Kitabı oku: «Der Filigranschmuck», sayfa 3

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So sehr dieser Fund auch mein Interesse erregte, der folgende tat es in noch höherem Grade. In den Falten des Ueberwurfs verborgen lagen die verwelkten Ueberreste eines Straußes, der nur das Brautbukett gewesen sein konnte. Jetzt unscheinbar und geruchlos, war einst ein Meisterwerk der Blumenbindekunst gewesen. Als ich bemerkte, daß an dem aus Lilien und weißen Rosen bestehenden Strauß an langen seidenen Bändern kleinere Sträußchen hingen, erinnerte ich mich mit begreiflichem Schrecken an den Gebrauch, der von einem ähnlichen Bande dort unten gemacht worden war. In dem durch dieses Zusammentreffen erzeugten Schauder vergaß ich ganz, mir die Frage vorzulegen, wie ein von der Braut getragener Strauß seinen Weg in dieses Zimmer im ersten Stock zurückfinden konnte, wenn sie, wie alle Erzählungen übereinstimmend berichteten, den im Parterre liegenden Salon, ohne ein Wort zu sprechen oder auch nur einen Augenblick zu warten, in wilder Flucht verlassen hatte, als sie die Nachricht von dem Unglücksfalle in der Bibliothek erhielt. Daß ihr Mantel hier lag, war nicht auffallend, aber daß das Brautbukett –

Daß es wirklich das Brautbukett war und daß sich die Braut in diesem Zimmer zur heiligen Handlung angekleidet hatte, mußte auch dem oberflächlichsten Beobachter einleuchten. Aber es wurde zur unumstößlichen Tatsache, als ich bei meiner weiteren Untersuchung des Zimmers auf ein Taschentuch stieß, dessen eine Ecke den Namen Veronika in Stickerei trug.

Dieses Taschentuch bot, abgesehen von dem Namen, ein besonderes Interesse. Es war von feinem Gewebe und stimmte hinsichtlich der Kostbarkeit ganz mit den übrigen Sachen seiner anspruchsvollen Besitzerin überein. Aber es war nicht sauber, sondern zeigte Schmutzflecken, und zwar einer so besonderen Art, daß ich sie mir nicht sogleich erklären konnte. Eine Frau würde zweifellos sofort die Ursache der braunen Streifen, die ich darin fand, erkannt haben, aber bei mir dauerte es mehrere Minuten, ehe ich mir klarmachen konnte, daß dieses Batisttuch, zart wie eine Spinnwebe, zum Abwischen von Staub benutzt worden war. Zum Abwischen von Staub! Staub, wovon? Wahrscheinlich von dem Kaminsims, an dessen einem Ende ich es gefunden hatte. Aber nein! Ein Blick über die polierten Bretter hinweg belehrte mich, daß, was auch immer in diesem Zimmer abgestäubt worden sein mochte, dieser Sims es sicherlich nicht gewesen war. Ich konnte die Staubansammlung von Tagen, ja von Monaten von einem Ende seiner glatten Oberfläche bis zum anderen übersehen, mit Ausnahme der Stelle, an der das Taschentuch gelegen hatte, und – die wichtigste Entdeckung bis jetzt – derjenigen, an der fünf deutlich erkennbare Flecke gerade links von der Mitte verrieten, daß die Hand eines Menschen dort geruht hatte. Nichts anderes als der Druck der Fingerspitzen konnte diese Flecke verursacht haben. Bei näherer Prüfung konnte ich sogar erkennen, wo der Daumen gelegen hatte, und sofort sah ich die Möglichkeit voraus, mit Hilfe dieser Flecke sowohl die Größe wie die Gestalt der Hand zu bestimmen, die diesen so klaren und unverkennbaren Beweis zurückgelassen hatte.

Seltsam! was bedeutete dies alles? Aus welchem Grunde sollte jemand seine Finger auf dieses abgelegene Kaminsims stützen? Hatte er es getan, um sich bei einem Versuche, den Kamin zu betrachten, im Gleichgewicht zu erhalten? Nein, denn dann würden sich die von seinen Fingern hinterlassenen Spuren am Ende des Simses gezeigt haben, während sie sich tatsächlich in dessen Mitte befanden. Auch war ihre Gestalt rund, nicht länglich; der Druck war also von oben gekommen, und, ha! jetzt hatte ich es, diese Abdrücke in dem Staub des Simses sahen genau so aus, als rührten sie von jemand her, der sich aufgestützt hatte, um sich das alte Bild genau anzusehen. Und dieser Umstand erklärte auch das Umstürzen des Stuhles und das Benutzen des Taschentuches als Staubtuch. Irgend jemand mußte ein größeres Interesse an dem Bilde genommen haben als ich, irgend jemand, der entweder sehr kurzsichtig oder dessen Temperament so geartet war, daß nur die genaueste Besichtigung eine plötzlich erwachte Neugier stillen konnte.

Dies brachte mich auf einen Gedanken, oder besser gesagt, überzeugte mich von der Notwendigkeit, die Umrisse dieser eine ganze Geschichte erzählenden Spuren für die Dauer zu erhalten, solange sie noch für das Auge deutlich sichtbar waren. Ich zog mein Taschenmesser hervor und umfuhr mit der Spitze der schärfsten Klinge leicht jeden einzelnen Abdruck, bis ich sie für alle Zeit in der wohlerhaltenen Politur des Mahagoniholzes festgelegt hatte.

Nach Erledigung dieser Arbeit kehrten meine Gedanken zu der Frage, die ich mir schon einmal gestellt hatte, zurück. Was gab es an diesem alten Bilde zu sehen, daß es jemand, der auf bösen Wegen ging, wenn er nicht gar soeben ein schändliches Verbrechen begangen hatte, eine solche Neugier einflößen konnte? Ich habe oben gesagt, daß das Bild als solches wertlos war, nichts weiter als eine verblaßte Skizze, die nur für die Rumpelkammer paßte. Worin lag dann aber sein Reiz, den auch ich empfunden hatte, wenn auch nicht in demselben Grade? Es war nutzlos, Vermutungen hierüber anzustellen. Mit dieser überraschenden Entdeckung hatte sich eine neue Schwierigkeit für die Lösung meiner Frage erhoben, aber Schwierigkeiten steigerten nur meinen Eifer. Ich fühlte mich daher nur um so zuversichtlicher, als ich bei der weiteren Untersuchung des Zimmers auf zwei weitere Tatsachen stieß, die ebenso seltsam wie unvereinbar waren.

Die eine bestand in dem Auffinden eines Taschenmessers mit offener Feile, das ich auf einem Tischchen in der Nähe des Fensters mit dem offenstehenden Laden entdeckte. Rings herum lagen Feilspäne, die ich glänzen sah, als das Licht meiner Laterne auf sie fiel, die aber so fein waren, daß man beinahe ein Vergrößerungsglas gebraucht hätte, um sie wahrzunehmen. Die andere bezog sich auf ein kleines Nebengelaß in der Nähe des Bettes. Es war leer, leer bis auf einige Kleiderhaken und ein Gestell mit zwei halb offenstehenden Schubladen an der Rückwand; mitten auf dem Fußboden aber lag ein umgestürzter Armleuchter, ähnlich dem, den ich unten bemerkt hatte, dessen Prismen aber umhergestreut waren und dessen eine Kerze zerdrückt und aus aller Form gebracht auf der geschwärzten Diele lag. Der Fuß, der auf ihr in wilder Erregung umhergestampft hatte, um die Flamme zu löschen, war offenbar der eines Wahnsinnigen gewesen. Von wem und wann war aber diese wahnwitzige Handlung vollbracht worden? Innerhalb der letzten Stunde? Ich konnte keinen Geruch von Rauch entdecken. Oder zu einer früheren Zeit, sagen wir am Hochzeitstage?

Als ich von der zertretenen Kerze zu meinen Füßen auf die in dem Glase auf dem Toilettentische blickte, die soeben zischend verlöschte, mußte ich mir eingestehen, daß ich ganz verdutzt war.

Sicherlich genügte keine gewöhnliche Erklärung für diese auffallenden und einander anscheinend widersprechenden Tatsachen.

Viertes Kapitel

Ich bin in gewisser Beziehung überempfindlich. Neben meinen Schwächen besitze ich jedoch eine heilsame Furcht vor dem Lächerlichen, und dies ist wahrscheinlich der Grund, weshalb ich es unterließ, dem Polizeihauptmann, der inzwischen erschienen war, meine Ansicht auseinanderzusetzen, und es sogar vermied, die verschiedenen kleinen Umstände zu erwähnen, die meine Aufmerksamkeit so stark in Anspruch genommen hatten. Wenn er und die erfahrenen Männer, die mit ihm kamen, in dem gewaltsamen Tode einer erst seit vierzehn Tagen verheirateten jungen Frau einen Selbstmord und weiter nichts als einen solchen erblickten, dann war es nicht meine Sache, auf die Möglichkeit eines Verbrechens hinzuweisen, namentlich da mich einer der Beamten mit offener Geringschätzung behandelt hatte, als ich den Vorschlag machte, die Herren hinauf in das Zimmer zu begleiten, in dem das Licht gebrannt hatte. Nein, ich wollte meine Entdeckungen für mich behalten oder es wenigstens vermeiden, ein Wort davon zu äußern, bis ich einmal den Hauptmann allein traf, und so bat ich nur um die Erlaubnis, bis zur Ankunft Herrn Jeffreys im Hause bleiben zu dürfen.

Ich hatte gehört, daß ein Schutzmann abgeschickt worden sei, um diesen Herrn zu suchen, und als ich das Rollen eines Wagens vernahm, eilte ich rasch an die Tür, voller Eifer, einen wenn auch nur flüchtigen Blick auf ihn zu werfen. Aber es war eine Dame, die ausstieg.

Da sie in großer Aufregung war, eilte einer der Herren ihr entgegen, um ihr den Arm zu reichen. Als sie ihn nahm, fragte ich Hibbard, der mit einem Male wieder da war, wer sie sei.

Er sagte, es sei wahrscheinlich die Schwester der Toten. Jetzt erinnerte ich mich, daß diese Dame, ein Fräulein Tuttle – sie war nur die Halbschwester von Fräulein Moore – wiederholt in den Zeitungsberichten über die Hochzeit als ein sehr liebenswürdiges Mädchen von hervorragender Schönheit erwähnt worden war.

Dies verminderte nun mein Interesse gerade nicht, und die Schicklichkeit beiseite setzend, näherte ich mich möglichst der Schwelle, die sie bald überschreiten mußte. Während ich dies tat, war ich erstaunt, die Töne von Onkel Davids Orgel noch von der anderen Seite der Straße herüberdringen zu hören. In einem so ernsten Augenblick, während augenscheinlich Dinge von großer Tragweite in diesem Hause vorgingen, auf das er selbst die Aufmerksamkeit der Polizei gelenkt hatte, frappierte mich dies, da es mir schien, als treibe er den Stoizismus doch zu weit. Diese offene, ja geradezu beleidigende Gleichgültigkeit von seiten des einzigen noch lebenden Mitglieds der Familie Moore – eine Gleichgültigkeit, die mir selbst bei einem Manne von seiner krankhaften Exzentrizität nicht natürlich vorkam – machte einen nicht gerade vorteilhaften Eindruck auf mich, und ich beschloß, mehr von diesem alten Manne in Erfahrung zu bringen und vor allem mich mit den Beziehungen, die zwischen ihm und seiner unglücklichen Nichte bestanden hatten, genau vertraut zu machen.

Inzwischen war Fräulein Tuttle in den Lichtkreis unserer Laternen getreten. Ich habe nie in meinem Leben ein so schönes Mädchen gesehen, oder eins, dessen Züge eine so herzzerreißende Angst verrieten. Ich fühlte, daß diese Seelenqual Achtung erheische und zog mich deshalb von meinem Lauscherposten zurück. Aber bald kam ich wieder nach vorn, denn mein Wunsch, die junge Dame kennen zu lernen, war zu groß, der Eindruck, den ihr Verhalten auf mich gemacht hatte, zu verworren, als daß jemand, der einen Schlüssel zu der furchtbaren Tragödie suchte, die sich soeben im Hause abgespielt hatte, leichten Herzens darüber hinweggegangen wäre.

Währenddessen hatten sich ihre Lippen zu dem Schrei geöffnet:

Meine Schwester! Wo ist meine Schwester?

Der Hauptmann ging eiligen Schrittes davon; dann aber kehrte er zurück und wollte die Dame, offenbar in der löblichen Absicht, sie auf den gräßlichen Anblick, der ihrer harrte, vorzubereiten, in den Salon führen. Allein sie ließ sich nicht von ihrem Wege ablenken. Sie schritt an ihm vorüber, ging direkt auf die Bibliothek zu und stürmte förmlich in sie hinein. Von ihrer Entschlossenheit frappiert, drängten wir uns alle hinter ihr her und stellten uns in unserer brutalen Neugier in einem Halbkreise an der Tür auf, als sie auf die ausgestreckte Gestalt ihrer Schwester zuwankte und neben ihr in die Knie sank. Ihr unwillkürlicher Aufschrei und ihr wildes Zurückfahren, als ihre Augen auf das lange weiße Band fielen, das von dem Handgelenk ihrer Schwester aus sich auf dem Fußboden hinzog, machten auf mich den Eindruck des äußersten Entsetzens, dessen eine Menschenseele überhaupt fähig ist. Es war, als sei ihr ganzes inneres Leben vernichtet. Irgend etwas in dem Umstande selbst, daß dieses schneeige Band an den Arm ihrer Schwester, der kaum weniger weiß sein konnte, geknüpft war, schien an den Grundlagen ihres Wesens selbst zu rütteln, und als ihr Blick, dem Bande folgend, auf die todbringende Waffe fiel, krümmte sie sich in solch offenkundiger Qual zusammen, daß wir glaubten, sie würde in Ohnmacht sinken oder in Raserei verfallen. Wir waren daher erstaunt, als sie in strengem, befehlshaberischem Tone ausrief:

Lösen Sie diesen Knoten! Warum lassen Sie dieses furchtbare Band an ihr? Lösen Sie es ab, sage ich; es bringt mich um. Ich kann seinen Anblick nicht ertragen. – Ihr Zittern wurde immer heftiger, bis ihre ganze Gestalt krampfhaft hin- und hergeworfen wurde.

Der Hauptmann zog nach reiflicher Ueberlegung seine Hand wieder zurück, die er unwillkürlich nach dem Bande ausgestreckt hatte.

Nein, nein, entgegnete er abwehrend, das können wir nicht tun; wir können nichts tun, bis der Coroner kommt. Es ist notwendig, daß er die Leiche genau so sieht, wie wir sie gefunden haben. Außerdem hat Herr Jeffrey einen Anspruch auf dasselbe Recht. Wir erwarten ihn jeden Augenblick.

Das schöne Mädchen vor uns schüttelte unwillkürlich den Kopf, aber seine Lippen erhoben keinen Widerspruch. Ich weiß nicht, ob Fräulein Tuttle in diesem Augenblick überhaupt die Kraft besaß, zu sprechen. Bei der Erwähnung des Gattens ihrer Schwester war eine leichte, aber ganz verständliche Veränderung eingetreten, und obgleich sie sich bemühte, ruhig zu bleiben, schien diese Anstrengung doch über ihre Kräfte zu gehen. Um diesen Anfall von Schwäche zu verbergen, erhob sie sich plötzlich, und jetzt sahen wir erst, welch hohen Wuchs sie hatte, wie gut ihr der lang herabfallende Mantel stand und was es überhaupt für ein herrliches Geschöpf war.

Es wird ihn umbringen, sagte sie stöhnend. Dann rief sie mit einer gewissen erzwungenen Hast und in einem Tone der Ueberraschung, der mir nicht ganz natürlich klang, der Schwester, die sie weder mehr hören noch ihr Antwort geben konnte, laut zu:

O Veronika, Veronika! Was hattest du für eine Veranlassung, in den Tod zu gehen? Und warum müssen wir dich an einem Orte finden, den du so sehr fürchtetest und verabscheutest?

Wissen Sie es nicht? fragte der Hauptmann in mildem, eindringlichem Tone, den er selten anzuschlagen pflegte. Glauben Sie nicht, uns eine Erklärung für das gewaltsame Ende Ihrer Frau Schwester geben zu können? Sie haben doch bei ihr gelebt und sogar – so habe ich wenigstens sagen hören – noch nach ihrer Hochzeit mit Herrn Jeffrey?

Jawohl.

Laut und deutlich erklang die Antwort, hart in ihrer Offenheit und beinahe zu laut, um zu dem halbgedämpften Tone zu passen, in dem sie fortfuhr: Ich weiß, daß sie nicht glücklich war, daß sie niemals glücklich gewesen ist, seitdem der Schatten, den dieses Zimmer verbreitet, auf ihre Hochzeit fiel. Aber nie konnte ich es mir nur träumen lassen, daß ihre Furcht vor der Vergangenheit oder ihre Furcht vor der Zukunft sie zum Selbstmorde treiben würde, und namentlich hier an dieser Stelle! Hätte ich auch nur die leiseste Ahnung gehabt, daß sie in diesem Maße angegriffen sei, glauben Sie, ich würde sie dann auch nur einen Augenblick allein gelassen haben? Niemand von uns wußte, daß sie sich mit Todesgedanken trug. Sie erweckte gar nicht einen solchen Anschein. Sie lachte, als ich –

Was war sie im Begriff, zu sagen? Der Hauptmann schien gespannt zuzuhören und fragte, nachdem er vergeblich auf die Vollendung ihres Satzes gewartet hatte, ruhig:

Sie haben nicht zu Ende gesprochen, gnädiges Fräulein.

Sie stutzte und schien aus weiter Ferne zurückzukehren, in die sie mit ihren Gedanken gewandert war. Ich weiß es nicht, ich habe vergessen, was ich sagen wollte, stammelte sie mit einem herzzerreißenden Seufzer. Arme Veronika! Unglückliche Veronika! Wie soll ich es nur ihm mitteilen! Wie, wie können wir nur ihn vorbereiten?

Der Hauptmann benutzte diese Erwähnung Herrn Jeffreys, um zu fragen, wo dieser sei. Die junge Dame schien sich nicht mit der Antwort beeilen zu wollen; auf wiederholtes Drängen erwiderte sie jedoch, obgleich etwas mechanisch, sie könne dies unmöglich wissen; Herr Jeffrey habe viele Freunde und sei wohl der Einladung zu einer Gesellschaft gefolgt.

Aber es ist jetzt schon lange nach Mitternacht, bemerkte der Hauptmann. Pflegt er so lange auszubleiben?

Mitunter, gab sie schüchtern zu. Zwei- bis dreimal ist er seit seiner Hochzeit erst um ein Uhr zurückgekehrt.

Lagen außer jenem einen angedeuteten noch andere Gründe für die offenbare Enttäuschung und die unglückliche Ehe der jungen Frau vor? Es konnte einem gewiß nicht verübelt werden, wenn man auf einen solchen Gedanken kam.

Fräulein Tuttle mochte wohl derartige Zweifel auf unseren Gesichtern gelesen haben, denn sie rief mit heftiger Betonung:

Herr Jeffrey war meiner Schwester ein liebender Gatte. Ein äußerst liebender Gatte, setzte sie mit Nachdruck hinzu. Dann fuhr sie fort, während tödliche Blässe ihr Antlitz überzog: Ich habe nie in meinem Leben einen besseren Mann gekannt – und brach dann kurz ab.

In ihrem Aufschrei lag ein geheimes Weh, in ihrem Stocken ein Besinnen auf sich selbst, und ich kam auf eine Vermutung, die, wie ich zu meiner Freude bemerkte, von dem Hauptmann bei seiner nächsten Frage übersehen wurde.

Wann haben Sie Ihre Schwester zum letzten Male gesehen? erkundigte er sich. Waren Sie zu Hause, als sie die Wohnung ihres Gatten verließ?

Ach! erwiderte sie. Als sie dann bemerkte, daß eine ausführliche Antwort von ihr erwartet wurde, fuhr sie mit dem Anschein von Leichtigkeit fort: Ja, ich war zu Hause und hörte sie fortgehen. Aber ich hatte keine Ahnung davon, daß sie dies zu einem anderen Zwecke tat, als in eine Gesellschaft zu gehen.

In diesem Anzuge?

Der Hauptmann deutete auf den Fußboden, und Fräulein Tuttles Augen folgten seiner Bewegung. Auf keinen Fall war Frau Jeffrey gesellschaftsmäßig gekleidet. Als Fräulein Tuttle den Fehler bemerkte, den sie gemacht hatte, versetzte sie hastig, wobei sich ihre Worte beinahe überstürzten:

Ich habe es nicht bemerkt. Sie trug öfters Schwarz – es stand ihr. Meine Schwester war etwas exzentrisch.

Eine schlimme Ausrede, ebenso schlimm wie nutzlos. Gewisse Entgleisungen können nicht wieder gutgemacht werden. Fräulein Tuttle schien zu erkennen, daß dies bei ihr der Fall sei, denn sie brach ganz unvermittelt ab mit halb vollendeten Worten auf ihrer Zunge. Und doch erheischte ihre Haltung Achtung, und ich für meine Person war bereit, sie ihr zu zollen.

Gewiß, das war eine Frau, wie man sie nicht alle Tage sieht, und wenn es auch ihren Antworten an Offenheit gebrach, so lag doch ein solcher Adel in ihrer Erscheinung, der jeden Zweifel verstummen ließ. Wenigstens war dies der Eindruck, den sie auf mich machte. Ob der Polizeihauptmann meine Empfindung teilte, konnte ich schwer feststellen, denn seine Aufmerksamkeit sowohl wie die meinige wurde plötzlich durch den Schrei abgelenkt, der jetzt von ihren Lippen ertönte:

Ihre Uhr! Wo ist ihre Uhr? Sie ist fort! Ich bemerkte sie an ihrer Brust, und jetzt ist sie fort! Sie hing gerade dort, wo – wo –

Warten Sie einmal! rief einer der Beamten, der sich auf dem Fußboden umgesehen hatte. Ist sie dies?

Er hielt einen kleinen, von Edelsteinen blitzenden Gegenstand in die Höhe.

Jawohl! rief sie, schwer atmend, indem sie ihre Hand nach der Uhr ausstreckte.

Doch der Beamte überreichte sie dem Hauptmann.

Frau Jeffrey muß die Uhr beim Niederstürzen verloren haben; die Nadel, mit der sie sie an ihrem Kleide befestigt hat, muß zu lose eingesteckt gewesen sein. Dann fuhr er rasch und mit einem scharfen Blick auf Fräulein Tuttle fort: Wissen Sie, ob die Uhr richtig ging?

Ja. Wozu fragen Sie mich danach? Ist sie –

Sehen Sie! Er hielt die Uhr mit dem Zifferblatte auf uns zu. Die Zeiger standen auf sieben Uhr dreizehn Minuten. Die Stunde und die Minute, in der sie auf dem Fußboden aufschlug, erklärte er. Und folglich die Stunde und die Minute, in der Frau Jeffrey zusammenbrach, fügte mein Kollege Durbin hinzu.

Fräulein Tuttle erwiderte nichts, sondern atmete nur schwer.

Ein wertvoller Beweis, fuhr der Hauptmann fort, indem er die Uhr in seine Tasche steckte. Dann begann er von neuem mit einem freundlichen Blick auf Fräulein Tuttle, da er ihre Qual bemerkte: Stimmt diese Stunde mit der Zeit überein, in der Ihre Frau Schwester das Haus verließ?

Ich kann es nicht sagen. Ich glaube aber. Es war etwas vor oder nach sieben Uhr. Ich entsinne mich nicht genau.

Sie wird fünfzehn Minuten zu dem Gange hierher gebraucht haben. Ging sie zu Fuß?

Ich weiß es nicht. Ich sah sie nicht fortgehen. Mein Zimmer liegt nach hinten hinaus.

Können Sie angeben, ob sie das Haus allein oder in der Gesellschaft ihres Gatten verließ?

Herr Jeffrey war nicht bei ihr.

War Herr Jeffrey zu Hause?

Nein.

Diese letzte Antwort wurde mit leiser Stimme gegeben.

Der Hauptmann notierte dies und fuhr dann mit seinen Fragen fort.

Wann war er fortgegangen?

Ihre Lippen zitterten; sie befand sich in großer Aufregung; dann aber erwiderte sie kalt und mit erzwungener Bestimmtheit:

Herr Jeffrey war heut abend überhaupt nicht zu Hause. Er war den ganzen Tag abwesend.

Nicht zu Hause? Wußte seine Gattin, daß er auswärts speiste?

Sie hat nichts darüber gesagt.

Der Hauptmann brach kurz ab, und im nächsten Augenblick verstanden wir auch den Grund. Ein Herr stand in dem Torwege, dessen Antlitz auf den ersten Blick genügte, die Worte auf jedermanns Lippen ersterben zu lassen. Fräulein Tuttle sah diesen Herrn fast zu derselben Zeit wie wir und sank mit einem unwillkürlichen Stöhnen in die Knie.

Es war Francis Jeffrey, der gekommen war, um einen letzten Blick auf seine tote Gattin zu werfen.

Ich bin bei manchen ergreifenden Auftritten zugegen gewesen und habe Männer beinahe unter jeder Art von Schmerz, Schrecken und Gewissensqual beobachtet; allein in dem Gesichte dieses Mannes lag in diesem furchtbaren Augenblick etwas, das mir und wie ich glaube auch den anderen abgehärteten Beamten um mich her völlig neu war. Ohne Zweifel war er ein feingebildeter Mann und obendrein aus guter Familie, und es kommt höchst selten vor, daß wir es mit Leuten seines Standes zu tun haben.

Mit atemloser Spannung warteten wir auf seine ersten Worte.

Nicht daß er besonders erregt war oder irgend ein Zeichen von Schmerz oder Ueberraschung, wie es doch bei einer solchen Veranlassung natürlich gewesen wäre, von sich gegeben hätte. Im Gegenteil, er war der Ruhigste von uns allen, und unter allen Gemütsbewegungen, die sich auf seinem totenblassen Antlitz spiegelten, konnte ich keine entdecken, die irgendwie auf Schmerz hingedeutet hätte. Und doch war sein Aussehen derart, daß sich einem das Herz im Leibe umwandte und man auf die widersprechendsten Vermutungen geriet, wenn man sich fragte, welche Saite in dieser Natur, die sich augenscheinlich in der fieberhaftesten Spannung befand, durch das staunende Entsetzen über diesen erschütternden Abschluß einer so kurzen Ehe am härtesten in Mitleidenschaft gezogen war.

Sein Auge, das auf den ausgestreckten Leichnam seiner Gattin gerichtet war, verriet nichts von seinen Geheimnissen. Als er sich der Stelle näherte, wo sie lag und seinen ersten Blick auf das Band und die an diesem befestigte Pistole warf, blieben auch die Erfahrensten unter uns über die Art seines Fühlens und Denkens völlig im Ungewissen. Nur eins war uns allen klar. Er hegte keinen Wunsch, diese Frau, der er vor so kurzer Zeit ewige Liebe und Treue geschworen hatte, zu berühren. Seine Augen verschlangen sie förmlich, er schauderte und versuchte wiederholt zu sprechen; obgleich er an ihrer Seite niederkniete, streckte er doch keine Hand aus, noch ließ er eine Träne auf die bleichen Züge fallen, die so sehnsuchtsvoll emporgerichtet waren, gleich als wollten sie seinem Blicke begegnen.

Plötzlich sprang er auf.

Muß sie hier liegen bleiben? fragte er, indem er seine Augen forschend im Kreise umherschweifen ließ.

Der Hauptmann antwortete mit der Gegenfrage:

Wie erklären Sie sich ihr Hiersein überhaupt? Welche Erklärung haben Sie, der Ehemann der Toten, für diesen auffallenden Selbstmord Ihrer Frau Gemahlin?

Als Antwort zog Jeffrey, der ein ausnehmend schöner Mann war, ein kleines Blatt zerknüllten Papiers aus seiner Tasche und überreichte es dem Sprechenden.

Lassen Sie ihn sich durch ihre eigenen Worte erklären, versetzte er. Ich fand diesen Zettel in unserer Wohnung, als ich heut abend nach Hause kam. Sie muß es geschrieben haben, unmittelbar bevor – bevor –

Ein unterdrücktes Schluchzen unterbrach ihn, aber es kam nicht von seinen Lippen, die festgeschlossen waren, sondern von denen des jungen Mädchens, das dort drüben am Boden kauerte. Vernahm er diesen Schmerzenslaut eines Wesens, dessen Gegenwart er bis dahin noch gar nicht bemerkt zu haben schien? Es hatte nicht den Anschein. Sein Auge war auf den Hauptmann geheftet, der bei dem Lichte einer Laterne, die ein Detektiv in der Hand hielt, langsam die beinahe unleserlichen Worte entzifferte, die, wie Jeffrey soeben erklärt hatte, die letzte Mitteilung seiner Gattin an ihn enthielten.

Werden sie für das Auge ebenso ergreifend sein, wie sie es für das Ohr in jenem Raum voller unseliger Erinnerungen und im Angesichte des Todes waren?

Ich finde, daß ich Dich nicht so liebe, wie ich es glaubte. Ich kann nicht länger leben, seit ich weiß, daß dies der Fall ist. Möge mir Gott verzeihen.

Veronika.

Ein schweres Atmen von der Gestalt in der Ecke; dann tiefes Schweigen. Wir waren froh, als wir wieder des Hauptmanns Stimme hörten.

Ein Frauenherz ist ein unergründliches Geheimnis, bemerkte er mit einem kurzen Blicke auf Jeffrey.

Es war eine Aeußerung, der wir alle beipflichten konnten; denn er, dem sie in diesen paar Zeilen erklärte, sie könne ihn nicht lieben, war ein Mann, den die meisten Frauen für die Verkörperung alles Bewundernswerten und Fesselnden ansehen würden.

Daß eine Frau ihn so betrachtete, war allen klar. Wenn je ein menschliches Antlitz die Regungen des Herzens verriet, so war dies bei Fräulein Tuttle der Fall, als sie ihren Schwager an der Leiche seiner Gattin, die noch vor wenigen Stunden der Gegenstand des Neides der gesamten vornehmen Damenwelt von Washington gewesen war, nach Fassung ringen sah. Es fiel mir schwer, meine Aufmerksamkeit auf die nächste Frage zu richten, so interessant und wertvoll auch jede Einzelheit, selbst die geringfügigste, möglicherweise für mich werden konnte, falls meine Auffassung des traurigen Ereignisses sich je als richtig herausstellen sollte.

Wie kommen Sie dazu, Ihre Gattin hier zu suchen, die Ihnen doch nur diesen nichtssagenden und nichts weniger als befriedigenden Abschiedsbrief geschrieben hatte? Ich erblicke in diesen Zeilen keinen Hinweis auf den Ort, an dem sie sich das Leben zu nehmen beabsichtigte.

Nein! nein! Selbst dieser starke Mann schrak vor diesem Gedanken zurück und zeigte eine nur allzu natürliche Scheu, als seine Blicke durch das übelberüchtigte Zimmer glitten und schließlich an dem Kamin haften blieben, über dem ein so entsetzliches Geheimnis in undurchdringlicher Dunkelheit schwebte. Sie hat mir nichts von ihrer Absicht gesagt, absolut nichts! Aber der Schutzmann, der mich holen sollte, teilte mir mit, wo sie gefunden worden sei. Er wartete an der Tür meines Hauses auf mich. Er hatte in der ganzen Stadt nach mir gesucht. Wir begegneten uns auf der Schwelle meines Hauses.

Der Hauptmann nahm diese Erklärung an, ohne weiter auf den Gegenstand einzugehen. Es war mir lieb, daß er dies tat. Aber meinem Blicke zeigten sich in dieser Angelegenheit noch zahlreiche Widersprüche, die zu lösen ich als meine besondere Pflicht betrachtete.