Kitabı oku: «Reform oder Blockade», sayfa 5
Die Corona-Pandemie verdrängt das Klimathema
Im Jahr 2020 wurde der Klimawandel in seiner prioritären Rolle von der Corona-Pandemie abgelöst. Das gilt nicht nur für die Wahrnehmungsebene, sondern auch mit Blick auf die Maßnahmen und Ressourcen, die zur Bewältigung dieser Herausforderung oder Bedrohung ergriffen und bereitgestellt wurden. Dabei dürfte es nach Lage der Dinge Anfang 2021 bis mindestens Ende dieses Jahres auch bleiben. Für diese Prioritätenverschiebung gibt es eine Reihe von Gründen.
Zum bislang schon erfolgten Klimawandel und zu möglichen Szenarien seiner künftigen Entwicklung liegen zwar dank der Arbeit des IPCC Erkenntnisse und Prognosen vor, die so umfangreich, detailliert und international abgesichert sind wie bei kaum einem anderen wissenschaftlichen Forschungsgegenstand. Auch sind die Folgen des Klimawandels schon konkret spürbar. Global ist das allerdings noch nicht in allen Staaten dieser Erde der Fall. Und in vielen Ländern des Südens sind die negativen Auswirkungen auf Umwelt, Lebensbedingungen und Ernährungsmöglichkeiten bislang sehr viel stärker als in den Ländern des Nordens. Letztere haben lediglich häufiger schwere Stürme erlebt sowie zwischen 2010 und 2020 neun der zehn heißesten Sommer und höchsten Jahresdurchschnittstemperaturen, die seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 gemessen wurden.
Aber trotz aller bisherigen Erfahrungen und vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ist der Klimawandel zumindest im Vergleich zur Corona-Pandemie für die meisten Menschen insbesondere im globalen Norden noch immer eine relativ abstrakte Bedrohung. Das politisch im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Zieldatum 2100, bis zu dem der Temperaturanstieg auf maximal 2 Grad Celsius (besser 1,5 Grad) begrenzt werden solle, liegt außerhalb der absehbaren Lebenszeit der allermeisten Menschen, die 2020 den Planeten bevölkerten. Selbst die Jahre 2050 und 2060, bis zu denen alle Vertragsstaaten das erste wichtige Zwischenziel der Emissionsfreiheit und damit Klimaneutralität erreichen sollen, liegen noch weit entfernt.
Hingegen hat die Corona-Pandemie seit den ersten im Dezember 2019 aus China gemeldeten Erkrankungen unmittelbar fast überall auf der Welt mit aller Härte zugeschlagen. Bis Mitte März 2021 wurden weltweit über 120 Millionen Menschen infiziert und sind 2,65 Millionen an oder mit COVID-19 gestorben. Beobachter rechneten mit einem weiteren Anstieg und erwarteten einen Rückgang der globalen Infektionszahlen infolge der Impfungen frühestens ab Sommer 2021. Von den Menschen, die in den Statistiken als von dem Virus »genesen« aufgeführt wurden, klagten viele über zum Teil schwerwiegende Langzeitfolgen. Infektionen, Erkrankungen und Todesfälle wurden aus 215 Ländern, Territorien und kleinsten Inselatollen gemeldet.
Das Gefühl einer akuten Bedrohung durch die Corona-Pandemie wird noch verstärkt, weil auch über ein Jahr nach dem mutmaßlich ersten Auftritt des COVID-19-Virus auf einem Markt im chinesischen Wuhan viele Fragen noch immer nicht erforscht und verlässlich beantwortet waren. Wie genau verbreitet sich das Virus? Ist eine Person nach einer ersten Infektion immun gegen das Virus? Sind Kinder tatsächlich in geringerem Maße als Erwachsene Überträger des Virus? Wie lange hält die Wirkung der Impfung vor? Und verhindert sie auch die Ansteckung anderer Personen? Das Auftreten von aggressiveren, daher gefährlicheren Mutationen des Virus ab Dezember 2020 zunächst in Großbritannien und Südafrika schürte weiterhin Angst und Verunsicherung.
Beim Klimawandel verhält es sich genau umgekehrt. Wissenschaftlich erforscht wird er bereits seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erste Erkenntnisse und Hinweise auf eine menschengemachte Erwärmung durch die Emission von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen liegen seit Anfang des 20. Jahrhunderts vor. Seit den fünfziger Jahren verdichteten sich die Erkenntnisse. Auf der ersten Weltklimakonferenz der UNO 1979 wurde der Klimawandel im Konsens als »ernstes Problem« eingestuft. In der Folge wurde 1988 der IPCC eingesetzt – übrigens auch auf Betreiben des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, eines konservativen Republikaners.
Inzwischen sind alle Facetten des menschengemachten Klimawandels und seiner Auswirkungen unter denkbar breitester internationaler Beteiligung erforscht und alle Fragen beantwortet. Dokumentiert wurde das gesicherte Wissen in inzwischen fünf Sachstandsberichten und zwölf Sondergutachten, die der IPCC zwischen 1990 und 2018 vorgelegt hat. Der menschengemachte Klimawandel ist eine bestens bewiesene Tatsache, die geradezu rational ist im Vergleich zu dem heimtückischen, unberechenbaren Corona-Virus. Wer in der Vergangenheit oder sogar bis heute grundsätzliche Zweifel an der globalen Erwärmung oder auch nur an den davon ausgehenden Gefahren hatte oder hat, für den war oder ist der Klimawandel dann ja auch keine Bedrohung. Wer, wie viele evangelikale Christen in den USA, aber auch in Europa, zwar den Klimawandel nicht leugnet, ihn aber nicht für das Ergebnis korrigierbarer menschlicher Handlungen hält, sondern für Gottes Wille, hat auch nichts Neues zu befürchten.
Ein weiterer Grund, warum die Corona-Pandemie den Klimawandel zunächst in den Hintergrund gerückt hat, ist der Umstand, dass im Unterschied zu allen früheren Epidemien und Pandemien in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg die meisten Infektionen und Todesfälle erstmals nicht in einem armen Land des Südens registriert wurden, sondern in einem der reichsten Länder des Nordens, in den USA. Sie verzeichneten bis Mitte März 2021 über 29 Millionen Infizierte ( fast dreimal so viele wie das arme Indien mit seiner fast viermal so großen Bevölkerung) und über 530’000 Tote (dreieinhalb mal so viele wie Indien). Die Zahl der täglich neuinfizierten Menschen in den USA erreichte am 2. Januar 2021 die traurige Rekordmarke von über 299’000. Das sind die mit weitem Abstand höchsten absoluten Zahlen im internationalen Vergleich. Auch bei der Zahl der Toten proportional zur Bevölkerung eines Landes lagen neben den USA mit Belgien, Italien, Tschechien, Großbritannien, Spanien und Frankreich insgesamt acht Industriestaaten des Nordens unter den ersten zehn aller insgesamt von der Corona-Pandemie betroffenen 215 Länder, Territorien und Inselatollen.
Die mediale und politische Aufmerksamkeit und das Interesse für epidemische Gesundheitskrisen, Gewaltkonflikte oder Naturkatastrophen und ihre Opfer war schon immer größer, wenn diese Ereignisse in den reichen Industriestaaten des Nordens stattfanden, als wenn Länder und Menschen im globalen Süden betroffen waren, ebenso die Bereitschaft, schnell Gegenmaßnahmen zu ergreifen und finanzielle oder andere Ressourcen zu mobilisieren.
Auswirkungen der Corona-Pandemie für den Süden stärker und längerfristig
Die Konzentration auf die hohen Infektions- und Todeszahlen in den USA und anderen reichen Industriestaaten des Nordens in den ersten zwölf Monaten der Corona-Pandemie sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass im weltweiten Vergleich die Mehrheit der unmittelbar betroffenen Menschen im globalen Süden leben. In den meisten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas waren auch die Gesundheitssysteme noch viel weniger auf eine Pandemie derartigen Ausmaßes vorbereitet als in den USA, Italien und anderen nördlichen Industriestaaten. Wegen der Überlastung der Gesundheitssysteme durch die Corona-Pandemie mussten in einigen Ländern zudem Impfprogramme gegen Krankheiten wie Masern unterbrochen werden.
In den Ländern des Südens sind auch die indirekten negativen Auswirkungen der Pandemie sehr viel größer. Insbesondere in den fünfzig fast ausschließlich afrikanischen Staaten, die von der UNO wegen ihrer schwachen Wirtschaft und ihrer hohen Armutsraten offiziell als »am wenigsten entwickelte Länder (least developed countries, LDC) eingestuft werden. Durch die Corona-bedingten Einschränkungen für die Wirtschaft und weite Teile des öffentlichen Lebens haben Millionen Menschen, die auch bereits vor der Pandemie in prekären Verhältnissen lebten und ihr Geld im informellen Sektor verdienten, Arbeit und Einkommen verloren. Verschärfend kommt der Ausfall von Aufträgen und Bestellungen von Unternehmen aus den Industriestaaten hinzu, der zu einem Zusammenbruch globaler Lieferketten führte. Auch die für viele Familien überlebenswichtigen Geldüberweisungen von Verwandten, die im Ausland in besseren finanziellen Verhältnissen leben, gingen zurück. Die meisten Länder des Südens waren und sind nicht in der Lage, die Einkommensverluste ihrer Bürger und Bürgerinnen durch milliardenschwere staatliche Überbrückungshilfen zu kompensieren oder zumindest abzumildern, wie dies in den meisten reichen Staaten des Nordens 2020 möglich war und auch für 2021 beschlossen wurde. Am dramatischsten ist die Situation in Ländern und Regionen wie Jemen oder der syrischen Provinz Idlib, in denen 2020 weiterhin Krieg geführt wurde und Millionen Menschen nicht oder nur völlig unzureichend mit lebensnotwendigen Gütern versorgt werden konnten. Corona-Tests, die Quarantäne von Infizierten und die Versorgung von Erkrankten waren und sind in diesen Kriegsgebieten weiterhin nicht möglich.
Corona verschärft die Folgen des Klimawandels und die humanitäre Krise
Viele Länder in der südlichen Hemisphäre leiden bereits seit über zehn Jahren immer stärker unter den Auswirkungen des Klimawandels. Die Zahl klimabedingter Naturkatastrophen steigt. Vier von fünf solcher Katastrophen seit 2010 waren nach einer Studie des Roten Kreuzes auf extremes Wetter und die Auswirkungen der globalen Erwärmung zurückzuführen. Ernteausfälle in Folge von extremen Dürren oder Heuschreckenplagen vernichten die Ernährungsgrundlagen. Immer mehr Länder und ihre Bevölkerungen werden abhängig von humanitärer Versorgung von außen. Bereits seit Beginn der 2000er Jahre ist der globale Bedarf an humanitärer Hilfe um das Zehnfache gestiegen, stellte das für die Koordination dieser Hilfe zuständige Büro der UNO in Genf (OCHA) im Dezember 2020 fest.
Die Corona-Pandemie hat die Not in vielen Ländern und Regionen des Südens noch weiter verschärft. Die Zahl der weltweit Hungernden ist 2020 wieder auf 800 Millionen Menschen angewachsen, nachdem sie von 2017 bis 2019 von über 800 auf 673 Millionen zurückgegangen war. »Es drohen Hungersnöte, die man längst überwunden glaubte«, warnte OCHA-Chef Mark Lowcock Anfang Dezember 2020. Das Welternährungsprogramm (WFP) der UNO meldete für 2021 einen Finanzbedarf von mindestens 15 Milliarden US-Dollar an, um rund 138 Millionen Menschen direkt mit Nahrungsmitteln zu versorgen, die ansonsten verhungern müssten.
Wesentlich bedingt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, stieg die Zahl der Menschen, die weltweit auf humanitäre Versorgung durch die UNO oder das Rote Kreuz angewiesen waren bereits 2020 deutlich, von 2019 146 Millionen auf 168 Millionen. Für 2021 rechnet OCHA mit 235 Millionen Hilfsbedürftigen – ein Zuwachs von 40 Prozent. Wenn alle diese Notleidenden in einem einzigen Land lebten, wäre das das Land mit der fünftgrößten Bevölkerung der Welt.
»Konflikt, Klimawandel und COVID-19 sorgen für die größte humanitäre Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg.« Mit diesen Worten appellierte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres Anfang Dezember 2020 an die Mitgliedstaaten, deutlich mehr Geld zur Bewältigung dieser Herausforderungen bereitzustellen. Bis dahin hatte die OCHA noch nicht einmal die Hälfte der für das Jahr 2020 benötigten Finanzmittel erhalten.
Für 2021 haben die UNO-Organisationen, die an der Versorgung von Menschen mit humanitärer (Überlebens)Hilfe beteiligt sind, bei den Mitgliedstaaten einen dringenden Finanzbedarf von 35 Milliarden US-Dollar angemeldet. Die Aussichten, dass die benötigten Gelder bereitgestellt werden, waren nicht groß, denn die meisten Industriestaaten des Nordens hatten sich bereits 2020 mit hohen Ausgaben zur Bewältigung der Corona-Folgen im eigenen Land extrem verschuldet und planten dies auch für 2021. Pro 100 US-Dollar, die die Industriestaaten 2020 zur Unterstützung der eigenen Bevölkerung in der Corona-Krise ausgaben, stellten sie weniger als fünf US-Cent für die soziale Absicherung von Menschen in ärmeren Ländern zur Verfügung.
Impfnationalismus statt globaler Solidarität
Auch mit Blick auf die Verteilung und den Einsatz von Impfstoffen gegen das Corona-Virus demonstrierten die Industriestaaten zunächst nationalen Egoismus statt globaler Verantwortung. Bei der Jahresversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Mitte Mai 2020 klang das noch anders. Damals stimmten mit Ausnahme der USA alle anderen 192 WHO-Mitgliedstaaten einer Resolution zu, wonach alle Menschen auf der Erde in gleicher Weise Zugang zu Impfstoffen erhalten sollten, sobald diese entwickelt und verfügbar seien. Die Resolution wies der WHO und der UNO eine führende Rolle bei der Koordination der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu.
Und die Resolution verwies ausdrücklich auf die Ausnahmeregeln in dem Abkommen zum Schutz handelsbezogenen geistigen Eigentums (TRIPS), das in den neunziger Jahren im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbart wurde. Dass auch Patente auf Medikamente, Impfstoffe und andere medizinische Güter unter diese Schutzbestimmungen fallen, hatte damals der US-Pharmakonzern Pfizer durchgesetzt. Nach den Ausnahmeregeln des TRIPS-Abkommens können die Patentrechte von Pharmakonzernen in Gesundheitskrisen wie einer Pandemie ausgesetzt werden. Damit soll ermöglicht werden, dass andere Unternehmen Lizenzen erhalten, damit sie preiswerte Generika herstellen und in solche Länder exportieren können, in denen großer Bedarf an Medikamenten oder Impstoffen besteht. Generika sind Arzneimittel, die bei gleicher Zusammensetzung und Wirkung nicht den Markennamen tragen und deshalb um einiges preisgünstiger sind. Vereinbart wurden die TRIPS-Ausnahmeregeln auf den Ministerkonferenzen der WTO in den Jahren 2001 und 2003 unter dem Druck der AIDS-Pandemie. Seitdem konnten viele Millionen HIV-Infizierte vor allem in afrikanischen Ländern, die sich die überteuerten AIDS-Präparate der großen Pharmakonzerne aus den USA, der EU, Japan und der Schweiz nicht leisten können, mit preislich erschwinglichen Generika versorgt werden. Diese werden in Indien, Südafrika und Brasilien produziert.
Doch als Indien und Südafrika Anfang Oktober 2020 bei der WTO den Antrag stellten, die Ausnahmeregeln des TRIPS-Abkommens jetzt auch für Corona-Impfstoffe anzuwenden, stimmten nicht nur die USA, sondern auch die EU und weitere Industriestaaten dagegen. Und dies, obwohl schon damals offenkundig war, dass die Patentrechte der großen westlichen Pharmakonzerne bereits in der Anfangsphase der Corona-Pandemie die Versorgung ärmerer Länder mit Schutzkleidung und -masken, Atemgeräten und anderen dringend benötigten medizinischen Gütern stark behindert hatten. Die große Mehrheit von über 140 der 164 WTO-Mitgliedstaaten unterstützte den indisch-südafrikanischen Antrag. Doch WTO-Beschlüsse sind nur mit Konsens aller Mitgliedstaaten möglich, und die Industriestaaten blieben auch in zwei weiteren Beratungsrunden im November und Dezember 2020 bei ihrer Ablehnung.
COVAX – zweitbeste Lösung, aber kaum umgesetzt
Als zweitbeste Lösung zur Umsetzung der WHO-Resolution vom Mai 2020 mit dem Ziel, dass alle Länder, unabhängig von ihrer Kaufkraft, zügigen Zugang zu Impfstoffen gegen COVID-19 erhalten, wurde die COVAX Facility ins Leben ins Leben gerufen. COVAX steht für »COVID-19 Vaccines Global Access«. Beteiligt an der Einrichtung sind neben der WHO auch die privat-öffentlichen Impfstoffallianzen Gavi (Global Alliance for Vaccines and Immunizations), in der Pharmakonzerne und die Bill and Melinda Gates Foundation eine wichtige Rolle spielen, und CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations). Die Einrichtung soll zum einen die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen beschleunigen. Vor allem aber ist sie dafür zuständig, Impfstoffdosen bei Herstellerfirmen zu kaufen und allen Staaten zuzuteilen, die ihre Teilnahme an COVAX erklärt haben. Bis Ende 2020 beschlossen 190 von insgesamt rund 200 Staaten weltweit ihre Teilnahme an COVAX, darunter 98 wohlhabendere Länder und 92 Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Erklärtes Ziel von COVAX ist, bis Ende 2021 mindestens zwei Milliarden qualitätsgesicherte und bedarfsgerechte Impfstoffdosen bereitzustellen, um die akute Phase der Pandemie zu beenden. Mindestens 1,3 Milliarden dieser Impfdosen sollen an ärmere Länder gehen, damit sie 2021 wenigstens 20 Prozent ihrer Bevölkerung schützen können. Wohlhabendere Nationen zahlen den vollen Preis, den die COVAX Facility mit Impfstoffherstellern aushandelt. Ärmere Länder werden um eine finanzielle Beteiligung gebeten, haben aber, falls ihnen das nicht möglich ist, Anspruch auf Gratislieferungen. Außerdem gibt es Länder wie Deutschland, Frankreich oder Spanien, die zwar via COVAX keinen Impfstoff bestellen, aber die Beschaffung für andere finanziell unterstützen. Hinter diesem Modell steht der Gedanke der Solidarität und die Überzeugung, dass die COVID-19-Pandemie sich in einer eng verflochtenen Welt nur eindämmen lässt, wenn alle Regionen ausreichend geschützt sind.
Noch beim Gipfel der G20-Staaten Ende November 2020 bekräftigte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer damaligen Funktion als Ratsvorsitzende der EU dieses Ziel mit den Worten: »Der Zugang zur Impfung muss für alle Länder möglich und bezahlbar sein.« Ähnlich äußerte sich die EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen.
Doch die Realität hinter diesen wohlklingenden Resolutionen und Erklärungen sah anders aus. Die USA, die der COVAX Facility ohnehin nicht beigetreten waren, sowie die EU, Großbritannien, Kanada, Japan, Australien, Israel und andere zahlungskräftige Industriestaaten, in denen insgesamt lediglich 13 Prozent der Weltbevölkerung leben, sicherten sich im zweiten Halbjahr 2020 durch exklusive Vorverträge mit sechs potenziellen westlichen Herstellerfirmen die Option auf insgesamt 3,85 Milliarden Impfdosen. Die meisten dieser Länder haben dabei mehr Impfstoff bestellt, als sie selbst bei zweimaliger Impfung für die eigene Bevölkerung benötigen. Spitzenreiter ist Kanada, das für seine 40 Millionen Einwohner 300 Millionen Impfdosen bestellte. Die EU sicherte sich 1,965 Milliarden Impfdosen für die 450 Millionen EU-Bürger im Wert von über 25 Milliarden Euro. Die USA orderte 800 Millionen Dosen für 330 Millionen Einwohner. Großbritannien und Australien bestellten für jeden Einwohner jeweils mehr als 2,5 Impfdosen.
Insgesamt sicherten sich die Industriestaaten 51 Prozent der 7,55 Milliarden Impfdosen, deren Herstellung und Lieferung die sechs westlichen Unternehmen auf Grund ihrer Produktionskapaziät bis Ende 2021 zusagen konnten. Allerdings hatten bis Mitte März 2021 lediglich die zwei Impfstoffe des deutsch-amerikanischen Konsortiums Biontech/Pfizer und des US-Konzerns Moderna alle nach wissenschaftlichen Standards erforderlichen Test- und Prüfverfahren abgeschlossen und eine Zulassung in der EU, in Großbritannien und in den USA erhalten; der Impfstoff des schwedisch-britischen Konzerns AstraZeneca war zunächst nur in Großbritannien zugelassen. Der US-Konzern Johnson & Johnson, das deutsche Unternehmen Curevac sowie das französisch-britische Konsortium Sanofi/GlaxoSmithKline warteten noch auf die Zulassung.
Doch selbst wenn diese drei Hersteller ebenfalls die Zulassung erhalten sollten und darüber hinaus auch weitere sieben Unternehmen, die nach einer Untersuchung der Johns-Hopkins-Universität im Dezember 2020 mit der Entwicklung eines Impfstoffs am weitesten fortgeschritten waren, könnten bis Ende 2021 optimistisch geschätzt maximal 5,96 Milliarden Impfeinheiten, bestehend aus jeweils zwei Impfdosen, produziert werden. Damit würde rund ein Fünftel der Weltbevölkerung frühestens ab 2022 Zugang zu einem Impfstoff haben. Und für die allermeisten Menschen in den Ländern des Südens würde die Impfung auch erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 beginnen. In dieser Kalkulation sind logistische Schwierigkeiten bei der Lieferung, sachgerechten Lagerung und Verteilung der Impfstoffe sowie eventuelle Finanzierungsprobleme noch gar nicht berücksichtigt.
Oder die armen Länder wären abhängig von Präparaten wie dem von Russland seit Ende 2020 international angebotenen Impfstoff »Sputnik V«. Anfängliche Bedenken gegen den Impfstoff wegen zunächst unzureichender Testverfahren konnten zwar ausgeräumt werden, allerdings hatte Sputnik V von der Zulassungsbehörde der EU bis Ende Januar 2021 noch keine Freigabe erhalten.