Kitabı oku: «Der letzte Schluck Corona», sayfa 3

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Jürgen Ehlers, geboren 1948, ist Geowissenschaftler und Krimiautor. Für seine Story Weltspartag in Hamminkeln wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Sein Spezialgebiet sind historische Kriminalromane und Thriller. Zuletzt erschien Im Haus der Lügen (BoD 2020), der abschließende dritte Band der Holland-Trilogie. Die Geschichte spielt in den Jahren 1944-45.

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Kai Engelke
Das überaus harte und qualvolle Leben des Harm Schnieders


»Jeder möchte in seinem Leben einen Mord begehen,

sozusagen, um etwas von der Last abzuwälzen, von all diesen Morden in seinem Kopf, die er nie zu begehen wagte.« - Edgar Allan Poe

I

ch gucke mir morgens in der Zeitung immer als erstes die Todesanzeigen an. Und wenn ich nicht dabei bin, dann stehe ich auf.« Mit solchen und ähnlichen Sprüchen erfreute Harm Schnieders gern seine Mitmenschen. Ihm ging’s halt am besten, wenn’s ihm schlecht ging, denn dann – davon war er überzeugt – hatte er oft die originellsten Einfälle.

Düstere Visionen allerdings. Makabre Vorstellungen. Schwarze Rachegedanken, gegen wen oder was auch immer. Passend zur tristen Eintönigkeit seiner emsländischen Heimat, wo nicht

Getreidefelder und Wiesen mit darauf weidenden Tieren und idyllische Dörfer die Landschaft prägten, sondern die Mega-ställe der Agrarindustrie mit ihren weit mehr als dreißig Millionen Hähnchenmastplätzen, giftigen Biogasanlagen, überdüngten Feldern, überdimensionierten Schlachtbetrieben, in denen Menschen und Tiere litten und dem ewigen Gestank aus unzähligen Stallbauten.

Nun war es ja nicht so, dass er sich Unwohlsein und miese Laune herbeisehnte, nein, ganz im Gegenteil. Harm Schnieders hielt sich für einen grundsätzlich fröhlichen, positiv denkenden Menschen.

Aber – er war ja auch verheiratet! Mit Ilona Schnieders, geborene Sörensen.

Seit mehr als fünfzig Jahren.

Was sollte er machen?

Ilona liebte Heimatfilme, vor allem solche, die in Cornwall spielten oder in den österreichischen Bergen. Hauptsache weit weg vom Emsland.

Bunte Landschaftsbilder. Schnulzige Liebesgeschichten. Schlichte Handlungen. Einfache Dialoge. Und zum Schluss wird immer alles gut.

»Da kriege ich Pippi in die Augen«, schwärmte sie.

»Pfui Teufel, was für eine eklige Vorstellung!«, schnauzte Harm Schnieders. »Urin in den Augen! Ist doch widerlich!«

Wie hasste er solche TV-Schmonzetten!

»Sei doch nicht immer gleich so grantig, Harm«, blaffte Ilona. »Du könntest auch ruhig mal wieder etwas Nettes zu mir sagen, so wie früher.«

Schnieders wandte sich seiner Frau zu und tat, als ob er an ihr schnüffelte.

»Oh, ein neues Parfüm? Was ist das denn? Eau de cadavre?«

»Harm Schnieders, du bist ein unausstehliches Ekel«, schimpfte Ilona.

»Freundlich sein kann doch jeder, das ist keine Kunst«, grummelte der alte Mann, »aber eine gepflegte Miesepeterei, die will wirklich gelernt sein.«


Harm Schnieders wollte gerne ein Programmkino besuchen, um sich den Film Der Baader-Meinhof-Komplex über die Geschichte der RAF anzusehen. Er wunderte sich, dass Ilona mitkam. An der Kinokasse verlangte sie mit schriller Stimme: »Zweimal Baader-Meinhof, ganz hinten bitte!«

Das hörte sich an wie Zweimal Pommes Schranke und eine Currywurst, bitte!, dachte Harm Schnieders. Und er trat einen Schritt zur Seite, so als gehöre er nicht zu dieser Person.

Gern hätte er nach der Vorstellung noch mit jemandem über den geschichtsverfälschenden Aktionismus dieses Films gesprochen, doch Ilona faselte ununterbrochen über das gute Aussehen und die verführerische Männlichkeit des Andreas-Baader-Darstellers Moritz Bleibtreu.

Ein tiefergehendes Gespräch, wenn möglich vielleicht sogar bei einem fachgerecht gezapften Glas Pils – keine Chance! Und mit Ilona schon mal gar nicht!

Auf dem Nachhauseweg wies Ilona auf ein Straßenschild mit der Aufschrift Vorsicht! Langsam fahren! Es könnte auch dein Kind sein!

»Ist es nicht schön, wie die Menschen sich um ihre Kinder sorgen?«, säuselte Ilona.

»Im Prinzip schon«, entgegnete Harm Schnieders, »aber nicht mit so einem total bescheuerten Satz! Es könnte auch mein Kind sein! Was soll das denn heißen? Fremde Kinder zu überfahren ist also nicht so schlimm, oder was?«

»Apropos überfahren: Die Beerdigung von Frau Schlüter ist am Dienstag«, sagte Ilona.

»Nein, erst am Freitag«, korrigierte Harm Schnieders.

»Ach, geht’s ihr schon wieder besser?«, freute sich Ilona.

»Hoffnungslos, es ist absolut hoffnungslos«, murmelte Harm Schnieders in seinen fusseligen Bart hinein.

Wenn sie doch wenigstens ab und zu mal die Klappe halten würde!

Und während er sie so von der Seite betrachtete, kam ihm in den Sinn, dass die Mopeds im Emsland wirklich besser frisiert sind als die Frauen.

Ab Mitte September gab’s bei den Discountern schon wieder Stollen und Spekulatius zu kaufen. Das war der gnadenlose Beginn des alljährlichen Weihnachtsterrors. Dann dauerte es auch nicht mehr lange, bis die Weihnachtmarkthändler wieder die Glühweinbecher mit ihrer dürren Plörre füllten und völlig überteuert an Horden hysterisch grölender Gestalten mit roten Weihnachtsmützen auf dem Kopf verhökerten. Und, wie sollte es auch anders sein: Ilona liebte natürlich Weihnachtsmärkte. Papenburg, Bourtange, Leer, Osnabrück, Oldenburg, Münster – sie schleppte ihren schwer leidenden Ehemann auf jeden erreichbaren Weihnachtsmarkt der Umgebung, wobei sie immer wieder ihr Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass Schnieders absolut kein Verständnis für althergebrachte Traditionen aufzubringen in der Lage sei.

Tja! Bier hatte sehr viel mit Traditionen zu tun! Aber doch nicht dieser blöde Glühwein! Lächerlich!

Fragte man Harm Schnieders, was er von Weihnachtsmärkten hielt, dann sagte er voller Verachtung in der Stimme: »Weihnachtsmärkte sind das Wacken des Spießbürgers!«

Schon seit längerer Zeit hatte Harm Schnieders seinen Bierkonsum unaufhaltsam gesteigert.

»Wenn ich bis zehn Uhr nicht im Bett bin, gehe ich nach Hause«, brummte er manchmal vor sich hin und hockte dann doch bis spät in die Nacht hinein an irgendwelchen Theken herum, um ein Bier nach dem anderen in sich hinein zu schütten, was er für wesentlich sinnvoller erachtete, als teures Geld für die klebrige Brühe auf den Weihnachtsmärkten auszu-

geben.

Es ist einfach unwahr, wenn die Leute behaupten, Alkohol und Vergnügen seien untrennbar miteinander verbunden.

Ich kann sehr gut Bier trinken, ohne fröhlich zu sein, dachte er.

Man muss auch einmal über seinen Schatten trinken können. Aber eine Lösung seiner Probleme war das sicher nicht, das wusste er sehr genau.

Immer radikalere Szenarien spielten sich in seiner Vorstellung ab. Aber auch Zweifel quälten ihn. Immerhin hatte Ilona ihm im Laufe der Jahre so manchen Ärger und etliche Unannehmlichkeiten vom Hals gehalten.

Wie sagt das alte Sprichwort doch so treffend? Die emsländische Hausfrau ersetzt den Hofhund. Aber er würde es auch allein schaffen, davon war er fest überzeugt.

Und gibt es nicht ein Recht auf Unversöhnlichkeit?

Als Kind vom Lande kannte Harm Schnieders sich recht gut mit Pflanzen aus: Goldregen, Oleander, Rizinussamen, Engelstrompeten, Fingerhut, Cerbera odollam … ach, es war nicht leicht!

Wenn alles klappt, höre ich mit dem Saufen auf, das verspreche ich, dachte Schnieders. Ganz bestimmt! Höchstens mal ein Bier. Oder vielleicht zwei … mal gucken!

Am 28. Februar 2020 erschien in der Ems-Zeitung folgende Traueranzeige:

»Nach einem überaus harten und qualvollen Leben hat Herr Harm Schnieders, geboren am 25. April 1948, am 23. Februar 2020 nun endlich seine wohlverdiente Ruhe gefunden.

Die Beerdigung seiner Frau Ilona Schnieders, geborene Sörensen, findet am 4. März 2020 auf dem Papenburger Hauptfriedhof statt.«

Kai Engelke, geboren 1946 in Göttingen, aufgewachsen in Hildesheim, Berlin und Wyk auf Föhr, Redaktionsvolontariat bei dpa in Frankfurt am Main, Pädagogikstudium in Hildesheim, Grundschullehrer im Emsland.

Zahlreiche Einzelveröffentlichungen und Herausgaben, drei CDs, Beiträge in ca. 200 Anthologien, mehrere Literaturpreise, künstlerischer Leiter der Landesliteraturtage Niedersachsen/Bremen 2001 und 2007, künstlerischer Leiter der Meppener (Krimi-Literaturtage 2009-2019), Moderator der internationalen Liederfeste auf Burg Waldeck (2011-2018), Juror für verschiedene Musikpreise, unter anderem Preis der deutschen Schallplattenkritik, Mitarbeiter der Zeitschrift ›Folker‹ seit 2008; lebt als Schriftsteller und Musikjournalist in Surwold/Emsland.

Reinhold Friedl
Das Brauhaus an der Oste


L

ange habe ich gezögert, diese Geschichte zu erzählen. Sie ist nämlich so ungewöhnlich, dass sie mir kaum jemand glauben wird. Ich würde sie ja selbst nicht glauben, wenn ich sie nicht hautnah miterlebt hätte. Gut, ganz hautnah war es nicht in allen Details. Einige Einzelheiten stammen aus Berichten durchaus ehrbarer Zeitgenossen, da ich nicht an allen Stellen gleichzeitig sein konnte. Hinzufügen muss ich allerdings, dass diese Zeitgenossen zwar glaubhaft waren, ihnen aber am Biertisch gelegentlich etwas verschwamm. Im Kern ist diese Geschichte wahr. Das meiste ist historisch belegt und kann in Archiven nachgeforscht werden. Aber nicht alles.

An dieser Stelle überlege ich noch einmal, ob ich diese Ereignisse wirklich mitteilen soll. Auf die Gefahr hin, mich unglaubwürdig zu machen. Ich will den Grund des Gedankens nicht verschweigen. Bisher habe ich diese Geschehnisse nur einer Bekannten erzählt, die nebenberuflich für einen Geheimdienst arbeitet und zur Tarnung als Model und Lehrerin. Genannt ›The Spy‹. Sie hat viel Ungewöhnliches erlebt und in tiefe Abgründe geblickt. Diese sagte mir nun am Ende der Geschichte:

»Ich glaube dir kein Wort. Ich nenne dich ab jetzt nur noch Baron von Münchhausen.«

Das gab mir natürlich zu denken, obwohl mir der neue Name gefiel. Auch gibt es Quellen, dass der Baron zwar ein begnadeter Fabulierer, aber kein Lügner oder Blender war. Er selbst hat nur bei Punsch im Freundeskreis seine Erlebnisse erzählt, aber nichts aufgeschrieben. Das taten mit Ausschmückungen die Literaten und Übersetzer Rudolf E. Raspe und Gottfried A. Bürger.

Nun aber doch zur Geschichte, der Wahrheit zuliebe.

Eines Abends ging ich durch Neuhaus an der Oste, dem idyllischen Nebenfluss der Niederelbe. Wie so oft war ich auf dem Weg zum Café Neuhaus, das inzwischen aus gutem Grund zum Brauhaus Neuhaus umbenannt worden war. Dazu aber später mehr.

Auf dem Weg kam mir eine seltsame bunte Truppe entgegen. Ein französischer Offizier in napoleonischer Leutnantsuniform, eine hübsche Marketenderin sowie zwei Wachtmeister mit Pickelhauben, die einen armen Wicht in gestreifter Sträflingskleidung abführten.

Das kann ja gar nicht sein, werden Sie jetzt vielleicht denken. Da hat sich der Erzähler wohl im Jahrhundert geirrt oder tischt hier doch eine Lügengeschichte auf. Dann warten Sie mal ab.

Ich betrat damals das Café Neuhaus, den gastronomischen und gesellschaftlichen Mittelpunkt des Fleckens Neuhaus. Hier trafen sich bunt gemischt Männlein und Weiblein, alle aus dem Ort und der Umgebung; Landwirte, Handwerker, Sportler, Intellektuelle, Jäger, Fischer, Künstler und Lebenskünstler. Hinter der Theke der sympathische Kultwirt Olaf, gelernter Destillateurmeister, Chef im Ring sowie der Schnaps- und Likörfabrik, die sich seit 1795 in Familienbesitz befindet. Seit einiger Zeit war neben der Weinhandlung auch eine Brauerei hinzugekommen, in der exklusiv das süffige Cronemeyer hell und dunkel gebraut und ohne Unterbrechung gezapft wurde.

Eine junge attraktive Marketenderin winkte mich an den Ecktisch, an dem eine bunte Truppe saß. Logbuchoffizier Uwe erläuterte mir auf meinen fragenden Blick:

»Wir sind die historische ›Bruderschaft der Neuhäuser Lumpenhunde‹. Zur Erinnerung an die Befreiung von der Franzosenherrschaft unter Napoleon 1813 machen wir viele Veranstaltungen. Ein Höhepunkt ist die nachgestellt Schlacht zwischen französischen Truppen und der ›Kings German Legion‹ unter englischer Flagge in Originalkostümen mit viel Pulverdampf.

In den schweren Zeiten der durch Napoleon Bonaparte verhängten Kontinentalsperre darbte die Bevölkerung unserer Küstenstriche durch das totale Erliegen des internationalen Handels und gerade in der Elbe-Oste Region durch den Etappen-Status der französischen Armee.

In der damals als reiche Kornkammer bekannten Region ließ der große Feldherr seine neuen Truppen einkleiden, ausrüsten und mit Proviant den Brennpunkten Hamburg und Russland zuführen. Im Austausch kamen Verwundete und Abgekämpfte zurück und wurden hier wieder aufgepäppelt.

Die männlichen Nachkommen der hiesigen Bevölkerung wurden ausgehoben und unter französischer Fahne in den Krieg geschickt. Wer von den Söhnen fliehen konnte, trat in die unter englischer Flagge geführte ›Kings German Legion‹ ein und gegen Napoleon an. Wenn die Flucht allerdings festgestellt wurde, unterlagen Eltern und Verwandte drakonischen Sanktionen, die bis zum Enteignen oder Abbrennen der Hofstatt führten.

Die britischen Korvetten, die im Schutze der Dunkelheit die Flüchtlinge auf Elbe und Weser aufnahmen, lieferten aber auch jede Menge an Konterbande, das von den verschiedenen lokalen ›Bruderschaften der Lumpenhunde‹ an Land geschmuggelt wurde, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Also ein sehr ehrenwertes, aber auch gefährliches Unterfangen.

Daher machen wir viele Kostümführungen und Schmugglertouren, die sehr beliebt sind. Prost.«

Ich gebe zu, das war ein etwas tiefes Eintauchen in die Historie, aber ich hielt es für notwendig, damit Sie nicht gleich die Glaubwürdigkeit der Geschichte in Zweifel ziehen. Nun aber zurück zu dem Abend, als ich aufs Neue die ›Lumpenhunde‹ in Neuhaus auf meinem Weg zum Brauhaus traf. Sie machten eine Schmugglertour zur Probe und somit ohne Gäste. Ich durfte mich anschließen.

In der Dunkelheit erreichten wir den Neuhäuser Hafen an der Oste. Neben dem Bootshaus sahen wir zwei Gestalten am Boden liegen. Wir gingen zunächst davon aus, dass zwei Personen zu viel des köstlichen und süffigen Cronemeyer zu sich genommen hätten, vielleicht auch noch ein oder zwei von Olafs schmackhaften Likören dazu. Diese Meinung änderten wir sehr schnell.

Leutnant Pierre und Logbuchoffizier Uwe hielten ihre Taschenlampen auf die beiden menschlichen Körper. Die Marketenderin schrie auf:

»Furchtbar. Das sind der Mexikaner und der Chinese. Die in letzter Zeit immer im Brauhaus auftauchten.«

»Da werden die in Zukunft bestimmt nicht mehr auftauchen«, bemerkte der Logbuchoffizier trocken.

Jetzt konnte auch ich es sehen. Beide lagen recht dicht neben einander. Fast Kopf an Kopf, Füße und Körper jeweils in die andere Richtung. Auch wenn ich kein Rechtsmediziner bin, konnte ich die eingeschlagenen Schädel ausmachen. Fast sah es so aus, als hätten sie sich gegenseitig und gleichzeitig mit einem harten Gegenstand auf den Kopf geschlagen. Und zwar mit aller Kraft, mit Wumms. Da muss eine ordentliche Wut dahinter gesteckt haben, dachte ich mir. Aber dann mussten doch die harten Gegenstände in der Nähe sein. Tote schaffen die ja nicht mehr selbst weg.

»Ich habe was gefunden«, meldete die Marketenderin. »Zwei blutige Bierflaschen. Beide noch voll. Sind auf eine Plane gefallen, sonst wären sie bestimmt zerbrochen.« Sie hielt die Taschenlampe drauf. »Eine hellere mit Corona Extra auf dem Etikett und eine grünliche, da steht Tsingtao Beer drauf.«

Die Polizei wurde vom Logbuchoffizier per Handy informiert und traf bald ein.

Seltsamerweise wurde in der Lokalpresse nur sehr spärlich über den Fall berichtet. Sah nach einer sehr knappen Pressemitteilung der Polizeidirektion aus. Zwei Männer wären in berauschtem Zustand im Neuhäuser Hafen tragischerweise ums Leben gekommen. Es werde ermittelt. Mehr konnte auch die Lokalpresse auf Nachfrage aus ermittlungstaktischen Gründen nicht erfahren. Und dann kam auch nichts mehr. Gerüchte besagten, dass sich höhere Sicherheitsbehörden eingeschaltet und den Fall an sich gezogen hätten.

Einige Tage später saß ich im Brauhaus an der Theke. Barney kam aus den hinteren Räumen und setzte sich zu mir. Er war das Faktotum oder besser gesagt, der Mann für alles im Brauhaus. Er nahm auch privat Fußballwetten an. Und im Winter Wetten darauf, ob es weiße oder grüne Weihnachten gibt. Barney konnte alles, naja, fast alles, und er wusste viel.

»Moin Barney. Sag mal, du bist doch hier als Facility Manager gut informiert.«

»Klar. Auf den Titel kannst du gleich einen ausgeben.«

»Okay, dann sag ich der schönen Servicekraft Bescheid. Ein Cronemeyer für Barney.«

»Was willst du wissen?«

»Was weißt du über den Mexikaner und den Chinesen?«

»Oho, das kann teuer werden. Und nur, wenn du nichts weitersagst.«

»Ich sag nichts weiter. Schreibe höchstens später was.«

»Dann krieg ich Tantiemen.«

»Wie wär’s mit Freibier bis zum Abwinken?«

»Geht klar. Also, der Mexikaner war gar kein Mexikaner. Das war Karl Meyer aus Neuhaus. Ist vor fünfzehn Jahren nach Mexiko ausgewandert und nannte sich jetzt Fernando Mayor. Ob der da drüben wirklich den Namen geändert hat, weiß ich nicht.«

»Und?«

»Naja, er behauptete, dass er irgendwas Leitendes bei der Brauerei Grupo Modelo wäre, die Corona Extra und Corona Cervesa herstellt. Das meistverkaufte Bier in Mexiko, das auch in 180 Länder exportiert wird. Wie er sagte.«

»Du weißt noch mehr.« Und lauter über den Tresen: »Noch ein Cronemeyer für Barney.«

»Meyer oder Mayor wollte das Brauhaus kaufen oder eine Mehrheitsbeteiligung daran. Hab ich aufgeschnappt.«

»Nun wird’s interessant. Wieso sollte solch ein Brauerei-Riese das kleine Brauhaus kaufen wollen?«

»Bestell noch zwei Bier und lass uns vor die Tür gehen. Das kann lebensgefährlich für mich werden.«

»Umso besser und spannender.«

Wir nahmen beide einen Schluck auf dem Hof und zündeten uns eine an. Barney flüsterte nun fast.

»Nach zu viel Cronemeyer sagte er an der Theke, dass er Verbindungen zu El Chapo habe. Das heißt: der Kurze. Ich darauf: Kurze haben wir hier selber. Prost, weg damit.«

»Jetzt spinnst du. Du meinst nicht wirklich Joaquin Archivaldo Guzmán Loera, genannt El Chapo, Chef des berüchtigten mexikanischen Sinaloa Kartells, der Milliarden angehäuft hat?«

»Doch, daher die Lebensgefahr. Er sitzt zwar im Knast, ist aber schon zweimal aus Hochsicherheitsgefängnissen ausgebrochen.«

»Und was hat das mit dem Brauhaus hier zu tun?«

»El Chapo soll sich laut Meyer/Mayor am Corona-Konzern beteiligt haben, um in andere Geschäfte einzusteigen und Drogengeld zu waschen. Seine Geliebte ist eine Schönheitskönigin, die ständig Angst vor Krankheiten hat. Ihr Guru und Wahrsager hat ihr eingetrichtert, dass es überall Corona-Viren gibt und er sicher ist, dass bald mal ein besonders gefährliches kommt und eine weltweite Seuche auslöst. Dann wird kaum noch jemand Corona Bier kaufen und man sollte es anders nennen.«

»Cronemeyer«, schmunzelte ich. »Dann wird das Brauhaus ein Weltkonzern. Ich glaube, du hast sie nicht alle oder Meyer/Mayor«.

»Und warum ist der tot? Und da gibt es noch was, aber das kann ich mir auch schenken, wenn du mir eh nicht glaubst.«

»Spucks aus, mach die Geschichte rund.«

»Ist hinfällig, da Meyer/Mayor tot ist. Aber El Chapo soll wieder einen Ausbruch planen und dann für eine Zwischenzeit in ein Versteck gehen, wo ihn niemand vermutet.«

»Bestimmt in Neuhaus an der Oste. Das ist ja das Naheliegendste für El Chapo. Und da kommt niemand drauf. Und kriegt hier keiner mit?«

»Wie auch? Und jeder der 1.114 Einwohner vom Kind bis zum Greis soll 30.000 Euro Schweigegeld bekommen. Allerdings verbunden mit dem Hinweis, wer nicht die Klappe hält, wird mit dem Gesicht nach unten in der Oste Richtung Elbmündung und Nordsee treiben.«

»Da wünschen sich dann wohl viele die Herrschaft Napoleons zurück.«

»Glaub ich nicht«, grinste Barney. »Napoleon hat ja keine 30.000 Euro pro Kopf gezahlt. Stell dir das mal für eine Familie mit drei Kindern und Großeltern vor«, lachte Barney. »Ein Vermögen. Da kennst du die Neuhäuser schlecht. Die würden selbst jeden in der Oste versenken, der El Chapo verraten will, bevor sie die Kohle zurückzahlen müssen.«

»Nun gut, ich habe da leise Zweifel. Andererseits stellen sich manche unglaublichen Geschichten als wahr heraus. Und was ist mit dem Chinesen?«

»Da musst du Klaus Richter fragen, sitzt drüben am Tisch. Der hat häufiger mit ihm geredet. Er sprach zwar gut Deutsch, aber Klaus war Fregattenkapitän bei der Marine und einige Jahre Militärattaché bei der Deutschen Botschaft in Peking.«

Mit Klaus Richter musste man nicht lange um den heißen Brei herumreden und er kam nach meiner Frage gleich zur Sache.

»Liu hat mir erzählt, dass er für die Tsingtao Brauerei arbeitet. Wahrscheinlich noch für andere Dienste, was er aber nicht erzählt hat. Er wollte das Brauhaus kaufen.«

»Oh Gott, nicht schon wieder«, entfuhr es mir.

»Was meinst du damit?«

»Gar nichts. Vergiss es. Wieso das Brauhaus? Erzähl weiter.«

»Ende des 19. Jahrhunderts, so um 1897/98, gelüstete es die deutschen Militärs und den Kaiser nach einem Hafen im Reich der Mitte, das sie wirtschaftlich durchdringen wollten, ein etwas vornehmerer Name für Ausplündern. Dabei kamen sie in die Küstenregion Kiautschou in der chinesischen Provinz Shandong am Gelben Meer. Nun wurden zu der Zeit zwei deutsche Missionare in China ermordet. Die Deutschen schickten als Antwort Kriegsschiffe.

Dabei kümmerte Kaiser Wilhelm II. kaum das Schicksal der toten Missionare, sondern die günstige Gelegenheit, die Chinesen zu erpressen. So ließ er vernehmen: ›Endlich haben uns die Chinesen den schon so lang ersehnten Grund und Zwischenfall geliefert.‹ Und mit seiner bekannten Aufschneiderei: ›Hunderttausende Chinesen werden erzittern, wenn sie die eiserne Faust des Deutschen Reiches schwer in ihrem Nacken fühlen werden.‹

»Und was hat das nun mit dem Brauhaus zu tun?«

»Komm ich gleich drauf. Ich kürz das mal ab. Am 14. November 1897 setzten zwei deutsche Kriegsschiffe 700 Marinesoldaten bei der kleinen Ortschaft Tsingtao in Kiautschou ab. Wenig später nötigten deutsche Diplomaten dem chinesischen Kaiser einen Vertrag auf. Für 99 Jahre ›verpachtete‹ das chinesische Kaiserreich den Deutschen ein über 500 Quadratkilometer großes Gebiet, einschließlich Bergbau- und Eisenbahnkonzessionen.

Die Deutschen propagierten, daraus eine Musterkolonie zu machen, was einige unter Ausblendung des Kolonialismus heute noch so sehen. Die Chinesen sahen das verständlicherweise anders.

Und in der sogenannten deutschen Musterkolonie wurde natürlich auch eine Brauerei gebaut, wo nach deutschem Reinheitsgebot gebraut wurde. Unter dem Namen ›Germania‹ nahm sie 1903 ihren Betrieb auf und in München erhielt das Bier 1906 sogar einen Preis.

Obwohl die Chinesen die deutsche Kolonialherrschaft strikt ablehnten, erfreute sich das Bier bald großer Beliebtheit. Heute wird das Bier von Chinesen gebraut und ist ein Verkaufsschlager. Tsingtao ist mittlerweile die größte Brauerei in der Volksrepublik China und wird in alle Kontinente exportiert.«

»Okay, schön und gut. Verstehe aber immer noch nicht, was das mit dieser Region und Olafs Cronemeyer Brauerei zu tun hat?«

»Ist auch nicht einfach zu verstehen. Die alten Kolonialgebäude in Tsingtao erfreuen sich noch heute großer Beliebtheit, es werden sogar Gebäude in deutschem Stil nachgebaut. Und Liu hatte Olaf sogar vorgeschlagen, dass Brauhaus für einen anständigen Preis Stein für Stein abzutragen und in Tsingtao wieder aufzubauen. Hat er aber abgelehnt.

Und in Cuxhaven gibt es noch heute das Gebäude der Kiautschou-Kaserne, in der damals die Matrosen-Artillerie-Abteilung Kiautschou untergebracht war. Lange Jahre war die Gorch-Fock-Schule drin, jetzt steht das Gebäude aber leer und soll von einem Chinesen gekauft worden sein.«

»Oh, spannend. Und was will der damit machen?«

»Das weiß keiner. Aber ich hab ein Handy-Gespräch von Liu mitbekommen, als er noch nicht wusste, dass ich seine Sprache verstehe. Es ging um das Projekt der Neuen Seidenstraße. Sie ist der Kern der chinesischen Außenpolitik, ein wirtschafts- und geopolitisches Megaprojekt. China will ein neues Handelsnetzwerk zwischen Asien, Afrika und Europa schaffen und verspricht den Ländern Investitionen und Entwicklung, meist finanziert von chinesischen Staatsbanken. Gleichzeitig möchte China seinen globalen Einfluss ausbauen und die internationale Ordnung stärker auf sich zuschneiden.

Dazu soll auch eine Eisenbahnlinie von China über Russland nach Duisburg und Hamburg führen. Und China will sich insbesondere in Häfen einkaufen. Da wäre ein Ausbau der Strecke von Hamburg nach Cuxhaven ein Klacks. Und die führt über Neuhaus.«

»Wahnsinn, wenn das stimmt. Dann geht’s um Milliarden.«

»Kommt noch besser. Wenn ich Liu am Telefon richtig verstanden habe, soll die Deutsche Fährstraße von Bremervörde nach Kiel an die Neue Seidenstraße angeschlossen werden. Er erwähnte da Kontakte zum ehemaligen Vizepräsidenten des Weltschwebefährenverbandes in Osten und zur AG Osteland.«

»Oh, Hammer. Wer weiß, was da noch aus den Tiefen der Oste ans Licht kommt. Interessante Spur. Die Leute sollte man scharf im Auge behalten. Hast du zufällig mal Liu mit Meyer/Mayor über diese halbseidenen Ostefreunde sprechen hören?«

»Nein. Aber ich habe sie mal im Biergarten draußen heftig streiten gehört. Gingen sich fast an die Gurgel. Als ob sie total unter Druck standen.«

»Gut möglich. Jeder auf seine Weise und von anderen Auftraggebern. Danke, Klaus. Bis demnächst.«

Damit ist die Geschichte zu Ende, wie ich sie der anfangs erwähnten nebenberuflichen Agentin erzählt habe, die mir kein Wort glaubte und mich Baron von Münchhausen nannte. Ich kann es Ihnen nicht verdenken, wenn Sie es genau so sehen. Allerdings sollte ich hinzufügen:

Als ich kürzlich wieder ins Brauhaus Neuhaus kam, saß der ehemalige Vizepräsident des Weltschwebefährenverbandes mit einem anderen Chinesen zusammen am Biertisch. Dieser überreichte ihm ein seidenes Tuch und anschließend begutachteten beide ausgiebig eine Landkarte. Barney verschwand mit einem kurz gewachsenen Gast im Nebenraum und die heiteren Neuhäuser Gäste steckten auffällig viele große Scheine in die Schlitze des grünen Sparclub-Kastens an der Wand.

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