Kitabı oku: «Unmögliche Aufträge: Zwei Thriller», sayfa 2

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Er hatte seine Karriere genau vorgeplant. Spätestens mit 38 hatte er einen Managementjob in der Zentrale in Nürnberg haben wollen Man musste unter Vierzig sein, wenn man ins Management einstieg und an die Spitze wollte. Er hatte alle Voraussetzungen mitgebracht. Sein fachlicher Background war unangreifbar, er war flexibel und belastbar, intelligent und verfügte über Integrationskraft. Und er hatte Erfolge vorzuweisen.

Aber als er Vierzig wurde, saß er immer noch in München, war dort zweiter Mann, wo er längst der erste hätte sein können. Die Karriere hatte da längst ihren Reiz verloren Eine Beförderung hatte er abgelehnt, einer anderen war er ausgewichen. Er hatte so manches durchschaut. Er wollte nicht nur noch für die Firma leben, alles dem Job unterordnen. Wessendorf war ein abschreckendes Beispiel. Ob er frühmorgens seine Runde Tennis spielte, mit Geschäftsfreunden essen ging, oder mit einem Professor von der Technischen Hochschule in Urlaub fuhr, alles war für den Job.

Aber wofür er lebte, war ihm auch nicht bewusst. Vielleicht hatte er zu fragen verlernt. Er hatte sich einen Sinn für das Abenteuer, für das Unvorhersehbare bewahrt. Er wollte sich nicht noch weiter einengen lassen. Lieber reiste er weiter in der Weltgeschichte herum, auch wenn die Abenteuer dort ausblieben oder sich auf Kleinigkeiten, die eher Ärgernisse waren, beschränkten. Wenn sein Koffer zum Beispiel in Abidschan landete, statt in Rabat. Oder wenn sich der versprochene Bungalow in Baustellennähe als stickige Baracke mit Ungeziefer entpuppte. Abenteuer sahen anders aus. Er wusste es, und er ahnte, dass es nicht die Abenteuerlust allein war, die ihn so unstet hatte werden lassen. Er hatte schon lange nicht mehr über den Sinn seiner Existenz nachgedacht. Ihm schien, als hätte er nicht nur das Fragen verlernt, sondern auch das Suchen aufgegeben.

Er sollte einen Menschen verraten, der einmal sein Freund gewesen war. Ein ungeheuerliches Ansinnen.

Mehrländer hatte die ganze Zeit weitergesprochen. Kein Wort davon war in Schaakes Bewusstsein gedrungen. Jetzt war Mehrländer fertig, und so sah er auch aus – abgekämpft. Schaake erkannte, dass Mehrländer unter Erfolgszwang stand. Schaake hatte es gelernt, Schwächen anderer augenblicklich zu erkennen, das war eine unabdingbare Voraussetzung für eine leitende Position in einem Großbetrieb. Nur aus Urbach wurde er nicht schlau. Urbach hielt sich zurück. Schaake wusste, dass es Fragen gab, tausend Fragen und Bedingungen, aber er wusste auch, dass er sie nicht alle in Worte fassen konnte. Er würde keine der Antworten nachprüfen können. Er müsste fragen, ob er gegen Gesetze würde verstoßen müssen, ob er Menschen belügen oder betrügen musste.

Schaake erwachte wie aus einem schweren Traum. Er atmete laut. Wohin liefen seine Gedanken? Akzeptierte er einfach, was diese fremden Männer sagten? Jochen sollte ein Spion sein? Ein Mann, der unter einem falschen Namen in Bonn lebte? Lächerlich, einfach lächerlich. Schaake sah die Männer an.

»Quatsch!«, sagte er laut.

Das war Kintopp. Die Kerle wollten etwas ganz anderes von ihm. Wahrscheinlich lief da irgendeine Schweinerei im Konzern, sonst nichts. Abrupt stand er auf.

»Gehen Sie«, sagte er unfreundlich. »Gehen Sie!«

Urbach warf Mehrländer einen triumphierenden Blick zu, der etwa besagte, sehen Sie, ich hab's ja gewusst!

»Was haben Sie denn, Herr Schaake?«, fragte er nachsichtig.

»Ich bin kein Denunziant.«

»Es geht um die Sicherheit der Bundesrepublik«, sagte Mehrländer. »Ein Staat muss sich schützen, das müssen Sie doch einsehen.«

»Herr Schaake sieht das sicher anders«, höhnte Urbach. »Er ist ein Liberaler...«

»Seien Sie still«, befahl Mehrländer scharf. Er ließ Schaake nicht aus den Augen. »Was sind Ihre Bedenken, Herr Schaake?«

»Ich will mit Professor Hennings telefonieren. Dann sehe ich weiter.«

»Gern. Aber was sind Ihre Bedenken? Heller ist ein Spion. Wir müssen ihn identifizieren und dingfest machen. Ihm wird physisch nichts geschehen. Wenn wir können, werden wir ihn vor Gericht bringen. Er wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden und sie zu einem Teil verbüßen. Nach einer Schamfrist wird er ausgetauscht oder abgeschoben. Sie lesen doch Zeitungen! Es geht doch nicht um die Person dieses Jochen Heller! Es geht darum, weiteren Schaden zu verhüten. In der DDR wird er einen Orden bekommen und befördert werden. Sein Gehalt – oder Sold – ist seit Jahren aufgelaufen. Er ist Major, wussten Sie das?«

Schaake fühlte sich leer. Er wusste nicht, was er denken sollte. Er sollte seinen Freund verraten, Jochen Heller. War er noch sein Freund? Hielt eine Freundschaft immer, selbst wenn sie nicht dauernd erneuert wurde? Galt die Verpflichtung einer Freundschaft über alle Zeiten hinweg? Oder ist eine Freundschaft eine Beziehung, die irgendwann endet, wenn sie nicht mehr gebraucht oder erprobt wird?

»Er war doch mein Freund«, sagte er. Es klang lahm.

»Was heißt denn hier Freundschaft?« Urbach grinste zynisch. »Ihr Freund ist ein Spion, und unser Job ist es, ihn zu kriegen. Er kennt die Regeln. Machen Sie auch mit. Denken Sie, es ist ein Spiel.«

»Menschenjagd ist doch kein Sport«, sagte Schaake, immer noch lahm. »Und außerdem... wer garantiert Ihnen denn, dass ich richtig spiele? Dass ich Ihnen nichts vormache?«

Mehrländer lächelte, plötzlich sorglos und offen. Er spürte, dass er gewonnen hatte.

»Oh, machen Sie sich darüber keine Gedanken. Herr Urbach verfügt über Erfahrung. – Rufen Sie Professor Hennings an. Wir warten so lange in der Halle.«

II

»Wir werden einige Zeit zusammen verbringen, und Sie werden Geduld aufbringen müssen«, sagte Mehrländer, als sie ihre Unterredung fortsetzten.

Er, Volker Schaake, war dabei. Ohne sich ernsthaft zu wehren, hatte er sich auf ein Spiel eingelassen, das ihn nichts anging. Er hatte mit Professor Hennings telefoniert. Hennings, ehemaliger Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Technologie, hatte an Schaakes loyale Einstellung zu diesem Staat, dessen Vorteile er genoss, appelliert. Hennings bürgte dafür, dass das Ansinnen Mehrländers an ihn seriös war, und dass es mit Wissen und Billigung der obersten Verfassungsschützer an ihn herangetragen worden war. Hennings hatte durchblicken lassen, dass er vom Staatssekretär im Bundeskanzleramt um seine Unterstützung gebeten worden war. Es war beklemmend zu erfahren, wie weit – oder wie hoch – die Verflechtungen reichten. Er war freigestellt, solange es erforderlich sein würde, sein Gehalt lief selbstverständlich weiter, und um den Fortschritt des Projektes Bilbao kümmerte sich Wessendorf. Hennings hatte keinen Zweifel daran aufkommen lassen, was er von Schaake erwartete – bedingungslose Mitarbeit im Interesse des Staates...

Mehrländer und Urbach kamen danach schnell zur Sache, wobei das Organisatorische noch den geringsten Raum einnahm. Unter dem Trommelfeuer der Fragen und Anweisungen trat Schaakes Verstand den Rückzug an.

»Unsere eigentliche Arbeit beginnt morgen. Sie werden heute Abend nach München zurückfliegen. Ihrer Frau brauchen Sie wohl keine großen Erklärungen abzugeben, wenn Sie eine Geschäftsreise antreten?«

»Ich komme schon klar.«

»Es kann immerhin sein, dass Sie zwei Wochen nicht zu Hause sein werden.«

»Machen Sie sich keine Gedanken.«

Hatten sie auch in seinem privaten Umfeld herumgeschnüffelt? Er hatte jedenfalls nicht die Absicht, Mehrländer und Urbach von den Gepflogenheiten seiner Ehe zu erzählen.

Unter keinen Umständen, verlangte Mehrländer, durfte er seiner Frau irgendetwas über den wahren Grund seiner Abwesenheit erzählen. Am nächsten Morgen sollte er nach Köln zurückfliegen. Urbach würde ihn abholen.

»Zuletzt haben Sie Ihren Freund Jochen Heller im Jahre siebenundfünfzig gesehen, praktisch bei der Abiturfeier«, sagte Mehrländer.

Volker Schaake überlegte. Noch gab sein Hirn die Erinnerungen nur zögernd frei. Jochen hatte an der Feier gar nicht mehr teilgenommen... Aber er nickte.

»Wir haben Sie ausgewählt, weil Sie ihn am besten gekannt haben dürften.«

Und weil er am leichtesten unter Druck zu setzen war? Da war doch noch Jutta gewesen. Und Rainer. Aber von denen wussten sie wohl nichts. Damals gab es noch keine elektronischen Datenspeicher. Und der Zusammenhalt ihrer Klasse war noch nie besonders eng gewesen. Die Klassengemeinschaft war mehrmals auseinandergerissen und neu zusammengesetzt worden. In der Obertertia, in der Obersekunda, und zuletzt noch einmal in der Unterprima. Jochen und er hatten Glück gehabt. Sie waren nie getrennt worden.

»Sie haben damals doch fotografiert«, sagte Mehrländer, um einen beiläufigen Tonfall bemüht.

»Sie haben sich umgehört«, stellte Schaake fest.

»Ja. Wir waren in Minden, mehrere Tage lang. Leider konnten wir nur noch wenige Ihrer ehemaligen Klassenkameraden aufspüren. Die meisten hat es in alle Winde verstreut, und die wenigen, die wir fanden, konnten sich kaum noch an Heller und Sie erinnern. Wir hatten schon befürchtet, aufgeben zu müssen, aber dann fanden wir doch jemanden, der sich an Sie erinnerte, weil Sie fotografiert hatten, und dann fiel ihm ein, dass Sie und Heller dicke Freunde waren. Heller muss ein verschlossener Typ gewesen sein. Fotografieren war damals noch nicht so verbreitet wie heute.«

»Ich habe damals sogar sehr viel fotografiert. Ich hatte eine eigene Dunkelkammer. Ich habe sie damals alle mit Fotos von Klassenfahrten, Tanzkursen, und was weiß ich, versorgt.«

Schaake schwieg, als er sah, wie Mehrländer und Urbach ihn atemlos ansahen, und er genoss es, sie warten zu lassen. Schließlich räusperte sich Mehrländer.

»Das haben wir gehört. Aber leider haben wir kein einziges Ihrer Werke mehr auftreiben können, kein einziges. Wo haben Sie denn die Erinnerungsfotos an Ihre Schulzeit gelassen?« Mehrländers Stimme klang rau.

Er hatte den großen Koffer mit seiner Dunkelkammerausrüstung und den Negativen im Haus seiner Eltern zurückgelassen. Er hielt eine schnelle Antwort zurück, ließ sich Zeit.

»Ich habe sie alle bei meinen Eltern zurückgelassen«, sagte er. »Nach dem Tod meines Vaters ist meine Mutter zu ihrer Schwester und deren Mann nach Düren gezogen. Wir hatten ein großes Haus in Minden. Meine Mutter musste viel zurücklassen. Sie hat alles, was sie nicht mehr brauchte, auf den Sperrmüll gegeben. Meine Fotos waren dabei, und sämtliche Negative.« Und viele andere Dinge, an denen Erinnerungen hingen - Zeitungsausschnitte, Zeitschriften, Siegerurkunden. Er hatte sich um nichts kümmern können. Gleich nach der Beerdigung, noch am selben Tag, hatte er nach Afrika zurückfliegen müssen, wo im ehemaligen Spanisch-Sahara eine Phosphat-Förderanlage abgenommen werden musste.

»Schade«, sagte Mehrländer flach. »Ein gutes Foto von einem engagierten Amateur hätte unsere Arbeit sehr erleichtert. Und zu Hause? Haben Sie da keine Fotos mehr aus Ihrer Jugendzeit?«

Er dachte an die vier dicken, in verschiedenfarbiges Leder gebundenen Alben, die im Schrank seines Arbeitszimmers standen. Er schüttelte den Kopf.

»Ich habe alles im Haus meiner Eltern zurückgelassen. Ich habe das Fotografieren erst wieder angefangen, als ich schon verheiratet war.«

Er hielt Urbachs Blick stand. Urbach schien genau zu spüren, dass er log, aber es schien ihm nichts auszumachen. Aber warum log er? Er wusste es nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt. Wollte er Zeit gewinnen? Sich eine Hintertür offenhalten? Er musste nachdenken. Ein Foto konnte er ihnen immer noch geben.

*

In Köln hatte er noch die Maschine um 16 Uhr 10 erwischt, und so war es erst halb acht, als er seinen BMW vor dem Reihenhaus in Haar bei München anhielt. Gerd, der zusammen mit ein paar Freunden aus der Nachbarschaft weiter unten auf der Straße mit seinem Fahrrad herumfuhr, kam auf ihn zugerast und begrüßte ihn stürmisch. Der Zwölfjährige sah verschwitzt aus, und am Hals und an den Armen und Knien bemerkte Schaake Schrammen, die gestern noch nicht dort gewesen waren. Gerd packte die Hand seines Vaters und zerrte ihn ins Haus.

Udo begrüßte seinen Vater erst drinnen. Das bedächtigere Temperament des Fünfzehnjährigen erlaubte weder stürmische Gefühlsausbrüche, noch hastige Bewegungen.

»Hast du uns etwas mitgebracht?«, schrie Gerd.

Schaake lachte. »Ich war doch gar nicht richtig weg!«

»Trotzdem! Du bringst uns doch immer was mit!«

»Das nächste Mal, dann ganz bestimmt.«

»Wann verreist du denn wieder?«

Schaake versetzte es einen Stich. »Morgen.«

»Und wie lange?«

»Das weiß ich noch nicht. He, lass mich mal.« Er trat auf Heike zu, die in der Küchentür stand, lächelte, und ihm die Wange hinhielt.

»Du hättest ruhig anrufen können«, sagte sie. «Jetzt habe ich Hubers abgesagt. Ich konnte nicht wissen, dass du doch noch kommst.«

O verdammt, dachte er. Ausgerechnet Hubers, an denen auch ihm etwas lag. Hätte er angerufen, hätte er vom Flughafen direkt hinfahren können. »Entschuldige«, sagte er.

»Ach, schon gut.« Sie wandte sich um und bot ihm den Anblick ihres schlanken Rückens. »Irmgard wird dich vermissen.«

»Du, hör auf!« Irmgard Huber, groß, rothaarig und ungemein unzufrieden, machte ihm seit langem schöne Augen. Und nicht nur das. Wenn Irmgard wusste, dass er allein zu Hause war, rief sie ihn an. Sie würde sich mit ihm in München treffen, wenn er sie darum bäte. Für ihn würde sie sogar Ludwig, ihren Mann, laufenlassen.

»Du musst wieder weg?«, erkundigte sich Heike.

»Ja, gleich morgen früh.«

»In der letzten Zeit lässt du dich wieder ganz schön herumhetzen.«

»Wir haben Probleme in Bilbao.«

Sie drehte sich um und sah ihn ängstlich an. »Du musst wieder nach Spanien?« Ihr schmales Gesicht wurde von langem, dunklem Haar eingerahmt. Sie sah immer noch wie Ende Zwanzig aus, ihre Figur war schlank, der Körper biegsam, und er liebte sie, wenn auch nicht mehr mit der Glut der ersten Jahre, dafür mit einer Beständigkeit, die ihn selbst am meisten wunderte. Und trotzdem war irgendetwas mit ihnen geschehen. Immer seltener fanden sie sich zu einem Gespräch, zu einem wirklichen Dialog.

Sie erzählte von ihren Erlebnissen im Tennisclub und von den Schwierigkeiten mit den Kindern, und wenn er von seiner Arbeit sprach, gab sie vor, zuzuhören, um bei der erstbesten Gelegenheit auf ein ihr genehmeres Thema zurückzukommen. Er bezweifelte, dass sich irgendetwas ändern würde, wenn er jeden Tag zu Hause wäre. Die Krise würde sich verschärfen, offen zutage treten, und sie würden schneller auseinanderdriften.

»Ich brauche nicht sofort nach Spanien«, sagte er, um sie zu beruhigen. »Zuerst muss ich nach Belgien.«

Das hörte sich plausibel an. In Namur wurden in einem Zweigwerk seiner Firma die komplizierten mechanischen Elemente der Bandstraße für das Werk des Kunden in Bilbao hergestellt, und es gehörte zu seinen Aufgaben, sich über den Fortschritt der Arbeiten in Namur an Ort und Stelle zu informieren.

Wenn er das Werk in Namur besuchte, flog er meistens bis Köln und nahm dort einen Leihwagen. Deshalb war er auf den Gedanken verfallen, Heike eine Reise nach Namur vorzutäuschen. Falls ihn jemand in Köln oder Bonn sähe und Heike davon erführe, hätte er weniger Schwierigkeiten, ihr eine plausible Erklärung zu geben, als wenn er erzählt hätte, er sei wieder in Bilbao. Denn auch ohne Mehrländers Anweisung, Heike aus der Geschichte herauszuhalten, hatte er nicht die Absicht, mit ihr über das abenteuerliche Unternehmen zu reden.

Er hoffte, nie mit einem Außenstehenden darüber reden zu müssen.

»Wie lange dauert es diesmal?«

»Das kann ich noch nicht sagen«, antwortete er. Er fühlte sich unbehaglich. »Auf jeden Fall bin ich am Wochenende nicht da.«

»Am Samstag findet das Sommerfest in Udos Schule statt. Er wird ein physikalisches Experiment vorführen.«

Er biss sich auf die Lippen. Ausgerechnet Udo, der seine Aufmerksamkeit dringend brauchte. »Es geht nicht«, sagte er niedergeschlagen.

»Dein Job geht vor. Sag es ihm.« Sie rührte in einem Topf. »Du kannst von dem Gulasch haben, ich wollte es einfrieren für Sonntag. Es dauert noch ein paar Minuten. Sag Gerd, er soll reinkommen.«

Er trat auf die Straße hinaus und rief nach Gerd, der sofort mit Geheul angeprescht kam. Er schloss die Haustür hinter dem Jungen und ging in sein Arbeitszimmer.

Er schloss den Schrank auf, in dem er seine Fotoausrüstung, den Diaprojektor und die Diakästen aufbewahrte. Er machte nur noch Dias, alles andere war ihm zu aufwendig. Die vier Alben mit den Papierbildern, den besten Fotos aus seiner Jugendzeit, standen in einer Reihe mit älteren gesammelten Zeitschriften und einigen Lehrbüchern, die er noch gelegentlich benutzte Er spürte ein kaltes Gefühl, das langsam seinen Rücken hinaufkroch und seinen Nacken erfasste. Seit er selbst vergrößerte, hatte er seine besten Fotos nach Themen geordnet und gesammelt. Landschaften, Architektur, Technik und Menschen.

Das dicke Album mit dem grünen Lederrücken stand nicht mehr an seinem Platz.

III

Es war voll gewesen mit den Fotos seiner Mitschüler und Lehrer, seiner Freunde und Freundinnen seiner Sportkameraden Er hatte zu fotografieren begonnen, als er in die Untertertia kam. Ein Jahr später hatte er sich von dem Lohn eines Ferienjobs eine Vergrößerungsanlage gekauft. Er hatte sogar während des Unterrichts Fotos gemacht. Schnappschüsse von den Lehrern in den für sie typischen Haltungen.

Und natürlich immer wieder Jochen, Jutta und Rainer. Jochen auf dem Schulhof, Jochen und Jutta mit dem kleinen Paddelboot auf dem Mittellandkanal. Eine Radtour mit Jochen und Jutta, bei einem Sportfest, Jochen und Rainer, Jochen nach der Beerdigung seiner Mutter...

»Volker! Hörst du nicht?«

Heikes Stimme klang scharf. Er fuhr herum.

»Verzeih, ich habe gerade an etwas gedacht.«

»Dein Essen ist fertig.«

Er war nicht bei der Sache. Er musste den ganzen Schrank absuchen. Irgendwo musste das Album ja sein.

»Hast du mal das grüne Album in der Hand gehabt?«, fragte er, als sie nach dem Essen einen Kaffee tranken.

»Das grüne? Ist es das mit den Schulfotos?«

»Ja.«

»Nein. Ich nehme überhaupt keins von den Alben in die Hand. Ich gehe nicht an den Schrank, weil ich weiß, wie du dich immer anstellst.«

Das kalte Gefühl stellte sich wieder ein. Fragen drängten sich auf, die er zurückhalten musste, wenn er Heike nicht beunruhigen wollte Gerd kam hereingestürmt, um gute Nacht zu sagen. Seine Kaffeetasse kippte um, und Heike schimpfte laut.

»So, du Ungeheuer, jetzt ins Bett! Los, ab!«

»Bringst du mich morgen zur Schule, Papa?« Gerd klammerte sich an Schaakes Hals fest.

Schaake drückte seinen Sohn an sich. »Klar tue ich das«, sagte er weich.

Gerd besuchte die Realschule in Haar. Weil es sich kaum lohnte, den Bus zu benutzen, fuhr Gerd zum Leidwesen seiner Mutter am liebsten mit dem Fahrrad. Heike hatte sich jetzt daran gewöhnt, aber wenn sie die Zeit irgendwie aufbringen konnte, brachte sie Gerd immer noch mit ihrem Wagen zur Schule und holte ihn mittags wieder ab. Jetzt lächelte sie.

»Dann darf ich ihn wohl abholen, weil du zum Flughafen weiterfährst?«

Gerd stürmte hinaus und polterte nach oben. Udo schlenderte herein und setzte sich aufs Sofa.

»Kann ich den Rockerfilm sehen?«, fragte er.

»Du bist wohl übergeschnappt! Rockerfilm!«

Udo hob die Schultern, warf die Fernsehzeitschrift weg und zog wieder ab.

»Erlaubst du ihm solche Filme?«, fragte Schaake

»Natürlich nicht. Aber manchmal, wenn du weg bist, ist es eben nicht so einfach, ihm alles abzuschlagen.«

»Ach komm, setzen wir uns.« Er zog sie auf seinen Schoß und fasste ihre Brüste an. Sie stieß seine Hand zurück.

»Nicht! Udo kommt doch gleich wieder. Und außerdem muss ich das Gulasch noch umfüllen.«

Er seufzte. »Hattest du in der letzten Zeit Besuch?«

»Ich? Besuch? Wen denn?«

»Das frage ich dich ja.«

»Außer Uschi und Irmgard kommt nur Frau Teschner manchmal nach dem Tennis auf ein zweites Frühstück mit. Ich bin die klassische Grüne Witwe. Wenn der Richtige anklopft...«

»Und sonst? Ich meine, waren schon mal Handwerker hier? War etwas kaputt?«

»Das hätte ich dir doch gesagt. Warum fragst du?«

»Ach, nur so.«

»Etwa wegen des Albums? Meinst du, das hätte einer geklaut?« Heike lachte laut. »Volker, Volker, so schön wart ihr auch wieder nicht!«

Etwas unwillig stand er auf und ging in sein Arbeitszimmer zurück. Er durchsuchte den ganzen Schrank und alle Fächer seines Schreibtisches.

Nichts.

Er sah in dem alten Küchenschrank im Keller nach, in den sie alles stopften, was sie oben nicht mehr haben wollten.

Nichts.

Er fragte die Kinder, sah in ihre Bücherregale.

Nichts.

Als er Heike in der Küche rumoren hörte, untersuchte er die Schlösser an der Haustür, die Sicherung an der Terrassentür und die Kellertür, die in den Garten führte.

Er konnte keine Spuren entdecken, die auf ein gewaltsames Eindringen hätten schließen lassen.

Doch ein kaltes Gefühl der Unsicherheit ließ sich nicht mehr vertreiben.

»Ach ja, wir haben eine neue Wasseruhr bekommen!«, rief Heike, als er gerade aus dem Keller kam. »Angeblich ist das so üblich. Alle sieben oder acht Jahre bekommt man eine neue Wasseruhr, auch wenn es die alte noch tut.«

Schaake sah nach. Es stimmte Die Wasseruhr war ausgewechselt worden.

Heike stand oben an der Treppe, als er heraufkam. »Was suchst du da unten? Etwa immer noch das Album? Hast du einen alten Schulfreund wiedergetroffen? Oder eine Freundin?«

»Wir waren keine gemischte Schule«, antwortete er.

Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Der Fernsehapparat lief, und Udo hockte mit angezogenen Beinen in einem Sessel. Heike hörte, wie er zornig Luft holte, und schnell drückte sie seinen Arm.

»Lass ihn«, flüsterte sie.

Sie setzten sich in verschiedene Sessel, und schweigend starrten sie auf die Mattscheibe

Schaake nahm nicht wahr, was sich dort abspielte. Ihm war es recht, weil er nachdenken konnte. Heike spielte drei Mal in der Woche morgens von neun bis zehn Tennis. Darauf konnte man sich verlassen. Um die Zeit waren die Kinder in der Schule. Die Hecke vorn war so hoch, dass sie die Eingangstür den Blicken der Nachbarn entzog. Tagsüber schloss Heike die Tür nicht ab, und das Zusatzschloss sperrte sie erst recht nicht; es war ihr zu umständlich, von außen die Kette einzuhaken und sie bei ihrer Rückkehr wieder zu entriegeln.

Einmal, es war drei oder vier Monate her, hatte er sich selbst ausgesperrt. Da hatte ihm der kleine Günter Dahmen aus dem Nachbarhaus gezeigt, wie man trotzdem hereinkam. Er hatte einen kurzen Holzstock genommen, den Arm durch den Briefkastenschlitz geschoben und mit dem Holz von innen die Klinke herabgedrückt...

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