umgang mit seinem Vater gesammelt und hütete sich daher, erneut das Thema aufzugreifen. Wenn der ehemalige Polizeipräsident zu reden wünschte, dann begann er mit einem leisen Brummen den Auftakt, feuerte dann zumeist eine kurze, knappe Bemerkung ab, die wie ein Befehl klang, und wartete auf die Reaktion seiner Mitmenschen. Kurz vor Erreichen des Veranstaltungsraumes, der sich in Brünings Saalbau am Damm befand, zog Faust Senior einen gefalteten Zettel aus der Tasche und reichte ihn seinem Sohn. Der warf nur einen raschen Blick darauf und nickte.
„Ich bin im Bilde. Der Vortrag wurde im Präsidium angemeldet und wir erhielten dazu eine Einladung. Ich habe die Einladung weitergereicht, weil wir Kriminalen ja für derartige Veranstaltungen nicht zuständig sind.“
Bei diesen Worten zog der alte Faust bedeutsam erneut die Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn.
„Warum ist die Kriminalabteilung für das Thema nicht zuständig? Ich rede nicht von der Veranstaltung, wohl gemerkt!“, ließ sich der ehemalige Polizeipräsident nach seinem markanten Brummen vernehmen.
„Eine Frau, noch dazu eine Amerikanerin, hält in unserer Stadt einen öffentlichen Vortrag über die Entlarvung eines Mörders im Jahre 1892 in Argentinien. Und, mit Verlaub, Herr Präsident – das soll ein Thema für die Braunschweiger Polizei sein?“
Der alte Herr zog noch einmal an seiner Zigarre, als die Kutsche hielt und ihr Schwanken verriet, dass der Kutscher rasch vom Bock kletterte.
„Ich darf dich korrigieren. Es handelte sich um einen Doppelmord, und der Fall erregte einiges Aufsehen. Man gründete daraufhin in der Stadt La Plata eine Institution zur Erkennung von Verbrechern. Darum geht es, noch präziser: Um die Wissenschaft von der Daktyloskopie, und die, mein Sohn, würde unserer Polizei die Arbeit wesentlich erleichtern, glaube mir!“
- Faust junior musste sich ein Lächeln verkneifen. Er hatte längst Kenntnisse dieses Verfahrens erhalten, denn ein gewisser Paul Koettig arbeitete damit bereits seit Jahren sehr erfolgreich in Dresden. Aber der junge Polizeiagent wollte vor seinem Vater nicht mit den neu erworbenen Kenntnissen prahlen und beschloss, zunächst einmal den Vortrag der Amerikanerin abzuwarten.
Während es sich sein Vater nicht nehmen ließ, den Droschkenkutscher selbst zu entlohnen und ihm dazu noch ein gutes Trinkgeld zusteckte, überquerte sein Sohn den breiten Fußweg und wollte eben zum Türgriff greifen, als jemand die Tür von innen aufzog und der Polizeiagent ins Leere griff.
„Oh, I beg your pardon!“, sagte eine freundliche, helle Stimme und verblüfft schaute Faust in das Gesicht der jungen Frau, die gerade die Tür geöffnet hatte und nun heraustrat.
Faust musste sich zusammenreißen, um nicht einen anerkennenden Pfiff auszustoßen, als er die schlanke Gestalt mit einem raschen Blick musterte, was bei der jungen Frau ein ganz bezauberndes Lächeln erzeugte. Der kurze, modische Haarschnitt, von der spöttischen Presse Bubikopf genannt, ein eleganter Seidenschal um den Hals, dessen Enden im Wind leicht wehten, ein länger geschnittenes Oberteil und dazu – tatsächlich, eine weit geschnittene und über die Taille reichende Hose! Unwillkürlich schluckte Faust, und nun erkundigte sich die junge Frau, noch immer lächelnd: „Nun, genug gesehen? Herr Doktor Faust, ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen!“, wandte sie sich gleich darauf zum ehemaligen Polizeipräsidenten um, streckte ihm die Hand entgegen und der alte Herr griff beherzt zu und lächelte sein Gegenüber ebenfalls auf seine gewinnende Art an. Dabei schien es seinem Sohn so, als würden die alten, blauen Augen plötzlich in strahlendem Glanz förmlich zu leuchten beginnen. Mit einer leichten Schulterbewegung deutete er auf seinen Sohn.
„Thomas Edward Faust, mein Sohn. Fräulein Doktor, Doktor Dorothee Keller aus Chicago, die heutige Referentin.“
Faust junior wollte sich über ihre Hand beugen, um einen angedeuteten Kuss darauf zu hauchen, aber herzlich lachend griff die junge Frau kräftig zu und drehte die Hand senkrecht, sodass Faust keine Möglichkeit für seine galante Geste erhielt. Irritiert blickte er die Amerikanerin an, als die seinen Vater auch schon unterhakte und mit ihm zurück zur Tür schritt.
„Amerikanerin ist nicht ganz richtig, Herr Doktor Faust. Geboren wurde ich in Braunschweig, und zwar schon am 21.4.1895.“
Der Polizeiagent stieß einen überraschten Laut aus.
„An dem Tag wurde auch ich geboren!“, antwortete er schnell und folgte den rasch Ausschreitenden in den geräumigen Empfangsbereich.
Fräulein Keller lachte fröhlich auf.
„Wirklich? Aber das ist ja ein herrlicher Zufall! Um welche Uhrzeit erblickten Sie das Licht dieser Welt?“
„Um präzise drei Uhr des Nachmittags!“, antworteten Vater und Sohn fast wie aus einem Mund.
„Dann bin ich die Ältere!“, rief die Dame aus. „Ich kam exakt eine halbe Stunde vorher zur Welt!“
„Und zogen dann nach Amerika?“
„Nein, erst im Alter von fünf Jahren. Mein Vater bekam in Chicago die Leitung einer großen Fabrik übertragen, und so mussten wir die schöne Stadt an der Oker verlassen. Aber ich freue mich, endlich einmal wieder in meiner alten Heimat zu sein und Sie beide heute bei meinem Vortrag zu wissen!“
„Jaaa“, antwortete Faust junior etwas gedehnt und weil ihm nichts Besseres einfiel, fügte er hinzu: „Sie sprechen ein ausgezeichnetes Deutsch, Fräulein Keller!“
Helles Lachen antwortete ihm, als die junge Frau erwiderte:
„Das will ich wohl meinen! Bei uns zu Haus in Chicago wurde Deutsch gesprochen, sonst natürlich nicht. Aber ich habe in Amerika auch in verschiedenen Städten studiert und dabei einige Freunde unter den Germanisten gehabt, die es schätzten, sich mit mir in der Sprache Schillers und Goethes zu unterhalten.“
„Aber Sie wurden nicht auch eine Germanistin, sondern – was?“, erkundigte sich der Agent und erhielt die Antwort:
„Promoviert habe ich sowohl in Chemie wie auch in der Medizin, Herr Faust, meine Lehrtätigkeit aber wieder eingestellt. Die Forschung reizt mich weitaus mehr, und die dadurch erworbenen Erkenntnisse führen mich in der Forensik wie der allgemeinen Gerichtsmedizin erheblich weiter.“
Faust hoffte in diesem Augenblick, dass man ihm seine Verblüffung nicht anmerken konnte. Aber das Fräulein hatte sich eben mit den Worten an einen Saaldiener gewandt: „Das sind die Herren Faust. Richard, bitte führen Sie die Herren zu der Loge, die ich Ihnen genannt habe. Meine Herren, Sie entschuldigen mich bitte, es sind nur noch wenige Minuten bis zu meinem Vortrag. Wir sehen uns danach sicher zu dem kleinen Empfang, den ich folgen lasse, um hoffentlich ein paar anregende Gespräche zu führen.“
Damit eilte sie schon davon, und fasziniert sah der junge Faust ihr nach, wie sie mit raschem Schritt durch den Saal eilte. Ihr Seidenschal wehte um ihre Schultern, und die weiten Hosenbeine spielten um die eleganten Schuhe, die von Faust als das Modell Tangoschuh eingestuft wurden, mit einem kräftigen Absatz und abgerundeter Kappe.
Diese modischen Details lernte er erst kürzlich kennen, als man die Leiche einer jungen Dame der gehobenen Bürgerschicht aus der Oker geborgen hatte. Der Gerichtsmediziner wies auf die kaum getragenen Schuhe mit einem verlegenen Lächeln und bemerkte dazu, dass sie leider durch die lange Zeit im Wasser völlig verdorben waren und so manche Frau darüber wohl betrübter sein mochte als über den Tod der jungen Unbekannten. Auch ein Bild von ihr in den Tageszeitungen der Stadt hatte noch keinen Aufschluss über ihre Identität erbracht.
„Du scheinst ja mächtig beeindruckt zu sein, mein Junge!“, ließ sich der alte Herr vernehmen, als sein Sohn auf den weichen Sessel neben ihm sank. „Damit hattest du wohl nicht gerechnet, was? Ich hoffe, du bist ihr gewachsen!“
„Wie meinst du das? Weil sie so ... modisch gekleidet ist? Zugegeben, sehr viele Damen in Hosen habe ich bislang noch nicht in Braunschweig gesehen, andererseits jedoch ...“
„Fürchtest du eine Suffragette?“, ergänzte sein Vater und strich sich über den Kinnbart.
„Wie? Nein, sie muss ja keineswegs ... ich meine, sie ist ...“
„Immerhin mit einem doppelten akademischen Grad, Thomas. Hat in unserer Familie bislang nur mein Vater geschafft, damals, als er sich neben der Juristerei auch der Medizin zugewandt hat. Übrigens hoffe ich, dass du deine Studien neben dem Beruf nicht vernachlässigst!“
„Nein, das mache ich nicht, meine Dissertation steht vor dem Abschluss. Und natürlich weiß ich, dass Großvater am Anatomischen Institut einen eigenen Lehrstuhl begründete. Aber trotzdem ist sie ...“
„Es geht los!“, unterbrach ihn sein Vater und deutete zur Bühne, auf die jetzt die junge Frau trat und von einem Scheinwerfer erfasst wurde.
Beifall brandete auf, und Thomas E. Faust blickte sich verwundert um. Er hatte kaum registriert, dass der Saal sich in den letzten Minuten derart gefüllt hatte. Seit 1914 gab es hier ein Kino im Haus, dazu ein Restaurant im Obergeschoss, zwei weitere neben dem großen Konzertsaal, in dem sie jetzt saßen, sowie im hinteren Bereich, wo es zudem einen Kaffee- und Biergarten gab.
Nach kurzer Begrüßung kam Fräulein Dr. Dr. Dorothee Keller gleich auf ihr Thema, begann jedoch zunächst mit der Methode, die der französische Anthropologe A. Bertillon entwickelt hatte. Danach konnte man mit elf verschiedenen Körpermaßen einen Menschen identifizieren. Dieses Verfahren war bei allen Polizeieinrichtungen in Frankreich, Österreich, der Schweiz und Deutschland eingeführt und stark genutzt. Das Publikum, das nach Einschätzung des jungen Fausts überwiegend aus der gehobenen Bürgerschicht bestand, schien von der Darstellung fasziniert zu sein. Kaum hatte das gelehrte Fräulein ein paar Punkte umrissen, brachten Helfer Geräte auf die Bühne und gleich darauf eine Reihe verwegen aussehender Männer, die sich, trotz ihres Aussehens, manierlich verhielten und den Anweisungen der jungen Dame folgten.
„Angenommen, wir müssen aus dieser Schar verdächtiger Männer einen möglichen Täter überführen, von dem wir nur eine vage Zeugenbeschreibung haben!“, begann sie ihre Ausführungen und die Helfer, die alle eine Art Uniform trugen, bemühten sich, die Männer auszumessen. Das brachte schon den einen oder anderen Ruf des Unmutes hervor, denn nicht jeder wollte seine Arme vom Körper weg strecken, damit man ihn ausmessen konnte. Schließlich wehrte sich ein großer, kräftiger Mann gegen diese Tätigkeit, indem er kurzerhand einen der Helfer bei dessen weißer Hemdbrust packte und zurückschleuderte. Fräulein Keller ließ sich davon nicht irritieren, und sofort ergriffen zwei kräftige Helfer den rabiaten Mann. Als jeder einen seiner Arme nun gewaltsam zur Seite bog, lachte das Publikum, während der so Behandelte vor Wut rot anlief und erneut versuchte, sich der Vermessung zu entziehen.
Bei dem Gerangel stolperte schließlich einer der Helfer und wäre um ein Haar von der Bühne gestürzt, als die junge Wissenschaftlerin mit wenigen, raschen Schritten vor ihnen stand und dem Widerborstigen etwas in die Hand drückte. Jetzt schien sein Widerstand gebrochen zu sein, und die Arbeiten an ihm konnten fortgesetzt werden.
Währenddessen erklärte Fräulein Keller dem Publikum, warum man welche Körpermaße nahm und erntete Gelächter auf die Erklärung, dass auch der Kopfumfang etwas über jemand aussagen könnte, der als geborener Verbrecher galt.
„Sie lachen mit Recht, meine Damen und Herren, über diese Bezeichnung. Aber der italienische Kriminologe und Jurist Cesare Lombroso begründete diese Lehre, delinquente nato, vom geborenen Verbrecher. Er behauptete, dass aggressive Verhaltensweisen vererbbar wären und einen Menschen auch äußerlich formten. Zusammengewachsene Augenbrauen und bestimmte Schädelformen sind nach seiner Lehre Hinweise auf eine atavistische und damit niedrige und gewalttätige Entwicklungsstufe. Betrachten Sie nun mit diesem Wissen diese drei Herren genauer!“
Rascheln von Kleidern, leises Flüstern, einige Damen packten kleine Operngläser aus und hielten sie sich an die Augen, gefolgt von unterdrückten Seufzern und leisem Stimmengemurmel.
Dann hob die Wissenschaftlerin wieder ihre Hand und bat um Ruhe.
„Nun, Sie haben sicher Ihre Beobachtungen gemacht. Mein Dank gilt den Freiwilligen, die sich hier für meine kleine Vorführung zur Verfügung gestellt haben. Herr Donners, darf ich Sie bitten, vorzutreten und uns Ihren Beruf zu nennen?“
Der so angesprochene Mann trat nach vorn. Es war der, der sich gegen die Vermessung seiner Körpermaße gewehrt hatte.
Fräulein Keller reichte ihm die Hand, und als sich der große Mann artig darüber beugte, ging erneut ein erstauntes Raunen durch die Reihen.
„Würden Sie bitte den anwesenden Herrschaften verraten, welchen Beruf Sie ausüben, Herr Donners?“
Der Mann, der nur ein grobes Leinenhemd über einer schmutzigen Hose trug, unter der unförmige Schuhe hervorsahen, verbeugte sich und antwortete strahlend: „Mein Name ist Ludwig Donners, ich bin Dirigent am Theater von Kassel und derzeit zu einem Gastspiel am hiesigen Theater!“
Ungläubiges Schweigen, dann folgte donnernder Applaus.
„Und jetzt diese drei Herren, die sich auf meinen Wunsch seit gestern nicht mehr rasiert haben. Sehen Sie nicht furchtbar aus? Möchten Sie diesen Herren im Dunkeln begegnen? Nein? Bitte, stellen Sie sich doch einmal vor, meine Herren!“
„Das ist doch ...“, sagte Faust senior leise, denn er hatte die drei Männer trotz der derben Arbeiterkleidung erkannt.
„Wir sind alle drei Wachtmeister der hiesigen Polizei und nennen ausnahmsweise einmal nur unsere Vornamen – dort steht Walter, daneben Otto, ich höre auf den schönen Namen Wilhelm!“, erklärte einer der Männer, und auch sie erhielten donnernden Applaus.
„Danke, verehrtes Publikum. Sie ahnen es, ich habe Sie auf das Glatteis geführt. Alles, was Sie bislang gesehen haben, war ein Teil meiner Show. Ich wollte Ihnen zeigen, dass nicht jeder, der ein wenig grob aussieht, auch ein Verbrecher sein muss. Und auch, dass die Bestimmung eines Menschen nach einer Beschreibung und erfolgten Vermessung äußerst unzuverlässig ist. Wir sollten deshalb endlich zu einem Verfahren wechseln, das es ermöglicht, die Identität eines Menschen zweifellos zu klären.“
„Etwa mithilfe von Lichtbildern? Viel zu aufwändig!“, rief jemand aus dem Publikum, und Faust senior beugte sich rasch nach vorn, um zu erkennen, wer den Zwischenruf getätigt hatte.
„Natürlich, der Herr Erich Bertram!“, sagte er leise und sein Sohn bemerkte, wie sich die rechte Hand seines Vaters um die Lehne verkrampfte. Der alte Polizeipräsident hegte keine sonderliche Sympathie für seinen Nachfolger im Amt.
„Danke, für Ihren Zwischenruf, Herr Polizeipräsident!“, antwortete die junge Dame und erntete dafür erneut Beifall. „Die Lichtbildtechnik ist aus dem Alltag eines Kriminalisten schon längst nicht mehr wegzudenken. Nein, ich meine das Verfahren der Daktyloskopie, und zwar in der Form, in der sie von dem Engländer Francis Galton verbessert, ja, geradezu perfektioniert wurde.“
„Hört, hört!“, ließ sich erneut die Stimme des Polizeipräsidenten vernehmen. „Das ist doch nichts als wissenschaftlich verbrämter Humbug!“
Sein Amtsvorgänger stieß ein verächtliches Schnauben aus, das aber nur sein Sohn vernehmen konnte, denn sie saßen in ihrer Loge zu weit von den anderen entfernt.
„Dank auch für diesen Zwischenruf, Herr Polizeipräsident. Das zeigt mir, dass Sie sehr offen für neue Techniken sind!“, konterte Fräulein Keller, und noch bevor der Mann erneut etwas rufen konnte, wandte sie sich direkt an ihn.
„Herr Polizeipräsident, ich darf doch davon ausgehen, dass Sie mit dem Fall Vincenzo Peruggia vertraut sind?“
„Mona Lisa!“, antwortete Erich Bertram knapp, aber laut.
Immer mehr Menschen in den vorderen Reihen drehten sich zu ihm um, und der Polizeipräsident erkannte, dass er nun im Mittelpunkt des Interesses stand. Und wenn er ehrlich zu sich war, gefiel ihm das am heutigen Abend überhaupt nicht. Er wollte unerkannt und allein im Publikum hören, was diese amerikanische Suffragette zu verkünden hatte, und danach handeln. Aber nun entwickelte sich alles in eine andere Richtung, zumal Fräulein Keller erneut lautstark um Aufmerksamkeit und Ruhe bat.
Warum konnte ich mich wieder einmal nicht zurückhalten?, ging es Bertram durch den Kopf. In diesem Augenblick glaubte er, im Halbdunkel des Saales ein paar Reihen vor sich ein bekanntes Gesicht entdeckt zu haben, aber der Mann drehte sich hastig wieder um, und Bertrams Aufmerksamkeit wurde abgelenkt.
„Meine Damen und Herren, Polizeipräsident Bertram hat es mir soeben bestätigt: Einer der spektakulärsten Kunstraube konnte nicht aufgeklärt werden, weil man dem Dieb, jenem Vincenzo Peruggia, den Diebstahl der Mona Lisa nicht beweisen konnte.“
„Sehr richtig!“, ließ sich erneut der Polizeipräsident vernehmen. „Und das trotz des vorhandenen Fingerabdruckes!“
„Da stimme ich Ihnen zu, Herr Bertram! Mit seinen hinterlassenen Fingerabdrücken hatte man ihm den Diebstahl nachweisen können,“ konterte die junge Wissenschaftlerin. „Aber nicht, weil man sie ihm nicht zuordnen konnte, sondern weil aufgrund einer unglaublichen Schlamperei in der zuständigen Polizeibehörde die genommenen Fingerabdrücke nicht mit denen in der Kartei befindlichen Daten verglichen werden konnten! Und weshalb war das nicht möglich? Weil man sie in einem chaotischen System abgelegt hatte!“