Kitabı oku: «Die Illusion der Unbesiegbarkeit», sayfa 4
Besser nichts als Bullshit-Bingo
Wenn es so schwierig ist mit der Vision, wieso braucht man dann überhaupt eine? Unserer Erfahrung nach erfüllen Visionen durchaus einen wichtigen Zweck: Sie machen den Mitarbeitern (und nebenbei auch anderen Stakeholdern) ein Sinnangebot und laden dadurch zur Identifikation mit dem Unternehmen ein. Geld verdienen kann man auch anderswo, doch warum sollte man gerade bei dieser Firma arbeiten wollen? In einer Zeit, in der Arbeit für viele Menschen mehr ist als Broterwerb, spricht eine zündende Vision die Einladung aus, an einem verheißungsvollen Projekt teilzunehmen. Einer der Schlüssel für Motivation ist Identifikation. Identifikation wiederum ist eine emotionale Kategorie: Nicht zufällig misst das Gallup-Institut mit seinem bekannten »Engagement-Index« alljährlich die »emotionale Bindung« von Arbeitnehmern an ihren Arbeitgeber.13 Wer das Gefühl hat, an einer »großen Sache« teilzuhaben, legt sich anders ins Zeug als jemand, der sich nur als kleines Rädchen in einer großen Maschinerie sieht. Nichts anderes besagt ja auch die bekannte Geschichte von den drei Steinmetzen beim Bau des Kölner Doms. Auf die Frage nach ihrem Tun antwortet einer mürrisch: »Ich behaue einen Stein.« Ein zweiter sagt, »Ich arbeite, um meine Familie zu ernähren«, und der dritte schließlich erklärt mit leuchtenden Augen: »Ich baue eine Kathedrale!«
Neben Identifikation schafft eine Vision Zusammenhalt, sie stiftet eine Verbindung zwischen Mitarbeitern, womöglich über Kontinente hinweg. Manchmal schlägt sich das auch im Unternehmensjargon nieder, etwa wenn Mitarbeiter bei Google sich über Grenzen hinweg als »Googler« bezeichnen. Je größer ein Unternehmen ist, desto nützlicher ist eine visionäre Klammer, die im Idealfall auch dort ein Gemeinschaftsgefühl stiftet, wo man sich physisch kaum oder nie begegnet. Dass es gerade bei großen Organisationen ein Gefühl der Verbundenheit braucht, um gemeinsam erfolgreich zu sein, war auch Thema in einem unserer Interviews.
Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER, berichtete uns über seine Arbeit als CEO eines Klinikverbundes: »Ich wurde eingestellt, um aus einem Krankenhauskonzern, der aus lauter einzelnen Kliniken bestand, erstens eine integrierte Einheit zu bilden und zweitens ambulante Einheiten darum herum zu bauen. Das hätte man schaffen können – das schaffen andere ja auch. Trotzdem ist es nicht geglückt, weil man nie an der Identität des Unternehmens gearbeitet hat. Wenn das einzige Prinzip, nach dem ein Unternehmen funktioniert, lautet, ›Jeder für sich und Gott für alle‹, und wenn die Strukturen sogar von oben so angelegt sind, dass die Leute gegeneinander kämpfen müssen, dann verhindert man, dass eine Identität entsteht. Die ganze nach außen getragene Stärke als großer Klinikverbund war intern nicht hinterlegt – weder in der Kultur noch in der Organisation. Als es dann wirtschaftlich eng wurde, fehlte es an gemeinsamen innovativen Geschäftsideen. Die hätte man entwickeln können, doch sie zu entwickeln war nicht in der ›DNA‹ des Unternehmens angelegt.«
Interessant ist dieser Erfahrungsbericht aus zwei Gründen: Zum einen, weil der Hinweis auf die gemeinsame Identität illustriert, wofür eine verbindende Vision gut sein kann. Zum anderen, weil Dr. Straub auch deutlich macht, dass Worte allein nichts bewirken, wenn Führungsverhalten und Unternehmenskultur eher spalten als verbinden. Eine Vision als verhaltenslenkende Absichtserklärung ist sozusagen die offizielle Einladung an die Mitarbeiter. Ob sie angenommen wird, hängt davon ab, ob die tägliche Praxis im Unternehmen aus Sicht der Mitarbeiter der Einladung Glaubwürdigkeit verleiht: »Meinen die das ernst?«, »Passt das zu unseren Werten?« (vgl. Kapitel 4) und »Ist das realistisch?«. Makroebene (Vision) und Mikroebene (tägliches Handeln) – beides muss stimmen und zueinander passen.
Das bedeutet auch: Solange ein Unternehmen noch auf der Suche nach seiner Vision ist und solange ein solcher Leitgedanke sich nicht geradezu aufdrängt, ist schon viel damit gewonnen, kontinuierlich an der Mikroebene im Unternehmen zu arbeiten, um das Engagement der Mitarbeiter zu gewinnen. Hilfreich sind dabei die Leitfragen, anhand derer das Gallup-Institut die »emotionale Bindung« von Mitarbeitern an ein Unternehmen misst und die leider weit weniger häufig zitiert werden als die jährlichen ernüchternden Werte, wie viele Mitarbeiter Dienst nach Vorschrift machen. Wie viele der folgenden Fragen würden Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohl bejahen? Je größer die Zustimmung, desto höher das Engagement des Betreffenden. Ein genauer Blick auf die zwölf Gallup-Kriterien offenbart einen Mix von wertschätzendem Führungsverhalten, guter Arbeitsorganisation, Entwicklungsmöglichkeiten und einem fairen, ambitionierten Betriebsklima. Eigentlich kein Hexenwerk. Oder?
Ehe ein Unternehmen blutleere Formeln, austauschbare Floskeln oder Selbstverständlichkeiten zur Vision hochjazzt – kurz: ehe es Bullshit-Bingo betreibt –, verzichtet es besser ganz auf »visionäre« Statements. Das gilt auch für Start-ups. So fesselnd sich die Erfolgsgeschichten von Jeff Bezos, Mark Zuckerberg oder Larry Page und Sergey Brin lesen – sie alle starteten nicht als begnadete Visionäre mit einer genialen neuen Idee. »Der Amazon-Boss Jeff Bezos hat den Online-Handel nicht erfunden, die Ebay-Erfinder nicht die Online-Auktionen, die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin nicht die Suchmaschine, Mark Zuckerberg mit Facebook nicht das soziale Netzwerk und die AirBnB-Gründer nicht die private Zimmervermittlung im Netz«, stellt Thomas Range im Magazin Brand eins klar (2015, S. 115). Was die Erfolgsunternehmer eint, ist das Gespür für Kundenwünsche und der systematische, konsequente Ausbau des jeweiligen Geschäftsmodells. Wer länger als zehn Jahre Kunde beim einstigen Buchversender Amazon ist, hat die kontinuierliche Ausdehnung der Produktpalette und der digitalen Dienstleistungen live miterlebt.
Fragen, mit denen das Gallup-Institut die emotionale Bindung von Mitarbeitern misst:
1.Während des letzten Jahres hatte ich bei der Arbeit die Gelegenheit, Neues zu lernen und mich weiterzuentwickeln.
2.In den letzten sechs Monaten hat jemand in der Firma mit mir über meine Fortschritte gesprochen.
3.Ich habe einen sehr guten Freund / eine sehr gute Freundin innerhalb der Firma.
4.Meine Kollegen / Kolleginnen haben einen inneren Antrieb, Arbeit von hoher Qualität zu leisten.
5.Die Ziele und die Unternehmensphilosophie meiner Firma geben mir das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist.
6.Bei der Arbeit scheinen meine Meinungen zu zählen.
7.Bei der Arbeit gibt es jemanden, der mich in meiner Entwicklung fördert.
8.Mein Vorgesetzter / Meine Vorgesetzte oder eine andere Person bei der Arbeit interessiert sich für mich als Mensch.
9.Ich habe in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung oder Lob bekommen.
10.Ich habe bei der Arbeit jeden Tag die Gelegenheit, das zu tun, was ich am besten kann.
11.Ich habe die Materialien und die Arbeitsmittel, um meine Arbeit richtig zu machen.
12.Ich weiß, was bei der Arbeit von mir erwartet wird.
(QUELLE: GALLUP 2016, S. 10)
Fazit: Ein Unternehmen zu gründen und auf Erfolgskurs zu halten erfordert viele kleine Schritte. Der beste Zeitpunkt, ihm durch eine für Kunden wie Mitarbeiter attraktive Vision mehr Schubkraft zu verleihen, ist vermutlich nicht die Phase der ersten tastenden Steps, sondern dann, wenn das Unternehmen bereits Fahrt aufgenommen hat und sich die Indizien mehren, dass tatsächlich »mehr« drin ist, eben eine begeisternde, aber realistische Vision. Erst dann sind Visionen mehr als naiver Größenwahn, nämlich Fortschrittstreiber und Motivatoren.
Kleiner Stresstest für Ihre Vision
Wer ist eigentlich für die »Vision« eines Unternehmens zuständig? Bei den Incas war es eindeutig: Der vom Sonnengott inthronisierte Inca wies den Weg. In modernen Organisationen ist es nicht grundsätzlich anders: Nur, wenn ein Vision-Statement von der Top-Ebene vertreten und ins Unternehmen getragen wird, kann es überhaupt Kraft entfalten. Einer unserer Gesprächspartner, der verständlicherweise anonym bleiben will, berichtete uns davon, wie sich das Topmanagement eines Großkonzerns aus seiner gestalterischen Verantwortung stahl.
Interviewpartner: »Ich habe in meiner Tätigkeit in verschiedenen Aufsichtsräten in den letzten 15 Jahren festgestellt, dass früher das Mittagessen wichtiger war als die Diskussion über strategische Fragen, und dadurch, dass damals der CEO direkt Aufsichtsratsvorsitzender wurde, konnte man mit Änderungen nur sehr vorsichtig umgehen. Das hat sich seither deutlich verbessert. Durch das Vorstandssystem ist im Gegensatz zum amerikanischen CEO-System immer eine Mehrheit im Vorstand notwendig. Dieses Team muss Mut haben, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Da dürfen Einzelne nicht blockieren.«
Es ist das Topmanagement, das sich das »Big Hairy Audacious Goal« im Sinne Collins’ zutrauen muss und mit einem kompetenten Team an einer tragfähigen Vision arbeiten sollte. Doch von schriftlich fixierten, ambitionierten Fernzielen profitieren nicht nur Großunternehmen, sondern auch kleine Unternehmen und Mittelständler, Non-Profit-Organisationen, Vereine, Abteilungen, Teams und jeder von uns, wenn es um das geht, was man in seinem Leben erreichen will: Regelmäßig zu reflektieren, wohin die ganze Reise gehen soll, befördert den Erfolg entscheidend. Voraussetzung ist, dass die Vision hält, was ein solcher Gedanke verspricht. Das lässt sich testen:
Visions-Test
1.Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für eine (neue) Vision. (Ungünstige Zeitpunkte sind z. B. akute Krisensituationen oder frühe Gründungsphasen.) | |
2.Die Vision passt in einen Satz. Sie kommt ohne Erklärungen aus und ist für jeden im Unternehmen unmittelbar verständlich. | |
3.Die Vision ist unverwechselbar / einzigartig, sodass sie nicht auch für ein x-beliebiges anderes Unternehmen stehen könnte. | |
4.Die Vision ist emotional mitreißend. Sie weist über rein wirtschaftliche Zielmarken hinaus. | |
5.Die Vision passt zur Unternehmenskultur und zu den im Unternehmen gelebten Werten. | |
6.Die Vision löst die gewünschten Verhaltensweisen aus. | |
7.Die Vision spricht spontan jeden an. | |
8.Die Vision gibt eine Antwort auf die Frage: Wozu braucht die Welt dieses Unternehmen? | |
9.Die Vision stärkt das positive Image des Unternehmens (Außenwirkung). | |
10.Die Vision ist gleichermaßen ambitioniert und glaubwürdig (ein realistisches Fernziel). |
INCA-IMPULS
•Setzen Sie sich große Ziele,
•sprechen Sie die Herzen der Mitarbeiter an und vor allem:
•Behalten Sie im Auge, ob ihre Vision echten Fortschritt bringt oder Fehlentwicklungen provoziert.
»Smartness kann man nicht antrainieren, die müssen die Kandidaten mitbringen.«
DR. TIMM VOLMER, TOPMANAGER UND UNTERNEHMENSBERATER
2 Talent vor Seniorität – oder mit Mittelmaß in die Mittelmäßigkeit?
Ein Unternehmen steht und fällt mit fähigen Mitarbeitern. Hand aufs Herz: Wie viele Ihrer Teammitglieder würden Sie heute erneut einstellen? Wie viele sind allenfalls »okay«, und wie viele ertragen Sie nur noch, weil Sie es angeblich müssen? Ein unfähiger Mitarbeiter kann seinem Arbeitgeber Schaden zufügen, ein unehrlicher kann ihn ruinieren. Gemessen an diesem Risiko ist es erstaunlich, wie blauäugig selbst Schlüsselpositionen manchmal besetzt werden. Die Incas hätten sich über solche Fragen wahrscheinlich gewundert. Sie erzogen ihre Führungselite nach strengen Gesichtspunkten in Lehranstalten, »Yachaywasi« genannt. Auch Machu Picchu soll eine solche »Inca Business School« beherbergt haben.1 Die Söhne der Adelsschicht wurden hier ebenso ausgebildet wie Häuptlingssöhne der eroberten Regionen. Chronisten des 17. Jahrhunderts geben detaillierte Beschreibungen des Lehrplans, der neben Geschichte, Religion und Poesie unter anderem Arithmetik, Rechnungswesen, Statistik, Staatsführung, Rechtswesen und Medizintechnik umfasste, aber auch Waffen- und Kriegsführung sowie Zweikampf – ein Studium generale, das an moderne Kaderschmieden und Militärakademien denken lässt. Auch Disziplin, Selbstbeherrschung und das Aushalten von Schmerzen standen auf dem Stundenplan. Die Ausbildung endete mit einer einmonatigen Prüfung unter Aufsicht des herrschenden Inca. Wer sie bestand, hatte sich für Aufgaben in Verwaltung und Militär qualifiziert. Auch die Söhne des Inca-Fürsten mussten sich auf der Kaderschmiede den Verbleib im Inca-Adel erst durch überzeugende Leistungen verdienen, ebenso wie der potenzielle Thronfolger, der besonders strenge Prüfungen zu absolvieren hatte. »Auf Grund solcher Vorzüge verdiente er (…) zu herrschen, mehr denn auf Grund des Umstandes, dass er der Erstgeborene seines Vaters wäre«, schreibt Garcilaso de la Vega 1609.2 Der neue Herrscher wurde zwar aus dem Kreis der Inca-Söhne gewählt, doch diese Runde konnte recht groß sein, und es galt das Nachfolgerecht des »Fähigsten«. Bei der Nachfolgeregelung stand dem Inca ein Rat von Verwandten zur Seite, der zwanzig Personen umfasste. All das klingt ebenso zielführend wie gut durchdacht. Sichere Erbhöfe und unzureichend vorbereitete Personalentscheidungen stehen selten unter einem guten Stern. Und sich auf die »zweite Wahl« zu verlassen rächt sich häufig! Doch tun wir genau das heute nicht viel zu oft?
Wieder einmal sind die Incas geeignet, unsere Überzeugung, in der fortschrittlichsten aller Welten zu leben, wirkungsvoll zu erschüttern. Das 21. Jahrhundert ist manchmal erstaunlich archaisch. In Norddeutschland gilt bis heute die Höfeordnung, nach der ein landwirtschaftlicher Betrieb automatisch an den ältesten Sohn geht. Geschwister, erst recht Töchter, sind »weichende Erben«. In vielen eigentümergeführten Unternehmen geht es kaum anders zu. Über zwei Drittel der Inhaber größerer mittelständischer Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern wünschen sich eine familieninterne Nachfolge, ergab eine Befragung des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn. Gefragt sind auch hier, kaum anders als vor Jahrhunderten, vor allem die Söhne (57,6 Prozent).3 Von besonders harten Bewährungsproben ist hier nicht die Rede. Vor diesem Hintergrund waren die Incas erstaunlich weitsichtig.
Was passiert, wenn der Prinz automatisch König wird
»Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt«, spottete Otto von Bismarck einmal. Auch wenn der Fürst und Reichskanzler die Wirtschaft des 19. Jahrhunderts im Blick hatte, ist unstrittig: Bis heute tun sich zahlreiche eigentümergeführte Unternehmen schwer mit der rechtzeitigen Wahl eines geeigneten Nachfolgers. Und der »German Mittelstand«, um den uns das Ausland spätestens seit der Finanzkrise 2008 beneidet, ist überwiegend in Familienhand. Laut KfW-Mittelstandspanel 2014 planten bis 2017 580 000 mittelständische Unternehmer in Deutschland die Übergabe oder den Verkauf ihrer Firma. In diesen Unternehmen arbeiteten mindestens vier Millionen Beschäftigte. Wie viele dieser Unternehmer bereits einen Nachfolger gefunden hatten, war unbekannt. Eine Umfrage der KfW ergab allerdings, dass fast drei Viertel sämtlicher Mittelständler »überhaupt keine« oder »aktuell keine« konkreten Nachfolgeplanungen haben, ganz so, als gäbe es keine Verkehrsunfälle, Krankheiten oder andere Schicksalsschläge. Die Illusion der Unbesiegbarkeit ist mächtig, auch bei sonst nüchternen Rechnern und besonnenen Unternehmern.4
Während man bei Technik, Software und Marketing großen Wert auf Innovationen legt, regiert also bei einem anderen zentralen Erfolgsfaktor, der Führung, vielfach das Prinzip Hoffnung. Wie vor Hunderten von Jahren möchten Väter das Erbe bei ihren Söhnen in guten Händen wissen. Das ist menschlich verständlich, unternehmerisch jedoch riskant. Selten gelangen die möglichen Folgen dabei so ans Licht der Öffentlichkeit wie im folgenden prominenten Fall.
»Der beste Mann braucht Hilfe«
… so überschrieb die taz am 31. Oktober 2010 ein Porträt von Konstantin Neven DuMont, Erbe des viertgrößten Zeitungsverlages der Republik und damals noch im Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg.5
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts war das Unternehmen in Familienhand, für den regierenden Patriarchen Alfred Neven DuMont sollte das auch so bleiben und er berief Konstantin Neven DuMont in die oberste Führungsebene. Firmeninsider beurteilten die Qualitäten des Nachfolgers zu diesem Zeitpunkt skeptisch.
Die taz-Journalisten wunderten sich über einen Junior, der ihnen in die Feder diktierte: »Ich bin halt qualifiziert und habe letztendlich auch bewiesen, dass ich es eben mindestens so gut kann wie die ganzen Leute aus der Finanzbranche und die anderen Verlagsgeschäftsführer.«6
Unterschiedliche Ansichten zwischen Vater und Sohn über die Unternehmensstrategie, unter anderem auch zum Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung, wurden auch recht umfänglich öffentlich ausgetragen und befeuert durch ein Interview, das Konstantin Neven DuMont 2010 ausgerechnet der Bild gab – der schärfsten Konkurrenz des hauseigenen Boulevardblattes Express – ohne Abstimmung mit dem übrigen Vorstand, der das wohl kaum gutgeheißen hätte. Das hatte Folgen, denn Bild schlachtete die Affäre natürlich genüsslich aus. Im November 2010 enthob Alfred Neven DuMont seinen Sohn schließlich aller Funktionen im Konzern; Konstantin Neven DuMont übertrug seine Anteile Ende 2012 zurück an seine Eltern und wurde zwischen 2013 und 2017 ausbezahlt.
Konstantin Neven DuMont gründete seitdem ein Medienportal und bewarb sich 2013 um die Intendanz des WDR, 2015 kündigte er seine Kandidatur für das Amt des Kölner Oberbürgermeisters an7 und seit 2013 ist er auch als Immobilienentwickler unterwegs.8 Aus dem Vorgang hat die Familie gelernt. Die Familienvertreter Christian DuMont Schütte und Isabella Neven DuMont regieren inzwischen aus dem Aufsichtsrat, die operativen Geschäfte führt ein externer Manager.
Wer Fairness walten lassen will, sollte sich das Kopfschütteln verkneifen. Wenn es schon in »normalen« Familien regelmäßig kracht, um wie viel schwerer ist es da, wenn man sich mit Eltern, Geschwistern und entfernteren Verwandten auch noch über Unternehmensstrategie, Machtverteilung und große Vermögen einigen muss? Nicht ohne Grund beherrschen die Familien Albrecht (Aldi) oder Oetker ebenfalls die Schlagzeilen. »Wir müssen diese krasse emotionale Ebene mit Zahlen vereinen und am Ende gute wirtschaftliche Entscheidungen treffen«, beschrieb Carola Landhäuser, Miterbin der westfälischen Horstmann Group, einmal die Herausforderung.9 Wer sich einigermaßen souverän durch dieses emotionale Minenfeld bewegt, verdient Hochachtung. Auch dass Eltern die eigenen Kinder durch eine rosarote Brille sehen, ist nur menschlich. Dasselbe gilt für den allzu kritischen Blick mancher Patriarchen aus Angst vor Macht- und Statusverlust, der ein rechtzeitiges Abtreten verhindert, und den Glauben manches Gründers an die eigene Unfehlbarkeit, der dem Nachwuchs die Luft abschnüren kann. All das geschieht in einer Zeit, die immer schnelllebiger und globaler wird und erst recht nach kluger Führung verlangt. »Im 21. Jahrhundert wird es nicht so sehr darauf ankommen, Sachwerte zu vererben, sondern Gründermentalität«, betont der führende Experte für Familienunternehmen im deutschsprachigen Raum, Peter May.10
Auch die Incas lebten in einer Periode des Wandels und stetiger neuer Herausforderungen. Auch sie werden Machtstreben, Eifersucht, Neid und familiären Zwist gekannt haben. Umso mehr Bewunderung vermittelt ihr konsequentes System der »Führungskräfteentwicklung«, das persönlichen Vorlieben durch verbindliche Ausbildung sowie Prüfung und Abstimmung im größeren Rat Grenzen setzte. Und umso eindrücklicher ist die Tatsache, dass ihr Niedergang auch durch ein Abweichen von dieser Vorgehensweise und durch eine unklare Nachfolgeregelung begünstigt wurde (vgl. Kapitel 5 »Die wahren Gegner bekämpfen«). Doch nicht nur Familienunternehmen begehen Fehler bei der Besetzung von Führungspositionen. Die erfahrene Managerin Christine Wolff zählt »falsche Personalentscheidungen« zu den gravierendsten Irrtümern ihrer Laufbahn und nennt auch gleich die häufigsten Fallstricke.
Christine Wolff, Multi-Aufsichtsrätin und Unternehmensberaterin: »Fehler in Sachen Personal möchte ich aufsplitten in vier Unterfehler (die ich allesamt auch selbst gemacht habe):
− zu lange an durchschnittlichen oder schlechten Managern festhalten,
− falsche Leute befördern, weil man unter Zeitdruck ist oder weil man zu wenig auf die tatsächliche Qualifikation geachtet hat,
− dem lautesten Schreihals die Stelle geben, damit man ihn endlich los ist, oder
− jemanden nach oben befördern, weil man ihn aus dem Weg haben will.
Was ich daraus gelernt habe ist: Wenn es irgendwie geht, den Zeitdruck rausnehmen, weil man in der Panik einfach Fehler macht. Man muss strukturiert vorgehen, man muss sich Zeit nehmen, um die Qualifikationen der einzelnen Leute anzuschauen, man muss die Talente frühzeitig schulen (das vergisst man ja auch oft im Tagesgeschäft).«
Erkennen Sie sich selbst in einem dieser Fehler (oder mehreren) wieder? Auch wir sprechen uns davon nicht frei. Wir sind sicher: Würde eine personelle Fehlinvestition ebenso in Euro und Cent im Budget aufgelistet wie etwa Investitionen in Technik oder Marketing, sähe die Praxis der Stellenbesetzungen anders aus. Addieren Sie im Geiste einmal das zukünftige Jahresgehalt einer zu besetzenden Position zuzüglich Boni und Arbeitgeber-Sozialleistungen, Kosten für Stellenanzeigen, Headhunter oder Personalberater, Stundensätze und Arbeitszeit aller intern am Auswahlprozess Beteiligten, Kosten für die Einarbeitung durch Kollegen und Vorgesetzte, die wiederum Zeit verschlingt: Sie werden selbst auf der unteren Führungsebene auf deutlich sechsstellige Summen kommen. Und verdreifachen Sie das Ganze für den Fall einer Fehlbesetzung – nicht nur, weil der ganze Prozess dann wieder von vorn beginnen muss, sondern auch, weil eine Führungskraft am falschen Platz gravierenden finanziellen Schaden anrichten kann (Auftragsverluste, entgangener Umsatz, Eigenkündigungen frustrierter Mitarbeiter, die bekanntermaßen weniger Unternehmen als vielmehr ihre Chefs verlassen). Die Versuchung, über Einstellungen oder Beförderungen zwischen Tür und Angel zu entscheiden und dabei den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, nähme rapide ab, gäbe es ein echtes Erfolgscontrolling in Sachen Personal.
Ein erfolgreiches Unternehmen, das erfolgreich bleiben will, tut gut daran, Positionen mit größter Sorgfalt zu besetzen. Doch die Realität sieht anders aus. Einer von Andreas Krebs’ Lieblingsmomenten in seinen Vorträgen ist übrigens, wenn er seine Zuhörer zu einem Gedankenspiel auffordert: »Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihr Team neu einstellen. Wen würden Sie behalten?« Kaum ist die Frage ausgesprochen, steht den versammelten Managern förmlich die Rasterfahndung ins Gesicht geschrieben: »Die? Ja sofort. Und den? Auf keinen Fall!« Ein, zwei Minuten genügen, um die meisten Abteilungen gedanklich deutlich zu verkleinern. Einmal rief sogar jemand auf die Frage nach den zu haltenden Mitarbeitern ganz spontan: »Keinen!« Meist bleibt höchstens die Hälfte der Mitarbeiter übrig, der Rest würde nicht wieder eingestellt. Was heißt das genau? Wir arbeiten mit Leuten im Team, hinter denen wir nicht wirklich stehen. Dabei geht es nicht um gravierende Versäumnisse, die eine Entlassung zur Folge haben könnten, sondern um den ganz normalen Alltagsfrust, um den Seltenheitswert von Leistungen, die uns wirklich begeistern. Doch wer trägt dafür die Verantwortung? Die Mitarbeiter? Oder nicht auch die Auswählenden, die sich mitunter leichtfertig mit Mittelmaß umgeben haben und anschließend über den Mangel an Begeisterung und guten Ideen klagen?
Für den Fall, dass Sie gerade einwenden, dass Sie keine Wahl hatten, sondern Ihr Team »geerbt« haben: Wie lautet Ihr Plan, um die Mitarbeiter von »vielleicht« auf »ja« zu bringen? Und von »ja« auf »sehr gerne«?