Kitabı oku: «Affentanz», sayfa 2

Yazı tipi:

Mischa tut so, als er hätte er meine letzte Frage nicht gehört. Er kneift die Augen zusammen und versucht, den Spielstand abzulesen. Ich packe mein letztes Geld auf den Tisch, trinke meinen Whisky aus und stehe auf. Mischa sieht verdutzt zu mir.

„Wie denn, du willst schon los? Ich dachte, wir schauen noch das Spiel bis zu Ende?“

Ich nehme mich der Tasche an und checke die Technik.

„Ich verpasse sonst die letzte Bahn. Keine Angst, meine Sonne, du bekommst deine erste Rate spätestens Ende des Monats, versprochen.“

Mischa zählt mein Geld, steckt es sich in die Hose und steht ebenfalls auf.

„Ich weiß, dass du ein ehrenwerter Geschäftsmann bist. Ach, und manchmal ist es gut, wenn man jemanden an seiner Seite hat, der einem nicht nur nach dem Mund redet. Jemand, der einem ein Stück weit die organisatorische Verantwortung abnimmt. Jemand, der musikalisch kompetent ist und eine unabhängige Meinung einbringt.“

Ich wuchte die Tasche hoch und drehe mich zu Mischa um.

„Nun, ich hatte gerade versucht, dich zu überzeugen, nicht aus dem Projekt auszusteigen. Um das finanzielle Risiko überschaubar zu halten. Aber eher geht wohl ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass du ein Underground-Musik-Projekt bis zu dessen Vollendung sponserst.“

Mischa schenkt mir ein breites Lächeln und umarmt mich zum Abschied.

„Vergiss nicht, wenn man allein arbeitet und auch alle Entscheidungen selbst trifft, besteht die Gefahr, dass man vor lauter Arbeit den Blick fürs Wesentliche verliert.“

„Ich bin nicht allein, Mischa. Meine Gedanken, meine Bilder und Ideen sind stets bei mir.“

„Na, dann hoffe ich für dich, dass dir deine Gedanken weiter beistehen“, sagt Mischa und geleitet mich zur Tür.

„Du wirst sehen, diese Klanginstallation wird mein Durchbruch werden. Ein Auftritt im Zoo ist wie eine Aufführung am Broadway. Allein der Fakt, dass man sich auf dieser Bühne präsentiert, katapultiert einen in die Top 20 der Berliner Kunstszene. Danach werde ich mir eine ganze Schar an Mitarbeitern und Assistenten leisten können. Du darfst dann gern als Buchhalter bei mir anfangen und mein Geld zählen“, erwidere ich.

KAPITEL 3

Zwei Tage später um acht Uhr morgens auf dem Flughafen Tegel. Ich stehe vor der Anzeigetafel. Die Maschine meines Mitbewohners hat Verspätung. Zerknirscht setze ich mich in die Cafeteria und bestelle einen Kaffee.

Trotzdem ich die letzten beiden Nächte durchgearbeitet habe, bin ich noch immer keinen Schritt weiter. Die Bilder aus meinen Archiven sagen mir nicht mehr zu. Auch mein Versuch, meinem musikalischen Konzept mittels weniger Umstellungen neues Leben einzuhauchen, ist nicht aufgegangen.

„Das macht vier fünfundneunzig!“

Ich sehe zu der Serviererin auf. Das dicke Mädchen sieht mich gelangweilt an und wartet auf eine Reaktion meinerseits. Ich fummle einen Schein hervor.

„Mach fünf und kauf dir was Schönes!“

Das dicke Mädchen nimmt mir das Geld aus der Hand und watschelt Flüche murmelnd davon. Ich nehme mir die aktuelle Ausgabe des „Star-Magazin“ zur Hand. Im Leitartikel werden die Berliner Clubs beschrieben. Der musikaffine Autor, ein gewisser Lars Lerchenberg, schwärmt von der hiesigen DJ-Szene und den exzessiven Partys und schildert seinen Versuch, in den Club Zoo zu gelangen. Dass er am Ende mehrere Stunden umsonst angestanden hat, tut seiner Euphorie keinen Abbruch. Im Gegenteil, in pathetischen Wortgebilden beschreibt er sein Scheitern und ergießt sich in gewagten Thesen in Bezug auf das, was er möglicherweise verpasst hat.

‚Kein Wunder, dass der Zoo derzeit als das Maß aller Dinge gehandelt wird‘, denke ich bei mir, während sich ein Schatten über mein Journal legt. Ich sehe zu dem Verursacher auf und erkenne die Silhouette meines Mitbewohners.

„Ich dache, ich werde abgeholt? Nun darf ich feststellen, dass der Herr sich hier zum Kaffeetrinken und Zeitunglesen eingefunden hat“, motzt Eddy mich an und entledigt sich seiner überdimensional großen Reisetasche.

Eddy ist Ende zwanzig und gebürtiger Charlottenburger. Seine Mutter ist Südkoreanerin, der Vater Deutscher. Eddy arbeitet als Cutter. Er ist ein fanatischer Technikfreak und der größte Anime-Fan, den ich kenne.

„Die Anzeigetafel meinte, dein Flug hätte Verspätung“, antworte ich und stehe auf.

Eddy sieht mich an, als wäre ich ein Hilfsarbeiter.

„Keine Ahnung, was die Leute vom Flughafen für Informationen weitergeben. Laut meiner Uhr sind wir pünktlich gelandet. Der Einzige, der nicht da war, warst du.“

Eddy dreht sich um und läuft los. Ich greife mir seine Reisetasche, hänge sie mir um und laufe ihm hinterher.

Kurz darauf auf dem Parkplatz. Eddy setzt sich auf den Beifahrersitz meines geliebten 244er Volvos und sieht sich im Spiegel an.

„Und, wie sehe ich aus, erholt?“

Ich nehme neben meinem Mitbewohner Platz, starte und antworte: „Braungebrannt und erholt, man könnte meinen, du wärst im Urlaub gewesen.“

„Urlaub, was für Urlaub? Ich habe jeden Tag Sport gemacht, bin am Strand spazieren gegangen und habe mir nachts die Seele aus dem Leib getanzt. Jetzt könnte ich tatsächlich ein paar Tage Ruhe vertragen.“

„Und wie lief es mit deinem Lover? Zieht er es noch immer in Betracht, sich von seinem Freund zu trennen?“

Eddy sieht mich an, als hätte ich Kim Jong-Ils Nachfolger zum Amtsantritt gratuliert.

„Peter kann sich gar nicht von seinem Freund trennen, die beiden sind verheiratet.“

„Ach so, echt?“

„Ja, echt. Er hat es mir am Flughafen gesagt, also bevor wir losgeflogen sind.“

„Netter Zug von ihm“, antworte ich.

„Egal, wir waren ja nicht nur zu dritt unterwegs.“

„Wie viele wart ihr denn?“, frage ich.

„Peter, Peters Mann, die Affäre von Peters Mann und ein vor Ort arbeitender Surflehrer. Alles in allem fünf Männer, die wechselnden Disco- und Ressortbekanntschaften nicht mitgezählt.“

„Und mit wem von denen hast du dir dein Zimmer geteilt?“

„Mal so, mal so.“

„Wie jetzt?“, frage ich und biege auf den Stadtring ein.

„Na, den meisten Sex hatte ich natürlich mit Peter. Dann hat der sich den Magen verdorben. Ab da war ich viel mit Peters Mann und dessen Affäre zusammen. Und weil es so heiß war, haben wir ein paar Mal zusammen geduscht.“

„Und Peter hat das einfach so hingenommen?“

„Peter hat das gar nicht mitbekommen. Er hat zwar mit mir Tür an Tür gewohnt, aber die Diarrhö hat ihn echt ausgeknockt.“

Ich schalte einen Gang höher, sehe zu Eddy rüber und frage: „Das heißt, du bist jetzt mit Peters Mann zusammen?“

Eddy sieht mich gespielt überrascht an und winkt ab.

„Na Hilfe, der ist doch gar nicht mein Typ und außerdem viel zu alt. Nein, ich habe mich an jemand anderen gehalten.“

„Du meinst, an Peter, als der wieder fit war?“

Eddy grinst vielsagend.

„Ja schon, aber nicht so, wie du denkst!“

„Das heißt?“

„Na ja, die meiste Zeit habe ich mit unserem Surflehrer verbracht. Und da es auf Gran Canaria nur selten gute Wellen gibt, mussten wir unsere Zeit anderweitig totschlagen.“

Eddy leckt sich über die Lippen, als könnte er den Surferlehrer noch immer schmecken.

„Du hattest also auch noch was mit eurem Surflehrer angefangen?“, frage ich erstaunt.

„Nun, ich hatte hauptsächlich was mit unserem Surflehrer, der übrigens auf denselben Namen hört wie Peter. Wir mussten die beiden Peters deshalb mit entsprechenden Attributen versehen, um sie besser unterscheiden zu können.“

„Lass mich raten, dein Berliner Peter heißt jetzt Peter der Große?“

„Richtig. Und diesen Namen hat er nicht wegen seiner Körpergröße bekommen“, erwidert Eddy und grinst spitzbübisch.

„Klingt doch nach einem erlebnisreichen Urlaub“, resümiere ich und ordne mich links ein.

„Stimmt, ich habe eigentlich keinen Grund zu klagen. Aber der Urlaub hätte gern auch noch zwei Wochen länger gehen können. Und wie läuft es bei dir so?“

„Könnte nicht besser sein“, lüge ich und donnere über die Bornholmer Brücke.

„Ich meine arbeitstechnisch, kommst du mit deiner Installation voran?“

„Gerade suche ich einen neuen Partner. Einen, der sein Geld sinnvoll investieren will. Immerhin geht es um einen Auftritt im Zoo. Das wäre sicher auch eine Super-Werbung für dich. Du als Cutter könntest ein Engagement wahrscheinlich sogar von der Steuer absetzen.“

Eddy sieht mich erstaunt an.

„Was ist denn passiert? Ist Mischa abgesprungen?“

„Mischas Cousin hat mit seinem letzten Pornodreh ein sattes Minus erwirtschaftet. Mischa war an dem Dreh beteiligt. Jetzt kann er sich einen Künstler wie mich nicht mehr leisten.“

Eddy schaut auf die Straße und überlegt.

„Ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen. Aber mein Konto war schon vor meinem Urlaub hoffnungslos überzogen. Zudem glaube ich, dass eine projektbezogene Zusammenarbeit unsere Freundschaft mit Sicherheit überstrapazieren würde. Mir reicht es schon, mit dir in einer WG zusammen zu wohnen.“

„Wieso bist du dir da so sicher? Du hast doch noch nie mit mir zusammengearbeitet.“

„Glaube mir, das würde hundertprozentig gegen den Baum laufen. Außerdem bin ich bis Ende September ausgebucht. Ich habe also gar keine Zeit, dich bei deiner Arbeit zu unterstützen.“

„Na gut, wie du meinst“, antworte ich und schiebe nach: „Wenn du es dir doch noch anders überlegen solltest, weißt du ja, wo du mich findest!“

„In der Tat, das weiß ich wohl“, antwortet Eddy und grinst.

KAPITEL 4

Stunden später auf dem Dach des Suicide Circus. Es ist windig und unangenehm nasskalt. Ich stehe frierend vor meinem aufgebauten Technikturm und checke das neu installierte Aufnahmeprogramm.

Unter mir ist die Völkerwanderung in vollem Gange. Aufgetakelte Russinnen in Miniröcken, volltrunkene Engländer in Chelsea-Trikots, grölende, hahnenkammgeschmückte Holländer in Hortklassenstärke – halb Europa strömt von der Warschauer Brücke kommend Richtung RAW-Gelände zu den vor Ort ansässigen Clubs. Ich fahre mein Aufnahmeprogramm hoch, aktiviere die Funkstrecken der von mir links und rechts der Ausgehmeile platzierten Mikrofone, setze meine Kopfhörer auf und schalte den Aufnahmemodus ein. Statt der zu erwartenden, bunten Geräuschkulisse höre ich nur ein kratzendes Rauschen. Ich schalte noch einmal alles aus, überprüfe den Ladestand der Akkus und die Geräteverbindungen. Dann fahre ich alles ein zweites Mal hoch. Doch auch dieser Versuch bringt wenig Zählbares. Einzig das Rauschen ist stärker geworden. Im Hintergrund höre ich zwei Personen auf Türkisch streiten. Möglicherweise, weil eines meiner Mikrofone die Kebab-Bude unterhalb der Warschauer Straße eingefangen hat.

„Verdammter Mist“, fluche ich ungehalten.

Auch ein dritter Versuch, mein Aufnahmeprogramm hochzufahren, scheitert kläglich. Ich nehme mein Handy zur Hand und wähle Mischas Nummer. Der Russe nimmt ab.

„Kann es sein, dass du mir wieder mal ausrangierte Ware angedreht hast?“, brülle ich in mein Telefon und trete wütend mit dem Fuß gegen einen der stillgelegten Schornsteine.

„Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“, echauffiert sich mein russischer Freund, um so meiner Attacke auszuweichen.

„Es ist gerade mal null Uhr, und wir beide wissen, dass du noch nicht schläfst. Also, hast du mir ausrangierte Ware angedreht oder nicht? Ja oder nein?“

„Wieso regst du dich denn so auf? Hauptsache ist doch, dass die Technik funktioniert“, quakt es vom anderen Ende der Leitung.

„Sag mal, hast du was mit den Ohren? Genau das tut sie nicht! Die Mikros funktionieren nicht! Das Einzige, was ich höre, ist das Geschrei türkischer Kebab-Verkäufer, die sich lautstark über die Zubereitung ihrer Gerichte auseinandersetzen.“

„Reden die zufällig auch über Feigenkompott? Die Mutter meines neuen Kindermädchens kommt doch aus dem Süden von Aserbaidschan. Sie spricht ein ganz seltsames Türkisch. Was nicht schlimm ist, weil sie ein exzellentes Feigenkompott macht. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass sie in ihrer Rezeptur zu wenig Zimt verwendet. Mit zu wenig Zimt schmeckt das Kompott wie eine fade Ansammlung von Fallobst, ohne jeden Biss.“

„Keine Ahnung, mein Türkisch ist zu übersichtlich, als dass ich dir in dem Punkt weiterhelfen könnte. Aber vielleicht bist du ja so nett und beantwortest mir endlich meine Frage. Hast du die Technik auf dem Trödelmarkt eingesammelt?“

Für einen Moment ist es verdammt still. Nur der nasskalte Wind pfeift mir um die Ohren.

„Mischa, ich frage dich genau noch einmal und sollte dir nichts dazu einfallen, demoliere ich dir deinen Mercedes. Also, woher stammt der Schrott, den du mir angedreht hast?“

„Schade, dass du kein Türkisch verstehst. Der alte Mann versicherte mir übrigens, dass die Technik noch bis vor wenigen Wochen ihren vollen Dienst tat. Er hat sie sich aus den Restbeständen des Offenen Kanals organisiert.“

„Der alte Mann? Mischa, welcher alte Mann?“, frage ich, während mir der Nacken steif wird.

„Na der Typ, der neben dem Radioverkäufer, rechts hinter dem Teppichhändler sitzt. Du kennst doch die Hallen am stillgelegten Omnibusbahnhof …“

Ich halte mich kopfschüttelnd an meinem Technikturm fest und schnappe nach Luft. In meinem Hals bildet sich ein Wutkloß.

„Sag mal, hat dir euer Kindermädchen den letzten Rest Hirn rausgevögelt? Ich bin auf diese Aufnahmen angewiesen!“

Mischa zieht es vor zu schweigen.

Ich aber schreie weiter in mein Handy: „In ein paar Wochen will ich meinen neuen Entwurf präsentieren, und du vermietest mir Technik vom Trödelmann? Wie gestört muss man denn sein, dass man so einen Risikokauf kommentarlos weitergibt? Ist das bei dir pathologisch? Musst du deine Mitmenschen abziehen? Kannst du sonst nicht einschlafen?“

„Vielleicht hast du die Mikrofone ja nicht richtig ausgerichtet“, antwortet Mischa und tut so, als wäre alles in Butter.

„Wieso denn Plural? Es ist nur eins dabei, das überhaupt funktioniert. Da muss ich nichts mehr richtig oder falsch ausrichten!“

Mischa aber bleibt weiter entspannt.

„Es tut mir wirklich leid, dass du so schlecht mit deinem Projekt vorankommst und darüber hinaus derart unter Zeitdruck stehst. Aber ich hatte dir ja schon gesagt, dass es Sinn machen würde, sich mit jemandem zusammenzutun. Dieser Jemand hätte auch deine Technik vorab checken können. Möglichweise wäre dir dann schon vorher aufgefallen, dass ein Teil leicht überholungsbedürftig ist.“

Ich hole ein letztes Mal Luft: „Deinen Rat kannst du dir sonstwohin schieben!“

„Hör zu, mein Lieber, ich mache dir einen Vorschlag. Du kannst die Mikrofone inklusive Kabelage gern noch eine Woche länger behalten. Ich lege noch mein neues Mikrofonset oben drauf und mache dir einen wirklich fairen Preis“, schlägt Mischa vor.

Ich bin ob seiner Ignoranz sprachlos, drücke den Russen aus der Leitung und werfe mein Handy schreiend gegen den Schornstein.

Über mir haben sich dunkle Wolken zusammengezogen. Es donnert.

Ich sehe zum Himmel hoch und brülle: „Wenn es dich gäbe, würdest du mir das nicht antun! Oder würdest du? Na, komm schon, gib mir ein Zeichen, du Popanz!“

Es fängt an zu regnen.

„Haha! Mehr hast du nicht drauf? Das kann doch nicht wirklich dein Ernst sein!“

Der Regen wird stärker.

„Gut, verstehe. Ich bin also da, damit du was zu lachen hast? Ist das so? Denkst du, ich bin ein Komiker, der deiner Unterhaltung dient? Weißt du was, ich mag keine Komiker und Regen mag ich noch weniger! Ja, genau, ich hasse Regen!“

Jenseits des Ostbahnhofs schlägt ein Blitz ein, kleine Hagelkörner prasseln auf das morsche Dach des Clubs nieder.

Ich ziehe mir die Jacke über den Kopf und versuche meinen Technikturm in Sicherheit zu bringen. Das Problem ist, dass ich nicht alles auf einmal über das in die Jahre gekommene Dach schieben darf. Die Bretter unter mir könnten nachgeben. Mit viel Mühe und noch mehr Geduld schaffe ich es, die Technik unter das Vordach des angrenzenden Nachbargebäudes zu evakuieren. Ich decke alles mit Hilfe einer Plane ab, laufe zurück und bücke mich nach ein paar liegengebliebenen Kabeln. Als ich das letzte Kabel zu fassen bekomme, rutsche ich auf einem Stück Dachpappe aus. Ich drehe eine astreine Pirouette und setze zu einem unfreiwilligen „doppelten Lutz“ an. Mit einem mächtigen Krachen packe ich mich auf meinen Arsch. Warum mein Steißbein plötzlich höllisch brennt und mir das kalte Wasser direkt in die Hose läuft, verstehe ich nicht sofort. Erst als meine Versuche aufzustehen, ein ums andere Mal scheitern, begreife ich, was passiert ist. Ich bin mit meinem Arsch an einem überstehenden Nagel hängengeblieben.

KAPITEL 5

Friedrichshain, Ring-Center 2. Ich bin an einen mobilen Gasgrill angeschlossen und versuche, dem Berliner Thüringer Bratwürste zu verkaufen, um so die Miete für die bei Mischa ausgeliehene Technik zusammenzubekommen.

„Wat soll die Wurst denn kosten?“

Eine alte Frau sieht mich durch ihre mit fettigen Fingerabdrücken übersäten Brillengläser an.

„Einen Euro die Wurst“, antworte ich.

Das Mütterchen kaut auf ihrem Gebiss hin und her, knackt und schmatzt in einer Tour.

„Und die Schrippe, jibt’s die Schrippe umsonst?“

„Der Senf ist umsonst, die Schrippe kostet fünfzig Cent.“

„Wat, so viel? Da ist die Schrippe ja halb so teuer wie die Wurst.“

Ich drehe mit meiner Zange die vor mir brutzelnden Würste um und versuche, dem Mütterchen ein freundliches Lächeln zu schenken.

„Sie können die Wurst auch ohne Schrippe haben, auf die Hand quasi.“

„Auf die Hand, ach wirklich?“

Ich nicke. Das Mütterchen greift in ihren Beutel, fischt eine Brotbüchse hervor, öffnet diese und zwinkert mir schelmisch zu.

„Na, dann man los, junger Mann! Sonst wird die Wurst am Ende noch janz schrumplig.“

Eine Stunde später, nun vor dem Ring-Center 1, näher am U-Bahn-Ausgang.

Mein Rücken schmerzt, ich schwitze wie ein Tier und müsste dringend mal aufs Klo.

„Kauft Würste, Leute! Feinste Thüringer Bratwürste! Nur ein Euro das Stück!“

„Da sind Sie ja, junger Mann! Wieso haben Sie denn schon wieder ihren Platz gewechselt?“

Das Mütterchen von vorhin steht vor mir und sieht mich vorwurfsvoll durch ihre Brille an. Sie hat sich Verstärkung mitgebracht. Einen alten Mann mit Gehhilfe, der sich nur mühsam auf den Beinen hält, und einen dicken Glatzkopf, dem der Bauch unter dem zu kurz geratenem Oberhemd hervorquillt.

„Wir hätten gern zehn Würste, auf die Hand“, erklärt der Glatzkopf und hält mir eine Einkaufstüte entgegen.

„Zehn Würste, ohne Schrippen?“, frage ich nach.

Der Dicke nickt. Ich nehme ihm die Tüte ab, lege die Würste hinein und rufe meinen Preis auf: „Das macht dann bitte zehn Euro!“ Der Dicke hält mir einen Zwanziger entgegen und fragt: „Gibt’s denn keinen Mengenrabatt oder eine Wurst umsonst?“

Ich tue so, als hätte ich die Frage nicht gehört und gebe dem Dicken einen Zehner zurück. Das Mütterchen sieht mich mit großen, traurigen Augen an.

„Und ich dachte, sie hätten ein Herz, junger Mann“, sagt sie beinahe vorwurfsvoll.

Ich atme genervt aus und schüttle den Kopf.

„Na gut, von mir aus. Eine Wurst gibt’s noch obendrauf.“

„Für jeden eine?“, fragt das Mütterchen.

„Ja, für jeden eine. Aber macht bitte keine Werbung bei euren Kollegen. Sonst zahle ich am Ende noch drauf.“

Ich packe zwei Wüste zusätzlich ein und reiche dem Dicken seine Tüte. Das Mütterchen sieht mich zufrieden an. Sie fummelt aus ihrer Manteltasche eine Kette mit Anhänger hervor, tritt ganz nah an mich heran, hängt mir die Kette um den Hals und flüstert: „Auch wenn aus einem Kätzchen nicht ohne weiteres ein Tiger wird, so ist ein Tiger in erster Line auch immer eine Katze.“

Ich nicke, ohne irgendetwas verstanden zu haben. Das Mütterchen lacht in sich hinein, hakt sich beim Dicken unter und tippelt mit ihren beiden Begleitern in Richtung Stadtpark davon. Ich taste nach dem erhaltenen Präsent. Neugierig begutachte ich den Anhänger. Es ist eine Art Amulett, ein mit Patina überzogener, winziger, um sich selbst tanzender Affe.

„Ich habe gar keinen Hunger, aber vielleicht könnten Sie mir ja eine Wurst einpacken?“

Ich sehe zu der jungen Frau auf und bin wie vom Blitz getroffen. „Betty? Was machst du denn hier?“

Betty fasst mich an der Schulter und küsst mich zur Begrüßung auf die Wange.

„Hallo, mein Lieber, ich bin wieder in der Stadt.“

Betty ist Australierin. Ihr Vater ist Major in der Royal Australian Navy, die Mutter Deutschlehrerin, beide sind Nachkommen deutscher Einwanderer. Betty selbst hat in Sydney Musik und Kunstwissenschaften studiert. Danach war sie ein Jahr in Berlin, zwei Monate davon waren wir zusammen.

Ich verliere mich in Bettys himmelblauen Augen und stottere: „Ich … dachte, du bist in Sydney, an der … an der Musikhochschule?“

Betty fährt sich durch die halblangen, blonden Haare und antwortet mit ihrem weichen, australischen Akzent: „Ich war da ein Jahr lang als Lehrerin angestellt, richtig. Aber jetzt bereite ich an der Humboldt-Universität meine Promotion vor.“

„Du promovierst? Das ist ja großartig!“, entgegne ich und überlege, wie ich meinen peinlichen Aufzug erklären könnte.

Vielleicht sollte ich behaupten, dass ich einen Freund vertrete oder bei einer Studie für arbeitslose Teilzeitkräfte mitmache?

Eine der Würste platzt. Es zischt. Der Geruch billigen Schweinefetts steigt auf und zieht mir in die Nase. Betty wedelt mit der Hand den Rauch weg und sieht zu mir.

„Das Thema ist dir sicher vertraut: ‚Johann Sebastian Bachs Musikalische Wissenschaft und ihr Einfluss auf die Musiktheorie des späten 18. Jahrhunderts‘“, erklärt sie.

Ich mache eine ausweichende Bewegung, verbrenne mich beinahe am Grill und sage: „Natürlich ist mir Bach ein Begriff. Ich kenne alle Komponisten, die mit B anfangen.“

Für einen Moment sehen wir uns schweigend an.

„Übrigens, ich bin in meiner alten WG untergekommen, in der Samariterstraße. Ich suche aber noch immer ein Atelier, nur falls du was hören solltest“, sagt Betty schließlich.

„Unglaublich. Also das mit der WG … und überhaupt …“

„Ja, das ist es. Ich hatte mich an mehreren Unis beworben. Die Humboldt hat mir ein Stipendium für zwei Jahre angeboten. Da musste ich nicht lange überlegen.“

„Du hast ein Stipendium bekommen?“, frage ich nach.

Betty nickt.

„Fantastisch“, stelle ich fest und huste ab.

„Ja, schon. Aber ohne ein Atelier kann ich nicht richtig arbeiten, und du weißt ja selbst, wie schwer man heutzutage was Vernünftiges in Friedrichshain findet.“

„Na, wenn du magst, kann ich mich ja mal für dich umhören. Du bekommst die Miete fürs Atelier doch sicher bezahlt, oder?“

„Ja, natürlich. Ich hab sogar ein Technik-Budget bewilligt bekommen.“

„Ein Budget für Technik, soso …“, in meinem Kopf springt die Rechenmaschine an.

Betty zeigt auf mein Gestell und fragt: „Und du verkaufst neuerdings Würste?“

„Nun, na ja, äh …“, stammle ich und suche nach der passenden Antwort.

„Was machen deine Klanginstallationen?“

„Meine Installationen, ja, genau. Mensch, die laufen super! Gibt zwar kaum noch Clubs, die sich Künstler wie mich leisten können, aber hier und da habe ich mittlerweile einen echt guten Stand. Leider wird man als Kreativer in Berlin nach wie vor nur unzureichend gewürdigt. Die meisten Aufträge laufen noch immer unter der Hand, also schwarz. Und wenn mal was offiziell entlohnt wird, fallen die Gagen eher mickrig aus. Deshalb tue ich ein paar Tage im Monat so, als würde ich richtig arbeiten.“

Ich deute auf den Grill und erkläre: „Das Finanzamt wird sonst skeptisch.“

„Der Wurst-Job ist also nur Tarnung?“

„Richtig. Ach, und dieses Wochenende bin ich wieder mit meinem Aufnahmegerät unterwegs. Ich muss nochmal aufs RAW-Gelände, O-Töne aufnehmen. Die Geräuschkulisse da ist phänomenal. Deshalb nehme ich auch mit mehren Mikrofonen gleichzeitig auf. So entsteht ein mehrdimensionaler städtischer Klangteppich.“

Betty lächelt mich wohlwollend an.

Ich breite die Arme aus und sage: „Ach, und demnächst spiele ich wahrscheinlich im Zoo.“

Betty pustet sich eine Strähne aus dem Gesicht und fragt: „Und, mischst du den Sound vor Ort ab oder später im Tonstudio?“

„Erstmal vor Ort. Nachbearbeiten will ich später. Komm doch rum, wenn du magst! Ich bin so gegen eins da. Das wird bestimmt spannend, insbesondere für so eine kompetente Zuhörerin wie dich. Im Anschluss könnten wir ja noch ein paar Bierchen zischen und ein bisschen zusammen feiern, so wie früher.“

Betty zuckt mit den Schultern und sagt: „Klar, gern. Kann aber sein, dass ich es nicht so früh schaffe. Kannst du mich denn im Zoo auf die Gästeliste setzen, nur für den Fall, dass ich später komme?“

„Kein Problem. Gästeliste, das bekomme ich hin“, antworte ich.

Betty holt einen Stift aus ihrer Tasche. Sie notiert mir ihre aktuelle Telefonnummer auf eine Serviette, küsst mich zum Abschied ein zweites Mal auf die Wange und entschwindet ebenso schnell, wie sie aufgetaucht war.

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