Kitabı oku: «Kleine Gespenster», sayfa 2

Yazı tipi:

Natürlich spiele ich nicht mit. "Mal sehen", sage ich vage. "Verschiedene Pläne."

Ich lege das Geld passend dahin, wo eben noch ihr Busen lag, wünsche einen schönen Tag und verschwinde.

Ich verzehre die Nussecke auf meinem Holzfußboden sitzend, auf dem Schoß einen Fotoband – eines der wenigen Bücher, die ich mitgenommen habe. Er trägt den Titel "Deine Einsamkeiten – B" und enthält zahlreiche Schwarzweiß-Fotografien aus allen möglichen Städten. Alle mit B: Berlin, Barcelona, Bologna ... Die Bilder berühren mich seltsam. Ich schleppe sie meistens mit, wenn ich unterwegs bin, immer wieder studiere ich sie und lasse mich in ihre farb- und trostlosen Welten hineinspülen. U-Bahn-Schächte, leere Straßen, alte Menschen mit Gesichtern, die traurige Geschichten erzählen, verschneite Felder, steife Puppen in unnatürlichen Posen auf Flohmärkten – ich weiß nicht, ob es Bände zu sämtlichen weiteren Anfangsbuchstaben gibt, die das Alphabet so zu bieten hat. Ich glaube, ich würde sie alle kaufen.

Mein persönlicher Favorit ist eine Schaufensterpuppe, die an einem antiken, gesprungenen Spiegel lehnt, das Gesicht mit einem sehr dunklen Mund dem Betrachter zugewandt. Im Spiegel sieht man ihren kahlen Kopf mit einem großen Loch darin.

Meine Einsamkeit besteht aus der Tatsache, dass ich einen Menschen verloren habe, von dem ich nicht viel mehr kennen gelernt habe als seinen Herzschlag und das Rauschen seines Blutes. Den ich aber vermisst habe, seit ich denken kann.

Ich habe gelesen, dass Zwillinge schon im Mutterleib anfangen, miteinander zu spielen. Sie richten sich vollkommen aneinander aus. Wenn sie sich dann verlieren, verlieren sie den elementarsten Bezugspartner, den sie haben.

Eine Psychologin hat mir Ähnliches erzählt. Im Heim sollte ich einmal in der Woche mit ihr sprechen. Sie hat es ein paar Mal versucht, und dann hat sie mich aufgegeben. Ich wollte nicht über meinen Bruder sprechen und nicht über meine Schuld.

Ich wollte alleine sein, das war alles.

Auf den Kinderfotos, die es von mir gibt, starrt ein seltsames dunkles Mädchen ernst in die Kamera. Gruppenbilder, auf denen ich abgebildet bin – von der Klasse oder dem Sportverein – sehen immer aus wie diese Suchbilder: Welches Kind gehört nicht dazu?

Und Menschen wie Leo versuchen ernsthaft, mich zu lieben. Das macht die Sache nicht einfacher.

Ich persönlich mag Dinge. Und ich mag es, Dinge zu verändern

4.

Maik malte keine Menschen mehr.

Zumindest war das sein fester Vorsatz. Er konnte es nicht mehr ertragen. Und andererseits war jedes Mal, sobald er ein Bild vor seinem inneren Auge hatte, der Drang, es auf die Leinwand zu bringen, so immens, dass er keine Ahnung hatte, ob er sich wirklich dauerhaft dagegen würde wehren können ...

Er wollte nur noch Landschaften malen. Und Häuser. Pflanzen und Tiere. Sogar mit Musikinstrumenten hatte er es schon versucht.

Aber es war quälend. Der Vorgang selbst war nun kein Akt mehr, der sich wie im Fieber, scheinbar von alleine, vollzog. Der Vorgang selbst war nur noch Arbeit, wenn er sich solchen Motiven zuwandte. Ohne inneren Antrieb, ohne eine gewisse Manie zuwandte. Das Ergebnis war hölzern, uninteressant, in keinster Weise eine Überraschung. Eben die Landschaft, das Haus, das Tier, das er gesehen und anschließend gemalt hatte.

Vielleicht sollte er einfach etwas ganz anderes tun? Die Malerei ganz sein lassen?

Unmöglich. Ohne sein Atelier, ohne den täglichen Geruch der Farbe und der Reinigungsmittel, ohne den Anblick jungfräulicher Leinwände war für ihn kein Alltag denkbar.

Er hatte immer gemalt. Und vor allem: Er hatte immer Menschen gemalt. Keine Menschen, die es wirklich gab. Nein, Gestalten, die in ihm entstanden, die sich plötzlich Raum verschafften, die aus ihm hinausdrängten.

Manchmal passierte ganz lange nichts. Dann spürte er, wie etwas zu wachsen begann. Wie sich eine Persönlichkeit formte, wie ein Gesicht entstand, ein Schicksal, eine Existenz. Und irgendwann war es so weit. Es war ein bisschen wie eine Geburt. Oder ordinärer: als ob er zur Toilette müsste. Irgendwann musste es raus, und dann zog es ihn magisch zur Leinwand, und er bannte darauf, was in ihm entstanden war.

Und diese, und nur diese, Bilder waren es immer gewesen, hinter denen er stehen konnte, die sein Werk darstellten. In denen er selbst, nachdem er fertig war, Dinge fand, von denen er nicht wusste, dass er sie hineingewirkt hatte.

Als hätten sie gar nicht viel mit ihm zu tun.

Natürlich nahm er hin und wieder auch Auftragsarbeiten an, wenn er finanzielle Probleme bekam. Aber das hasste er. Ein passionierter Koch in einer Universitätsmensa, dachte Maik, musste sich ähnlich fühlen.

Er empfand seinen Beruf nicht als etwas, das er sich ausgesucht hatte. Eine Berufung, das war es wohl eher. Es war eine immense Kraft im Spiel, der er sich nicht widersetzen konnte und für die er schon einige Opfer hatte bringen müssen. Maik wusste nicht, ob seine Bilder besonders gut waren. Aber darum war es nie gegangen. Er musste malen, teilweise bis vier Uhr morgens, teilweise bis zum Sonnenaufgang. Wenn seine Bilder fertig waren, blieb er zurück wie eine Hülle, leer und vollkommen erschöpft. Bis es von neuem begann.

Seine Eltern hatten von all dem nie etwas wissen wollen. Sein Vater besaß eine gut laufende Spedition und war immer davon ausgegangen, dass Maik sie eines Tages übernehmen würde. So lange die Malerei seines Sprösslings ihm als nettes Hobby erschien, förderte er sie, und wenn Anerkennung aus Verwandtschaft und Bekanntschaft kam, war er stolz darauf. Maiks Mutter betrachtete jedes Bild mit dem gleichen Lächeln, sagte: "Schön, mein Junge", und wandte sich dann wieder dem Haushalt zu, dessen Führung ihr inniger Lebensinhalt war. Ihr genügte es vollkommen, wenn Maik am Schuljahresende einigermaßen anständig in die nächste Klasse wechseln konnte; dass er ein derart künstlerisches Hobby immer manischer betrieb, war ihr unverständlich. Mehr als einmal legte sie ihm nahe, er solle doch ein Instrument lernen, wenn der Teppichboden im Haus mit Farbe bekleckst war oder das Zimmer ihres Sohnes sich in ein kreatives Chaos verwandelte.

Maik kam aufs Gymnasium und in die Oberstufe, machte brav, wenn auch äußerst nebenbei, sein Abitur und begann, wie vom Vater gewünscht, eine Ausbildung als Speditionskaufmann. In der Garage fungierte eine Ecke am Fenster als Atelier, die Malerei wurde ihm zugestanden, aber als Marotte betrachtet. Dann wuchs seine Verzweiflung, das Gefühl, ein Leben zu führen, das nichts mit ihm zu tun hatte. Der Alltag in der Spedition machte Maik fertig und befremdete ihn von Tag zu Tag mehr. Immer öfter soff er mit Freunden Nächte durch, erschien zu spät zur Arbeit, ging zu früh – wohin auch immer. Zur Berufsschule ging er meist gar nicht, diese Tage verbrachte er komplett im Atelier eines Freundes, wo man sich gegenseitig inspirierte, Musik hörte, viel trank und die eine oder andere Droge ausprobierte. Die meisten, die dort regelmäßig herumhingen, waren viel älter als er und so kreativ wie arm. Maik bewunderte sie maßlos und bestaunte ihre Werke bar jeglicher Kritik. Ihm wiederum wurde von denen, die konkrete Kunst schätzten, echte Anerkennung zuteil, was ihn weiter anspornte und seine Entscheidung vorantrieb. Nach einem heftigen Streit mit seinem Vater schmiss er die Ausbildung, mietete sich auf Pump einen eigenen Raum in dem Haus, in dem auch sein Kumpel das Atelier hatte, und breitete dort Malutensilien wie Schlafsack aus, ohne seine Eltern darüber zu informieren, wo er steckte. Er war volljährig, und als sein Vater seine Anschrift herausfand, zerrütteten weitere Streitereien das Verhältnis ziemlich grundlegend. Die Familie war nicht nur fassungslos angesichts des Loses der Spedition, die ja ein Familienunternehmen war, sondern auch angesichts der schnell beantworteten Frage, was die Leute in dem kleinen Städtchen, aus dem Maik stammte, wohl zu seinem Lebenswandel und zu seinen neuen Freunden sagen würden.

Zwei Jahre ging das so, dann hielt Maik es nicht mehr aus, und er ließ mit zweien seiner Freunde die Heimat zurück und sich hier nieder. Von seinen Eltern hörte er seither wenig, und er war dankbar dafür. Mal musste er sich von Vater Staat über die Runden helfen lassen, mal lebte er von Stipendien, mal von Verkäufen – wie der jeweils nächste Monat zu überbrücken war, war ihm nie ganz klar. Einfacher wurde es, als er Simon kennen lernte, der ein großer Freund seiner Kunst wurde und ihm unter die Arme griff, wo er nur konnte. Sein Leben war zu großen Teilen ein Rausch, angeregt und aufrecht erhalten von Musenküssen platonischer wie physischer Art, Alkohol und anderen bewusstseinserweiternden Mitteln.

Es war der alte Mann gewesen, erinnerte er sich. Er war der erste, der nach ihm rief. Wie lange war das jetzt her? Drei Monate? Vier?

Er hatte ihn gemalt nach einem langen Krankenhausaufenthalt. Maik hatte damals eine lange, elende Magengeschichte, die nie wieder wirklich gut geworden war und ihn über Wochen an das stählern-sterile Krankenhausbett fesselte, der Blick durchs Fenster ermöglichte die Sicht auf eine vierpurige Fahrbahn, Tag und Nacht höchst frequentiert.

Wieder zuhause, war er förmlich explodiert, und das Resultat war der angelnde Alte: In Gummistiefeln und einem grünen Parka, mit Hut und wettergegerbtem Gesicht saß er auf einer Mülltonne neben einer Schnellstraße und hatte seinen Köder in einer schlammigen Pfütze ausgeworfen.

Maik fühlte sich besser, nachdem er das Bild vollendet hatte. Bis der Alte begann, mit ihm zu sprechen.

Der Alte

 Hey, du!

 ...

 Maler! Ich rede mit dir!

 Was? Wer bist du?

 Was glaubst du wohl? Hast du mich schon vergessen? Den elenden Angler? Glaubst wohl, ich geh dich nichts mehr an, jetzt, wo ich vollendet bin?

 Was ... wieso kannst du ...

 Warum ich sprechen kann? Na, hast du mir etwa keinen Mund gemalt, hä?

 Ich bin fassungslos –

 Ich auch. Ich bin fassungslos angesichts dessen, was ich bin. Wozu du mich gemacht hast. Hier sitze ich und fröhne Tag für Tag einer Tätigkeit, die sinnloser nicht sein könnte, mache mich zum Narren – und warum? Weil du es so wolltest!

 Das ist nicht wahr! Es ist nicht so, dass ich es so wollte, dass ich dich aus reiner Willkür geschaffen habe. Es ist –

 Hast du etwa nicht den Pinsel zur Hand genommen? Hast du mich etwa nicht an diese schreckliche Straße gesetzt? Warum sitze ich nicht an einem Meer? Warum bin ich nicht jung? Warum hast du mich nicht mit stolzgeschwellter Brust gemalt, mit einem riesigen Fisch in der Hand? Oder ...

 Weil die Welt nicht so ist! Weil die Welt in mir nicht so ist! Ich kann doch nur malen, was in mir ist!

 Warum hast du es dann nicht einfach gelassen?

 Ich wusste doch nicht ... Es war der Drang, einfach der Antrieb, und ich –

 Was bist du nur für ein Egoist?

 Was soll ich tun? Willst du, dass ich dich zerstöre?

 Etwas besseres fällt dir wohl nicht ein? Mich zerstören? Unterstehe dich! Einen Teufel wirst du tun, meine Existenz auszulöschen – wo sie doch alles ist, was ich habe!

5.

Unten, im Hausflur, läuft der Maler in mich rein. Hat die Tür zum Hof zugeknallt und ein Affentempo drauf. So, wie er mich anschaut, glaube ich der redseligen Bäckerin gern.

"Sorry", stößt er hervor, "tut mir leid." Sein Atem geht, als hätte er einen Marathonlauf hinter sich.

Ich nuschel irgendwas in mich rein. Mir ist die Einkaufstüte aus dem Arm gerutscht, und Milch ergießt sich über den Boden. Außerdem rollt mein Gemüse im ganzen Flur umher: Tomaten und Kartoffeln, wohin das Auge schaut.

Er sieht sich die Sauerei an, lehnt den Kopf an die Wand, atmet tief durch – schlägt dann mit aller Macht mit der Faust dagegen, das Gesicht verzerrt. Von was? Wut auf sich selbst?

Keine Ahnung, wie lange wir da stehen – wahrscheinlich nur ein paar Sekunden. Mir kommt es vor wie eine surreale Ewigkeit. Sein Blick hängt weiter am Boden, und auch ich starre nach unten, unfähig, irgendwie zu reagieren.

Schließlich wird sein Atem ruhiger, und sein Gesichtsausdruck verändert sich.

"Im Ernst", sagt er. "Ist mir echt unangenehm. – Wart mal grad –" Dann verschwindet er, zurück Richtung Hinterhaus, und ich denke, er holt vielleicht einen Lappen oder so was – aber weit gefehlt. Er kommt mit einer Kamera zurück, hockt sich auf die Erde und fotografiert eine Milchpfütze mit Teilen meiner Einkäufe darin. "Hast du gesehen, wie das Licht da rein fällt?", fragt er mich, ohne mich dabei anzuschauen. Die Tüte knipst er auch noch, wie sie leblos da liegt, dann steht er auf. Ich steh immer noch da wie zuvor.

"Du hast aber schon einen richtig gewaltigen Schaden, oder?", frage ich schließlich, laut und wütend, und so ist es auch gemeint.

Er überlegt, dann nickt er. "Schon", sagt er, "keine Frage." Dann hält er mir die Hand hin.

"Maik", sagt er. "Du wohnst jetzt auch hier, was?"

"Ja", fauche ich, "messerscharf beobachtet. Und mit dem, was jetzt hier so rumfliegt, wollte ich eigentlich meine neue Küche bestücken, wenn du's genau wissen willst."

Er schaut, jetzt geknickt, auf das Chaos.

"Du gehst hoch", schlägt er dann vor, "und ich mach hier sauber. Und dann geh ich zum Chinesen, da wollte ich nämlich gerade hin. Und bring dir mit, worauf auch immer du Lust hast. Gut?"

"Ente süß-sauer."

Ich drehe mich um und stapfe die Treppe hoch, und wenig später klingelt es, und eine Tüte mit warmem Essen hängt draußen an meiner Tür. Er ist schon wieder verschwunden.

Also gut. Es scheint jedenfalls einen verdammt guten Chinesen zu geben hier in der Ecke, stelle ich fest.

Ein paar Tage später lehnt eine Papprolle vor meiner Wohnung.

Ich öffne sie vorsichtig und schüttle sie, und ein zusammengerolltes Poster fällt heraus. Als ich es mir ansehe, muss ich lachen:

das Szenario kenne ich. Aber ich bin trotzdem ziemlich erstaunt.

Kartoffel, vertrauensvoll an Tomate gelehnt, in Milchpfütze. Das Ganze getaucht in einen einzelnen Sonnenstrahl, auf schwarz-weiß gekacheltem Flurboden. Er hat das Bild in Sepia aufgenommen und einen schnellen Film verwendet, so dass das Bild grobkörnig wirkt.

Es gefällt mir. Und zwar richtig gut. Ich beschließe, es zu rahmen und in die Küche zu hängen und ihm davon nichts mitzuteilen.

Das Mädchen vom Kino, Nathalie, ruft an und sagt, dass sie tatsächlich eine Aushilfe gebrauchen könnten. Sie klingt furchtbar nett am Telefon, und ich freue mich ordentlich über die gute Nachricht.

Nathalie will wissen, ob ich schon mal vorgeführt habe. Ich muss gestehen, dass ich noch nicht mal einen Projektor von Nahem gesehen habe. Kein Problem, sagt sie, ist schnell gelernt, keine große Kunst. Ein größeres Problem sei sicherlich der Stundenlohn, der sei nämlich nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung, zumindest ist sie der Ansicht. Ich kann damit leben. Ich brauche nicht viel, und der Job lässt sich perfekt mit der Schule verbinden.

Am Abend weiht sie mich in die Geheimnisse dieser Kunst ein. Der Vorführraum ist grandios: ein dunkles Kämmerchen mit schnurrenden alten Projektoren, in dem es noch nach der Suppe riecht, die sich die Frühschicht heute nachmittag gemacht hat. In der Ecke steht eine Kochplatte.

Nathalie winkt ab, als sie meinen Blick verfolgt."Vergiss es", sagt sie. "Greg ist wirklich der einzige, der darauf kocht, was wiederum damit zusammenhängt, dass ausgerechnet er darauf kocht. Er ist die totale Wutz, und die ganze Kochecke ist völlig versifft!"

Ich lache. Während sie einfädelt und spult und die Filmrollen kontrolliert, erzählt sie mir von ihrem Job als Theaterleiterin und von den drei alten Herrschaften, die gemeinsam die Geschäfte des Kinos führen und scheinbar einigermaßen kurios sind.

"Eigentlich habe ich Germanistik studiert", murmelt sie, während sie das Bild scharf stellt. "Und das hier war mal ein Studentenjob für mich, mehr nicht."

Sie sieht auf.

"Und was tust du?"

"Ich mach mein Abi nach. Hab die Schule ziemlich früh geschmissen."

"Und dann?"

"Würd ich gern studieren."

"Germanistik?" Sie lacht.

Ich mag sie.

"Auf Lehramt würd ich gern studieren", erkläre ich und höre mir selber zu. Wie klingt das? Ganz überzeugend, offensichtlich, denn sie sagt:"Das ist ne gute Sache."

Und während sie am Projektor schraubt, erklärt sie mir, dass das Kino zehn Mitarbeiter hat, von denen sechs entweder seit mindestens sieben Jahren studieren oder das ganze ersatzlos an den Nagel gehängt haben.

"Das ist gefährlich hier, glaub's mir", sagt sie. "Wenn du Potential hast, als bettelarme, aber glückliche Träumerin zu enden – hier kannst du's voll ausschöpfen!"

"Wie kommt's?"

Sie seufzt tief.

"Ich nehme an, solche Plätze gaukeln uns vor, dass wir auch ohne die Realität klarkommen."

"Oh", sage ich, "kommen wir das nicht?"

Wir lachen beide.

"Ich schon", erwidert sie dann, "sehr gut sogar. Deshalb bin ich ja auch hier hängen geblieben."

Im Laufe der nächsten Zeit stelle ich fest, dass das Räumchen eigentlich eher selten nach Suppe riecht. Meistens riecht es nach Gras. Deshalb arbeitet Nathalie auch nicht so gerne an der Kasse. Ich verlege mich auch weitestmöglich auf das Vorführen, auch wenn man dann immer die Filmrollen nach oben schleppen muss, wenn sie eintreffen. Und die Kassierer einen dabei genüsslich beobachten und die Füße hochlegen.

Nathalie hat völlig recht – letztendlich ist der Stundenlohn ein Scherz, und es wäre sehr viel lukrativer, zu kellnern oder etwas in der Art zu tun. Als sie hört, dass ich sogar eine abgeschlossene Ausbildung habe, versteht sie die Welt nicht mehr. Aber ich möchte genau hier arbeiten, und solange ich keine irren Schulden anhäufen muss, werde ich das auch tun. Irgendwie komme ich schon zurecht – was habe ich schon für Ausgaben bei meinem Lebensstil?

Im Übrigen sind Krankenschwestern ja auch völlig unterbezahlt.

Nathalie hat mich angestarrt. "Krankenschwester! Also das ist irgendwie der letzte Job, mit dem ich dich in Zusammenhang gebracht hätte!", hat sie vorsichtig gesagt.

"Lange her", hab ich erwidert. Ich weiß auch nicht, warum ausgerechnet das das einzige ist, was ich bisher beendet habe. Ich schätze, ich fühle mich wohl in der Nähe von Kranken. Und von Toten. Irgendwie fühlt sich das vertraut an.

Eigentlich wollte ich kein Gras mehr rauchen. Kann passieren, dass mein Bruder dann ziemlich aufdringlich wird. Mein Bruder – oder die Lücke, die mein Bruder für mich ist. Aber Nathalie hat mich doch von den Vorteilen überzeugt, und die Abende im Vorführraum, in denen der vertraute Geruch sich ausbreitet, haben mich mürbe gemacht.

Und ich mag es. Es ist einfach ein wunderbares Ritual. Am meisten mag ich diesen kleinen Stich in der Lunge, beim Inhalieren ... und das, was vom Geschmack bleibt, wenn man langsam ausgeatmet hat.

Als ich nach der Spätvorstellung nach Hause komme, fühle ich mich entsprechend entspannt. Nathalie hat ein paar so kuriose wie amüsante Geschichten aus der Welt des kleinen Kinos erzählt, und wir haben die halbe Tapas-Bar des Spaniers nebenan leergekauft, bevor der die Pforten dicht gemacht hat. Während wir den ganzen Kram ziemlich stillos in uns hineingestopft haben, hat Nathalie mir verkündet, dass sie das Gefühl habe, ich trage ein dunkles Geheimnis mit mir herum. Was könnte das wohl sein, habe ich gefragt, aber sie hat lachend gemeint, so rabenschwarz wie ihre Vermutungen könne kein Geheimnis dieser Welt sein. Dabei haben wir es belassen.

Die Geheimnisse dieser Welt können schwärzer sein als alle Gedanken, die so in ihrem hübschen kleinen Kopf herumgehen.

Ich habe noch nie jemandem freiwillig von meinem Bruder erzählt. Und das habe ich auch in Zukunft nicht vor. Das wäre, als würde ich meinen Pulli hochziehen, um anderen eine schwärende Wunde zu demonstrieren.

Die Tür zum Hinterhof steht offen. Bei dem schrägen Maik brennt noch Licht. Ich möchte plötzlich sehr dringend wissen, wie seine Gemälde aussehen. Das erste Mal, seit ich hier eingezogen bin, balanciere ich den schmalen Pfad zum Hinterhaus entlang.

Man kann ihn durchs Fenster sehen: Mit dem Rücken lehnt er an der Wand, die Augen geschlossen, einen Pinsel an der Hand. Ich frage mich, worauf er wartet: eine Muse? Inspiration?

Von seinen Bildern sehe ich nichts, sie sind alle abgehängt. Na toll. Das Geräusch meines Knöchels auf der Scheibe erschreckt mich, weil es so laut ist. Tock-tock! Er fährt ebenfalls zusammen, reißt die Augen auf, als würde er dort draußen Gespenster erwarten. Nachdem er mich erkannt hat, braucht er eine ganze Weile, bis er mir ein Zeichen gibt und zur Tür wankt, um sie zu öffnen.

"Nur die Nachbarn, junger Mann", sage ich. "Nur die Nachbarn!"

"Lissa, oder? Du heißt Lissa, nicht wahr? – Mach das nie wieder, okay?"

"Meinst du nicht, du übertreibst ein bisschen?"

"Mach das einfach nie wieder."

Sein Atem riecht nach Whiskey. Er geht einen Schritt zur Seite, was ich als Einladung auffasse. Ich lächle ihn an und schiebe mich an ihm vorbei.

"Was machst du überhaupt hier?"

Sein Atelier ist das totale Chaos, fällt mir auf – jenseits von allem, was ich jemals zu sehen bekommen habe in der Hinsicht, und das ist einiges ... Ich pfeife anerkennend. Dann fällt mein Blick auf das Bild auf der Staffelei, das vom Fenster aus nicht zu sehen war: Das Haus, in dem wir beide wohnen, zweifellos. Ich bleibe davor stehen und lege den Kopf schief.

"Und, was meinst du?", fragt er. Es kommt mir vor, als wären Stunden vergangen.

"Weiß nicht." Das Foto mit den Kartoffeln und den Tomaten finde ich grandios. Dieses Bild hier ist irgendwie ... nichtssagend.

"Belanglos, oder?"

Er steht jetzt dicht hinter mir.

"Schon", gebe ich zu, "irgendwie ja ..."

Sein Lachen klingt irgendwie bitter. Einen Moment habe ich das Gefühl, dass er diesem bitteren Lachen etwas hinzufügen möchte, aber das tut er nicht.

"Was malst du sonst so?" Ich nicke in Richtung der verhängten Vierecke, die überall lehnen.

"Diese Bilder gibt es praktisch nichts mehr. – Nichts. Sonst male ich nichts. Willst du einen Tee?"

"Wenn du ein bisschen Whiskey reintust?"

Wieder dieses Lachen. Maik beginnt, in einer winzigen Küchenecke herumzuwerkeln. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie ich sein Atelier durchstreife.

"Ich möchte sie sehen", sage ich.

"Vergiss es."

"Warum malst du, wenn es sich später keiner anschauen darf?"

Sein Gesicht verfinstert sich noch mehr als bisher. Wenn ich nicht bekifft wäre, fände ich es wahrscheinlich unheimlich, hier so mit ihm in seinem Atelier zu hocken, in dem sich der Müll stapelt und all diese Nicht-Werke mit ihren Leichentüchern stehen.

So finde ich aber, dass es ein großer Spaß ist.

"Wenn ich etwas hasse", stößt Maik hervor, "dann ist es dieses Wort: warum? Ist es nicht scheißegal, warum?"

Ich glaube, dass er ziemlich betrunken ist. Auf so eine idiotische Frage werde ich nicht antworten.

In seinem Tabakbeutel finde ich noch zwei Selbstgedrehte, und ohne auf seinen wortlosen Protest zu achten, zünde ich mir eine davon an.

6.

Als Maik dieses Mal erwachte, mit schwerem Kopf und erst einmal ziemlich verwirrt, war es mitten in der Nacht. Er brauchte eine ganze Weile, bis er ein paar Dinge realisierte: dass das Mädchen aus dem Dachgeschoss in seinem alten Sessel hockte, die Knie angezogen und den Kopf darauf gebettet, und schlief. Und dass sie sich offensichtlich an den den Bildern zu schaffen gemacht hatte: Zwar hatte sie die Tücher irgendwie wieder darüber gehängt, aber wirklich große Mühe hatte sie sich nicht dabei gegeben, ihr Tun zu vertuschen. Wie auch – sie hatten zusammen die Whiskey-Flasche geleert, bevor er eingeschlafen war ...

Maik erhob sich taumelnd, stapfte zu ihr hinüber, wollte sie wecken. Er legte eine schwere Hand auf ihre Schulter, um sie zu rütteln, und kippte fast vornüber – dann resignierte er angesichts ihres tiefen Schlafs und machte sich stattdessen noch einen Tee.

Es herrschte absolute Ruhe. Bis auf Lissas lautes, gleichmäßiges Atmen – nicht weit von einem Schnarchen entfernt.

Mit der heißen Tasse setzte er sich wieder auf das Sofa und betrachtete sie. Die schwarzen Turnschuhe mit den roten Sternen darauf hatte sie abgestreift. Auf ihrer dicken Wollstrumpfhose setzten sich die roten Sterne fort, Rock und Kapuzenjacke waren schwarz.

Ihr Gesicht verlor selbst im Schlaf nichts von dem Besonderen, was sie hatte. Sie sah aus wie jemand, der eine Menge erlebt hatte. Hatte selbst jetzt einen Zug um den Mund, der Staunen sein konnte oder Resignation – je nachdem, wer sie betrachtete und wie. Es war wie mit diesen Bildern, die zwei völlig unterschiedliche Motive zeigten. Eine alte und eine junge Frau. So was in der Art.

Vielleicht war es auch nur, weil Maik so betrunken war. Und seine Gedanken ständig sprangen.

Hässlich war sie nicht, dachte er dann, und das war nicht mehr die Feststellung eines Malers. Aber auch diese Beobachtung vergaß er schnell wieder.

Sie hatte sie gesehen. Sie hatte sie alle angeschaut – seine Bilder. Und jetzt lag sie hier zusammengerollt und schlummerte wie ein Baby.

Er schaltete das Radio an und legte den Kopf in den Nacken. Nick Cave. Mann, das war lange her. Er musste an Svea denken – warum? Hatten sie sich bei diesem Song geliebt? Gestritten? Miteinander gelangweilt? Es fiel ihm nicht ein. Aber irgendwie hatte es mit Svea zu tun.

"Sie sind großartig", kam es plötzlich vom Sessel, mit klarer Stimme, so als ob sie gerade im Morgenlicht aus dem Bett gesprungen wäre und sich den ersten Kaffee genehmigt hätte.

"Was?"

Im Radio keine Musik mehr – vielleicht war Nick Cave schon wieder Stunden her. Er versuchte, den Kopf zu rollen, so dass er sie ansehen konnte, ohne ihn anzuheben. Was ihm leider nicht gelang.

Er stöhnte.

"Deine Bilder. Sie sind großartig. Warum versteckst du sie?"

Er schwieg eine Weile.

"Warum findest du sie großartig?", fragte er dann.

"Keine Ahnung. Sie sind – total real. Sie wirken vollkommen lebendig. So, als würde man nicht auf die Leinwand fassen, sondern auf warme Haut, wenn man danach greift."

Er stöhnte noch einmal und hob an, etwas zu entgegnen, aber dann schloss er den Mund wieder.

"Gibt es diese Leute wirklich?", fragte Lissa.

Er starrte sie an.

"Was denn? Was ist? Ich meine, hat dir jemand Modell gestanden für die Bilder? – Und wo sind überhaupt meine Zigaretten?"

"Nein," sagte er dünn, während sie ihre Taschen abtastete, "dafür hat keiner Modell gestanden. Zumindest nicht so, wie die meisten Leute Modell stehen."

"Was meinst du damit?"

"Vergiss es einfach. Hast du nicht oben ein schönes Bett? Eins, das viel bequemer ist als der olle, mottenzerfressene Sessel da?"

Lissa hatte ihre Suche beendet und ließ ihr Feuerzeug klicken.

"Du bist sowas von launisch", sagte sie trocken. "Mal hängst du mir Essen an die Tür, mal kegelst du mich völlig uncharmant aus deinem Atelier ..."

"Ich hab dir Essen an die Tür gehängt, weil ich vorher deine Einkäufe vernichtet habe. Im Moment sehe ich keinen derartigen Grund, um besonders nett zu sein. Du erschreckst mich zu Tode, du ignorierst meine klare Ansage, dass die Bilder tabu sind –"

"Oh ja." Lissas Augen leuchteten auf. "Womit wir wieder bei den Bildern wären. Ich finde, du solltest ganz viele davon malen! Keine doofen Häuser. Keine –"

"Es ist gut jetzt! Gute Nacht." Als er vor ihr stand, die Arme in die Seiten gestemmt und sichtlich wütend, schien sie plötzlich Respekt zu bekommen.

"Ich geh ja schon", murmelte sie. "Siehst du, ich opfere sogar eine halbe Zigarette,um deinem Befehl nachzukommen."

Und drückte eben diese im Aschenbecher aus. Als die Tür ins Schloss fiel, lehnte er sich dagegen und rutschte hinunter in die Knie. Ihn überkam eine unbestimmte Angst.

Der Scheele

- Du musst dir keinen Zwang antun. Mal doch! Mal doch ... Sie will es auch! Sie findet uns großartig ... (Kichern) Ein Bild – hunderte – welchen Unterschied macht das noch?

Sie will, dass du malst ... und du willst das auch ...

Sie werden dich alle lieben! Dich verehren! Du bist unser Schöpfer, und nur dir verdanken wir unsere Existenz ... (Kichern) –

Unsere kümmerliche, unsere abscheuliche, aber einzige Existenz! Liebst du uns, Maler? Und liegen wir dir am Herzen? Das, was uns beschäftigt? Das, was uns verrückt macht?

Machen wir dich verrückt, Maler? Machen wir dich verrückt? Oh, ich will es hoffen ... Denn du, du bist doch unser Meister! Wen sollen wir verrückt machen, wenn nicht dich?

Maiks Herz raste, und Schweiß stand auf seiner Stirn. Hatte der Scheele recht? Machten sie ihn verrückt? War es das, schlicht und einfach? War er verrückt? Er warf die Tür hinter sich zu und stürmte in den Garten.

"Sie wirken nicht realistisch", schrie er, die Hände zu einem Trichter geformt, zum Dachgeschoss hinauf. "Sie sind es! Sie leben! Sie sprechen mit mir!"

Komm ans Fenster. Sag mir, dass ich den Verstand verloren habe. Oder sag es nicht. Sag mir, dass ich recht habe. Sag etwas!

Aber Lissa tauchte nicht auf dort oben, und er war erleichtert.

Hätte er tatsächlich darüber sprechen wollen, wäre er wahrscheinlich nach oben gerannt.

Aber vielleicht war er dafür auch einfach zu betrunken.

7.

Ich lege die Filmrolle ein. Ich liebe das Geräusch, wenn sie sich in Bewegung setzt – dieses beruhigende Schnurren ...

Wenn ich mich nach vorne beuge und durch die kleine Glasscheibe nach unten schaue, kann ich sie da sitzen sehen, den Kopf mehr oder weniger in den Nacken gelegt, willig, sich berieseln, sich aus ihren Leben für ein, zwei Stunden entführen zu lassen.

Nirgendwo sind die Menschen so nett wie in einem Kino, nach dem Film, wenn es ein guter war. Einer, der ans Herz ging, der sie mal wieder so richtig durchgerüttelt hat. Dann wollen sie Trinkgeld geben oder Komplimente machen oder ein Bier mit einem trinken, bevor sie den Saal der Träume wieder verlassen.

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