Kitabı oku: «Schlaflos», sayfa 4
»Wie ich schlafe?«, fragte ich. »Aber ich schlafe doch nicht, deshalb bin ich ja hier.«
»Dann schreiben Sie das eben auf. Und: Wann Sie sich hinlegen und wann Sie aufstehen. Und dann möchte ich, dass Sie notieren, wie Ihre Tage sind. Geben Sie ihnen eine Punktzahl – von 1 als niedrigste Punktzahl bis 6 als höchste!«
Der Therapeut war ein dünner, hoch aufgeschossener Mann mit Brille. Er saß entspannt auf seinem Stuhl mir gegenüber, hatte die Beine übereinandergeschlagen und wippte mit dem einen Fuß. Alles an ihm schien in Balance, voller Energie. Was wusste der schon davon, wie es ist, nicht schlafen zu können?
Ich ging nach Hause und machte meine Hausaufgaben, nicht, weil ich von der Methode überzeugt war, sondern weil es, würde ich sie nicht machen, bedeutet hätte, das Geld aus dem Fenster geworfen zu haben. Nach zwei Sitzungen brach ich das Ganze ab.
Jede neue Herangehensweise, jede neue Methode, jeder neue Mensch, der sich meiner Schlafstörungen annahm, setzte in mir dieselbe Bewegung in Gang: erst wilde Hoffnung, danach die Enttäuschung.
Als ich schließlich davon überzeugt war, alle Methoden erfolglos ausprobiert zu haben, zogen Line und ich von der Stadt in ein altes Haus – ohne Innenklo und fließend Wasser – in die Nordmarka, dem großen Waldgebiet nördlich von Oslo. Bis zum nächsten Laden war es eine halbe Stunde mit dem Auto. Auch wenn die Hoffnung darauf, dort Schlaf zu finden, nicht der einzige Grund für den Umzug war, war sie doch ein Teil der mentalen Rechnung, die man sich macht, wenn man wieder einmal die Adresse ändert. Dort draußen im Wald war es still, dort gab es nichts, außer Hunde, Motorsägen und eben Wald.
Ich schlief weiterhin schlecht, das war ja klar. Und ich gab auf, zum einem, weil ich nicht mehr wusste, was ich noch anstellen sollte, um schlafen zu können, und zum anderen, weil ich begonnen hatte, zu akzeptieren, dass meine Schlafstörungen wohl bleiben würden. Die Suche war zu Ende. Nach vier Jahren zogen wir aus dem Wald wieder in die Stadt.
Und zwei Jahre danach bin ich wieder einmal auf der Suche nach Heilung.
2
Ich nehme gegen zehn Uhr abends drei Tabletten Valerina und schaue noch bis spät um eins in der Nacht fern. Dann lege ich mich ins Bett, schlafe ein und wache eine halbe Stunde später wieder auf. Es ist fast drei Uhr nachts, als ich wieder aufs Sofa wechsele und mir den Film zu Ende anschaue, den ich zuvor ausgemacht hatte. Und dann fällt mir ein, dass wir am nächsten Tag zum Abendessen eingeladen sind.
Kann ich deshalb jetzt nicht schlafen?
Daran muss ich immer zuerst denken, wenn ich etwas ausmache, bei dem etwas Zwischenmenschliches von mir verlangt wird, wie zum Beispiel aufmerksam, charmant oder interessant zu sein. Was, wenn ich in der Nacht davor nicht schlafen kann? Mit Sicherheit werde ich davor nicht schlafen können und dann wie ein Schatten meiner selbst dahocken. Und meine Freunde, die mich als redegewandt und lustig kennen, werden mich dann als träge und verschlossen erleben. Und was noch schlimmer ist: Wildfremde Leute werden dann denken, der Zombie da, das sei ich. Diese Angst, sozial nicht mithalten zu können, es nicht allen, denen ich begegne, recht machen zu können – seien es nun alte Freunde oder Leute, die ich zum ersten Mal treffe – habe ich schon mein Leben lang. Das ist einer der schlimmsten Aspekte der Schlaflosigkeit: die Belastung, sich an andere anpassen zu müssen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal ausgeruht zu einer Party oder einem Abend mit Freunden gegangen bin. Sage ich ab, hasse ich meine Schwäche und mich selbst noch dazu. In der Regel gehe ich doch hin. Zuerst eine Paracetamol oder ein Shot – dann kann ich mich fast immer so weit zusammenreißen, dass niemand etwas merkt. Jedenfalls für ein paar Stunden.
Manchmal, so wie jetzt, habe ich vergessen, dass ich am nächsten Tag etwas Wichtiges vorhabe. Erst spät in der Nacht begreife ich, warum ich immer noch wach liege – ich will ja morgen zu dieser Party, deshalb also bin ich hellwach. Ich kann Sachen vergessen, aber der schlaflose Teil von mir erinnert sich.
Als es dämmert, schlafe ich ein, wache jedoch kurz darauf von den ersten Geräuschen unseres Sohnes wieder auf. Ich gehe in sein Zimmer, wir gehen zusammen nach oben und ich schalte den Fernseher an. Ich muss die Windeln wechseln und er hat Hunger. Morgens ist es immer am schlimmsten, besonders an den Wochenenden. Der Tag liegt vor mir wie etwas Unerträgliches, durch das ich durchmuss und das kein Ende nehmen will. Wir wollen zusammen den Tag verbringen und ich kann nicht viel geben.
Line steht gegen neun auf und ich kann wieder ins Schlafzimmer und noch mal versuchen, etwas zu schlafen. Ich lege mich ins Bett und höre das White Album, das lang genug ist, sollte ich doch noch einmal einschlafen. Das Bett ist frisch bezogen, die Bettdecke kalt und luftig, das Schlafzimmer still und angenehm kühl. Dieses Gefühl: sich in sein eigenes Bett zu legen, auf die eigene Matratze, die weich und gleichzeitig hart genug ist, die Dunkelheit, die einen umschließt, das Gewicht der Bettdecke auf der Haut, die nackten Füße, die sich glücklich aneinanderreiben, das Kopfkissen um die Ohren gepackt, die Wärme, die sich in einem ausbreitet, und die Augen, die unweigerlich zufallen …
Dieses Gefühl will sich nicht einstellen. Stattdessen stößt mich das Bett von sich, so wie der Körper ein frisch implantiertes Organ abstößt. Es fühlt sich an, als ob ich mich in eine Veranstaltung geschlichen habe, zu der ich keine Einladung hatte. Ich drehe mich auf die Seite. You know I can’t sleep, I can’t stop my brain, singt John Lennon. Ich ziehe die Füße ein. Ich leg mir das Kopfkissen zurecht. Ich drehe mich wieder auf den Rücken. I’ll give you everything I’ve got for a little peace of mind.
Nein.
Das geht nicht.
»Konntest du ein bisschen schlafen?«, fragt Line, als ich eine Dreiviertelstunde später wieder aus dem Schlafzimmer in der unteren Etage nach oben komme.
»Ein bisschen«, sage ich lächelnd.
Ich mache mir einen Kaffee. Anscheinend hat die Insomnie meine Liebe zum Kaffee noch vergrößert, und das, obwohl ich doch eigentlich besonders vorsichtig sein müsste, was die Dosis und den Zeitpunkt für die Koffeineinnahme betrifft. Hinzu kommt, dass ich meinen Kaffeeverbrauch Line gegenüber ständig verteidigen muss. Sie meint, wenn ich denn wirklich besser schlafen möchte, wäre der Verzicht auf Kaffee ein kleiner Preis. Da hat sie natürlich recht. Trotzdem trinke ich weiter Kaffee. Für sie muss es frustrierend sein, sich zu einem Mann verhalten zu müssen, der sich mit der einen Hand die Tränen aus dem Gesicht wischt, weil er nachts nicht schlafen kann, während er mit der anderen eine große Tasse extra starken Kaffee hält. Line bezahlt einen beachtlichen Teil des Preises für meine Schlaflosigkeit. Ich muss einfach auf sie hören! Deshalb habe ich auch periodenweise keinen Kaffee getrunken. Eine Woche, zwei Wochen, drei Wochen ganz ohne Kaffee, ohne dass ich einen größeren Unterschied bezüglich meiner Schlafstörungen spüren konnte. Und dann habe ich eben langsam, aber sicher wieder angefangen, Kaffee zu trinken.
Ich trinke die erste Tasse und mache mir dann noch eine. Ich tue mir selber leid und außerdem muss ich mich ja bis zu der Party heute Abend wach halten – nicht um meiner selbst willen, sondern wegen Line, denke ich selbstgerecht und mahle die Kaffeebohnen in der Kaffeemühle, die so laut ist, dass alle im Haus hören können, was ich gerade tue. Nach ein paar Minuten gluckert es aus der Kaffeekanne und der Dampf steigt auf. Nach der zweiten Dosis Koffein beginnt mein Herz zu rasen. Koffein ist ein belebender und stimulierender Stoff. Er ähnelt Adenosin, dem Stoff, der uns müder macht, je länger wir uns wach halten. Das Koffein gelangt in dieselben Rezeptoren des Gehirns und blockt das Adenosin, sodass dieses keine Wirkung mehr hat. 7 So können wir vermeiden, uns müde zu fühlen.
Sieben von zehn Norwegern trinken täglich Kaffee, im Durchschnitt trinken wir 3,7 Tassen Kaffee pro Tag. Der Kaffeeverbrauch hält sich auf demselben Niveau, heute trinken wir in Norwegen ungefähr genauso viel Kaffee wie vor zwanzig Jahren.8 Die große Frage, die sich in Bezug auf Kaffee und Schlaf stellt, ist natürlich: Ab welcher Uhrzeit sollte man keinen Kaffee mehr trinken, um nachts schlafen zu können?
Dass einen tagsüber eingenommenes Koffein nachts wach hält, ist keine wilde Behauptung. Den Nachmittagskaffee ausfallen zu lassen kann faktisch bedeuten, besser zu schlafen. Ein normaler Kaffee enthält circa 120 mg Koffein. Ist man an viel Kaffee gewöhnt, braucht man mehr, um munter zu werden. Solange man eine gewisse Menge Koffein intus hat, merkt man die Veränderungen. Das Koffeinniveau ist circa eine halbe Stunde nach dem Genuss am höchsten. Wenn sich das Koffein in der Leber abbaut, wird es in drei Stoffe getrennt, die allesamt eine belebende Wirkung haben. Und dann hat Koffein auch noch eine harntreibende Wirkung. Das Koffein ist noch lange, nachdem dessen spürbare Wirkung abgenommen hat, im Körper. Die durchschnittliche Halbwertszeit für Koffein – also die Zeit, die erforderlich ist, um die Dosis zu halbieren – beläuft sich auf fünf Stunden. Meine beiden starken Tassen Kaffee, die zusammen circa 250 mg Koffein enthalten und die ich gegen 12 Uhr getrunken habe, sind um 17 Uhr zu 125 mg Koffein geworden. Um 22 Uhr sind es noch circa 60 mg. Irgendwann später dann – und lange bevor ich nach Hause und ins Bett gehe – wird die Dosis so gering sein, dass das Koffein keine anregende Wirkung mehr hat.
Während des Abendessens sitze ich neben einem Paar, das ich noch nicht kenne. Der Mann erzählt, dass er Wirtschaftsbosse zur Schneehuhn- und Rotwildjagd mit in die norwegischen Berge nimmt. Er macht irgendetwas mit Entwicklungsarbeit. Ich merke, ich bin erleichtert, endlich hier zu sein, endlich wieder in Gang zu kommen. Das geht besser als erwartet und in ein paar Stunden ist es ja vorbei.
Dann bin ich dran. Ich erzähle, dass ich Reden schreibe und als Autor arbeite.
»Worüber schreiben Sie?«, fragt die Frau.
»Im Moment überlege ich, ob ich nicht etwas über meine Schlaflosigkeit schreiben sollte. Ich leide seit vielen Jahren unter Insomnie.«
Wo kam das denn auf einmal her? Und warum gerade jetzt? Hat es etwas damit zu tun, dass meine Tage so angefüllt sind mit der Suche nach einer Lösung, dass es zu viel wird? Normalerweise stelle ich mich auf einer Party nicht als Insomniker vor: Hallo! Ich heiße Anders und kann nicht schlafen!
»Das ist ja interessant!«, sagt sie. »Ich schlafe auch schlecht.«
»Wirklich?«Ich bin verwirrt und gleichzeitig Feuer und Flamme: Nicht nur, weil ich jemand anderen mit Schlafstörungen getroffen habe, sondern weil ich meine eigenen erwähnt habe.
»Ich wache immer morgens um sieben auf, auch am Wochenende. Dann trinke ich etwas Milch und schlafe wieder ein«, sagt sie.
»Sie sollten jagen gehen! Hinterher schlafen Sie garantiert«, sagt er.
Bald reden alle am Tisch über Schlafstörungen. Keine Ahnung warum, aber vielleicht weil sie sich verpflichtet fühlen, sich meine Leidensgeschichte anzuhören, oder aber weil sie von sich denken, sie seien Experten, was ihren eigenen Nachtschlaf betrifft. Der Gastgeber berichtet von einer miesen Nacht von vor zwei Wochen. Jemand anders erzählt von seinem Sohn, der den Tag zur Nacht gemacht hat, den ganzen Tag nur schläft und nachts immer auf ist. Wieder ein anderer meint, ich müsse Akupunktur machen, das würde helfen. Und einer weiß um einen amerikanischen Kräutertee und will mir einen Link für die Online-Bestellung schicken.
»Sie dürfen kein Mehl und keinen Zucker mehr essen«, sagt die Gastgeberin.
»Haben Sie sich von einem Facharzt untersuchen lassen?«
»Welche Farbe haben Ihre Schlafzimmerwände? Hoffentlich nicht Gelb.«
»Sie können gern mal mein Wochenendhaus haben, da schläft man immer wunderbar.«
»Masturbieren!«, flüstert mir die Frau neben mir am Tisch ins Ohr. »Danach schläft man wie ein Murmeltier!«
Auf dem Weg nach Hause, so gegen 2 Uhr nachts, schlucke ich die drei Valerina-Tabletten, die ich vorher in meine Tasche gesteckt hatte. Ich gehe ins Bett und schlafe gleich ein, entweder wegen des Weins oder der Tabletten, was mir aber egal ist, Hauptsache ich kann einschlafen. Als ich dann gegen 4 wieder aufwache, geht die Grübelei los: Liegt es am Wein, dass ich wieder aufgewacht bin, entledigt sich das System gerade des Alkohols? Habe ich genug Tabletten genommen? Und wie war das noch mal mit dem Kaffee? Wie viel habe ich eigentlich getrunken und wie lange ist das noch mal her? Ich liege da und denke an all die Tipps, die man mir am Tisch gegeben hat. Auch Familie und Freunde geben mir normalerweise Ratschläge, wenn ich wieder wegen meiner Schlafstörungen jammere. Mir ist aufgefallen, dass diese Ratschläge oft mehr über die Leute selbst sagen, als dass sie mir helfen würden. Alle sind immer gut gemeint, aber nicht wissenschaftlich begründet, sondern basieren auf dem, was für den Einzelnen funktioniert. Trotzdem werde ich sie mir merken und – wenn die Verzweiflung zu groß wird – auch einige ausprobieren. Wer weiß, vielleicht wird meine Schlaflosigkeit kuriert, wenn ich auf einer Jagdhütte im Bett liege, Milch trinke und mir einen runterhole?
Alles erscheint irgendwie vernünftig, wenn man nur ein ausreichend großes Schlafdefizit hat.
3
Montag. Wieder nur Rechnungen im Briefkasten. Ich warte immer noch auf einen Brief vom Osloer Ullevål-Krankenhaus, die Überweisung dorthin ist schon vor über einem Monat rausgegangen. Ich schreibe meinem Hausarzt über das Kontaktformular seiner Webseite eine Nachricht. Der Benachrichtigungsbrief, der schon lange bei mir eingetroffen sein sollte, ist immer noch nicht da. Was ist los? Am Dienstag melde ich mich für einen Yogakurs für besseren Schlaf an und mache einen Termin für Akupunktur aus, der Schlafstörungen behandeln soll. Ich googele auch Stichwörter wie Schlaf und Chiropraktik, finde aber kein Behandlungsangebot, sondern nur theoretische Ausführungen. Am Mittwoch kaufe ich mir zwei neue Bücher über Schlaf: Arianna Huffingtons Die Schlaf-Revolution und Shawn Stevensons Jeder Mensch kann schlafen lernen. Bisher habe ich vorrangig Bücher von norwegischen Ärzten und Psychologen gelesen. Es ist erstaunlich, wie wenig man im Grunde weiß und wie neu das Wissen auf diesem Gebiet zu sein scheint. Und es ist auch enttäuschend zu sehen, wie marginal das Thema Insomnie in sämtlichen Büchern über den Schlaf und Schlafstörungen behandelt wird. Oft wird diese, das heißt meine, Schlafstörung neben all den anderen Schlafstörungen auf ein paar Seiten in einem Unterkapitel abgearbeitet. So auch in Arianna Huffingtons Buch, das ich weglegen muss, bevor ich noch bis zur Hälfte gekommen bin. In mir steigt einfach nur Wut auf. Ihre Annäherung an das Thema sieht wie folgt aus: Als bisher erfolgreiche Geschäftsfrau hat sie in ihrem Leben einen Preis bezahlen müssen, sie hat sich den Schlaf versagt, um ihren Traum zu verwirklichen. Vor einigen Jahren nun hatte sie, als Folge des Schlafmangels, eine Krise und jetzt hat sie ein neues und besseres Leben mit mehr Schlaf. Wir befinden uns alle mitten in einer Schlafkrise, so Huffington. Zugunsten des Jobs und der Karriere wenig zu schlafen ist lebensgefährlich. Das, was mich an dem Buch am meisten provoziert, ist, wie Huffington das Problem illustriert: Eine Anekdote nach der anderen über erfolgreiche und in der Regel prominente Leute, die alle anscheinend Freunde der Autorin sind, da sie sie nur beim Vornamen nennt: Brad, Jennifer und Kate, die nicht genug schlafen, weil sie damit beschäftigt sind, gut in ihrem Job und berühmt zu sein.
Das zweite Buch wirkt mit seinen 21 einfachen Ratschlägen für einen besseren Schlaf etwas empathischer. Ungeduldig blättere ich mich durch Vorwort und Einleitung, bis ich zu einem der ersten Tipps komme: »Beginnen Sie damit, an den Schlaf als eine Form von Genuss zu denken – wie eine schöne Nachspeise, eine entspannende Massage, eine heiße Verabredung mit einem besonderen Menschen oder etwas anderes, auf das Sie sich wirklich freuen. Ich habe heute Abend eine heiße Verabredung mit meinem Schlaf und wir machen es uns richtig schön! Hören Sie auf, sich zu stressen, wenn es um den Schlaf geht, und erlauben Sie es sich, ihn zu genießen. Sie arbeiten schon hart genug im Alltag – gönnen Sie sich ein wenig traumhaften Schlaf. Das haben Sie sich verdient!«
Mein Gott!
Ich lese die Liste der 21 Ratschläge und einige von ihnen sind wohl vernünftig, wie: tagsüber mehr Sonnenlicht zu tanken, früh aufzustehen und vor dem Schlafengehen Bildschirmlicht zu vermeiden. Andere Ratschläge sind eher vage und viel zu allgemein, wie: »die guten Aspekte des Orgasmus zu genießen«, »sich für den guten Schlaf eine Oase zu erschaffen«, »verstehen, wie wertvoll Ihr Schlaf ist«. Einige der Ratschläge sind für mich unverständlich, so wie dieser: »Erden Sie sich!«
»Machen Sie es sich zur Gewohnheit«, schreibt Stevenson, »und gönnen Sie den bloßen Füßen etwas Qualitätszeit mit Erdkontakt: Das bedeutet mit leitenden Oberflächen wie Erde, Gras, Sand (am Strand) und sogar mit beweglichem Wasser wie im Meer.«
Können Sie nicht schlafen? Dann heißt es aufstehen und auf beiden Beinen stehen!
Ich blättere das Buch durch und suche Informationen zum Autor, finde jedoch keine. Wer ist dieser Mensch, der mir beibringen will, wie man besser schläft? Wer ist Shawn Stevenson? Eine Frau? Ein Mann? Und was weiß er beziehungsweise sie über das Nicht-Schlafen-Können? Ich habe das gleiche Gefühl wie bei Huffingtons Buch, dass es von Leuten geschrieben ist und sich an Leute richtet, die schlafen können, wenn sie es denn nur wollen. Das Buch versucht die Leser davon zu überzeugen, dass Schlaf wichtig ist. Mich muss man davon nicht überzeugen, ich weiß, dass Schlafmangel gefährlich ist. Ich würde alles tun, nur um jede Nacht acht Stunden schlafen zu können. Es tut regelrecht weh, über die Gesundheitsrisiken von Schlafmangel zu lesen, und das in einem Buch, das sich an Leute richtet, deren Schlaf lediglich davon abhängt, ob sie schlafen wollen oder nicht. Beide Bücher berücksichtigen überhaupt nicht, dass es Menschen gibt, die nicht schlafen können. Die Botschaft in beiden Büchern ist: Der Schlaf ist da irgendwo und wartet nur – man muss sich lediglich etwas davon nehmen. Weil ich es mir wert bin! Jetzt verstehe ich auch, wie es Magersüchtigen gehen muss, die Ernährungstipps lesen. Es gibt ja so viel gutes und nahrhaftes Essen. Reißen Sie sich zusammen und essen Sie!
Ich lege die Bücher beiseite. In den kommenden Nächten erhöhe ich die Dosis Valerina auf vier, fünf Tabletten, merke aber überhaupt nichts. Also lasse ich es sein, ich habe keine Lust mehr, sie noch zwei weitere Wochen zu nehmen, um den optimalen Effekt zu spüren, wie die Packungsbeilage verspricht. In den darauffolgenden Nächten verspüre ich keine Unterschiede; ich schlafe weiterhin schlecht.
4
Vorurteile gegenüber Yoga, die im Laufe des Kurses Yoga für einen besseren Schlaf bestätigt werden:
Ich bin der einzige männliche Kursteilnehmer.
Man gibt uns Kräutertee zu trinken.
Es gibt wilde, nicht wissenschaftlich belegte Behauptungen darüber, was im Gehirn und im Körper abläuft.
Ich dachte, Yoga bedeutete lediglich ein Körper und eine Yogamatte, aber Yogis sind – wie alle anderen – auf Ausrüstung fixiert: Jeder Teilnehmer bekommt zwei Yogamatten, eine Decke, zwei große Yogabolster, zwei Yogablöcke, zwei kleinere Kissen, einen Beutel, den man auf den Körper legt, und ein kleines Yogakissen für die Augen. Die Kursleiterin, eine kleine, drahtige Dame, empfiehlt verschiedene Schlaf-Apps und gibt Ratschläge, wie man Kopfhörer im Bett benutzen kann, ohne sich zu sehr in die Kabel zu verwickeln. Der Kurs beginnt an einem Freitagabend um halb sieben und dauert drei Stunden, was bedeutet, dass ich von zu Hause losmuss, kurz bevor Line die Kinder ins Bett bringt. Bisher habe ich tagsüber versucht, etwas zu finden, was mir gegen meine Schlaflosigkeit hilft, und das war meistens nach einer Dreiviertelstunde erledigt. Jetzt mache ich einen dreistündigen Kurs an einem Freitagabend. Was kommt als Nächstes? Ein Wochenendseminar in einem Luxushotel in den Bergen? Ich bemühe mich, mich weniger zu stressen, bin aber noch nie so gestresst gewesen wie gerade jetzt. Bisher hatte Line immer Geduld mit mir, aber ich merke, dass sie bald nicht mehr kann.
Meine Freundin Liv hatte mir von dem Kurs erzählt. Sie hatte ihn vor zehn Jahren gemacht, als sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war und nicht schlafen konnte. Jetzt schläft sie wieder schlecht, sagt sie, wacht mitten in der Nacht auf und grübelt. Sie kommt mit in den Kurs und ich bin froh, nicht allein hinzumüssen, denn ich habe eine E-Mail mit wenig freundlichen Ermahnungen bekommen, die kurz gesagt davon handeln, pünktlich zu sein, geräuschlos hereinzukommen und nicht zu muffeln beziehungsweise keinen Duft zu tragen. Und dann noch die Panik, als ich sehe, dass ich der einzige Mann dort bin. Der Schreck wird nur noch größer, als die Kursleiterin uns bittet, uns auf den Matten auszustrecken und zu entspannen, und sie eine Decke über mich legt, das heißt nur über mich, nicht über die anderen. Diese Spezialbehandlung hilft mir nicht, zu entspannen. Zum Glück liegt Liv auf der Matte neben mir. Wir können gerade noch miteinander flüstern, so gedämpft ist die Stimmung im Raum.
»Was machen wir denn, wenn wir lachen müssen?«, fragt Liv.
Dann liegen wir da, mit Kissen unter Nacken und Knöcheln. Das Licht ist gedimmt, die ruhige Musik ganz leise, die Stimme der Kursleiterin weich und beruhigend und ich merke, wie angenehm es ist, so dazuliegen. Yoga handelt – trotz all der Ausrüstung und der komplizierten Philosophie – im Grunde genommen davon, eine bequeme Stellung zu finden.
Man gibt uns eine lange Einführung dazu, wie man in der Philosophie des Yoga, auch Ayurveda genannt, den Schlaf betrachtet. Es gibt drei verschiedene Typen von Schlafmustern: Vata, Pitta und Kapha. Einige der Ratschläge scheinen vernünftig, zum Beispiel: Man sitzt den ganzen Tag lang zusammengekrümmt vor einem Computerschirm – in einer Stellung, die Stress und Angst signalisiert. Deshalb ist es wichtig, sich aufzurichten und sich zu strecken, um den Körper und den Geist auszubalancieren. Okay, denke ich da. So sitze ich ja den ganzen lieben langen Tag da, wenn ich arbeite. Ich habe eine ziemlich gekrümmte Körperhaltung entwickelt. Und die Schlafstörungen setzten ein, als ich nach dem Studium zu arbeiten begann. Das sollte ich auf jeden Fall einmal durchdenken. Sich zwischendurch einmal aufzurichten und zu strecken schadet auch nicht.
Als die Kursleiterin aber anfängt, über Tag-Nacht-Rhythmen zu reden, und Behauptungen aufstellt, komme ich nicht mehr mit. Wie etwa die, dass der Körper nachts um drei von der Leberkraft in die Lungenkraft wechselt. Da beginnt die Lungenzeit, sagt sie. Oder so was wie dass die Epiphyse, der Bereich des Gehirns, der Melatonin freigibt, durch Meditation wächst – und dass man bei Menschen, die im Laufe ihres Lebens viel meditiert haben, riesige Epiphysen gefunden hätte. Mit Daumen und Zeigefinger macht sie einen Kreis. Zum Schluss diskutieren die Kursleiterin und eine Teilnehmerin, inwiefern Tageslicht durch Brillengläser und Kontaktlinsen dringt und ob Menschen, die von optischen Hilfsmitteln abhängig sind, zu einem Leben ohne Tag-Nacht-Rhythmus verdammt sind.
Ich glaube nicht, dass einige Millimeter Glas den grundlegenden Rhythmus aller Lebewesen auf dieser Erde stören können.
Eine Gruppe von Gehirnzellen, der Nucleus suprachiasmaticus, ist der Schrittmacher der inneren Uhr der Menschen und aller anderen lebenden Wesen.9 Die innere Uhr des Menschen ist nicht so genau eingestellt, wie man meinen sollte. Sie umfasst circa 24 Stunden und 15 Minuten am Tag, das heißt, wir müssen jeden Tag eine Viertelstunde ausgleichen. Das ist ein Grund, warum es leichter ist, gen Westen als gen Osten zu fliegen. Der Jetlag ist dann nicht so schlimm, denn der Körper ist bereits auf etwas mehr Zeit eingestellt.
Um uns wieder zu justieren, brauchen wir die äußere Uhr, die Sonne, oder deren Stellvertreter: elektrisches Licht. Wenn Licht auf das Auge trifft, werden Signale an den Nucleus suprachiasmaticus weitergegeben, der dann für die Aktivierung der Bereiche des Gehirns sorgt, die uns wecken, und der auch die Bereiche deaktiviert, die uns müde werden lassen. Unsere gut ausgeleuchteten, weiß gekachelten Badezimmer sind vielleicht für die letzten Sachen, die wir vor dem Zubettgehen so machen, nützlich, sie schaden aber auch dem Schlaf, auf den wir uns vorbereiten. Deshalb sollte man auch vermeiden, das Badezimmerlicht anzuknipsen, wenn man nachts auf die Toilette muss. Das Licht lässt das Gehirn glauben, es sei schon wieder Tag.
Wenn das Licht aus ist, wird dieser Prozess umgekehrt und die Prozesse, die uns müde werden lassen – wie etwa die Produktion von Melatonin –, werden in Gang gesetzt. 10 Melatonin wird von der Epiphyse aus, einer Drüse von der Größe eines Maiskorns, ins Blut gesendet und hat eine Botenfunktion: Es wird dunkel, bald wird geschlafen! Melatonin an sich ist nicht schlaffördernd, trägt aber dazu bei, die Prozesse in Gang zu setzen, die das Gehirn durchlaufen muss, damit der Körper schlafen kann. Die Melatoninproduktion kommt also vor dem faktischen Einschlafen zustande, und im Laufe der Nacht und bis zum Sonnenaufgang wird die Produktion abgebremst. Die Aufgabe ist erfüllt. Gen Abend beziehungsweise Nacht steigt das Niveau wieder an und das Melatonin kündigt wieder den Schlaf an.
Dass alle Lebewesen eine innere Uhr entwickelt haben, wurde erstmalig 1729 von dem französischen Chronobiologen Jean Jacques d’Ourtous de Mairan nachgewiesen, als er eine Pflanze, ein Heliotrop, in einen Raum mit einer über 24 Stunden konstanten Beleuchtung stellte. Er entdeckte, dass sich die Blütenblätter weiterhin öffneten und schlossen, so wie sie es auch taten, als sie noch dem Tageslicht und dem Dunkel der Nacht ausgesetzt waren.11 Der Wechsel zwischen aktivem und inaktivem Zustand wurde weiter vollzogen, auch wenn man der Pflanze den – wie man annahm – Grund dazu, nämlich die Sonne, entzog. Fast dreihundert Jahre später, 2017, erhielten drei Amerikaner den Nobelpreis für Medizin für die Identifizierung eines Proteins in den Zellen der Fruchtfliege, das sich des Nachts vergrößerte und tagsüber verkleinerte. Sie hatten die innere Uhr, das Uhrwerk aller lebender Wesen gefunden, das durch den Lauf der Sonne vor Millionen, vielleicht Milliarden von Jahren unser Erbmaterial geprägt und nach dem sich das Leben ausgerichtet hat.
Alle lebenden Wesen müssen ausruhen, aber nicht alle folgen dem Lauf der Sonne. Es gibt Ausnahmen. In dunklen, unter der somalischen Wüste gelegenen Grotten gibt es einen blinden Fisch, der einen ungewöhnlich langen Tag-Nacht-Rhythmus hat – er umfasst 43 Stunden. Bienen haben eine Art soziale innere Uhr und können ihren eigenen Tag-Nacht-Rhythmus »ausknipsen«, um sich ununterbrochen um ihre Nachkommenschaft zu kümmern. Auch Zugvögel können ihren Tag-Nacht-Rhythmus verschieben und so über lange Perioden hinweg ohne Schlaf auskommen – mitunter über mehrere Wochen hinweg –, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Tiere in den Polargebieten können nicht so einfach der Sonne folgen. Norwegische Wissenschaftler haben Rentiere auf Spitzbergen und in der nordnorwegischen Finnmark beobachtet und festgestellt, dass die Tiere die größte Zeit des Jahres keinem Tag-Nacht-Rhythmus folgen.12
Als Art sind wir Menschen in Bezug auf den Tag-Nacht-Rhythmus nicht homogen veranlagt. Dass es sogenannte A-Menschen und B-Menschen gibt, wie wir sie in Norwegen nennen, ist kein Mythos. In den deutschsprachigen Ländern spricht man von Frühaufstehern oder Lerchen beziehungsweise Langschläfern oder Eulen. Ungefähr 40 % der Weltbevölkerung wacht mit dem Sonnenaufgang auf und funktioniert am besten am Vormittag. 30 % schlafen in der Regel später ein und wachen später am Morgen auf. Weitere 30 % liegen irgendwo dazwischen. Der Unterschied zwischen diesen drei Kategorien befindet sich im vorderen Stirnlappen des Gehirns und ist genetisch bedingt. Wenn ein sogenannter B-Mensch gezwungen wird, früh aufzustehen, ist der vordere Stirnlappen immer noch ausgeknipst und fängt erst im Verlaufe des Tages an, wirklich zu funktionieren.13 Geht man von der Evolution und dem Naturzustand des Menschen aus, macht es Sinn, dass es beide Menschentypen gibt. Wenn man in unterschiedlichen Perioden schläft, heißt das, dass über einen größeren Zeitraum hinweg immer jemand aus der Gruppe wach ist, sodass die Gemeinschaft durch äußere Gefahren weniger geschwächt wird. In einer modernen und homogenen Gesellschaft, in der die meisten hinter verschlossenen Türen schlafen können, hat diese Zweiteilung ihre Funktion verloren. Und die Gesellschaft hat sich entschieden: Die Gewinner sind die sogenannten A-Menschen oder Vata-Menschen, wenn wir bei der ayurvedischen Philosophie bleiben.
Wann man schläft und wann man aufwacht, hängt nicht nur vom uns innewohnenden Tag-Nacht-Rhythmus ab, sondern auch davon, wie lange wir auf gewesen sind. Das ist eine der fundamentalsten Schwächen des Menschen: Je länger man wach bleibt, desto müder wird man. Das nennt man Schlafdruck (beziehungsweise Schlafbereitschaft) und er wird durch den Stoff Adenosin erzeugt – das ist derselbe Stoff, dessen Ausschüttung das Koffein verhindert. Hat man gerade geschlafen, so hat man wenig Adenosin. Ist es schon lange her, dass man geschlafen hat, so hat man viel davon. Die Adenosin-Konzentration nimmt im Laufe des Tages zu, und wenn man nachts schläft, wird es abgebaut, damit wir uns auf einen neuen Tag vorbereiten können.
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