Kitabı oku: «Ein MORDs-Team - Band 14: Verloren und Vergessen (All-Age Krimi)», sayfa 2

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Ein unbekannter Ort, ein unbekanntes Internat

Ein Freitagmittag

Danielle schlug die Augen auf.

Etwas stimmte nicht. Im ersten Augenblick konnte sie den Gedanken nicht greifen, sie wusste lediglich, dass das keinesfalls ihr Zimmer war.

Vorsichtig kam sie in die Höhe.

Ein leichter Schwindel befiel sie. Danielle atmete tief ein und wieder aus. Ganz langsam klärte sich ihr Geist. Sie saß auf einem Bett. Ein schmales, sauberes, robustes Bett. Die abrupt aufwallende Panik niederkämpfend, durchdachte sie die Geschehnisse.

Richtig, ihr Dad!

Richard hatte sie von zwei bulligen Typen in eine Limousine zerren lassen. Kurz darauf war sie in einem Flieger in Richtung Schweiz unterwegs gewesen. Ihr Smartphone hatte er konfisziert, ebenso die Handtasche. Im Privatjet war sie ziemlich schnell eingenickt, was überhaupt keinen Sinn ergab. In all der Aufregung …

»Die haben mich betäubt«, entfuhr es ihr fassungslos.

Ihr Dad hatte schon immer deutlich gemacht, was er von der Welt ringsum hielt. Sie war nur dazu da, von ihm kontrolliert und manipuliert zu werden, genau wie Frauen. Die waren nämlich zu nichts zu gebrauchen und störten meist den natürlichen Lauf der Dinge.

Da Danielles Mum sich diesem Diktat aber nicht länger beugte, war ein Rosenkrieg ausgebrochen; einer, der mit jedem Tag an Schärfe zunahm. Das gipfelte darin, dass ihr Dad Danielle in die Schweiz abschob. In ein Internat, das von Leuten geführt wurde, die ihm nahestanden. Ihre Mum hatte keine Ahnung davon, wusste nicht, wo es lag. Danielle befand sich außerhalb ihrer Reichweite und ihr Dad konnte Druck ausüben.

»Elender Mistkerl.«

Sie betrachtete ihr neues Domizil eingehend.

Der Raum war sauber, musste erst kürzlich gereinigt worden sein, wie ein leichter Geruch nach Bohnerwachs und Scheuermilch verriet. Der Boden bestand aus Holzparkett, die Wände zur Hälfte aus Holzvertäfelung. Neben dem Bett gab es einen kleinen Schreibtisch, über dem zwei Regalbretter an der Wand angebracht waren. Durch drei rechteckige Fenster fiel Licht in den Raum. Die Gitter davor machten den grundsätzlich freundlichen Eindruck sofort wieder zunichte.

Es klapperte, als jemand einen Schlüssel in das Schloss steckte.

Sie sprang auf.

Ruckartig wurde die Tür aufgezerrt. Eine hochgewachsene, spindeldürre Frau stand im Rahmen. Sie trug ein schwarzes Kleid, das graue Haar war zu einem Dutt geknotet. Ein wenig erinnerte sie Danielle an eine englische Gouvernante aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

»Lassen Sie mich sofort hier raus!«, blaffte sie los. Man durfte dem Feind keine Chance geben, die Führung des Dialogs an sich zu reißen. Das hatte ihr Dad einmal gesagt, nachdem er eine heftige Diskussion mit einer Ladenbesitzerin über das Umtauschrecht geführt hatte. Die Frau war danach in Tränen ausgebrochen. Danielle lehnte seine Philosophie zwar rundheraus ab, doch immerhin war sie entführt worden. Da heiligte der Zweck ausnahmsweise die Mittel. »Das ist Entführung!«

Die Unbekannte ließ eine Braue in die Höhe wandern, ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Mit einem Schritt war sie bei Danielle, holte aus und gab ihr eine Ohrfeige. Entsetzt über diese Gewalt hielt sie sich die Wange und starrte die Frau mit geweiteten Augen an.

»Nachdem das nun geklärt ist, kommen wir zum Wesentlichen. Mein Name ist Patricia Winterbutton. Du wirst mich höflich mit Miss Winterbutton oder Ma'am ansprechen. Ich bin die Leiterin des Hauses, einem von fünf Häusern dieser ehrwürdigen Einrichtung.«

Sie machte einen Schritt in den Raum.

»Im Laufe des Tages wird jemand dir deine Schuluniform bringen, ebenso den Stundenplan, deine Bücher und die Hausordnung. Ich rate dir, besonders die Hausordnung genau zu studieren. Verstöße werden hart bestraft. Dein Unterricht beginnt morgen. Ja, wir legen auch am Samstag wert auf Stunden der Bildung.«

Der Schlüsselbund war über eine dünne Kette mit einer Öse des Rockbundes von Miss Winterbutton verbunden. Keine Chance also, ihn ihr aus der Hand zu reißen und das Weib einzusperren.

»Elektronische Geräte sind verboten. Das betrifft Computer, Smartphones, Pads; nun, alles, was Strom benötigt, um zu funktionieren. Es ist dir nicht erlaubt, das Gelände zu verlassen. Fragen?«

Danielle schüttelte den Kopf.

»Gut. Du lernst dazu. Um fünf Uhr dreißig klingelt der Wecker.« Miss Winterbutton deutete auf einen in die Decke verbauten Lautsprecher, den Danielle bisher übersehen hatte. »Du hast eine halbe Stunde, dich anzukleiden, dann wirst du abgeholt und zum Essen in die Halle gebracht. Zum Waschen steht eine Gemeinschaftsdusche zur Verfügung, die abends genutzt werden kann.«

Sie wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, verließ den Raum und drehte den Schlüssel im Schloss.

Danielle saß zitternd auf dem Bett.

Erst als die Stille sich über sie senkte wie ein Bleituch, nahm sie langsam die Hand von ihrer Wange. Die Frau hatte sie einfach geschlagen. Ihr Dad hatte ja angedeutet, dass dieser Ort ihr »die Flausen austreiben« sollte, doch erst diese Tat hatte den Gedanken Realität werden lassen.

Sie kroch ganz auf das Bett, zog die Knie heran und umschlang sie mit den Armen. Zusammengekauert starrte sie aus dem Fenster in den trüben Wintertag.

*

Maple Peaks, vor der Maple Post

Ein Freitagnachmittag

Sonja stoppte den Wagen.

Hätten sie ihr Ziel nicht endlich erreicht, sie wäre rechts rangefahren, um Mason und Cat aus dem Auto zu werfen. Die anfängliche Harmonie war in einen Dauerstreit umgeschlagen, bei dem es um irgendein dämliches Skateboard ging.

Während Randy selig schlummerte und Olivia immer wieder ein Kichern unterdrücken musste, gaben die beiden anderen keine Ruhe. Sonja bereute es längst, die junge Fassadenkletterin mitgenommen zu haben. Andererseits wussten sie nicht, was sie erwartete. Möglicherweise war ihr Talent noch von Nutzen.

Sie stellte den Motor ab.

Randy, der sich zu einer unförmigen Kugel zusammengerollt auf den Sitz gekauert hatte, öffnete die Augen. »Sind wir schon da?«

»Schon?«, echote Sonja. »Das nächste Mal bleibst du gefälligst auch wach und zügelst deinen Freund.«

»Ich?!« Mason schaute wütend herüber. »Es geht hier um mein Eigentum.«

»Eigentum«, kam es von Cat. »Potato, potato. Privatbesitz ist fließend.«

»Wenn es um meine Boards geht …«

»Schluss!«, fauchte Sonja. »Raus jetzt aus dem Wagen!«

Genervt schlug sie die Autotür hinter sich zu, froh darüber, dem beengten Raum entkommen zu sein.

Während die Kids ebenfalls ausstiegen, sah sie umher. Miranda wohnte in einem beschaulichen kleinen Haus am Stadtrand. Mittlerweile war sie in den Vierzigern, hatte die Liebe ihres Lebens aber nie gefunden. Die Freitagabende verbrachte sie meist alleine mit ihrem Kater Oscar, einer Schachtel Pralinen und einem schnulzigen Liebesfilm.

Kennengelernt hatten sich Miranda und Sonja beim Journalistikstudium. Die eifrige Tierschützerin Miranda Paul war zusammen mit einer Handvoll Demonstranten gegen eine Firma gezogen, die verdächtigt wurde, Experimente an Vierbeinern durchzuführen. Da die Demo keinen Erfolg brachte, suchte sie verzweifelt nach Helfern, um eine Story über besagte Firma zu publizieren. Da die Universität keinen Skandal provozieren wollte, erhielten die Professoren ein Verbot, wodurch das Ganze nicht zu einem benoteten Projekt werden durfte. Jede Recherche war somit Freizeitangelegenheit und aufgrund des überfüllten Stundenplans unmöglich.

Zumindest fast.

Denn wenn Sonja schon immer eines gehasst hatte, dann, von oben fremdbestimmt zu werden. Kurzerhand hatte sie sich der – zu diesem Zeitpunkt längst verzweifelten – Miranda angenommen. In vielen durchgemachten Nächten hatte sie über Aktenbergen gebrütet, Versandlisten durchsucht und mit tränenden Augen sowie sich viel zu schnell leerenden Kaffeetassen das Netz um die Firma enger gezogen.

Am Ende konnten die Vorwürfe bestätigt werden. Das FBI nahm aufgrund einer landesweiten Verflechtung der Firma mit anderen gleichartigen Einrichtungen die Ermittlungen auf. Die Tiere wurden befreit, das Konglomerat ausgehoben. Zahlreiche Personen in Führungspositionen wanderten ins Gefängnis und es fiel dem Direktor der Universität sichtlich schwer, das künstliche Grinsen aufrechtzuerhalten, als er Miranda und Sonja eine Auszeichnung verleihen musste.

Eine der Katzen aus den Versuchen, ein Kater, fand ihren Weg zu Miranda. Sie nannte ihn Sherlock, weil das pfiffige Kerlchen sich kurzerhand im Auto versteckt hatte und so nicht bei der Tierrettung gelandet war, sondern direkt vor Mirandas Haustür. Nach dem Tod des Tierchens folgte Oscar.

»Sonja«, kreischte jemand.

Sie war darauf vorbereitet gewesen, doch Mason zuckte panisch zusammen. Olivia steckte sich kurzerhand die Finger in die Ohren.

»Miranda!«

Die Freundin rannte die wenigen Treppenstufen hinab, die von ihrer Haustür in den Vorgarten führten. Überschwänglich umschlang sie Sonja, die die Umarmung nicht minder herzlich erwiderte. Es war viel zu lange her.

»Es ist schön, dich zu sehen«, sagte Miranda schließlich. »Wie war eure Fahrt?«

Kurz war Sonja versucht, noch einen Seitenhieb loszuwerden, lächelte aber weiter. »Fantastisch. Eine schöne Landschaft, kein Regen, alles verlief wunderbar.«

Sie stellte die anderen nacheinander vor, die höflich grinsten. Sogar Cat besann sich ihrer Manieren.

Erst jetzt realisierte Sonja, dass Miranda ihre Jacke trug und eine Tasche umgehängt hatte. »Du gehst weg?«

»Ja, tut mir leid, ich muss in die Redaktion. Wegen dem verschwundenen Professor gibt es eine Sonderausgabe.«

Irritiert schüttelte Sonja den Kopf. »Welcher Professor?«

Nun erwiderte Miranda den Blick kaum minder verblüfft. »Sag nicht, du weißt es noch nicht? Dabei ist das doch einer von euch. Er ist ebenfalls im Peak In abgestiegen, dort habe ich auch Zimmer für euch reserviert. Am Mittwoch wurde er zuletzt gesehen. Seitdem fehlt jede Spur.«

Sonja überlegte kurz, ob sie im Lokalteil der Gazette etwas dazu gelesen hatte, tat den Gedanken dann aber ab. An Derartiges hätte sie sich erinnert. Auch Kenneth hatte kein Wort erwähnt. »Sorry, ich weiß von nichts.«

»Was für ein Professor ist das denn?«, fragte Randy. »Einer vom Pinehearst College?«

Vermutlich dachte er sofort an seinen Freund Vince, der dort studierte und ebenfalls nichts erwähnt hatte. Andernfalls hätte Randy wiederum Sonja längst eingeweiht.

»Nein«, sagte Miranda schnell. »Das ist so ein alter Kauz. Hat im Sommer für einen Eklat gesorgt, weil sich jemand bei der Gründungsfeier als er ausgab, um die Gründungsurkunde zu stehlen.«

»Professor Pembroke!«, entfuhr es Olivia.

Sonja dachte mit Schrecken an den Tag der Feier in Barrington Cove zurück. Die Geiselnahme im Schulhaus hatte dank Mason, Olivia, Randy und Danielle einen guten Ausgang genommen. Doch niemand hatte mit der Bombe gerechnet, die Oswald Kaminski dort deponiert hatte. Die Explosion hatte zahlreiche Menschenleben gekostet und die vier sowie einige weitere Personen in den Trümmern eingeschlossen. Später war der echte Professor Pembroke bewusstlos in seinem Haus gefunden worden.

»Weißt du, was er hier wollte?«, fragte Sonja.

»Keine Ahnung. Er hat sich ja schon immer für die Gründungszeiten interessiert. Sowohl was Barrington Cove angeht als auch Sunforest Cove oder Maple Peaks. Er hat scheinbar in den Stadtarchiven etwas gesucht, aber keiner weiß, was. Sheriff Bruker befürchtet, dass er irgendwo eingeschlossen wurde. Er flucht schon …«

»Bruker!«, entfuhr es Mason. »Was hat unser Sheriff denn mit eurem zu tun?«

Miranda winkte ab, verwirrt darüber, unterbrochen worden zu sein. »Nicht euer Bruker. Ich meine unseren. Den Cousin.«

Randys bester Freund schaute drein, als habe ihm gerade jemand all seine Skateboards geklaut und gleichzeitig jedes Sandwich der Welt vernichtet. »Wie viele gibt es von denen denn noch?«

»Wie die Karnickel«, flüsterte Olivia.

»Schlimmer als Computerviren«, fügte Randy hinzu.

Cat grinste nur.

»Auf jeden Fall ist der Bürgermeister außer sich und der Sheriff richtig mies drauf. Die Außenwirkung der Stadt und so. Das Ganze soll zügig aufgeklärt werden.« Sie schritt auf ihr Auto zu. »Ich komme morgen früh zu euch ins Peak In, dann können wir gerne die alte Sache besprechen.«

»Okay«, sagte Sonja noch.

Schon war die Freundin auf und davon.

Sie stiegen ebenfalls wieder ins Auto. Dieses Mal durfte Mason auf den Beifahrersitz, während die übrigen sich auf die Rückbank quetschten. Die Fahrt zum Peak In, dem einzigen Gasthaus im Ort, dauerte nur wenige Minuten. Das kleine Haus lag an einer breiten Straße, hinter der sich gewaltige Felder bis zum Waldrand zogen. Im Sommer war die Umgebung in dichtes Grün und das Gold saftiger Ähren getaucht, doch zu dieser Jahreszeit gab es nur feuchten Ackerboden und abgestorbenes Geäst.

Das Gasthaus wurde von einem jungen Geschwisterpaar geführt, das sie freundlich begrüßte und zu einem der Nebenhäuser brachte, in dem sie alle einquartiert waren. Mason und Randy hatten ein Zimmer im Erdgeschoss, Olivia und Cat das gegenüberliegende. Sonja hatte sich ein Doppelzimmer im ersten Stock genommen, weil sie die schmalen Einzelbetten hasste.

Nun ja, momentan lag sie meist nicht alleine darin, da Kenneth ziemlich oft bei ihr übernachtete. Sie verdrängte das Kribbeln im Bauch, das sich bei dem Gedanken an ihn unweigerlich einstellte.

Fokus, Sonja. Fokus! »Ich schlage vor, wir packen aus und essen eine Kleinigkeit. Viel können wir heute nicht mehr machen, es wird schon dunkel. Morgen früh legen wir los.«

Die vier stimmten zu.

In der Ferne zog ein Nieselregen heran. Sonja musste an Danielle denken, die vermutlich gerade eingekuschelt in der heimatlichen Villa lag. Sie beneidete sie.

Mit diesem Gedanken öffnete sie den Koffer, um die Kleidungsstücke zu verstauen.

*

Ein unbekannter Ort, ein unbekanntes Internat

Ein Freitagabend

Es war ein Gefängnis.

Wäre Danielle diese Tatsache nicht schon bewusst gewesen, spätestens jetzt wäre jede Hoffnung geschwunden.

Das gesamte Gelände des Internats wurde von hohen Mauern umgeben, auf deren Oberseite Stacheldraht auslag. Zwischen den Spiralen glaubte sie, kleine Metallklammern zu erkennen, die daran festgesteckt waren.

»Strom«, murmelte sie.

Falls also jemand einen Ausbruch wagte und es bis nach oben schaffte, flog er kurz darauf wieder nach unten, direkt in die Ginsterbüsche, die dort säuberlich angepflanzt worden waren; daran bestand kein Zweifel. Zwischen der Mauer und den Büschen verlief ein schmaler Kiesweg, auf dem sie gerade stand.

Missmutig beäugte sie das Haupthaus und die sich anschließenden Flügel. Das Haus, in dem Danielle untergebracht war, erhob sich links des Zentrums, ganz am Ende des seitlichen Flügels. Zwei weitere Gebäude lagen näher am Haupthaus. Das Gelände umfasste mehrere Hektar. Es enthielt neben einem gepflegten Rasen einen Sport- sowie einen Tennisplatz. Ein wenig versetzt gab es einen kleinen Teich, daneben ein Gartenhäuschen. Schließlich schloss ein gewaltiges Haus an, es schmiegte sich an die Mauer abseits des Haupthauses. In ihm waren das Wäschehaus und Wohnungen für die Lehrer und übrigen Angestellten untergebracht.

Vermutlich handelte es sich bei dem Internat einfach um eine teure Privatschule, auf der die Kinder reicher Eltern geparkt wurden. Bildung kostete Geld. Sicher gab es den einen oder anderen, der lieber abhauen wollte, um ein paar feucht-fröhliche Partystunden anderswo zu verbringen.

Danielle musste sich immer wieder vorsagen, dass das alles hier nicht nur sie von einer Flucht abhalten sollte. Nein, jeder Schüler war ein Gefangener. Das musste doch unweigerlich dazu führen, dass es Verbündete gab.

Die galt es zu finden.

Aufgrund der kalten Jahreszeit war kaum jemand draußen unterwegs. Bisher hatte Danielle versucht, eine Gruppe von vier Mädchen anzusprechen, doch die hatten einfach den Kopf gesenkt, bevor sie weitermarschiert waren.

Hatte sie zuerst noch geglaubt, dass es ein reines Mädcheninternat war, wurde sie bald eines Besseren belehrt. Auf dem Sportplatz drehten gerade ein paar Jungs ihre Runden. Sie wollte mit ihnen in Kontakt treten, doch ein missmutig dreinschauender Lehrer verscheuchte sie.

Hätte ihr Dad jeden hier bezahlt, damit niemand mit ihr sprach – es hätte sie nicht überrascht. Aber würde er so weit gehen? Immerhin wollte er, dass sie seine Form der sozialen Umgangsformen lernte. Das war in totaler Isolation kaum möglich. Überhaupt wollte es ihr nicht einleuchten, wie er all das gedeichselt hatte: die Entführung, was rechtlich betrachtet gar keine war, solange ihre Mum nicht den Sheriff einschaltete, der Flug in die Schweiz – prüfte denn niemand die Passagiere? – und die Betäubung.

Sie straffte die Schultern.

Mason, Olivia und Randy würden sie nicht im Stich lassen. Vermutlich ermittelten sie bereits. Aber würden sie das Internat tatsächlich finden? Die Schweiz war ein anderes Land. Hier sprach man kein Englisch, bezahlte mit anderer Währung, alles war abgelegen und isoliert.

Bisher hatte sie nirgends ein Telefon, ein Smartphone oder einen Computer entdeckt. Es gab einfach keine Möglichkeit, mit der Welt dort draußen – daheim – Kontakt aufzunehmen.

Bedrückt schaute Danielle umher.

Über allem hier lag eine Düsternis, die vom heraufziehenden Dunkel noch verstärkt wurde. Die Wege waren mit alten Straßenlaternen aus schwarz lackiertem Eisen gesäumt. Während sie zum Haus zurückspazierte, flammten die Glühbirnen auf.

Unweigerlich fühlte sie sich weit zurückversetzt, in eine Zeit von Zucht und Ordnung, in der Schüler noch mit dem Lineal eins auf die Finger bekamen, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht oder nicht gut genug gemacht hatten. Ein Traum für ihren Dad. Es gab keine höhere Institution als den Mann im Haus. Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht.

Der Kies knirschte ein letztes Mal. Sie trat über die Schwelle. Im Aufenthaltsraum saß niemand. Zwar brannte ein Feuer im Kamin, doch weder die Couch noch die zahlreichen Sessel waren besetzt. Die Bücher in dem alten Regal wirkten zerfleddert und abgenutzt.

Eine Gänsehaut kroch Danielles Arme empor. Wo waren alle?

Sie stieg die Treppen hinauf in ihr Zimmer. Verblüfft hielt sie inne und betrachtete durch die geöffnete Tür das Mädchen. Die Unbekannte richtete sich auf.

»Ah, die Neue«, sagte sie. Dabei kräuselten sich ihre Lippen in perfekt anmutender Arroganz.

»Ich bin Danielle.«

»Neue reicht völlig«, gab sie zurück. »Mein Name ist Rosalie von Thun. Du kannst mich auch Queen R nennen. Miss Winterbutton hat mich dir zugewiesen, damit ich dir zeige, wo es langgeht.«

Eine eindeutig zweideutige Aussage.

Queen R deutete auf Danielles Bett. »Da liegt deine Schuluniform. Ich rate dir, sie anzuziehen. Ansonsten tu einfach, was man – in dem Fall ich – dir sagt, damit fährst du am besten.«

»Kannst du mir sagen, wo wir …«

Rosalie hob die Hand. »Niemand hat davon gesprochen, dass du Fragen stellst oder ich mich näher mit dir abgeben muss, Neue. Das alles hält mich vom Lernen ab. Im Gegensatz zu dir habe ich aber einen Status zu wahren. Das ist nicht irgendeine zweitklassige Schule, wie du sie zweifellos bisher besucht hast.« Sie verdrehte die Augen. Abschätzig wanderte ihr Blick über Danielles Körper. »Na, deine Eltern müssen ja Geld haben, sonst wärst du kaum angenommen worden. Neureich?« Sie seufzte. »Zieh die Uniform an. Den Rest erkläre ich dir morgen. Bis dahin schaffst du es hoffentlich, hier kein Chaos zu veranstalten. Ach so, da vorne liegt die Hausordnung. Lern sie. Am Montag wird Miss Winterbutton dich darüber ausfragen. Glaub mir, du willst diesen Test bestehen!«

Damit warf sie ihre Haare zurück, nahm auf dem Bett Platz und vertiefte sich in ein Buch.

Danielle schluckte.

Sie packte die Uniform und verließ den Raum. Ihre Schritte lenkten sie wie automatisch zu den Toiletten. Sie ging in eine Kabine, schloss ab und zog mechanisch ihre Kleidung aus. Im nächsten Augenblick trug sie die Schuluniform.

Aus dem Spiegel sah ihr eine Fremde entgegen. Die letzte Verbindung zum alten Leben war gekappt. Danielle handelte rein instinktiv, ging zurück in die Kabine und stieg auf die geschlossene Toilette. Die Decke bestand aus rechteckigen Platten, die man nach oben drücken konnte. Sie schlug Schuhe und Jeans in ihr Shirt ein und schob es in den Zwischenraum. Eine kurze Überprüfung ließ sie zufrieden nicken. Von hier unten war nicht zu erkennen, dass jemand die Deckenplatten bewegt hatte. Damit war wenigstens ihre Kleidung in Sicherheit.

Wieder stand sie vor dem Spiegel.

Die Tränen kamen von allein.

Sie wollte nicht schwach sein, ihren Dad, die Heimleiterin und all die anderen nicht gewinnen lassen. Doch da war nichts zum Festhalten. Sie kämpfe einsam gegen die Welt. Was sollte sie tun? Wenn Rosalie – Queen R – ein Beispiel für das Verhalten aller hier war, konnte sie ein gemeinsames Vorgehen vergessen. Danielle musste sich vergegenwärtigen, dass eben nicht jeder ein Gefangener war.

Scheinbar handelte es sich um ein Eliteinternat, was einigen Schülern und Schülerinnen zweifellos zusagte. Wenn sie mit guten Noten abgingen, wartete das entsprechende Elitecollege. Sie schüttelte den Kopf. Es war totaler Unsinn von ihrem Dad gewesen, sie hier zu parken. In wenigen Monaten stand sowieso der Wechsel zum College an, den konnte er ihr unmöglich vermasseln. Zu diesem Zeitpunkt musste sie zurück nach Barrington Cove. Vielleicht spekulierte er darauf, dass der Rosenkrieg bis dahin vorbei war.

Immerhin musste er ihre Mum nur ausreichend destabilisieren, dann war ein Rückfall in die Alkoholabhängigkeit nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil, die Rückfallquote war hoch. Vermutlich reichte es aus, ein Glas Wodka auf den Tisch zu stellen und ihre Mum dazu zu zwingen, es zu trinken. Das würde jeden Fortschritt zerstören, den sie in der Entzugsklinik gemacht hatte.

Sie nahm eines der Handtücher auf, tupfte sich die tränennassen Augen trocken, streckte den Rücken durch. Die Fäuste vor Wut geballt, stürmte sie aus dem Bad, um Rosalie ordentlich die Meinung zu sagen.

Im nächsten Moment knallte sie wuchtig gegen jemanden und landete rücklings auf dem Boden. Hinter ihrer Stirn explodierte ein stechender Schmerz.

»Shit«, erklang eine fremde Stimme.

Danielles Wut kochte über. Den Schmerz ignorierend sprang sie auf.

*

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134 s. 7 illüstrasyon
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9783958342279
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