Kitabı oku: «Wie Transfer gelingt (E-Book)», sayfa 3
Determinanten für einen erfolgreichen Transfer müssen in drei Bereichen gesucht werden: in der Organisation des Funktions- respektive Anwendungsfeldes, im Lernfeld von Lernmassnahmen und beim Subjekt selbst.
Im Rahmen formalisierter betrieblicher Weitbildung sind folgende Determinanten der drei Bereiche empirisch entdeckt worden (Tonhäuser, 2017):
Organisation und Anwendungsfeld
•Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte
•Feedback
•Die Möglichkeit des Anwendens im eigenen Funktionsfeld
•Abwechslungsreiche Arbeitsaufgaben
•Verbindlichkeiten
•Organisationsklima und Lernkultur
Lernfeld von Lernmassnahmen
•Praxisbezug der Inhalte und praxisorientierte Aufgabenstellungen
•Ähnlichkeit zwischen Lernsituation und Funktionsfeld
•Lernzielorientierung
•Situationsorientierung
•Unterstützung und Betreuung im Fehlermanagement
•Spezifische Transferunterstützungen im Bereich Rückfallmanagement oder Verhaltenstraining
Individuelle Faktoren
•Trainings- und Transfermotivation
•Kognitive Fähigkeiten
•Selbstwirksamkeits- und Kontrollüberzeugungen
•Bewertung von Nutzen und Relevanz
•Individuelle Zielabsichten
•Persönlichkeitsfaktoren wie Offenheit für Neues oder Gewissenhaftigkeit
Im Detail wissen wir über die einzelnen Faktoren noch wenig und ein Zusammenspiel der Faktoren ist noch lange nicht erforscht.
In ihrer qualitativen Studie über die subjektive Einschätzung verschiedener Akteure hat Tonhäuser (2017) im Bereich der individuellen Faktoren zusätzlich die Faktoren Vorwissen und Alter als Prädiktoren identifiziert. «Vorwissen» gilt als einer der bestens erforschten Prädiktoren für Lernerfolg (Wahl, 2005). Der soziodemographische Faktor «Alter» entspricht aber dem Klischee, dass mit zunehmendem Alter Interesse und Motivation für Weiterbildung abnimmt.
Im Bereich des Lernfeldes erweisen sich zudem Bedarfsgerechtigkeit, die didaktische Gestaltung der Weiterbildungsmassnahme, die prozessbegleitende Unterstützung des Transfers sowie die Expertise und Persönlichkeit der Lehrperson als transferwirksam.
Auf der Ebene der Organisation entdeckt Tonhäuser noch Freiwilligkeit als transferförderlichen Faktor.
Die von Tonhäuser explorativ und qualitativ ermittelten Faktoren für einen gelingenden Transfer wurden durch die subjektive Einschätzung verschiedenster Stakeholder ermittelt. Inwiefern und durch welche konkrete Gestaltung ein einzelner Faktor wirkt, bedarf der weiteren Forschung respektive der Auswertung von verschiedenen bereits durchgeführten Studien.
In der Lehrerbildung wurden in den letzten 20 Jahren Formen der kollegialen Beratung (Peergroups) angewandt und gerade auch in Bezug auf die Praxisbewältigung als eine Form der Transferunterstützung evaluiert (Schubiger, 2010). Solche Social-Support-Systeme stellen eine Verbindung zwischen Person, Lernfeld und Praxis her und erhöhen die Verbindlichkeit. Seit 10 Jahren setzen wir an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen über die ganze Ausbildung angehender Berufsfachschullehrpersonen diese Form der kollegialen Unterstützung systematisch um (Schubiger, Gerig & Rosen, 2014). Solche Formen werden zunehmend auch als selbstorganisierte Lernformen wie «working out loud» im betrieblichen Lernen probiert und stossen vor allem in Grossunternehmen zunehmend auf Anklang.
4.2Welcher Transfer funktioniert
Welche Schlüsse lassen sich daraus auf den Ausbildungsalltag ableiten? Welcher Transfer tritt mit grosser Wahrscheinlichkeit ein und welche Faktoren muss ich als Lehrperson beachten?
Abbildung 2: Was wirkt wie?
4.3Ruth lernt in der Höhle des Löwen
Ruths Erlebnisse entsprechen der empirischen Realität, nämlich dass wir unter Druck auf Verhaltensroutinen zurückgreifen, die nicht unserem Wissen und unserem erwünschten Selbstbild entsprechen. Wissen allein hilft Ruth also nicht weiter. Sie macht das einzig Richtige, indem sie versucht, in der Situation zu lernen, und das ist schwieriger als gesagt. Sie bedient sich der Vorsatzbildung, des mentalen Kontrastierens und schliesslich – nach dem Gelingen – des konkreten Handelns mit positivem Feedback.
4.4Anitas naher Transfer
Anitas Erfolg mit strukturgleichen Aufgaben bestätigt, dass durch geschicktes Vormachen mit Musterbeispielen eine Anwendung auf Aufgaben gleicher Oberflächenstruktur möglich ist. Die Aussichten auf einen grösseren Transfer in die Mechanik und Elektrotechnik sind jedoch schlecht, wird doch dieser weite Transfer von der Lehrperson einfach vorausgesetzt und nicht besonders unterstützt. Die empirische Forschung zeigt, dass dies eben nicht selbstverständlich ist. Bereits die Unterstützung mit einem weiteren modellierten Beispiel könnte hier grosse Abhilfe leisten. Allerdings wiederholt sich das «Drama» und die Frage darf erlaubt sein, ob hier nicht ein dysfunktionales Didaktikdesign vorliegt. Ansätze des «productive failure» oder des «induktiven Lernens» durch konkrete angewandte Beispiele zu Beginn der Lernsequenz könnten hier Leiden verhindern.
4.5Erich macht sich das Leben schwer – warum nicht einfach «the other way round»?
Die gut gemeinte Anlage praxis- und problemorientierter Hausaufgaben verlangt von den Studierenden einen unmöglichen weiten Transfer. Es ist bereits empirisch erwiesen, dass dies zu Misserfolgserleben bei den Studierenden führt und diese zusätzlich demotiviert. Erich ist gut beraten, wenn er einen derart grossen Transferschritt in kleinere Schritte unterteilt. Zudem könnte er diese Teilschritte mit Beispielen modellieren. Als vielleicht paradoxe Variante könnte er die gesamte Anlage umdrehen und mit unlösbaren Aufgaben in die Thematik einsteigen. In zahlreichen Gesprächen habe ich immer wieder festgestellt, dass Lehrpersonen der festen Überzeugung waren, echte Problemstellungen erst am Ende des Lernprozesses anbieten zu dürfen. Vieles spricht nach heutigem Forschungsstand dagegen.
4.6Hans ist auf gutem Wege
Hans macht eigentlich fast alles richtig, auch wenn sein Vorhaben ein grosses und sehr anspruchsvolles Unterfangen ist. Eigenes Ziel, Motiviertheit, Interesse sind gemäss obiger Forschungsergebnisse gute Voraussetzungen für die tatsächliche Umsetzung. Auch die Idee, aus einem Ziel Vorsätze zu formulieren, entspricht dem aktuellen Forschungsstand. Schon Brandstätter (1992, zit in Gollwitzer & Malzacher, 1996) konnte experimentell belegen, dass eine Vorsatzbildung mit Wenn-Dann-Beziehungen – z. B. wenn ich morgens früh aufwache, dann werde ich folgenden Text formulieren – einer globalen Zielbildung signifikant überlegen ist. Auf ähnliche Ergebnisse kommt Bamberger (1999, zit. in Storch & Krause, 2007), wonach Vorsatzbildungen zu einer dreimal so hohen Handlungsumsetzung wie bei reinen Zielintentionen führen.
Theoretisch erklärbar ist diese Handlungswirksamkeit von Vorsätzen aufgrund Koppelung der Wenn-Dann-Formulierungen mit antizipierten Situationen. Das Eintreten der entscheidenden Situation kann dann als Auslöser der Handlungssteuerung verstanden werden (Storch & Krause, 2007). Hans ist insofern geschickt, als er auch seine Frau miteinbezieht und damit eine Verbindlichkeit schafft. Diese könnte er sogar noch erhöhen, indem er sein berufliches Feld partizipieren lässt. Wer will schon sein Gesicht verlieren, indem er ein Buch ankündigt und nie realisiert? Zudem hat Hans sein Ziel innerlich visualisiert und emotional als erfolgreiches Erlebnis internalisiert. Doch genügt dies, um über mehr als zwei Jahre dranzubleiben? Besteht da nicht die Gefahr, dass dieses Buch zwar am Entstehen ist, das Endergebnis aber ein Traum bleibt, weil der Alltag genug Steine in den Weg zu legen hat, die das Ergebnis boykottieren? Zu genau diesem Ergebnis kommt Oettingen (2015). Sie postuliert, dass – nebst dem Traumziel, den Absichten und Vorsätzen -ein mentales Kontrastieren und ein konkreter Handlungsplan die Realisierung des Vorhabens signifikant unterstützen. Beim mentalen Kontrastieren werden Schwierigkeiten, welche auftauchen könnten, im Voraus vorgestellt und es wird bereits überlegt, wie diese konkret zu bewältigen sein könnten. In der konkreten Ausformulierung des Plans bedient sich diese Methode auch der Wirkung von mentalen «Wenn-Dann»-Verknüpfungen.
4.7Louises Welten
Die elaborierte Konfliktkompetenz von Louise in ihrem Hochschulkontext versagt im privaten familiären Setting vollständig und demonstriert auf eindrückliche Weise die aktuelle Forschungslage: Kompetenzen sind nicht beliebig generalisierbar. Ganz im Gegenteil erwerben wir Wissen und Kompetenzen sehr bereichsspezifisch und situiert. Weicht eine Situation so stark ab, dass Rollen, Relationen und emotionale Beziehungen stark differieren, so kann es durchaus sein, dass eine eigentlich vorhandene Kompetenz nicht abgerufen werden kann respektive auf ein anderes Verhaltensrepertoire zugegriffen wird. Will Louise etwas daran ändern, müsste sie eine neue und kontextspezifische Konfliktkompetenz für ihr familiäres Umfeld aufbauen. An Wissen fehlt es ihr ja nicht. Vielmehr müssen die kontextgebundenen Automatismen, Verhaltensroutinen und subjektiven Theorien modifiziert werden. Vielleicht fehlt es aber auch an einer genügend ausgebildeten transversalen Kompetenz – nämlich der «Gelassenheit» –, die uns befähigt, in emotional stark aufgeladenen Stresssituationen nicht wertend, interpretationsfrei und ruhig zu reagieren. In der Zwischenzeit gibt es bereits eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Stressbewältigung und Emotionsregulation. Gerade Trainings entfalten ihre Wirkung weniger durch einfache Anleitungen, sondern vielmehr durch kontinuierliches Üben im entsprechenden Praxisfeld.
5Warum wir nicht immer tun, was wir wissen
5.1Unheimliche Entscheidungen
Bottom-up- und Top-down-Prozesse
Warum handelt Louise im familiären Kontext im Widerspruch zu ihrer beruflichen Erfahrung und ihres vermeintlichen Wissens? Sie bemerkt schmerzhaft, dass sie somit nicht die Person ist, die sie gerne sein möchte. Und trotzdem hat sie so gehandelt. Ruth erlebt in Sitzungen Ähnliches. Sie scheint aber mit einer anderen Strategie den unausweichlichen Ausgang in Drucksituationen in den Griff zu bekommen. Auch Sie, werte Leserinnen und Leser, kennen sicherlich genügend ähnliche Situationen aus Ihrem Leben. In solchen Situationen wirken nämlich zwei Systeme, die unser Handeln und Verhalten steuern. Das plötzliche Gefühl der Wut, der Zurückweisung und die schnelle automatisierte Reaktion im Affekt wird durch unser Bottom-up-System generiert. Es ist blitzschnell und reagiert immer. Diese «von unten kommenden» Prozesse wie Emotionen (Wut), Impulse (dagegen ankämpfen) und schliesslich auch Gedanken (dem zeige ich es) können nicht vermieden werden. Sie entstehen automatisch. Häufig sind uns diese Bottom-up-Prozesse gar nicht bewusst und doch beeinflussen sie unser Verhalten täglich. Auch wenn die Folgen dieser Bottom-up-Prozesse manchmal unangenehm sind, verbrauchen sie wenig Energie und Aufmerksamkeit. Ruth ist sich zuerst absolut sicher, dass ihre Wut und negativen Gedanken in der Sitzung durch ihr Gegenüber verursacht werden. Bei genauerem Hinsehen sind sie ihre eigenen «Produkte», erzeugt über ein autonomes Bottom-up-System.
Daneben besitzen wir noch einen Gegenspieler zum Bottom-up-Prozess: den Top-down-Prozess. Dieser vermag – jedoch mit viel mehr Aufwand – auftretende Impulse zu bremsen, Emotionen einzuordnen und Automatismen eine Alternative anzubieten.
Warum aber haben wir überhaupt ein schnelles, autonomes Bottom-up-System und nicht nur ein bedachtes und bewusstes Top-down-System? Im Grunde genommen schützt es uns und hat viel mit unserer stammesgeschichtlichen Herkunft zu tun. Stress schützt uns vor Gefahren und bereitet uns auf Flucht oder Angriff vor, und zwar physiologisch (Erhöhung von Puls, Blutdruck, Blutzuckerspiegel etc.) wie auch psychologisch (Wahrnehmungseinschränkung, Bewertung etc.). Die Auswirkungen von überdauerndem Stress sind inzwischen allgemein bekannt und gelten als eine der gesundheitsschädlichsten Faktoren der Gegenwart. Es ist längst bekannt, dass lang andauernder Stress nicht nur das Immunsystem schwächt und Herz-Kreislauf-Störungen hervorruft, sondern auch neuronale Schäden hinterlässt.
Genauso gut untersucht ist unterdessen, wie wir dem autonomen System entgegenwirken können und ihm damit nicht hilflos ausgeliefert sind. Unser bewusstes System findet Möglichkeiten, auftretenden Stress anders einzuschätzen und damit Einfluss auf die Auswirkungen zu nehmen. Das ist jedoch einfacher gesagt als getan. Wie schaffen wir es, dass wir in Situationen wie diejenige von Ruth oder Louise mit unserem Top-down-System die Oberhand gewinnen, anstatt uns Bottom-up überwältigen zu lassen?
•Wir verschaffen uns Zeit
•Wir regulieren unsere Emotionen
•Wir realisieren alternative Handlungsmuster
Trainings zur Stressdesensibilisierung und mentale Trainings versuchen, Top-down-Prozesse zu unterstützen. Seit einigen Jahren machen erfolgsversprechende säkularisierte kontemplative Methoden auf sich aufmerksam. Aktuell werden Meditationspraktiken – insbesondere das Konzept der Achtsamkeit – weltweit erforscht und zeigen neben neuronalen Veränderungen (Vergrösserungen der exekutiven Hirnstrukturen, Verkleinerung der Amygdala) auch positive Effekte auf Stressregulation, soziales Verhalten und Lernen (Notebaert & Creuzfeldt, 2015).
Schnelles und langsames Denken
Kahnemann (2012) spricht von schnellem Denken und langsamem Denken respektive von System 1 und System 2. Das System 1 arbeitet intuitiv, automatisch, schnell und weitgehend mühelos und entzieht sich unserer willentlichen Steuerung. Das bezieht sich auf das Erkennen von Stimmungen bei anderen Menschen, das intuitive Erkennen von Lösungen, das Auftauchen von spontanen Impulsen, das Zuwenden zu plötzlichen Geräuschen oder das Verstehen einfacher Aussagen. Es hilft uns mit minimalem kognitivem Aufwand zur täglichen Orientierung, kann uns aber auch in die Irre führen, weil es ziemlich fehleranfällig ist. Das System 2 fokussiert auf die anstrengenden kognitiven Aktivitäten, mit deren Hilfe anspruchsvolle, auf den ersten Blick nicht sofort lösbare Aufgaben gelöst werden. Im Zusammenhang mit dem System 2 sprechen wir auch vom bewussten Denken und Handeln und deren Entscheidungsfreiheit. Ähnlich wie die Top-down-Prozesse hält das System 2 die Kontrolle über das autonome System 1.
Folgendes Beispiel illustriert die Arbeitsweise der beiden Systeme.
Ein Golfschläger und ein Ballset kosten zusammen 110 Euro. Der Golfschläger kostet 100 Euro mehr als das Ballset. Wie teuer ist das Ballset?
Die Antwort 10 kommt wie geschossen, und wir meinen auch, dass es richtig ist. Beim genaueren Betrachten unter Zuhilfenahme des Systems 2 bemerken wir den Fehler: Wenn das Ballset 10 Euro kostet, dann kostet der Schläger 110 Euro und zusammen ergäbe dies 120 Euro. Mit System 2 kann dies sehr aufwendig, aber korrekt gelöst werden. x = Preis Ballset: Das ergibt die Gleichung: x + (x +100) = 110 Nach x aufgelöst, ergibt dies für das Ballset 5 Euro!
So wie in diesem Beispiel unterliegen wir einer Vielzahl von Fehleinschätzungen durch das System 1 und meinen, vorerst gemäss bestem Wissen zu handeln, wurden aber bereits durch unser System 1 getäuscht.
Beispiele von Fehleinschätzungen
Assoziationsfehler: Unser neuronales System ist vernetzt und dauernd am Arbeiten. Jegliche Reize lösen ein Feuerwerk von Assoziationen aus, denen wir uns gar nicht bewusst sind, die aber von unserem biographischen Lernen abhängen.
Priming: Unbewusst wahrgenommene Informationen beeinflussen unsere Gedanken, Emotionen und unser Handeln respektive Verhalten. Allein das Lesen von Texten mit Begriffen aus dem Alterskontext bewirkt, dass Versuchspersonen im Anschluss sich langsamer von A nach B bewegen als eine Vergleichsgruppe. Das Experiment funktioniert sogar umgekehrt. Versuchspersonen, die sich langsamer als ältere Personen bewegten, haben im Anschluss einen verstärkten Fokus auf Gedanken an hohes Alter. Oder wer kennt nicht die erheiternde Wirkung von vergnügtem Lachen, das auf uns eine aufheiternde Wirkung hat. Sogar die erzwungene Mimik von Lächeln, mittels Festhaltens eines Bleistifts zwischen den Zähnen, bewirkt eine Veränderung der Wahrnehmung von Cartoons. Priming stellt die Annahme einer freien Entscheidung infrage. Verschiedene psychologische Experimente zeigen, dass wir unbewusst von verschiedenen Kontexten beeinflusst werden, was sich auf unser Wahrnehmen, Entscheiden und Handeln auswirkt (Kahnemann, 2012).
Gedächtnisillusion: Die Tatsache, dass wir einen Namen, ein Konzept etc. schon einmal gehört oder gelesen haben, verleitet uns dazu, im Nachhinein diesem Sachverhalt mehr Bedeutung zu geben. Das Vergangene kommt uns vertrauter vor, und wir greifen häufiger darauf zurück als auf Neues und Unbekanntes.
Wahrheitsillusion: Unbedeutender Kontext wie klare Schrift oder andere offensichtlich wahre Sachverhalte sind in der Lage, den Wahrheitsgehalt einer falschen Aussage zu beeinflussen.
Mere-Exposure-Effekt: Tatsachen, die mehrfach dargeboten respektive wahrgenommen werden, werden in ihrem Wahrheitsgehalt überschätzt, selbst wenn ihre Aussagen falsch sind.
Unser Alltag verlangt von uns dauernd kleine Entscheidungen. Müssten wir in jeder Situation einen bewussten Entscheidungsprozess mit System 2 durchlaufen, wären wir ziemlich schnell ob der kognitiven Belastung müde. Verhaltensroutinen, die wir neuropsychologisch in sogenannten chunks abspeichern und bei Bedarf automatisch abrufen können, machen unseren Alltag überhaupt bewältigbar. Dieser Autopilot hat zweifelsohne eine entlastende Funktion. Aber wir sind uns zu einem grossen Teil nicht bewusst, was wir tun. Kennen Sie die Situation, dass Sie sich manchmal fragen, wie Sie jetzt mit ihrem Auto von A nach B gekommen sind? Der Autopilot hat die Führung über Ihr Fahrzeug übernommen. Es gibt einige Anzeichen, dass sich Lernende individuell unterscheiden, wie stark sie sich von System 1 leiten lassen respektive wie «träge» ihr System 2 ist. Das bekannte Maschmallow-Experiment zeigt, dass Kinder, die ihr System 1 besser mit dem System 2 kontrollieren können, später auch erfolgreicher in ihrer beruflichen Laufbahn sind.
Sowohl bei Ruth wie auch bei Louise hat wahrscheinlich System 1 in der Drucksituation wesentlich zur Beurteilung der Situation beigetragen. Das sind vorschnelle Interpretationen des Handelns der gegenüberliegenden Person wie auch die Interpretation der eigenen Gefühle. Es macht einen Unterschied, ob ich bemerke, dass ich wütend bin, oder wahrnehme, dass da bei mir eine Wut entsteht. Die Desidentifikation mit den primär auftretenden Interpretationen der eigenen Wahrnehmung kann ein Riesenschritt in Richtung Verhaltensänderung in Drucksituationen sein.
Subjektive Theorien
Im Zusammenhang mit der Nichtübereinstimmung von Wissen und Handeln hat Wahl (1991) subjektive Theorien von Lehrkräften in bestimmten Unterrichtshandlungssituationen – zum Beispiel in Störungssituationen – rekonstruiert. Er stellte fest, dass diese unverwechselbar individuell, mit überzufälliger Prognose zukünftiges Handeln in vergleichbaren Situationen voraussagen und an sich sehr veränderungsstabil sind. Wahl (2005) unterscheidet zwischen subjektiven Theorien grosser Reichweite und subjektiven Theorien kurzer Reichweite. Zweitgenannte sind im Gegensatz zu den erstgenannten hochgradig handlungswirksam, insbesondere bei Handeln unter Druck.
Dieser Ansatz geht davon aus, dass ein «Alltagsmensch» Hypothesen und Theorien besitzt, die denjenigen eines Wissenschaftlers strukturgleich sind. Der einzige Unterschied besteht darin, dass diese nicht wie wissenschaftliche Theorien intersubjektiv geteilt werden, sondern subjektiv sind. Wahl hat in seiner Arbeit (1991, 2005) vor allem die Frage nach der Handlungswirksamkeit und der Veränderbarkeit dieser subjektiven Theorien aufgenommen. Er stellt vor allem fest, dass bei Alltagshandeln unter Druck Kognitionen von Bedeutung sind, die nicht unbedingt den Kriterien subjektiver Theorien entsprechen. Er unterscheidet darum in die nicht unbedingt handlungswirksamen, aber hoch elaborierten subjektiven Theorien grosser Reichweite von den stark handlungswirksamen subjektiven Theorien kurzer Reichweite.
Das Handeln unter Druck beschreibt Wahl (2005) in zwei Phasen, nämlich der Situationsorientierung (SO) und der Aktionsplanung (AP). In der Situationsorientierung finden folgende kognitive Prozesse statt:
•Situationsbildaufbau
•Situationsinterpretation
•Antizipation der Situationsentwicklung (Abschätzung)
•Zugriff auf biographisches Wissen (subjektive Theorien) zum Verständnis der Situation
•Aufkommen von Emotionen
•Eventuell zusätzliche Informationsverarbeitung zur Vervollständigung der Situationsorientierung
Wahl geht von der Annahme aus, dass sich das Individuum am Ende der Situationsorientierungsphase einer Situation bewusst ist (Wahl, 2005).
Subjektive Theorien kurzer Reichweite beschreibt Wahl (1991, 2005) als verdichtetes Wissen. Innerhalb kürzester Zeit wird eine Situation einem Prototyp zugeordnet, und praktisch zeitgleich werden prototypische Lösungen und Handlungen generiert.
Wahl (1991) konnte zeigen, dass diese subjektiven Theorien kurzer Reichweite nicht nur äusserst stabil sind, sondern auch mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Handeln in pädagogischen Interaktionssituationen voraussagen. Unter anderem folgert er daraus, dass das Handeln indirekt modifiziert wird, wenn wir die subjektiven Theorien ändern. Die subjektiven Theorien kurzer Reichweite gelten nach Wahl (1991 a, 1991 b, 2005) als stark handlungsleitend. Wie ist es möglich, dass wir in kürzester Zeit zum Beispiel in einer Unterrichtsstörung situationsangepasst handeln können? Wahl (2005) begründet dieses rasche Handeln mit dem Vorhandensein von Situationsprototypen und Handlungsprototypen, die zueinander assoziativ in Beziehung stehen. Im Handeln unter Druck werden somit in kürzester Zeit und mit minimalster Entscheidungszeit sowohl adäquate Situationstypen als auch entsprechende Handlungsalternativen reaktiviert.
Die Entscheidungen und die Auswahl von Handlungsalternativen sind den befragten Personen kognitiv nur schwer zugänglich. Das Zuordnungsverhältnis von Situationstyp und Handlungsalternative ist mit einem Durchschnitt von 1:5 überraschend klein, im Höchstfall wurden sogar Verhältnisse von 1:6 gefunden. Der Regelfall sind Verhältnisse von 1:1 und 1:2, was bedeutet, dass der Handelnde eine mögliche Handlungsalternative fast zeitgleich mit der Situationswahrnehmung erkennt.
Wahl (2005) schlägt zur Veränderung solcher subjektiven Theorien kurzer Reichweite und schlussendlich zur Veränderung des Handelns folgende Modifikationsschritte vor:
•Bearbeitbar machen. Die handlungsleitenden subjektiven Theorien kurzer Reichweite werden durch reflexive Prozesse in die Ebene subjektiver Theorien grösserer Reichweite gehoben und damit dem Bewusstsein zugänglich gemacht.
•Die dem Bewusstsein zugänglich gemachten subjektiven Theorien werden mit intersubjektiven Theorien konfrontiert, bereichert und verändert.
•Professionelles Handeln in Gang bringen. Die entwickelten Problemlösungen werden in neue oder veränderte handlungsleitende Strukturen überführt.
Lewin (Lück, 1996) hat dieses Veränderungsmodell schon mit den Phasen unfreeze – move – refreeze beschrieben. Damit dieser Veränderungsprozess gelingt, schlägt Wahl folgende Vorgehensweise vor:
•schrittweise Veränderung durch schrittweises Verdichten,
•flankierende Massnahmen als Schutzschild und Unterstützung (Social-Support-Systeme, mentale Unterstützung, Verpflichtung etc.),
•Individualisierung des Lernprozesses,
•zuerst Umstrukturierung von Planungshandeln und danach Interaktionshandeln verändern.
Erichs feste Überzeugung, dass eine anspruchsvolle Problemlöseaufgabe erst nach der Vermittlung von Grundlagenwissen gestellt werden kann, ist eine subjektive Theorie, die dem aktuellen Wissensstand widerspricht. Diese «wirkungsvolle» Vorstellung hat viel mit Erichs Erfahrungen als Lernender und Studierender zu tun. Gerade bei ausbildenden Fachpersonen stelle ich in Reflexionsgesprächen immer wieder ähnliche Glaubenssätze fest:
•Zuerst die Theorie und dann die Praxis.
•Halbwissen darf nicht reaktiviert werden,
•Schwierige Aufgaben zu Beginn des Lernprozesses verunsichern die Lernenden.
•Für die Aktivierung der Ressourcen besteht keine Zeit.
Zusammenfassend stellen wir fest, dass wir unausweichlich unbewussten Bottom-up-Prozessen ausgesetzt sind, wir Wiederholungen in Form von Komprimierungen (chunks) dem System 1 zuführen, damit diese dann wieder von System 1 zusammen reaktiviert werden können. Top-down-Prozesse (System 2) sind in der Lage, die Automatismen zu beobachten, zu hinterfragen und zu korrigieren. Wir handeln nicht immer so bewusst, wie wir es uns gerne wünschen. Verlangt der Lernprozess respektive der Transfer eine Veränderung solcher Automatismen, sind zwei Strategien in Kombination interessant: die Bewusstwerdung der Bottom-up-Prozesse und deren Kontrolle; neue Verdichtung von Automatismen.
1.Optimierung des Zusammenspiels zwischen den Gegenspielern der verschiedenen Systeme:
•bottom-up versus top-down
•Denken in System 1 und 2
•subjektive Theorien kurzer Reichweite versus subjektive Theorien grosser Reichweite
•Automatismen versus bewusstes Handeln
2.Veränderung der Automatismen über den Bewusstwerdungsprozess aus Strategie 1, darauf aufbauend Veränderung und wiederholte Verdichtung in neue Automatismen
Die Strategie 1 ist eine generische und gewinnt in der heutigen beschleunigten und hektischen Arbeits- und Lebenswelt zunehmend an Bedeutung. Sie hat das Ziel, den Moment der dominanten Wirkungsweise von Bottom-up-(System 1)Prozessen zu unterbrechen, sich Zeit zu verschaffen und dem Top-down-(System 2)System die Möglichkeit zur aktuellen Lagebeurteilung zu geben. Sie führt zu einer transversalen Kompetenz wie Gelassenheit, die beiden Protagonistinnen, Ruth wie Louise, ihre anspruchsvolle Situation vereinfachen würde. Sie werden von der Situation nicht überwältigt, sondern beobachten mit einem inneren und äusseren Auge, was ist.
Mit der zweiten Strategie ist ebenso viel Arbeit verbunden, weil neue Automatismen sich nur über eine Vielzahl von Wiederholungen im Lebens- und Arbeitsalltag ausbilden.
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