Kitabı oku: «Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus», sayfa 5
Vier Stunden später
»Wir haben die Servo-Suits mit einem regenerativen Nano-Polymer überzogen. Die Marines werden für einige Stunden vor jeglicher bekannten Strahlung am Boden geschützt sein. Ich empfehle jedoch, den Aufenthalt auf maximal eine Stunde zu beschränken«, sagte Lieutenant Commander Lorencia.
Neben ihr stand Doktor Petrova, die Arme im Rücken verschränkt. »Mir gefällt das Ganze noch immer nicht. Aber Sie kennen meine Bedanken ja bereits.«
»Die kenne ich, Doktor. Und ich bin für andere Vorschläge offen.« Jayden fixierte die resolute Ärztin. »Wir müssen so schnell wie möglich aus diesem System verschwinden. Es steht außer Frage, dass wir das Artefakt dabei nicht zurücklassen können. Früher oder später werden wir Risiken eingehen müssen. Und diese Anzugsbeschichtung scheint mir ein guter Ansatz.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich so direkt bin, Sir, aber ohne ausreichende Tests könnte diese Legierung sich als hübscher, aber völlig unnützer Lack erweisen.« Doktor Petrova funkelte ihn an. »Ich kann meine Hand für die Unversehrtheit der Marines nicht ins Feuer legen.«
»Es bleibt ein nicht zu unterschätzendes Risiko«, sagte seine L.I. Auch sie wirkte nicht gerade glücklich. »Wir konnten die von unseren Satelliten angemessene Strahlung begrenzt neutralisieren. Sollte dort unten aber irgendetwas sein, dass wir noch nicht kennen und das in Wechselwirkung mit der Strahlung tritt oder auf eine ganz andere Art funktioniert, wird die Legierung nicht viel nutzen.«
»Das ist mir bewusst«, sagte Jayden. »Doch uns bleibt keine Wahl. Ich werde es jedem Marine freistellen, ob er an der Mission teilnimmt.«
Lorencia lachte auf.
Auf seinen fragenden Blick sagte sie: »Sir, wir sprechen hier von Marines. Die meisten kennen lediglich das Wort ›Ehre‹. Keiner von ihnen wird den Einsatz ablehnen. Sie haben viel zu viel Angst, von ihren Kameraden als Feiglinge abgestempelt zu werden.«
»Das mag sein, ist jedoch nichts Neues. Und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Grundsatzdiskussionen zu führen.« Er wandte sich direkt an seine L.I. »Versehen sie die Servo-Suits mit der Legierung. Commander Ishida wird den Einsatz von der Kommandobrücke aus überwachen. Doktor Petrova, ich begleite Sie auf die Krankenstation. Wie ich hörte, gibt es Neuigkeiten.«
Mit diesen Worten machte er sich auf, den Maschinenraum zu verlassen. Die Chefärztin folgte schweigend, während von seiner L.I. ein gemurmeltes »Aye, Sir« zu hören war.
*
Ein Vibrieren auf seinem linken Handrücken ließ Jayden aufmerken. Die Displayfolie war normalerweise nicht zu spüren. Nur wenn wichtige Nachrichten von der K.I. oder einem anderen Offizier seines Interesses bedurften, machte sie sich bemerkbar.
Mit einem Wischen des rechten Zeigefingers rief er die eingegangene Nachricht ab. Sie stammte von Commander Ishida.
»Wichtige Neuigkeiten?« Doktor Petrova nahm gerade die letzte Eingabe am Stasetank vor.
Nach dem Abschluss der Einsatzbesprechung hatte sich Jayden auf die Bitte von Doktor Petrova hin auf die Krankenstation begeben. »Die Marines sind auf dem Weg zur Oberfläche. Bald können wir erste Nahbereichsscans des Objekts durchführen. Wie geht es mit Lieutenant Larik voran?«
»Sehen Sie hier.« Doktor Petrova deutete auf die 3-D-Holografie, die sich in einem Holotank drehte. Sie zeigte das Gehirn von Larik. »Das Aderngeflecht ist, wie sie hier sehen können, blau eingefärbt, die Medulla grau und der Cortex weiß. Das umgebende ektodermale Gewebe ist dieser gelbe Bereich. Ein Tiefenscan hat ergeben, dass in der ektodermalen Struktur von Lieutenant Larik eine dysplastische-blastomatöse Entwicklungsstörung gewachsen ist.«
»In verständlicher Sprache bitte, Doktor.«
Petrova runzelte die Stirn, verzichtete aber auf einen entsprechenden Kommentar. »Natürlich. Ich konnte mittlerweile eine Autopsie von Captain Bowman durchführen. Kurz vor deren Tod kam es zu einem rapiden neurologischen Verfall. Ihre Nervenbahnen haben sich destabilisiert. Es sieht fast so aus, als hätte etwas versucht, Teile ihres Gehirns umzustrukturieren.«
»Aber wie zur Hölle ist so etwas möglich?« Wütend schlug er mit der Faust auf den unteren Teil des Holotanks, den Holodesk, worauf die Holografie kurz waberte, sich dann aber unbekümmert weiter drehte. »Alpha 365 hat den optischen Datenstrom des Sicherheitskanals ausgewertet. Viel ist leider nicht mehr übrig. Aber wir können ziemlich sicher sagen, dass niemand an Bord kam.«
»Ich gehe auch nicht davon aus, dass es ein Lebewesen in unserem Sinne war. Eher ein Virus. Eine biologische Waffe oder Ähnliches.«
»Die Biofilter der PROTECTOR verzeichneten keinerlei bekannte oder unbekannte Erreger. Ein Nano-Erreger kann unmöglich in die Schiffsatmosphäre gelangt sein.«
»Was auch immer geschah – und vielleicht irre ich mich auch, was die Natur des Problems angeht -, Lieutenant Larik hat nur aus einem einzigen Grund überlebt: Er ist Marsianer.«
»Auf diese Erklärung bin ich gespannt.«
»Die Physiologie der Marsianer unterscheidet sich grundlegend von unserer. Ich muss hierfür kurz ausholen und auf geschichtliche Fakten zurückgreifen.« Erst als Jayden ihren fragenden Blick mit einem Nicken beantwortete, fuhr Petrova fort: »Als der Mars besiedelt wurde, steckte die Raumfahrt noch in den Kinderschuhen. Als die erste Abhängigkeit zur Erde überwunden war und die Biosphärenkuppeln standen, wollte der Mars seine Freiheit.«
»Sie spielen auf die Freeman-Diktatur an?«
Petrova nickte. »Er übernahm die Kolonie, isolierte sie von der Erde und errichtete seine Diktatur. Bedenken Sie, das war im Jahre 2064. Trotzdem ist er uns heute noch als einer der furchtbarsten Diktatoren bekannt. Warum?«
»Die genetischen Experimente.« Jayden fixierte das 3D-Hologramm. »Ist Larik ein Nachfahre der Verlorenen Kinder?«
Petrova nickte. »Freeman ließ keiner Frau auf dem Mars eine Wahl. Riesige Zentren zur künstlichen Befruchtung wurden aufgebaut, und Sie wissen, dass er die Föten während der Schwangerschaft seinen furchtbaren Experimenten unterzog. Als die Kinder geboren wurden, nahm er sie den Eltern weg, um sie isoliert aufwachsen zu lassen und zu beobachten.«
»Ich habe alte 3D-Dokumentationen gesehen.« Eine Gänsehaut überzog seine Arme. »Als die ersten Befreiungstruppen landeten, sah es richtig übel aus. Seine Getreuen nahmen sich das Leben, die Datenbanken wurden gelöscht. Die meisten der Kinder verschwanden spurlos. Selbst als die Erdregierung den Zwang zur DNA-Speicherung einführte, gelang es den Mistkerlen, die überlebt hatten, sie zu verstecken.«
»Oder sie wurden umgebracht, damit die Loyalität ihrer ‚Eltern‘ zum alten Regime nicht offenbar wurde. Ein grausames Kapitel der menschlichen Geschichte. Eines von vielen. Aber für den vorliegenden Fall von eklatanter Bedeutung. Lieutenant Larik ist definitiv Nachfahre eines Verlorenen Kindes. Aufgrund dieser Tatsache konnte er überleben. Während dieser unbekannte Virus – oder was auch immer es war – bei der übrigen Besatzung im Hirn wütete, konnte es das bei unserem Lieutenant nicht. Stattdessen setzte eine Wucherung des ektodermalen Gewebes ein. Die Viren stürzten sich darauf und wurden davon eingeschlossen – in einfachen Worten ausgedrückt.«
Jayden riss die Augen auf. »Sie wollen damit sagen, dass diese vielen roten Markierungen Wucherungen sind?«
Petrova nickte. »Die ihn retteten. Leider hätten sie ihn auch beinahe getötet. Ich habe versucht, meinerseits programmierte Naniten einzuschleusen, die die Wucherungen wieder beseitigen. Leider hat dies zu weiteren Wucherungen geführt.«
»Wird er sterben?«
»Das wird er nicht«, sagte Petrova entschlossen. »Wissen Sie, es gab eine Zeit, in der in der Medizin noch keine Nano-Technik eingesetzt wurde. Man verwendete Laser, um den Körper des Patienten zu öffnen und die Probleme händisch zu beseitigen.«
»Eine steinzeitliche Methode.«
»In der Tat. Aber im vorliegenden Fall die einzige Option.«
»Sie wollen seinen Kopf aufschneiden!« Jayden konnte es kaum glauben. »Es muss eine andere Möglichkeit geben, Doktor. Diese Methoden sind nicht nur veraltet, sie führten auch oftmals zum Tod des Patienten.«
»Was Sie nicht sagen. Ich lerne doch immer wieder gerne hinzu.« Sie schenkte ihm einen grimmigen Blick. »Aber weitere Diskussionen sind nicht notwendig. Die Operation ist bereits durchgeführt«, sagte die Ärztin. Auf eine Berührung der 3D-Holografie wurde das Abbild von Larik aktualisiert. »Wie Sie sehen, konnte ich alle Wucherungen beseitigen.«
Jayden wollte sich lieber nicht ausmalen, wie diese Prozedur vonstattengegangen war. Andererseits war Doktor Petrova – wie sie dadurch bewiesen hatte – eine fähige Ärztin. Larik war am Leben.
»Der Stasetank hat die Heilung von Haut und Gewebe durch Bestrahlung abgeschlossen. Er wird gleich erwachen.«
Ein Schritt brachte Jayden an den Stasetank heran. Der Kopf von Larik war kahl, ansonsten merkte man ihm den Eingriff nicht an. Was würde der Marsianer ihnen erzählen?
*
Nach und nach sprangen die Anzeigen auf grün. Der Stasetank führte die Erweckungsprozedur durch. Jayden fühlte das wohlbekannte Jucken auf seinem rechten Handrücken. Das vernarbte Gewebe machte sich bemerkbar, wie immer vor wichtigen Ereignissen.
»Alle Werte sind stabil«, sagte Doktor Petrova. »Das sieht gut aus.«
Mit einem Zischen öffnete sich das Schott zur Krankenstation und Doktor Tauser trat ein. Der Schiffspsychologe sollte dabei sein, wenn Lieutenant Larik die Augen aufschlug. Danach würde er die psychologische Betreuung übernehmen.
»Jay«, grüßte er den Captain mit einem Nicken.
Da sie beide sich von Kindesbeinen an kannten, hatte Jayden schnell darauf verzichtet, gegenüber Janis das Protokoll einzuhalten. Immerhin war das sein Schiff, da nahm er sich eine solche Freiheit heraus.
»Doktor Tauser, Sie kommen gerade richtig«, sagte Petrova, nachdem auch sie den Psychologen begrüßt hatte. »In einigen Augenblicken werden wir hoffentlich wissen, was dieses Debakel auf der PROTECTOR ausgelöst hat.«
»Bitte bedenken Sie, was Lieutenant Larik erlebt haben muss.« Janis warf einen Blick auf den Marsianer, in dessen Gesicht langsam die Farbe zurückkehrte. »Es würde mich wundern, wenn es so einfach wird.«
»Pessimist«, sagte Jayden.
»Realist«, konterte Janis. »Aber wir werden es ja gleich wissen.«
Mit einem weichen Surren fuhr die Verkleidung des Stasetanks in die Wand. Während Doktor Petrova die Anzeigen des Tanks im Auge behielt, stand ein Paramedic mit einer mobilen Medikamenteneinheit bereit.
Zuerst stieß Larik ein Keuchen aus, dann flatterten seine Lider. Er öffnete die Augen. Gehetzt blickte er auf Doktor Petrova, die den Scanner wegnahm und ein Lächeln aufsetzte.
»Sie sind in Sicherheit«, begann Janis mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Sie befinden sich an Bord der HYPERION. Dies ist die Krankenstation.«
Es bereitete dem Lieutenant sichtlich Schwierigkeiten, eine Panik zu unterdrücken. »In Sicherheit? Fliegen wir ins SOL-System?«
Jetzt war es an Jayden, in das Gespräch einzugreifen. »Ich bin Captain Cross, Lieutenant. Die HYPERION hat den Kurs der PROTECTOR zurückverfolgt. Wir befinden uns im Elnath-System und sind auf ein unbekanntes Artefakt gestoßen.«
»Beim Roten Schöpfer.« Der Lieutenant schlang die Arme um seinen Körper und begann zu zittern. »Weg! Wir müssen weg! Dort sind alle tot.« Unvermittelt sprang er auf und griff nach dem Kragen von Jaydens Uniform. »Schicken Sie niemanden dort hinunter. Zerstören Sie es!«
Jayden bewahrte Ruhe und fixierte Lariks Blick. Als Janis eingreifen wollte, bedeutete er ihm, zurückzubleiben. Doktor Petrova zog einen Injektor aus der mobilen Medikamenteneinheit.
»Warum? Was ist hier passiert?«, fragte Jayden. Er tat es Janis gleich und sprach langsam und monoton.
Tränen rannen aus den Augenwinkeln des Marsianers. Seine Hände zitterten unkontrolliert. »Wir folgten einer angemessenen Strahlung zum Elnath-System«, sagte er. Seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen, sein Blick flog unstet umher. »Beim Einflug ins System entdeckten wir eine Rettungskapsel. Haben Sie jemals erlebt, dass ein Parlide in einer Rettungskapsel gefunden wird? Wir holten sie natürlich an Bord, mitsamt des Insassen und einer seltsamen Probe, die unsere Wissenschaftler untersuchten. Zu seinem Mutterschiff konnten wir keine Verbindung herstellen, aber durch seine Navigationsdaten konnten wir es orten. Also flogen wir in den Orbit dieser verfluchten Welt, die gleichzeitig auch dieses Ding beherbergte. Captain Bowman schickte Marines und Wissenschaftler zu einem Artefakt, das wir auf der Nordhalbkugel fanden. Sie brachten sich alle um.«
Larik wimmerte. »Bowman ließ die Probe des Parliden im Frachtraum versiegeln, dann verließen wir das System, um Hilfe zu holen. Aber auf dem Flug begannen die anderen sich zu verändern.«
Jayden wagte es nicht, Lariks Bericht zu unterbrechen, aus Angst, der Lieutenant würde dann endgültig zusammenbrechen. Das besorgte Gesicht von Janis sprach Bände, und auch Doktor Petrova schaute immer wieder auf ihren Handscanner.
»Doktor Silia fand heraus, dass die Probe für all das verantwortlich war. Captain Bowman ließ diese daraufhin in den Frachtraum bringen und öffnete das Schott. Von diesem Moment an waren wir verloren.«
Schweigen.
»Die Probe explodierte.« Lariks Stimme wurde schwächer. »Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen. Das Schiff wurde schwer beschädigt. Und überall waren plötzlich diese Partikel. Dunkle Fragmente, hat Doktor Silia sie genannt. Von da an sind alle durchgedreht. Sie liefen Amok!«
»Sie müssen die Marines zurückholen«, sagte Doktor Petrova an Jayden gewandt. »Es ist zu gefährlich.«
»Sie haben Leute dort hinuntergeschickt?!« Larik schrie wie ein Wahnsinniger. »Nein! Oh, Roter Schöpfer, nein! Es wiederholt sich. Holen Sie sie zurück. Nein, verschwinden wir sofort. Lassen Sie diese armen Seelen dort unten.«
Er begann, konvulsivisch zu zucken.
Doktor Petrova war blitzschnell heran und jagte ihm eine Injektion in den Blutkreislauf. Nur Sekunden später erschlaffte Larik und wurde von dem Paramedic aufgefangen.
»Cross an Kommandobrücke«, sagte Jayden und aktivierte damit das Interkom-System.
»Ishida hier. Ich wollte Sie gerade kontaktieren, Sir.«
»Was ist passiert, Commander?«
»Wir haben soeben den Audiokontakt zu den Marines verloren.«
»Ich bin auf dem Weg. Cross Ende.« Er warf dem bedauernswerten Larik einen letzten Blick zu. »Doktor Petrova, Doktor Tauser, Sie beide kümmern sich um ihn.« Und ich sorge dafür, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, wenn ich es noch verhindern kann.
Damit verließ er die Krankenstation und rannte zum Primärlift. Er musste zur Kommandobrücke. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
*
Als Jayden eintraf, starrten die Brückenoffiziere wie gebannt auf den zentralen Holotank. In ihm war das schreckgeweitete Gesicht eines Marines zu sehen, das sich im Helm eines gefallenen Kameraden spiegelte. Da die Marines auf dem Weg zum Artefakt Verstärker platziert hatten, konnte das optische Signal der Helmkamera problemlos empfangen werden.
»Das ist Corporal Sinman«, sagte seine I.O., als er neben sie trat. »Er hat die Audioverbindung gekappt. Wir können nur noch beobachten.«
»Wo sind die übrigen Marines und Wissenschaftler des Trupps?«
»Alle tot.« In Ishidas Stimme war keinerlei Emotion auszumachen. »Sie haben sich gegenseitig niedergemetzelt. Sinman war der Effektivste. Daher steht er als Einziger noch.«
Mein Fehler. Ich hätte auf Doktor Petrova hören sollen. »Die Legierung zeigt also keinerlei Wirkung?«, fragte er.
»Die Auswertung von Commander Lorencia befindet sich bereits in Ihrem persönlichen Speicher. Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen. Die Legierung hat zuerst genau so funktioniert wie angenommen und ist dann abrupt in sich zusammengefallen. Ohne Vorwarnung. Wir konnten unsere Jungs nicht mehr zurückrufen.«
Jayden verzichtete darauf, den Bericht durchzugehen. Dafür war später noch Zeit, auch wenn er davon ausging, nicht ein Wort des Fachchinesisch zu verstehen.
Corporal Sinman stapfte gerade um einen Felsen. Die polare Region dieser Welt bestand aus Gebirgen, die selbst den höchsten Berg der Erde weit überragten. Um den Marine herum gab es nur scharfkantige Felsen und schneebedeckte Gipfel.
Jayden vergaß, was er hatte sagen wollen, und starrte auf das Gebilde, das im Aufnahmefeld erschien.
»So sieht es also aus«, sagte Ishida.
Da die Aufklärungssonden nur diverse Scans weitergeleitet hatten, bei zu nahem Anflug jedoch ausgefallen waren, konnten sie erst jetzt eine echte visuelle Aufzeichnung sehen.
»Ein Fraktal«, sagte Jayden und trat instinktiv näher an den Holotank heran. »Etwas Ähnliches habe ich schon einmal gesehen.«
»Das Gebilde ähnelt einem Menger-Schwamm in der vierten Iterationsstufe«, sagte Lieutenant Tess Kensington, während ihr Blick auf die Auswertung der Ortungskonsole gerichtet war. »Wie Sie bereits feststellten, Sir, handelt es sich dabei um ein Fraktal. Ein Würfel, der aus 160 kleineren Würfeln besteht und von würfelartigen Schächten durchzogen ist.«
Jayden nickte nur. Corporal Sinman trat näher an das Gebilde heran, wodurch die Auflösung noch besser wurde.
»Ich leite die Aufnahmen direkt an die wissenschaftliche Abteilung weiter und lasse die Schiffs-K.I. nach Querverweisen suchen.« Kensingtons Finger huschten über ihre Konsole. »Bisher keine Ergebnisse.«
Der Anblick des Fraktals jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Das würfelartige Gebilde bestand aus einem schwarzen, onyxartigen Material, das von innen heraus zu glimmen schien. Der in den Servo-Suit des Corporals integrierte Scanner lieferte erste Ergebnisse. Diverse Strahlungen wurden angemessen, was Jayden momentan jedoch nicht im Geringsten interessierte.
Der Corporal stand jetzt dicht vor dem Fraktal.
Ishida besah die übertragene Anzeige des Servo-Suits. »Er öffnet den Anzug!«
Die Gamma-Strahlung in der Nähe des Würfels lag weit über dem für Menschen verträglichen Wert. Der Corporal beging vor ihrer aller Augen Selbstmord.
Jayden biss die Zähne zusammen und beobachtete das grauenvolle Schauspiel weiter. Wütend ballte er die rechte Hand zur Faust. Diese verdammte Machtlosigkeit! Er konnte nur dasitzen und zuschauen, während ein Mitglied seiner Crew in den Tod ging.
Der Corporal schälte sich aus dem Suit, warf ihn ab wie eine Schlange ihre Haut. Darunter trug er nur die Standardunterwäsche der Space Navy.
Ishida rekalibrierte das Aufnahmefeld, damit sie den Corporal durch die nun am Boden liegende Kamera beobachten konnten.
Die Strahlung schien ihm nichts anzuhaben. Er trat nach vorne, hob seine Hände und berührte das Artefakt.
In diesem Moment war Jayden froh über die abgeschaltete Audioverbindung. Die Handflächen des Mannes verschmolzen mit dem Würfel. Er begann zu zittern, dann liefen schwarze Fäden über seine Haut. Sein Körper begann zu krampfen.
Sinmans Haut löste sich auf. Innerhalb von Sekunden war nichts mehr von ihm übrig. Jayden glaubte noch, den Todesschrei des Mannes zu hören, als schon nichts mehr von ihm übrig war.
*
»Ruhe!« Sofort verstummten die Gespräche. »Ja, es ist tragisch, was gerade geschehen ist! Umso wichtiger ist es, dass wir handeln.« Jayden nahm an der Stirnseite des ovalen Tisches Platz. Commander Ishida saß ihm gegenüber. Dazwischen saßen die anderen Brückenoffiziere. »Wir brauchen Lösungen. Wie sollen wir mit dem Artefakt umgehen? Ich bitte um Vorschläge.«
»Nach allem, was auf der PROTECTOR und auf Elnath IV geschehen ist, sollten wir das verdammte Ding mit einem Torpedo vernichten«, sagte Lieutenant Commander Lukas Akoskin. Der Sunnyboy von Comienzo I hatte einen Teil seiner üblichen Selbstsicherheit eingebüßt. »Wer weiß, was sonst als Nächstes geschieht.«
»Ich fürchte, das ist keine Option«, sagte Lieutenant Kensington. »Die Auswertungen der Nahbereichsortung liegen mittlerweile vor. Diese deuten darauf hin, dass das Fraktal auf irgendeine uns unbekannte Art auf die Quantenzustände in seiner Umgebung einwirkt. Wir können nicht sagen, was geschieht, wenn wir es mit unseren Waffen beschießen. Vielleicht nichts. Vielleicht zerstören wir damit auch das gesamte Sonnensystem.«
»Ich habe mir die Auswertung der Sensoren angesehen«, sagte Lieutenant Peter Task. »Während die Atmosphärentaucher beim Anflug an das Shuttle deaktiviert wurden, funktionierte die Helmkamera von Corporal Sinman jedoch bis zum Ende. Die Auswertung der Sensoren deutete darauf hin, dass das Artefakt irgendwie auf Phasenraum-Strahlung einwirkt. Die Atmosphärentaucher hatten ihr Aggregat noch aktiviert, als sie eingesetzt wurden.« Der gemütlich wirkende Navigator war auch jetzt nicht aus der Ruhe zu bringen. Während er sprach, strich er sich über die raspelkurzen roten Haare. »Wir könnten das Artefakt also mit einem automatisierten Shuttle abholen und es in die Sonne steuern. Das Phasenaggregat muss natürlich deaktiviert bleiben. Zwischenzeitlich verlassen wir das Elnath-System. Im schlimmsten Fall wird ein totes System vernichtet.«
Ein toller erster Einsatz. Ein Trupp toter Marines und ein zerstörtes Sonnensystem. Jayden schüttelte den Kopf. »Wir werden das Artefakt nicht vernichten.«
Schweigen.
»Was auch immer dieses Fraktal ist, die Parliden haben versucht, es in die Finger zu bekommen. Es mag eine immense Gefahr darstellen, doch vielleicht verrät es uns auch etwas über seine Erschaffer. Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass es sich dabei um die Parliden handelt. Möglicherweise kommt hier eine viel größere Gefahr auf uns zu.«
»Die Parliden haben es vielleicht einfach zufällig gefunden«, warf Akoskin ein.
Jayden nickte. »Das ist durchaus eine Möglichkeit. Immerhin wurde die PROTECTOR durch ein Signal darauf aufmerksam, das sich über das unterste Phasenband ausbreitete. So könnte auch der Parlidenkreuzer aufmerksam geworden sein. Das Elnath-System liegt weitab jeder frequentierten Handelsroute und gehört zu keiner bekannten Sternennation. Die Wahrscheinlichkeit für einen reinen Zufall geht meiner Meinung nach gegen null. Entweder es war das Signal, oder die Parliden wissen irgendetwas über dieses Ding.«
»Womit wir wieder beim alten Problem wären«, sagte seine I.O. »Was sollen wir tun? Wenn wir das Artefakt nicht zerstören, müssen wir es bergen. Hier zurücklassen können wir es auf keinen Fall. Wer weiß, wer das Signal sonst noch aufgefangen hat oder es auffangen wird.«
»Wir könnten mehrere Shuttles einsetzen, um das Objekt mit dem Traktorstrahl vom Planeten zu holen«, schlug Lieutenant Commander Lorencia vor. »Ich habe mir die Auswertung angesehen. Die Oberfläche des Objekts besteht aus einer unbekannten Verbindung. Wenn wir nah genug sind, könnten die Traktorstrahlen jedoch einstellbar sein. Andernfalls nehmen wir ein gerichtetes Antigravfeld oder die guten alten Stahlseile.«
»Diesen Vorschlag sehe ich als sehr problematisch an«, sagte Ishida. »Zum einen käme die Besatzung des Shuttles dem Artefakt sehr nahe. Zum anderen könnten die Shuttles keinen Phasenflug durchführen. Wie also geht es weiter, sobald wir das Artefakt im All haben?«
Nun schaltete sich erstmals Alpha 365 ein. Auf dem Gesicht des maskulinen Sicherheitschefs mit den braunen Haaren zeichnete sich wie immer keine Regung ab, als er Jayden anblickte. »Ich rate Ihnen dringend davon ab, das Artefakt auf die HYPERION zu bringen, Sir.« In der aktuellen Situation beneidete Jayden den genetisch designten Mann um seine Emotionslosigkeit. »Wir wissen noch zu wenig über dieses Fraktal. Es könnte sich auch um eine Bombe handeln, die darauf wartet, an Bord eines Schiffes gebracht zu werden.«
»Das Artefakt wird keinesfalls auf der HYPERION transportiert.« Jayden würde dieses Schiff und seine Besatzung keiner so unkalkulierbaren Gefahr aussetzen. »Ein solches Risiko kommt nicht infrage.«
»Warum bringen wir es nicht auf die PROTECTOR?«, fragte Tess Kensington.
Alle Augen richteten sich auf die kesse Ortungsspezialistin.
»Sie haben meine volle Aufmerksamkeit.« Jayden bedeutete ihr, fortzufahren.
»Wie wir nach den jüngsten Ereignissen wissen, sprengte Captain Bowman die Probe des Artefaktes aus dem Laderaum. Mittlerweile dürfte es keine Rückstände mehr geben. Ist dem so, könnten wir mit einem Team aus Technikern zurückfliegen und die PROTECTOR holen. Mit automatisierten Shuttles hieven wir das Fraktal von der Oberfläche des Planeten und verladen es auf die PROTECTOR.«
»So weit gut«, sagte Jayden. »Aber wie geht es dann weiter? Sobald das Artefakt an Bord ist, kann niemand mehr auf das Schiff. Und ein Flug durch den Phasenraum ist nicht möglich. Wir hätten das Artefakt von der Oberfläche geholt, aber stehen immer noch vor dem gleichen Problem.«
»Nicht unbedingt, Sir.« Kensington grinste. »Wir benutzen die PROTECTOR quasi nur als Gefäß. Wir verstauen das Artefakt, schotten das Schiff ab und koppeln es an die HYPERION.«
»Sie wollen das Schiff mit in den Interlink-Flug nehmen«, sagte Alpha 365. »Das ist ein gewagtes Experiment.«
»Und äußerst gefährlich«, sagte Lieutenant Sarah McCall. Als alle Blicke sich auf die junge Kommunikationsspezialistin richteten, sank sie ein wenig tiefer in den Konturensessel. »Ich habe das Logbuch von Captain Bowman analysiert. Sie wurde von den Ereignissen völlig überrascht. Wir wissen nicht, wie weit die Strahlung reicht. Vielleicht durchdringt sie die Schiffspanzerung.«
»Ein gutes Argument.« Jayden nickte ihr freundlich zu. »Aber ich fürchte, an irgendeiner Stelle werden wir Risiken eingehen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese ominöse Strahlung den Panzer von zwei Schiffen durchdringen kann, die darauf ausgelegt sind, viele Jahre durch den Weltraum zu fliegen und kosmischer Strahlung zu widerstehen. Was mir mehr Sorgen bereitet, ist der Interlink-Flug selbst. Was denken Sie, L.I.?«
Lorencia ließ sich Zeit, bevor sie antwortete. Zuerst schweifte ihr Blick ins Leere. Gedankenverloren trommelte sie mit ihren Fingern auf der Tischplatte. Dann erwiderte sie: »Theoretisch ist es natürlich möglich, die Interlink-Blase, die beim Flug um das Schiff errichtet wird, und das Melnikow-Schild auszudehnen. Der Energieverbrauch würde aber eklatant steigen. Sollte uns während des Fluges die Energie ausgehen oder die Blase aus einem anderen Grund versagen, unterliegt die PROTECTOR wieder dem Higgs-Boson-Teilchen, und dann wird nicht mehr viel von ihr übrig bleiben. Ich würde eher vorschlagen, das Schiff nur mit einem kurzen Interlink-Flug von hier fortzuschaffen. Dann parken wir es und rufen über ein Kurierboot einen Bergungstender herbei.«
»Gefällt mir, so machen wir das. Commander Lorencia, Sie koordinieren die technische Logistik.« Jayden blickte zu Tess Kensington. »Es war Ihre Idee, Lieutenant. Sie fliegen mit dem Technikerteam zur PROTECTOR und leiten den Einsatz.«
»Aye, Sir.« Sie nickte zufrieden.
»Also los«, sagte Jayden. »Bringen wir es hinter uns.«
*