Kitabı oku: «Der Filigranschmuck», sayfa 4

Yazı tipi:

Fünftes Kapitel

Ich fand in jener Nacht keine weitere Gelegenheit, die drei Hauptcharaktere in dem furchtbaren Drama, das sich vor meinen Augen abspielte, zu studieren. Der Hauptmann hatte mir eine Aufgabe zugewiesen, die mich von dem Hause fernhielt, und ich war daher bei der nächstfolgenden Szene – der Ankunft des Coroners – nicht zugegen. Aber ich entschädigte mich für dieses Versäumnis in einer Weise, die ich vor mir selbst durch die Wichtigkeit meiner Auffassung von dem Ereignisse rechtfertigte. Dazu kam die offen zutage liegende Notwendigkeit, all und jedes Beweismaterial zusammenzubringen, das geeignet wäre, neues Licht über die Angelegenheit zu verbreiten, falls die Polizeidirektion zu der Ueberzeugung gelangte, es handle sich hier wirklich um einen Mord.

Da ich bemerkte, daß in Onkel Davids Wohnung noch Licht brannte, ging ich über die Straße bis an seine Tür und zog die Glocke. Als Antwort erscholl das tiefe, langgezogene Geheul des Hundes, das aber bald durch den freundlichen Gruß seines Herrn unterbrochen wurde. Diese Art des Empfanges überraschte mich. Ich hatte so häufig von Herrn Moores ungastlichem Benehmen gehört, daß ich eine Abweisung erwartet hatte. Aber ich begegnete keinen derartigen Anzeichen von Feindseligkeit. Seine Brauen waren glatt und sein Lächeln höflich – verbindlich. Er schien über mein Kommen erfreut zu sein und warf einen begütigenden Blick auf Rudge, dessen stürmische Freude bei dieser Unterbrechung der Monotonie seines Daseins sich mit der Furcht paarte, seinem Herrn wehe zu tun. Mit neuerwecktem Interesse folgte ich diesem Manne von so widerspruchsvollem Wesen in das Zimmer, in das er mich geleitete.

Ich blieb schweigsam und wartete darauf, daß er die Unterhaltung beginnen sollte. Dies tat er denn auch, sobald er bemerkte, daß ich nicht die Absicht hatte, zuerst zu sprechen.

Haben Sie denn jemand in dem alten Hause angetroffen? fragte er.

Ich faßte ihn scharf ins Auge und sagte in absichtlich brüskem Tone:

Sie ist einmal zu oft dort gewesen.

Der starre Blick, mit dem er mich ansah, war der eines Schauspielers, der das Gefühl hat, man erwarte von ihm, daß er ein erstauntes Gesicht mache.

Sie? wiederholte er. Wen in aller Welt können Sie damit meinen?

Das Erstaunen, das ich bei diesem kühnen Versuch, den Unwissenden zu spielen, in meinen Zügen ausdrückte, war hoffentlich besser gelungen.

Sie wissen es nicht? rief ich aus. Sie wohnen gerade einem Hause gegenüber, in dem so merkwürdige Menschenansammlungen stattfinden, und haben kein Interesse daran, wer in den öden Räumen aus- und eingeht?

Ich pflege nicht an meinen Vorderfenstern zu sitzen, entgegnete er mürrisch.

Mein Auge fiel auf einen Stuhl, der in verdächtiger Nähe des bezeichneten Fensters stand, und ich fragte weiter:

Aber Sie haben doch das Licht gesehen?

Ich sah es von der Türschwelle aus, als ich in den Garten ging, um Rudge, wie alle Tage, auf fünf Minuten ins Freie zu lassen. Aber Sie haben immer noch nicht meine Frage beantwortet: wer soll drüben gewesen sein?

Veronika Jeffrey, erwiderte ich, die gewesene Veronika Jeffrey. Sie hat dieses ihr gehörige verrufene Haus heute zum letzten Male betreten.

Zum letzten Male? Entweder konnte oder wollte er mich nicht verstehen.

Was ist meiner Nichte zugestoßen? rief er, sich mit solchem Ungestüm in die Höhe richtend, daß der große Hund erschrocken auffuhr und mit gesenktem Kopfe und eingezogenem Schweife nach seinem gewöhnlichen Lager unter dem Tisch schlich. Ist sie einem Geiste in jenen vermaledeiten Zimmern begegnet? Ihre Mitteilung interessiert mich im höchsten Grade. Ich hätte nicht geglaubt, daß sie nach jenem Vorfall bei ihrer Hochzeit den Mut gehabt haben sollte, das alte Haus je wieder zu betreten.

Sie hat den Mut besessen, erklärte ich ihm, und was noch mehr ins Gewicht fällt, sie hat ihn in dem Grade besessen, daß sie das Haus ganz allein betreten hat. So nimmt man wenigstens vorläufig an. Wären Sie mit mehr Neugier behaftet gewesen und hätten Sie einen ausgiebigeren Gebrauch von dem Stuhle gemacht, von dem aus man das Haus gegenüber so bequem beobachten kann, so wären Sie vielleicht in der Lage gewesen, diese Annahme zu berichtigen. Es würde der Polizei ihr mühsames Werk bedeutend erleichtern, wenn sie bestimmt wüßte, daß sie bei ihrem verhängnisvollen Besuche keinen Begleiter hatte.

Verhängnisvoll? wiederholte er, indem er mit dem Finger in seinen Halskragen fuhr, der ihm mit einem Male zu eng geworden zu sein schien. Hat sich meine Nichte in diesem alten Hause vielleicht zu Tode erschreckt? Sie beunruhigen mich.

Er sah gar nicht beunruhigt aus, hatte aber andererseits auch keine leicht erregbare Natur. Aber er war zuletzt aus demselben Stoffe gemacht wie wir Menschen alle, und wenn er tatsächlich nicht mehr von dem Vorfall wußte, als er sich den Anschein gab, so konnte er bei dem, was ich ihm nunmehr zu sagen hatte, doch nicht ganz unempfindlich bleiben.

Sie haben ein Recht, beunruhigt zu sein, pflichtete ich ihm bei. Sie hat sich nicht zu Tode erschreckt, sondern sie liegt tot auf dem Fußboden der Bibliothek. Dann fügte ich mit einem Blick auf die Fenster hinzu: Ich nehme an, daß man einen drüben abgefeuerten Pistolenschuß in diesem Zimmer nicht hören kann.

Er sank mit ziemlich theatralischer Gebärde in seinen Sessel zurück. Ich bin von dieser Nachricht aufs tiefste erschüttert, bemerkte er. Sie hat sich erschossen? Aus welchem Grunde?

Ich habe nicht gesagt, daß sie sich selbst erschossen hat, wiederholte ich mit Nachdruck. Aber alle Umstände sprechen dafür, und Herr Jeffrey stimmt dieser Vermutung zweifellos zu.

Ah, Herr Jeffrey ist drüben?

Ganz gewiß; man hat ihn sofort holen lassen.

Und Fräulein Tuttle? Sie kam natürlich mit ihm?

Sie kam, aber nicht mit ihm. Sie hängt sehr an ihrer Schwester.

Ich muß sofort hinüber, rief er, indem er aufsprang und seinen Hut suchte. Es ist meine Pflicht, die Honneurs des Hauses zu machen, kurz, das – das Haus zur Verfügung der Herren zu stellen. Jetzt fand er seinen Hut und setzte ihn auf den Kopf. Das Haus gehört jetzt mir, erklärte er höflich, indem er sich mit einem Aufleuchten seiner grauen Augen voll nach mir umwandte und mich mit der hoheitsvollen Miene jemandes, der unerwartet zu Vermögen gekommen ist, betrachtete. Frau Jeffreys Vater war mein jüngerer Bruder – es ist dies eine alte und lange Geschichte – und das Vermögen, das von Rechts wegen unter uns hätte geteilt werden sollen, fiel ihm allein zu. Aber er war im ganzen genommen ein guter Junge und sah die Ungerechtigkeit von seines Vaters Testament ebensogut wie ich, und schon vor Jahren vermachte er mir aus eigenem Antriebe sein ganzes Vermögen für den Fall, daß er keine Nachkommen hinterließe oder daß diese Nachkommen stürben. Veronika war sein einziges Kind, und Veronika ist tot; folglich ist das alte Haus jetzt mein Eigentum nebst allem, was dazu gehört, nebst allem, was dazu gehört.

In dieser Wiederholung einer Redensart, deren Sinn an sich völlig klar war, lag die Prahlsucht des armen Schluckers, oder, besser gesagt, die Prahlsucht jemandes, der nach einem Leben voller Entbehrungen plötzlich reich geworden ist. Zugleich aber lag darin eine Gefühlshärte betreffs des überraschenden Todes seiner Nichte, die ich mich für berechtigt halte, besonders zu erwähnen.

Sie nehmen ihren Tod sehr ruhig hin, bemerkte ich. Vermutlich wissen Sie, daß sie geistesgestört war.

Er war dabei, seinem Hunde, der sich bei der ersten Bewegung seines Herrn bereitwillig erhoben hatte, einen aufmunternden Stoß zu versetzen, blieb aber mit dem Fuße in der Luft stehen, da er bemüht war, seine ganze Aufmerksamkeit auf seine Antwort zu konzentrieren.

Ich bin kein Freund von Sentimentalitäten, versetzte er kalt. Ich habe in meinem ganzen Leben nur einen Menschen geliebt. Warum sollte ich da um eine Nichte trauern, die sich nicht einmal soviel um mich gekümmert hat, um mich zu ihrer Hochzeit einzuladen? Es würde dies eine Heuchelei sein, ganz unwürdig des Mannes, der endlich dazu gelangt ist, seine ihm gebührende Stellung in dieser Stadt als Besitzer des großen Mooreschen Vermögens einzunehmen. Denn groß wird es sein, fuhr er mit Nachdruck fort. In drei Jahren werden Sie das Haus nicht wiedererkennen. Trotz seiner erdichteten Geister und seines todbringenden Kamins wird es zu den ersten in Washington gehören. Ich, David Moore, verspreche Ihnen dies, und ich bin nicht der Mann dazu, alberne Prophezeiungen auszusprechen. Aber man wird mich drüben vermissen. Bei diesen Worten gab er seinem Bullenbeißer den Stoß, der so lange hatte auf sich warten lassen. Rudge, du bleibst hier. Der Hausflur drüben ist eisig kalt. Außerdem würde dein Geheul heut abend in jenen alten Räumen nicht gerade vermißt werden. Auch würdest du ja gar nicht mit mir kommen wollen, dafür kenne ich dich zu gut, alter Freund. Er hat niemals auf jene andere Seite der Straße hinübergehen wollen, fuhr der alte Herr fort zu schelten und zeigte hierbei heute abend die erste Spur von Gereiztheit. Aber er soll dieses Vorurteil bald überwinden lernen, selbst wenn ich den alten Kamin niederreißen und die Wände erneuern lassen müßte. Ich kann ohne Rudge nicht sein und will an keinem anderen Orte leben, als in dem alten Hause meiner Väter.

Inzwischen hatten wir das Zimmer verlassen und ich begann, da die Zeit drängte, mit einer gewissen Keckheit: Sie haben vergessen, auf meine Andeutung von vorhin etwas zu erwidern. Darf ich mir vielleicht gestatten, sie als Frage zu wiederholen? Ihre Nichte, Frau Jeffrey, schien alles in der Welt zu besitzen, was nur den Menschen glücklich machen kann, und doch nahm sie sich das Leben. Lag vielleicht erbliche Belastung mit Wahnsinn vor, oder war ihre Natur so unberechenbar, daß ihr plötzlicher Tod an einem so unheimlichen Orte Sie so wenig in Verwunderung setzt?

Ein Aufblitzen des Jähzorns, der den alten Herrn mehr oder minder sogar bei den Straßenjungen gefürchtet gemacht hatte, die ihm auf Schritt und Tritt folgten und ihn verhöhnten, brach aus seinem Auge, als er mir an der offenen Haustür den Vortritt ließ. Aber er unterdrückte rasch dieses Zeichen von Mißfallen und antwortete mit feinem Sarkasmus:

Sehen Sie, Sie erwarten Empfindungen von mir, die der Jugend angehören oder Leuten, die mehr Herz als Verstand besitzen. Ich erkläre Ihnen offen, ich habe kein Herz. Meine Nichte kann wahnsinnig geworden sein oder einfach mit ihren achtzehn Jahren den Becher des Genusses bis zur Hefe geleert und allzufrüh den bitteren Nachgeschmack empfunden haben. Ich weiß es nicht und kümmere mich auch nicht darum. Was mich angeht, ist einzig das, daß mir die Verantwortlichkeit für ein großes Vermögen höchst unerwartet zugefallen ist, und daß ich Stolz genug besitze, um zu wünschen, ich möchte imstande sein, diese Last auf mich zu nehmen. Außerdem könnte man sich versucht fühlen, die Wände oder Dielen drüben zu beschädigen. Die Polizei achtet niemandes Eigentum. Aber ich werde ihr zeigen, daß sie das meinige zu achten hat. Ich werde kein Aufreißen des Fußbodens und kein Niederlegen von Wänden gestatten, ohne daß ich dabei bin, um die Arbeiten zu beaufsichtigen. Ich bin jetzt der Herr des alten Ahnensitzes und werde es jedermann zeigen. Und mit einem letzten Blicke auf den Hund, der als Antwort darauf den kläglichsten Protest erhob, verschloß er die Haustür und begab sich auf die andere Seite der Straße.

Während ich seine sichere Haltung beobachtete, mit der er durch das unheimliche Portal schritt, das ihm, wie er mir selbst erzählt hatte, so lange verschlossen gewesen war, legte ich mir die Frage vor, ob die Kerzen, die ich auf seinem Kaminsims hatte liegen sehen, von derselben Art und Größe waren, wie die, die ich bei meiner Durchsuchung des Hauses, in das er soeben getreten war, gefunden hatte.

Sechstes Kapitel

Am nächsten Morgen befand sich die Stadt in fieberhafter Aufregung. Die brennenden Tagesfragen – die ganz unerwartet kommende Mobilisierung des Heeres und die Aussicht auf rasche Fortschritte auf Cuba – waren alle über der einen furchtbaren Nachricht von dem Tode der jungen Frau Jeffrey und den beklagenswerten Umständen, unter denen er erfolgt war, vergessen. Niemand sprach von etwas anderem, und nur wenige vermochten an etwas anderes zu denken. Ihre Jugend, ihre Vornehmheit, ihre Vereinigung mit einem so ausgezeichneten Manne wie Herrn Jeffrey, der schreckliche Vorfall bei ihrer Trauung, der jetzt durch das noch ergreifendere Unglück, das ihrem eigenen Leben so plötzlich ein Ziel gesetzt hatte, in Schatten gestellt worden war, verliehen der Angelegenheit ein Interesse, das während der ersten vierundzwanzig Stunden keiner weiteren Steigerung durch eine übereilte Hindeutung auf einen vorliegenden Mord fähig war.

Ich hütete mich denn auch wohl, eine Bemerkung darüber zu machen, daß ich an etwas anderes als einen Selbstmord glaubte, nahm mir aber im stillen vor, alle die Familie Jeffrey betreffenden Tatsachen zu sammeln. Eine meiner ersten Beschäftigungen bestand darin, daß ich die Spalten des »Star« durchblätterte und noch einmal den Artikel über das schreckliche Ende der Jeffrey-Mooreschen Hochzeit las, der am Abend seines Erscheinens ganz Washington mit Entsetzen erfüllt hatte. Die Festlichkeit, die infolge des verspäteten Erscheinens der Braut über eine halbe Stunde später als festgesetzt stattgefunden hatte, war dadurch jäh unterbrochen worden, daß ein den übrigen Gästen vollständig unbekannter Mann, der durch bei ihm aufgefundene Briefe als ein Herr W. Pfeiffer aus Denver rekognosziert wurde, tot auf dem Lehnstuhle in der Bibliothek gefunden wurde. Die unheimliche Entdeckung hatte zwar keine Unterbrechung der Zeremonie bewirkt, aber die Gäste waren nach Schließung der Ehe nach allen Richtungen geflohen.

Eine weitere Depesche aus Denver besagte, man könne sich dort die Anwesenheit Wallace Pfeiffers, eines der angesehensten Bürger der Stadt, in Fräulein Moores Hause nur so erklären, daß er, obgleich Kaufmann und vor kurzem Goldgräber in Klondike, sich doch sehr für die Geheimwissenschaften interessierte und fast an alle Arten übernatürlicher Kundgebungen glaubte. Er hatte wohl von dem unheilvollen Gerüchte gehört, das sich an das Moorehaus heftete, und hatte die Gelegenheit benutzt, das interessante alte Gebäude zu betreten und die verhängnisvolle Bibliothek persönlich zu durchforschen. Dabei sei seine Phantasie wohl so erregt worden, daß der Tod infolge der außerordentlichen Feinfühligkeit seiner Natur eintrat.

Der nächste Artikel war kurz. Neuere Ereignisse hatten den Vorfall, der vor drei Tagen das Stadtgespräch gebildet hatte, in den Hintergrund gedrängt.

»Verdikt in Sachen des auf dem Lehnstuhle in der Bibliothek des alten Moorehauses tot aufgefundenen Wallace Pfeiffer.

Todesursache: Herzlähmung.

Die Leiche wurde heute nach Denver übergeführt.«

Und darunter, nur durch einen Zwischenraum getrennt, standen die Worte:

»Herr und Frau Francis Jeffrey haben sich entschlossen, ihre Hochzeitsreise aufzugeben und ihre Flitterwochen in Washington zuzubringen. Sie werden ein Haus in der K.-Straße beziehen.«

Die letztgenannte Notiz brachte mir die mich unaufhörlich beschäftigende Frage in mein Gedächtnis zurück. Konnte man in dem Haushalt des neuvermählten Paares und in den bei seiner Verbindung möglicherweise obwaltenden geheimen Leidenschaften die Veranlassung zu dem blutigen Verbrechen erblicken, das sich meiner Meinung nach hinter diesem anscheinenden Selbstmorde verbarg? Oder waren diese in Betracht kommenden Personen unschuldig und der alte David Moore die einzige treibende Kraft bei der Herbeiführung einer Tragödie, die ihn bereichern und jene berauben sollte? Was diese selbst betrifft, so schienen die wenigen, eine Erklärung versuchenden Zeilen, die Veronika ihrem Gatten hinterlassen hatte, auf niemand Eindruck zu machen. Für die näheren Bekannten des jungen Paares bildeten sie einen untrüglichen Beweis für ihre Geistesstörung; in den Augen derer, die das Paar oberflächlich kannten, und für das Publikum im großen und ganzen waren sie das Geständnis einer Frau, die sich von ihrem Manne enttäuscht sieht.

Um herauszubekommen, welche von diesen beiden Auffassungen die richtige war, benutzte ich einen freien Nachmittag zu einem Ausfluge nach Alexandria, wo, wie mir mitgeteilt worden war, Herr Jeffrey die Bekanntschaft seiner Frau gemacht hatte. Man sieht, ich wünschte etwas Lokalklatsch zu erfahren, und mein Wunsch ging in Erfüllung. Die Luft war vollgeladen damit, und da ich die Vorsicht gebrauchte, mich nicht als Detektiv einzuführen, um kein Mißtrauen rege zu machen, so brachte ich mit leichter Mühe verschiedene dem Anschein nach unbedeutende Tatsachen zusammen. Geordnet und in Form einer Erzählung gebracht, lautet das Ergebnis folgendermaßen.

John Judson Moore, Veronikas Vater, besaß weniger Seltsamkeiten als die übrigen Mitglieder dieser exzentrischen Familie. Man glaubte jedoch, er hätte den seiner Familie eigentümlichen Selbständigkeitstrieb dadurch gezeigt, daß er bei der Wahl einer Lebensgefährtin eine Witwe bevorzugte, die ihm nicht nur ein Kind mit in die Ehe brachte, sondern die auch allgemein als die einfachste Frau in Virginia galt, während er die größte Schönheit des Südens habe bekommen können. Aber als im Laufe der Zeit diese verachtete Frau jene Tugenden und gesellschaftlichen Vorzüge entwickelte, die sie im hohen Grade zur Leitung des großen Haushaltes befähigten, dessen Herrin sie geworden war, wurde ihm sein Mangel an Geschmack verziehen. Es wurde seitdem wenig von seinen Eigenheiten gesprochen, bis er nach dem Tode seiner Frau und bei der Schwächlichkeit seines Kindes ein Testament zugunsten seines Bruders errichtete, das diesen Herrn später mit so tiefer Genugtuung erfüllen sollte.

Weshalb diese Handlungsweise bei den Freunden der Familie so großen Unwillen erregte, darüber erhielt ich keine Auskunft; daß dem aber so war, geht daraus hervor, daß allseitig große Befriedigung Platz griff, als sich Veronika plötzlich zu einem gesunden, kräftigen Kinde entwickelte und die Wahrscheinlichkeit, daß David Moore das große Vermögen erben würde, ganz minimal wurde. Die Freude dauerte jedoch nicht lange, denn John Judson folgte seiner Gattin in die Gruft, ehe Veronika ihr zehntes Jahr erreicht hatte, und hinterließ sie und ihre Halbschwester, Cora, der Vormundschaft eines sonderlichen alten Rechtsgelehrten, der schon seines Vaters Sachwalter gewesen war. Dieser Anwalt war grämlich und eigensinnig, aber niemals direkt unfreundlich. Zwei Jähre lang schienen die Schwestern ziemlich zufrieden zu sein, als man sie plötzlich und in etwas gebieterischer Weise trennte, indem Veronika in eine Schule nach dem Westen geschickt wurde, wo sie, anscheinend ohne einen einzigen Besuch im Osten zu machen, bis zu ihrem siebzehnten Jahre blieb. Während dieser langen Abwesenheit der Schwester lebte Fräulein Tuttle in Washington und entwickelte sich unter der Leitung ihrer Lehrer zu einer vollendeten Dame. Veronikas Vormund, der die jugendliche Besitzerin des großen Vermögens, dessen alleiniger Verwalter er geworden war, sehr streng behandelte, zeigte sich gegen die Schwester, die keinen Pfennig besaß, auffallend freigebig, vielleicht mit der Hoffnung in seinem verschlossenen, eigenwilligen alten Herzen, daß die Reize und die Anmut Coras ihr einen Gatten aus der bevorzugten Gesellschaftsklasse verschaffen würden, zu der sie von der Natur bestimmt schien. Aber Fräulein Tuttle war nicht leicht zu befriedigen, und die ersten Männer Washingtons kamen und gingen, ohne in ihr ein wärmeres Interesse zu erregen, bis sie Francis Jeffrey begegnete, der ihr Herz sogleich beim ersten Blicke gewann.

Diejenigen, die sich ihrer von jenem Winter her erinnern, behaupten, sie habe sich unter seinem Einflusse aus einem schönen Mädchen in ein liebliches verwandelt. Aber es fand keine Verlobung statt, und man wunderte sich, warum Francis Jeffrey seine Hand nicht nach einem so hohen Preise ausstreckte, als Veronika Moore nach Hause kam und die Frage endgültig entschieden wurde.

Veronika war nunmehr fast achtzehn Jahre alt und war in ihrer Abwesenheit zur Jungfrau herangeblüht. Sie war nicht so schön wie ihre Schwester, aber sie besaß ein anmutiges und gefälliges Aeußere und dabei doch soviel Uebermut in ihrem Temperament, um ihre mädchenhaften Züge nicht leer und ihre Unterhaltung witzig, wenn nicht geradezu glänzend erscheinen zu lassen. Als aber Francis Jeffrey sich mit seinen Huldigungen von Fräulein Tuttle abwandte und sie ganz offen und ohne jede Scheu diesem hübschen Schmetterling darbrachte, so ließ sich nur ein Ausdruck zur Charakterisierung dieser Handlungsweise finden, und der lautete: Glücksjäger. Im Besitze eines kleinen, aber sicheren Einkommens, hatte er bisher eine gewisse Zufriedenheit mit seiner Lage gezeigt, die darauf berechnet war, Achtung einzuflößen und den Anschein zu erwecken, als seien seine Huldigungen für Fräulein Tuttle aufrichtig und ernst gemeint. Aber kaum erblickte er Veronikas strahlende Augen, als er sein Herz der jungen Erbin zu Füßen legte und seine Werbung so angelegentlich und rasch betrieb, daß sie nach zwei Monaten verlobt und nach Verlauf eines halben Jahres verheiratet waren – die traurigen Folgen hatten sich allerdings sehr bald gezeigt.

Den Kopf voll von diesen Eindrücken, kehrte ich nach Washington zurück. Ich hatte mich mit den offen zutage liegenden Tatsachen aus der Geschichte der Familie bekannt gemacht; was wußte ich aber von dem Innenleben der in Betracht kommenden Personen? Wer wußte überhaupt etwas davon?

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.