Kitabı oku: «Marx als Philosoph», sayfa 2
Folgen kritischen Philosophierens.
Eine kurze Reminiszenz
Vielleicht waren es genau diese Offenheit, die Bereitschaft zur Veränderung im eigenen Prozess der Erkenntnissuche und zugleich die Unbedingtheit des Willens zur Wahrheit, die Schmidts Wirkung auch auf kritische Zeitgenossen und auf die nachkommende aufbegehrende Generation in bewegten Zeiten ausmachten. Der von Helmut Reinicke verfasste Beitrag gibt darüber Aufschluss: Er bildet Atmosphäre und Diskussionslage der sechziger Jahre anschaulich ab, zeigt die Verknüpfung der von Schmidt in diesem Zeitraum angebotenen Seminare sowie der aus ihnen hervorgehenden Schriften – ob zu Feuerbach, Nietzsche oder eben zu Marx – mit der theoretischen Organisierung einer Neuen Linken und identifiziert etwa Rudi Dutschke als intensiver Leser des Schmidtschen Naturbuchs.
Reinickes Darstellung zufolge – und hier spricht ein unmittelbarer früher Weggefährte – »hat AS bereits 1962 die Stoßrichtung der weiteren theoretischen Arbeit der hauptsächlich philosophisch-soziologischen Linken zur Ökonomiekritik vorweggenommen«.36 Dabei ging es keineswegs nur um Anleitung zur angemessenen Lektüre. Die Zentralstellung des Marxschen Begriffs der Praxis, wie er sich in den Thesen über Feuerbach herauskristallisierte und bei Schmidt schon im Naturbuch selber als produktive Erkenntniskraft begriffen wurde, und ganz besonders das mit Feuerbach verfochtene Postulat einer »emanzipatorischen Sinnlichkeit«, das sich mit Marcuses Vorstellung einer »neuen Sensibilität« unschwer verbinden ließ, trafen Nervenpunkte der Auseinandersetzung einer Generation, die ihre Identitätssuche neu zu organisieren antrat und dabei den Bruch mit den vorangegangenen riskierte, auf der Suche nach Befreiung von Fremdzwängen und nach Chancen für die Entfaltung humaner Phantasie im – so Schmidt in einer späteren Arbeit über Marcuse – »Horizont einer libidinösen, Trieb und Vernunft versöhnenden Kultur«.37
Dass gerade in dieser Hinsicht marxistisches Gedankengut an seine Grenzen stieß und die Emanzipationsidee zu verfehlen Gefahr lief, hat Schmidt nie überspielt, im Gegenteil: »Soweit der traditionelle Marxismus«, vermerkt er in seiner Feuerbach-Schrift, »die naturale Basis des angestrebten Wandels gegenüber seiner technisch-ökonomischen unterschätzt, ja ignoriert, verfällt auch er der Kritik; er betont die Notwendigkeit, die Massen politisch aufzuklären, ohne sich um diejenige Sphäre zu kümmern, worin die Menschen ihre Welt und ihresgleichen am unmittelbarsten erfahren: in Ihrer Bedürfnis – und Triebstruktur.«38 – Sätze, die auch Herbert Marcuse so hätte formulieren können.
Tatsächlich kommt Schmidt ein Vierteljahrhundert später noch einmal auf dessen Intentionen zu sprechen, nicht ohne Bezüge zur Marx-Rezeption herzustellen:
»Die neue Sinnlichkeit vermittelte die Idee der Weltveränderung mit dem Drang des Individuums nach Glück und Freiheit. […] Indem Marcuse diese unmittelbar beobachtbare Praxis der Protestgruppen auf ihren philosophischen Begriff brachte, entwarf er – unter Rekurs auf die Pariser Manuskripte des jungen Marx – eine zeitgeschichtlich situierte Anthropologie, die den schulmäßig erstarrten Marxismus in einem wichtigen Punkt ergänzte.«39
Dieser Punkt betrifft die Tiefendimension der Idee der Emanzipation. Schmidt rekonstruiert sie im Sinne Marcuses so:
»Die Tiefe der Rebellion zeugt davon, in welchem Maße die bisherige Gesellschaft nicht nur die allgemeine Wahrnehmungswelt und die Funktionsweise der Sinnesorgane, sondern auch, biologisch gesprochen, den ›Stoffwechsel zwischen dem Organismus und seiner Umwelt‹ geprägt hatte. Der Bruch mit dem Bestehenden konnte nur von Menschen vollzogen werden, die ›physiologisch und psychologisch‹ fähig waren, die Dinge und sich selbst anders als bisher ›zu erfahren‹. Er schloß eine ›Revolution der Wahrnehmung‹ ein, die – den sozialen Wandel begleitend – eine neue ›Umwelt‹ hervorbrachte. Das (die Sinne wie die Kunst betreffende) ›Ästhetische‹ stellt sich Marcuse dar ›als mögliche Form einer freien Gesellschaft‹, jedoch unter geschichtlichen Umständen, deren Zwiespältigkeit ihm nur zu bewußt war.«40
Helmut Reinicke, der in Zusammenarbeit mit Schmidt für die Übersetzung von Marcuses Schrift »Versuch über Befreiung« sorgte, blickt in seinem Buch über Rudi Dutschke. Aufrecht gehen, 1968 und der libertäre Kommunismus auf die bewegten Zeiten, in denen das Ringen um das angemessene Verhältnis von Theorie und Praxis existentielle Form anzunehmen schien, so zurück:
»Der Flug war nur kurz. Dennoch hat die Revolte der sechziger Jahre in Deutschland – neben den Versuchen alternativer Lebensformen, der Frauenbewegung, der Wehrdienstverweigerung, den Solidaritätsmanifestationen für die Dritte Welt usw. – die Elemente künftiger Theorie und Praxis formuliert. Sie hat die Notwendigkeit einer proletarischen Revolution in Frage gestellt und ein Bedürfnis nach Befreiung in Aktionen umgesetzt. Sie hat Ökonomiekritik und Philosophie vereint. Schließlich hat sie gezeigt, dass die Welt nicht das ist, was der Fall ist.«41
Das »Materialistische« der Marxschen Theorie
Worin besteht nun eigentlich in philosophischer Perspektive das Besondere der Schmidtschen Beiträge zu Marx? Wodurch gewinnt Schmidts Marx-Auseinandersetzung ihr eigenes unverwechselbares Profil? Die Abkehr von weltanschaulicher Dogmatik sowjetmarxistischer Prägung und das Plädoyer, Marx in den Horizont des realen Humanismus zu rücken, teilt Schmidt mit weiteren Repräsentanten des »westlichen Marxismus«. Auch mit seinem Begreifen der Marxschen Kategorien als geschichtlich variierende Momente bestimmter Negation auf jeweils konkretem geschichtlichen Stand steht Schmidt nicht allein; ebenso wenig wie in der Hochschätzung der Bedeutung des Praxisbegriffs als Fundament der Erkenntnis und Kriterium der Wahrheit. Auch hier hat Schmidt genügend Vorläufer und Mitstreiter sowohl im eigenen Land als auch im weiteren Umfeld des westlichen Marxismus. Vieles spricht dafür, dass das Spezifische der Schmidtschen Marx-Interpretation in der Suchbewegung enthalten ist, die sich um die Frage zentriert, was mit dem »Materialistischen der Marxschen Theorie« eigentlich gemeint ist. Sie nämlich hat ihn dazu veranlasst, einen – wie er selbst bekundet – »besonders charakteristischen Schnitt durch das Marxsche Werk«42 vorzunehmen, ein Schnitt, mit dem es ihm gelang, die in diesem Werk enthaltene Dimension der »Wirklichkeit als Mosaik von Natur und Geschichte«43 als neu zu durchdenkende Ausgangsposition und besondere Problemkonstellation herauszupräparieren. Ein folgenschwerer Schnitt, dem man die mit ihm eingehandelten Schwierigkeiten nicht auf dem ersten Blick ansieht.
Denn eigentlich versucht Schmidt zunächst ja nur auszubuchstabieren, was Marx und Engels im Feuerbachkapitel der Deutschen Ideologie als Fundament geschichtsmaterialistischer Forschung in bekannter Formulierung so ausgemacht haben:
»Die Geschichte kann von zwei Seiten aus betrachtet, in die Geschichte der Natur und die Geschichte der Menschen abgeteilt werden. Beide Seiten sind indes nicht zu trennen; solange Menschen existieren, bedingen sich Geschichte der Natur und Geschichte der Menschen gegenseitig.«44
Schmidt nimmt diese Bestimmung ungemein ernst und stellt sich der mit ihr einhergehenden Schwierigkeit, eigenbestimmt-naturale und geschichtlich-gesellschaftliche Praxis in ihrer Identität und Nichtidentität zu begreifen, d. h., die Ebenen der Verschränkung beider Sphären wahrzunehmen in ihren wechselseitigen Wirkungsmomenten, aber eben auch in ihren nicht aufeinander reduzierbaren, sich gegenseitig abstoßenden Elementen.
Die konsequente Fortsetzung dieses Marxschen Grundgedankens, in den das Thema der Subjektivität in der Perspektive Freudscher Erkenntnis bereits einbezogen ist, kann in Schmidts Sicht deshalb nur lauten:
»Naturales und Historisches sind im Menschen unentwirrbar durcheinander vermittelt – derart freilich, daß das Naturale innerhalb dieser Vermittlungen, in die es letztlich unauflösbar ist, sich stets aufs neue durchsetzt.«45
Dieser zentrale Gedanke der Schmidtschen Marx-Interpretation verlangt nach weiterer Veranschaulichung, und es ist spannend mitzuverfolgen, wie der an der Dialektik von Hegel und Marx nun wirklich intensiv geschulte Philosoph zögert, sein Erkenntnisinstrument in dieser Frage der Verhältnisbestimmung von Naturalem und Geschichtlichem wie gewohnt zur Geltung zu bringen, wie vorsichtig er es nun handhabt. Tatsächlich vermag andernorts ja auch dialektisches Denken in sich aufzulösen, zu tilgen, was sich dem Denken widersetzt, um damit in die Sackgasse einer verkürzten, einseitigen Sicht jenes Verhältnisses zu geraten, sei es in die Position eines Kulturismus, für den der Natur- und Leib-Standpunkt einfach nur Ballast ist, den es zu entsorgen gelte, sei es in die eines kruden Naturalismus, der sich in seinen Aussagen abgelöst darstellt von Gesellschaft, Kultur und Geschichte – Schmidt weiß die Akzente anders zu setzen und folgt auch hierin Marx: Eine Stelle aus dem Kapital heranziehend, macht er auf einen »Verstoß« Marxens gegenüber der »Dialektik von Allgemeinem und Besonderem« aufmerksam; Marx musste so vorgehen, interpretiert Schmidt, »weil es ihm widerstrebt, die Kategorie des Materialismus durchgängig mit denen der Dialektik zu identifizieren.«46 Der entscheidende Grund hierfür:
»Die völlig durchgeführte Dialektik von Besonderem und Allgemeinem brächte Natur: das Widerspenstige, nicht restlos auf ›Vermittlungen‹ zu Bringende, zum Verschwinden. Indem Marx die – in Nietzsches Sprache – nicht ›festgestellte‹, allgemeine Menschennatur von ihrer vorliegenden Gestalt unterscheidet, gewinnt sein materialistischer Vorbehalt eine politische Note. Die orthodox verfochtene These, alle Kategorien des Materialismus seien zugleich solche der Dialektik, lässt sich wohl – zumindest in dieser Verbindlichkeit – nicht halten. Hier wie anderswo im Marxschen Werk schlägt der Materialismus der Dialektik ein Schnippchen.«47
Das heißt nun aber:
»Marx vertritt letztinstanzlich den Primat der Natur gegenüber Geist und Gesellschaft. […] Bei aller geschichtlich wechselnden, von Marx keineswegs vernachlässigten Formbestimmtheit des Stoffwechsels setzt sich dessen Inhalt immer wieder durch. Der eiserne Zwang zur Produktion und Reproduktion menschlichen Lebens, der die Geschichte definiert, gemahnt kaum zufällig an die sturen Kreisläufe der Natur. Daß der historische Wandel von Subjekt und Objekt auf natürliche Grenze stößt, wird freilich von Marx niemals in apologetischer Absicht vorgetragen. Halten wir fest: Natur ist ein negatives, unaufhebbares Ontologicum. Stets aufs neue erweist sie sich als antidialektisch-statisches Element, das sich jedoch nur innerhalb und vermittels der historischen Dialektik als solches bestimmen läßt.«48
Dabei gilt es, auf das Erkenntnisproblem der Verhältnisbestimmung bezogen, zu beachten:
»Der Widerspruch, dass die Natur dasjenige ist, woran kein menschlicher Maßstab angelegt werden darf und was zugleich nur über unausrottbar anthropomorphe Kategorien angeeignet wird, muss, mit Hegel zu reden, ›ausgehalten‹ werden. […] Alle Erkenntnis übersetzt und interpretiert die Natur, ›vermenschlicht‹ sie. […] Die Natur, wie sie an sich sein mag, und die Natur als Gegenstand der Forschung sind nicht identisch.«49
Im Marxschen Verständnis ist es allein die Naturstoff-vermittelte Arbeit, die einen Zugang zu ihr ermöglicht. Das heißt: Der Weltentwurf des in seiner jeweiligen historischen Epoche sinnlich tätigen Menschen ist durch tätige Sinnlichkeit vermittelt.
»Wie Sinnlichkeit und Verstand, Anschauung und Begriff sich zueinander verhalten, läßt sich nicht ein für alle Mal fixieren, sondern bleibt dem konkreten Gang der Geschichte überlassen. Die gesellschaftliche Praxis, ein überindividuelles Subjekt, stiftet jeweils die Einheit der Erkenntnismomente und vermittelt ihren Übergang ineinander. Sie ist das Kriterium der Wahrheit. Erkenntnistheoretischer Realismus und Subjektivismus werden im Arbeitsprozeß miteinander versöhnt.«50
Eben deshalb kommt es erkenntnistheoretisch darauf an, »in den Begriff der bewusstseinsunabhängigen und objektiven Wirklichkeit die menschliche Praxis aufzunehmen, das, was wir die sinnliche Welt nennen.«51
Tatsächlich geht es Schmidt um das Fundament eines nicht reduktionistisch begrenzten und nicht essentialistisch vorentschiedenen Begriffs von Materialität, der belanglos würde, ließe er sich nicht vom – Natürlichkeit und Sozialität vermittelnden – Kriterium der Praxis inwendig bestimmen: ein Begriff der Materialität, der in unterschiedlichen Konstellationen, die Geschichte des Materialismus betreffend, unterschiedliche Konturen gewinnt und je besondere Erkenntnisfunktionen generiert: der bei den Vorsokratikern mit anderen Sinn gefüllt wird als bei Aristoteles, bei Hobbes mit einem anderen Stellenwert versehen wird als bei Spinoza und Goethe,52 in Positionen der Aufklärungsphilosophie einen anderen Bedeutungshorizont bezeichnet als bei den »Philosophen der Leiblichkeit« Schopenhauer, Feuerbach, Nietzsche oder Freud, in der Gegenwart bei Bloch andere Akzentuierungen erfährt als in der authentischen Kritischen Theorie Alfred Schmidts. Dessen Leistung aber ist es, sich darum bemüht zu haben, mit allen genannten Positionen im offenen Dialog zu bleiben und die in diesem Dialog gewonnenen Einsichten mit der Marx-Interpretation zu vermitteln. Eben daraus resultiert der Reichtum an Einsichten und die Breite und Tiefe neuer Assoziationen, die die Marx-Diskussion zu bereichern und – in bestimmten gesellschaftlich brisanten Fragen: hierfür steht die Idee des ökologischen Materialismus – auf ein neues, zumindest so bisher nicht bedachtes Fundament zu stellen vermögen.
Mit den bisher dargestellten Überlegungen ist das Erkenntnisproblem von der Objekt-Seite her in den Blick genommen; noch nicht zureichend erschlossen erscheint dagegen die Ebene der Qualität und Eigendynamik subjektiver Prozesse, die für die Formulierung einer tragfähigen und brauchbaren materialistischen Erkenntnistheorie von ebenso ausschlaggebender Bedeutung ist. Den Zusammenhang beider Erkenntnisperspektiven hat Schmidt bereits in seinem Naturbuch in kritisch-diagnostischer Hinsicht so auf den Begriff gebracht:
»Es gehört wesentlich zu der als organisierter Herrschaft fortschreitenden Zivilisation, daß die zu bloßem Material menschlicher Zwecke herabgewürdigte Natur dadurch sich an den Menschen rächt, daß diese ihre Herrschaft nur mit stets sich mehrender Unterdrückung ihrer eigenen Natur erkaufen können.«53
Aufschlussreich erscheint der Bezug auf Freud in den nun unmittelbar folgenden Sätzen, verrät er doch, wie Schmidt sich in der Frage nach dem Subjekt neu zu orientieren sucht:
»Die Entzweiung von Natur und Mensch in der Arbeit spiegelt in der Unversöhnbarkeit von Lust- und Realitätsprinzip sich wider. Wobei jedoch die Einsicht, ›daß jede Kultur auf Arbeitszwang und Triebverzicht beruht‹, Freud trotz aller psychologisch begründet Skepsis gegenüber dem Sozialismus in letzter Instanz sowenig wie Marx dazu verhält, der Resignation das Feld zu überlassen. Die geheime Utopie der Psychoanalyse, wie sie etwa in der Schrift ›Die Zukunft einer Illusion‹ sich andeutet, ist im Grunde die Marxsche von ›innen gesehen‹: Es wird entscheidend, ob und inwieweit es gelingt, die Last der den Menschen auferlegten Triebopfer zu verringern, sie mit den notwendig verbleibenden zu versöhnen und dafür zu entschädigen.«54
Gewiss, auch die »geheime Utopie«, die Schmidt hier aus der Verbindung von Marx und Freud konstruiert, ist eine bestimmte Negation; der Naturbezug in ihr enthält »kein positives metaphysisches Prinzip«.55 Wohl aber drängt er zur Frage der Subjektivität, die Schmidt nun über den Rahmen der Marxschen Theoretik hinauszugehen zwingt.56
Aber auch hinsichtlich dieser neuen Aufgabenstellung galt es zunächst, das Terrain zu bereinigen. So sah sich Schmidt in der Debatte um Voraussetzungen materialistischer Erkenntnistheorie vor die Aufgabe gestellt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, formelhafte Bescheide, wie sie in Konzepten der kodifizierten weltanschaulich geprägten Widerspiegelungstheorien enthalten sind. Schmidt nimmt hiervon begründet Abstand, um im Gegenzug zwei Aufgabenfelder intensiv ins Visier zu nehmen: Zum einen geht es ihm darum, die von Marx erreichten Positionen mit Denkmotiven gerade auch der idealistischen Philosophie zu konfrontieren, die in der Theoriebewegung zwischen Kant und Hegel – und im Anschluss Fichte – die Frage der Subjektivität ja zu ihrem besonderen Gegenstandsbereich gemacht hatte. Und zum anderen bzw. gleichzeitig zielt der Geschichtsschreiber des philosophischen Materialismus darauf ab, im Anschluss an Darwin, Feuerbach, Positionen des naturwissenschaftlichen Materialismus und der Entdeckung des Leibes (matérialisme médical)57 bis hin zu den subjektzentrierten Kritikern der Bewusstseinsphilosophie – Schopenhauer, Nietzsche und Freud – Bausteine zur Formulierung jener nichtsubjektivistischen Theorie der Subjektivität zusammenzutragen, die zum Paradigma einer materialistischen Konstitutions- und Erkenntnislehre ausgebaut werden sollte.
Die Implikationen dieser Forschungen können hier nicht mehr auseinandergelegt werden; nur auf einen Aspekt ist noch einzugehen, weil er den Horizont in der Frage nach dem Materialistischen der Marxschen Theorie zu erweitern vermag: »Wer zum historischen Materialismus übergeht«, gibt Schmidt zu bedenken,
»ist damit keineswegs der Probleme enthoben, die sich aus der Leiblichkeit des Menschen ergeben. Marxens Akzentuierung von Gesellschaft und Geschichte war Hegel gegenüber materialistisch. Wird sie aber vorgetragen unter Abstraktion von Realitäten des Bios, so nimmt sie leicht idealistische Züge an. Man muß deshalb darauf achten, daß sich nicht in die Funktion der Marxschen Kategorien der alte Idealismus wieder einschleicht. Wird die leibliche Materialität vernachlässigt, so bleibt der Begriff des Materialismus insgesamt unterbestimmt.«58
Aufzuspüren ist hier das anfangs bereits bedachte Paradoxon materialistischer Philosophie, dass sie das Denken mit Problemen konfrontiert, die sich im Medium des Denkens nicht lösen lassen. Schmidt zögert deshalb nicht, im Zuge seiner Konstruktion eines kritischen Materialismus einen Wechsel der Ebenen vorzunehmen und sowohl die leibzentrierte Willensmetaphysik Schopenhauers eingehend zu rekonstruieren als auch die Metapsychologie bzw. Trieblehre Freuds intensiv zu studieren, um das Aufklärungspotenzial der beiden Konzeptionen auszuloten und von seinen eigenen Prämissen aus miteinander in Beziehung zu setzen.59 Die Frage, was dies mit Marx und dem Materialistischen seiner Theorie zu tun hat, ist sicher nicht fehl am Platz.
Alfred Schmidt ist uns die Antwort nicht schuldig geblieben, denn er hat uns diese Lehre erteilt: Ein Materialismus, der etwas taugt, ist in sich reflektiert, ohne dem Spielraum assoziativer Fantasie abzuschwören. Er bedient sich bald der genetisch-kritischen, bald der immanent-kritischen Methode und kann hierbei noch immer Orientierung finden an der Art und Weise, wie Marx seinen Erkenntnisgegenstand fasst und durchdringt. Keinesfalls muss er sich in der Verachtung des kognitiven Vermögens der menschlichen Gattung profilieren; entschieden aber erforscht er die geschichtliche Gewordenheit unseres Erkenntnisapparats und hierfür ist die von Marx entwickelte Vorstellung eines sinnlich-tätigen Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur das nach wie vor gültige, wegweisende Paradigma. Und weiterhin: Bekanntlich ist »Bewusstsein« kein Apriori der Erkenntnis, sondern – in objektiver Hinsicht, wie aufgewiesen – selbst bedingt durch den jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Arbeit, Niederschlag generationenübergreifender Praxis. Das ebenfalls von Marx apostrophierte »enorme Bewußtsein« wäre eine leere Hülse, eine schlechte Abstraktion, ließe es sich nicht auch begreifen als das mögliche Resultat jener sinnlichtätigen Praxisauseinandersetzung, als Produkt einer – durch sinnliche Wahrnehmung, lebenspraktische Erfahrung und Tathandlung geprägten – Entwicklung; konkret und auf das Bildungsgeschehen individueller Subjektivität und die Formierung des Selbst-Bewusstseins bezogen: als Produkt eines psychophysischen Prozesses, der sich, leiblich konturiert, am sozio-historischen Ort, in lebenspraktischen Interaktionen abspielt; das subjektive Erleben und Verhalten konstituierend im Sinne der leiblich-affektiven Besetzung der Welt, die ihrer bewussten Erfassung vorausgeht.60
Bei alledem geht es nicht etwa nur um den Aspekt des Eudämonismus innerhalb der Materialismus-Idee, vielmehr rückt die von Schmidt Feuerbach zugeschriebene Einsicht in die »Ambivalenz der Natur im Subjekt« in den Blick: »Die Sinnlichkeit«, zitiert Schmidt Feuerbach, ihn hier im Vorfeld Freuds situierend, »ist die Quelle der Lust, aber sie ist auch die Quelle der Schmerzen, der Leiden, der Krankheit, der besten Gegenmittel gegen die ausgelassene Lust.«61 Schmidt ist klar: Die Erschließung der Erkenntnisproblematik in geschichtsmaterialistischer Perspektive muss die Ebene leiblicher Praxis erreichen, die gegenüber Denkakten widerständig bleibt und nicht ins Erkennen hinein auflösbar ist. Denn in der Leiblichkeit des Menschen finden Differenz und Übereinstimmung mit der Welt ihren Niederschlag, manifestieren sich Glücksverlangen und Leiderfahrung. In diesem Sinn erinnert Schmidt an die eben auch schon von Feuerbach formulierte Einsicht, dass die »Pathologie vor allem […] die Heimat und Quelle des Materialismus« ist,62 um an anderer Stelle dieses spezifische Materialismus-Verständnis noch so zu kommentieren:
»Vielleicht wird von den Materialisten der Mensch als ein hinfälliges, überaus bedingtes Stück der Dingwelt ernster genommen als in den idealistischen Konzeptionen. Eine Hinfälligkeit und Bedürftigkeit, die vom Materialismus aufrichtiger, wohl auch demütiger ausgesprochen wird als in jenen Theorien, die den Menschen zwar als erhabenes Geistwesen bestimmen, sich in der Praxis jedoch nicht selten zur Rechtfertigung geistloser, unterdrückender Zustände hergeben.«63
Keine Frage, ein Materialismus, der von dieser existentiellen, die Frage von Vergänglichkeit und Tod einbeschließenden Dimension keine Notiz nimmt, ist vom Schmidtschen Verständnis, von seiner Durchdringung der Materialismus-Problematik qualitativ deutlich zu unterscheiden. »Wir verstehen einen philosophischen Autor erst dann recht«, vermochte Schmidt seine Zuhörer und Gesprächspartner zu belehren, »wenn wir wissen, gegen wen oder was dieser sich wendet.« Der Leser kann nun in Auseinandersetzung mit den Texten die Probe aufs Exempel machen. Die Herausgeber plädieren dafür: Es gibt allen Grund, in der gegenwärtigen und zukünftigen Debatte um Marx Orientierung an und in den von Alfred Schmidt erarbeiteten Perspektiven zu suchen.64