Kitabı oku: «Monstratorem», sayfa 5

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„Er hatte heute einen schweren Tag“, sagte Sina zu seiner Verteidigung.

„So so. Nun ja, jetzt sind Sie ja hier und das ist schön“, bemerkte Frau Blank. „Sie müssen wissen, dass ich seit dem Tod meines Mannes alleine bin und manchmal schon mit den Wänden rede. Wissen Sie, wie es ist, von ihnen erschlagen zu werden?“

„Sie meinen, von den Wänden?“, fragte Sina irritiert.

„Nein! Von denen, die durch die Wände kommen. Plötzlich sind sie da und reden mit einem, ohne dass ich sie sehen kann. Mit jemandem zu reden, den man nicht sehen kann, ist sehr schwierig. Obwohl ich das öfter tue, kann ich mich nicht daran gewöhnen. Ist das nicht komisch?“

„Durchaus nicht“, erwiderte Sina und rutschte nervös auf ihrem Platz herum.

„Das sagen Sie doch nur, um mich zu beruhigen“, folgerte die Hausherrin und sah sie scheel an.

„Warum sollte ich?“

„Weil Sie jetzt denken, ich habe nicht alle Tassen im Schrank! Das denkt nämlich jeder, sobald ich davon anfange! Aber ich sage Ihnen, es gibt sie! Sogar in diesem Raum!“ Sie schaute sich ängstlich um.

„Wen meinen Sie mit ‚sie‘?“, wagte Sina nachzufragen.

„Wenn Sie das erst fragen müssen, haben Sie es nicht begriffen.“

Sina zog ratlos die Augenbrauen bis zum Nonplusultra, denn sie hatte in der Tat kein Wort verstanden. Ohne dieses Rätsel zu lösen, wurde Frau Blank mit einem Male überaus geschäftig.

Sogleich begab sie sich zu einem linksseitig an der Wand befindlichen Regal, setzte ihre Brille auf und begann es zu durchwühlen. Nachdem sie eine Mappe herausgezogen hatte und darin zu blättern begann, kramte sie schließlich Sinas E-Mail-Anfrage hervor. Rasch vergewisserte sie sich noch einmal ihres Anliegens und kam erstaunlich schnell zur Sache. „Frau Brodersen aus Ahlefeldt also. Interessant. Sie wohnen tatsächlich dort alleine auf dem Hof?“

„Woher wissen Sie das?“ Sina war erstaunt und erschrocken zugleich.

Die Hausherrin zog die Brille auf die Nasenspitze und sah sie über den Brillenrand durchdringend an. „Sie sind doch die Tochter von Lore Brodersen, nicht wahr? Und von ihrem Mann, dem Kurt ‚Kinderschreck‘, wie man ihn damals nannte, oder?“

Augenblicklich verspürte Sina einen Stich im Herzen. Diese Frau kannte ihre Eltern? Damit war nun wirklich nicht zu rechnen.

„Jetzt staunen Sie, nicht wahr!“ Frau Blank grinste zufrieden. „Ich hatte sofort so ein komisches Gefühl, als ich Ihre Mail bekam und den Namen las. Dann überlegte ich, ob das wohl die kleine Sina mit den weißen Kniestrümpfen und den kurzen Faltenröcken von einst war. Jaja, jetzt gucken Sie! Haha, habe ich Sie ertappt. Sie werden sich kaum daran erinnern, aber wir sind einander schon einmal begegnet. Damals waren Sie allerdings noch ganz klein und ihr Papa spielte mit Ihnen auf seinem Schoß ‚Hoppe, hoppe Reiter‘. Ich kannte ihre Mutter ganz gut, Gott hab sie selig, und nun ja, wenn es nicht zu vermessen klänge, ich weiß daher auch einiges über Sie.“

„Wirklich?“ Augenblicklich wurde Sina ganz schlecht. Am liebsten wäre sie jetzt hinausgerannt. „Ich denke, das gehört jetzt nicht hierher!“, blockte sie dieses Thema ab. „Sie wissen nun ja, weshalb ich komme, und daher sollten wir besser darüber reden. Es ist mir nämlich sehr wichtig.“

„Ich verstehe. Man will ja auch an manches nicht erinnert werden, nicht wahr?“, stichelte die Töpferin weiter und vergrößerte damit Sinas Unbehagen bis zur Unerträglichkeit.

„Tut mir leid, aber was meinen Sie?“, kehrte sie jetzt ungewollt zu diesem Thema zurück. Und wieder klopfte ihr das Herz bis zum Hals.

„Ach, so dies und das, was damals alle wussten, oder besser, zu wissen glaubten. Das ist ja immer ein Unterschied und es ist einfach furchtbar, diese ständigen Tratschereien auf dem Lande. Darum interessiert es mich zum Beispiel auch gar nicht, was man über mich erzählt … Und nun geben Sie schon her. Was haben Sie da?“, brach sie plötzlich ab und schob ihre Brille wieder auf den Nasenrücken.

Sina setzte Boy auf den Boden, der sogleich herumzuschnüffeln begann. Dann nahm sie die Tasche auf und breitete vor ihrer Gastgeberin auf dem Tisch einige Stücke der mitgebrachten Kollektion aus, überwiegend putzige Wichtelmänner aus Keramik und Ton. Voller Spannung erwartete Sina ihre Einschätzung.

„Nun ja, die Farben, Nuancen und Schattierungen sind schon recht bemerkenswert nach der Restauration. Durchaus solide Arbeiten. Haben Sie noch mehr davon?“, fragte die Expertin nach einem kurzen, kritischen Blick.

„Habe ich. Aber ich dachte mir, ich zeige Ihnen erst einmal die, welche mir am bemerkenswertesten erscheinen.“

„Papperlapapp! Das ist typisches Anfängergeschwätz!“, blaffte die Töpferin plötzlich völlig unerwartet los. „Die wirklich guten Stücke sind meist die am wenigsten Bemerkenswerten. Das ist ja das Verflixte! Weniger die Farben als der Ausdruck ist an ihnen entscheidend. Verstehen Sie, der Ausdruck! Allein darauf kommt es an! Nehmen wir doch mal den hier!“ Sie nahm jetzt einen von den kleineren Wichtelmännern, dessen Farbe schon arg verblichen war und nur noch einen Ansatz von seinem einstigen Aussehen verriet. „Für einen Laien erscheint er auf den ersten Blick völlig wertlos, und man würde ihn jederzeit ohne mit der Wimper zu zucken entsorgen. Aber jetzt sehen Sie sich ihn mal etwas genauer an.“

Sie hielt ihn Sina unter die Nase wie einem dummen Kind, das nichts versteht und nichts begreift. „Und was sehen Sie? Sein Gesicht! Fällt Ihnen nichts auf? Es wirkt traurig. Im Gegensatz zu den anderen hat diese Figur eine Physiognomie und eine solche bedingt eine Seele. Wer käme schon auf die Idee, einen leidenden Zwerg darzustellen, wenn nicht mit einer ganz bestimmten Absicht? Sie werden sich jetzt sicher fragen, was das soll, denn da achtet doch ohnehin keiner drauf. Weit gefehlt, kann ich da nur sagen, weit gefehlt, Frau Brodersen. Die Gestalt eines Zwerges steht synonym für unser Leid und nicht für unsere Freuden. Ja, Sie hören richtig, für unser Leid. Das ist auch der tiefere Grund für die Neigung der Menschen, ihre Umwelt auf diese Weise zu verkünsteln. Nur im Zwerg, niemals im Riesen, versinnbildlicht sich unsere Nichtigkeit in Vollendung. Nur so wird sie in dieser Adaption als Figur der Heiterkeit als genaues Gegenteil wahrgenommen, was wiederum unseren Sieg über den Weltenschmerz symbolisiert. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht?“

„Oje. Nein, ich …“, räumte Sina sichtlich verwirrt ein.

„Das sollten Sie aber, denn nur so können Sie die künstlerisch wertvollen Exemplare erkennen! Halten Sie mich eigentlich für verrückt?“, fragte sie jetzt erstaunlich direkt und schien sich darüber auch noch zu amüsieren. „Ich frage das nur, weil das jetzt normal wäre, denn Sie haben garantiert kein Wort von dem, was ich sagte, verstanden.“

„Habe ich auch nicht“, gab Sina unumwunden zu, „muss ich das denn? Sie sind doch die Expertin, nicht ich!“

Frau Blank stutzte für einen Moment, klatschte spontan in die Hände und rief voller Begeisterung aus. „Oha, das ist gut! Das muss ich mir merken! Sie gefallen mir, wirklich! … Sind Sie schon lange im Geschäft, Frau Brodersen, oder darf ich Sina sagen?“, begann sie jetzt mit einem seltsamen Lächeln vertraulich zu werden.

„Aber bitte sehr … Wenn ich ganz ehrlich sein soll, bin ich noch nicht sehr lange im Geschäft. Genauer genommen habe ich überhaupt keine Ahnung. Darum bin ich ja hier. Und wenn ich ehrlich bin, erhoffe ich mir durch diesen Besuch so einiges“, setzte Sina hastig hinzu.

„Ach, so ist das.“ Tabea lachte und betrachtete ihren Gast schlitzohrig von der Seite. „Du willst dir Tricks abluchsen, um mir Konkurrenz zu machen? Nur zu! Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Ich stehe dir mit Rat und Tat gerne zur Verfügung. Nur eines bitte ich mir aus – lache niemals über mich!“

„Natürlich nicht!“ Sina schaute irritiert.

„Und nun zeig mal her, was du noch so hast!“, forderte Frau Blank und begann sogleich, noch weitere Stücke zu inspizieren. Dabei ließ die Art, wie sie es tat, ein wirkliches Interesse, man kann schon sagen ‚Gespür‘ erkennen, das nur einer tiefen Leidenschaft entspringen konnte, selbst wenn das einem Außenstehenden reichlich komisch anmutete. So hielt sie jedes Stück gegen das Licht, drehte und klopfte es ab und hielt es sich danach lange ans Ohr. Hinzu kamen ihre durchaus fundiert sachkundigen Bemerkungen, auch wenn diese zuweilen etwas schwülstig und hochtrabend den Eindruck einer gewissen Überspanntheit vermittelten.

Es bestand kein Zweifel, dass diese Frau nicht ganz bei Trost war. Doch wen interessierte das, solange sie Erfolg hatte. Und während Sina weiterhin mit einer gewissen Befremdung die Aktivitäten ihrer Gastgeberin beobachtete, die sorgsam ein Stück nach dem anderen inspizierte und jetzt sogar ein Okular benutzte, fiel ihr deren rissigen Hände auf. Offenbar arbeitete die Töpferin auch viel mit Chemikalien und legte keinen sonderlichen Wert auf eine pflegende Handcreme.

Plötzlich hielt sie einen der Wichtelmänner in die Höhe, es war der mit der abgeknickten Zipfelmütze und der Laterne in der Hand, und betrachtete eingehend den Bodenbereich. Dann nahm sie eine Pinzette zur Hand und begann darin herum zustochern. „Nanu? Was haben wir denn da?“, und hatte auf sonderbare Weise eine im Fußbereich des Zwerges verborgene Klappe geöffnet. Damit nicht genug. Nun zog sie auch noch einen silberfarbenen Schlüssel heraus und betrachtete ihn verwundert. Aber das war durchaus kein gewöhnlicher Schlüssel. Das sah man sofort. Auffallend war, dass er zu beiden Seiten einen Bart besaß, der wiederum durch einen Innenknick eine besonders hohe Verschlussstufe verriet. Mit anderen Worten, er ähnelte einem Safe- oder Tresorschlüssel, den sein Besitzer womöglich schmerzlich vermisste. „Woher haben Sie die Figur?“, wollte die Töpferin wissen.

Sina zuckte nur mit den Schultern. Sie dachte nicht daran, dieser Hexe auch nur einen Deut mehr zu sagen, als sie zur Verrichtung ihrer Arbeit brauchte.

„Wirklich? Das ist sehr schade, denn ich könnte mir denken, dass sich der Besitzer bestimmt über eine Rückgabe freuen würde.“

„Möglich. Aber ich habe die Figur gekauft, mit allem, was dazu gehört“, erwiderte Sina, nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und steckte ihn ein.

„Ich denke, das ist ein ganz besonderer Zwerg“, ließ die Blank nicht locker. „Nicht nur wegen des Schlüssels. Sieh nur, wie präzise dieses kleine Fach hier hineingearbeitet wurde. Und damit nicht genug – diese Einarbeitung deckt sich exakt mit der darüberliegenden Wölbung, als gehöre sie dazu, um den Gesamtausdruck der Figur noch zu verstärken. Darüber hinaus war das Versteck nur durch Zufall zu finden. So etwas Filigranes habe ich noch nie gesehen. Fast könnte man von einem Meisterwerk sprechen. Verkaufst du mir diesen Bartträger? Ich gebe dir 500 Euro in bar.“

Sina schluckte. Das war ein bestechendes Angebot. Dementsprechend war die Verlockung natürlich groß. Was könnte man sich dafür alles kaufen. Ganz davon abgesehen, dass es ihre dauernde finanzielle Schwäche etwas abmildern würde. Andererseits war klar, dass dieses Exemplar mit Sicherheit um ein Vielfaches wertvoller war. Nicht umsonst machte die Töpferin ihr ein solches Angebot. „Tut mir leid, Frau Blank. Der ist unverkäuflich.“

„Tabea – wir waren doch beim Du, oder?“, korrigierte sie die Hausherrin sofort, deren Gesicht plötzlich einen ganz anderen Ausdruck annahm. Jede Überheblichkeit war verschwunden. Dafür stand jetzt eine eigenartige Verwunderung.

„Ja, natürlich, Tabea“, willigte Sina notgedrungen ein.

„Darf ich dich mal drücken?“

„Wie bitte?“ Sina glaubte sich verhört zu haben.

„Ganz so wie früher.“

„Wenn es denn sein muss“, begann sie sich zu winden.

„Du kannst auch Nein sagen.“

Entsetzt starrte Sina die alte Schachtel an. Schließlich ließ sie es mit hochrotem Kopf über sich ergehen. Augenblicklich stieg ihr ein penetranter Geruch in die Nase. Nie und nimmer hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren würde. Nicht auszudenken, wenn sie jetzt von jemandem gesehen würde. Sie fühlte sich in diesem Moment sehr unbehaglich. Die Luftnot wurde immer ärger. Fast schien ihr, als befände sie sich in einem absurden Spiel.

Tabea sah sie verwundert an und fragte: „Was hast du denn da?“

„Was denn?“, erwiderte Sina.

„Na, die Schwellung an deiner Stirn. Hast du dich dort gestoßen?“

„Ach so, das meinen Sie, ich meine natürlich du!“ Sina lächelte verlegen und nahm Boy wieder auf ihren Schoß, der langsam ungeduldig wurde. „Eigentlich ist es nichts“, winkte sie ab.

„Eigentlich? Wie meinst du das?“

„Nun ja. Du wirst es kaum glauben, aber ich habe mich tatsächlich auf der Herfahrt gestoßen.“ Und nun erzählte sie ihr von dieser unliebsamen Zusammenkunft, von diesem ‚Beinaheunfall‘, den sie gerade noch verhindern konnte. „Ein blauer Audi war es. Ich habe es gerade noch erkennen können. Dann war der Raser auch schon um die nächste Biegung verschwunden.“

„Komisch“, erwiderte die Töpferin daraufhin und wirkte mit einem Mal sehr nachdenklich.

„Was bitte schön ist daran komisch?“

„Nun, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, vielleicht ist das auch nur Unsinn. Etwa dreißig Minuten vor deiner Ankunft klingelte jemand an meiner Tür. Es war ein gutaussehender, überaus adrett gekleideter junger Mann. Ich habe ihn hier noch nie zuvor gesehen. Erst hielt ich ihn für einen Vertreter und wollte ihn wegjagen. Da fragte er mich plötzlich, ob ich ein Antiquariat betreibe und mich eventuell auf Gartenzwerge spezialisiert hätte. Ich guckte in diesem Moment nicht schlecht, denn meine Internetseite weist in keinerlei Form etwas zu meiner Privatanschrift aus. Jeder Kontakt, wie auch in deinem Fall, kommt immer erst nach vorheriger Absprache und Ankündigung zustande. Ansonsten bin ich aus Sicherheitsgründen weitestgehend anonym. Woher wusste dieser Mann also von meiner Privatanschrift?“

„Ja und? Was habe ich damit zu schaffen?“ Sina verstand nicht.

„Dieser Mann war in einem blauen Audi Kombi unterwegs und dem Wagen fehlte auf der Fahrerseite der Außenspiegel. Es war ein neuerer Bagatellschaden, da die Kratzer im Lack noch nicht verrostet waren. So was fällt mir immer auf, weil ich mir nicht nur Zwerge genauer ansehe. Da hat man einen scharfen Blick fürs Detail. Ich denke, der Schaden ist heute oder die letzten Tage entstanden. Der war noch keine Woche alt.“

Sina wurde hellhörig, denn das war in der Tat ein merkwürdiger Zufall. „Und der hat sich für Gartenzwerge interessiert?“

„Ja, durchaus. Kennst du den Kerl etwa?“, wollte die Blank sogleich wissen.

„Unsinn. Dabei wäre ich selber dringend daran interessiert zu wissen, wer das war, denn er hat mir nämlich ganz nebenbei ebenfalls den Spiegel abgefahren. Dieser Idiot.“

Die Blank schüttelte jetzt ihrerseits mit dem Kopf und verblüffte Sina mit der Aussage, er habe ihr sogar seinen Namen gesagt. Nach kurzem Nachdenken fiel er ihr wieder ein. „Tom Enders, Wenders oder Wanders, oder so“, rief sie erleichtert aus. „Tom aber auf jeden Fall. Da bin ich mir sicher. Ob er wirklich so heißt, weiß ich natürlich nicht. Aber warum sollte er mich belügen? … Was wirst du jetzt tun? Den Namen recherchieren oder eine Anzeige erstatten? Das ist sehr gefährlich. Man weiß ja nie, was das für ein Typ ist.“

„Ich weiß noch nicht“, erwiderte Sina. „Vielleicht lässt er sich tatsächlich ermitteln. Wenn er mit sich reden lässt und mir den Spiegel ersetzt, wäre das für mich damit erledigt.“

„Sei bloß vorsichtig. Irgendwie war der mir nicht geheuer.“

„Inwiefern?“

„Kann ich nicht sagen. Es war mehr ein Gefühl. Er hatte so komische Augen, weißt du? Solche, die selbst beim Lachen starr bleiben. Wenn du verstehst, was sich meine … Wie wollen wir jetzt verbleiben? Kommen wir wegen des Zwerges noch ins Geschäft?“, drängelte die Töpferin erneut.

„Ich werde mich zu gegebener Zeit noch einmal melden. Doch heute nehme ich erst einmal nur die Farbbestellung mit“, versprach Sina, setzte Boy wieder runter und stand auf. „Hat mich sehr gefreut, deine Bekanntschaft gemacht zu haben.“

„Gleichfalls. Es war schön, dich wiederzusehen.“

„Wo könnte man in der Gegend eine Kleinigkeit essen?“, fragte Sina.

„Oh, da solltest du in Billers Gasthof in Haßmoor einkehren und dort unbedingt die Kaiser-Wilhelm-Torte ausprobieren! Das ist etwas für Genießer.“ Sina nahm den Karton mit den vorbestellten Farben an sich, bezahlte und gab Tabea zum Abschied die Hand. Kurz darauf verriegelte diese die Tür zweimal hinter sich.

Mit geschulterter Tasche voller Exponate und dem Karton unterm Arm ging Sina zum Rover zurück. Boy wuselte derweil um ihre Beine. Sie war jetzt völlig durcheinander und kam nicht zur Ruhe. Was hatte das alles zu bedeuten? Vor allem aber, was sollte diese ekelhafte Umarmung? Was bildete sich die alte Schabracke bloß ein! Und dann dieser Sonntagsfahrer – es war wirklich mysteriös. Und woher, verdammt nochmal, kannte die Blank ihre Eltern? Und was sollten diese komischen Andeutungen? Aber wie Sina es auch drehte, irgendwie ergab das alles keinen Sinn.

Auf dem kiesbedeckten Parkplatz des Kaufmanns hielt sie an. Sie kramte den Schlüssel aus der Handtasche hervor und betrachtete ihn genauer. Die Blank hatte Recht. Das war kein Null-acht-fünfzehn-Schlüssel. Und wenn, könnte natürlich jemand ein Interesse daran haben, diesen so schnell wie möglich wiederzubekommen. Ob er ein Geheimnis hütete?

Sie hätte jetzt nicht erklären können, warum, aber mit einem Male bekam sie es mit der Angst und hätte den Schlüssel am liebsten weggeworfen. Dann entschied sie aber anders. Sie würde ihn zuhause in Boys Hundekorb unter der Matratze deponieren. Dort würde ihn garantiert niemand finden. Und die Blank bekam ihn keineswegs. Das könnte der so passen! Wenn es hier einen Reibach zu machen gab, dann bestimmt nicht durch sie. „Und du sagst kein Wort!“, fuhr sie den Hund an, der sie daraufhin schnöde anblaffte. Beim Anfahren spritzte der Kies unter den Rädern. Und während Sina die empfohlene Gaststätte ansteuerte, zogen schwarze Wolken über das östliche Hügelland auf.

Billers Gasthof

Tom erreichte das Gasthaus. Er parkte den ramponierten Audi mit der Fahrerseite dicht an einer Hecke und quetschte sich heraus. Auf dem Weg zur Kneipentür registrierte er ein Tafelschild, das auf den kommenden sonntäglichen „Tanztee ab 16.30 Uhr“ verwies. ‚Ulkig‘, dachte er bei sich. ‚Wie sollen Tanz und Tee zusammenpassen? Wahrscheinlich was für Senioren, die ein wenig schunkeln wollen.‘ Ein Getränkeautomat stand vor dem Eingang, flankiert von einem Kaugummi- und Zigarettenautomaten. Mit dem Trenchcoat über dem Arm zog er die Tür zur Schenke auf und betrat den Dorfkrug.

Er gedachte, einen kleinen Imbiss zu sich zu nehmen und nebenbei etwas zu überprüfen. Sagte man doch den Bewohnern der hiesigen Gefilde eine gewisse Spröde und Einsilbigkeit nach. Es wäre sicherlich interessant, das herauszufinden. Sofort schlug ihm ein süßlicher Kneipendunst entgegen. Einige Tische waren belegt. Erstaunlicherweise nahm man von ihm kaum Notiz, obwohl er als Fremder sofort auffiel. Hier und dort wurde gezecht und geklönt. Trotzdem verstand er von den wenigen Fetzen, die er auffing, nur die Hälfte. Manches war solch starkes Platt, dass er sich im Ausland glaubte. Die Kundschaft war durchwachsen, allerdings überwog der männliche Anteil.

Eine am Tisch schräg gegenüber sitzende blonde Mittfünfzigerin wurde von einem rothaarigen Typen im Drei-Tage-Bart ganz ungeniert angebaggert. Und wie zierte sie sich und kicherte in einem fort, wobei der knappe Rock über den übereinandergeschlagenen Schenkeln bereits gefährlich weit zurückgeglitten war.

Obwohl sie sich maßlos aufgebrezelt hatte, war ihr Alter nicht zu verleugnen. Besonders die Augenpartie war auffallend stark geschminkt. Das ließ sie wiederum sehr billig wirken. Aber das schien diesen Kerl nicht zu stören. Man hätte darauf wetten können, dass heute Abend noch was lief.

Auf der anderen Seite vertiefte sich jemand in eine Zeitung und ergötzte sich an den Blutbädern dieser Welt. Gegenüber an der Bar starrte ein Mädchen erst ins Leere und danach auf ihre Gel-Nägel. Offenbar hatte sie Liebeskummer, denn sie wimmelte jeden ab, der mit ihr ins Gespräch kommen wollte.

Inzwischen hatte Tom einen freien Tisch erreicht, prüfte kritisch die Sauberkeit und setzte sich, nachdem er seinen Trenchcoat über eine Stuhllehne gelegt hatte. Es war ein klobiger Eichenstuhl. An der Rückenlehne war die dunkelbraune Farbe abgewetzt. Ein schweres Parfüm stieg ihm von irgendwoher in die Nase. Zudem vernahm er die Wärme der Heizrippkörper und den Windzug zur Küche. Sein Blick streifte die Anwesenden. Dabei wunderte er sich über zwei Burschen in dunklen Cordhosen. Offenbar zwei Zimmerleute, die sich in einem intensiven Gespräch befanden und auffallend geheimnisvoll taten.

„Kommst du Sonntagmorgen auch in Heinkens Kieskuhle zum Tontaubenschießen?“, fragte der Eine und öffnete den Reißverschluss seiner Wachsjacke.

„Und der Alte?“ Besorgt sah sein Gegenüber drein.

„Passt schon, keine Sorge!“ Zur Beruhigung reichte er seinem Kumpel ein ‚Lütt & Lütt‘. Dann stießen sie an.

„Klar bin ich dabei!“, stimmte dieser zu und wischte seine Hände an den Oberschenkeln ab. Die Stofffläche glänzte bereits speckig. Sein Kinn zierte ein ausgefranster Bart und er kaute von Zeit zu Zeit an den Nägeln. „Biller! Mach noch mal zwei Bier und zwei Kurze fertig!“ Der Wirt nickte. Kurz darauf klirrten erneut die Pinnchen.

„Sag mal, was meinst du zu dieser alten Schnepfe?“, fragte der Wachsjackenträger.

„Das ist doch alles Blödsinn, kein Mensch zahlt für solchen Mist so viel Geld!“, schimpfte sein Kumpel und schaute sich erschrocken um. „Wahrscheinlich ist das nur eine Ente.“

„Wenn ich es dir doch sage“, raunzte der Bärtige und zerrte an seinen Hosenträgern. „Die alte Hexe macht mit diesem Kram richtig Kohle. Doch niemand kennt ihre Quelle. Das ist ja das Dumme!“

„Wahrscheinlich …“, gab der Andere gedämpft zu bedenken.

Tom konnte jedoch den Rest nicht mehr verstehen, denn in diesem Moment lachte dieses Blondchen wieder auf, als sie dieser Kerl in den Schenkel zwickte. ‚Blöde Kuh‘, schimpfte er innerlich. Er hätte zu gern gewusst, was es mit diesem ‚Kram‘ auf sich hatte. Leider verzogen sich die beiden Burschen danach an den Tresen. Dorthin konnte er ihnen unmöglich folgen, ohne aufzufallen. Aber genau das durfte er nicht. Was blieb ihm, als sich weiter umzuschauen.

Jetzt fiel ihm, Gott weiß warum, ein älteres Paar auf. Sie mit Perlenbesatz und gestärkter Blusenwürde, er im dunklen Lodenmantel, den er aus irgendeinem Grunde nicht ablegte. Vielleicht hatte er sein ganzes Geld dabei und fürchtete, es könnte ihm geklaut werden? Garantiert hatten sich beide schon seit Jahren nichts mehr zu sagen und lebten nur noch nebeneinander her. So was nannte man Trauscheinheuchelei. Abends, vor dem Aufschlagen der gemeinsamen Bettdecke, wurde der Tag akribisch analysiert, um festzustellen, was zum garantierten Glück noch fehlte. Danach der flüchtige Wangenkuss und das nächtliche Schnarchen im baumwollenen Nachtkleid.

Tom störten solche Lügen nicht. Sie formten nur die Welt nach bestimmten Wünschen und das war legitim. So gesehen entbehrte derlei Fadenscheinigkeit nicht eines gewissen Reizes. Vielleicht wollte man sogar betrogen werden, weil man die Wahrheit nicht ertrug. Diese These bewies sich schon bei dieser aufgetakelten Blondine, die sich mit ihrem Rouge und dem hautengen Minirock nur etwas vormachte. Für sie war die Lüge obligatorisch. Die Welt war so eingerichtet und könnte genau genommen ohne Lüge gar nicht existieren. Nur ein Narr trägt die Wahrheit auf der Zunge und wird dafür verlacht.

Schon seit langem interessierten Tom fremde Träume nicht mehr. Er beschränkte sich auf das Studium menschlicher Doppelmoral, wobei es genau genommen eine Moral gar nicht gab. Sie war für ihn nichts weiter als eine Verteufelung gewisser Phänomene und somit selbst nichts weiter als das Produkt von Missdeutungen.

Er unterdrückte ein Gähnen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Zu seiner Verwunderung machte der dicke Wirt noch immer keine Anstalten, obwohl Tom bereits zweimal den Finger gehoben hatte. Aber offenbar war dieser Kneipier noch nicht wach. Statt zu reagieren, zapfte er ein Bier nach dem anderen.

Natürlich war das der Inhaber selbst. Tom hatte das an den Anweisungen erkannt, die er vornehmlich seiner blutjungen Tresenkraft mit einem seltsam süßlichen Lächeln gab. Doch irgendwie schien Biller nicht bei der Sache. War er bei einem auswärtigen Fußballspiel, dem samstägigen Feuerwehrumtrunk oder vernaschte er dieses junge Huhn gerade in Gedanken? Vom Typ her schien er eher gemütlich veranlagt: dicker Bauch, rote Birne, Halbglatze und ein erstaunlich offenes Gesicht. Das war selten. Die meisten Wirtsleute waren seiner Erfahrung nach eher verschlossen.

Wie es kam, dass dieser Mann plötzlich doch neben ihm auftauchte und unter einem freundlichen ‚Moin‘ die Speisekarte reichte, hätte Tom nicht sagen können.

„Hatten Sie eine angenehme Anreise, mein Herr?“, fragte Biller mit aufgesetztem Lächeln. „Was darf ich bringen?“

„Danke der Nachfrage. Die Straßen waren frei, ich bin ganz gut durchgekommen. Welche Suppe empfehlen Sie heute?“, erwiderte Tom lächelnd, ohne einen Blick in die Karte zu werfen.

„Die Tomatensuppe mit hausgemachtem Walnussbrot. Oder einen Eintopf. Ich rate Ihnen zu einer Portion Rübenmus, eine regionale Spezialität unserer Küche“, sagte der Wirt und nahm ihm die Karte ab.

Tom überlegte angestrengt. „Wissen Sie“, mimte er, „ich bin noch ganz durcheinander. Eigentlich bin ich auf der Durchreise, aber da kann man ja was erleben! Und gerade eben erst … Unglaublich, mit welchen Hochhäusern die Landwirte heutzutage ihre Felder bestellen“, bemerkte er voller Begeisterung. „Sie werden es nicht glauben. Aber erst gestern hätte mich eine von den riesigen Maschinen fast zerquetscht.“

„Ach, wirklich?“ Der Wirt grinste müde.

„Wenn ich es Ihnen doch sage!“, beschwor Tom und beobachtete Biller aufmerksam. „Das war ein riesiger gelb-grüner Traktor. Ich habe so ein Ding zuvor noch nie gesehen.“

„Gelb-grün? Da meinen Sie bestimmt Peter Reimers John Deere. Der fährt so ein Monster.“

„Peter Reimers? Ich glaube, ich habe den Namen schon mal irgendwo gehört. Kann das sein?“

„Gut möglich“, erwiderte der Gastwirt. „Er ist der Landwirt vom Kastanienhof, einem am Markt sehr erfolgreichen Unternehmen, Besitzer unzähliger Hühner und allerlei Geflügelzeug. Darüber hinaus rollt er mit Maschinen über die Felder, die sündhaft groß und teuer sind wie ein Einfamilienhaus. Nur der Lohnunternehmer Heinkens hat mächtigere Gerätschaften in seinem Fuhrpark. Doch der arme Teufel hatte letzten Mittwoch einen Schlaganfall und liegt momentan im Krankenhaus. Ja, das wird der ‚alte‘ Reimers gewesen sein. Die Ländereien müssen bestellt werden. Schließlich fliegt die Saat nicht auf Kommando in die Erde. Ist halt ein 24-Stunden-Job, genau wie hier. Wenn ich das vorher gewusst hätte, na dann! Sieben Tage die Woche, 80 Tacken mindestens. Als meine Ehe vollends in die Brüche gegangen war und die Tochter ebenfalls ihren Zickenkrieg begann, da …“

„So, so. Geflügel also“, wiederholte Tom, der gar nicht mehr zugehört hatte. Dann fingerte er ein Taschentuch aus seiner Jacke und schnäuzte hinein. „Ja, ja. So ist das leider. Machen wir nicht alle Fehler? Aber da kommt es ja auf einen mehr oder weniger nicht an, oder?“ Er zwinkerte dem Wirt schalkhaft zu. „Aber mal unter uns. Ich finde, diesem Peter Reimers sollte man mal auf die Finger klopfen.“

„Wie meinen Sie das?“, stutzte der Wirt.

„So, wie ich es sage“, fuhr Tom mit einem gefährlichen Unterton fort. „Was würden Sie denn meinen, wenn ich Ihnen jetzt erzähle, dass er gestern wie wild mit einer Flinte rumgeballert hat. Zwei Störche hat er dabei erledigt!“

„Das ist doch Blödsinn. Er ist ein engagiertes Mitglied im hiesigen Naturschutzverein. Das ist ja unerhört! Wie kommen Sie darauf?“, ereiferte sich der Dicke sogleich.

„Weil ich es gesehen habe, mit eigenen Augen. Stellen Sie sich nur vor.“

„Das ist unmöglich. Nicht Peter Reimers. Das kann ich nicht glauben. Wollen Sie mich jetzt veräppeln?“

Tom kramte sein Smartphone hervor, rief einen Ordner auf und hielt Biller jetzt einige Fotos unter die Nase, welche eindeutig Reimers mit seinem Hund und Flinte in der Hand vor zwei toten Störchen zeigte. Sogar eine Videosequenz war dabei, wo er einen der Störche in die Schaufel seines Frontladers warf.

„Ist das genug?“, fragte Tom den inzwischen vor Schreck erblassten Wirt. „Wie ich Ihrem Verhalten entnehme, sind Sie ein guter Bekannter dieses Naturfrevlers. Vielleicht sollte ich mal überprüfen, was Sie so in Ihrer Freizeit treiben? Wer weiß, was da ans Tageslicht kommt!“

„Wer sind Sie eigentlich?“, wollte der Gastwirt jetzt wissen. „Kommen hierher und spielen sich auf, als wären Sie wunder was!“

„Vielleicht bin ich das auch, Herr Biller!“, erwiderte Tom daraufhin. „Oder wollen Sie jetzt einiges zu Ihrem Techtelmechtel mit dem jungen Ding dort vorn hören? Was würde wohl Ihre Ex oder Ihre Tochter dazu sagen, ganz zu schweigen von der hiesigen Presse, wenn die wüssten, dass Sie das arme Mädel schon längst verführt haben? Mir machen Sie nichts vor! Immerhin war das Ihre Einstellungsbedingung, oder etwa nicht?“

Der Wirt wurde knallrot. Man sah, dass er kurz vorm Platzen stand und sich nur mit Mühe beherrschen konnte. „Sie sind doch nicht ganz bei Trost! Das denken Sie sich doch nur aus. Ich sollte Sie auf der Stelle rauswerfen!“

„Das würde ich mir überlegen“, lächelte ihn Tom an. „Wie wollen Sie das Gegenteil beweisen? Schon möglich, dass es nicht stimmt. Aber glauben Sie mir, gegen ein bestimmtes Entgelt wird dieses Mäuschen vor der Öffentlichkeit alles erzählen, was ich hören will, und wen interessiert noch ein halbseidenes Dementi. Ihr Ruf wäre ruiniert! Und genau dafür werde ich sorgen. Verlassen Sie sich darauf!“

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