Kitabı oku: «Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus», sayfa 20
IL HYPERION, Alzir-System, 28. Januar 2266, 15:30 Uhr
»Nehmen Sie verdammt noch mal Ihre Finger weg!«
Es war die wütende Stimme von Doktor Irina Petrova, die Tess aufschrecken ließ. Verwirrt sah sie sich um. Sie weilte eindeutig noch unter den Lebenden, aber wie zur Hölle war sie auf der Krankenstation der HYPERION gelandet?
»Bleiben Sie liegen, Lieutenant, Ihr Körper hat viel mitgemacht und muss wieder zu Kräften kommen«, sagte Alpha 365.
»Aber wie …?«
»Sie fragen sich, wie Sie hierher gelangt sind und warum Sie noch leben?«
»Wie immer liegen Sie goldrichtig.«
»Während Sie auf der Kommandobrücke tätig waren, gelang es Lieutenant Fowler, ein Shuttle auf der Außenseite der Station an Ihre Position heranzufliegen. Die Quelle der radioaktiven Strahlung war ein Trümmerstück, das er mittels Traktorstrahlen fortzog, um dann durch eine Siegelschaum-Kapsel eine weitere Schicht abschirmenden Materials auf die Hülle aufzutragen. Das hat Ihnen die notwendigen Minuten ohne weitere Strahlenbelastung verschafft.
Als die Forts wieder aktiv wurden, brachen Sie zusammen. Ich habe Sie von der Kommandobrücke zur Krankenstation getragen. Da Ihr Zustand kritisch war, brachte ich Sie nach der rudimentären Erstversorgung hierher.«
»Ich danke Ihnen.«
»Ich versichere Ihnen, Lieutenant, dazu besteht kein Anlass. Jeder Offizier in diesem System verdankt sein Überleben Ihrer beherzten Tat.«
Tess wollte abwinken, konnte ihre Arme jedoch nicht bewegen. Ihr gesamter Körper fühlte sich bleischwer an. »Was ist mit Zev?«
»Sein Zustand ist mittlerweile stabil«, sagte Alpha 365. »Er wurde von einem medizinischen Notfallkreuzer abtransportiert und befindet sich auf dem Weg nach Kassiopeia. Dort wird ihm ein neues Bein gezüchtet, das alte war zu sehr geschädigt. Die Ärzte werden Ihnen das zweifellos genauer erklären können.«
Um sie herum wimmelte es von Paramedics und umherrennenden Ärzten; Verwundete überall, es stank nach Blut und Schweiß. »Was ist hier los?« Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie war so müde.
»Eines der fremden Schiffe hat absichtlich die Oberfläche von Pearl gerammt. Ich fürchte, man wird dem Planeten einen neuen Namen geben müssen, denn von seiner Schönheit ist nicht viel geblieben.
Ein nuklearer Winter ist über die Welt hereingebrochen.«
»All die Menschen …«
»Die Todeszahlen gehen in die Millionen.« Alpha 365 schluckte sichtbar, zeigte ansonsten aber keine Regung. »Jedes verbliebene Schiff hilft bei der Evakuierung. Mittlerweile sind zwei medizinische Notfallkreuzer eingetroffen, und die Admiralität hat eine Flotte aus Hilfsschiffen entsandt, die in der Nähe des Systems im Einsatz waren.«
»Jetzt lassen Sie mich verdammt noch mal helfen!« Doktor Petrovas Stimme hallte erneut an Tess' Ohr. »Sie brauchen jeden Arzt, und mir geht es gut. Das bisschen Strahlung steckt mein Körper weg. Ich hab schon ganz andere Dinge hinter mir!«
»War Doktor Petrova nicht auf Pearl?«
»Ja«, bestätigte Alpha 365. »Sie und Doktor Tauser erreichten rechtzeitig einen Bunker. Bis auf zwei Offiziere aus der Schadenskontrolle haben all unsere Crewmitglieder am Boden überlebt.
Hier an Bord sieht es da ganz anders aus. Die Admiralität wird Ersatz hierher beordern müssen.«
»Weiß man mittlerweile, wer uns angegriffen hat?«
Alpha 365 verneinte kopfschüttelnd. »Allerdings hält das die Presse nicht davon ab, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Aus irgendeinem Grund sind sich alle einig, dass die Parliden dahinterstecken. Eine Theorie, die meiner Meinung nach auf keinerlei logischer Annahme fußt.«
»Ich glaube nicht, dass die Menschen momentan für Logik empfänglich sind.«
»In der Tat sieht es nicht so aus. Die ersten Bilder der Oberfläche von Pearl haben irgendwie den Weg ins Galaktische Netz gefunden und sogar Aufnahmen von Verwundeten kursieren.«
»Die Menge schreit nach Blut.«
Alpha 365 hob eine Augenbraue. »Das ist richtig, Lieutenant. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, vermag daraus interessante Informationen zu extrahieren.« Der Sicherheitschef bedachte sie mit einem durchdringenden Blick, und Tess war, als könne er bis auf den Grund ihrer Seele sehen. »Ich habe noch eine Nachricht von Commander Buckshaw für Sie.«
»So?«
»Ich soll Ihnen folgende Worte ausrichten: Ich dich auch.«
»Hören Sie …«
»Der Commander sah mich wohl bereits, als Sie ihn gerade betäubten, und wusste daher, dass ich alles mit angehört habe.« Alpha 365 erhob sich. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben alle unsere kleinen Geheimnisse. Eine Beziehung zwischen einem Commander und einem Lieutenant, die nicht an Bord des selben Schiffes dienen, stellt kein Sicherheitsrisiko dar. Ich werde schweigen.«
»Danke.«
»Ruhen Sie sich aus.« Er verabschiedete sich und ging hinaus.
Tess ließ ihren Geist treiben, entspannte sich. Sie fühlte keine Schmerzen. Kurz bevor sie in die Bewusstlosigkeit glitt, ließ sie ihren Blick durch die Krankenstation schweifen. Sie hätte den Alpha gerne noch gefragt, warum Lieutenant Bruce Walker auf einem der Krankenbetten lag, doch der Gedanke entschwand ihr. Die Müdigkeit umfing sie wie eine wärmende Decke, die alles andere verdrängte.
*
NOVA-Station, Alzir-System, 2. Februar 2266, 15:30 Uhr
»Ich wünsche Ihnen einen guten Flug, Captain«, sagte Ivo Coen. »Und grüßen Sie die Admiralität von mir.«
Jayden erwiderte den Gruß, bevor er die Verbindung beendete. Er beneidete den Kommandanten nicht, der den weiteren Verlauf der Evakuierung überwachen musste. Mittlerweile waren Schiffe eingetroffen, die die Verwundeten von der HYPERION übernommen hatten und tatkräftig mithalfen, die letzten Menschen von Pearl zu evakuieren. Ivo Coen hatte seine Frau und beide Söhne verloren, was den jungen Captain um Jahre hatte altern lassen.
Die Schlacht um NOVA-Station würde zweifellos ihren Platz in den Geschichtsbüchern finden. Zu seinem Entsetzen hatte Jayden festgestellt, dass die Nachrichten ihn zur Ikone dieses Kampfes stilisierten, und das völlig zu Unrecht. Der Held von Tikara II hatte erneut bewiesen, dass Mut und Ehre in der Flotte noch etwas gelten, als er die mutmaßlichen Parlidenschiffe zerstörte, die das Leben so vieler bedrohten. Ihm wurde ganz schlecht, als er an diese Aussage eines Reporters dachte. Dass er eines der Schiffe nicht hatte aufhalten können, wurde nicht ihm zur Last gelegt, sondern der schlampig aufgebauten Flotte von Systemkommandant Harris, der in der Schlacht gefallen war und sich daher auch nicht verteidigen konnte. Und Ivo Coen, der das System heldenhaft verteidigt hatte, wurde mit keiner Silbe erwähnt; genauso wenig wie all die anderen. Wenn das so weiterging, würde jeder Captain in der Flotte Jayden bald hassen.
»Wie ist unser Status?«, fragte Jayden seine I.O. Es gefiel ihm nicht, dass die HYPERION abberufen wurde. Er hätte Captain Coen gerne dabei geholfen, die Evakuierung abzuschließen und die Infrastruktur des Systems wieder aufzubauen. Doch die Admiralität hatte andere Pläne.
»Der Schaden am Phasenfunk-Modul konnte durch den Materialnachschub der Hilfsschiffe behoben werden«, sagte Ishida, nachdem sie ihre Konsole zu Rate gezogen hatte. »Das Erholungsdeck ist vollständig zerstört, die Hälfte unserer Torpedoschächte ist nicht mehr zu gebrauchen und die Laserkristalle sind allesamt ausgebrannt. Zudem sind mehrere Stationen unterbesetzt. Wir sollten uns keinen weiteren Kampf mehr erlauben, bis wir die heimatliche Werft besucht haben.«
Ein übermüdet wirkender Admiral Sjöberg hatte sich vor wenigen Stunden gemeldet und die HYPERION ins Sol-System zurückbeordert. Dort sollte das Schiff in den kommenden Monaten vollständig instand gesetzt werden. Der Admiral hatte ferner angedeutet, dass es beunruhigende Neuigkeiten gab, die die Admiralität und die Regierung zurzeit beschäftigten. Diesbezüglich wollte er persönlich mit Jayden sprechen, sobald der Interlink-Kreuzer das Sol-System erreichte.
Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl dabei, dachte er. »Lieutenant McCall, senden Sie der Systemüberwachung unseren Abflugvektor. Lieutenant Task, berechnen Sie einen Kurs und bringen Sie uns auf Interlink.« Beide Offiziere bestätigten den Befehl. »Ich bin in meinem Bereitschaftsraum.«
*
Alpha 365 sank in den Konturensessel. »Sir, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sich mein Verdacht bestätigt hat.«
Für einige Augenblicke hatte Jayden keine Ahnung, wovon der Sicherheitschef des Schiffes eigentlich sprach, dann erinnerte er sich. »Sie sprechen von Ihrer Theorie, dass es einen Verräter an Bord gibt?«
Alpha 365 bejahte. »Nachdem wir die Schlacht überstanden hatten, wollte ich mir die Sensorlogbücher noch einmal anschauen. Im Verlauf unseres Fluges nach NOVA erfassten die Sensoren eines der fremden Schiffe, um genau zu sein: den Duspanit-Anteil der Hülle. Entgegen der Vorgabe durch die implementierten Algorithmen verlangte das System jedoch keine Bestätigung von Lieutenant Kensington, sondern stufte die Signatur – fehlerhaft – als Asteroiden ein.«
»Was haben Sie entdeckt?«
»An den Sensoraufzeichnungen nichts, denn die wurden gelöscht. Jemand gab sich große Mühe, dies als Ergebnis der Beschädigung hinzustellen, die wir im Verlauf der Schlacht davontrugen. Dem ist jedoch nicht so. Ich kann noch nicht sagen, wer sich an den Aufzeichnungen zu schaffen gemacht hat, doch es ist ihm gelungen, sogar die Backups aus dem gesicherten Speicher zu löschen. Mein Verdacht richtet sich aktuell auf ein Mitglied der Kommandobrückencrew.«
»Ich weiß, dass ich mich wiederhole, aber das ergibt einfach keinen Sinn.« Jayden rieb sich müde die Augen.
»Sie irren sich, Sir. Es macht durchaus Sinn. Die angreifenden Raumer wollten zweifellos das zweite Fraktal, das wir beim Einflug noch bei uns führten.«
»Wie kommen Sie darauf? Vielleicht wollten die einfach nur, dass es keine Zeugen gibt und haben der PI-RA daher nachgesetzt.«
»Ich fürchte, dem ist nicht so. Kurz bevor zwei der Angreifer das rentalianische Schiff verfolgten, ging ein Phasenfunksignal von der HYPERION aus. Ziel war eines der feindlichen Raumschiffe. Zumindest diese Informationen konnte ich rekonstruieren.«
»Das ergibt trotzdem keinen Sinn!« Jayden schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. »Wenn Ihre Theorie zutrifft, müssten diese Schiffe uns irgendwie bis zur NOVA-Station verfolgt haben. Der Raumer, der den Angriff ausgelöst hat, muss jedoch schon vor Monaten auf Unterlicht zu NOVA geflogen sein. Eine Transition hätte man geortet, und auch ein Schiff unter Vollschub wäre den Plattformen nicht entgangen. Wir wussten aber selbst bis vor wenigen Tagen nicht, dass wir hierher beordert werden würden. Das hat die Admiralität erst nachträglich entschieden.«
Alpha 365 neigte den Kopf zur Seite. »Es macht keinen Sinn, weil wir bisher nicht über genügend Informationen verfügen. Ich habe auf Ihre Fragen also auch keine Antwort. Doch ich bin überzeugt davon, dass wir diese durchaus erhalten können. Meiner Meinung nach haben die 'Artefaktjäger' jemanden in unsere Crew eingeschleust. Wenn wir diese Person enttarnen, werden wir Antworten bekommen.« Er unterbreitete Jayden einen Plan, mit dem er den Verräter aus dem Schatten zerren wollte.
»Ich lasse Ihnen dabei freie Hand«, sagte Jayden, nachdem er in Ruhe darüber nachgedacht hatte. »Aber wenn Sie recht haben, will ich diesen Schweinehund, bevor wir die Erde erreichen. Egal wie, machen Sie es möglich. Der oder die Unbekannte hat die HYPERION ebenso verraten wie die gesamte Erde. Ich habe von Sabotage, versteckten Signalen und ausfallenden Systemen die Nase voll!«
Alpha 365 erhob sich. »Ich werde tun, was ich kann, Sir.«
Damit verließ der Sicherheitschef den Bereitschaftsraum. Jayden nippte an seinem Vitamincocktail, bei dem er dieses Mal den Koffein-Zusatz weggelassen hatte. Er würde noch einige Dinge erledigen und sich danach in sein Quartier begeben, um eine Menge Schlaf nachzuholen.
Es gab also tatsächlich einen Verräter an Bord. Jemanden, der gegen die Interessen der Menschheit arbeitete, der die HYPERION auf der einen Seite beschützte, wie es im Elnath-System und bei der Verfolgung des rentalianischen Schiffs im Parlidenraum geschehen war, auf der anderen Seite aber kalt lächelnd den Tod unzähliger Leben in Kauf nahm.
Jayden schüttelte den Kopf und vertrieb die Gedanken. Momentan konnte er nichts tun, musste abwarten, wie der Sicherheitschef weiter vorging.
Er aktivierte das interne Komm-System. »Cross an Kommandobrücke.«
»Ishida hier, was kann ich für Sie tun, Captain?«
»Schicken Sie bitte Lieutenant Kensington in meinen Raum.«
»Aye, Sir.«
Er beendete die Verbindung.
Nur Sekunden später ertönte ein weicher Dreiklang, der einen Besucher ankündigte. Jayden gab den Zugang frei, worauf Lieutenant Tess Kensington seinen Raum betrat.
»Sie wollten mich sprechen, Sir?«
Die Ortungsoffizierin mit den langen blonden Haaren wirkte müde und angeschlagen, hielt sich jedoch kerzengerade und hatte vor einigen Stunden darauf bestanden, wieder ihren Dienst aufzunehmen.
Er bedeutete ihr, Platz zu nehmen. »Lieutenant, es scheint so, als hätten Sie uns erneut alle gerettet.«
»Bitte fangen Sie nicht auch noch an, Sir.« Kensington verzog abschätzig die Mundwinkel. »Ich habe einfach reagiert. Wenn mich noch jemand auf dem Gang stoppt, um mir zu gratulieren und sich zu bedanken, beantrage ich eine Versetzung.«
»Willkommen im Club, Lieutenant«, sagte Jayden grinsend. »So erging es mir ebenfalls, als ich Tikara II verteidigt hatte. Waren Sie nicht eine der Personen, die mir persönlich gratuliert hatten?«
Kensington wurde rot. »Das war etwas ganz anderes, Sir.«
»Nein, das war es nicht«, sagte Jayden sanft. »Sie haben Großartiges geleistet und zahlreiche Menschenleben gerettet – Offiziere wie Zivilisten. Es wird Sie niemand bestrafen, wenn Sie dieses Gefühl genießen. Und lassen Sie den Leuten ihre Dankbarkeit, sie brauchen das.«
»Ich hätte nicht gedacht, Derartiges aus Ihrem Mund zu hören, Sir. Das klingt eher nach den Worten eines Psychologen.«
»Also, nun ja.« Für einige Sekunden wusste Jayden nicht, was er darauf erwidern sollte. Er beschloss, es mit der Wahrheit zu versuchen. »Bedanken Sie sich bei Doktor Tauser. Der musste mir damals den Kopf waschen. Ich habe mir seine kleine Ansprache gemerkt und hielt sie hier für angebracht.«
Kensington grinste über das ganze Gesicht. »Wenn das so ist, werde ich den Rat des guten Doktors beherzigen.«
»Ausgezeichnet. Womit wir nur noch eine Sache zu erledigen hätten, bevor Sie Ihren Dienst wieder antreten können, Commander.«
Kensington blickte fragend zu ihm auf und begriff erst einige Sekunden später, was er soeben gesagt hatte. »Das ist nicht Ihr Ernst.« Sie vergaß sogar das ‚Sir‘, was Jayden jedoch eher genoss als kritisierte. Innerlich musste er grinsen. Hatte er auch so ausgesehen, als Admiral Sjöberg ihm von seiner Beförderung berichtet hatte?
»Bei einer solchen Sache würde ich niemals scherzen.« Er holte ein kleines Kästchen aus der Schublade, in dem sich die zusätzlichen Rangabzeichen befanden, und schob es ihr zu. »Ich gratuliere, Lieutenant Commander Kensington. Sie haben es sich verdient.«
Einige Sekunden saß die junge Offizierin einfach nur da und starrte auf das Behältnis. »Sir, ich glaube wirklich nicht …«
»Lassen Sie es gut sein, Commander. Ich habe sorgfältig darüber nachgedacht, bevor ich der Admiralität diese Beförderung vorschlug. Admiral Sjöberg hat durchblicken lassen, dass es keine Gegenstimme im Kontrollgremium gab. Das sollte Ihnen eine Menge sagen.« Sie klappte den Mund wieder zu. »Und jetzt nehmen Sie Ihre neuen Rangabzeichen und gönnen Sie mir etwas Ruhe.«
»Natürlich.« Kensington sprang auf. »Also … ich … Danke, Sir.«
Ein wenig verdattert wandte sie sich um und stürmte förmlich aus dem Raum. Es war ein Wunder, dass sie dabei nicht gegen eine der Wände lief. Jayden grinste vergnügt, nachdem sie seinen Raum verlassen hatte. Wenigstens ein freudiges Ereignis, nach all diesem Chaos, dem Tod und der Zerstörung.
Jetzt würde er Janis noch einen kleinen Besuch abstatten, und danach wollte er nur noch eines: schlafen.
*
Als sich das Schott zu seinem persönlichen Quartier hinter ihm schloss, hielt Alpha 365 inne und ließ die vergangenen Ereignisse vor seinem geistigen Auge erneut ablaufen. Sein eidetisches Gedächtnis und der detektivische Spürsinn, beides Teil der psychischen Konditionierung von genetischen Offizieren der Alpha-Klasse, vereinfachten dies ungemein.
Bevor er sich um den Verräter kümmerte, galt es noch, etwas anderes zu erledigen. Er rief die Erinnerung an Lieutenant Bruce Walker ab, der aktuell auf der Krankenstation der HYPERION im künstlichen Koma lag. Alpha 365 hatte seine ganze Autorität in die Waagschale geworfen und es schließlich geschafft, dass sie den Offizier mit zur Erde nehmen durften.
Er erinnerte sich an das bleiche Gesicht, die Blutlache unter dem Körper, das Zittern in der Stimme. Aus der Vergangenheit seiner Erinnerung drangen die Worte an sein Ohr: »Sie schauen in die falsche Richtung.«
Alpha 365 ließ sein Unterbewusstsein arbeiten, während er an sein digitales Dashboard trat. Verknüpfungen entstanden in seinem Geist, Informationen fügten sich zusammen, die Knoten eines Netzes verwoben sich. Er begann damit, sie aufzuzeichnen.
Da war die HYPERION mitsamt ihrer Crew. Er betrachtete dieses Element von allen Seiten. Nein, es reichte nicht aus. Er begann damit, die Offiziere aufzuschlüsseln. Sein Instinkt sprach an, wollte ihn auf etwas aufmerksam machen. Warum genau diese Crew?
Cross, ein Held, Mittelpunkt des medialen Interesses. Ishida, Erzfeindin von Admiral Michalew. Kensington, die durch den Tod ihrer Eltern den Großteil ihres Lebens auf Tikara II verbracht hatte. Akoskin, in dessen Vergangenheit es nahezu nichts Auffälliges gab. McCall, die mit Bestnoten die Akademie abgeschlossen hatte, aber so schüchtern und introvertiert war, dass ihr niemand eine große Karriere voraussagte. Task, der die Aufnahmeprüfung in die Akademie erst beim dritten Anlauf geschafft und den Abschluss nur mit Mühe und Not hinter sich gebracht hatte, der nahezu unsichtbar war. Was machte ein Offizier wie er auf der HYPERION?
Alpha 365 trat einen Schritt zurück und besah sich das winzige Netz, das er aufgezeichnet hatte. Von der ersten Mission der HYPERION an hatte ihm sein Unterbewusstsein etwas zu sagen versucht.
Etwas stimmt nicht.
Er begann damit, ein leeres Feld anzulegen, das den Verräter darstellen sollte. Wie war dieser mit alldem verbunden?
Als Nächstes zeichnete er jene Admiräle ein, die in direkter Verbindung zur Crew standen. Da war Michalew, der Hardliner. Sjöberg und Jansen, die Unterstützer. Pendergast, die bei der Ernennung einiger Offiziere ihre Hand im Spiel gehabt hatte.
Er verband die Linien, verstand jedoch noch immer nicht. Was hatte Walker ihm zu sagen versucht?
Sie schauen in die falsche Richtung.
Alpha 365 zeichnete die beiden Artefakte ein und zog eine Linie zu dem Verräter. Dann fügte er die Parliden hinzu, die irgendwie mit den Fraktalen verbunden waren. Das Netz wurde dichter, doch noch immer konnte er den Hinweis von Walker nicht deuten.
Worauf habe ich bisher geschaut?, fragte er sich und analysierte das Bild.
Er verwendete die Löschfunktion und entfernte den Verräter und die Artefakte sowie die Parliden wieder aus dem Bild. Walker hatte ihm keinen Hinweis darauf geben wollen, es war um etwas anderes gegangen: seine Verwicklung in die Manipulation des Torpedos und den Mordversuch an ihm. Jemand hatte einen Killer geschickt. Die Frau in der Arrestzelle, die Frau mit den tiefblauen Augen, hatte versucht, Walker umzubringen. Natürlich hatte er sie an ihren tiefblauen Augen erkannt. Sie war eine Auftragskillerin des Ketaria-Bundes. Er hatte im Chaos nach dem Kampf nur schwer Ermittlungen anstellen können, wusste nicht, wann und wie sie auf die Station gelangt war.
Doch viel wichtiger erschien ihm momentan die Frage, auf wessen Befehl hin sie das Attentat durchgeführt hatte? Wie hing alles zusammen? Die Crew, die Manipulationen, die Aktionen und Reaktionen?
Michalew hatte den Auftrag für die Tötung gegeben, davon zumindest ging Alpha 365 aus. Doch warum? Weil er keine andere Wahl gehabt hatte, musste er doch das Versagen seines Mannes an Bord vertuschen. Andernfalls kam heraus, dass er versucht hatte, Ishida zu diskreditieren.
Erstmals zog Alpha 365 in Betracht, dass es nicht Walker gewesen war. In diesem Fall hätte Michalew trotzdem keine Wahl gehabt, nachdem man es seinem Mann in die Schuhe geschoben hatte. Dann wäre ein anderer verantwortlich, der eine Reaktion provozieren wollte. Oder der- oder diejenige hatte Ishida schützen wollen. Beides war möglich. Und in beiden Fällen hatte es erneut nur aus einem Grund zu dieser Situation kommen können. Sein Blick fiel auf das kleine Netz, das die Kommandobrückenoffiziere der HYPERION darstellte.
Und dann begriff er.
Mit schmerzhafter Klarheit besah er sich das Bild, dessen Fragmente sich wie von Geisterhand in seinem Geist zusammenfügten. Jetzt sah er das Gesamtbild, verstand die Zusammenhänge.
Ich habe in die falsche Richtung geschaut, das haben wir alle.
Die Tragweite seiner Entdeckung ließ ihn innehalten – seine Gedanken rasten.
Nach einigen Sekunden verwendete er die Löschfunktion und entfernte die Elemente von der elektronischen Tafel. Da die Verbindung zum Galaktischen Netz wieder bestand, aktivierte er einen Nachrichtenkanal. Noch immer war die Schlacht um NOVA-Station Gesprächsthema Nummer eins. Als hätte ihm jemand eine Binde vor den Augen fortgezogen, las er zwischen den Zeilen. Das Ergebnis war ernüchternd: Er kam zu spät. Ein Eingreifen seinerseits kam nicht mehr infrage. Also blieb nur die zweite Option: Er musste Vorbereitungen treffen.
Alpha 365 deaktivierte den Nachrichten-Feed und machte sich ans Werk.
*
Legat 2 saß in seinem persönlichen Quartier und zappte durch die Nachrichtenkanäle. Der letzte Dominostein fiel. Die Reporter stilisierten Cross zum Helden und verdammten die Parliden, die mit dem Angriff auf NOVA doch gar nichts zu tun gehabt hatten; das waren seine Leute gewesen.
Vor wenigen Minuten war die Bestätigung eingegangen. Die Computerviren, die die Verfolgerschiffe im letzten Moment in den Kern des rentalianischen Schiffes PI-RA-SO-MA-FE hatten überspielen können, hatten dem Navigator einen falschen Kurs vorgegaukelt, während die Rentalianer in Wahrheit mitten in einen Hinterhalt geflogen waren. Gleiches galt für das menschliche Schiff, das das erste Fraktal zu einer geheimen Station hatte bringen wollen. Damit befanden sich alle Teile des Artefaktes endlich in ihrem Besitz – auch wenn noch keiner etwas davon ahnte.
Die nächste Phase konnte beginnen – und das musste sie auch. Jener Mensch, der alles verändern würde, leitete die letzten Schritte ein. Mit anderen Worten: Die Lawine rollte. Legat 2 seufzte. Damit war seine Zeit an Bord der HYPERION vorbei. Alpha 365 war wie ein Hai – wenn er einmal Blut witterte, wurde man ihn nicht mehr los. Natürlich hatte Legat 2 ein paar falsche Spuren gelegt, doch die konnten dem gezüchteten Soldaten nicht lange standhalten.
Das Artefakt war also in seiner Hand, alle Spuren auf seine wahre Identität beseitigt und seiner Flucht stand nichts im Wege. Zugegeben, es fiel ihm schwer zu gehen. Gerade fühlte er sich heimisch an Bord des Interlink-Kreuzers. Der Chip von Captain Cross war erfolgreich manipuliert worden, die Fraktale konnten geborgen werden, NOVA-Station war fast vollständig zerstört – aber wie geplant nicht ganz –, und Pearl würde so schnell niemand mehr besiedeln. Was blieb also noch zu tun? Sollte er es wagen und den Flug zur Erde mitmachen oder vorher verschwinden?
Legat 2 aktivierte seinen Monitor und betrachtete die Kamera-Feeds der persönlichen Quartiere eines jeden Kommandobrückenoffiziers. Er wusste alles über sie, kannte all ihre kleinen Geheimnisse und jeder besaß eines. Für einige Sekunden bekam er Mitleid. Sollte er sie warnen? Sollte er ihnen mitteilen, was sie erwartete? Dass sie auf keinen Fall zurück zur Erde fliegen durften? Er zögerte, schüttelte dann jedoch den Kopf und deaktivierte den Kamera-Feed.
Eine Flucht musst geplant werden.
*