Kitabı oku: «Lese-Rechtschreibstörungen (LRS)», sayfa 7

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5.2.4 Zusammenhänge zwischen dem Arbeitsgedächtnis und dem Schriftspracherwerb

Zahlreiche Forschungsergebnisse legen nahe, dass Kinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten bei Überprüfungen des Arbeitsgedächtnisses unterdurchschnittlich abschneiden.

persistierende AG-Probleme leseschwacher Kinder

Swanson et al. (2009) kommen im Rahmen einer Metaanalyse bspw. zu dem Ergebnis, dass dyslektische Kinder unabhängig vom Alter sowohl bei Überprüfungen des KZG als auch des AG etwa zwei Drittel einer Standardabweichung schlechter abschneiden als durchschnittlich lesende Kontrollkinder. Bei diesen Problemen handelt es sich offensichtlich um bis ins Jugendalter persistierende Beeinträchtigungen. So konnten Smith-Spark / Fisk (2007) noch bei 20-jährigen dyslektischen Universitätsstudenten im Vergleich zu denjenigen einer Kontrollgruppe Defizite im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis nachweisen.

beeinträchtigte Teilfunktionen bei LRS

Weniger eindeutig kann die Frage beantwortet werden, welche Funktionen des AG bei lese-rechtschreibschwachen Kindern besonders beeinträchtigt sind.

Für den deutschsprachigen Raum konnten Fischbach et al. (2014) zeigen, dass die deutlichsten Schwierigkeiten lese- und / oder rechtschreibschwacher Kinder zwischen dem 9. und dem 12. Lebensjahr im phonologischen Rehearsal offensichtlich waren. Hinsichtlich der Funktionstüchtigkeit des phonologischen Buffers, ließen sich Beeinträchtigungen bis zum Ende der Primarstufe, nicht aber darüber hinaus nachweisen. Tendenziell, aber nicht durchgängig konnten unterdurchschnittliche Leistungen im Bereich der ZE (Zahlen nachsprechen rückwärts) beobachtet werden.

enge Zusammenhänge zwischen ZE und Leseverständnis

Was den Zusammenhang zwischen schriftsprachlichen Teilkompetenzen und Teilfunktionen des Arbeitsgedächtnisses angeht, scheint die Kapazität der ZE vor allem mit dem Leseverständnis, die Funktionstüchtigkeit der phonologischen Schleife dagegen primär mit der Worterkennung bzw. der Rechtschreibung verknüpft zu sein (Swanson et al. 2009; Brandenburg et al. 2014).

So konnten Seigneuric et al. (2000) sowie Seigneuric / Ehrlich (2005) in einer Längsschnittuntersuchung einen kleinen, aber signifikanten Einfluss der Kapazität der ZE auf das Leseverständnis in der dritten und vierten Klasse, nicht aber in den ersten beiden Jahrgangsstufen nachweisen. Der Einfluss der Verarbeitungskapazität des AG scheint also mit zunehmendem Alter und damit einhergehender zunehmender Komplexität des Lesematerials sowie höheren Anforderungen an die kognitive Verarbeitung zuzunehmen.

Nevo / Breznitz (2011) konnten in einer Untersuchung mit Hebräisch sprechenden 6-jährigen Kindern zeigen, dass es insbesondere die komplexen Überprüfungen der ZE (z. B. Zahlen nachsprechen rückwärts) sind, die in Regressionsanalysen einen signifikanten Beitrag zur Varianzaufklärung des Leseverständnisses (17 %) und der Dekodierfähigkeit (6 %) liefern.

Nation et al. (1999) konnten in ihrer Untersuchung deutlich machen, dass Schüler mit spezifischen Problemen im Leseverständnis einer hinsichtlich der Dekodierfähigkeiten parallelisierten Kontrollgruppe bei Überprüfungen der Kapazität der Zentralen Exekutive in der sprachlichen, nicht aber in der visuellen Modalität signifikant unterlegen waren. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Swanson et al. (2006).

Arbeitsgedächtnis-Defizite bei beeinträchtigter Worterkennung

Um die Frage zu beantworten, welche Funktionen des Arbeitsgedächtnisses bei Kindern mit spezifischen Defiziten in der Worterkennung beeinträchtigt sind, verglich de Jong (1998) Kinder mit unterdurchschnittlicher Lesegeschwindigkeit mit einer Kontrollgruppe gleichaltriger durchschnittlich lesender Kinder hinsichtlich der Kapazität der phonologischen Schleife und des Arbeitsgedächtnisses. Dass die Gruppe leseschwacher Kinder bei allen Testungen der phonologischen Schleife und des Arbeitsgedächtnisses schlechter abschnitt als die Kontrollgruppe, interpretiert der Autor dahingehend, dass bei leseschwachen Kindern von einer umfassenden Beeinträchtigung in der Kapazität des phonologischen Arbeitsgedächt- nisses auszugehen ist.

De Jongs (1998) Studie reduzierte sich im Bereich der phonologischen Schleife auf die Erfassung des phonologischen Rehearsals. Mittlerweile liegen aber einige Forschungsergebnisse vor, die das Defizit leseschwacher Kinder in der phonologischen Schleife weiter präzisieren konnten. Schuchardt et al. (2006) bspw. replizierten in einer Untersuchung mit lese- und rechtschreibschwachen Drittklässlern die Defizite leseschwacher Kinder im Bereich der Zentralen Exekutive, identifizierten aber mit einer beeinträchtigten Funktionstüchtigkeit des phonologischen Buffers ein spezifisches Problem im Bereich der phonologischen Schleife. Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen Kibby et al. (2004). Eine differenzierte Untersuchung zum Zusammenhang zwischen dem Arbeitsgedächtnis und Schriftspracherwerbsstörungen liegt von Hasselhorn et al. (2010) vor. Auch sie konnten eine beeinträchtigte Funktionstüchtigkeit des phonologischen Buffers bei Kindern mit isolierten Lesestörungen belegen, während gleichzeitig keine Schwierigkeiten im Bereich des phonologischen Rehearsals offensichtlich wurden. Bei isolierten Rechtschreibstörungen dagegen konnte ein spezifisches Defizit im Bereich des phonologischen Rehearsals nachgewiesen werden.

Im Gegensatz dazu identifizierten Brandenburg et al. (2013, 2014) bei Drittklässlern mit isolierten Rechtschreibschwierigkeiten ein spezifisches Defizit im Bereich des phonologischen Buffers, während bei isolierten Lesestörungen primär die ZE des Arbeitsgedächtnisses beeinträchtigt war. Die divergierenden Ergebnisse hinsichtlich der isolierten Lesestörung lassen sich vermutlich dadurch erklären, dass die Diagnose „Lesestörung“ bei Hasselhorn et al. (2010) auf der Grundlage beeinträchtigter Worterkennung, bei Brandenburg et al. (2014) dagegen aufgrund von Defiziten im Leseverständnis gestellt wurde.

5.2.5 Erklärung des Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsgedächtnis und Schriftspracherwerb

Abschließend stellt sich die Frage, wie sich die im vorigen Abschnitt dargestellten Zusammenhänge theoretisch einordnen und erklären lassen.

Zusammenhänge mit dem Lesenlernen

Obwohl die im vorigen Abschnitt referierten Forschungsergebnisse v. a. einen Zusammenhang zwischen der ZE und dem Leseverständnis nahelegen, dürfte die Fähigkeit, Informationen im Arbeitsgedächtnis zu speichern und parallel zu verarbeiten bereits zu Beginn des Schriftspracherwerbs beim Erlernen der indirekten Strategie des phonologischen Rekodierens eine wesentliche Rolle spielen. Schriftsprachlich unvertraute Wörter werden erlesen, indem die einzelnen Grapheme auf der Grundlage der gelernten GPK-R in eine phonologische Form umkodiert werden. Um diese in Laute rekodierten Buchstaben zu einem Wort synthetisieren zu können, müssen die bereits verarbeiteten Buchstaben in phonologischer Form in der phonologischen Schleife des Arbeitsgedächtnisses zwischengespeichert werden, während die folgenden Buchstaben gleichzeitig rekodiert, also verarbeitet werden müssen (Pressler et al. 2014). Damit beansprucht dieser bei Leseanfängern noch langsam ablaufende Prozess der Rekodierung sowohl die Speicher- als auch die Verarbeitungsfunktion des Arbeitsgedächtnisses in hohem Ausmaß. Bei beeinträchtigter Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist der Prozess der phonologischen Rekodierung vor allem bei längeren Wörtern nur unter erschwerten Bedingungen möglich, da die ersten Laute evtl. nicht so lange in der phonologischen Schleife aufrecht erhalten werden können, bis die Kinder mit der Rekodierung der einzelnen Buchstaben am Ende des Wortes angelangt sind (de Jong 1998; Wagner / Torgesen 1987).

Zusammenhänge mit dem Leseverständnis

Mit Zunahme der sprachlichen und inhaltlichen Komplexität der Texte, mit denen Kinder konfrontiert werden, dürfte das Arbeitsgedächtnis trotz der zu diesem Zeitpunkt evtl. bereits automatisierten Worterkennung eine zunehmend bedeutendere Rolle spielen. Denn um sich auch von längeren Geschichten ein Gesamtbild konstruieren zu können, muss die Semantik bereits verarbeiteter Phrasen, Sätze oder Absätze vollständig im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden, während die folgenden Textabschnitte parallel gelesen (verarbeitet) werden. Wenn der Leser aufgrund einer beeinträchtigten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nicht in der Lage ist, die bereits verarbeiteten Einzelinformationen in der phonologischen Schleife aufrecht zu erhalten und zueinander in Beziehung zu setzen, ist ein Verstehen des gesamten Textes nur mehr eingeschränkt möglich (Fischbach et al. 2014).

Einfluss auf die phonologische Bewusstheit

Ein potenzieller indirekter Einfluss des Arbeitsgedächtnisses auf den Schriftspracherwerb ist auch über die Funktion der phonologischen Bewusstheit anzunehmen. Um typische Aufgaben zur Überprüfung der phonologischen Bewusstheit bewältigen zu können, müssen phonologische Informationen im phonologischen Buffer präzise eingescannt und mittels Rehearsalprozesse gespeichert werden, während gleichzeitig die geforderte Operation (Identifizieren, Synthetisieren, Analysieren, Manipulieren) durchgeführt werden muss (Verarbeitungsaspekt). Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses könnte demnach als Einschränkung im Bereich der Informationsverarbeitung interpretiert werden, die die Ausbildung einer angemessenen phonologischen Bewusstheit erschwert und damit indirekt in Zusammenhang mit Schriftspracherwerbsproblemen steht. Entsprechend lassen sich die Ergebnisse von Pressler et al. (2014) interpretieren. Sie zeigten, dass die vor Schuleintritt erfasste Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zum einen in hohem Maße mit der phonologischen Bewusstheit korreliert und zum anderen einen hohen Beitrag zur Varianzaufklärung der Lese-Rechtschreibkompetenz liefert, ein Einfluss aber weder auf die Lesegeschwindigkeit noch auf die Rechtschreibung nachweisbar war, sobald die phonologische Bewusstheit als weiterer Prädiktor berücksichtigt wurde (vgl. auch Jansen et al. 2010).

Vergleichbar können die Ergebnisse von Oakhill / Kyle (2000) eingeordnet werden. Sie konnten zum einen signifikante Korrelationen zwischen einer Anlautkategorisierungs- bzw. Phonemelisionsaufgabe und einer Überprüfung des Arbeitsgedächtnisses ermitteln (r = .61 bzw. .34, p < .01). Zum anderen konnten 37 % der Leistungsunterschiede bei einer Aufgabe, bei der Wörter hinsichtlich ihres Anlauts miteinander verglichen werden sollten, durch die Variable Arbeitsgedächtnis erklärt werden (vgl. auch Mierbach 2011).

5.2.6 Möglichkeiten der Förderung

Arbeitsgedächtnis als invariantes Persönlichkeitsmerkmal

Die Effizienz und Kapazität des Arbeitsgedächtnisses wird üblicherweise als stabiles, weitgehend invariantes Persönlichkeitsmerkmal betrachtet, das zwar reifungsbedingten Veränderungen unterworfen ist, sich aber systematischen Fördermaßnahmen gegenüber als weitgehend resistent erweist.


„WM [= Working Memory, A. M.] ability is highly heritable and unlike many other cognitive assessments, appears to be relatively impervious to substantial differences in environmental experience and opportunity” (Holmes et al. 2009, 9).

Trainingsstudien

Erst seit dem Jahr 2005 wurden vereinzelt Studien publiziert, die zum einen von positiven Effekten eines Gedächtnistrainings berichten und zum anderen Auswirkungen auf schriftsprachliche Kompetenzen belegen konnten.

Holmes et al. (2009) versuchten, die Kapazität der unterschiedlichen Funktionen des Arbeitsgedächtnisses von Kindern zu verbessern, die in einer Voruntersuchung bei zwei Überprüfungen des phonologischen Arbeitsgedächtnisses unterdurchschnittlich abschnitten. Im Rahmen des zwanzigtägigen Trainings wurden die Kinder mit Aufgaben konfrontiert, die sowohl die Speicher- als auch die Verarbeitungskapazität des Arbeitsgedächtnisses etwas über dem ermittelten Ausgangsniveau beanspruchten (Wiederholung einer Reihe visuell-räumlicher Informationen, Zahlen nachsprechen, Zahlen nachsprechen rückwärts etc.), wobei der Schwierigkeitsgrad kontinuierlich an die aktuelle Leistungsfähigkeit adaptiert wurde. Als Kontrollbedingung fungierte eine hinsichtlich der Gedächtnisleistungen parallelisierte Gruppe, die das gleiche Training ohne Adaption auf niedrigem Schwierigkeitsniveau durchführte.

Nach Abschluss der Intervention erzielten die Kinder der Trainingsgruppe bei Transferaufgaben zur Überprüfung des Arbeits-, nicht aber des sprachlichen Kurzzeitgedächtnisses, signifikant größere Leistungsfortschritte als die Kontrollgruppe. Offensichtlich ist es durch das Training also gelungen, die Verarbeitungsstrategien, nicht aber die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses selbst zu beeinflussen.

Trotz der positiven Auswirkungen des Trainings, konnte in keiner der beiden Gruppen ein Transfer auf schriftsprachliche Fähigkeiten nachgewiesen werden.

Dahlin (2011) führte mit 42 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ein Gedächtnistraining in Anlehnung an Klingberg et al. (2005) durch, dessen Auswirkungen auf die schriftsprachlichen Kompetenzen ermittelt werden sollten. Im Gegensatz zur Studie von Holmes verbesserten sich die Leistungen der Kinder in dieser Studie v. a. in den beiden Speichersystemen des visuell-räumlichen Skizzenblocks und der phonologischen Schleife. Zudem wirkte sich die Förderung auch positiv auf das Leseverständnis (nicht aber auf die Worterkennung) aus. Allerdings macht die Autorin nicht deutlich, ob es sich bei der Trainingsgruppe um lese-rechtschreibschwache Kinder bzw. um Kinder mit Defiziten im Arbeitsgedächtnis handelt. Die Ergebnisse der Studie werden zudem ausschließlich als Rohwerte angegeben, sodass ein tatsächlicher Leistungsfortschritt objektiv nicht beurteilt werden kann. Zum anderen finden sich weder bei Dahlin (2011) noch bei Klingberg et al (2005) präzise Angaben über die Inhalte und den Ablauf des Trainings. Da das Training ursprünglich für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen konzipiert wurde, ist anzunehmen, dass es sich primär um eine Art Konzentrationstraining handelte, währenddessen die Kinder lernten, vorhandene Kapazitäten effizienter zu nutzen.

So gehen auch Holmes et al. (2009) davon aus, dass die Verbesserungen bei den Gedächtnisleistungen in ihrer Studie aus der Anwendung kompensatorischer Strategien resultieren, mit deren Hilfe die potenziell vorhandenen Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses besser genutzt werden können.

Zusammenfassung

Trotz der im Detail divergierenden Ergebnisse kann festgehalten werden, dass die Fähigkeit, Informationen zu speichern und gleichzeitig zu verarbeiten primär mit Schwierigkeiten im Leseverständnis verknüpft ist (Nation et al. 1999; Seigneuric / Ehrlich 2005; Swanson et al. 2006, 2009; Nevo / Breznitz 2011; Brandenburg et al. 2014), während bei spezifischen Lese-Rechtschreibschwierigkeiten v. a. die phonologische Schleife beeinträchtigt zu sein scheint (Kibby et al. 2004; Schuchardt 2006; Hasselhorn et al. 2010; Brandenburg et al. 2014). Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses (Speicherung und Verarbeitung von Informationen) spielt eine wesentliche Rolle bei allen Formen des schulischen Lernens. Lehrkräfte in der schulischen Praxis müssen Defizite im Arbeitsgedächtnis berücksichtigen, auch wenn die Frage nach der Trainierbarkeit der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses und eventuellen Auswirkungen auf schriftsprachliche Kompetenzen vom Stand der Forschung im Jahr 2015 eher negativ beantwortet werden muss.

Trotz empirisch nachgewiesener Defizite lese-rechtschreibschwacher Kinder sind die Korrelationen zwischen den unterschiedlichen Komponenten des Arbeitsgedächtnisses und Lese-Rechtschreibüberprüfungen im Vergleich zur phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit eher als gering einzuschätzen (Landerl et al. 2013; Moll et al. 2014; Mayer 2014). Insbesondere wenn in Regressionsanalysen gleichzeitig die phonologische Bewusstheit berücksichtigt wird, kann das Arbeitsgedächtnis kaum mehr einen signifikanten Beitrag zur Varianzaufklärung im schriftsprachlichen Bereich liefern (Schatschneider / Torgesen 2004).


Literaturempfehlung zur Berücksichtigung eingeschränkter Gedächtniskapazitäten im schulischen Alltag

Boudreau, D., Costanza-Smith, A. (2011): Assessment and Treatment of Working Memory Deficits in School-Age Children: The Role of the Speech-Language Pathologist. Language, Speech and Hearing Services in Schools 42 (2), 152–166

5.3 Die phonologische Bewusstheit

5.3.1 Begriffsklärung

Das Konstrukt, das im Zusammenhang mit der Frage nach möglichen (meta-)sprachlich-kognitiven Ursachen der Lese-Rechtschreibstörung seit den 1980er Jahren in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte, ist die phonologische Bewusstheit.

vielschichtiges komplexes Konstrukt

Dabei handelt es sich um ein vielschichtiges Konstrukt, dessen Teilkomponenten unterschiedlich komplexe Anforderungen an die metasprachlich-kognitiven Fähigkeiten und das Arbeitsgedächtnis stellen und die einem Entwicklungsprozess unterworfen sind, sodass zahlreiche unterschiedliche Definitionen und Modellvorstellungen entstanden sind „und die Einordnung der phonologischen Bewusstheit und ihre Abgrenzung von anderen kognitiven Fähigkeiten bis heute nicht endgültig geklärt ist“ (Schnitzler 2008, 5).

Bewusstheit für sublexikalische sprachliche Einheiten

Zunächst ist zu betonen, dass sich die phonologische Bewusstheit ausschließlich auf die Identifizierung und Verarbeitung sprachlichen Materials bezieht und nicht mit der auditiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit gleichgesetzt werden kann. Im Vergleich zur auditiven Wahrnehmung ist die phonologische Bewusstheit höher anzusiedeln. Sie baut auf Komponenten der zentralen Sprachverarbeitung auf und kann sich nur auf der Grundlage exakter phonologischer Repräsentationen im phonologischen Inputlexikon ausbilden.

weiter und enger gefasstes Verständnis

Ein weit gefasstes Verständnis des Begriffs der phonologischen Bewusstheit ordnet auch implizites Wissen über den Aufbau von Wörtern aus kleineren Einheiten und den spielerischen Umgang mit Sprache diesem Konstrukt zu. Dazu gehören bspw. die Fähigkeiten, Reime zu erkennen und zu produzieren, sowie Wörter in Klatschspielen in Silben zu segmentieren. Einer engeren Vorstellung des Begriffs folgend, wird dagegen ausschließlich die explizite Anwendung metsprachlich phonologischen Wissens unter das Konstrukt der phonologischen Bewusstheit subsummiert, wenn Kinder bspw. einzelne Laute zu Wörtern synthetisieren oder eine Silbe durch eine andere ersetzen sollen.

Definitionen

Schneider et al. (1994, 177) definieren als Vertreter eines weit gefassten Verständnisses die phonologische Bewusstheit bspw. als „Einsicht in die verschiedenen Einheiten der gesprochenen Sprache und die Differenzierung charakteristischer Elemente wie Wörter, Silben und Phoneme.“ An anderer Stelle wird das Konstrukt begrifflich gefasst als „Einsicht in die Phonologie der Sprache, wenn sie [die Kinder] beispielsweise Wörter in Sätzen oder Silben in Wörtern unterscheiden können, Reime erkennen und auch produzieren und schließlich auch dazu in der Lage sind, Einzellaute (Phoneme) in Wörtern zu identifizieren“ (Schneider 2000, 98). Vergleichbar ordnen Forster / Martschinke (2001, 7) die Fähigkeit, „sprachliche Einheiten wie Wörter, Silben und Phoneme identifizieren und unterscheiden zu können“ der phonologischen Bewusstheit zu (alle Hervorhebungen: A. M.).

phonologische Bewusstheit im weiteren und engeren Sinn

Im deutschsprachigen Raum hat die Differenzierung zwischen einer phonologischen Bewusstheit im weiteren und im engeren Sinn in Anlehnung an Skowronek / Marx (1989) eine mittlerweile recht lange Tradition und bildet die theoretische Grundlage zahlreicher diagnostischer Verfahren (Jansen et al. 2002; Martschinke et al. 2001; Hartmann / Dolenc 2005) und Förderprogramme (Forster / Martschinke 2001; Hartmann / Dolenc 2005; Küspert / Schneider 2008). Dabei meint die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne „Aufgaben, die das Umgehen mit den lautlichen Aspekten der Sprechsprache verlangen. Dies sind in der Regel Aufgaben, deren Anforderungen an Sprachleistungen anknüpfen, die in konkreten, dem Kind bekannten Spielhandlungen enthalten sind, wie z. B. Reimen, Silbenklatschen“ (Skowronek / Marx 1989, 42). Demgegenüber werden unter einer phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne, „Sprachleistungen [verstanden], bei denen explizit mit lautlichen Strukturen operiert werden muss, die weder semantische noch sprechrhythmische Bezüge aufweisen“ (Skowronek / Marx 1989, 42).

Überprüfungen der phonologischen Bewusstheit

Der Komplexität des Konstrukts entsprechend wird die phonologische Bewusstheit in Diagnoseverfahren und experimentellen Studien durch eine Bandbreite unterschiedlicher Aufgabenstellungen erfasst. Sie reicht vom Vollenden von Kinderreimen über das Klatschen eines Wortes in Sprechsilben, der Bestimmung des Anfangs- oder Endlautes eines Wortes, dem Synthetisieren von Einzellauten zu Wörtern bzw. dem Segmentieren von Wörtern in Einzellaute bis zum Rückwärtssprechen eines vorgesprochenen Pseudowortes. Eine exemplarische Übersicht über Aufgabenstellungen zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit aus diagnostischen Verfahren und empirischen Studien findet sich in Tab. 6.

kognitive Struktur der Aufgabenstellungen

Trotz der unterschiedlichen Komplexität der konkreten Aufgabe, lassen sich McBride-Chang (1995) zufolge folgende vier Gemeinsamkeiten identifizieren:

Die üblicherweise verbal, z. T. auch mit Bildunterstützung präsentierten Stimuli müssen akustisch korrekt wahrgenommen werden (= Funktion der Sprachwahrnehmung, insbesondere der phonematischen Differenzierungsfähigkeit).

Die Informationen müssen exakt, vollständig und reihenfolgenrichtig im phonologischen Buffer des Arbeitsgedächtnisses eingespeichert und durch Rehearsal-Prozesse aufrechterhalten werden können (= Funktion der phonologischen Schleife).

An dem in der phonologischen Schleife gespeicherten Sprachmaterial muss die geforderte Operation durchgeführt werden (Vergleichen, Identifizieren, Synthetisieren etc. = Funktion metasprachlich-kognitiver Fähigkeiten).

Die Antwort muss üblicherweise verbal wiedergegeben werden. Vereinzelt reicht auch das Zeigen oder Ankreuzen eines Bildes.

5.3.2 Das zweidimensionale Modell der phonologischen Bewusstheit

Problematik der ausschließlichen Berücksichtigung der sublexikalischen Einheit

Die Problematik der Differenzierung des Konstrukts in eine phonologische Bewusstheit im weiteren und engeren Sinn nach Skowronek / Marx (1989) besteht darin, dass die in diesem Modell ausschließlich berücksichtigte Größe der sprachlichen Einheit (Reime und Silben vs. Laute) sowohl einen ansteigenden Schwierigkeitsgrad als auch eine Entwicklungsabfolge impliziert. Konkret sollte sich die Bewusstheit für größere sprachliche Einheiten also früher entwickeln als diejenige für die Lautstruktur der Sprache, Aufgaben auf Reim- und Silbenebene sollten von Kindern früher gelöst werden können als Aufgaben auf Phonemebene. Küspert (1998, 70) geht bspw. davon aus „dass umso höhere kognitive Anforderungen gestellt werden, je kleiner die zu erkennenden sprachlichen Einheiten sind“. Ein Beispiel aus dem „Rundgang durch Hörhausen“ (Martschinke et al. 2001 vgl. Kap. 6.2.3) kann jedoch verdeutlichen, dass die alleinige Berücksichtigung der Größe der sprachlichen Einheit für die Darstellung einer Entwicklungsabfolge und daraus resultierend für die Konzeption von Förderprogrammen nicht zwingend zielführend ist. So müssen beim Subtest 2 „Silben zusammensetzen“ die Namen zweier Tiere zunächst in Sprechsilben segmentiert werden, bevor die erste Silbe des einen Tieres und die zweite Silbe des anderen Tieres zu einem neuen Tier zusammengesetzt werden (Beispiel: Ziege + Kamel → Ziemel + Kage). Diese Aufgabe, die der Silbenebene und damit der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn zugeordnet wird, konnte nur von 30 % einer repräsentativen Stichprobe von Schulanfängern korrekt gelöst werden, während immerhin 50 %–60 % derselben Stichprobe Lautkategorisierungsaufgaben (phonologische Bewusstheit im engeren Sinn) erfolgreich bewältigen konnten.

Tab. 6: Aufgabenstellungen zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit


Reimerkennung 1„Du hörst jetzt zwei Wörter; wenn sich die beiden Wörter gleich anhören, dann sagst du ‚ja’, wenn sie sich nicht gleich anhören sagst du ‚nein’. Baum – Traum.“ (Jansen et al. 2002)
Reimerkennung 2„Ich sage Dir jetzt vier Wörter. Ein Wort passt nicht dazu, weil es ganz anders klingt als die anderen drei Wörter. Du sollst das Wort herausfinden, das nicht zu den anderen passt. Feld, Geld, Pudel, Welt.“
Reimproduktion„Welches Wort reimt sich auf ‚Tisch’?“
Silbensynthese„Kannst Du den Roboter verstehen? Welches Wort meint er wohl: Re-gen-bo-gen?“
Silbensegmentation„Klatsche das Wort ‚Tennisball’. Aus wie vielen Silben besteht das Wort?“
Silbenelision„Welches Wort hörst Du, wenn Du bei ‚Handschuh’ ‚Hand’ (bei ‚Regenbogen’ das ‚re’) weglässt?“
Laut-zu-Wort Aufgabe„Hörst Du ein [i] in Igel?“ (Jansen et al. 2002)
Anlautkategorisierung„Jetzt sollst Du herausfinden, welche Wörter am Anfang gleich klingen. Ameise, Igel, Aal.“
Auslautkategorisierunganalog
Anlautidentifizierung (analog Inlaut- und Auslautidentifizierung)„Jetzt sollst Du herausfinden, mit welchem Laut die Wörter anfangen. Ich zeige Dir ein Bild und sage das Wort. Du überlegst Dir, wie das Wort beginnt.“ (Hartmann / Dolenc 2005)
Phonemsegmentation„Welche Laute hörst Du in ‚Ball’?“ „Wie viele Laute hörst du in ‚Sofa’?“
Phonemsynthese„Der Roboter spricht heute besonders komisch. Welches Wort meint er wohl: [z]-[o]-[f]-[a]?“
Phonemelision„Welches Wort ergibt sich, wenn du bei ‚reisen’ das [R] weglässt?“
Phoneme hinzufügen„Welches Wort hörst du, wenn du bei ‚Eis’ ein [R] dazu tust?“
Lautersetzung„Ersetze bei ‚Ananas’ alle [a] durch ein [i].“
PhonemreversionDie Segmente eines vorgegebenen Wortes in umgekehrter Reihenfolge anordnen („Tisch“ wird „Schit“).

zweidimensionales Modell der phonologischen Bewusstheit

Eine Weiterentwicklung der Differenzierung nach Skowronek / Marx (1989), welche diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen versucht, ist das zweidimensionale Modell der phonologischen Bewusstheit von Schnitzler (2008) in Anlehnung an Stackhouse / Wells (1997). Mithilfe dieses Modells (Abb. 12) – in der Abbildung wurde für jede der zwölf Ebenen eine prototypische Aufgabenstellung eingefügt – gelingt es wesentlich besser, das komplexe Konstrukt der phonologischen Bewusstheit konkret operationalisiert zu beschreiben.

Es macht zunächst deutlich, dass unter der phonologischen Bewusstheit ausschließlich der Umgang mit sublexikalischen Einheiten (Silben, Onset, Rime, Phonem) subsumiert wird. Die Fähigkeit, die formale Korrektheit und Vollständigkeit von Sätzen zu beurteilen oder zu bestimmen, aus wie vielen Wörtern ein Satz besteht, wird nicht dem Konstrukt der phonologischen Bewusstheit zugeordnet und sollte deshalb weder in Diagnoseverfahren noch in Trainingsprogrammen berücksichtigt werden.

Onset und Rime

Die Ebene von Onset und Rime stellt eine, insbesondere für die Förderung, wichtige Stufe zwischen der Silben- und Phonemebene dar (Kap. 8.2). Onset und Rime teilen die sublexikalische Einheit der Silbe in zwei Konstituenten. Unter dem Onset versteht man in der Linguistik den linken konsonantischen Silbenrand, also die Konsonanten vor dem vokalischen Element der Silbe (= Silbengipfel oder Nukleus). Der Silbengipfel und der rechte konsonantische Silbenrand (= Coda) bilden zusammen den Rime (= Silbenreim, Abb. 13).


Abb. 12: Das zweidimensionale Modell der phonologischen Bewusstheit (entnommen aus Schnitzler 2008, 28, ergänzt von A. M.)


Abb. 13: Die Ebene von Onset und Rime

Was den Schwierigkeitsgrad angeht, ist eine Abfolge von der Silbenbewusstheit über die Onset-Rime-Bewusstheit zur Phonembewusstheit anzunehmen, vorausgesetzt, dass auf diesen drei Ebenen die gleiche Operation verlangt wird (z. B. das Identifizieren einer Silbe, eines Onsets oder eines Lauts). Die Silbe als die größte sublexikalische Einheit eines Wortes lässt sich im Sprechfluss gut identifizieren und ermöglicht einen ersten Zugang zu den formalen Aspekten der Lautsprache. Die subsilbische Einheit von Onset und Rime als Zwischenstufe ist schwieriger zu verarbeiten als die Silbe, aber einfacher als die einzelnen Phoneme eines Wortes (Treiman 1992). Für das Erkennen von Phonemen ist ein hohes Abstraktionsvermögen notwendig, da sie im Sprechfluss nicht rhythmisch markiert sowie koartikulatorischen Einflüssen unterworfen sind (Schnitzler 2008). Soweit entspricht das zweidimensionale Modell in der Dimension der phonologischen Einheit der Differenzierung nach Skowronek / Marx (1989).

implizite und explizite Bewusstheit

Die zentrale Weiterentwicklung liegt in der Berücksichtigung der Komplexität der Aufgabenstellung (Identifizieren, Segmentieren, Synthetisieren, Manipulieren), die auf allen drei sublexikalischen Ebenen gefordert werden können. Um die Komplexität der Aufgabenstellungen zu unterscheiden, ordnet das Modell mögliche Operationen auf einer Skala zwischen impliziter und expliziter Bewusstheit. Die implizite Bewusstheit meint die prinzipielle Verfügbarkeit des Wissens um verschiedene phonologische Einheiten und die spontane Anwendung dieses Wissens (z. B. wenn Silben in Wörtern identifiziert oder hinsichtlich ihres Anlautes verglichen werden sollen), während die explizite Bewusstheit die bewusste Anwendung dieses Wissens meint (z. B. wenn Laute in einem Wort durch andere ersetzt werden sollen = manipulieren).

Zwischen impliziter und expliziter Bewusstheit eingeordnet ist die Synthese- und die Segmentationsfähigkeit. Das Synthetisieren phonologischer Einheiten wird üblicherweise erfasst, indem einzelne sublexikalische Einheiten (Silben, Onset und Rime, Phoneme) koartikulatorisch verschmolzen werden müssen. Beim Segmentieren werden dem Kind vollständige Wörter vorgesprochen, die es in kleinere Segmente (z. B. Silben oder Laute) zerlegen soll.

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