Kitabı oku: «Handbuch des Strafrechts», sayfa 46

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C. Die Bedeutung des Code pénal für das deutsche Strafrecht
I. Französisches Strafrecht in Deutschland

1. Implementierung

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„Am Anfang war Napoleon“ – mit diesem vielzitierten Satz eröffnete Thomas Nipperdey seine Darstellung zur deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert.[39] Für kaum einen Bereich hat diese Aussage mehr Berechtigung als für die deutsche (Straf-)Rechtsgeschichte. Mit der militärischen Niederlage der Koalitionstruppen und dem Friedensvertrag von Lunéville (1801) waren die linksrheinischen deutschen Gebiete völkerrechtlich zu einem Teil Frankreichs geworden. Wenige Wochen nach Gründung des Rheinbunds, zu dem sich unter Protektion Napoleons 16 deutsche Fürsten zusammengeschlossen hatten, endete am 6. August 1806 mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. die Geschichte des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Frankreichs Truppen unterwarfen weite Teile Deutschlands, doch zugleich initiierte Napoleon einen beispiellosen Modernisierungsschub.[40] In den neu formierten linksrheinischen Departements de la Roer (Hauptstadt: Aachen), de Rhin et Moselle (Koblenz), de la Sarre (Trier) und du Mont-Tonnere (Mainz) galt seit 1802 französisches Recht, ebenso in den 1811 nach der Annexion norddeutscher Küstenregionen gebildeten vier hanseatischen Departements. In den genannten „neufranzösischen“ Territorien traten die fünf bedeutenden napoleonischen Kodifikationen, „les cinq codes“, unmittelbar in Kraft. Den Anfang bildete der epochale Code civil (1804, 1807 umbenannt in „Code Napoléon“)[41], es folgten der „Code de procédure civile“ (1806), der „Code de commerce“ (1807), der „Code d’instruction criminelle“ (1808) sowie zuletzt der „Code pénal“ (1810).

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Das französische Recht beseitigte des Feudalsystem und ständische Vorrechte, es garantierte Gewerbefreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz, es gewährleistete die Freiheit der Religionsausübung und sorgte für die Emanzipation der Juden.[42] Der Aufbau einer effektiven Strafrechtspflege und einer modernen Staatsverwaltung brachte die Befriedung des Rheinlands, insbesondere die Zerschlagung des Bandenunwesens, versinnbildlicht durch die Festnahme und Exekution des heute sagenumwobenen Serienverbrechers Johannes Bückler („Schinderhannes“).[43] Trotz ihrer kaum zu überschätzenden Bedeutung für die deutsche Strafrechtsentwicklung blieb die Wirkungsgeschichte der Revolutionsgesetzbücher und des Code pénal lange Zeit ein empfindliches Forschungsdesiderat.[44] Ein vergleichbarer Befund galt bis in die jüngere Vergangenheit für die Verfassungsgeschichte, wo Ernst Rudolf Hubers Diktum eines „Schein-Konstitutionalismus der napoleonischen Vasallenstaaten“ nachhallte.[45]

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Während der Code civil in den von Napoleon geschaffenen rechtsrheinischen Satellitenstaaten (Berg, Frankfurt, Westphalen) vorbehaltlos übernommen wurde und eine über Europa hinausreichende Ausstrahlungswirkung entfaltete, nahm die Rezeptionsgeschichte des Code pénal einen anderen Verlauf.[46] Im Großherzogtum Berg (Hauptstadt: Düsseldorf) trat das französische Strafrecht 1811 in Kraft, im Großherzogtum Frankfurt unter dem Fürstprimas des Rheinbunds Karl Theodor v. Dalberg in einer bearbeiteten Version als „Napoleons peinliches und Polizey-Strafgesetzbuch“ (1812).[47] Im französischen „Modellstaat“, dem von Napoleons Bruder Jérme Bonaparte regierten Königreich Westphalen (Hauptstadt: Kassel), wurde eine modifizierte Fassung des Code pénal erstellt, die jedoch nicht mehr in Kraft trat.[48] Vorgesehen waren neben systematischen Umstellungen und einzelnen dogmatischen Verfeinerungen insbesondere Abmilderungen der harten Strafen des Code pénal. In allen anderen Rheinbundstaaten unterblieb die Rezeption des französischen Strafrechts.

2. Beibehaltung des Code pénal nach 1815

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Nach Napoleons Niederlage fand französisches Straf- und Zivilrecht in den wiedergewonnenen linksrheinischen Territorien, die nunmehr zu Preußen, Bayern und Hessen-Darmstadt gehörten, weiterhin Anwendung. Auch auf den rechtsrheinischen Gebieten des ehemaligen Großherzogtums Berg, das nach dem Wiener Kongress an Preußen gefallen war, blieb der Code pénal in Geltung, während der Code civil dem Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten weichen musste.[49] In allen anderen Teilen Deutschlands wurde das Strafrecht der „Franzosenzeit“ nach 1815 umgehend außer Kraft gesetzt.[50] Im Rheinland sowie im ehemaligen Großherzogtum Berg blieb der Code pénal in seiner ursprünglichen Fassung in Geltung.[51] Abmilderungen, wie sie das Königreich Westphalen vorgesehen hatte, erfolgten nicht.[52] Gebräuchlich war eine amtliche Übersetzung, betitelt als „Rheinisches Straf-Gesetzbuch“. Weite Verbreitung fanden daneben mit Anmerkungen versehene private Übertragungen.[53] Geurteilt und verhandelt wurde nach französischem Strafrecht, die Gerichtssprache war indes deutsch, auch wurden die Urteile in deutscher Sprache aufgesetzt.[54]

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Besondere Beachtung verdient die Entwicklung im nunmehr preußischen Rheinland. Die 1816 eingesetzte „Immediat-Justiz-Commission für die Rheinlande zu Cöln“ hatte für die Ersetzung des französischen Strafrechts durch das Preußische Allgemeine Landrecht votiert, doch ließ sich dieses Vorhaben gegen den beharrlichen Widerstand der Rheinischen Provinzialstände nicht durchsetzen.[55] Für die rheinische bürgerliche Elite kam eine Rückkehr zum vormodernen, friderizianisch-altpreußischen Strafrecht nicht in Betracht. Der „Kampf um das rheinische Recht“ endete mit der Zusage des Königs, die Einführung des preußischen Rechts bis zur Vollendung der gesamtpreußischen Gesetzesrevision aufzuschieben.[56]

II. Wissenschaftshistorische Einordnung

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Kein anderes historisches Strafgesetzbuch erfährt bis in die Gegenwart derart unterschiedliche Bewertungen wie der Code pénal. Während einige Autoren das Gesetz als „rückschrittlich und reaktionär“ abtun[57], sehen andere in ihm – trotz Schwächen und Härten – „das erste Strafgesetzbuch der Moderne“[58]. Als prägend erwies sich die Darstellung Eb. Schmidts, der sein Urteil nahezu ausschließlich auf das Strafensystem gründete, welches „ganz und gar aus dem Gedanken terroristischer Abschreckung und Unschädlichmachung geboren, von terroristischer Härte (war)“[59]. Schmidt verwies auf den „ergiebigsten Gebrauch“ der Todesstrafe und die Furchtbarkeit der lebenslangen oder zeitigen Zwangsarbeit. Als weitere Bestandteile aus dem Schreckensarsenal des französischen Strafensystems nannte er Vermögenskonfiskationen, Deportationen, öffentliche Brandmarkungen, Anprangerungen sowie die Strafe des bürgerlichen Todes.[60] Tatsächlich sah der Code pénal für nahezu 30 Delikte die Todesstrafe vor. Auch war das napoleonische Strafrecht in Abwendung vom insofern milderen Code pénal von 1791 zu qualifizierten Todesstrafen und nach der Revolution verbannten Strafarten zurückgekehrt.[61]

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Indes wird Schmidts Darstellung dem Code pénal nicht gerecht. So erweist sich das Strafensystem im Vergleich zum Preußischen Allgemeinen Landrecht keineswegs als „reaktionär“ oder gar „terroristisch“[62]. Das Allgemeine Landrecht kannte ein breites Spektrum qualifizierter Todesstrafen, etwa das Rädern, das Schleifen zur Hinrichtungsstätte und gar noch das Verbrennen bei lebendigem Leibe.[63] Vorgesehen waren ferner lebenslange Festungsarbeit, Prügelstrafen, die Ausstellung am Pranger sowie die Brandmarkung.[64] Nimmt man die – bis auf den Bereich der Vermögens- und Staatsschutzdelikte – grundsätzlich niedrigeren Strafrahmen des Code pénal hinzu, so wird das Festhalten des Rheinlands an einem keinesfalls als rückschrittlich empfundenen Strafrecht nur zu verständlich. Nicht übersehen werden darf zudem, dass Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch von 1813, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen ist, ebenfalls Strafarten enthielt, die aus heutiger Sicht inhuman und grausam erscheinen (Kettenstrafe, bürgerlicher Tod, Auspeitschen, Pranger). Schließlich ist zu beachten, dass der französische Gesetzgeber 1832 überlebte Strafarten aus dem Code pénal strich und Strafrahmen absenkte.[65]

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Trotz unbestreitbarer Härten hielt der Code pénal an bedeutenden Errungenschaften der französischen Revolution fest, insbesondere am Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz und dem strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 6, Art. 8 der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1789).[66] So verankerte der Code pénal den Nulla-Poena-Satz in prägnanter Kürze: „Nulle contravention, nul délit, nul crime, ne peuvent ètre punis des peines qui n’étaient pas prononcées par la loi avant qu’ils fussent commis“ (Art. 4). Einen Fortschritt gegenüber dem Code pénal von 1791 stellte die Wiedereinräumung richterlicher Ermessensspielräume dar. Während 1791 im Banne der strafrechtlichen Aufklärung ein starres System absolut bestimmter Strafen („peines fixes“) geschaffen worden war, statuierte der Code pénal für die richterliche Strafbemessung Ober- und Untergrenzen.[67] Gegenüber deutschen Partikularstrafgesetzbüchern des Vormärz erwiesen sich das Fehlen der Prügelstrafe sowie die Straflosigkeit homosexueller Betätigung als ausgesprochen fortschrittlich. Mit Blick auf die Gesetzestechnik hob sich der Code pénal durch Prägnanz und Kürze (463 Artikel, zuzüglich 20 Artikel für Polizeivergehen) wohltuend von der überbordenden Kasuistik und dem teils grotesken Vollständigkeitsstreben ab, das noch für die Kodifikationsentwürfe der Aufklärungsepoche charakteristisch war.[68] In dogmatischer Hinsicht besticht die Dreiteilung der strafbaren Handlungen in crimes, délits und contraventions (Art. 1).[69] Die hierauf aufbauende Versuchsregelung des Code pénal ist heutigen Rechtsanwendern vertraut: Während der Versuch eines „crimes“ stets strafbar war, konnte der Versuch eines „délits“ nur bei einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung geahndet werden (Art. 2 und 3). Zahlreiche weitere Entsprechungen zwischen der napoleonischen und der späteren preußisch-deutschen Strafgesetzgebung werden in den nachfolgenden Abschnitten sichtbar. Doch verdeutlichen bereits die bisher skizzierten Inhalte die Bedeutung des französischen Rechts für die Entstehung des modernen Strafrechts.[70]

2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 7 Deutsche Strafrechtsgeschichte seit dem Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 bis 1871 › D. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813

D. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813
I. Überblick und Entstehungsprozess

1. Bedeutung und Verklärung

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Das „Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern“, so seine amtliche Bezeichnung, ist die bedeutendste deutsche Partikulargesetzgebung aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.[71] Mit Blick auf ihren Entstehungsprozess weist die bayerische Kodifikation – im Vergleich zu den späteren deutschen Strafgesetzbüchern – drei signifikante Besonderheiten auf: Es handelte sich erstens um ein Gesetz „aus einem Guss“, das maßgeblich aus der Feder eines Verfassers stammte. Zweitens erfolgten die Detailberatungen im engsten ministeriellen Kreis unter Verzicht auf einen fachöffentlichen oder gar parlamentarischen Diskurs.[72] Und drittens schließlich wurde das Bayerische Strafgesetzbuch durch einen, wie Binding treffend formulierte, „vollrationalisierten“ Charakter geprägt.[73] Seine Grundentscheidungen beruhten auf einer bestimmten Straftheorie, die der Gesetzesverfasser als junger Wissenschaftler entwickelt hatte. So lassen sich die exakte Formulierung der Tatbestände, die Legaldefinitionen, das Strafensystem, die drakonischen Strafandrohungen sowie die Einengung richterlicher Entscheidungsspielräume allein vor dem Hintergrund von Feuerbachs „Theorie des psychologischen Zwangs“ begreifen.

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Die wissenschaftshistorische Bedeutung des Bayerischen Strafgesetzbuchs und seines Verfassers sind unumstritten, wenngleich im Verlauf des 20. Jahrhunderts stark idealisierende Bewertungen die Oberhand gewannen.[74] Das Gesetzeswerk gilt weithin als „erstes wirklich modernes Gesetzbuch, (das) die gesamte Strafgesetzgebungsarbeit des 19. Jahrhunderts maßgeblich bestimmte“[75]. Unhistorisch, bisweilen hagiographisch, beschwor die ältere Literatur Feuerbach als „Genie“ und „gigantischen Geist“[76], seinem Gesetzbuch wurde „Modellcharakter für Europa“[77] zugeschrieben oder gar von einer „der hervorragendsten gesetzgeberischen Leistungen aller Zeiten und Völker“ gesprochen.[78] Gerühmt werden Sprache, Gesetzestechnik und der „Ausgleich zwischen zweckbewusster Härte und liberaler Humanität“[79]. Diese im Wesentlichen auf Eberhard Schmidt und Gustav Radbruch zurückgehende Sichtweise, die ihrerseits differenzierte Beurteilungen des 19. Jahrhunderts verdrängte, bedarf einer Überprüfung.[80] Entgegen der traditionellen Lesart wird sich zeigen, dass Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch in wesentlichen Teilen eher am Ende einer Epoche steht als am Beginn einer Entwicklung, die im Erlass des Reichsstrafgesetzbuchs mündete.[81]

2. Paul Johann Anselm Feuerbach

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Paul Johann Anselm Feuerbach (1775–1833) wurde in Hainichen oberhalb von Jena als voreheliches Kind eines Jurastudenten geboren.[82] Nach der Heirat der Eltern lebte die Familie in Frankfurt am Main. Im Anschluss an die Flucht vor seinem Vater studierte Feuerbach seit 1792 in Jena Rechtswissenschaft, um 1794 zur Philosophie zu wechseln. Nach der Promotion bezog er 1796 erneut die Juristische Fakultät, obwohl ihm das Fach, wie er später schrieb, seit seiner „frühesten Jugend an in der Seele zuwider (war)“[83]. Doch Feuerbach, vor Abschluss seiner Studien bereits mehrfacher Vater, benötigte einen Brotberuf.[84] Nach zweieinhalb Jahren schloss Feuerbach das ungeliebte Studium mit einer zweiten Promotion ab. Bald darauf folgten die Erteilung der venia legendi und die Ernennung zum außerordentlichen Professor an der Universität Jena. Der überaus ehrgeizige, exzentrische und psychisch labile Feuerbach publizierte unermüdlich.[85] Zwei Bücher machten ihn schlagartig bekannt. Zum einen die 1799/1800 veröffentlichte zweibändige „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts“, zum anderen das 1801 publizierte, in zahlreichen Auflagen erschienene „Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts“. Hier formulierte er den Grundsatz, der heute als § 1 an der Spitze des deutschen Strafgesetzbuchs steht: „Jede Zufügung einer Strafe setzt ein Strafgesetz voraus. Nulla poena sine lege“[86]. Im selben Jahr folgte Feuerbach einem Ruf nach Kiel, das er zwei Jahre später in Richtung Landshut verließ. Den Auftrag zur Ausarbeitung eines neuen bayerischen Strafgesetzbuchs erhielt Feuerbach aufgrund seiner „Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs“, dem Gesetzentwurf des ursprünglich mit der Kriminalrechtsreform betrauten Würzburger Rechtsprofessors.[87] Nach schweren Zerwürfnissen mit seinem Fakultätskollegen Nikolas Thaddäus Gönner verließ Feuerbach 1805 fluchtartig Landshut, beendete seine kurze Universitätslaufbahn und wechselte nach München in das bayerische Ministerial-, Justiz- und Polizei-Departement.

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Im Ministerium wurde Feuerbach mit der Ausarbeitung eines neuen bayerischen Zivil- und Strafrechts betraut. Sein 1808 vorgelegter Entwurf eines bayerischen Zivilgesetzbuchs scheiterte indes am Widerstand konservativer Kreise aufgrund seiner Anlehnung an den egalitären Code civil.[88] Bereits ein Jahr zuvor hatte Feuerbach im Alleingang ein neues Strafgesetzbuch erarbeitet, das als Grundlage für die weiteren Beratungen und den aus ihnen hervorgegangenen „Entwurf des Gesetzbuchs über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Baiern“ (1810) diente.[89] Eine von König Maximilian I. Joseph eingesetzte neunköpfige Geheime Ratskommission, der auch Feuerbach angehörte, setzte die Gesetzgebungsarbeiten fort.[90] Im Mai 1813 wurde das „Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern“ publiziert, das schließlich am 1. Oktober 1813 in Kraft trat.

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Noch vor Inkrafttreten des Gesetzes waren Feuerbachs Dauerrivale Gönner sowie der Protokollführer der Geheimen Ratskommission, v. Kobell, mit der Abfassung der offiziellen Anmerkungen betraut worden.[91] Der zwischenzeitlich in Ungnade gefallene Feuerbach wurde 1814 als zweiter Präsident des Appellationsgerichts Bamberg in die Provinz versetzt.[92] 1817 erfolgte seine Ernennung zum Präsidenten des Appellationsgerichts Ansbach; ein Amt, das Feuerbach bis zu seinem Tod innehatte. Während seiner Zeit als Richter publizierte Feuerbach weiterhin, so die „Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“ (1821) und die bis heute aufgelegte „Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen“ (1828/29). Ein Torso blieb hingegen das über Jahre hinweg verfolgte Projekt einer universellen „Weltgeschichte der Gesetzgebung“.[93] In seinen letzten Lebensjahren befasste sich Feuerbach mit dem im nahen Nürnberg aufgegriffenen Findelkind Kaspar Hauser, dessen Mitpflegschaft er übernahm und dem er u.a. die Schrift „Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen“ (1832) widmete.[94]

II. Aufbau des Gesetzes

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Das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern umfasste wie sein Vorgänger, der Codex Juris Bavarici Criminalis (1751), sowohl das materielle Strafrecht als auch das Strafprozessrecht. Feuerbachs Kodifikation nimmt auch insofern eine Ausnahmestellung in der deutschen Strafrechtsgeschichte ein, als hier letztmals in einem bedeutenden Gesetzeswerk die Zusammenfassung beider Materien gelang. Mit seinen 459 materiell-rechtlichen Artikeln besticht das Werk durch Kürze und strenge Systematik. So benötigten das Preußische Allgemeine Landrecht und Kleinschrods Entwurf allein für das materielle Recht 1577 bzw. 1563 Paragraphen.[95] Statt ausufernder Kasuistik setzte Feuerbach auf Abstraktion und scharfe Begrifflichkeiten. Einige seiner Tatbestandsformulierungen finden sich im Reichsstrafgesetzbuch wieder und hinterlassen noch in der heutigen Gesetzessprache deutliche Spuren.[96] Zentrale dogmatische Begriffe wie Vorsatz (Art. 39 BayStGB), Mittäterschaft (Art. 50 BayStGB), Anstiftung (Art. 45 ff. BayStGB), Beihilfe (Art. 74 ff. BayStGB), Versuch (Art. 57 ff. BayStGB) oder Fahrlässigkeit (Art. 64 BayStGB) wurden gesetzlich definiert.

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Der materielle Teil des Bayerischen Strafgesetzbuchs war in drei Bücher unterteilt. Während das erste Buch „allgemeine gesetzliche Bestimmungen über Verbrechen und Vergehen“ enthielt (Art. 1–141 BayStGB)[97], handelten das zweite und dritte Buch von „Verbrechen und deren Bestrafung“ (Art. 142–366 BayStGB) bzw. „Vergehen und deren Bestrafung“ (Art. 367–459 BayStGB). Innerhalb des zweiten und dritten Buchs differenzierte das Gesetz wiederum zwischen den Titeln „Privatverbrechen“ (Art. 142–298 BayStGB) und „öffentlichen und Staatsverbrechen“ (Art. 299–366 BayStGB) bzw. „Privat-Vergehen“ (Art. 367–403 BayStGB) und „Vergehen wider den Staat“ (Art. 404–459 BayStGB). Die Einteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Polizeiübertretungen – letztere wurden im Gesetz erwähnt, jedoch nicht im einzelnen normiert[98] – folgte offenkundig dem französischen Vorbild. Als Verbrechen galten solche Delikte, bei denen die Strafandrohung über Gefängnisstrafen hinausging.[99] Die von Feuerbach gewählte systematische Unterteilung führte dazu, dass sich Begehungsformen desselben Delikts in weit auseinanderliegenden Gesetzesabschnitten wiederfanden. Hatte etwa die Körperverletzung eine zumindest einmonatige Berufsunfähigkeit oder Krankheit zur Folge, so handelte es sich um ein Verbrechen (Art. 179 BayStGB), blieben die Auswirkungen geringer, lag ein Vergehen vor (Art. 367 BayStGB).[100] Die Schwächen des Gesetzesaufbaus traten insbesondere beim Diebstahl deutlich zu Tage. Betrug der Wert der entwendeten Sache zumindest 25 Gulden, war die Tat als Verbrechen zu strafen (Art. 215 BayStGB), lag ihr Wert über fünf Gulden als Vergehen (Art. 379 BayStGB). Blieb der Wert unter fünf Gulden, wurde die Ersttat als bloße Polizeiübertretung geahndet (Art. 380 Abs. 2 BaystGB). Die Unübersichtlichkeit der Gesetzessystematik und die Fokussierung auf willkürlich gewählte Zahlen- oder Zeitgrenzen stießen bereits im zeitgenössischen Schrifttum auf massive Kritik.[101]

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9783811449558
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