Kitabı oku: «Die Zweite Welt», sayfa 6

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Die Stadt am Nordmeer
Kapitel 4

Holger Abendstern schlenderte nachdenklich über den sorgsam gepflasterten Markplatz von Salzheim. Bewegte sich, verglichen mit seiner beachtlichen Größe, mit verdächtig kleinen Schritten. Es war ein schöner Tag. Einer der letzten des Herbstes. Die meisten Blätter des alten Walnussbaums in der Mitte des Platzes waren schon abgefallen. Der Wind machte sich ein Spiel daraus, sie mal auf die eine, mal auf die andere Seite zu wehen. Die matte Nachmittagssonne gab nicht mehr viel Wärme ab. Holger Abendstern rückte den kostbaren Hermelinmantel sorgsam zurecht, und verschränkte danach seine kräftigen Finger, in sich verschlungen, hinter dem breiten Rücken. Sein einstmals starkes Gesicht blickte müde durch die Gassen, die sich von allen Seiten der Stadt zum Marktplatz hin ergossen. Nur wenige Händler boten ihre Waren feil. Die meisten davon waren Salzheimer, die Kleidung, Obst, Gemüse, Fleisch und andere Nahrungsmittel anpriesen.

Die Zeiten waren schwierig und Besserung war nicht in Sicht. Holger wusste das, wusste es nur zu gut. Viele der reichen Familien waren weggezogen. Nach Süden, neuen, ertragreicheren Geschäften entgegen. Fast alle der ehemaligen Bediensteten verschwanden mit ihnen. Jene die blieben, hatten sich als Bauern oder Fischer sesshaft gemacht.

Er selbst hatte mit seinem Vater, aber mehr noch mit seiner Frau zu kämpfen. Sie wollten weg. Wollten irgendwo hin, wo die Zukunft ersprießlichere Aussichten für sie bereithielt. Aber wie könnte er? Als gewählter Salzmeister? Die Menschen in Salzheim vertrauten ihm. Sie hatten ihn erkoren, zu dem Mann, der über ihre Geschäfte und ihr Zusammenleben wachen sollte. Er vertrat das Recht und den Stolz der einstmals reichen Stadt und führte den Vorsitz im Rat. Nein, die Bürde der Zeit mochte ihn brechen, aber beugen würde er sich nicht.

Einer der Händler grüßte, als Holger an ihm vorüberschritt. Einige Worte wurden gewechselt, nichts Bedeutendes. Mutmaßungen über einen möglicherweise kalten Winter, eine halb ernst gemeinte, rhetorische Phrase über das kaum ausreichende Geschäftstreiben und einige weitere Fragen, die einfach nur gestellt wurden, um sie gestellt zu haben.

Mit knappem Nicken verabschiedete sich Holger und spazierte weiter. Während er ging, inspizierte er noch einmal die Straßen vor und neben sich. Die breite südliche Marktstraße und die weit engere Handelsgasse, die sich nach Südosten erstreckte. Es tat sich nicht viel. Vom hektischen Treiben aus seiner Jugendzeit, war nichts geblieben. Kleinere Gruppen standen hier und da, einzelne Menschen gingen ihres Weges. Manche mit Waren beladen, andere nicht. Langsam näherte er sich dem Stadttor. Die wuchtigen Flügel strahlten bedingungslose Stärke aus. In wenigen Augenblicken war es durch schwere Ketten, welche ohne sichtbare Macht an einem kraftvollen Gewinde zerrten, verschließbar.

Der Durchgang bot ausreichend Platz für zwei sich kreuzende Wagen und erstreckte sich gut zehn Schritt in der Breite, von Turmwehr zu Wachhaus. Die einstmals zahlreiche Stadtwache wurde darin untergebracht. Ein riesiges Gebäude. Die Zahl der Wachen war mittlerweile verschwindend gering. Nur noch ein Trakt des vielräumigen Hauses wurde genutzt.

Die wuchtigen Mauern rund um die Stadt standen stumm und dunkel, verrichteten ihren Dienst und würden es in alle Ewigkeit tun. Aus massivem Granit gefertigt, fast zwanzig Schritt dick und ebenso hoch, trotzten sie der Zeit seit mehr als fünftausend Mondwechseln. Kaum Spuren des Verfalls waren zu erkennen. Anders sahen jedoch die Wohnhäuser rund um das Stadttor aus. Verzierungen und kunstvoll geschnitzte Holzrahmen säumten fast jedes Haus. Hier war zu erkennen, dass der frühere Reichtum schwand. Salzheim hatte anderes zu tun, als diese Überbleibsel besserer Tage zu pflegen und zu erhalten. So fehlte oder faulte hier und da ein Stück der Verzierungen, begünstigt durch die feuchte Meeresluft. Viele Dächer waren in schlechtem Zustand und so manche Wand oder Tür zeugte von der Armut.

Holger Abendstern wärmte sich an den Sonnenstrahlen, von denen er wusste, dass sie bald nicht mehr wärmen würden. Tief atmete er ein. Brust und Bauch wölbten sich unter dem fein bestickten Leinenhemd. Sein Bauchansatz hatte sich in letzter Zeit stark vergrößert, aber das war nicht wichtig. In gesetztem Alter zeugte ein Bauch von Männlichkeit und Stärke. Davon abgesehen, liebte er das Gerstenbier, welches sein Schwager braute und ihm stets einige Fässer abgab. All seine Sorgen und Gedanken schienen im Rausch an Bedeutung zu verlieren und ließen ihn des Nachts schlafen. Zudem hörte er die Vorwürfe seiner ach so geliebten Frau kaum noch, was die Nachtruhe wiederum begünstigte.

Das Tor war erreicht. „Hallo Leen“, grüßte Holger. „Egran“, fügte er mit freundlichem Nicken hinzu. Die beiden Wachen gaben den Gruß zurück, änderten jedoch wenig an ihrer lässigen Haltung. Gelangweilt stützten sie sich auf ihre langen Speere und warteten auf die Ablöse. Fast jeden Tag inspizierte Holger Abendstern die beiden Tore im Süden und Osten der Stadt, welche die gut vierundzwanzigtausend Einwohner Salzheims im Ernstfall schützen sollten. Immer war es dasselbe Bild. Gelangweilte Wachen, jeglicher Moral beraubt. Als würden sie nur noch auf den Tag warten, an dem er sie nicht mehr bezahlen konnte und sie weiterziehen würden.

„Gibt es etwas zu vermelden?“, fragte er jenen, welcher Leen genannt wurde. Der schüttelte den Kopf. „Nichts, Salzmeister“, lautete die Antwort.

Wie erwartet. Holger wollte sich schon gen Osten umdrehen, um das zweite Tor zu inspizieren, doch eine melancholische Anwandlung ließ ihn verweilen. Er hatte keine Lust mit jemanden zu reden, um noch mehr gebrochene Moral und unterdrückten Frust zu erfahren.

Ein wenig Ruhe würde ihm guttun. So stieg er die Treppen hoch, welche gleich neben dem Wachhaus, nach links und rechts in flachem Lauf nach oben führten. Hinauf auf die breiten Mauern der Stadt, deren verlorenen Stolz und Reichtum sie immer noch repräsentieren und verteidigen wollten. Der feste leicht angewärmte Stein fühlte sich gut an. Beruhigend und friedlich. Die wulstigen, aber dennoch kräftigen Ellenbogen auf der massiven Brüstung aufgestützt, blickte der Salzmeister über das Land. Die weiten Ebenen südlich seiner geliebten Stadt taten sich vor ihm auf, und zeigten sich in ihrer vollen Pracht. Ein leicht oranger Schimmer lag über Wiesen, Hügeln, Feldern und Häusern. Die vereinzelten Bäume wiegten sich gemächlich, mit aller Ruhe des stillen Landes. Kleinere und größere Bauernhäuser lagen verstreut rings um die Stadt. Weite Flächen ertragreicher Felder lagen leer im lauen Wind. Die letzte Ernte des Sommers war eingebracht, und den Bauern stand eine ruhige Zeit bevor.

Holger fühlte sich schon viel besser. Auf seinem Gesicht fand sich ein leichtes Lächeln. Jedoch zeigte all die Idylle dennoch eine breite, unbefahrene Straße, die in gerader Linie nach Süden führte. Wie so oft.

Eben jene Straße ließ ihn nun aufmerken. Da war etwas. Holger kniff die Augen zusammen und stierte nach Süden. Ein Schatten womöglich nur, oder Reisende. „Hmm ...“, brummte er und beobachtete weiter. Langsam erkannte er, was sich da näherte. Ein Fuhrkarren war es und mit ihm zwanzig bis dreißig Mann, welche langsam, aber stetig den breiten Weg beschritten. Der Salzmeister freute sich in diesen Tagen über jeden Handelswagen. Er stieg die Stufen, die er vorher erklommen hatte, schnell wieder hinunter und begab sich zu den beiden Wachen am Tor.

„Haltung Männer“, sagte er in befehlendem Ton. „Ein Händler nähert sich. Also bemüht euch gefälligst um ein ordentliches Bild!“

Langsam verstrich die Zeit. Holger wartete ungerührt. In letzter Zeit begrüßte er die meisten ankommenden Handelsreisenden selbst. Der persönliche Kontakt tat ihm gut, und zeigte, dass der Handel in und um Salzheim immer noch vorhanden war. Lediglich Frequenz und Konstanz dieser Besuche hatten nachgelassen.

Allmählich konnte man die Karawane besser erkennen. Sie wurde angeführt von einem Zwerg, einem Minotaur und einem jungen Mann, den Holger schon aus dieser Entfernung zu kennen glaubte. Leen, der zur Linken des Salzmeisters stand, sagte leise: „Bei Naar, was für ein dreckiger Haufen.“

Holger herrschte ihn streng an: „Ruhe! Siehst du besser aus, wenn du durch die Sümpfe stolperst?!“

Die Stadtwache reagierte betroffen, entschuldigte sich und verblieb stumm. Wieder blickte Holger auf die Truppe vor ihm, die nun schon deutlich näher war. Bei näherer Betrachtung des gebotenen Bildes, schollt sich Holger selbst für seine raue Stimme. Es war wirklich ein schmutziger Haufen. Vor allem der Zwerg war von oben bis unten in verkrusteten Matsch gehüllt. Nur sein Gesicht war einigermaßen sauber. Der lange Bart, zu zwei Zöpfen geflochten, mochte wohl einmal braun gewesen sein. Dessen war sich Holger aber nicht sicher, so steif und schmutzig war er.

Nun war auch der Händlerwagen mit seinem Lenker gut zu erkennen. „Meisterlich!“, bemerkte Holger Abendstern. „Es ist Markre Meisterlich!“ Ein breites Lächeln zeigte sich im Gesicht des Salzmeisters, wobei seine Wangen wie zwei rote Kugeln hervortraten.

Die beiden kannten sich seit vielen Jahren und waren in ihrer Kindheit eng befreundet gewesen. Als Meisterlich zu seinen ersten langen Handelsreisen aufbrach, flaute die Freundschaft ein wenig ab. Dennoch war es ein schönes Gefühl, ihn wieder zu sehen. Gerade wollte Holger sich aufmachen, um ihnen entgegenzugehen, da drang der Ruf des Zwergs zu ihm. Kehlig und trocken, aber weithin hörbar. „Wir brauchen einen Heiler! Schnell! Wir haben einen schwer Verwundeten bei uns!“

Holger erschrak, sah nun erst die Bahre, welche von vier Mann getragen wurde. Sofort gab er Anweisung und schickte Leen um Wasser und Egran nach einem Heiler. Beides war zur Stelle, als die Reisenden die Stadtmauern passierten.

Der alte Heiler sah sich Klai kurz an, welcher reglos auf der Bahre lag. Kein Lebenszeichen war ersichtlich. Sofort trug er den beiden Wachen auf, ihn in sein Haus zu bringen. Ohne ausgekochtem Wasser, seinen Salben und Kräutern war nichts zu machen, erklärte er.

Schnell waren sie verschwunden. Brand und Zrak gingen mit ihnen. Jeder hatte dafür seine eigenen Gründe. Zraks verwundeter Arm war stark geschwollen und zeugte von Anstrengungen, die er sich nicht hätte auferlegen dürfen. Mit fiebriger Stirn und schwerem Atem folgte er Klai und dem Heiler.

Der alte Brand hingegen, nun, er hoffte auf das Wunder, an das er seit zwölf Tagen verbissen glauben wollte. Nicht zuletzt auf sein Drängen hin, wurden auch nach den unglaublichen Strapazen der Sümpfe kaum nennenswerte Pausen gemacht. Seine Mahnungen zur Eile würden Klai nun möglicherweise doch das Leben retten. Brand wollte bei ihm bleiben. Er hatte Klai die ganze Strecke über mit Wasser und vereinzelten Stücken vorgekautem Brot am Leben gehalten. Mit unerwarteter, äußerst ungewöhnlicher Zähigkeit, hielt der Jüngling an seinem Leben fest.

Nachdem Holger Abendstern beobachtet hatte, wie es um die Verwundeten stand und noch einmal einen Blick auf den entkräfteten Haufen geworfen hatte, begab er sich zu Meisterlich. Er drückte ihm die Hand und fragte mit mitfühlender Stimme nach, was denn geschehen war.

Müde, aber erlöst, blickte der Händler seinem Freund in die Augen und fing an, von den Vorfällen um Naars Auge zu berichten.

Als das Wort „Ogerspäher“ fiel, schrak Holger auf, hob ungläubig die Augenbrauen und unterbrach die Ausführungen Meisterlichs. „Ogerspäher?!“, stieß er hervor.

Der Salzmeister sah in die Runde, und verlangte durch seinen Blick nach Aufklärung. Es reagierte niemand. Alle um ihn schienen damit beschäftigt, sich irgendein Körperteil zu massieren oder Wasser zu trinken. Auch Meisterlich hatte keinerlei Intention, seine Geschichte weiterzuerzählen und sagte knapp: „Ich habe Ungewöhnliches zu berichten. Der Rat sollte davon erfahren. Dennoch ist dies nicht der Zeitpunkt für derlei Gespräche. Wie du siehst, bedarf es uns an Stärkung und Ruhe.“

Verständnisvoll nickte Holger Abendstern, tat dies aber nur um der Etikette willen, denn seine Augen sprühten vor dem Verlangen nach Informationen.

Leicht drückte er mit seinen großen Händen die Schultern Meisterlichs. „Geht nach Hause, stärkt euch und ruht euch aus. Doch sobald der morgige Tag anbricht, erwarte ich dich und deine Gefolgsleute im Haus des Rates.“

Meisterlich nickte zustimmend und bedeutete seinen Männern zu folgen. Das Versprechen von warmem Wasser, frischem Braten und weichen Betten in der entkräfteten Stimme.

Holger ließ ab, verbeugte sich knapp vor den Söldnern und entfernte sich mit bestimmtem Schritt. Er machte sich daran, die sechs weiteren Ratsmitglieder aufzusuchen und für den kommenden Tag einzuladen.

Der Abend kam, schnell verstrich die Nacht und der Morgen brach mit kühl wehendem Wind und wolkenbehangenem Himmel an. Der erste Schnee würde wohl bald fallen, gerade hier im Norden. Holger zog seine Stiefel an, streifte sich eine kunstvoll gewobene Weste über das feine Hemd und zog darüber einen festen Pelz aus Wolfsfell an. Dieser passte zwar nicht so richtig zum Rest seiner teuren Kleidung, aber er wärmte sehr gut und war außerdem sein Lieblingsmantel. Er liebte es, seine Beine eingehüllt zu haben, wenn der Wind vom Meer her blies. Es war ein gutes Gefühl, wenn sie an der rauen Innenseite des Fells rieben. Nach kurzer Überlegung entschied sich Holger für einen breitkrempigen Hut, welcher frei von Stickereien oder gar Quasten war und vorzüglich zum schlichtem Schwarz seines Mantels passte.

Der Salzmeister hatte keine Eile. Ganz im Gegenteil. Seine Frau hatte das Haus vor ihm verlassen, um einer ihrer unangenehmen, fetten Schwestern einen Besuch abzustatten. Jene lebte am westlichen Ende der Stadt. So war sie früh aufgebrochen, um den Tag zu nutzen. Kein Gemeckere, keine Vorwürfe. Trotz der bevorstehenden Ratsversammlung würde dies ein schöner Tag werden. Holger lächelte für sich, als er die Treppen vom Schlafgemach herunterstieg und in die Küche ging. Sie hatte Frühstück gemacht. Damit hatte er nicht gerechnet. Er wusste nicht was ihn mehr freute. Das unerwartete Mahl oder die Tatsache, dass er es alleine und in Ruhe einnehmen konnte. Mit breitem Grinsen setzte er sich zu Tisch und schmierte sich eines der beiden Fladenbrote, die bedeckt mit einer dicken Schicht Butter einfach köstlich schmeckten. Nach dem Essen trank er ein großes Glas Milch in einem Zug aus und begab sich, gestärkt für den Tag, auf den Weg zum Haus des Rates.

Noch waren die Straßen menschenleer. Ruhig und gleichmäßig schritt Holger aus. Ein verwahrloster Köter trottete ihm hinterher, wohl in der Hoffnung, einen Knochen zu ergattern. Er stieß ihn zur Seite. Für derlei Betteleien hatte er keinen Sinn. Ein streunendes Tier war unerwünscht in seiner Stadt.

Das Haus des Rates befand sich nordöstlich von seinem Wohnhaus, inmitten des Gründerviertels. Wie der Namen schon verriet, befanden sich hier die großen und prunkvollen Villen der ersten Menschen, die hier siedelten und bald Reichtum und Wohlstand erlangten. Die Häuser waren in einem Halbkreis angeordnet, welcher zur Küste hin offen dalag. Hier wohnten die großen Familien der Stadt. Die Familie der Salzfinder, der Meerfreunds, der Falkenflugs und noch etliche weitere hochgestellte Bürger.

Im Zentrum des Halbmondes ruhte das Ratshaus. Es war umgeben von einer gepflegten Wiese, welche nun kaum noch grün war. Im Sommer war dies ein herrlicher Platz, voller Ruhe und einfacher Schönheit. An mehreren Stellen standen breite Holzbänke, die einluden zu verweilen, und die Stille zu genießen.

Es war der schönste Ort Salzheims, dachte Holger Abendstern beinahe jedes Mal, wenn er dem geradlinigen Weg hin zu seinem Amtssitz folgte. Das Ratshaus selbst strahlte Kraft und Sicherheit aus. Zu großen Teilen aus fein gehauenem weißen Marmor gefertigt, war es eingerahmt von prächtigen Säulen aus sorgsam geschliffenem und verziertem Obsidian. Ein majestätisches Bauwerk, machtvoll gestaltet durch den Kontrast der Farben der Welt, schwarz und weiß. Dies war das offensichtliche Zeichen dafür, dass hier Recht gesprochen wurde.

Am schweren Flügeltor angekommen, zog Holger einen großen vergoldeten Schlüssel aus seiner Jackentasche und öffnete mit sicherer Hand das Schloss.

Sogleich schwang die Pforte auf. Ein leerer Raum lag vor ihm. Dieser erstreckte sich in der vollen Breite des Ratshauses vor ihm. Der Boden bestand aus kalt wirkenden viereckigen Schieferplatten. Sie waren gefertigt aus je zwei Schritt langen und breiten Stücken, in allen Grautönen. Sie lagen dumpf und schwer da. Zum Teil rau, zum Teil glatt, mal dunkler mal heller. Niemals einheitlich gehalten, waren sie das Symbol des Konflikts des Menschen, der hin- und hergerissen war zwischen Gut und Böse. Niemals ganz glatt, niemals vollständig in einem der Grautöne, wiesen sie niemals eine durchgehende Gleichmäßigkeit auf.

Der Sitzungssaal des Rates lag dem Haupttor gegenüber. Eine helle Tür aus Fichtenholz gab, da unverschlossen, durch das Drücken der Klinke und einem leichten Ruck, den Weg zum geräumigen Saal frei.

Im Saal selbst befand sich nichts außer zwei großen Fenstern und einem ovalen Tisch aus fester Eiche, welcher insgesamt ausreichend Platz für zwanzig Mann bot. Auf der hinteren Seite des Tisches standen sieben Stühle, wobei sich nur einer den anderen gegenüber unterschied. Dies war der Stuhl des Salzmeisters, Holgers Stuhl. Er war um einiges höher und ein wenig breiter, mittig platziert. Auf der vorderen Seite standen die Stühle für jene, die vor dem Rat erschienen. Sei es um rechtens willen, oder - wie in diesem Fall - um ein, für Salzheim vermeintlich wichtiges Geschehen vorzutragen. Holger Abendstern nahm Platz, und tat dies nicht ohne Befriedigung. Es war sein Lebenstraum, diesen Stuhl auszufüllen. Er hatte schon als junger Mann danach getrachtet und befand sich nun seit knapp vierzig Mondwechseln in dieser ehrbaren Position.

Die Mitglieder des Rates erschienen als erste. Freundlich und mit festem Händedruck begrüßte er jeden von ihnen. Sie alle waren gewählt aus den verschiedenen Gesellschaftsklassen der Stadt. Der Adel wie das Handwerk, Salzmeister wie Fischer waren vertreten. Diese Zusammenstellung des Rates garantierte die bestmögliche Rechtsprechung, unparteiisch und uneigennützig. Salzheim war die einzige Stadt der Menschen, in der das Zusammenleben auf diese Art geregelt war. Damit bot sie einen krassen Gegensatz zum Königtum, welches die Hauptstadt und größte Stadt der Menschen stellte: Naars Zweifel.

Der Rat hatte Platz genommen. Das freundschaftliche Gespräch unter den Mitgliedern ebbte ab, als es an der Tür klopfte. Markre Meisterlich öffnete sie und trat ein, gefolgt von den meisten der Söldner, die ihn sicher nach Salzheim und damit nach Hause gebracht hatten.

Holger begrüßte die Männer freundlich und bat sie darum, Platz zu nehmen. Der Salzmeister musste sich eingestehen, dass er vergessen hatte, ausreichend Stühle bereitzustellen. Es war ihm unangenehm und er zeigte dies mit Worten der Entschuldigung. Meisterlich saß ihm gegenüber. An beiden Seiten des Händlers nahmen Söldner Platz. Es dauerte einige Zeit, bis jene die sitzen sollten, dies getan hatten. Der Rest stand hinter ihnen in willkürlicher Anordnung. Zum ersten Mal betrachtete der Salzmeister die Söldner genauer. Eine interessante Anordnung wie er fand. Interessant und ungewöhnlich.

Ein Zwerg als Anführer. Im Gegensatz zu den anderen, war er immer noch nicht sauber, wenn auch gewaschen und ein wenig gekämmt. Die Liebe zur Erde war ihm wohl hinderlich gewesen, sich die letzten Reste Schlamm von seiner Kleidung zu schaben. Daneben ein Salzheimer. Ja, nun erkannte ihn Holger. Gestern fand er nicht die Zeit, sich den wohlgekleideten, gutaussehenden Mann genauer anzusehen. Nun hatte er dies nachgeholt und ihn erkannt. Voller Trauer dachte Holger an den Tag, an dem der Vater dieses Jungen auf so tragische Weise starb. Bald danach ward der junge Mauran nicht mehr gesehen. Nun wusste Holger, welchen Weg der letzte männliche Falkenflug eingeschlagen hatte.

Zur Rechten Maurans saßen zwei wahre Hünen. Sie waren wohl Brüder. Beide überragten mit Sicherheit den größten und kräftigsten Mann Salzheims. Der eine war in schwere Platten gehüllt. Das was verwunderlich, weil keinerlei Bedrohung hinter den gesicherten Mauern Salzheims bestand. Der andere war noch einen halben Kopf größer. Ein Riese, bepackt mit ausladenden Muskeln, wahrlich beeindruckend. Noch während Holger dies dachte, drängte sich das Bild des breitschultrigen Minotaurs in seinen Geist. Wo war der geblieben? Dieser Gedanke machte ihm nicht nur bewusst, dass nicht alle erschienen waren, sondern auch der verwundete Söldner auf der Tragbahre fiel ihm wieder ein. Ein guter Ansatz für das folgende Gespräch.

Sobald Ruhe eingekehrt war und jeder seinen Platz eingenommen hatte, bedankte sich der Salzmeister dafür, dass seiner Bitte Folge geleistet worden war und beinahe alle Geladenen gekommen waren. Dabei konnte der Teil mit den nicht erschienenen Männern als dezent vorgetragene Anspielung verstanden werden. Sogleich fragte er freundlich nach, wie es dem verletzen Mann ergangen sei, und ob die fehlenden Söldner noch kommen würden.

Meisterlich räusperte sich und wollte antworten, doch Garantor kam ihm zuvor. Dadurch gab der Zwerg zu verstehen, dass seine Leute nun nicht mehr im Dienste des Händlers standen. Als Anführer und Betroffener der gestellten Fragen, war es an ihm, zu sprechen.

„Klai hat die Nacht nicht überlebt. Noch vor Sonnenaufgang hat er den Kampf aufgegeben.“

Die Worte klangen bitter und kamen dumpf aus seinem Mund. Bitter, weil sie es bis hierhin geschafft, und trotzdem die Mühen umsonst gewesen waren.

„Was den Rest angeht“, sprach er weiter, „Der Minotaur kuriert seine Wunde aus, und die anderen vergnügen sich irgendwo in der Stadt. Thef kennt ein vorzügliches Bordell, und einige sind mit ihm gegangen.“

Ob jetzt Entrüstung oder Beileid angebracht war, wusste Holger nicht. Wohl aber wusste er, dass Söldner ihren eigenen Regeln folgten. Da sie ihren Auftrag erfüllt hatten und ihr Anführer ihnen offensichtlich freigestellt hatte, hier zu erscheinen, taten sie wohl das, was ihnen am liebsten war. So beschränkte sich Holger darauf, sein ehrliches Beileid auszudrücken. Über die fehlenden Männer verlor er kein weiteres Wort.

Danach wurde dem Verstorbenen ein Augenblick der stummen Trauer zugestanden. Ein Zeichen des Respekts, welches in Salzheim üblich war und ohne Aufforderung vollzogen wurde.

Nun räusperte sich Holger und bat Meisterlich darum, die Geschehnisse zu schildern, welche ein Zusammenkommen des Rates erforderlich machten. Meisterlich tat dies ohne Umschweife. So sprach er von dem höchst ungewöhnlichen Verhalten des Ogers, den sie verfolgt und zur Strecke gebracht hatten. Kurz wurde darüber diskutiert, wobei der Unglauben über einen Oger, der eigenständig Entscheidungen treffen konnte, auf beiden Seiten des Tisches spürbar war.

Meisterlich erklärte nochmals, dass sich alles so abgespielt habe, wie er es vorgebracht hatte. Mauran Falkenflug und Cebrid bestätigten dies mit Nachdruck.

Diskussionen und weiterführende Berichte wechselten sich ab, wobei die Berichterstattung Meisterlichs endete, als er über die unzähligen Lagerfeuer sprach, welche auf eine unglaubliche Anzahl der verhassten Oger schließen ließ. Alle möglichen Mutmaßungen wurden angestellt, und verworrene Theorien über eine mögliche andere Erklärung aufgestellt. Aber nichts hatte Bestand.

Der Vormittag verstrich langsam, voller Mühsal und ohne ersichtliches Ergebnis. Zur Mittagszeit erklärte Holger Abendstern, dass er dankbar für die Informationen war und der Rat sich weiter damit beschäftigen werde. Mit freundlichen Worten begleitete er Meisterlich aus dem Saal. Söldner und Ratsmitglieder folgten.

Mit gemischten Gefühlen und nachdenklichem Gesicht ging ein jeder heim an seinen gedeckten Tisch. Der Rat würde am nächsten Tag wieder zusammenkommen. Die Söldner gingen ihres Weges, wohl einem neuen Auftrag entgegen, oder einigen ruhigen Tagen. Das war Holger Abendstern einerlei.

Zwar hegte er Zweifel an den vernommenen Worten, aber dennoch würde man sich noch genauer mit dieser Geschichte befassen müssen. Sicher würden Kundschafter ausgesandt, um größeres Wissen und Sicherheit zu erlangen. Morgen würde man entscheiden, was zu unternehmen war. Bis dahin war aber noch ein nebliger Nachmittag zu genießen. Da seine Frau immer noch nicht heimgekehrt war, setzte sich Holger in seinen Lieblingssessel, steckte sich eine Pfeife an und gönnte sich einige Humpen des köstlichen Gerstenbiers seines Schwagers.

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