Kitabı oku: «Monstratorem», sayfa 4

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Landwirtschaft 4.0

„Verdammte Schwarzkittel!“ Fluchend starrte Peter Reimers auf den Flurschaden im Maisfeld. Vom Trecker aus überwachte er die Ländereien in Kronsfelde. Er schaute grimmig aufs Jagdgewehr, das seitlich neben seinem rechten Knie stand. Ruckartig stellte Arko die Ohren auf und bellte. Mit geschwollener Brust betrachtete der Bauer seinen Hund in der Kabine der Zugmaschine. „Feiner Kerl“, murmelte er. Was für eine gute Idee von seiner Helga, ihm den Vorstehhund zum zwanzigsten Hochzeitstag zu schenken. Hin und wieder kam ihr auch mal ein Lichtblick, wenn auch nur selten. Aber dafür hatte sie ja ihn. Und wenn man bedachte, dass er es mit ihr nun schon so lange ausgehalten und nur ganze zweimal an Trennung gedacht hatte, war das schon eine Leistung.

„Na, was ist denn los, mein Großer“, sagte er und strich dem Jagdhund über den braunweißen Kopf. Aber dieser ließ sich nicht ablenken. Mit typisch vorgestrecktem Leib und angewinkelter Pfote visierte der Hund den Horizont an. Irgendetwas witterte das Tier, bloß was? Genervt versuchte der Landwirt, dessen Ziel auszumachen, was ihm allerdings nicht gelang. Am Himmel zog eine Gruppe Schleierwolken vorbei. Peters Sehkraft begann in letzter Zeit etwas zu schwächeln. Normalerweise trug er eine Brille, verzichtete aber aus Eitelkeit darauf. Lieber rieb er sich einmal mehr die brennenden Augen, selbst wenn diese schon karnickelhaft gerötet waren.

Vom Äußeren her war er ein Mann aus echtem Schrot und Korn, der mit seinem Gardemaß von strammen 190 cm und guten 120 Kilo Lebendgewicht schon als hünenhaft galt. Und obwohl er die Fünfzig bereits überschritten hatte, wirkte sein Gesicht ungewöhnlich weich. Und wären nicht die grauen Schläfen und die Kniescheibe am Hinterkopf, würde man ihn tatsächlich zehn Jahre jünger schätzen.

Allerdings ließen ihn seine bisweilen erstaunliche Sensibilität und Rührseligkeit beinahe mimosenhaft wirken, was mit seiner wuchtigen Erscheinung absolut nicht harmonierte. Man wird es kaum glauben, aber dieser grobschlächtige Kerl gebärdete sich manchmal wie ein Kind. Ging mal etwas nicht nach seinem Willen, kam er schnell ins Jammern, selbst bei nichtigsten Anlässen. Folglich war er oft launisch und nur schwer zu ertragen. Das machte ihn nicht unbedingt beliebt. Aber darauf pfiff er, wie auf jede Kritik.

Jetzt widmete er sich wieder der Saatmaschine und dem 255 PS starken John Deere, sein ganzer Stolz. Da konnten Leute wie Jarmers oder Birger mit ihren vorsintflutlichen Krücken nicht mithalten. Die Welt war schon ungerecht, schoss es ihm angesichts ihrer dummen Gesichter durch den Kopf, als er sie vor einigen Monaten mit diesem neuen Gefährt schockiert hatte. Dabei war das keineswegs beabsichtigt, sondern eher beiläufig geschehen. Erwartungsgemäß stellten sie auch keine Fragen, so dass Peter von sich heraus erzählen musste, natürlich nur beiläufig und im Ton eines gewissen Verständnisses. Zur Finanzierung hingegen machte er keine Angaben. Von wegen Reimers schneidet nur auf und kriegt nichts auf die Reihe! Das sollten sie erst mal nachmachen.

Aber es gab Wichtigeres. Erst letzte Nacht weckte ihn sein Smartphone. Es war gegen drei Uhr, als er schlaftrunken nachguckte, ob irgendetwas im Geflügelstall nicht stimmte. War die Temperatur abgefallen? Oder streikte die Lüftung wieder einmal? Völlig relaxt hatte er daraufhin den Computer neu gestartet und alles war wieder paletti. Von solchem Luxus konnten diese beiden Pappnasen nur träumen. Aber er wollte sie damit nicht auch noch quälen. Schließlich hatte der Bauer ganz andere Probleme.

Sein Schnuckelchen Helga zeigte sich in letzter Zeit etwas unlustig, obgleich er ihr erst jüngst ein paar neckische Dessous geschenkt hatte. Auch wenn das freilich nur Fassade war, weil es nun mal dazu gehörte, hätte man doch wenigstens etwas Dankbarkeit erwarten können. Stattdessen hatte sie ihn angeschaut, als habe er nicht alle Tassen im Schrank. Sollte wirklich nach über zwanzig Ehejahren nicht mehr drin sein, nur weil er seinen ehelichen Pflichten sehr schleppend nachkam? Sie wusste doch, dass der Grund dafür in einer Anomalie seines Gemüts lag. Er war eben, wie er war, impulsiv, cholerisch und für Sinnlichkeit nur schwer empfänglich. Entweder ganz oder gar nicht, war seine Devise. Alles dazwischen war nicht sein Ding. Und nun vermasselte sie ihm dieses letzte Vergnügen noch durch ihre zunehmend abweisende Art, so dass nicht mal mehr ein kleines ‚kille, kille‘ drin war.

Hinzu kam eine weitere, noch weitaus schlimmere Angst. Obwohl das Vieh schon lange auf Spalten stand und die Säuberung ein Kinderspiel war, bot das noch lange keine Garantie vor epidemischen Seuchen. Selbst die antibiotischen Substanzen im Futter waren für ihn nur Drops, womit sich die Pharmaindustrie eine goldene Nase lutschte.

Er würde es nicht überleben, sollte sein Hof deswegen zu Grunde gehen, denn dafür hatte er zu viel investiert. Und wie klein hatte er doch angefangen, so klein, dass ihn die Dorfältesten zu Beginn gar nicht sahen. Selbst am Stammtisch im Dorfkrug beim Stiefeltrinken wurde er nur geduldet und man amüsierte sich oftmals auf seine Kosten. Mittlerweile hatte sich das geändert. Nun machte er die Witze.

Gehörte er doch längst zu jenen Newcomern, der in Ranzel einen Betrieb mit 300 Hektar Ackerland und rund 20000 Geflügelvögeln, wie Hühner, Gänse, Puten und Enten bewirtschaftete und kleinere Höfe gnadenlos an die Wand drückte. So was nannte man ‚New Age Generation‘. Oder anders ausgedrückt: Aus Laptop-Landwirten bestehende Lumpenhunde, die den Markt abzockten und anderen gegenüber stets den besseren Schnitt machten. Denn in der modernen Landwirtschaft wurde Muskelkraft längst durch Roboter ersetzt und Peilsender erstellten Daten über die Bodenbeschaffenheit von Agrarflächen. Ebenso gaben Computer einen Überblick über den Gesundheitszustand der Tierbestände. Programme schrieben Futterpläne. Es folgte die filigrane Steuerung der Antibiotikagabe; sowie der suboptimale Einsatz von Desinfektionsmitteln. Sensoren steuerten die Aussaat und maßen die Feuchte der Ernte und so weiter.

Per Smartphone hatte Reimers jederzeit Zugriff auf das Netzwerk, wo er Temperatur, Licht und Wärme korrigieren konnte. Diese Digitalisierung war der aktuelle Höhepunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung in der Landwirtschaft. Darüber hätte er mittlerweile promovieren können. Das hatte mit dem herkömmlichen Bild von dampfenden Misthaufen, grunzenden Schweinen, herumpickenden Hühnern und einem Kälbchen bei seiner Mutter nichts mehr zu tun. Derzeit bezeugten die hochspezialisierten Leistungsbetriebe das Ergebnis eines massiven Strukturwandels, welches eine anhaltende Landflucht seit Jahren verursachte.

Inzwischen hatte sich Arko heiß aufgespult. Genervt angelte Peter Reimers den Feldstecher aus der Ablage heraus. Während sein 225 PSler weiterhin autark über den Acker rollte, fixierte der Bauer den gegenüberliegenden Knick. Plötzlich durchfuhr ihn ein Schreck. Unweit des Knicküberhanges entdeckte er einen toten Storch. ‚Die Vogelgrippe‘, durchzuckte es ihn. Sofort trat er auf die Eisen und schoss mit seinem Smartphone eine Serie von Bildern. Zuerst fotografierte er den Kadaver. Danach zwei weitere Störche, die auf dem benachbarten Brachland nach Nahrung suchten.

Angewidert spie er aus. In diesem Zusammenhang verfluchte er den großmäuligen und dilettantischen Nachbarn Georg Sündermann, der es nicht einmal für nötig erachtete, seine Felder zu kontrollieren. Anstatt diese vernünftig zu bestellen, kassierte der Lump gesponserte Euromoneten. Mit einer ordentlichen Drainage und sinnvoller Flächennutzung hätten die Vögel sich kaum hier niedergelassen. Doch nun hatte Peter den Salat! Oh, wie gönnte er diesem Müßiggänger, dass seine Alte erst vor kurzem mit einem Jüngeren durchgebrannt war. Leider ergab sich daraus plötzlich eine andere Konstellation.

Da Georg Sündermann seine Kaschemme mit den glotzenden Milchkühen nicht mehr alleine schmeißen konnte und sein Sohn Rolf wegen notorischer Unfähigkeit keine zukunftssichere Perspektive bot, hielt Sündermann Senior nach neuen Partnern und Pfründen Ausschau. Die neuartige Offenstallhaltung konnte das beileibe geldlich nicht rausreißen. Sündermann würde schon bald in Insolvenz gehen. Dafür verwettete Reimers seinen Arsch.

Normalerweise würde ihn das nicht weiter tangieren, denn bei ihm brauchte er nicht anzuklopfen. Doch ausgerechnet Sündermanns Sohn Rolf schickte sich neuerdings an, Peters einzige Tochter Viktoria zu umschmeicheln, und diese zeigte sich nicht mal abgeneigt. Ja, war sie von allen guten Geistern verlassen? Dieser Typ besaß nichts, was einen Mann auszeichnete. Zudem war er ein launischer Dummschwätzer und ewiger Besserwisser, der sogar schon gewagt hatte, ihm Vorschriften zu machen. Man stelle sich nur vor!

Dabei lebte dieser Kerl aus unerfindlichen Gründen in der irrigen Annahme, irgendwann einmal ein Vermögen zu übernehmen, und spielte sich auch so auf. Und dieses bornierte Geschwafel vom Hochseeangeln, welches er an den Wochenenden pflegte. Dem müsste man dringend den Weidezaun zurückstellen. Mit anderen Worten, man konnte sich keinen größeren Lackaffen vorstellen als diesen prolligen Baggy Pants-Träger mit absurden Ohrtunneln.

Was musste Peter noch ertragen? Wütend ballte er die Faust. Dabei hätte sein Liebling wahrlich Besseres verdient, wie zum Beispiel den jungen Max-Tarde Mommsen. Zwar war er manchmal etwas begriffsstutzig. Auch verkörperte er mit seinen abstehenden Ohren und den vielen Sommersprossen nicht gerade einen Dressman. Dafür besaß seine Familie den größten Milchhof der Umgebung, der eine gute Partie versprach. Hinzu kam, dass er an einem Tag ein ganzes Feld mähen konnte, ohne gleich schlapp zu machen. Wiederholt hatte Peter eine Vermittlung angestrebt und einmal sogar ein Treffen arrangiert. Doch irgendwie wollte der Funke nicht überspringen. Nicht dass Max-Tarde zu dusselig war, er stellte sich vielleicht nur etwas ungeschickt an.

Das versuchte er seiner Viki im Anschluss zu erklären. Aber sie wollte davon nichts hören. Ihr einziger Kommentar dazu lautete: „Ich lasse mich nicht verkuppeln!“. Das musste erst mal verdaut werden. Als ihm daraufhin der Kragen platzte und er ihr aufzählte, was ihm an diesem Heißsporn Sündermann Junior missfiel, nannte sie ihn einen Spießer. Schließlich würde sie bald dreißig und könne in solchen Dingen allein entscheiden. Rolf wäre der Mann ihres Lebens, gefolgt von weiterem Unsinn wie Liebe und so ’n Zeug.

Offenbar wusste sie nicht, was sie da schwatzte. Liebe war etwas Edles und Gutes, das nur jemandem zustand, der sie auch verdiente. Doch davon konnte bei diesem Vogel keine Rede sein. Er hatte sich doch nur in ihr Herz geschmeichelt, weil ihr elterlicher Hof ihm eine gute Option versprach. Nur erkannte sie das nicht. Daher war es seine väterliche Aufgabe, Viktoria vor diesem Unglück zu bewahren. Natürlich waren schon deshalb kleineren Reibereien zwischen Rolf und ihm programmiert.

Entnervt rieb er sich die Augen. „Braver Hund“, murmelte er und tätschelte Arko, allerdings, um sich in erster Linie selbst zu beruhigen. Dann nahm er das Fernglas wieder auf und fixierte erneut den Knick. Doch was war das?

Am dortigen Straßenrand parkte ein dunkelblauer Audi. „Da wollen wir doch mal sehen, du Möchtegern, was du dort treibst!“, raunte er aufgebracht, als er einen gelackten Mantelträger erblickte. „Na, offenbar ein neunmalkluger Städter, der uns erklären will, dass Möhren nicht auf Bäumen wachsen.“ Arko spitzte derweil seine Ohren. „Das darf doch nicht wahr sein! Besitzt dieser Kerl tatsächlich die Frechheit, irgendwelchen Müll ins Unterholz zu werfen. Verdammtes Umweltschwein! Dafür wirst du blechen.“ Sofort zoomte Peter mit seinem Smartphone alles beweiskräftig heran und drückte auf den Auslöser.

„Das war’s, mein Freund“, frohlockte er in boshafter Freude. „Aus dieser Nummer kommst du nicht mehr raus. Die Preise für solche Sauereien sind bekanntlich gepfeffert.“ Eine Nachschau im Viewer ergab eine gelungene Aufnahme. Selbst das Kennzeichen war zu erkennen. Doch was zum Teufel tat dieser Kerl jetzt? Nachdem sich dieser Bursche seelenruhig zum Wagen zurückbegeben hatte, zog er plötzlich etwas aus dem Mantel, das wie eine Pistole aussah, und zielte auf den Trecker. Fast war Peter geneigt, den Kopf einzuziehen, denn das sah verdammt entschlossen aus. Gott sei Dank blieb es bei dieser Trockenübung. Kurz darauf stieg der Typ ins Auto und fuhr los.

Reimers Gesicht war eine einzige Frage. Der Bursche konnte unmöglich bemerkt haben, dass er gefilmt wurde. Dafür war der Bauer zu weit weg. Und doch stellte es sich so dar. Es war eine Pistole und er glaubte nicht, dass die nur Wasser verspritzte. Dieser Bursche schien überhaupt ein komischer Vogel gewesen zu sein. Wie albern der über den Feldweg gestakst war, nur um sich die Schuhe nicht zu beschmutzen. Der stammte garantiert nicht von hier und das HH-Kennzeichen musste auch nicht stimmen. Womöglich war das ganze Auto geklaut. Wie dem auch sei, hier stank etwas. Peter fühlte es.

Nun gut, hier liefen viele komische Typen rum. Außerdem war es nicht verboten, eine Waffe durchzuladen. War es am Ende ein Sportschütze, der eine Zielübung machte? ‚Vielleicht sollte ich in Zukunft nicht so viele Krimis gucken‘, dachte Reimers und kratzte sich am Kopf. Er hatte schon einige Male irgendwelche Leute beargwöhnt, ohne dass sich auch nur der Funke eines Verdachtes bestätigte. Das musste an seinem angeborenen Misstrauen liegen, der aber wiederum seinen späteren Erfolg untermauerte. In diesem Fall wartete er lieber eine Weile, bis sich der Audi entfernt hatte.

Als die Luft rein war, schritt er zur Tat. Flugs klappte er das Kabinenfenster auf, legte das Gewehr an und visierte in Richtung Brachland. Dann ballerte er los und durchsiebte einen dort stehenden Storch, worauf sofort eine Federwolke aufstob. „Volltreffer!“

Um eine Ausbreitung der Seuche zu verhindern, hielt es Peter für legitim, auf diese Weise zur Selbsthilfe zu greifen, selbst wenn das verboten war. Er zielte erneut und drückte ab. Einen weiteren Storch streiften die Schrotkugeln beim Auffliegen. Erst mit einem erneuten Schuss erwischte er ihn richtig. Zufrieden riss der Bauer die Treckertür auf und befahl einen Apport. Nicht, dass es ihm Freude machte. Er liebte Vögel, allem voran Störche. Aber wer konnte schon sagen, welches Tier infiziert war? Im Zweifelsfall musste man alle plattmachen, selbst wenn das gewisse Politiker in diesem Land nicht verstanden und die Bekämpfung solcher Seuchen nur sehr halbherzig angingen. Kurz darauf fuhr der Trecker wieder an.

Am Knick des Feldweges angekommen, stoppte Reimers das Gefährt. Beim Aussteigen streifte er sich routiniert Arbeitshandschuhe über. Prüfend betrachtete er seine Jagdtrophäen und schmiss diese auf den Frontlader. Danach pfiff er kurz und Arko kam apportierend herbeigeeilt. „Feiner Kerl“, lobte sein Herrchen, „wenigstens einer, auf den ich mich verlassen kann.“ Erregt stand der Hund wie eine Eins vor der Beute und kläffte. Peter warf jetzt den dritten Storch ebenfalls auf den Frontlader. „Nun haben wir den gesamten Müll. Na komm, auf geht’s, mein Bester.“ Dann ließ er Arko aufspringen und fuhr weiter.

Vorübergehend öffnete sich der Himmel und die Sonne stand wie eine Wand vor ihm. Zwei, drei Sekunden später verschwand das Schauspiel wieder. Die Gedanken des Bauern wanderten jetzt zum Hof zurück. Schon sah er Töchterchen Viktoria im klimatisierten Büro agieren. Von dort würde sie professionell über augenfreundliche Bildschirme alle Ställe überwachen und die Abläufe kontrollieren.

Nur, wie sollte diese Null von Rolfi ihr dabei behilflich sein? Der hatte doch nicht für ’n Fünfer Ahnung und besaß zudem zwei linke Hände. Was hatte sie bloß an diesem Typen gefressen? Der konnte ihr gar nichts bieten, außer ständig dämlichem Gequatsche über allerlei politischen Kram. Und doch musste er sie damit beeindruckt haben, denn so, wie er theoretisierte, klang das ja alles recht passabel. Nur wenn man tiefer nachfragte und etwas äußerte, was nicht in seine Weltsicht passte, wurde er schnell fahrig. Kurzum, er war ein typischer Schwätzer, der einen Querdenker wie ihn nicht ertrug. Schon deshalb war eine dauerhafte Reibefläche zwischen ihnen programmiert.

Im Übrigen war das alles gar nicht der Rede wert und Reimers ärgerte sich, wieso sich dieser selbstüberschätzende Kerl schon wieder in seine Gedanken drängte. Dieses Jüngelchen in seinem 80-Kilo-Muskelpanzer war mit seinen 24 Lenzen noch ganz grün hinter den Ohren. Zudem hatte er nichts Ordentliches gelernt, worauf man bauen konnte. Was war schon ein Politikwissenschaftler? Nicht mehr als ein Currywurstbrutzler oder Katalogverkäufer! Besorgt zog Reimers seine Stirn kraus.

Und wenn es schon nicht mehr zu verhindern war, blieb nur zu hoffen, dass er wenigstens einen ordentlichen Stammhalter zustande brachte. Den Namen Reimers würde Viktoria selbstredend behalten. Da gab es gar keine Diskussion, und wenn das Rolfi nicht passte, konnte er ja gehen. Was den unvermeidlichen Schwiegervater in dieser Sache betraf, sollte er sich bloß nicht einbilden, durch diese unselige Verbindung auch nur einen Fuß in Peters Geschäfte zu bekommen. Reimers hatte noch nie gern geteilt und schon gar nicht mit dem. Die Erfahrung im Mastbetrieb und das Strecken und Verkaufen von gebeizter Saat nach Übersee deklarierte er ohnehin zur Chefsache. Darin war er ein Fuchs. Schließlich verlangte sensibles landwirtschaftliches Agieren mehr als ein Tannenbaumstecken.

Kurz vor seinem Hof lenkte der Bauer den Trecker in Richtung der Hünengräber. In diesem Schutzgebiet verklappte Reimers die Kadaver. Hier durchwühlte niemand den Boden. Das verbot das Gesetz. ‚Töchterchen muss noch viel lernen, wenn sie mal alles übernehmen will.‘ Mit diesem Gedanken wendete er den Trecker. Der Platz an der Sonne musste erkämpft werden! Schmarotzer würden nicht geduldet! Davon gab es genügend, die sich nicht zu schade waren, für ein Butterbrot die größte Dummheit zu begehen, nur weil sie für einen redlichen Broterwerb zu faul waren. Allen voran Schmierfinken vom Schlage eines Rolf Sündermann. Womöglich musste Peter künftig noch aufpassen, was er sagte. Aber das wäre ja noch schöner. Schwiegersohn hin oder her – eher jagte er ihn achtkantig vom Hof.

Dabei hatte ihn seine Helga wiederholt ermahnt nicht so grob zu Rolf zu sein. „Du hast dich seinerzeit auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als du meinem Vater etwas von Mastzucht erzählen wolltest und dabei die Begriffe verwechselt hast“, warf sie ihm vor. Das war natürlich Unsinn, weil das eine ganz andere Zeit war; und überhaupt waren das ganz dumme Gedanken.

„Feierabend“, tönte der Bauer und bog auf die Landstraße ein. Vergnügt trommelten seine Finger auf das Lenkrad. Verlässlich rollte die Kraftmaschine vom Feld auf die Straße. Beim Einfahren in den Kreisel des Dorfes schnitt ihn plötzlich ein dicker Daimler. Eine solche Frechheit konnte nur von dem Einen kommen: Sündermann! Nicht mal einen Gruß hielt der für nötig. Dem würde er schon noch Manieren beibringen, denn er kannte einen alten Haudegen wie Peter Reimers noch lange nicht.

Die Töpferstube

„Nein, das ist doch …!“ Sina zog das Lenkrad nach rechts und konnte im letzten Moment einem frontal entgegenkommenden Fahrzeug gerade noch ausweichen. Ihr Wagen kam dabei derart ins Schlingen, dass er sich zu überschlagen drohte. Nur knapp konnte sie ihn abfangen und stieß zu allem Unglück mit dem Kopf gegen das Steuer. Ihr Fuß stand auf der Bremse und nach einer halben Ewigkeit kam der dunkelgrüne Range Rover endlich zum Stehen.

Wo kam der denn so plötzlich her? War der lebensmüde? Durch den Rückspiegel schaute sie ihm noch nach, konnte aber nicht mehr das Kennzeichen erkennen. „Vollidiot!“, rief sie ihm hinterher. Mit rasendem Puls registrierte sie, wie die Rücklichter eines dunkelblauen Audi Avant hinter der nächsten Kurve verschwanden. Sodann sah sie in den Spiegel und bemerkte die Rötung an ihrer linken Stirn. Das würde eine dicke Beule geben. Fahrig kramte sie ihr Smartphone aus der Handtasche hervor und drückte kühlend die Glasfläche auf die schmerzende Stelle. Dann schaltete sie die Warnblinkanlage ein.

Gott sei Dank war Boy unverletzt. Er saß im Fangkorb und hechelte. Wütend stieg Sina aus und besah sich den Schaden: Der linke Außenspiegel war von der Karosserie abgerissen und lag jetzt sicherlich irgendwo da hinten. Sie taumelte einige Meter zurück. Schließlich konnte sie ihn am Straßenrand ausfindig machen. Als sie ihn jedoch näher betrachtete, stellte sie fest, dass es nicht ihrer war. Er gehörte zum blauen Audi. Die Bruchstellen waren noch frisch und vor allem ziemlich markant. Daran wäre jederzeit eine Zuordnung möglich. Also steckte sie ihn ein.

‚Wenigstens hast du auch was abbekommen‘, dachte sie mit einer gewissen Genugtuung, obwohl sie es noch immer nicht recht verstand. Das hätte böse enden können. Dabei lag gar kein Grund vor, sie derart scharf zu schneiden. Die Straße war frei gewesen und sie hatte niemanden behindert. Entweder war der Kerl besoffen oder stand unter Drogen. Der eigene Spiegel hingegen blieb verschwunden.

„Sonntagsfahrer!“ Fluchend stampfte sie zum Rover zurück und stieg ein. Ihren mittlerweile aufgeregt bellenden Mops steckte sie ein paar Leckereien zu und sagte ihm ein paar liebe Worte. Dennoch haderte sie mit sich. Schließlich schaltete Sina die Warnblinkanlage aus und fuhr weiter. Fahrig strich sie sich eine Strähne aus der Stirn. Einen Moment später bog sie auf die Hauptstraße ab und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein.

Der Schreck saß ihr noch lange im Nacken. Dabei war sie bis jetzt euphorisch gewesen, nachdem sie einige Gartenzwerge von Volkers frisch geliefertem Nachschub in eine große Reisetasche gepackt hatte und dazu einige fertig restaurierte Exponate der letzten Wochen. Sie war überzeugt, diese Frau Blank damit zu beeindrucken. Gott sei Dank war alles heil geblieben. Das hätte noch gefehlt. Am heutigen Tage war der Termin fest eingeplant. Nichts war für ein Geschäft tödlicher als Unpünktlichkeit.

Gleichwohl war ihr auch ein wenig mulmig zumute. Eilte dieser Frau Blank doch der Ruf eines schwierigen Charakters voraus. Demnach galt sie als verschroben und eigensinnig. Einige behaupteten sogar, sie habe einen Sprung in der Schüssel. Dennoch blieb unstrittig, dass sie als Expertin für Nostalgie-Design einen ausgezeichneten Ruf genoss. Wen interessierte daher solches Geschwätz!

Sina schaute auf die Uhr und erschrak. Ganze zwanzig Minuten hatte sie verloren. Die galt es jetzt wieder aufzuholen. Daher drückte sie auf die Tube. Boy schlief derweil.

Hinter der nächsten Kurve in Ostenfeld leuchtete unvermutet das signalrote Haltelicht eines Bahnüberganges und die Schranken senkten sich zügig hinter dem Andreaskreuz. Diesen Übergang hatte sie eigentlich noch schaffen wollen. Sina reihte sich in die wartende Autoschlange, stellte den Motor aus und bemerkte vor sich einen Fiat Panda mit einer gehäkelten Klorolle in der Hutablage. Aus Erfahrung wusste sie, dass die Öffnungsphase nur sehr kurz war. Wenn ihr Vordermann nicht aus dem Knick kam, könnte es knapp werden.

Der Zug kam aus Richtung Rendsburg und hielt unmittelbar am nahegelegenen Bahnsteig. Als sich die Schranke klirrend hob, hätte sie diese Pappnase im Panda am liebsten angeschoben. Aber Gott sei Dank kam sie mit rüber. Nun konnte sie wieder Zeit gutmachen. Bald darauf bog der Rover in der Ortschaft Westensee ein.

Nun brach die Sonne endgültig durch die Wolkendecke. Von den Gletschermassen der Eiszeit geschliffen, von der Quelle der Eider gestempelt und vom Wetter geprägt, blätterte sich die Schönheit des östlichen Hügellandes vor ihr auf. Das tat ihrer Seele gut.

Zur Linken fuhr sie an der mittelalterlichen Catharinenkirche vorbei, die auf der Rückseite mit der Sakristei und der Ahlefeldtschen und Bosseer Kapelle erhaben auf ihren Feldsteinen thronte. Selbst eine jahrelang schwelende Fehde um dieses prestigehafte Gotteshaus konnte dem ehrwürdigen Gebäude nichts anhaben. Raubrittertum, dänische Ahnen, Wallfahrtsort, einen angeblichen Goldschatz, der Pest und einer mutwillig gelegten Brandstiftung zum Trotz, leuchtete die Kirche mit silberner Turmspitze weit über das Land. Sina nahm sich vor, Heiligabend am Gottesdienst teilzunehmen. Laut Volkers Tipp bestach die Zeremonie durch das minutenlange Glockenläuten in die Weihnachtsnacht hinein. Allein bei dem Gedanken überzog sie eine Gänsehaut.

Konzentriert starrte sie auf den abschüssigen Weg, schaltete in den zweiten Gang und fuhr in Richtung Ortsmitte. Sina beobachtete eine ältere Dame, die mit der rechten Hand ihren schwarzen Pudel an einer roten Leine führte, mit den Fingern der Linken ihren Lodenmantel vor der Brust zusammenhielt und auf den ortsansässigen Kaufmann zu tippelte. An der nächsten Kreuzung wies ein Schild in Richtung Töpferkunstgalerie. Langsam holperte ihr Rover über das Kopfsteinpflaster der Straße ‚Im Wiesengrund‘ dem ersehnten Ziel entgegen.

Dort parkte sie am Grünstreifen, stieg aus und besah sich nochmals den Schaden. Alsbald erlöste sie den quengelnden Mops aus der Transportsicherung und setzte ihn auf den Boden. Sofort schnüffelte er los und platzierte seine Duftmarke an den nächstgelegenen Busch. Dann hängte sie sich ihre Handtasche über, nahm Boy auf den Arm und mit der anderen Hand die Tasche mit der Verhandlungsware. Danach begab sie sich zu dem kleinen, unscheinbaren, ein wenig windschiefen Haus, das mal wieder einen Farbanstrich vertragen konnte.

Boy kläffte, als sie ihn an der Haustür herunterließ, und verriet somit ihre Ankunft. Noch bevor Sina den Klingelknopf drücken konnte, wurde die Tür geöffnet. „Guten Tag, Frau Blank. Sina Brodersen mein Name. Wir waren um fünfzehn Uhr verabredet“, begrüßte sie die Hausherrin und überspielte mit einer forsch entgegengestreckten Hand ihre Nervosität.

„Aja. Kommen Sie nur herein“, erwiderte die grauhaarige Dame mit dem dunkelblauen Arbeitskittel und einer altmodischen Haarklammer über der Stirn. Sie machte eine einladende Geste. Wortlos schritt die Töpferin vorweg und führte ihren Gast in das nostalgisch eingerichtete Wohnzimmer.

Dieses war zu Sinas Verwunderung neben allerlei antiquiertem Mobiliar mit einem Übermaß an Plüschtierchen, gehäkelten Deckchen und sonstigen Nippsachen aus Porzellan und Plastik vollgestellt, oder genauer gesagt: vollgemüllt. Frau Blank musste gar einige dieser Teile beiseiteräumen, um einen Stuhl freizumachen. Überraschenderweise prangten einige passable Gemälde an den Wänden, allerdings schief und verstaubt. Alles in allem war es so bedrückend eng, dass Sina erste Anzeichen ihrer Klaustrophobie bemerkte. Diese äußerten sich in kaltem Schweiß und leichtem Zittern. Nervös knibbelte sie an den Fingernägeln.

Sie nahm mit sichtlichem Unbehagen Platz, wobei sie sofort bemerkte, dass die Hausherrin ihrem vorauseilenden Ruf durchaus gerecht wurde. Sie wirkte überaus pedantisch und untermalte ihr Reden mit sonderbaren, völlig überflüssigen Gesten. Ihr Gesicht hingegen schien angenehm, wobei man ihr die Sechzig noch nicht ansah. Ihre Haut war noch jugendlich straff und wies lediglich an der Augen- und Mundpartie einige Fältchen auf. Allerdings verbreitete sie eine große Unruhe, indem sie sich ständig umsah, unkontrollierte Verrenkungen machte und hin und wieder mit dem linken Mundwinkel zuckte.

Auch schien sie es mit der Reinlichkeit nicht besonders genau zu nehmen. So entdeckte Sina sofort einige größere Flecken auf der schon bejahrten Couch. Weiterhin roch es ziemlich stark nach kaltem Rauch und feuchter Wäsche. Am meisten jedoch störten sie die langen, dunklen Spinnweben in den Ecken. Alles wirkte düster und altbacken. Außerdem dämpften die trüben Scheiben das Tageslicht merklich. Das war schon sehr befremdlich.

Sina hob den Mops auf ihren Schoß. Ihr missfiel, dass die Gastgeberin sofort das Wort ergriffen hatte und unentwegt von Dingen schwatzte, die mit ihrem Besuch nur wenig zu tun hatten. Das war typisch für Leute, die unter chronischem Gesprächsmangel litten und nun die Gelegenheit ergriffen, alles Mögliche loszuwerden. Vor allem, was niemanden interessierte. So beklagte die Alte unter anderem die Folgen der jüngsten Maul- und Klauenseuche, schimpfte auf den Landarzt, der anscheinend seine Praxis nicht in Griff habe, und landete schließlich beim Jahresallzeithoch des Wasserstandes des Nord-Ostsee-Kanals und der damit verbundenen Schleusenproblematik. Kurzum, sie redete reichlich durcheinander, was sofort ein merkwürdiges Empfinden in Sina auslöste. Erst nach und nach gelang es ihr, das Gespräch, oder genauer, den Monolog dieser offenbar etwas überspannten Dame in die notwendige Richtung zu lenken.

„Sie kommen also wegen der Gartenzwerge“, meinte die Töpferin schließlich und sah ihren Gast verschmitzt an. „Und in dieser Tasche sind die Exemplare, die Sie mir zeigen wollen!“ Doch bevor Sina etwas erwidern konnte, machte Frau Blank einen erneuten Schlenker. „Was ist denn das für ein Hund? Ist das überhaupt einer? Der sieht so komisch aus!“ Mit einem Ausdruck des Unwillens wies sie auf Boy, der achtsam auf Sinas Schoß saß und die Töpferin fortwährend anknurrte. „Beißt der etwa? Kriegt der überhaupt Luft, so wie der aussieht?“

„Wo denken Sie hin, Frau Blank! Das ist Boy, mein Mops. Natürlich kriegt er Luft. Schließlich ist er ein ‚Freiatmer‘!“

„Ein Freiatmer?“, wiederholte sie erstaunt und zog ein langes Gesicht. „Was es alles gibt!“

„Und stellen Sie sich vor. Er ist das liebste und treueste Wesen auf der ganzen Welt“, versicherte Sina sogleich. „Und ich kann Ihnen versprechen, er ist völlig harmlos. Allerdings nur zu guten Menschen. Er spürt das nämlich.“

„Na, dann muss ich mich ja vorsehen, bei meiner wilden Natur, hahaha“, scherzte die Hausherrin und wusste wohl selbst nicht, worüber sie lachte. „Darum knurrt er auch so. Verstehe!“ In diesem Augenblick erhob sich Boy und bellte. Anscheinend spürte er die Antipathie dieser Frau.

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Serideki Birinci kitap "Die Geschichte der Sina Brodersen"
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