Kitabı oku: «Deutsch als Zweitsprache», sayfa 2
1.3 Zweitspracherwerb
SuS mit DaZ erwerben das Deutsche sukzessive, d.h. zeitlich versetzt zu ihrer L1 bzw. ihren Erstsprachen (Rothweiler 2007: 106). Der intensive und kontinuierliche Kontakt zur L2 beginnt für diese Kinder häufig mit dem Eintritt in eine Bildungsinstitution. Abhängig vom Zeitpunkt des Erstkontakts zur L2 spricht man von einem frühen L2-Erwerb (Erwerbsbeginn zwischen zwei/drei und vier/sechs Jahren) und grenzt ihn vom L2-Erwerb von Kindern mit einem Erwerbsbeginn zwischen sechs und zwölf Jahren und dem Zweitspracherwerb von Jugendlichen und Erwachsenen mit dem Erwerbsbeginn nach der Pubertät ab (Rösch 2011: 11, Schulz/Grimm 2012: 164) (s. Abb. 1).
Neben dem sukzessiven Erwerb besteht die Möglichkeit, zwei oder mehr Sprachen parallel zu erwerben. Innerhalb des L1-Erwerbs differenziert man zwischen dem monolingualen und dem bilingualen Erwerb (Rothweiler 2007), bei dem das Kind zwei Sprachen von Geburt an bzw. vor dem zweiten Geburtstag erwirbt. Der simultane Erwerb muss jedoch nicht auf zwei Sprachen begrenzt sein, z.B. kann die Mutter Rumänisch, der Vater Französisch mit dem Kind sprechen, die Umgebungssprache der Familie ist jedoch Deutsch und wird z.B. in Krabbelgruppen und auf dem Spielplatz gesprochen (trilingualer Erwerb) (Montanari 2014 für einen Einblick in verschiedene Modelle mehrsprachiger Familien).
Abb. 1: Spracherwerbstypen in Anlehnung an Müller et al. 2007; Rothweiler 2007; Rösch 2011 (in Geist 2013: 10)
Abzugrenzen ist der L2-Erwerb andererseits vom gesteuerten Fremdspracherwerb (s. Abb. 1): Kinder mit DaE und DaZ erwerben das Deutsche weitgehend ohne direkte Steuerung. Auch wenn sie beispielsweise für einige Stunden pro Woche an einer Sprachförderung teilnehmen oder in den ersten Monaten in einer gesonderten DaZ- oder Vorbereitungsklasse beschult werden, ist dieser Unterricht bzw. diese Förderung hinsichtlich ihres Anteils am gesamten Input und ihrer Strukturiertheit nicht vergleichbar mit dem Fremdsprachenunterricht. Da aber die Entwicklung einer eigenständigen DaZ-Didaktik für Seiteneinsteiger noch in den Kinderschuhen steckt (jedoch u.a. Feldmeier 2015, Khakpour/Schramm 2016, zu Seiteneinsteigern u.a. Mavruk/Wiethoff 2015, Maak 2014), wird in DaZ-Klassen derzeit häufig auf fremdsprachendidaktische Elemente zurückgegriffen.
Studien zum Spracherwerb stützen die Unterscheidung zwischen dem frühen und späten Zweitspracherwerb:
Viele Kinder, die bis zum Alter von vier oder fünf Jahren mit dem Erwerb einer zweiten Sprache beginnen, scheinen den Spracherwerb problemlos zu vollziehen, während ältere Kinder und Jugendliche länger brauchen. Je später der Erwerbsbeginn liegt, umso mehr gleicht der Zweitspracherwerb dem Zweitspracherwerb Erwachsener. (Rothweiler 2007: 122)
Gründe für den offenbar problemlosen frühen Erwerb von Phonologie, Syntax und Verbmorphologie in der L2 werden darin gesehen, dass den Kindern mit Erwerbsbeginn vor dem fünften Lebensjahr Spracherwerbsmechanismen noch zur Verfügung stehen (Meisel 2009). Teils läuft der Erwerb damit sogar schneller ab als der Erstspracherwerb, weil sie auf bereits entwickelte kognitive Fähigkeiten und Weltwissen sowie Kenntnisse in der L1 zurückgreifen können (Rothweiler 2007: 122). Jedoch sind abhängig vom Erwerbsbeginn auch qualitative Abweichungen und Einflüsse der Erstsprachen, die sich beispielsweise in einer Auslassung von Artikeln in der Nominalphrase zeigen können, erwartbar (z.B. Rothweiler 2016).
Neben dem Alter bei Erwerbsbeginn stellt die Kontaktdauer, die angibt, wie lange ein Lerner bereits Zugang zur L2 hatte, ein wichtiges Charakteristikum dar. Gleichaltrige Kinder verfügen abhängig von der Kontaktdauer über unterschiedlich weit entwickelte sprachliche Fähigkeiten (z.B. Grimm/Schulz 2012, Geist 2017). Faktoren, die sich auf den scheinbar ‚problemlosen‘ Vollzug des frühen Zweitspracherwerbs negativ auswirken können, sind neben dem Zeitpunkt des Erwerbsbeginns und der Kontaktdauer auch die Qualität des Inputs (Rothweiler 2007), die bislang selten Forschungsgegenstand war (zur Sprache pädagogischer Fachkräfte u.a. Müller et al. 2016).
Die Vielfalt der Sprachbiographien von mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen lässt sich mit der obigen Grafik (Abb. 1) natürlich nicht abbilden. Diese Vielfalt ist möglicherweise auch ein Grund dafür, dass es der Deutschdidaktik nur sehr schleppend gelingt, sich auf die Bedürfnisse mehrsprachiger SuS einzustellen: Während der L1-Erwerb z.B. mit Blick auf die Grammatik aufgrund der erwähnten Spracherwerbsmechanismen qualitativ sehr ähnlich verläuft, wirken sich im L2-Erwerb weitere Faktoren aus, deren Zusammenspiel zu verschiedenen Erwerbsverläufen führt. Wir wollen, um die Bandbreite zumindest anzudeuten, hier drei Fallbeispiele mit ihren Ausgangsbedingungen vorstellen, auf deren besondere Kompetenzen und Bedürfnisse wir im Lauf der folgenden Kapitel immer wieder zurückkommen werden.
EBRU1 ist ein zehnjähriges Mädchen, das in Deutschland geboren wurde und momentan die 4. Klasse einer Regelschule besucht. Ihre Erst- und Familiensprache ist Türkisch, Deutsch lernt sie als frühe L2 seit dem Eintritt in den Kindergarten im Alter von 3;6 (Jahre; Monate). Seit dem ersten Schuljahr besucht sie auch den muttersprachlichen Türkischunterricht – somit kann sie nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich in zwei Sprachen kommunizieren. In ihren mündlichen Fähigkeiten im Deutschen unterscheidet sich EBRU auf den ersten Blick kaum von gleichaltrigen einsprachigen Kindern, was beeindruckend ist, wenn man ihre um dreieinhalb Jahre kürzere Kontaktdauer zum Deutschen bedenkt. Bei einem Blick auf schriftliche Produkte fallen jedoch hin und wieder Schwierigkeiten (z.B. bei der Markierung von Akkusativ und Dativ in der Nominalgruppe) auf. Ihr großes mehrsprachiges Potential kommt im Regelunterricht ebenso wie im Türkischunterricht nicht zur Geltung, da beide Unterrichtsformen zwar in einer Schule angeboten werden, jedoch nicht zu gemeinsamen Lernerlebnissen führen.
CLAUDIU (7;8) stammt aus Rumänien und ist durch die Arbeitsmigration seiner Eltern im Alter von 6 Jahren nach Deutschland gekommen. Er wurde zunächst für ein Jahr in eine Vorbereitungsklasse aufgenommen und besucht nun seit einigen Monaten den Regelunterricht einer 2. Klasse. In seinem ersten Jahr in Deutschland hat CLAUDIU mit ‚Siebenmeilenstiefeln‘ die deutsche Sprache erworben. Er kann sich umgangssprachlich verständigen und hat gleichzeitig mit dem Lese- und Schreiberwerb begonnen. Nach wie vor hat er sprachliche Schwierigkeiten, die ihn teilweise daran hindern, dem Unterricht zu folgen; Kapazitäten für einen weiteren Förderunterricht stehen an der Schule allerdings nicht zur Verfügung. Weil kein muttersprachlicher Unterricht angeboten wird, lernt CLAUDIU das Lesen und Schreiben ausschließlich in seiner L2.
KARIM ist 17 Jahre alt, er kam als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling vor einem Jahr nach Deutschland. In seinem Herkunftsland Afghanistan hat er die neunjährige allgemeinbildende Schule besucht; dabei hat er sprachliche Kompetenzen in mündlicher und schriftlicher Form nicht nur in seiner L1 Dari, sondern auch in der Fremdsprache Englisch erworben. Momentan besucht er die 9. Klasse einer Werkrealschule. KARIM hat in den vergangenen 12 Monaten bereits einige Spezifika der deutschen Sprache erworben, allerdings qualitativ in einem anderen Verlauf als CLAUDIU. Er hat ebenfalls teilweise noch Schwierigkeiten, dem Unterricht in sprachlicher Hinsicht zu folgen. Andererseits ist er in einigen Bereichen (vor allem im Englischen, aber auch in den naturwissenschaftlichen Fächern) seinen Klassenkameraden weit voraus.
1.4 Gemeinsamer Unterricht
Die Sprachdidaktik untersucht, welche Lerngegenstände im Deutschunterricht mit welchen Zielsetzungen und auf welche Weise mit den SuS bearbeitet werden können. Außerdem entwickelt und erprobt sie dafür geeignete Konzeptionen und Methoden. Ihr ist die sprachliche Heterogenität der Schülerschaft nicht fremd, beschäftigt sie sich doch zunehmend mit dem Anspruch eines gemeinsamen Unterrichts, der den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen Rechnung trägt. Dennoch ist die Sprachdidaktik noch weit davon entfernt, die Anwesenheit ein- und mehrsprachiger SuS immer mitzudenken – sie mithin als den Normalfall (s. 1.2) anzusehen.
In Einführungen in die Sprachdidaktik ist inzwischen (beinahe) immer ein Kapitel zu DaZ-Didaktik und/oder Mehrsprachigkeit enthalten, und das ist erfreulich. Allerdings handelt es sich eben meist um ein additives Thema. Einführungen in die DaZ-Didaktik untermauern das Nebeneinander von Erst- und Zweitsprachdidaktik, und auch dieses Buch vereint Erst- und Zweitsprachdidaktik noch nicht völlig, obwohl dies dringend notwendig wäre. Jedoch stellen wir uns der Herausforderung, die Konzeptionen je Arbeitsgebiet stets im gemeinsamen Unterricht zu denken. Selbstverständlich sind Differenzierung und Individualisierung im gemeinsamen Unterricht unabdingbar, jedoch gilt es, das gemeinsame Lernen als übergeordnetes Ziel im Blick zu behalten (Baurmann/Müller 2016). Gemeinsamer Unterricht bedeutet nicht nur, in einer Klassengemeinschaft räumlich gesehen gemeinsam zu lernen, sondern durch gemeinsame Lernerlebnisse das Potential einer heterogenen und eben auch mehrsprachigen Lerngruppe zum Vorteil erwachsen zu lassen (Lengyel 2016). Dies setzt eine konzeptionell und ressourcenorientiert solide Basis voraus (Baurmann/Müller 2016: 7). Es gilt, für alle SuS ein Gerüst zu bauen, damit sie am gemeinsamen Unterricht aktiv partizipieren können. Diese Mammutaufgabe wollen wir Lehrkräften mit dem vorliegenden Buch erleichtern. Wir verstehen es als einen Beitrag zur sprachdidaktischen Diskussion, der sprachliche Heterogenität nicht nur am Rande behandelt, sondern den Sprachunterricht in multilingualen Klassen theoretisch und fachdidaktisch fundiert.
1.5 Aufbau des Buches
Wir orie ntieren uns an den fünf wesentlichen Arbeitsgebieten des Sprachunterrichts, die für alle Schulformen gelten (Tab. 1).
Im Unterschied zu den Bildungsstandards der KMK betrachten wir im Arbeitsgebiet Schreiben die Bereiche Texte schreiben und Richtig schreiben getrennt. Des Weiteren fokussieren wir aus sprachdidaktischer Perspektive das Lesen und lassen Aspekte des literarischen und medialen Lernens hier außen vor. Es werden so aus inhaltlichen Gründen Bereiche getrennt, die im Unterricht zusammengehören. Besonders deutlich wird das im Schriftspracherwerb, der den Lese- und Schreiberwerb (sowohl Richtig schreiben als auch Texte schreiben) umfasst.
Jedes Kapitel beginnt mit einem Schülerbeispiel und einer Einleitung zum Arbeitsgebiet. Es folgt eine Einführung in die fachlichen Grundlagen, bevor die besondere Lernausgangslage von SuS mit DaZ verdeutlicht wird. Ausgehend davon werden sprachdidaktische Konzeptionen vorgestellt und ihre Eignung für mehrsprachige Lerngruppen reflektiert. Jedes Kapitel endet mit einem Einblick in die Herausforderung des Erhebens von Fähigkeiten sowie der Leistungsbeurteilung. Es folgen abschließend jeweils einige weiterführende Literaturhinweise und Aufgaben zum Arbeitsgebiet.
1.6 Aufgabe
Setzen Sie sich mit Ihrer Mehrsprachigkeit auseinander: Wie viele Sprachen (inkl. Dialekte, Ethnolekte) haben Sie bereits erworben oder gelernt? Wie gesteuert oder ungesteuert war dieser Erst-/Zweit-/Fremdspracherwerb? Was begeistert Sie an anderen Sprachen? Was fällt Ihnen beim Sprachenlernen schwer?
1.7 Weiterführende Literaturhinweise
Eine Diskussion grundsätzlicher Fragen zu Mehrsprachigkeit und mehrfachem Spracherwerb findet sich bei Tracy (2011). Einführungen in das Thema Deutsch als Zweitsprache bieten u.a. Rösch (2011) und Jeuk (2013). Spezifisch sprachdidaktische Überlegungen mit einem besonderen Fokus auf SuS mit DaZ sind bei Michalak/Kuchenreuther (Hrsg., 2012) und Kalkavan-Aydin (Hrsg., 2015) zusammengestellt.
2 Sprechen und Zuhören
„also <H> ist groß weil das <<leiser werdend>Substantiv> ist?“
Diesen Beitrag leistet Zainal (elf Jahre alt), eine Schülerin mit DaZ, die (ebenso wie CLAUDIU) erst seit 13 Monaten in Deutschland lebt und die 4. Klasse einer Grundschule besucht, in einem „Rechtschreibgespräch“ (u.a. Leßmann 2014) mit zwei Klassenkameradinnen, die ebenfalls DaZ erwerben, zu dem schwierigen Wort Handtaschendiebstahl. In dieser kurzen Äußerung wird bereits deutlich, wie umfangreich Zainals sprachliche Fähigkeiten nach nur einem Jahr Kontakt zum Deutschen sind. So bietet sie ihren Mitschülerinnen eine Begründung der satzinternen Großschreibung an, obwohl es diese in ihrer L1 Arabisch nicht gibt. Sie hebt ihre Stimme am Ende der Äußerung, um sie als Frage zu deklarieren, und verwendet die für eine Bestätigungsfrage typische Verbzweitstellung im Deutschen mit korrekt flektiertem Verb. Zainal produziert zudem einen Nebensatz mit Verbendstellung. Sie verfügt somit über die gesamte Komplexität des deutschen Satzbaus. Außerdem nutzt sie einen Fachterminus. Die Verwendung des (in-)definiten Artikels, der in beiden Sätzen obligatorisch ist, muss von ihr allerdings noch erworben werden.
Die gegebene Situation stellt jedoch nicht nur sprachliche Anforderungen auf den linguistischen Ebenen Phonologie, Morphologie, Semantik und Syntax – das Kleingruppengespräch unter Klassenkameraden muss auch in pragmatisch-kommunikativer Hinsicht gestaltet werden. Zainal hört zu, lässt ihre Mitschülerinnen ausreden, versucht an deren Redebeiträge anzuknüpfen oder ihnen zu widersprechen. Rechtschreibgespräche sind ein Setting im Unterricht, in dem die Kompetenz, mit anderen zu sprechen, ebenso wie das verstehende Zuhören gefordert ist.
Kinder können, bevor sie geboren werden, hören und beginnen wenige Monate nach der Geburt, sprachlich zu interagieren. Diese ersten Sprechakte finden bei Kindern mit DaZ in einer oder mehreren anderen Erstsprachen statt. Die sprachlichen Kompetenzen, die sie in dieser/n Sprache/n in ihren ersten Lebensjahren aufbauen, sind ebenso wertvoll wie die sprachlichen Fähigkeiten, die Kinder mit DaE erwerben. Für jede Sprache gilt, dass das Kind deren phonologische, semantische, morphologische und syntaktische Bausteine erwirbt sowie pragmatische Kompetenzen entwickelt. Im Unterschied zum Lesen und Schreiben bringen die SuS im Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören also langjährige Vorerfahrungen aus Familie, Kindertagesstätte (Kita) und Freizeit mit und sammeln weitere auch in ihrem außerschulischen Alltag (zu anderen und mit anderen sprechen, (zu-)hören, szenisches Spiel). Weniger vertraut sind viele SuS dagegen mit dem Unterbereich über Lernen sprechen. Die Vorerfahrungen im Zusammenhang mit schulisch relevanten Diskurspraktiken wie dem Erklären oder Argumentieren sind ebenfalls sehr unterschiedlich (u.a. Morek 2012; Heller 2012; Isler 2014). Kinder und Jugendliche mit DaZ haben also Vorerfahrungen im Sprechen und Zuhören – sogar in mehreren Sprachen. Unser Bildungssystem trägt jedoch den Erstsprachkompetenzen von SuS mit DaZ bislang kaum Rechnung (u.a. Rösch 2011: 164). So fokussiert der Unterricht insgesamt und auch der Deutschunterricht die Schul- und Bildungssprache Deutsch.
Ziel dieses Kapitels ist, den Lerngegenstand zu skizzieren, die Besonderheiten der Lernausgangslagen von SuS mit DaZ anhand von Fallbeispielen aufzuzeigen und auf sprachdidaktische Konzeptionen für den Kompetenzbereich einzugehen, die für SuS mit DaZ im gemeinsamen Unterricht gewinnbringend sein können. Im Sinne einer Mehrsprachigkeitsdidaktik wird auch erläutert, wie Kinder und Jugendliche ihre Fähigkeiten in der L1 im Deutschunterricht einbringen können.
2.1 Fachliche Grundlagen: Mündliche Sprachproduktion und -rezeption in Unterricht und Alltag
Eine Besonderheit des Kompetenzbereichs Sprechen und Zuhören ist, dass gesprochene Sprache1 Lerngegenstand und -medium zugleich ist. Jedoch unterscheidet sich ein Unterrichtsgespräch in vielerlei Hinsicht von einem Alltagsgespräch: Die Zahl der (potentiellen) SprecherInnen ist höher und es bestehen hierarchische Unterschiede zwischen SuS und Lehrperson (Hochstadt et al. 2015). Die Charakteristika von Unterrichtskommunikation wurden bereits umfangreich erforscht (u.a. Ehlich/Rehbein 1979, Becker-Mrotzek/Vogt 2009, Grundler/Vogt 2013, Heller/Morek 2015). Die Herausforderung, als Lehrkraft nicht immer als Gesprächsleiter, Gesprächsteilnehmer mit einem hohen Redeanteil oder Aufgabensteller aufzutreten, ist groß. Ebenso relevant ist jedoch, sich eben dieser immer wieder praktizierten Handlungsmuster von Unterrichtskommunikation als Lehrkraft bewusst zu sein und dann mit Blick auf die Sprachförderung von SuS mit DaZ die Rolle des Sprachvorbilds ernst zu nehmen (Jeuk 2013: 119). Es gibt bislang wenig Forschung zur Unterrichtskommunikation mit dem Fokus auf die sprachliche Heterogenität der Klasse. Aus diesem Grund greifen wir in diesem Kapitel auch auf Methoden der Sprachheilpädagogik und Fremdsprachdidaktik zurück, sofern diese uns einsetzbar für den Regelunterricht in mehrsprachigen Klassen erscheinen. Bei der Darstellung der fachlichen Grundlagen setzen wir zwei Schwerpunkte: 1. Besonderheiten der deutschen Sprache (mit Fokus auf die gesprochene Sprache) und 2. Bildungssprache. Der Zweitspracherwerb ist in der Förderung des Sprechens und verstehenden Zuhörens eine zentrale Orientierungsgröße und wird im folgenden Abschnitt in Auszügen beschrieben.
Um im Unterricht den SuS ein sprachliches Vorbild zu sein, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu fördern, dem Erwerbsstand angemessene Aufgaben zu formulieren und Leistungen zu bewerten, gilt es, mindestens die Sprache, in der der Unterricht stattfindet, genauestens zu kennen. Daher möchten wir ausgewählte Besonderheiten des Deutschen hier kurz darstellen.
Phonologie
Während es sich beim stimmlosen [t] und dem stimmhaften [d] um verschiedene Phoneme handelt (z.B. <tanken> und <danken>), liegen bei [x] (wie in lachen) und [ç] (wie in sicher) Allophone desselben Phonems /χ/ vor, die je nach lautlicher Umgebung eingesetzt werden. Damit handelt es sich um ein seltenes Spezifikum, das für Fremdsprachenlerner und vermutlich auch für SuS mit Deutsch als später L2 eine Erwerbshürde darstellen kann. Während nach den vorderen Vokalen ein am vorderen Gaumen gebildetes [ç] produziert wird (sicher, echt, Bücher …), folgt auf die zentralen bzw. hinteren Vokale der am hinteren Gaumen gebildete Frikativ [x] (acht, kochen, Buch …). Gerade die Artikulation des [x] als Reibelaut, der durch eine Engstelle am Velum (hinterer Gaumen) produziert wird, stellt Truckenbrodt (2014: 46) als schwierig heraus. Die Beispiele zeigen, dass innerhalb eines Wortstamms das Phonem, in Abhängigkeit vom vorangehenden Vokal, unterschiedlich artikuliert wird (z.B. Buch vs. Bücher); diese Opposition kann auch zu Schwierigkeiten im Lesen führen (s. Kap. 3).
Das Deutsche verfügt über ein sehr umfangreiches Vokalinventar. In der Standardsprache des Arabischen treten dagegen nur die Vokale [a], [ɪ], [ʊ] sowie deren langen Versionen [ɑ:], [i:], [u:] auf (Zeldes/Kanbar 2014). SuS mit Arabisch als L1 erwerben demnach völlig neue Phoneme im Zweitspracherwerb, verfügen jedoch nicht mehr über die sprachenübergreifende Fähigkeit zur intuitiven Lautdifferenzierung, mit der Säuglinge ausgestattet sind (Kauschke 2012). (Weiterführend s. Hirschfeld/Reinke 2016.)
Morphologie
Das Deutsche ist eine sehr wortbildungsfreudige Sprache – ein Beispiel dafür sind die häufig auftretenden Komposita. Auch im Englischen sind zusammengesetzte Nomen wie springbreak möglich, während im Polnischen kaum Komposita gebildet werden. Ihre Länge im Deutschen ist teils beachtlich, so sind drei Wurzeln wie in Fahrradanhänger normal und mehr als drei Wurzeln zwar selten, aber durchaus möglich (z.B. Sprachstandserhebungsverfahren), und prinzipiell lässt sich das nahezu unendlich fortsetzen, wie die berühmte Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze zeigt. Bei der häufigsten Variante, den Determinativkomposita, gilt, dass das erste Element das zweite spezifiziert: So unterscheiden wir z.B. Fuß- und Handball. Wann ein Fugenelement eingefügt wird (und wenn ja, welches), ist lexikalisch zu erwerben. Das häufigste Fugenelement ist das [s], z.B. in Freundschaftsbändchen. Unklar ist, wieso das Hühnerei kein Huhnei ist, ist es doch von einem Huhn gelegt (Truckenbrodt 2014: 53).
Abb. 2: Deklination der attributiven Adjektive mit definitem Artikel, aus: Granzow-Emden 2014: 267
Die Konjugation der Verben ist im Deutschen kein leichtes Unterfangen, vergleicht man die Suffixe im Präsens (ich geh-e, du geh-st, er/sie/es geh-t etc.) z.B. mit dem Englischen, in dem die Regel he, she, it das <s> muss mit für die einzige Abweichung vom Infinitiv bereits ausreicht. Wesentlich komplexer als die Konjugation ist jedoch die Deklination im Deutschen, die wohl den Begriff ‚Stolperstein‘ verdient.
Im Unterschied zu vielen anderen Sprachen wird auch das Adjektiv an den Kasus des attribuierten Nomens angepasst (Abb. 2). Dabei ist zu beachten, dass sich dessen Flexion auch an der Umgebung orientiert: Während bei definiten Artikeln eine ‚schwache‘ Endung (-e bzw. -en) verwendet wird (Abb. 2), erfolgt bei indefiniten Artikeln eine deutlichere Markierung (z.B. ein dicker Hund).2 Hinzu kommt die Besonderheit, dass das Deutsche die drei Genera Maskulinum, Femininum und Neutrum mit je einem anderen Artikel kennzeichnet, während eine Reihe von Sprachen im Unterschied zum Deutschen keine Artikel verwenden (z.B. Russisch, Türkisch), für jedes Genus denselben Artikel (z.B. Englisch) oder nur über zwei verschiedene Artikel verfügen (z.B. Französisch, Spanisch) (Tab. 2).
Eine eindeutige Markierung der Kasus liegt nur im Maskulinum vor, während andererseits ein und dieselbe Form (z.B. der) völlig unterschiedliche Aufgaben übernimmt (z.B. der Katze Dativ/Genitiv Singular, setzt das Wissen voraus, dass Katze feminin ist) (s. auch Kap. 6).
Eine weitere Besonderheit des Deutschen sind trennbare Verben: So entsteht durch den vorangestellten Baustein ein aus laden ein neues Verb: einladen. Betonte vorangestellte Morpheme (Verbpartikeln) wie ein, an oder auf werden im V2- oder V1-Satz im Präsens abgetrennt und stehen im rechten Verbfeld (Konrad wischt die Tafel ab). Die Bedeutung von Verben mit und ohne Präverb unterscheidet sich in der Regel: Während abwischen und wischen je nach Kontext synonym verwendet werden können, ist das bei legen, ablegen und anlegen nicht möglich. Zudem unterscheiden sich bei diesen Verben nicht nur die Bedeutung(en), sondern auch die Zahl und Art der obligatorischen Ergänzungen. Hingegen werden unbetonte Präfixe wie be- in belegen und ver- in verkaufen im Unterschied zu betonten Verbpartikeln nicht abgetrennt (Er belegt das Brötchen) (Granzow-Emden 2014: 64).
Syntax
Kaum eine Sprache konstruiert ihre Sätze so wie das Deutsche. Die meisten Sprachen lassen sich einem der beiden Satzbaupläne SVO (Subjekt-Verb-Objekt, z.B. Englisch) oder SOV (Subjekt-Objekt-Verb, z.B. Türkisch) einordnen. Zwar ist die SOV-Struktur im Deutschen die Basisstruktur, dies wird jedoch in der hochfrequenten V2-Anordnung verschleiert.3 Im deutschen Hauptsatz ist nicht festgelegt, ob das Subjekt, das Objekt oder eine der weiteren Konstituenten vor dem Verb steht. Lediglich die Position des Verbs an zweiter Stelle (Verbzweitstellung) ist obligatorisch (LinguS 5 ‚Der einfache Satz‘; Duden 2016). Der Verbletztsatz in der letzen Zeile von Abb. 3 kann als Nebensatz fungieren, ist aber z.B. als Antwort auf die Frage „Meinst Du, Martina kommt?“ – „Wenn …“ auch als eigenständige Konstruktion denkbar.
Bildungssprache – Tor zur Bildung
Neben rein sprachsystematischen wie den oben dargestellten sind auch konzeptionelle Ebenen zu reflektieren: Mit Blick auf die vor- und außerschulischen sprachlichen Erfahrungen, die die SuS mitbringen, erfolgt die entscheidende Veränderung im Lernbereich ‚Sprechen und Zuhören‘ nicht auf der medialen, sondern auf der konzeptionellen Ebene. Die vorschulischen Erfahrungen finden (vorrangig) in Situationen statt, die von konzeptionell mündlichen Äußerungen (Koch/Oesterreicher 1994), häufig auch als Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS, Cummins 1979) bezeichnet, geprägt sind. Diese BICS werden von Kindern und Jugendlichen auch in der L2 verhältnismäßig schnell erworben. Aufgabe des Deutschunterrichts sowie des Fachunterrichts ist es, alle SuS ausgehend von ihren sprachlichen Fähigkeiten konzeptionell schriftlich, in ihrer Cognitive Academic Language Proficiency (CALP, ebd.) zu fördern. Dies impliziert die Notwendigkeit, Sprech- und Zuhöraufgaben auch danach zu analysieren, inwieweit sie eine konzeptionell mündliche oder konzeptionell schriftliche Kommunikation von den SuS fordern. Mit der Unterscheidung von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist keine Abwertung bestimmter Sprachgebrauchsformen verbunden: Konzeptionell mündliche Handlungen sind im gegebenen Kontext grundsätzlich funktional angemessen und es ist wenig hilfreich, pauschal und unabhängig von der Kommunikationssituation konzeptionell schriftliche Mittel einzufordern4. Ziel muss es vielmehr sein, dass die SuS über verschiedene Sprachgebrauchsformen verfügen, die je nach Adressat und Kontext reflektiert eingesetzt werden können. So ist die Verbstellung im folgenden Satz konzeptionell mündlich (inzwischen) akzeptiert, wird jedoch konzeptionell schriftlich (weiterhin) abgelehnt.
L: Warum bist du zu spät? S: Weil: ich hab noch auf Lorenz gewartet.
Lange wurden für die alltägliche Sprachverwendung (nicht nur) bildungsferner Menschen negativ konnotierte Begriffe wie „restringierter Code“ (Bernstein 1971) verwendet. Diese abwertende Haltung ist inzwischen einer Forschungsrichtung gewichen, die mit Wertschätzung Varietäten wie Jugendsprache (u.a. Neuland 2008) und Kiez-Deutsch (u.a. Wiese 2012) untersucht.
Gogolin führt mit Verweis auf die Schriftförmigkeit bestimmter Redemittel den Terminus Bildungssprache (zurückführend auf Habermas 1977) ein (Gogolin 2006: 5). Feilke (2012: 6) greift diesen Begriff auf und verortet ihn als Ausschnitt von Schriftsprache und Teil der Schulsprache. Schulsprache i.e.S. bezeichnet „auf das Lehren bezogene und für den Unterricht zu didaktischen Zwecken gemachte Sprach- und Sprachgebrauchsformen, aber auch Spracherwartungen“ (ebd.: 5). Ein Beispiel ist die spezifische Lesart der Aufforderung „Erörtere …“ im Kontext Schule. Sprachstrukturell gibt es einige Indikatoren, die als in besonderem Maße bildungssprachlich relevant gelten (Riebling 2013). Hierzu zählen beispielsweise das Passiv, unpersönliche Ausdrücke, der Konjunktiv, Konstruktionen mit lassen, Substantivierungen, Komposita und Attribute unterschiedlicher Komplexität (Gogolin/Duarte 2016, Geist et al. 2017b). Lexikalisch ist Bildungssprache von starker Präzision gekennzeichnet. Kann alltagssprachlich vieles kaputt gehen, wird bildungssprachlich erwartet, abhängig vom Nomen spezifische Termini zu verwenden: Papier reißt, Glas/Porzellan zerbricht, ein Luftballon platzt, eine Blume verwelkt, Schnee schmilzt, Metall korrodiert, Dynamit explodiert … Die spezifischen sprachlichen Erfordernisse bestimmter diskursiver Praktiken, beispielsweise beim Erklären und Argumentieren, wurden umfangreich untersucht (s. Beiträge in Grundler/Vogt 2006 und Vogt 2009 u.v.m.). Dass diese Praktiken nicht nur im Kontext Schule stattfinden, sondern auch in der Interaktion in Familien oder zwischen Peers, zeigen Morek (2012 zum Erklären) sowie Heller (2012 zum Argumentieren). In der Darstellung didaktischer Konzeptionen und Methoden (s. Kap. 2.4) greifen wir ihre Vorschläge zur unterrichtlichen Förderung diskursiver Praktiken auf.