Kitabı oku: «Schlüsselbegriffe der Public History», sayfa 2

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8 Vgl. Juliane Tomann/Jacqueline Nießer: Public and Applied History in Germany – Just another Brick in the Wall of the Academic Ivory Tower?, in: The Public Historian, 41/4 (2018), S. 11–27, hier S. 18.

9 Einführend: Bernd Schönemann: Geschichtsdidaktik, Geschichtskultur, Geschichtswissenschaft, in: Hilke Günther-Arndt (Hg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, 5. Aufl., Berlin 2011, S. 11–22; Jörn Rüsen: Auf dem Weg zu einer Pragmatik der Geschichtskultur, in: Ulrich Baumgärtner/Waltraud Schreiber (Hg.): Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtsdidaktische Leitbegriffe in der Diskussion, München 2001, S. 81–97, hier S. 89 f.

10 Einführend: Christine Gundermann: Public History. Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstandes, in: dies. u. a. (Hg.): Geschichte in der Öffentlichkeit. Konzepte – Analysen – Dialoge, Berlin 2019, S. 87–114, hier S. 105 ff.

11 Wie in der bereits vorgestellten Definition von Irmgard Zündorf ersichtlich oder etwa bei Habbo Knoch: Wem gehört die Geschichte? Aufgaben der „Public History“ als wissenschaftlicher Disziplin, in: Wolfgang Hasberg/Holger Thünemann (Hg.): Geschichtsdidaktik in der Diskussion. Grundlagen und Perspektiven, Frankfurt a.M. 2016, S. 303–346, hier S. 304.

2Authentizität

2.1Einleitung

Nachdem im Frühjahr 2019 die Kathedrale Notre-Dame de Paris durch einen Brand in großen Teilen stark zerstört wurde, schien eines der Wahrzeichen der französischen Hauptstadt für unbestimmte Zeit verloren. Es war der Spieleanbieter Ubisoft, der in dieser Situation mit einer bis dahin beispiellosen Marketing-Strategie in die Öffentlichkeit trat und die Kathedrale interessierten Menschen zugänglich machen wollte: digital und in Form des Spiels Assassin’s Creed Unity. Das Spiel war 2014 auf den Markt gebracht worden, es ist der achte Teil der erfolgreichen Assassin’s-Creed-Reihe und ist im Paris der Französischen Revolution angesiedelt. Als Spieler_in bewegt und kämpft man sich durch die Stadt und versucht eine Verschwörung aufzudecken. Dabei wohnt der Avatar verschiedenen historischen Ereignissen wie dem Sturm auf die Bastille bei und begegnet auch historischen Persönlichkeiten. In diesem Spiel ist auch eine detaillierte Darstellung von Notre-Dame enthalten. Mit einem kostenlosen Download wollte Ubisoft nun für kurze Zeit „allen Spielern die Chance geben, die Schönheit der Kathedrale in Assassin’s Creed Unity auf dem PC zu erleben“.1 Damit betonte der Spieleanbieter erneut das besondere Spielerlebnis aufgrund der detailgetreuen digitalen Nachbauten von historischer Architektur.

Der Focus2 spekulierte in diesem Zusammenhang, dass die für die digitale Rekonstruktion im Spiel gesammelten Daten sogar beim Wiederaufbau der Kirche eine entscheidende Rolle spielen könnten – es sei die genaueste Rekonstruktion, die aktuell verfügbar sei. Es erschien dabei selbstverständlich, dass die in der Spielreihe dargestellte Architektur zentrale Merkmale einer historisch authentischen Darstellung von Geschichte erfüllte. Die Behauptung des Spieleanbieters wurde selbst nicht in Frage gestellt und erschien evident. Hier zeigen sich nicht nur die Effizienz einer langjährigen Marketingstrategie und die Potenziale einer Digital Public History; das Beispiel zwingt uns auch, über Authentizität als Garant und Kernmerkmal ‚echter Geschichte‘ nachzudenken.

Historische Themen faszinieren die Menschen, insbesondere wenn ihre Darstellungen mit dem Label der Authentizität etikettiert werden. Popularisierte Geschichte in Form von Melodramen, Theaterstücken, TV-Dokumentationen, Computerspielen oder etwa Comic-Historiografien bedient diese Faszination und perpetuiert damit das, was allgemeiner auch als Geschichtsboom bezeichnet wird. Das Versprechen von Geschichten als ‚wahre Geschichte‘ fungiert dabei auch als Werbefaktor, wodurch Authentizität zum Element von Branding wird.3

Als ökonomische Strategie hat sich dieses Phänomen längst etabliert4 und wurde bereits kritisch untersucht.5 Fast immer geht es dabei um Fragen des Produktdesigns: Einem ‚authentischen‘ Produkt sieht man seine Kommerzialisierung nicht an und es suggeriert gleichzeitig eine genaue Einpassung in den Lebensstil und Selbstentwurf der anvisierten Konsument_innen. Im Versprechen der Authentizität findet eine Verknüpfung von Objekt und Subjekt statt, wobei die Erzeugung von Nostalgie (vgl. Infobox) hierbei eine zentrale Rolle spielt, wie nicht zuletzt das Beispiel von Assassin’s Creed Unity zeigt.

Im Bereich der Public History ist oftmals unklar, was genau mit dem Verweis auf die ‚echte Geschichte‘ gemeint ist. Im weitesten Sinne geht es um einen referenziellen Bezug zur Vergangenheit, der anzeigt, dass die Darstellung authentisch ist. Gleichzeitig wird aber auch ein authentisches Erlebnis beim Konsumieren von Geschichte beworben. Das Versprechen von Authentizität bezieht sich also sowohl auf Darstellungen (z. B. im Museum oder Film) als auch auf die Wahrnehmung und Gefühle der Besucher_innen bzw. Teilnehmer_innen, wobei ein Zusammenhang zwischen beiden Aspekten besteht, auf den wir unten nochmals zurückkommen werden. In der Public History erscheint Authentizität insofern allgegenwärtig und bezieht sich auf ein semantisches Feld, in dem auch Qualitäten wie ‚glaubwürdig‘, ‚zuverlässig‘, unmittelbar‘ und eben ‚echt‘ angesiedelt sind.

Vielfältige Bedeutungen

Der Begriff Authentizität ist in mehreren Wissenschaftsfeldern, darunter in der Geschichtswissenschaft, der Kulturwissenschaft, den Critical Heritage Studies und der Medienwissenschaft, von zentraler Bedeutung. Ohne ihn lassen sich öffentliche Repräsentationen von Geschichte nicht analysieren. Dabei gibt es bis heute keine umfassende und eindeutige Definition von Authentizität, die die mannigfaltigen Bedeutungen in historischer und aktueller Perspektive einzufangen vermag.6 Lange wurde der Begriff in der Geschichtswissenschaft im Kontext von Quellenkritik verwendet oder galt anderen

Disziplinen wie der frühen Volkskunde, die sich der Suche und Bewahrung des Authentischen verschrieben hatten, als Ausgangspunkt für ihre fachliche Formierung.7 Inzwischen ruft er in wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Verhandlungen von Geschichte

Diskurse auf, die sich um Original, Kopie und Fälschung sowie Echtheit und Triftigkeit drehen, aber auch um Ursprünglichkeit im Sinne einer Unmittelbarkeit im Erfahren und Erleben einer Person.

Im Folgenden veranschaulichen wir das Bedeutungsspektrum von Authentizität, denn für die Interpretation von Angeboten öffentlicher Geschichte ist es unseres Erachtens hilfreich, Authentizität als Analysekategorie zu nutzen, jedoch zugleich auch nötig, den Begriff als Quellenbegriff zu verstehen. Darüber hinaus weisen wir auf spezifische Fragen an Authentizität bzw. ‚authentische‘ Repräsentationen von Geschichte hin, die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen gestellt werden. Ferner zeigen wir, dass Authentizität einerseits eine Konstruktion ist und sich andererseits auf die Qualität einer Relation zwischen Menschen und historischen Objekten bezieht. In der Public History ist der Begriff von Widersprüchen gekennzeichnet, denn er changiert zwischen der Beglaubigung von Echtheit einerseits sowie deren Simulation andererseits und ist zudem zwischen historischem Ereignis, repräsentiertem Objekt und Wahrnehmung des Objektes angesiedelt. Zugleich weist er eine paradoxale Struktur auf, insofern Authentizität immer medial vermittelt und damit auch medial hergestellt ist: Was als authentisch gilt, muss zunächst als solches ausgewiesen werden, sodass Authentizität immer eine Zuschreibung von außen ist.8 Zunächst werden wir Authentizität begriffsgeschichtlich verorten und dann auf gegenwärtige Verwendungsweisen eingehen, die wir schließlich exemplarisch an vier praxisnahen Fallbeispielen aus der Public History operationalisieren.

Nostalgie

Nostalgie bezeichnet eine besonders emotionale Form der Zugewandtheit zur Vergangenheit. Der Begriff stammt aus dem Griechischen (nóstos: Rückkehr, Heimkehr; álgos: Schmerz) und wurde vom 17. Jahrhundert bis weit ins 20. Jahrhundert hinein synonym zum neueren Begriff des Heimwehs gebraucht. Heimweh/Nostalgie ist durch eine zeitliche und eine örtliche Dimension gekennzeichnet. Heimweh ist das Sehnen nach einem Ort, der erst aus der zeitlichen Distanz, im Prozess der Entfernung, als Heimat und damit Ort der Zugehörigkeit erkannt wird. Nostalgie und Heimweh bezeichneten bis Ende des 19. Jahrhunderts eine Nervenkrankheit, an der insbesondere Soldaten teils schwer, in manchen Fällen sogar tödlich erkrankten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Zuge zunehmender sozialer und örtlicher Mobilität, wurde Heimweh/Nostalgie pädagogisiert. Das rückwärtsgewandte Sehnen nach einem verlassenen Ort war nun unreifen Kindern und Heranwachsenden vorbehalten, die erst lernen mussten, die Trennung von Eltern und Zuhause zu erdulden. Erst in den 1970er Jahren erfolgte in der Bundesrepublik eine Ausdifferenzierung des Heimwehbegriffes entlang der Raum- und Zeitdimension. Unter Nostalgie verstand man nun zunehmend die sehnsüchtige Zuwendung zur Vergangenheit, die zumeist als besonders harmonische Zeit erinnert wurde. Heimweh hingegen bezeichnete das sehnende Verlangen nach einem verlassenen Ort. Die 1970er Jahre gelten gar als nostalgisches Jahrzehnt. Als Reaktion auf die Erfahrung des beschleunigten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandels und auf die Strukturumbrüche, die den Übergang zur Postmoderne markierten, wurde die Zukunftszuversicht der Moderne abgelöst von der Sehnsucht nach der vorgeblichen Stabilität vergangener Zeiten. Der Nostalgie-Boom manifestierte sich in einer Wiederentdeckung von Vergangenheit, vor allem in Formen des Konsums, die Geschichte als wenig konfliktreich und identitätsfördernd für eine Mehrheitsgesellschaft präsentierte. Später wurden Gedächtnis und Erinnerung (vgl. Kap. 4) dann zu neuen Leitbegriffen einer verstärkt kulturgeschichtlich orientierten Geschichtswissenschaft. Mit der Temporalisierung des Nostalgiebegriffs erfolgte auch zunehmend seine Entpathologisierung. Nostalgie ist kein Leiden mehr, sondern bezeichnet die Fähigkeit der emotionalen Selbstregulation. Heute stehen technologische Retrotrends und Vintage-Designs für einen identitätsstabilisierenden Umgang mit Geschichte. Nostalgisch zu sein verweist auf das Bedürfnis nach besonderer Nähe zu einer als positiv erinnerten Vergangenheit und zugleich auf die Einsicht in deren mediale Vermitteltheit.

Leseempfehlung

Becker, Tobias: Rückkehr der Geschichte? Die „Nostalgie-Welle“ in den 1970er und 1980er Jahren, in: Fernando Esposito (Hg.): Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017, S. 93–117; Schrey, Dominik: Analoge Nostalgie in der digitalen Medienkultur, Berlin 2017.

2.2Begriffsgeschichte

Der Begriff der Authentizität speist sich aus verschiedenen Quellen und ist mit den Bereichen des Rechts, der Theologie, der Philosophie und der Künste verbunden; in der Geschichtswissenschaft spielt er erst seit wenigen Dekaden eine tragende Rolle. In einem Lexikoneintrag der Ästhetischen Grundbegriffe geben die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Susanne Knaller und der Germanist Harro Müller einen detaillierten Überblick über die verschiedenen Verwendungen und Veränderungen des Begriffs, der aus dem Griechischen stammt.9

Glaubwürdigkeit vs. Original

Wurde das Wort authentikós (echt, zuverlässig, richtig) zur Bezeichnung der Glaubwürdigkeit von Schriften in Bezug auf eine_n Urheber_in verwendet, beinhaltete das lateinische Wort authenticus darüber hinaus auch die Bedeutung ‚beglaubigt‘.10 Hier zeigt sich ein Zusammenhang von Authentizität, Autor_in und Autorität, der in verschiedenen Sprachen zu finden ist.11 Der lateinische Begriff bezeichnete außerdem auch ein ‚Original‘, das sich von einer Kopie unterscheidet.12 Einerseits geht es also um den Inhalt von Schriftstücken und andererseits um ein ganz bestimmtes Exemplar. Ähnlich lässt sich auch die Bedeutung des Begriffs in seiner weiteren Verwendung unterscheiden: Bezeichnete das Adjektiv ‚authentisch‘ im Mittelalter die Glaubwürdigkeit eines Textes,13 so wird es im 20. Jahrhundert im Sinne von original und echt verwendet.14 Im 18. und 19. Jahrhundert findet sich der Begriff hingegen nur selten, auch wenn in verschiedenen Bereichen Konzepte anzutreffen sind, die unser heutiges Verständnis von Authentizität vorbereitet haben.15

Kunst und Literatur

In seiner Schrift über die Nachahmung griechischer Kunstwerke (1755) konstatierte Johann Joachim Winckelmann, dass nur die „Nachahmung der Alten“ es möglich mache, in der Kunst Größe zu erlangen.16 Hiermit legte er den Grundstein für eine Theorie der Originalität und Echtheit, die später auch in die Geschichtswissenschaft hineinwirkte und deren Authentizitätsverständnis im 20. Jahrhundert mitbestimmte. Zugleich vollzog sich in der Literatur des 18. Jahrhunderts eine Hinwendung zur Empfindung und Sinnlichkeit, die – wie sich am Beispiel von Briefliteratur und Autobiografien zeigen lässt – auf einer Rhetorik der subjektiven Ausdruckssprache beruhte.17 Susanne Knaller verweist in diesem Zusammenhang auf die paradoxale Struktur, die sich später auch im Authentizitätsbegriff wiederfindet, denn die Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit der dargestellten Gefühle war Effekt einer literarischen Konstruktion.18 Die Empfindsamkeit, die in der Literatur zum Ausdruck gebracht wurde, bezog sich dabei sowohl auf die Gefühle der Autor_innen als auch auf die (Selbst-)Wahrnehmung der Leser_innen. Damit steht das Literaturverständnis im Zusammenhang mit moralphilosophischen Überlegungen, die sich mit dem Verhältnis des Menschen zu sich und zu anderen beschäftigen, wie diese beispielsweise bei Jean-Jacques Rousseau zu finden sind, der das Selbstverhältnis als Treue des Menschen zu seiner inneren Natur konzipiert.19 Mit dem Interesse für einerseits die Kunst ‚der Alten‘ und andererseits die Empfindungen von Autor_innen und Leser_innen deutet sich im 18. Jahrhundert eine Unterscheidung an, die heute begrifflich als Objekt- und Subjektauthentizität gefasst wird, d. h., Authentizität kann sich auf die Eigenschaft eines Objekts beziehen oder auf das Selbstverständnis von Personen bzw. den Selbstentwurf von Subjekten.

Realismus und Objektivität

Mit der Etablierung naturwissenschaftlicher Erklärungsmodelle im 19. Jahrhundert veränderte sich auch der Wirklichkeitsbegriff, der zunehmend mit dem Postulat des Objektiven einherging. In der Literatur des Realismus wurde die Welt dokumentierend beobachtet, wobei der Wahrheitsgehalt der Darstellung sowohl durch den Einsatz rhetorischer Mittel als auch durch die authentisierende Instanz der Künstler_innen garantiert wurde, deren Empfindungen jetzt nicht mehr von Interesse waren. Das Aufkommen der Fotografie ging dann mit der Vorstellung einer unmittelbaren Abbildung der Wirklichkeit einher, da fotografische Aufnahmen vermeintlich automatisch und ohne „schöpferische Vermittlung des Menschen“ zustande kommen.20 Auch wenn sich weder für literarische Werke noch für fotografische Abbildungen in der zeitgenössischen Diskussion der Begriff ‚Authentizität‘ finden lässt, tragen die Vorstellungen von Realismus und Objektivität zu unserer heutigen Konzeption von ‚Authentizität‘ bei.

Das authentische Kunstwerk

Erst Mitte des 20. Jahrhunderts hat Theodor W. Adorno ‚Authentizität‘ als ästhetiktheoretischen Begriff eingeführt. Gemeinsam mit Max Horkheimer diagnostiziert er in der Dialektik der Aufklärung (1947), dass es „mit fortschreitender Aufklärung […] nur die authentischen Kunstwerke vermocht [haben], der bloßen Imitation dessen, was ohnehin schon ist, sich zu entziehen“.21 In seinen späteren Schriften definiert er Authentizität als „Zauberwort“, das den Charakter von Werken bezeichnet, „der ihnen ein objektiv Verpflichtendes, über die Zufälligkeit des bloß subjektiven Ausdrucks Hinausreichendens, zugleich auch gesellschaftlich Verbürgtes verleiht“.22 An anderer Stelle beschreibt er authentische Kunstwerke als „ihrer selbst unbewußte Geschichtsschreibung ihrer Epoche“.23

Während Adornos Interesse der Authentizität von Kunstwerken gilt, verwenden Philosophen wie Jürgen Habermas, Jean-Paul Sartre oder Charles Taylor den Begriff mit Blick auf den Menschen und zur Auseinandersetzung mit dem menschlichen Selbst-Bewusstsein, der Lebensführung oder Lebensweise.24

2.3Gegenwärtige Begriffsverwendung

Auch gegenwärtig ist die Verwendung des Begriffs ‚Authentizität‘ vielgestaltig. Zur Systematisierung haben Knaller und Müller vorgeschlagen, heuristisch zwischen Objekt- und Subjektauthentizität zu unterscheiden,25 wobei sich Erstere auf die Eigenschaft eines Objekts bezieht, die empirisch überprüft werden kann, und Letztere als Form des Selbstverständnisses zu verstehen ist, das mit spezifischen Vorstellungen von Identität in Zusammenhang steht.26 Dass zwischen diesen beiden Formen von Authentizität eine Wechselwirkung besteht, haben unter anderem die Historiker Achim Saupe und Martin Sabrow mit Hinweis auf die Aneignung (vgl. Infobox in Kap. 8.2) von Geschichte angesprochen.27

Authentische Objekte

Objekte gelten dann als authentisch, wenn es sich um Originale handelt. Ihre Echtheit bezieht sich auf Urheberschaft oder Historizität, auf der ihre Aura (vgl. Infobox) oder pastness (vgl. Infobox in Kap. 11.1) beruht und durch die sie sich von Fälschungen, Imitationen und Kopien unterscheiden. Um ein Gemälde beispielsweise als ‚echten‘ Rembrandt oder ein Schriftstück als ‚historisches Dokument‘ anzuerkennen, bedarf es Expert_innen, die Objekte auf der Grundlage von wissenschaftlichen Methoden und spezifischen Bewertungskategorien authentifizieren. Es ist also die Autorität der Expert_innen, die Objekten Authentizität verleiht, wobei die Authentifizierung zugleich mit Hierarchisierungen einhergeht, denn letztendlich wird durch ihre Bewertung das Werturteil festgelegt, welche Objekte zu bewahren und zu schützen sind (vgl. Kap. 7 Heritage und Kulturerbe).

Aura

Den Begriff der Aura hat Walter Benjamin in seinem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1935) geprägt. Darin beschäftigt er sich mit der Veränderung der menschlichen Wahrnehmung durch die Einführung von Reproduktionstechniken, durch die Kunstwerke breiten Bevölkerungskreisen zugänglich gemacht werden. Benjamin definiert die Aura als „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“, und beschreibt damit die Einmaligkeit, die Kunstwerke auszeichnet, oder die „materielle Dauer“ und „geschichtliche Zeugenschaft“, die dinglichen Überresten eigen ist. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, so Benjamin, verkümmere diese Aura, da das Einmalige durch die Vervielfältigung überwunden werde und man der Dinge aus nächster Nähe im Abbild habhaft werden könne. Diesen Verfall der Aura sieht Benjamin durchaus positiv, da sich Kunstwerke erstmals von ihrem Kultwert, der aus ihrer Unnahbarkeit resultiere, emanzipieren und andere soziale Funktionen übernehmen könne, die auf ‚die Massen‘ gerichtet sind.

Im Museumskontext findet sich der Aura-Begriff zur Beschreibung von historischen Objekten. Diesen wird die Fähigkeit zugesprochen, zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu vermitteln, indem sie das historisch Ferne räumlich nah präsentieren und dadurch gewissermaßen eine Brücke zwischen dem lebenden Individuum heute und der abgeschlossenen Vergangenheit schlagen. Eine Beschäftigung mit der Aura von Museumsdingen fand unter anderem im Zusammenhang mit einer an Objekten ausgerichteten Ausstellungsdidaktik statt, für die sich etwa Gottfried Korff ab den 1970er Jahren starkgemacht hat. Wie Roman Weindl in seiner Überblicksdarstellung erläutert, lag der Aufforderung, im Museum Originale zu präsentieren, die Annahme zugrunde, dass von der Aura der Museumsdinge eine positive pädagogische oder bildungspolitische Wirkung ausgehe, beispielsweise in Form einer ‚Ganzheitswahrnehmung‘. Diese Bewertung von Originalität steht Benjamins Begriff von Aura diametral entgegen. Gegenwärtig wird vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung das Potenzial von Originalobjekten besprochen. Auch wenn die Aura dieser Objekte an ihre Geschichtlichkeit gebunden wird, ist sie maßgeblich von ihrer Präsentation und Inszenierung abhängig. Insofern weist die Aura eine ähnlich paradoxale Struktur auf wie die Authentizität: Ihre Unmittelbarkeit ist medial konstituiert. Weindl kommt in seiner Analyse von geschichts- und museumsdidaktischer Literatur zu dem Schluss, dass viele Autor_innen den Begriff der Aura unscharf gebrauchen. Er stellt fest, dass er vor allem als Hilfsbegriff fungiert, da theoretische Überlegungen zur Wirkung von Museumsobjekten fehlen.

Leseempfehlung

Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 2010 (1935); Weindl, Roman: Die „Aura“ des Originals im Museum. Über den Zusammenhang von Authentizität und Besucherinteresse, Bielefeld 2019, S. 15–19.

Konstruktion und Medialität von Authentizität

Authentizität weist wie schon gesagt eine paradoxale Struktur auf, da sie immer konstruiert und medial vermittelt ist. Sie setzt die Kommunikation der durch Expert_innen vorgenommenen Authentifizierung voraus und geht mit einer spezifischen Präsentation der jeweiligen Objekte einher, auf die wir unten anhand von konkreten Beispielen zurückkommen werden. Die Verfahren und Strategien, mit denen die Authentizität von Objekten konstruiert und inszeniert wird, sind vielfältig. Sie unterscheiden sich je nach Medium und performativem Ansatz und werden in der Literatur-, Theater-, Kultur- und Medienwissenschaft aus verschiedenen Perspektiven analysiert und theoretisiert.28 Häufig stehen hierbei Fragen nach textuellen und paratextuellen Verfahren im Mittelpunkt, die Authentizitätseffekte erzeugen.

Diese mediale Konstruktion von Authentizität unterscheidet sich grundlegend von der wissenschaftlich untermauerten Authentifizierung historischer Objekte, weshalb Saupe und Sabrow zwischen wissenschaftlicher Authentifizierung einerseits und Authentisierung als Inszenierung andererseits differenzieren.29 In Disziplinen mit medienbasierten Forschungsgegenständen besteht diese begriffliche Differenzierung nicht.

Erleben von Authentizität

Die Konzeption von Authentizität als (diskursiv erzeugte) Eigenschaft eines Objekts oder als Effekt textueller Verfahren greift jedoch zu kurz. Authentizität resultiert vielmehr aus der Relation zwischen Objekt und Subjekt, denn sie muss als solche wahrgenommen bzw. erfahren werden (vgl. Kap. 5 Erlebnis und Erfahrung).30 Es kommt also nicht nur auf eine Fremdbeglaubigung (Heterologie) von Authentizität an, sondern auch auf eine Selbstbeglaubigung (Autologie).31 Mit Bezug auf Geschichte ist dabei Plausibilität von zentraler Bedeutung, die dazu beiträgt, dass Objekte als Originale wahrgenommen (vgl. Infobox pastness in Kap. 11.1) oder nachgestellte Handlungen und Situationen als authentisch erlebt werden.

Authentizität in der Geschichtswissenschaft

Als analytischer Begriff wird Authentizität in der Geschichtswissenschaft nicht systematisch verwendet; Eingang in das wissenschaftliche Vokabular fand er vor allem mit Bezug auf den Status von Objekten. Er markiert die Echtheit einer Quelle und zeigt an, dass diese zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort und von bestimmten Akteur_innen hervorgebracht wurde. Über den Wahrheitsgehalt der Quelle gibt die Authentifizierung hingegen nicht zwangsläufig Auskunft. Authentifizierungen sind grundlegende Voraussetzung jeder historiografischen Arbeit und Teil der Quellenkritik. Zudem gibt es wissenschaftliche Tätigkeitsfelder wie die Provenienzforschung, in denen die mit der Authentifizierung einhergehende Herkunftsforschung zu den Haupttätigkeiten zählt. Für die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Vergangenheit spielt der Begriff in der Geschichtswissenschaft hingegen bis auf wenige Ausnahmen keine Rolle.32

Typologisierung authentischer Darstellungen

Zu diesen Ausnahmen zählt die Typologisierung von Authentizität, die der Geschichtsdidaktiker Hans-Jürgen Pandel erarbeitet hat. Er legt dabei ein weites Begriffsverständnis zugrunde und versteht unter Authentizität „eine Eigenschaft, die Aussagen, schriftlichen und bildlichen Quellen, Dingen sowie Orten zukommt, um ihre Echtheit, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zu kennzeichnen“.33 Dabei unterscheidet er zwischen Personen- bzw. Ereignisauthentizität, Typenauthentizität, Repräsentationsauthentizität und Erlebnisauthentizität.34 Unter der erstgenannten Form von Authentizität versteht er, dass eine Person tatsächlich gelebt bzw. ein Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Typenauthentizität bezeichnet den Umstand, dass eine dargestellte Person zwar fiktiv, ihre Figureneigenschaften jedoch als typisch für die dargestellte Zeit, soziale Stellung und Region sei. Repräsentationsauthentizität ist nach Pandel vorhanden, wenn die fiktiven Elemente einer historischen Narration für die dargestellte Epoche und Region nach aktuellem Forschungsstand repräsentativ sind. Und mit dem Begriff der Erlebnisauthentizität erfasst er, dass die „inneren Erfahrungen und Emotionen vom Erzähler in der betreffenden Situation tatsächlich so empfunden wurden“.35 In einer Ergänzung dieser Überlegungen hat Pandel darüber hinaus ein Koordinatensystem vorgeschlagen, anhand dessen die „Authentizitätsgrade“ von Quellen (in der Vergangenheit entstanden), Darstellungen (gegenwärtige Präsentationen von Geschichte) und Imaginationen (fiktionalisierter Geschichte) bestimmt werden können. Diese Systematisierung übersieht jedoch, dass auch Repräsentationen von Geschichte Quellen sein können, und kommt darüber hinaus ohne eine begriffliche Trennung von empirischer Triftigkeit und simulierter pastness (vgl. Infobox in Kap. 11.1) aus. Pandels Typologisierung ist vor allem dann hilfreich, wenn sie zur Analyse von medialen und performativen Repräsentationen von Vergangenheit herangezogen wird.36

Authentizität als Aneignungsmodus von Geschichte

Auch wenn Pandels Überlegungen kritisiert werden können, verweisen sie auf die Notwendigkeit, sich auch in der Geschichtswissenschaft mit Authentizität auseinanderzusetzen und den Begriff über die Qualifizierung von Quellen hinaus analytisch zu nutzen. Vor allem seine populäre Verwendung im Kontext von Public-History-Angeboten legt nahe, ihn weniger als Beleg für empirische Triftigkeit sondern als Aneignungsmodus von Geschichte zu konzipieren. Es gilt also, Authentizitätseffekte wie die bereits erwähnte pastness in den Blick zu nehmen.

Gerade im Bereich der Public History zeigt sich, dass Authentizität nicht zwangsläufig aus der inhärenten Qualität von Objekten oder der Glaubwürdigkeit von Zeugnissen abzuleiten ist. Neben authentischen Objekten oder Zeugnissen spielt hier auch das ‚authentische Erleben‘ eine zentrale Rolle. So stellen Living History oder Reenactments eine Aneignungsform von Geschichte dar, deren Authentizität auf dem Nacherleben von vergangenen Situationen oder Ereignissen beruht. Auch hier ist die paradoxale Struktur von Interesse, denn ‚authentisches Erleben‘ im Sinne einer Körpererfahrung (vgl. Kap. 5) wird dadurch ermöglicht, dass Repliken von historischen Objekten zum Einsatz kommen, die angefasst, getragen und sinnlich wahrgenommen werden können. Für dieses Erleben spielt die Herkunft der verwendeten Objekte, die aus Sicht der Provenienzforschung nicht authentisch sind, dabei eine untergeordnete Rolle.

Geschichtsangebote sind daher darauf hin zu befragen, wie sie ihre Referenz zur Wirklichkeit und gegebenenfalls Wissenschaft inszenieren. Das ökonomische Potenzial von Geschichte ergibt sich gegenwärtig nicht zuletzt aus dieser Dimension von Authentizität. Am Beispiel zahlreicher geschichtskultureller Produkte zeigt sich, dass die ‚Echtheit‘ der jeweils präsentierten Geschichte ein effektives Verkaufsargument darstellt,37 wobei Anbieter_innen häufig auch eine damit zusammenhängende spezifische ‚Atmosphäre‘ heraufbeschwören.

Atmosphäre

Insbesondere bei Videospielen und im Living-History-Bereich ist in Forschungskontexten zur Beschreibung von authentisierenden Arrangements von Atmosphäre die Rede. Der Begriff wurde vor allem von dem Philosophen Gernot Böhme geprägt. In der Geschichtswissenschaft finden sich erste Ansätze zur Nutzung dieses Zugriffs z. B. bei der Analyse touristischer Angebote, die unter Phänomenen wie (hi)storyscapes oder themed environments erfasst werden.

Als Konzept wird Atmosphäre seit wenigen Jahren genutzt, um ‚authentische Räume‘ zu beschreiben, also Räume, die (vermeintlich) historisch authentisch inszeniert sind und für einen bestimmten Zweck so erschaffen wurden. Dieser Ansatz hilft nicht nur, eine spezielle Objekt-Subjekt-Relation zu fokussieren, sondern das erlebende Subjekt in einem spezifisch gestalteten Raum zu beschreiben. Atmosphäre, genauer Vergangenheitsatmosphäre, ist dann ein analytischer Begriff, der es erlaubt, den Raum, in dem eine Performance stattfindet – sei es eine nachgestellte Schlacht, die Quest im digitalen Raum oder aber der Gang durch einen speziell gestalteten Ausstellungsbereich –, als Wahrnehmungs-und Empfindungsraum der Reenactors/Living Historians, von digital Spielenden oder aber von Besucher_innen zu beschreiben. Das Konzept berücksichtigt also dezidiert die Empfindungsebene der teilhabenden Subjekte und verharrt nicht bei der Anordnung von Objekten im Raum. Betrachtet wird auch die ästhetische Gestaltung des Raums im Hinblick auf seine Eignung, pastness (vgl. Infobox in Kap. 11.1) zu erzeugen. Der Rückgriff auf den Atmosphären-Begriff erlaubt somit stärker als etwa der Fokus auf Objektauthentizität, das Verhältnis von rezipierendem Subjekt und inszenierter Geschichte im Raum in den Blick zu nehmen. Solche Atmosphären sind zeitlich und kulturell gebunden. Das Beispiel der digitalen Spiele verweist aber auf deren (potenzielle) räumliche Entgrenzung. Da diese oftmals für den globalen Markt designt werden, können diese kosmopolitische Vergangenheitssettings etablieren, die dann gleichsam populärkulturelle Vorstellungen von Geschichte prägen.

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9783846357286
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