Kitabı oku: «Glasglockenleben», sayfa 8

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Da ich kein Netzwerkprofi bin, wird Thomas den Drucker ans Netzwerk hängen müssen wie auch den XP-Rechner, wenn Friedrich den unbedingt weiter nutzen will. Der XP-Rechner muss dann also ans Netzwerk – aber sicherheitshalber ohne Internetzugriff. Also muss ich den Drucker vorübergehend direkt mit dem Laptop verbinden, und Thomas kann den später ans Netzwerk hängen.

Ich gehe ins Dachgeschoss, in der Hoffnung, die Installations-CD für den Drucker zu finden. Es kostet mich einige Zeit der erfolglosen Suche. Ich ziehe die eine oder andere Schublade auf und bekomme einen immer genaueren Eindruck von dem Chaos hier oben. Schon früher hat Friedrich Verlängerungshülsen für Bleistifte gebaut, um den Bleistift auch wirklich bis zum letzten Ende aufbrauchen zu können. Wieso hat er dann aber so viele Bleistifte und Buntstifte hier herumfliegen, dass die in 200 Jahren nicht aufgebraucht werden könnten? Wo kommen die alle her? Ich zucke mit den Schultern und gehe wieder eine Etage tiefer, um im Internet nach dem Druckertreiber zu suchen. Das gebe ich dann doch wieder auf, also muss sich IT-Crack Thomas auch darum kümmern. Ich schreibe ihm eine Mail und beauftrage ihn.

Merkt Rosi eigentlich, dass sie mich auch heute fragt, ob sie uns eine Gulaschsuppe aufwärmen soll? Isst sie nur noch Gulaschsuppe? Gulaschsuppe mit Reis, mit Nudeln, mit Gemüse. Heute sind Nudeln dran.

Freitag. Am Ende meiner Besuchstage bin ich desillusioniert über Rosis Computer-Affinität, und Rosi findet es sehr praktisch, dass sie ja eigentlich nicht mehr zu den Filialen der O-Bank, D-Bank und C-Bank fahren müsste, um dort am Kontoauszugsterminal die Auszüge auszudrucken. »Bei der C-Bank muss ich immer mitten in die Stadt und finde nie einen vernünftigen Parkplatz. Das kostet viel Zeit und Nerven.«

Leider haben wir den Plan, dass Rosi das Computern lernt, aufgeben müssen. Wir haben viele Stunden zusammen vor dem Laptop gesessen, ich habe die einzelnen Schritte mit Screenshots dokumentiert. Allerdings ist das für die Internetportale sinnfrei, denn sie ändern sich zu oft.

Rosi ist schon nervös geworden, als ein anderes Werbebanner aufgetaucht ist als in meinem Screenshot. Es ist eine Erkenntnis, dass es Rosi schlichtweg überfordert. Nach 30 Minuten haben ihre Wangen jedes Mal geglüht, und sie hat Kopfschmerzen bekommen. Nach 45 Minuten hat sie den Versuch immer frustriert abgebrochen und sich in ihr vertrautes Terrain in der Küche verzogen.

Umso frustrierender ist es für sie wohl, dass ich wieder weg bin, und sie sich wieder an die analoge Beschaffung der Kontoauszüge gewöhnen muss. Mein Vorschlag an Rosi, dass sie sich bei einem Senioren-Computerkurs anmelden könnte, ist ärgerlich weggewischt worden. »Wenn Friedrich aus dem Krankenhaus zurückkommt, habe ich für so was keine Zeit mehr.«

Und noch etwas ist mir aufgefallen. Rosi hat in dieser Woche sehr oft ein resigniert-skeptisches »hm« von sich gegeben. Sie, die sonst für alles eine Lösung hat. In der analogen Welt. Die digitale Welt scheint sie zu ängstigen, denn sie kann sie nicht kontrollieren.

Samstag. Am Samstag werde ich nach dem Hotelfrühstück direkt nach Hause fahren. Sehr nachdenklich. Ich habe in den letzten Tagen einen Eindruck bekommen, und der stimmt mich nicht sonderlich hoffnungsvoll für mein zukünftiges Glasglockenleben. Das fühlt sich so ziemlich zerstört an, während ich meine Tasse Kaffee schlürfe und mich das Hotelpersonal schon fast wie eine alte Bekannte begrüßt.

»Wann kommst du wieder?«, hat Rosi zum Abschied gestern Abend gefragt. Offensichtlich ist mein Hilfsangebot bei Rosi und Friedrich angekommen und angenommen. Unaufgeregt. Aber wie ich das mit meiner beruflichen Pendelei schaffen soll, ist mir ein Rätsel. Projekt Rosi im Internet ist jedenfalls bravourös gescheitert.

Aber eines habe ich in meinen Urlaubstagen wieder gelernt. Es ist wichtig, die Kontakte zu seiner Umgebung zu pflegen. Die Bewohner der Häuser aus der Sechser-Reihenhauskette kenne ich zum Teil schon sehr lange. In der Zwischenzeit ist von der »ersten Bezugsgarde« vor mehr als 40 Jahren tatsächlich schon der eine oder andere verstorben, und einige Häuser haben einen Besitzerwechsel hinter sich. Das dritte Haus in der Kette ist als Erstes aus finanziellen Gründen verkauft worden. Da ich aber in den letzten Jahren extrem selten hier gewesen bin, habe ich den Bezug zu der verbliebenen »ersten Garde« nicht mehr und kenne die »Neuen« nur vom kurzen Grüßen während meines Besuchs.

Neben Rosi und Friedrich wohnen immer noch Dietmar und Regina. Ich fühle mich sogar Dietmar und Regina gegenüber sehr entfremdet, obwohl ich eigentlich mit den beiden aufgewachsen bin. Es ist kein Zufall gewesen, dass Rosi und Friedrich damals mit uns Kindern in die Nr. 18 eingezogen sind und Regina und Dietmar mit ihren drei Kindern in die Nr. 19. Genauso ist es auch kein Zufall gewesen, dass es zwischen den Gärten Nr. 18 und Nr. 19 keinen Zaun gab und auch heute nicht gibt. In der letzten Woche habe ich Regina und Dietmar wahrgenommen wie nie zuvor in meinem Leben. Früher waren sie da. Als ich weggezogen bin, habe ich sie vergessen. Regina und Dietmar sind sehr warmherzige und gütige Menschen.

Rosi hat während meiner Kindheitstage oft über die Lebensweise der beiden geschimpft. Gelästert? Sie sind doch befreundet? Ich habe das früher nicht verstanden, aber Rosi war auch das Tun von Regina und Dietmar nie gut genug. Erst in meiner Urlaubswoche ist mir klar geworden, dass Rosi zu niemandem Nähe zulassen möchte und möglichst immer alles und jeden auf Abstand hält. Und erst in meiner Urlaubswoche ist mir aufgefallen, dass Rosi, Regina und Dietmar sich duzen. Oder umgekehrt, mir ist aufgefallen, dass sie sich nicht mehr siezen. Unsere beiden Familien haben die Kinder gemeinsam in einem zaunlosen Garten großwerden sehen – aber jahrzehntelang haben sie sich gesiezt. Ist das Freundschaft?

Engelchen: »Das ist in der Tat seltsam. Ihr seid alle mit dem Siezen groß geworden.«

Ich wusste nicht, dass Dietmar am Mittwoch Geburtstag hatte. Dazu war ich mittlerweile viel zu lange viel zu weit weg. Regina hat an der Haustür geklingelt, um uns auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen einzuladen. Reginas Gesicht war voller Skepsis und Fragezeichen gewesen. Auf Deutsch: Sie hat trotzdem bei uns geklingelt, obwohl sie mit einer vermutlich gewohnten Absage von Rosi gerechnet hat. Ich war zwar schneller unten gewesen, um die Haustür zu öffnen, aber Rosi stand gleich neben mir. »Wir haben noch so viel zu tun, wir müssen auch noch den Antrag für die Pflegestufe machen und …«

Den Antrag für die Pflegestufe haben wir längst fertig. So läuft das hier also, Rosi will sich wieder was vom Leibe halten.

Regina hat trotzdem weitergelächelt. »Dietmar hat nämlich heute Geburtstag.«

Rosi neben mir hat ein abweisendes Gesicht gezogen und ich einen Entschluss gefasst. »Rosi. Wir machen jetzt eine Pause. Wir sind schon den ganzen Tag auf Achse. Ein Kaffee wird uns guttun. Regina, wir kommen gerne mit.« Wir alle kennen uns seit fast 50 Jahren. Wieso reagiert Rosi so?

Später hat Regina mir zugeflüstert, dass es schon Jahre her war, dass Rosi zum Kaffeetrinken zu ihnen gekommen ist.

Die Kilometer meiner Heimfahrt fliegen an mir vorbei, und wo es geht, habe ich schon wieder dieses Bleigewicht auf meinem rechten Fuß über dem Gaspedal. Ich will nach Hause, um mich um die immer länger werdenden E-Mails zu den 10.000 Euro Reisekostenabrechnungen kümmern zu können und mich auf den neuen Job und das Packen für die Werkswohnung zu konzentrieren. Aber die Gedanken über meine Vergangenheit bei Rosi und Friedrich werden immer wacher, und ich glaube nicht, dass ich das besonders toll finde. Es fühlt sich nach wie vor für mich so an, als ob ich eine Pflicht erfüllen muss. Es fühlt sich immer noch unangenehm an.

Michael öffnet mir schon die Haustür, weil er gehört hat, wie ich meinen Kombi in die enge Garage gefahren habe. Wenn ich rückwärts hereinfahre, muss ich an der linken Seite auf die Straßenlaterne und rechts auf die kleine Mauer achten. Beides habe ich leider bereits einmal gerammt und mir Schrammen ins Auto geholt. Aber das ist bei meinem alten Auto nicht weiter tragisch. Bei der Mauer ist der oberste Eckstein abgeflogen (nicht gemauert, nicht einmal verklebt), und die Laterne hat sich wie ein Gummibaum den 1,5 Tonnen meines Autos gebeugt, ohne umzufallen. Sie steht heute noch da, als wenn nie etwas gewesen wäre.

Zwischen Job und Rosi

Mein Einstieg bei meinem neuen Arbeitgeber ist sehr schnell getaktet. Mein Chef ist sehr nett und mein Team mir gegenüber aufgeschlossen. Sie haben sich alle sehr gut auf meinen Start vorbereitet, ich bekomme schon am ersten Arbeitstag meinen neuen Laptop.

»Deine E-Mail-Adresse ist schon seit vier Wochen eingerichtet«, höre ich meinen Chef und wundere mich dann nicht, dass mein E-Mail-Eingang bereits 120 ungelesene Mails enthält. Ich registriere die Terminkollisionen von Einladungen zu Meetings vom ersten Tag an. Oha, hier ticken die Uhren schnell.

Mir wird der Unterschied bewusst, als interner Kollege oder als externer Consultant zu arbeiten. Die Externen haben bei Projektarbeit in der Regel ein Projekt und nicht wie die Internen 700 andere Aufgaben an der Backe. Ich habe vom ersten Tag an offensichtlich ziemlich viele Zuständigkeiten und muss mich erst einmal orientieren. Es ist zum Glück nicht so, dass das neu für mich wäre. Ich habe in der Summe nur ungefähr drei Jahre als externer Consultant gearbeitet. Davor habe ich auch schon Teams im internen Management geführt. Und jetzt bin ich hier wieder in einer Leitungsfunktion eines global agierenden Teams. Ich habe disziplinarisch ein Team in Deutschland und funktional ein Team in Asien und den USA. Ich will natürlich mein Bestes geben – auch wenn es jetzt im Gegensatz zu den letzten sechs Jahren so ist, dass ich nicht selbst an den Systemen herumschraube, sondern die Arbeit von meinem Team erledigen lasse. Ich muss alles im Blick haben und dem Upper Management Rede und Antwort stehen. An der Anzahl meiner Arbeitsstunden ändert dieser Jobwechsel natürlich nichts, das ist einfach so. Wenn Gewerkschaften die 35 Stunden pro Woche propagieren, dann gilt das für Tarifangestellte, aber so etwas hat noch nie für mich gegolten. Für mich nicht und ganz sicher auch nicht für fast alle außertariflich Angestellten.

Rosi hat auch immer gejammert, sie hätte nie Feierabend. Wo bleibt eigentlich meiner? Was bedeutet eigentlich Feierabend? Keine Ahnung.

Ich habe inzwischen die Werkswohnung in Beschlag genommen und erkunde die Gegend nach Einkaufsmöglichkeiten. Wie ich mir schon gedacht habe, bewahrheitet es sich: Ich habe wirklich wenig Lust, mich in die altmodischen Wohnzimmergegenstände zu lümmeln und fernzusehen. Ich lasse den größten Teil der Quadratmeter links liegen, gehe nach ganz oben in die Küche, rätsele Sudoku am Küchentisch, verschwinde zum Rauchen ans geöffnete Dachfenster im Gäste-Klo und verschwinde nach dem Duschen im Schlafzimmer, um den Fernseher anzuschalten.

Am späten Freitagabend fahre ich dann wie viele Pendler zurück zu meinem Erstwohnsitz nach Kaiserslautern und ärgere mich über den Flughafen-Stau, gefolgt vom Stau am Rüsselsheimer Dreieck, gefolgt vom Mainzer Nadelöhr.

Ich wasche meine Wäsche noch am späten Freitagabend, bügele sie am Samstag. Es fühlt sich fast genau gleich an wie zu meiner Zeit in der Schweiz. Der Unterschied ist fast nur, dass die Entfernung nicht ganz so weit ist und ich mein Köfferchen nicht mehr mit mir herumschleppe. Also ist es viel besser. Ich bin optimistisch. Das bisschen neue Arbeit, Werkswohnung, Rosi, Friedrich und all das Drumherum werde ich schon schaffen.

Früher habe ich Rosi und Friedrich jeden Sonntag immer dann angerufen, wenn ich mit Haarewaschen, Föhnen und Duschen fertig war. Je nachdem, wann ich damit fertig war, immer zwischen zehn Uhr und elf Uhr morgens. Nicht selten gab es dazu einen dieser telefonischen Terroranschläge von Rosi, wenn sie der Meinung war, sie müsse sofort wissen, wie es Michael und mir ging und was es Neues gab. Ich habe ihr oft genug gesagt, ich gehe mit nassen Haaren nicht ans Telefon. Wenn Rosi aber der Meinung war, sie müsse sofort mit mir telefonieren, hat sie unbeirrt alles abtelefoniert, was ging. Festnetztelefon, mein Privat-Smartphone, mein Firmen-Smartphone, dann Michaels Privat-Smartphone.

Die Uhrzeit für die Sonntagstelefonate hat sich nun geändert und ist zu einem Telefontermin um 15 Uhr mutiert.

Das ist okay so, Rosi braucht wohl gerade einen festen Termin und die Verlässlichkeit. 15 Uhr. Jeden Sonntag.

Die Frage von Rosi bei meinem Abschied im März muss auch noch beantwortet werden. »Wann kommst du wieder?« Am liebsten würde ich Rosi eine Landkarte vor die Nase auf ihren Tisch legen. Sie hätte diese Frage auch gestellt, wenn ich noch in Zürich gearbeitet hätte. Immerhin sind jetzt die zu bewältigenden Kilometer weniger geworden.

Mein Kopf rechnet. Von meiner Werkswohnung aus sind es nur 330 Kilometer bis zu Rosi. Von Kaiserslautern aus sind es 450 Kilometer bis zu ihr. Wenn ich am Wochenende nach Braunschweig fahre, kann ich nicht nach Kaiserslautern zu Michael fahren. Darunter wird mein Privatleben wohl leiden.

Mittlerweile frage ich mich aber auch, ob es überhaupt eine andere Option gibt. Ich werde wohl ab jetzt regelmäßig nach Braunschweig fahren. Immerhin kann ich einiges aus der Ferne verfolgen. Der Antrag auf Pflegestufe eins ist bewilligt worden. Der Antrag auf den Behindertenausweis hängt und gestaltet sich bürokratischer als erwartet. Aber mit Pflegestufe eins ist es möglich, den Antrag auf den Treppenlift voranzutreiben. Rosis »Wann kommst du wieder?« wird für mich drei Wochen nach meinem neuen Arbeitsbeginn sein. Ein Wochenende ohne Michael und ohne Wäschewaschen.

Das Angebot der Vermieterin der Werkswohnung werde ich ausschlagen. Sie hat gesagt, ich könne die Waschmaschine ihrer Mutter mitbenutzen. Das geht für mich gar nicht. Wenn ich in sechs Monaten meine Zweitwohnung auf eigene Rechnung habe, benötige ich eine Waschmaschine dort. Wenn ich am Wochenende nicht in Kaiserslautern bin, kann ich mich nicht nur nicht um die Wäsche kümmern, sondern auch nicht um meine Forderung der Reisekostenerstattung in Höhe von 10.000 Euro. Ich habe inzwischen meinen ehemaligen Chef eingespannt, und die E-Mails dazu werden immer noch länger und länger. Es ist wie befürchtet, und vorzugsweise an den Wochenendabenden, an denen ich in Kaiserslautern bin, sitze ich nicht neben Michael auf dem Sofa vor dem Fernseher, sondern beantworte Mails. »I cannot work on your reimbursement; we have no personal key.« Nee, der ist ja schon seit Ende März gelöscht. Die Mails kommen von den Philippinen. Das wird ein hartes Stück Arbeit.

Trotzdem mache ich mich wieder auf den Weg zu Rosi. Am Freitagabend direkt von der Werkswohnung aus. Wir haben nun gelernt, dass alles seinen Weg gehen muss, wenn wir die Zuschüsse von den Krankenkassen haben wollen. Einfach losmarschieren und irgendwo einen Rollstuhl shoppen geht schon, aber dann bekommen wir null Euro Zuschuss. Die Pflegestufe eins ist nun bewilligt – Rosi musste sehr auf Friedrich einreden, bei der Überprüfung durch einen Sozialberater nicht den Helden zu spielen. Ein »Nein, nein, ich schaffe die Treppen schon noch« hilft bei der Bewertung und Genehmigung nicht weiter.

Rosi war stolz auf Friedrich, er hat nicht den Helden gespielt, und so konnte die Realität im Hause Hartmann einziehen. Die Pflegestufe war der erste Schritt in Richtung Treppenlift.

Rosi hat mir stolz berichtet, dass der vermessende Statiker für den Einbau des Treppenlifts einen sehr kompetenten Eindruck gemacht hat. »Es ist sogar kein Problem, dass der Handlauf an der Außenseite des Treppenschachtes dranbleibt, damit ich ganz normal weiter als Fußgängerin dort hinaufgehen kann.« Das Angebot lag nun auf dem Tisch, und Rosi hat geschimpft wie ein Rohrspatz. Sie konnte die allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht lesen, die seitenlang in hellgrauer Mikroschrift auf pergamentartigem Papier gedruckt waren. »Das ist eine Unverschämtheit!«, hat Rosi durchs Telefon gewettert. Im Internet ist es gang und gäbe, mit dem kleingedruckten Schindluder zu treiben. Vielleicht mittlerweile auch mit den AGB auf Papier. »Ich habe große Lust, mich bei der Verbraucherzentrale zu beschweren. Wie soll eine Rentnerin wie ich diese Mikro-Buchstaben denn noch lesen können?«

Rosi und Friedrich haben auf dem Esstisch im Wohnzimmer eine auf dem Flohmarkt erstandene Lupenlampe stehen. Eine riesengroße Lupe mit eingebautem Licht, um solche Mikro-Buchstaben zu vergrößern. Ich kann diese Buchstaben gerade noch so lesen, ich könnte Rosi also alles vorlesen. Sie will es aber schwarz auf weiß, also kann ich den Mist in einer lesbaren Größe abtippen und drucken. Auf die Idee, die Blätter mit einem DIN-A3-Kopierer zu vergrößern, komme ich nicht.

Bei meinem nächsten Besuch nach der elend langen Fahrt bin ich dabei, Rosi die AGB zu übersetzen, die Kontoauszüge auszudrucken und nach dem Rechten zu sehen. Friedrich ist immer noch im Krankenhaus und wartet auf seine Reha.

Mein Job und immer wieder Rosi

Als ich wieder in Braunschweig bin, fühle ich mich besonders angestrengt und habe den Grund dafür schon fast vergessen. Die Fahrt hat mich total erschöpft, aber ich habe die Erschöpfung weggelächelt. Rosi hat es auch noch nicht aufgegeben, mir vorzuhalten, wie teuer Hotelübernachtungen sind. Ich denke dann kurz über Rosis Realitätssinn nach und stelle mir vor, ich dürfte im staubigen Dachgeschoss übernachten, nachdem wir ein paar Bücher weggeräumt haben. Oder im alten Kinderzimmer von Jens. Im Nordzimmer. Rosi würde spätestens um fünf Uhr morgens aus dem Bett im Schlafzimmer nebenan fallen. Ich stehe auch im Hotel früh auf, ja. Aber ich brauche auch den Abstand zu Rosi, ich brauche es, abends einfach gehen zu können.

Und so ist es dann auch bei diesem Besuch. Ich schaue kurz auf die Uhr, nachdem ich im Hotel eingecheckt habe. Ich bin gleich nach der Arbeit am heutigen Freitag recht früh um 17 Uhr schon losgefahren, jetzt ist es 21 Uhr. Ein guter Schnitt bei all den Pendlern und damit fast immer Staus auf den Autobahnen. Michael bekommt wieder eine kurze SMS, dass ich gut angekommen bin. Ich bin zu erschöpft, um noch etwas essen zu gehen, und werfe mich nach einer Dusche gleich ins Hotelbett. Die Impfungen … Im Halbschlaf erscheinen sie mir wieder. »Willkommen bei uns, Frau Raab!« Der Betriebsarzt.

Die betriebsärztliche Eingangsuntersuchung habe ich hinter mir.

»Fliegen Sie demnächst in asiatische Länder?«

Ja, so ist der Plan.

»Gut, dann machen wir Impfungen gegen Tollwut, Hepatitis A, B und C, Tetanus-Auffrischungen, Röteln und Windpocken.« Ich habe die ersten Impfladungen bekommen, und sie fühlen sich an wie Dröhnungen.

Die Assistentin hat gesagt: »Bitte machen Sie im Moment keine anstrengenden Tätigkeiten und vor allem keinen Sport«.

Da besteht keine Gefahr, dazu habe ich momentan überhaupt keine Zeit. Was mir im Übrigen nicht sonderlich gefällt, da ich früher immer gerne Sport getrieben habe. Ob mit Schonung auch gemeint war, dass ich solche anstrengenden Wochenendausflüge zunächst meide? Ich weiß es nicht und falle in einen tiefen Schlaf.

Erfreulicherweise hat die Druckerinstallation durch IT-Crack Thomas geklappt. Der Drucker ist nun über ein LAN-Kabel mit dem Netzwerk verbunden, und wir können sowohl vom Laptop als auch vom alten XP-Rechner aus endlich drucken (falls Friedrich das später wunschgemäß tun will). Darüber hinaus ist der XP-Rechner aber sicherheitshalber vom Internet abgekoppelt. Absolut cool, Thomas hat genau das gemacht, um was ich ihn per Mail gebeten hatte. Wir haben uns einige Male per E-Mail ausgetauscht, und so kam es auch, dass Thomas mich auf eine weitere Idee brachte. »Wenn du so weit weg wohnst: Warum installierst du nicht auf deinem und auf Rosis Laptop eine Software, mit der du von deinem Laptop aus auf Rosis Laptop zugreifen kannst?«, schrieb er.

Ich habe mir mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen. Natürlich! Das ist eine hervorragende Idee! Warum bin ich nicht selbst daraufgekommen? Manchmal ist es echt komisch. In meinem beruflichen Alltag arbeiten wir jeden einzelnen Tag mit solchen Methoden, um Meetings abzuhalten und die Sicht auf den Bildschirm zu teilen. Rosi würde sich zwar nie allein an ihren Laptop trauen, aber ihn starten und dann den von mir ausgewählten Team Viewer zu starten, das würde schon klappen. Der Team Viewer ist kostenlos und simpel zu bedienen. Ich installiere also auch auf Rosis Laptop den Team Viewer und erkläre ihr alles. »Du musst mir dann am Telefon den Pass-Code sagen, der bei dir erscheint. Erst dann kann ich auf deinen Laptop zugreifen. Und zwar nur ich, weil ich dann die Verbindung zu dir habe.«

Rosi nickt und zeigt sogar ihre Erleichterung. »Dann können wir jetzt jeden Sonntag bei unserem Telefonat auf die Kontenstände schauen!«

Es ist an mir, nun auch zu nicken.

Da ich aber gerade wieder vor Ort bin, schauen wir natürlich erneut gemeinsam auf die Online-Portale von Friedrichs und Rosis Bankkonten. Rosis anfängliches Misstrauen (freundlicher ausgedrückt: ihre Wachsamkeit) mir gegenüber beim Sichten der Kontenstände scheint sich langsam zu legen. Ich glaube, es ist ganz wichtig für sie, dass ich in Bezug auf die Höhe der Beträge genauso Desinteresse gezeigt habe wie auch hinsichtlich der Konto- oder PIN-Nummern. Ich habe gar nicht den Ehrgeiz, mir so etwas zu merken.

Nach dem Sichten der Kontostände kümmere ich mich um die Schreiben an die Krankenkasse und die Versicherung, während Rosi sich bereits wieder in die Küche im Erdgeschoss abgeseilt hat. Bei einer meiner üblichen Raucherpausen draußen auf dem Fußweg vor dem Haus treffe ich auf Daniel und Elsa. Ich weiß über die beiden nicht viel und kenne sie eigentlich nur aus den Erzählungen von Rosi am Telefon. Daniel und Elsa sind ungefähr so alt wie ich, vielleicht ein bisschen älter. Rosi hat geschwärmt, dass Daniel im Winter schon morgens um 6:30 Uhr auch vor ihrer Haustür den Schnee weggeschippt hat. Rosi erzählte auch, wie Daniel, Elsa, Dietmar und Rosi im Herbst gemeinschaftlich die lange Hecke um Rosis und Friedrichs Grundstück geschnitten haben. Also eine echt tolle und hilfsbereite Nachbarschaft. Daniel und Elsa haben vor einigen Jahren das Haus vom Kinderschreck gekauft. Der Kinderschreck hat das Haus verkauft, als dessen Frau gestorben ist. Wir Kinder hatten fast schon Angst vor ihm, denn er brüllte uns schon laut an, wenn wir bloß an seiner Haustür vorbeiliefen. Ein knurriger alter Sack. Seine Frau war für uns noch schlimmer, eine richtige Hexe.

Daniel und Elsa Bremer kommen scheinbar gerade vom Einkaufen, und ich grüße wie immer freundlich. Daniel bleibt stehen und mustert mich neugierig. Die Neugierde finde ich verständlich, denn erst bin ich lange Zeit gar nicht aufgetaucht und nun bin ich schon wieder hier. »Sie sind jetzt ganz schön häufig hier, nicht wahr?«

Ich nicke lächelnd. »Ja. Wird Zeit, dass jemand von uns Kindern die beiden unterstützt.« Mit dem Daumen deute ich hinter mich auf das Haus.

Daniel nickt seinerseits und sieht mich dabei aufmerksam an. »Die Frage steht mir eigentlich nicht zu, aber ich wundere mich, warum ausgerechnet Sie diejenige sind, die das jetzt tut.«

Ich gebe zu, diese Frage überrascht mich.

Engelchen: »Vermutlich hat sich rumgesprochen, dass du mit 17 Jahren etwas holprig ausgezogen bist – wenn man das so nennen kann. Das bedeutet, dass die Nachbarschaft immer noch über so was redet und auch die zweite Generation das weiß. Interessant.«

Daniel merkt, dass er sich quasi verraten hat und fühlt sich zu einer Erklärung genötigt: »Ich habe gehört, dass Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern nicht das Beste ist. Von daher finde ich es wirklich spannend, dass ausgerechnet Sie nun so oft unterstützen. Ich hätte eher Ihre Geschwister hier erwartet. Ich verstehe es halt nicht.« Er zuckt die Schulter. »Nichts für ungut, es geht mich nichts an.«

Stimmt. Aber es stört mich nicht weiter, da ich mich selbst auch über mich wundere.

Mangels Alternativen bleibt mir wohl auch gar nichts anderes übrig. Dagmar mit ihrer Haltung »Was ist denn anders als vor Friedrichs Krankenhausaufenthalt?« und Jens … Jens hat mit sich selbst genug zu tun. Ich trete die Kippe auf dem Gehweg aus und sammele sie sorgsam in einer Ecke, wo ich nachher vor der Abfahrt alle Kippen in die Restmülltonne werfen werde. Mit meinem eigenen Schlüssel schließe ich wieder die Haustür auf und muss unweigerlich daran denken, dass es Zeiten gab, in denen ich keinen Schlüssel gehabt habe. In mir dröhnt wieder die Vergangenheit. Als Rosi mir den Schlüssel nach meinem Auszug weggenommen hat. Das fühlt sich auch heute nicht besser an als damals.

Ich höre Rosi in der Küche werkeln und hoffe inständig, dass sie nicht erneut Gulaschsuppe für uns erwärmt. Ich bleibe kurz im Flur stehen, der mir den Blick auf das Treppenhaus zum ersten Stock freigibt. Der Blick wandert im Treppenhausschacht schnurstracks nach oben bis hin zur Decke des ersten Stocks. Dort oben thront sie, die Ankerkugel, mit der ich groß geworden bin und die ich dann gar nicht mehr wahrgenommen habe. Sie baumelt seit vielen Jahrzehnten von der Decke und erinnert mich gerade jetzt erneut an meine Kindheit. Familie Hartmann (Rosi, Friedrich, Dagmar, Jens und ich) ist in Dänemark in Urlaub gewesen. Wir Kinder haben mit Friedrich einen Strandspaziergang gemacht, und Friedrich hat das eiserne Ungetüm als Erster entdeckt. Es war an den Strand gespült worden. »Sieht aus wie eine Ankerkugel eines Schiffes«, hat Friedrich gesagt. Er wollte diesen Fund unbedingt bergen, holte unser damaliges Auto – einen quietschgelben Volvo, den man nach Friedrichs Aussage wegen der Farbe auch im Nebel gut erkennen konnte. Friedrich rangierte den Kombi rückwärts an den Strand (das durfte man damals noch), und wir luden mit vereinten Kräften das Ungetüm in den Kofferraum. Über eine Zulade-Erlaubnis hat sich damals noch niemand Gedanken gemacht. Die Stoßdämpfer gingen eine halbe Etage tiefer, aber am Ende des Tages ist das Ungetüm bei uns zu Hause gelandet.

Und dann hat Friedrich die damals schon alte Holzleiter geholt, sie kippelig auf die Treppenstufen gestellt und die Bohrlöcher in die Decke geschmettert, um diese Kugel aufhängen zu können.

Die Kugel hängt da immer noch genauso, wie es immer noch die noch älter gewordene Holzleiter gibt. So eine Holzleiter, die man vom I (im zusammengeklappten Zustand) zu einem A auseinanderklappt.

Wenn jemals diese Kugel oben von der Decke aus der Verankerung reißen würde, würde sie mit ihrem Gewicht auch die steinernen Treppenstufen der Treppe durchschlagen – und wehe, irgendjemand stünde in dem Moment da drunter.

Rosi steht auf einmal im Türrahmen der Küche und schaut zu mir herüber, wie ich da im Flur herumstehe. »Essen ist fertig«, sagt sie und schaut mich weiter an.

»Ich habe mir gerade die Ankerkugel da oben angeschaut. Wie wollen wir die eigentlich jemals wieder von da wegbekommen?«, frage ich.

Rosi zuckt nur mit den Schultern und holt die aufgewärmte Gulaschsuppe.

Rosi hin oder her, es ist für mich immens wichtig, mich in meinen neuen Job einzuarbeiten und mich an meine neue Umgebung zu gewöhnen.

Erfreulicherweise beginnt immer mehr die hellere Jahreszeit. Der graue Winter weicht endlich den ersten sonnigen Frühlingstagen.

Inzwischen ist es Mai geworden, Friedrich ist immer noch im Krankenhaus, weil sich der Beginn der Reha aufgrund von Komplikationen mit der Versicherung weiter hingezogen hat. Ich persönlich finde das sogar gut, denn der Treppenlift soll bereits eingebaut sein, wenn Friedrich dann von der Reha nach Hause kommt. Bis jetzt ist er noch nicht eingebaut.

Ende April hat Rosi mich mit einer guten Nachricht angerufen: »Es geht weiter mit dem Treppenlift. Sie produzieren schon.« Vielleicht schaffen wir es ja vor Friedrichs Heimkehr …

»Das glaubst du doch selbst nicht.«

Danke für deine aufmunternden Worte, Teufelchen. Ich gähne verhalten hinter der Hand, während ich nach einem langen Arbeitstag einmal wieder ziemlich spät meine Werkswohnung ansteuere und auf dem Heimweg beim Rewe anhalten will, um meinen notdürftig gefüllten Kühlschrank in der Werkswohnung etwas aufzufüllen. Rosi scheint mehr und mehr zu verstehen, dass ich werktags nicht jederzeit an mein Smartphone gehen kann, auch wenn ihr etwas vermeintlich Wichtiges einfällt. Ich kann nicht Moderatorin eines Workshops sein und zehn Leute um mich herum einfach sitzen lassen, wenn Rosi mir plötzlich etwas berichten will. Sie wartet also bis zum Abend und ruft dann durch. Sie wartet sogar bis mindestens 19 Uhr. Eine Uhrzeit, um die sie in ihrem Leben als Rentnerin zuvor schon mit Friedrich ins Bett gegangen ist. Damals, als ihre Welt wenigstens noch halbwegs in Ordnung gewesen ist.

Ich parke auf dem Parkplatz vor dem Rewe und gehe im Kopf meine Einkaufsliste durch. Die ist ziemlich simpel: Klopapier, Kaffee, Eier, Milch, Dosensuppe, Paprika und Toastbrot. Mit vortrefflicher Zielsicherheit klingelt mein privates Smartphone, sobald der Motor aus ist. Rosi. Ich kann nicht hören, dass sie zuversichtlich klingt, obwohl sie etwas Zuversichtliches sagt: »Nächste Woche kommt der Monteur und bringt den Treppenlift an. Übernächste Woche kommt Friedrich nach Hause. Dann schaffen wir das mit dem Lift ja doch noch rechtzeitig.«

Das ist doch prima, oder nicht?

»Ich hoffe, ich störe dich nicht. Wo bist du denn gerade?«

Soll ich lügen? Nein. »Ich parke gerade auf dem Parkplatz eines Ladens, um noch schnell was einzukaufen.«

»Oh, ich kann dich auch später anrufen.«

Nein. Es ist nach 19 Uhr, und wenn ich den Einkauf erledigt habe, will ich einfach nur abschalten. »Es ist okay, Rosi. Ich sitze im Auto. Was gibt es sonst noch?«

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