Kitabı oku: «Wenn nichts ist, wie es scheint», sayfa 3

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Max Bergmann ging absichtlich sehr früh joggen. Er mochte diese menschenleeren Straßen, wenn die Luft noch sauber war und wie frisch gewaschen wirkte. Vor allen Dingen mochte er die Ruhe. Das war etwas, wonach er sich sehnte, wovon er nie genug bekam. Unter der Woche, an seiner Maschine in einer metallverarbeitenden Fabrik, trug er sogar Kopfhörer, auch wenn seine Kollegen sich darüber lustig machten. Leider musste er die nach Feierabend absetzen, obwohl er sich so manchen Abend wünschte, er könnte sich darunter vor der lauten, vorwurfsvollen Stimme seiner Frau verstecken. Regina beklagte sich ständig über irgendwas. Ihr ganzes Leben schien eine Aneinanderreihung von Ereignissen zu sein, die nur dazu gemacht waren, sie zu kränken. Ihr Chef war ungerecht, bevorzugte immer die anderen, obwohl sie doch die einzige war, die in dem Laden wirklich arbeitete. Ihre Kolleginnen waren allesamt intrigante, selbstsüchtige Weiber, die nur ihren eigenen Vorteil im Auge hatten. Jeden Abend, wenn er nach Hause kam, schien sie bereits hinter der Tür auf ihn zu warten, um ihn sofort mit einem Schwall aus Klagen und Vorwürfen zu überschütten. Seit drei Jahren ging das nun schon, einzig Micky, der Hund, vor zwei Jahren aus dem Tierheim geholt, schien von ihrer Unzufriedenheit ausgenommen. Er machte niemals etwas falsch, er durfte alles, bekam alles, ihn überhäufte sie mit der Zärtlichkeit, die sie ihm verweigerte.

Früher war das anders gewesen. Früher, das klang, als wäre es eine Ewigkeit her, dabei waren sie gerade einmal sieben Jahre verheiratet. Sie hatten sich bei einer Veranstaltung im Rosengarten kennengelernt, waren ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie beide aus dem Norden der Republik stammten und den hier üblichen Dialekt nur rudimentär beherrschten. Sie hatten viel gelacht an diesem Abend, immer weitere gemeinsame Interessen entdeckt und sich bis über beide Ohren ineinander verliebt. Negative Erfahrungen, die sie beide bereits gesammelt hatten, wurden ausgeblendet und sie heirateten drei Monate nach ihrem Kennenlernen. Von wem diese Eile ausgegangen war, wusste er nicht mehr genau, er erinnerte sich aber daran, dass er sehr erleichtert gewesen war, die „Richtige“ endlich gefunden zu haben. Natürlich hatte er fest daran geglaubt, dass ihre Gefühle füreinander ewig währen würden. Ein einziger Abend, ein einziger Fehler, hatte alles verändert. Sein Fehler, und darum ertrug er ihre Launen, ihre Stimmungsschwankungen, ihre abweisende Haltung ihm gegenüber, mehr oder weniger klaglos. Es war eine Art Buße, die er sich auferlegt hatte, auch wenn er sich manchmal fragte, ob das nicht zu viel Leiden war für das, was er getan hatte. Etwas, das außerdem bereits vier Jahre her war und sich niemals wiederholen würde. Auf der Weihnachtsfeier der Firma hatte er, ganz entgegen seiner Gewohnheit, ein bisschen zu viel getrunken. Fröhlicher und offener als gewöhnlich hatte er mit der einen oder anderen Kollegin sogar ein bisschen geflirtet. Als gegen Mitternacht ausgerechnet Carola, auf die alle Männer im Betrieb abfuhren, mit ihm tanzte und sich in einer Art und Weise an ihn presste, die ihn ebenso verwirrte wie reizte, hatte er den Zeitpunkt verpasst, das gefährliche Spiel zu beenden. Sie hatten weiter getanzt, viel zu eng aneinandergedrückt, zwischendurch zu viel getrunken und das Verhängnis hatte endgültig seinen Lauf genommen. Seine einzige, klägliche Entschuldigung war, dass die Initiative allein von ihr ausgegangen war. Sie war es, die seine Hand genommen und ihn zum Parkplatz gezogen hatte. Sie war es auch, die seinen halbherzigen Einwand, er müsse jetzt nach Hause, lachend übergangen hatte und sich dann im Auto sofort den Pulli über den Kopf gezogen und seine Hose geöffnet hatte. Natürlich hätte er es verhindern, sich wehren müssen, nein sagen, schließlich war er glücklich verheiratet, aber er hatte geschwiegen. Stumm und verwirrt über das, was ihm da passierte, hatte er die Augen geschlossen und Carola gewähren lassen. Nicht einmal über eventuelle Folgen dieser ebenso spontanen wie völlig ungeschützten Nummer hatte er sich noch Gedanken gemacht, einfach nur den Augenblick genossen. Zumindest so lange, bis Reginas Gesicht am Autofenster aufgetaucht war. Den Ausdruck ihrer Augen würde er sein Leben lang nicht vergessen und das, was sie später gesagt hatte, auch nicht.

„Nichts wird je wieder so sein, wie es war“, hatte sie erklärt und seine Entschuldigungen und Beteuerungen mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht. „Das wirst du bereuen. Ich werde dir niemals verzeihen, niemals, verstehst du und wenn ich 100 Jahre alt werde. Du weißt ja, ich bin Skorpion, die vergessen nie, was man ihnen angetan hat.“

Anfangs hatte er noch gehofft, darauf vertraut, dass sie sich doch geliebt hatten, dass seine Frau mit der Zeit wieder zu ihm zurückfinden würde, aber es vergingen Monate und schließlich Jahre, ohne dass sich etwas geändert hätte. Da war er in seiner Verzweiflung auf die Idee mit dem Hund gekommen. Ihm war eingefallen, wie sehr sie sich ein Haustier gewünscht hatte, früher, als sie noch miteinander sprachen.

„Damit bist du immer angebunden, kannst nie etwas spontan entscheiden. Außerdem stinken die und haaren die Wohnung voll“, waren seine Argumente dagegen gewesen. „Außerdem, wenn wir erst Kinder haben, wirst du bestimmt froh sein, nicht obendrein für einen Hund sorgen zu müssen. Nein, nein, lass uns das auf später verschieben.“

Wenn er ehrlich mit sich selbst war, musste er aber zugeben, dass er nur ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuwendung behalten, und nicht mit einem Tier teilen wollte.

Heute wäre er schon mit der Hälfte an Zuwendung zufrieden gewesen, und so war er ins Tierheim gefahren und hatte sich aus den vielen angebotenen Kandidaten Micky ausgesucht. Warum? Weil er sich eingebildet hatte, in seinen Augen die gleiche Einsamkeit zu sehen, unter der er litt. Wie jeden Tag hatte Regina hinter der Tür auf ihn gewartet, um ihn mit ihren Klagen zu empfangen, aber die hatte sie alle vergessen, als sie Micky sah. Ab diesem Moment hatte sie sich verändert, ihre Stimme bekam wieder einen liebevollen, ja zärtlichen Klang. Leider galt das nicht ihm, sondern ausschließlich dem Hund. Für ihn änderte sich nichts, auch wenn er es immer wieder versuchte, immer wieder beteuerte, zu bereuen, was er getan hatte. Heilige Eide auf das Leben seiner Mutter schwor, es niemals wieder zu tun und alles dafür geben zu wollen, es ungeschehen machen zu können. Sie hörte zu, nickte und machte weiter wie bisher. Später hatte er mit Trennung, sogar mit Scheidung gedroht, ihr vorgeworfen zu übertreiben, Freude daran zu haben, ihn zu quälen. Sie hatte es hingenommen, kein Wort der Verteidigung, geschweige denn der Versöhnung war von ihr gekommen. Sie hatte den Hund an sich gedrückt und war aus dem Zimmer gegangen. In ihr eigenes, denn ein gemeinsames Schlafzimmer gab es schon lange nicht mehr, aus dem war sie noch in dieser verhängnisvollen Nacht ausgezogen. Und dann war Micky tot. Feige mit einem dieser schrecklichen Giftköder ums Leben gebracht, und natürlich war auch das seine Schuld. Er war es, mit dem er den letzten Spaziergang seines Lebens gemacht hatte. Er war es, der nicht aufgepasst, zugelassen hatte, dass der Hund etwas auf der Straße Gefundenes fraß. Regina wäre das nie passiert, sie ließ ihren Hund nicht eine Sekunde aus den Augen. Sie hatte ihm den Hund ohnehin nur wegen einer schweren Migräne anvertraut, und dann war Micky tot. All diese Anklagen hatte sie ihm noch im Auto entgegengeschrien, kaum, dass sie die Praxis der Tierärztin verlassen hatten. Umso verblüffter war er, als er jetzt die Wohnungstür öffnete und Regina singend in der Küche stehen sah. Er rieb sich die Augen, glaubte zu halluzinieren, aber das Bild blieb das gleiche.

„Hallo Max“, unterbrach sie ihren Gesang und wandte sich ihm zu. „Warst du schon so früh joggen? Ich dachte, wir könnten zusammen frühstücken und später auf den Markt gehen. Ich habe Lust uns heute Abend etwas zu kochen. Geh duschen, die Eier sind gleich fertig.“

Er war perplex, konnte sein Glück kaum fassen, beeilte sich aber, ihr zuzustimmen. „Ja, ich war laufen, es ist so schön draußen. Natürlich, wenn du willst, gehen wir auf den Markt. Ich bin gleich wieder da, ich beeile mich.“

Fünf Minuten später saß er Regina am Frühstückstisch gegenüber und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er löffelte sein Ei, lobte die perfekte Konsistenz, erwähnte den guten, starken Kaffee und kam sich wie ein kompletter Idiot vor. Er sprach mit der Frau, mit der er seit sieben Jahren verheiratet war und fühlte sich wie ein Schuljunge. Regina tat nichts, seine Befangenheit zu beenden, sie aß und trank … und schwieg.

„Ähm, was wolltest du denn heute Abend kochen?“, nahm er einen erneuten Anlauf und nach einer Weile sagte sie: „Oh, ich hatte an Frikadellen und Kartoffelpüree gedacht. Mit vielen gebratenen Zwiebeln obendrauf, so wie du es gerne hast. Vielleicht noch grüne Bohnen oder einen gemischten Salat dazu.“

„Großartig, darauf werde ich mich jetzt den ganzen Tag freuen“, jubelte er. „Deine Frikadellen sind legendär, die kriegt niemand so hin wie du.“

Der Blick, den sie ihm zuwarf, hatte etwas von einem Forscher, der ein seltenes Insekt betrachtet. Dann lächelte sie, nickte und knabberte an ihrem Toast. Um den Strohhalm nicht zu verlieren, den sie ihm hingehalten hatte, bot er ihr Hilfe in der Küche an, fragte, ob sie beim Friseur gewesen sei, aber sie verfiel wieder in Schweigen und so gab er schließlich auf.

Als sie eine Stunde später den samstäglichen Wochenmarkt an der Alexanderkirche erreicht hatten, änderte sich ihr Verhalten plötzlich erneut, sie ergriff sogar seinen Arm und zeigte fröhlich auf die aufgebauten Zwiebelberge eines Händlers. „Die sehen gut aus, die werde ich kaufen.“

Der Bauer hatte bereits eine Tüte in der Hand und füllte sie geschäftig. „Was soll’s denn geben?“, fragte er und Regina ließ ihn wissen, dass ihr Mann besonders gern Frikadellen äße, dazu selbstgemachtes Kartoffelpüree und sie ihm das am Abend kochen wollte. „Fläschkischelcher mit Grumbeerbrei un ausgebäde Zwiwwle? Na, dann brauchen Sie aber noch Grumbeere, wieviel sollen es denn sein?“ Regina erstand zwei Kilo, bezahlte und der Bauer rief ihnen noch nach: „Ich wünsche einen guten Appetit und nicht zu viele Blähungen anschließend.“

An einem anderen Stand kaufte sie Hackfleisch und verkündete dann, sie habe nun alles und wolle wieder heim.

„Wollen wir nicht irgendwo einen Kaffee trinken gehen? Das Wetter ist so schön und wir waren lange nicht mehr zusammen …“

„Nein, heute nicht, ein anderes Mal vielleicht, ich möchte jetzt nach Hause, ich muss ja auch das Essen vorbereiten.“

Max konnte sich zwar nicht vorstellen, wieso sie dafür den ganzen Tag brauchen sollte, schwieg aber, um den Funken Hoffnung, den er im Herzen trug, nicht zu verlieren.

Schweigend fuhren sie nach Hause, schweigend verlief auch der restliche Tag. Seine angebotene Hilfe in der Küche lehnte sie ab, auch den Tisch wollte sie selbst decken, und so verzog er sich ins Schlafzimmer und machte ein Nickerchen. Später schaltete er die Sportschau an und freute sich über den sensationellen Sieg seiner geliebten Borussia gegen den FC Augsburg. Fünf zu eins gewonnen, das war geradezu perfekt und dazu passte, dass genau beim Abpfiff Regina in der Tür erschien und ihn aufforderte, zu Tisch zu kommen. Sie sagte tatsächlich zu Tisch, was ihm merkwürdig vorkam. So merkwürdig, wie dieser ganze Tag. Seine Verwunderung nahm weiter zu, als er das Esszimmer betrat.

Der Tisch war gedeckt wie an Weihnachten. Das gute Geschirr und Kerzen in der Mitte. Tiefroter Wein funkelte in den Kristallgläsern, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte und die er scheußlich fand. Selbst das Silberbesteck schien sie geputzt zu haben, und auch sie selbst sah toll aus. Ein ihm unbekanntes enges, dunkelblaues Kleid aus weichem, fließendem Stoff umspielte vorteilhaft ihren sehr schmal gewordenen Körper. Er starrte sie mit offenem Mund verblüfft an.

„Setz dich doch Max“, lächelte sie, „alles ist fertig, lass es dir schmecken.“ Damit hob sie ihr Glas und prostete ihm zu.

Er hätte lieber ein Bier getrunken, was ja auch entschieden besser zu dem deftigen Gericht gepasst hätte, aber er schwieg und trank ihr zu. Der Wein war schwer und hinterließ ein seltsam pelziges Gefühl auf seiner Zunge, aber da er kein Kenner war, sagte er nichts darüber.

Regina füllte seinen Teller mit zwei knusprig - braunen Frikadellen und einem kleinen Berg Püree, auf den sie wie eine Mütze geschmälzte Zwiebeln packte. Dazu reichte sie ihm einen bereits zusammengestellten Salatteller.

„Ich hoffe, er schmeckt dir, ich habe das gute Olivenöl aus Kreta und den teuren Balsamicoessig für das Dressing benutzt. Du weißt ja, Öl und Essig sind das A und O für jeden guten Salat.“

„Das stimmt, da hast du wirklich recht“, stimmte er eilfertig zu, auch wenn er keine Ahnung hatte, ob das der Wahrheit entsprach. „Es schmeckt einfach wunderbar, vor allen Dingen die Frikadellen sind dir hervorragend gelungen.“

„Ja, das finde ich auch“, stimmte Regina ihm kauend zu. „Das muss an den Zwiebeln liegen, die haben einen sehr kräftigen Eigengeschmack.“ Wieder erhob sie ihr Glas und animierte ihn zum Trinken. Als er es leergetrunken hatte, überlegte er, ob er sich ein Bier aus dem Kühlschrank holen konnte, aber Regina kam ihm zuvor und schenkte Wein nach.

Nach einer halben Stunde schwirrte sein Kopf und der Gürtel drückte unangenehm in der Magengegend. Er hatte eindeutig zu viel gegessen, und dazu dieser schwere Rotwein, das war er nicht gewohnt. Regina saß ihm lächelnd gegenüber und schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen. „Was ist? Geht es dir nicht gut? Hat es dir nicht geschmeckt?“

„Oh doch, natürlich hat es mir geschmeckt, darum habe ich vermutlich auch zu viel gegessen und der Wein ist mir zu Kopf gestiegen, glaube ich. Du weißt ja, ich trinke nur selten Alkohol.“

„Ja, aber wenn, dann weißt du nicht mehr, was gut für dich ist“, antwortete sie und selbst sein beschwipster Verstand registrierte den bitteren Unterton.

Jetzt wurde ihm noch heißer und er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. „Regina“, bat er, „bitte lass uns doch jetzt nicht wieder mit dieser alten Geschichte anfangen. Ich weiß, ich habe einen schlimmen Fehler gemacht, und ich würde alles darum geben, ihn ungeschehen machen zu können. Kann ich aber nicht, also …“

„Also hast du als Zugabe auch noch meinen Hund vergiftet!“

Irgendwie fanden ihre Worte keinen Zugang zu seinem Gehirn. Er hörte sie, aber er verstand sie nicht. Was hatte denn jetzt der Hund mit seinem Seitensprung zu tun?

„Wie meinst du das? Wieso? Ich meine, ich habe doch nicht …“

„Doch hast du, da bin ich mir ganz sicher. Du hast es nicht ertragen, dass ich wieder glücklich war, dass ich Micky geliebt habe. Du musst alles zerstören, so wie du unsere Liebe zerstört hast, musstest du auch meine Liebe zu diesem unschuldigen Wesen zerstören.“

Sie hatte sich in Rage geredet, hektische rote Flecken breiteten sich über ihr Gesicht und den Hals aus und die Haare lösten sich aus der Spange.

„Ich verstehe dich nicht, Regina, wirklich. Ja gut, vielleicht habe ich nicht genug aufgepasst, vielleicht hätte ich es verhindern können, aber du kannst doch nicht sagen, ich hätte deinen Hund…“

„Und ob ich das sagen kann! Ich habe dich beobachtet, wenn du joggen gegangen bist. Ich habe genau gesehen, dass du Dinge fallenlassen hast, aber ich habe zu spät begriffen, was das war. Du bist dieser Dreckskerl, der Hunde vergiftet, der auch meinen Micky umgebracht hat.“

„Regina! Du weißt nicht mehr, was du sagst. Ich würde doch nie im Leben einem Hund etwas zu Leide tun. Du weißt, ich bin ein Tierfreund, ich füttere sogar die Krähen und die Enten, obwohl das verboten ist. Es war nur Brot, was ich geworfen habe, Brot, sonst nichts. Du hast mir einfach immer zu viel eingepackt und ich wollte es nicht wegschmeißen, also habe ich es an die Tieren verfüttert.“

Mittlerweile war ihm sterbensübel, sein Kopf dröhnte und der Schweiß lief ihm über das Gesicht.

„Das höre ich mir nicht länger an, das geht jetzt wirklich zu weit, Regina. Ich habe einmal einen Fehler gemacht, das habe ich nie bestritten und dafür hast du mich seither an jedem einzelnen Tag bestraft, aber hier ist für mich Schluss.“

Er stand auf, stieß dabei seinen Stuhl um und verließ mit schnellen Schritten den Raum und die Wohnung. Ihm war sterbensübel und er wusste nicht, ob von zu viel Wein, zu viel Essen oder von dem, was Regina ihm unterstellt hatte. Er brauchte frische Luft, musste seinen Kopf wieder klarkriegen und überlegen, was er als nächstes tun sollte. So viel stand für ihn fest, das konnte er nicht hinnehmen, dafür musste Regina sich bei ihm entschuldigen, und zwar ernsthaft. Irgendwo gab es auch für ihn eine Grenze und die hatte seine Frau heute Abend überschritten.

Er lief Richtung Innenstadt, schaffte es taumelnd, den Herzogplatz zu überqueren und ließ sich schließlich erschöpft auf eine Bank fallen. Er hatte keinen Blick für die architektonische Schönheit der barocken Gebäude, sein Mund brannte wie Feuer, und seine Eingeweide krampften sich immer heftiger zusammen. Nur mit größter Anstrengung gelang es ihm, den aufsteigenden Brechreiz zurückzudrängen. Ich bin krank, ich brauche einen Arzt, dachte er verwundert, doch dann kam ihm schlagartig die Erkenntnis. So ungeheuerlich, dass er sich kaum traute, weiter zu denken. „Sie will meinen Tod, sie hat mich vergiftet“, flüsterte er und suchte in den Taschen seiner Jacke verzweifelt nach dem Handy. Er fand es nicht und ihm fiel ein, dass er es neben seinem Bett abgelegt hatte, um Fußball zu gucken. Borussia hat gewonnen, war sein letzter Gedanke, bevor er das Bewusstsein verlor und von der Bank fiel.

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Wir waren kaum zehn Minuten unterwegs, als ich, etwa 30 Meter vor mir, einen Mann am Boden liegen sah. Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse, entdeckte aber sonst keine Menschenseele. Ignorieren ging nicht, da brauchte vielleicht jemand Hilfe, auch wenn ich überzeugt war, dass den wohl zu viel Alkohol ausgeknockt hatte. Also nahm ich beide Hunde kurz, die ebenfalls in die von mir angestrebte Richtung zogen und dann wurde mir leicht übel. Der Mann sah nicht aus, als würde er regelmäßig vor Parkbänken schlafen. Jeans, Hemd und Schuhe waren teure Markenbekleidung, seine Haare ordentlich geschnitten, nichts wies darauf hin, dass es sich um einen Obdachlosen handeln könnte. Er hatte sich erbrochen und Reste davon klebten in seinem Gesicht, auf dem offenen Mund krabbelten, trotzt der morgendlichen Frische, bereits Fliegen. Selbst ein Erstklässler hätte erkannt, dass niemand diesem Mann mehr helfen konnte, er war sicherlich seit Stunden tot.

„Was ist mit ihm?“, erklang in meinem Rücken eine sonore männliche Stimme und ich fuhr erschrocken herum.

„Mein Gott, wo kommen Sie denn so plötzlich her? Keine Ahnung, ich weiß nur, dass er tot ist. Ich wollte gerade die Polizei informieren“, antwortete ich, zückte mein iPhone, tippte die 110 und betrachtete unterdessen den Mann genauer. Er war älter als ich, größer als ich und hatte auch mehr Bauch als ich. Ansonsten wirkte er freundlich und nicht so, als würde er Menschen auf Parkbänken ums Leben bringen. Er wurde von zwei Hunden begleitet, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, einem Bordercollie und einer Französischen Bulldogge. Während ich mich noch fragte, wieso die Hunde so ruhig blieben, meldete sich an meinem Ohr ein Stimme: „Notruf der Polizei, was kann ich für Sie tun?“

„Menke hier, Detlev Menke, ich möchte mal wieder eine Leiche melden, einen toten Mann, der liegt hier vor einer Bank. Also, einer Parkbank genauer gesagt, davor steht ein Bücherschrank, dann ist hier noch ein Tütenspender für Kotbeutel und da vorne ein mobiles WC … Moment bitte … das weiß ich leider nicht.“ Ich drehte mich zu meinem neuen Bekannten um, der gerade mit seinem Smartphone die Leiche fotografierte und fragte: „Wo sind wir denn hier genau?“ Er warf mir einen verwunderten Blick zu, und antwortete: „Na, am Herzogplatz.“

„Hören Sie? Also, wir sind am Herzogplatz. Sagte ich doch schon, mein Name ist Detlev Menke, ich bin Privatdetektiv in Bad Dürkheim, aber im Augenblick in Zweibrücken zu Besuch bei Dr. Hella Labrius. Ich bin mit meinen Hunden hier entlang gelaufen und habe den Mann zufällig gefunden. Das passiert mit leider häufiger, dass ich Leichen finde, aber das ist eine lange Geschichte.“

Einen Augenblick war tiefes Schweigen am anderen Ende der Leitung und ich konnte mir gut vorstellen, dass da jemand überlegte, ob er es mit einem Spinner zu tun hatte. Dann kam kurz und knapp die Anweisung, nichts anzufassen, nicht wegzugehen und auf Notarzt und Polizei zu warten. Dann wurde aufgelegt, noch bevor ich versichern konnte, das alles einhalten zu wollen.

Ich steckte mein Handy weg und drehte mich wieder zu dem Typen mit den Hunden um, die mittlerweile wie die Hühner bei Witwe Bolte als Quartett umeinander herumliefen und sich gegenseitig am Hintern rochen.

„Warum machen Sie eigentlich Fotos von einer Leiche? Sagen Sie nicht, Sie wollen die auf Insta oder so posten, das finde ich zum kotzen“, regte ich mich auf, aber er winkte nur ab. „Kommen Sie wieder runter, ich bin Freelancer bei der Rheinpfalz, fotografiere, schreibe, berichte, was grad so anfällt und die Fotos sind nicht für die Öffentlichkeit, sondern für die Polizei bestimmt.“

„Wieso, haben die keine eigenen Fotografen?“, fragte ich, immer noch skeptisch. Die Antwort hörte ich nicht mehr, weil die Stille plötzlich von einem unglaublichen Gekrächze durchbrochen wurde. Gefühlte 5000 Krähen stimmten gemeinsam ein Morgenlied an, und dieser Höllenlärm, wurde zusätzlich vom Sirenengeheul des „ersten Angriffs“ übertroffen. Vorneweg kam der Rettungswagen über den Platz, dahinter ein PKW mit dem Notarztschild, und von der anderen Seite raste ein Streifenwagen heran. Wer jetzt noch nicht wach war, musste entweder sehr schwerhörig oder bereits tot sein. Fast gleichzeitig stoppten die drei Fahrzeuge, die Türen öffneten sich und die Insassen sprangen heraus. Der Notarzt entpuppte sich als eine attraktive, sportlich aussehende Blondine, die zielstrebig auf den am Boden liegenden Mann zulief. Zwei Sanis kamen mit einer Trage aus dem RTW angerannt. Die beiden Streifenhörnchen holten eine Rolle mit rot-weißem Absperrband aus dem Kofferraum, nachdem sie ein paar Worte mit der Notärztin gewechselt hatten. Dann entdeckte der ältere von ihnen den Hundemann und winkte ihm zu: „Seit wann ist die Zeitung schneller als die Polizei? Was machen Sie um diese unchristliche Uhrzeit schon hier? Haben Sie ihn gefunden?“, wollte der jüngere der Beiden wissen, der aussah, als wäre er noch nicht mal volljährig.

„Nein, das war der Detektiv da aus Bad Dürkheim“, war die Antwort, mit einer kurzen Kopfbewegung in meine Richtung.

„Detektiv aus Dürkem? Doch nicht etwa der mit dem Dackel?“ Der ältere Beamte blieb stehen und drehte sich zu mir um. „Sind Sie Menke? Dann kennen Sie bestimmt meinen Schwager Norman.“

„Norman und wie weiter?“, fragte ich verblüfft, aber ich ahnte schon, wie die Antwort lauten würde.

„Sand, Norman Sand, der ist bei der Kripo in Ludwigshafen und hat oft von Ihnen erzählt, müssen Sie also kennen.“

„Das ist Ihr Schwager? Na, wenn das kein Zufall ist, die Welt ist wirklich klein“, sagte ich lahm, weil mir einfach nichts Gescheiteres einfallen wollte. Ich konnte mir schließlich denken, wie lange es unter diesen Umständen dauern würde, bis der Sandmann davon erfuhr, dass ich mal wieder eine Leiche gefunden hatte. Und was er wusste, wusste 30 Sekunden später auch Tabea.

„Der Mann ist tot und das ungefähr seit Mitternacht, plus-minus eine Stunde. Ob Fremdverschulden vorliegt, kann ich nicht sagen, er könnte auch an seinem Erbrochenen erstickt sein. Möglicherweise ist Gift im Spiel, keine Ahnung. Ich denke, da muss die Kripo her. Passen Sie aber auf, dass keiner der Hunde den Fundort verunreinigt.“

Die Notärztin war mit ihrer Erstuntersuchung fertig und verabschiedete sich, weil sie gerade zu einem weiteren Einsatz gerufen wurde. Der ältere Beamte murmelte etwas vor sich hin, während er in den Taschen des Toten nach Ausweispapieren suchte. Er wurde nicht fündig, zuckte die Schultern, ging in aller Seelenruhe zu seinem Fahrzeug, und teilte der Einsatzleitstelle mit, dass man die Kripo schicken solle.

Ich wandte mich dem Zeitungsmann zu und fragte nach seinem Namen.

„Füßler, Thomas Füßler und Sie heißen Menke, ich hab’s gehört. Das kann jetzt hier dauern, wenn Fremdverschulden vermutet wird, oder auch nur nicht ausgeschlossen werden kann, muss die Kripo aus Pirmasens anrücken und die Lauterer wurden natürlich auch bereits informiert. Hilft nix, wir sitzen fürs erste fest, auch wenn wir kaum etwas zur Aufklärung beitragen können.“

„Und außerdem stehen wir“, stellte ich klar, „vielleicht ist es ja gestattet, sich in der Nähe in ein Café zu setzen, was meinen Sie?“

„Das glaube ich kaum. Abgesehen davon, dass es in Zweibrücken kein Café gibt, dass um diese unchristliche Uhrzeit geöffnet hätte, können wir schon froh sein, wenn wir uns da drüben auf die Bank setzen dürfen“, grinste er und war mir plötzlich irgendwie sympathisch.

Ich drehte mich zu dem älteren Beamten um, den die Situation nicht weiter zu beunruhigen schien und holte mir die Genehmigung, mich ungefähr fünfzig Meter entfernt auf einer Bank niederzulassen.

„Keine Sorge, ich laufe Ihnen nicht davon. Ich habe einen festen Wohnsitz, eine Oberkommissarin zur Freundin und einen Oberkommissar als Freund“, fügte ich zu seiner Beruhigung noch hinzu.

„Ja, die Oberkommissarin Kühn, ich weiß. Ob die allerdings noch Ihre Freundin ist, weiß ich nicht so genau. Man hört so dies und das“, grinste er.

„Was hört man und wer ist ‚man‘“?

„Gerüchte, lachte er, nix als Gerüchte, Sie müssen es doch am besten wissen, wie es um Ihre Beziehung steht. Also nehmen Sie Ihre Hunde, gehen Sie und setzen Sie sich da vorne auf die Bank. Sie werden Geduld brauchen, so wie wir alle heute Morgen.“

„Ich geh mit, laufe auch nicht weg“, ließ der Zeitungsmann ihn wissen, bekam aber nur ein Kopfnicken, ganz ohne Kommentare zum Stand seiner Beziehung.

„Sind Sie verheiratet oder sonst wie liiert?“ fragte ich, einfach, um ein Gespräch in Gang zu bringen.

„Geht Sie zwar nix an, aber ja, bin ich, seit einer halben Ewigkeit. Warum wollen Sie das wissen? Haben Sie Krach mit ihrer Frau oder Freundin, dem Freund …“

„Freundin, und Krach ist eigentlich das falsche Wort. Sie hat auf Abstand bestanden, darum bin ich überhaupt in Zweibrücken und sitze hier auf dieser Bank fest.“

„Dann haben Sie Krach“ nickte Füßler „und zwar richtig. Eine Frau, die Abstand will, die meint es ernst. Was haben Sie denn ausgefressen? Also, geht mich nichts an, aber …“

„Schon gut, kein Problem, ich habe eigentlich gar nichts gemacht, ganz im Gegenteil, ich will sie seit zwei Jahren heiraten, reiße mir buchstäblich den Arsch auf und verstehe überhaupt nicht, was ihr daran alles nicht passt.“

„Was sagt sie denn? Haben Sie sie mal gefragt?“

„Klar, mehrfach. Also, sie findet, ich bedränge sie zu sehr, lasse ihr keinen Freiraum, sehe nicht, wie wichtig ihr die Arbeit ist, benehme mich wie ein beleidigtes Kind und verwechsele sie mit meiner Mutter. Das war’s für erste.“

„Himmel, ja, das klingt übel. Ihre Freundin ist Oberkommissarin bei der Moko in Lu? Dann hat sie Ehrgeiz, ist gut in ihrem Job und nimmt ihn verdammt ernst. Ist das so?“

„Ja, genau so! Außerdem ist sie klug, witzig, schlagfertig, warmherzig und obendrein bildschön. Sie sehen, ich habe es nicht leicht.“

Füßler lachte schallend, so laut, dass die beiden Streifenbeamten zu uns rüber sahen.

„Tschuldigung, gehört sich nicht, in Anwesenheit eines Toten zu lachen“, sagte er schuldbewusst, aber um seinen Mund zuckte es noch immer. „Sie haben da eben ein Bond-Girl geschildert, Superwoman könnte man meinen. Da kann ich mir schon vorstellen, dass es nicht immer leicht ist, da mitzuhalten.“

„Ist es auch nicht, und wenn man seinen Job obendrein im Fernstudium gelernt hat, schon dreimal nicht“, stöhnte ich und seufzte tief. „Wissen Sie, wir haben uns kennengelernt, da hielt sie mich für ein Oberarschloch und außerdem für einen Frauenmörder. Den Frauenmörder hat sie fallenlassen, aber …“

„Ach, jetzt hören Sie auf, sich Leid zu tun. Würde sie Sie immer noch für ein Arschloch halten, wäre sie kaum seit geraumer Zeit Ihre Freundin.“

„Momentan ist sie das wohl auch nicht und wenn sie erst erfährt, dass ich hier schon wieder in einem Mordfall stecke …“

„Wieso Mordfall? Das steht bis jetzt nicht fest, vielleicht ist er an einem Herzinfarkt oder einem hypoglykämischen Schock verstorben, wer weiß das schon?“

„Das hätte die Notärztin bestimmt erkannt, ne, glaube ich nicht. Mein Bauchgefühl sagt mir deutlich, dass hier ein Mord passiert ist. Also, vielleicht nicht unmittelbar hier, aber, ich bin sicher, dass der Mann ermordet wurde. Sagen Sie mal, haben Sie eigentlich keine Angst, dass Ihre Hunde was von diesen präparierten Ködern aufnehmen? Deswegen bin ich nämlich überhaupt in Zweibrücken. Die Hella hat mich gebeten, den Kerl aufzuspüren, der das macht. Also, ob es wirklich ein Kerl ist, wissen wir noch nicht, aber wir gehen davon aus.“

„Ich habe davon gelesen, üble Geschichte, ganz üble, aber meine Beiden nehmen nichts vom Boden auf, das haben wir lange trainiert.“

„Aha“, sagte ich lahm und nahm mir vor, noch heute Abend ebenfalls mit einem solchen Training anzufangen.

Ich sah mich nach Alli um, der gerade noch intensiv an einem Pfosten der Bank geschnüffelt hatte, sah ihn aber nicht, nur Elfie schlief zu meinen Füssen, den großen Kopf auf die Pfoten gebettet.

„Haben Sie meinen Hund gesehen? Alli, Alli, hierher, komm her! Alli, verdammt, wo steckst du denn?“

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