Kitabı oku: «Schlüsselbegriffe der Public History», sayfa 3
Leseempfehlung
Kerz, Christina: Atmosphäre und Authentizität. Gestaltung und Wahrnehmung in Colonial Williamsburg, Stuttgart 2017; Zimmermann, Felix: Historical Digital Games as Experiences – How Atmospheres of the Past Satisfy Needs of Authenticity, in: Marc Bonner (Hg.): Game | World | Architectonics – Transdisciplinary Approaches on Structures and Mechanics, Levels and Spaces, Aesthetics and Perception, Heidelberg 2021, S. 19-34.
Authentizität ist ein kultur- und zeitgebundener Begriff. Er ist eng mit der westeuropäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte verbunden und lässt sich nicht als universelle Größe voraussetzen, wie wir im Beitrag zum Kulturerbe (vgl. Kap. 7) anhand des UNESCO-Welterbes kurz skizzieren. In der Geschichtswissenschaft gelangen die Praktiken der Authentisierung zum einen durch das zunehmende Interesse an Fragen der Performativität (vgl. Kap. 10) langsam in den Fokus der Forschung,38 zum anderen durch die Etablierung der Wissen(schaft)skommunikation als Forschungsfeld und als Praxisbereich. Und auch die Public History als neue Teildisziplin der Geschichtswissenschaft treibt die Auseinandersetzung mit Fragen der Authentizität an.
2.4Operationalisierungen
Im Folgenden zeigen wir exemplarisch, wie Authentizität in vier Feldern der Public History erzeugt wird, um zum einen das analytische Potenzial und zum anderen die semantische Vielfalt des Authentizitätsbegriffs zu demonstrieren.
2.4.1Authentische Geschichte im Museum
Authentizität ist ein Kernelement des musealen Ausstellungswesens, denn die ausgestellten Exponate sind in der Regel Originale und fungieren als Objektivationen vergangener Realität, die die im Museum erzählte Geschichte als wahr bekräftigen sollen. Authentizität bezeichnet im Museum somit die Echtheit des Dargestellten und ist eng mit der Aura des Exponats verbunden. Sie wird als Qualität des Objekts verstanden, die aus seiner Geschichte resultiert (womit sich das Exponat von einer Replik unterscheidet). Allerdings liegt die Authentizität von Objekten im Museum nicht nur in deren Originalität begründet, sondern auch in ihrer Präsentation und Rezeption.39 Stefan Burmeister spricht daher von einer Umwertung des Authentizitätsbegriffs, mit dem zunehmend das Echtheitserlebnis der Betrachter_innen, auf das wir noch näher eingehen, in den Blick genommen wird und der somit eine Qualität der Beziehung zwischen (inszeniertem) Objekt und Besucher_innen bezeichnet.
Präsentation von Exponaten
Hieran schließt sich die Frage an, wie es Museen gelingt, bei ihren Besucher_innen den Eindruck von Authentizität zu evozieren. Die Authentisierungsstrategien, die sich auf die Auswahl und die Präsentation von Objekten richten, sind dabei maßgeblich durch zwei Elemente geprägt: Zum einen determiniert die durch Expert_innen festgelegte Wertigkeit des Objekts die Art und Weise seiner Präsentation bzw. welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Zum anderen bestimmen aber auch die Erwartungen der Besucher_innen, wie ein Objekt ausgestellt wird (vgl. Kap. 11 Rezeption), wobei diese wiederum durch die Schaffung spezifischer Wahrnehmungsbedingungen von Museen mitgeprägt werden. In ihrer Architektur sind Museen als Schutzräume konzipiert. Abgehängte Fenster schützen die Exponate jedoch nicht nur vor zerstörerischem Tageslicht, sondern verdeutlichen auch, dass es sich bei den ausgestellten Dingen um schützenswerte, wertvolle, alte und echte Zeugnisse der Vergangenheit handelt. So erzeugt etwa die Platzierung bestimmter Objekte auf besonders edlen Stoffen in speziell ausgeleuchteten Vitrinen einen auratischen Effekt. Sichtbare Maßnahmen wie diese dienen also nie nur dem Schutz der Objekte als historischer Zeugnisse, sie erzeugen zugleich auch den Eindruck, dass diesen Objekten ein gewisser Wert zukommt. Somit ist es vor allem die Inszenierung, die ein Objekt in ein besonders wertvolles, authentisches und auratisch wirksames Exponat aus der Vergangenheit transformiert. Selbst archäologische Massenware, so Burmeister, kann auf diese Weise auratisch inszeniert werden.40 Darüber hinaus verstärkt auch die Beschriftung der ausgestellten Objekte deren Authentisierung und Auratisierung. Ist diese besonders knapp und verwendet gegebenenfalls nur Fachbegriffe, bietet sie keine Analogien an oder fehlen Hinweise zur Einordung in Wirkungszusammenhänge, trägt die Beschriftung zur Entrückung des Objekts sowie zur Erfahrung seiner Außeralltäglichkeit bei. Werden z. B. in einer Vitrine Fibelarten ausgestellt und in einer Auflistung als Triquetra-Fibel oder Peltafibel bezeichnet, aber weder erläutert oder im Schaubild gezeigt, wie der Schließmechanismus an Kleidung genau funktioniert, noch wie man beide Formen unterscheidet, so trägt das zwar zur Auratisierung, aber nur wenig zum Verständnis des Gezeigten bei.
Echtheitserlebnis der Museumsbesucher_innen
Um das Zusammenspiel von ästhetischer als auratischer Inszenierung, historischer Erfahrung (vgl. Kap. 5) und gesellschaftlichen Authentizitäts-Konventionen besser zu erfassen, wird in den Museum Studies vermehrt auf performative Erklärungsansätze zurückgegriffen. Denn wenn Authentizität nicht länger als Qualität des Objekts, sondern als Relation zwischen Objekt und Subjekt verstanden wird, gerät auch die körperliche Bewegung durch den inszenierten Ausstellungsraum in den Blick und erweitert das Verständnis dafür, wann die Darstellung von Geschichte als authentisch wahrgenommen wird.41
Die analytische Perspektive auf die museale Aura von Exponaten verändert zugleich den Diskurs über Repliken und Hands-on-Ansätze im Museum. Der mit der Aura von Objekten einhergehende Aneignungsmodus bestand im Museum über lange Zeit im An-Sehen. Mit der Einführung von Repliken und Tastmodellen, die zum Anfassen, zur multisensualen Annäherung einladen, findet eine Demokratisierung des Museums statt, insofern diese es ermöglichen, Geschichte barrierefrei und im besten Falle inklusiv zu präsentieren. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass der an das Museum herangetragene Begriff von Authentizität immer mit gesellschaftlichen Hierarchien verbunden ist, denn das anfassbare, nahbare Objekt galt und gilt als weniger wertvoll. Allerdings verändern sich diese Wertzuschreibun-gen, wenn das Museumserlebnis bzw. die (didaktisierte) Erfahrung von Geschichte im Mittelpunkt steht. Zwar ist durchaus zu beobachten, dass sich viele Ausstellungsorte darum bemühen, den Eindruck von Authentizität zu evozieren. Doch die musealen Praktiken zeigen, dass dies – wenn nötig – auch ohne Original möglich ist.42 Insofern können Museen als Seismografen für gesellschaftliche Authentizitätsvorstellungen verstanden und untersucht werden.
2.4.2Authentische Geschichte in Gedenkstätten
Gedenkstätten definieren sich über die Authentizität des Ortes. Sie unterscheiden sich von Denkmalen, indem sie den spezifischen Ort markieren, an dem etwas Bestimmtes stattgefunden hat. Dieses Kriterium lässt sich unter anderem in der Gedenkstättenkonzeption des Bundes erkennen, die als förderwürdig nur die Gedenkstätten bestimmt, die an authentischen Orten existieren. Dabei ist eine „Authentizität des Ortes […] gegeben, wenn sich das historische Geschehen in einer für den Besucher sichtbaren baulichen Substanz manifestiert“.43 Dem Ort wird damit eine Aura zugesprochen, die aus seiner Geschichtlichkeit resultiert. Hinsichtlich des Authentizitätsbegriffs lassen sich damit deutliche Parallelen zwischen Gedenkstätten und Kulturerbe-Stätten (vgl. Kap. 7) erkennen.44
Orte und Zeitzeug_innen
Im deutschsprachigen Raum bzw. in Europa wird in Gedenkstätten gern mit einer doppelten Authentizität gearbeitet, insbesondere wenn sie an die NS-Terrorherrschaft und die SED-Diktatur erinnern: Am Ort des jeweiligen Geschehens beglaubigen zusätzlich Zeitzeug_innen aus eigener Anschauung die Echtheit der dargestellten Geschichte. Im Rahmen von Führungen, Gesprächen oder Workshops berichten sie in persona von ihren persönlichen Erlebnissen. Zudem können an Hands-on-Stationen Audio- und/oder Video-Ausschnitte aus digitalisierten Zeitzeug_innen-Interviews angehört bzw. angesehen werden. Sowohl die Orte als auch die Zeitzeug_innen versprechen Authentizität, jedoch sind dabei ganz unterschiedliche Aspekte betroffen.
Die Authentizität der Zeitzeug_innen geht dabei über die oben erwähnte Subjektauthentizität hinaus, denn es geht nicht nur um die ‚Echtheit‘ und Glaubwürdigkeit ihrer Performanz, mit der sie ihre individuellen Erlebnisse darstellen. Vielmehr kommt ihnen in Gedenkstätten die Autorität zu, das Wissen um die ‚ganze‘ Geschichte eines Ortes oder eines Geschehens zu repräsentieren. So führen beispielsweise Zeitzeug_innen nicht nur als Augenzeug_innen die Besucher_innen durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen, sondern auch als Expert_innen für die gesamte Geschichte der Unterdrückung, Verfolgung und Inhaftierung politisch Andersdenkender in der DDR. Diese Praxis ist hoch umstritten innerhalb der Gedenkstättenpädagogik. Was jedoch weniger beachtet wird, ist, dass Orte zur Diktaturgeschichte der DDR häufig auf bürgerliches Engagement zurückgehen. Die Männer und Frauen der ‚ersten Stunde‘ schrieben den Erinnerungsorten ihre eigene Deutung ein. Diese hidden agenda prägt bis heute Ausstellungskonzepte und pädagogische Arbeit. Aufgrund der mangelnden Transparenz ist jedoch kaum mehr erkennbar, dass es sich dabei ursprünglich um die Perspektiven von Zeitzeug_innen handelt und die Darstellung nicht ausschließlich auf historischer Forschung beruht.45 Diese Konstellation verdeutlicht die Machteffekte, die sich aus einer Verknüpfung von Authentizität und Autorität ergeben können.
Auch und gerade in Gedenkstätten lohnt es sich, zwischen Authentizität als Selbstbeschreibung und damit als Quellenbegriff und als Analysebegriff zu unterscheiden. Der analytische Zugriff ermöglicht es, Techniken der Authentisierung zu erforschen sowie Praktiken der Kommunikation von Geschichte systematisch in den Blick zu nehmen. So lässt sich bei einem authentischen Ort beispielsweise der Zusammenhang zwischen Konservierungstechniken und der dem Ort zugeschriebenen Aura analysieren oder die authentisierende Funktion, die Zeitzeug_innen zuerkannt wird. Dabei ist beispielsweise auch von Interesse, dass Gedenkstätten zunehmend auf mediale Formen von Zeitzeug_innenschaft zurückgreifen müssen, da Zeitzeug_innen aus gesundheitlichen oder Altersgründen immer seltener auftreten können. Kuratorische Eingriffe schränken die Autorität und Deutungshoheit der Zeitzeug_innen dabei deutlich ein, denn für gewöhnlich werden ihre Zeugnisse stark gekürzt und in eine geschichtliche Inszenierung eingebettet, die häufig auf die „Illusion vielstimmiger Erinnerungen“ abzielt.46 Zugleich kommen bei der medialen Präsentation von Zeitzeug_innen jedoch auch spezifische Verfahren zum Einsatz, die deren Authentizität betonen, beispielsweise indem Pausen, die Suche nach Worten oder das Ringen um Fassung in den geschnittenen Interviewaussagen belassen werden. Hierdurch entsteht der Eindruck von Unmittelbarkeit und Authentizität, der die historische Korrektheit der Aussagen jedoch nicht zwangsläufig belegt.
2.4.3Reenactment und Living History
Der Zusammenhang von Authentizität und Inszenierung wird auch im Bereich des Geschichtstheaters deutlich, welches Praktiken wie das Reenactment und die Living History umfasst.47 Hier hängt das jeweilige Verständnis von Authentizität nicht zuletzt vom Ziel der Aufführung ab: Die experimentelle Archäologie, die beispielsweise nachgebaute Objekte testet, um Erkenntnisse über deren Verwendung zu sammeln, benutzt den Begriff anders als Reenactors, die sich für das (Nach-)Spielen einer Schlacht möglichst authentisch einkleiden, um die Erfahrung eines Zeitsprungs, eines period rush, zu machen.48 Im Allgemeinen verstehen die Ausführenden, so Stefanie Samida und Miriam Sénécheau, Authentizität als Verweis auf empirische Belegbarkeit und Wahrheit.49
Nachgebildete Objekte und nachgespielte Ereignisse
Interessanterweise resultiert die Authentizität von Kleidung oder verwendeten Gegenständen hierbei nicht aus ihrer Geschichte, sondern bemisst sich an den zur Herstellung genutzten Materialien und Techniken, die denjenigen der nachgestellten Raumzeit möglichst entsprechen. Je stärker die Annäherung an die historischen Techniken und Materialien, desto größer ist die ‚Echtheit‘, die dem Objekt zugesprochen wird. Der Authentizitätsanspruch beruht dabei nicht nur auf der Qualität der Nachbildung, sondern auch auf ihrer Verwendung für spezifische Handlungen, wobei die Authentizität noch dadurch gesteigert werden kann, dass diese an einem als authentisch wahrgenommenen Ort durchgeführt werden.50
Im authentischen Erlebnis, auf das viele Reenactments zielen und das für Reenactors von besonderer Bedeutung ist, zeigt sich erneut die paradoxale Struktur des Authentizitätsbegriffs. Jede Repräsentation eines historischen Ereignisses ist eine Konstruktion, weil empirisch triftige Quellen zueinander in Beziehung gesetzt und unter bestimmten Fragestellungen betrachtet werden. Insofern ist eine unvermittelte Vergegenwärtigung der Vergangenheit unmöglich. Zudem impliziert die Vorstellung, dass beim Nachspielen von historischen Ereignissen authentisches Erleben (vgl. Kap. 5) möglich ist, einerseits, dass die ausgewählten Ereignisse überhaupt als solche wahrgenommen wurden. Sie setzt andererseits das Ausblenden des Wissens über den weiteren Verlauf der Geschichte voraus. Insbesondere Schlachten-Reenactments, deren Authentizitätswirkung explizit auf die gemeinsame Performanz zurückgeführt wird, unterscheiden sich von der vergangenen Realität in einem wesentlichen Punkt, der zumindest von außen betrachtet zunächst im Widerspruch zum Authentizitätsanspruch steht: Niemand wird auf dem Schlachtfeld tatsächlich getötet oder verletzt. Das heißt, dies ist weder für die Zuschauer_innen zu erleben noch für die Reenactors nachzuerleben.
Gettysburg 1863
Nutzen wir den Authentizitätsbegriff als Analysekategorie, so lassen sich im Geschichtstheater vielfältige Formen von Authentizität identifizieren und bei Mitwirkenden und Zuschauenden unterschiedliche Authentizitätserwartungen antreffen. Dies hat unter anderem Wolfgang Hochbruck in seiner Studie zu Reenactments der Schlacht von Gettysburg 1863 demonstriert, die sich seit 1888 nachweisen lassen.51 Er zeigt, dass zunächst teilnehmende oder zuschauende Veteranen als Verbindung zur Vergangenheit und damit Authentizitätsgaranten wahrgenommen wurden, wodurch Kleidung, Ausrüstung und Waffen nicht der damaligen Zeit entsprechen mussten, sondern aus der Gegenwart stammen oder fiktiv gestaltet sein konnten. Dies änderte sich jedoch, als keine Veteranen mehr an den Aufführungen teilnehmen konnten. Nun mussten Uniformen, Ausrüstungen und Waffen möglichst genaue Repliken sein und die authentische Erfahrung wurde mit der Verwendung von authentischen Objekten verknüpft. Als Garanten der Authentizität wurden die Zeitzeug_innen somit durch Objekte am historischen Ort ersetzt.
2.4.4Authentizität im Film
Filmische Medien gebrauchen vielfältige Strategien, um Authentizität zu erzeugen, wobei sich spezifische Verfahren für dokumentarische und für fiktionale Formen herausgebildet haben.
Dokumentarfilm
Im Bereich des Dokumentarfilms gelten beispielsweise Filme des Direct Cinema als besonders authentisch.52 Diese Filmrichtung hat sich in den 1960er Jahren im Zusammenhang mit der Einführung von leichten 16-mm-Kameras und tragbaren Tonaufnahmegeräten etabliert. Hierdurch wurde es möglich, den Protagonist_innen mit der Kamera auf Schritt und Tritt zu folgen und ihren Alltag zu dokumentieren. Prämisse des Direct Cinema war, nicht in die vorgefundene Situation einzugreifen und keine Veränderungen vorzunehmen, um der Kamera beispielsweise einen besseren Blickwinkel oder eine bessere Lichtsituation zu verschaffen. Daher sind in den fertigen Filmen oftmals Ansichten verstellt, Personen angeschnitten und die Bild- und Tonqualität variiert. Genau diese Elemente sind es, die den Eindruck von Authentizität erzeugen, denn sie behaupten, die vorgefundene Wirklichkeit unverändert abzubilden.53
Die sozialen Akteur_innen, die in Dokumentarfilmen auftreten, können mehr oder weniger authentisch erscheinen. Dabei lässt sich der Eindruck eines unverstellten Verhaltens oft darauf zurückführen, dass sich die Protagonist_innen, die von der Kamera begleitet werden, auch in ihrem Alltag häufig in Situationen befinden, in denen sie vor anderen sprechen oder agieren. Sie sind daher an ‚Auftritte‘ gewöhnt und in der Lage, sich vor einem Publikum ungekünstelt und authentisch zu präsentieren. Doch auch Personen, die in Dokumentarfilmen die Kontrolle über ihre Emotionen verlieren, werden als authentisch wahrgenommen.54 Dies lässt sich beispielsweise in Geschichtsdokumentationen beobachten, in denen sich Zeitzeug_innen an die Vergangenheit erinnern. Interviewpartner_innen, die schon häufiger von ihren Erlebnissen berichtet haben und die daher bereits geübt sind, diese als Erzählung zu präsentieren, wirken in Filmen und Fernsehsendungen deutlich weniger authentisch als emotional sprechende Zeitzeug_innen, die ins Stocken geraten, Grammatikfehler machen oder von ihren Erinnerungen überwältigt werden.55 Die Authentizität von Personen resultiert in Dokumentarfilmen also aus gegensätzlichen Eigenschaften: entweder aus ihrer Routine mit öffentlichen Auftritten oder aus ihrer Ungeübtheit beim Schildern von Erlebtem.
Spielfilm
Spielfilme greifen häufig auf dokumentarische Aufnahmen zurück, um ihrer Darstellung der Vergangenheit Authentizität zu verleihen. So sind Kulissen und Kostüme in fiktionalen Filmen an historischen Fotografien oder dokumentarischen Filmen orientiert oder es wird in Dokudramen historisches Bildmaterial in Spielszenen integriert.56 Die Differenz der Bildqualität markiert hier, welche der Aufnahmen die ‚historische Realität‘ zeigen. Durch diese Verknüpfung verlängert sich die Authentizität der dokumentarischen Bilder in die Spielhandlung hinein und verleiht dieser Glaubwürdigkeit. Requisiten, mit denen die Erzählung zeitlich verortet wird, haben einen ähnlichen Effekt: das Zeitungsexemplar, das auf dem Tisch liegt, oder die Nachrichtensendung, die über den Fernsehbildschirm flimmert, tragen zum Eindruck bei, die dargestellten Ereignisse seien historisch verbürgt.57
Auch die Kameraführung, Bildqualität und Montage können zum Eindruck von Authentizität beitragen. Anhand von Schindler’s List (USA 1993) und Saving Private Ryan (USA 1998) lassen sich exemplarisch einige der visuellen Mittel und Verfahren aufzeigen, die filmischen Darstellungen Authentizität verleihen. Beide Filme sind von Steven Spielberg und handeln von historischen Ereignissen der 1940er Jahre: Schindler’s List schildert, wie der Geschäftsmann Oskar Schindler jüdische Arbeiter seiner Fabrik vor der Vernichtung rettete, und Saving Private Ryan zeigt die Landung der Alliierten in der Normandie (1944). Beide Filme wurden von Filmkritiker_innen mit Bezug auf ihren Realismus bzw. ihre Authentizität besprochen,58 machen jedoch von ganz unterschiedlichen Verfahren Gebrauch. So ist Schindler’s List in Schwarz-Weiß gedreht und zeichnet sich damit durch eine Bildqualität aus, die im Allgemeinen als authentisch gilt, wobei die Filmaufnahmen nicht zuletzt durch die harten Kontraste an Wochenschauen aus den 1940er Jahren erinnern.59 Saving Private Ryan ist hingegen ein Farbfilm, dessen Anfangssequenz, in der alliierte Soldaten versuchen, den Strand von Omaha Beach zu erreichen, vor allem durch die Verwendung von Handkameras authentisch wirkt. Anders als ruhige Kamerafahrten lassen sich Aufnahmen mit Handkameras direkt an die eigene Wahrnehmung bei Bewegungen durch den Raum koppeln und erscheinen dadurch ‚echt‘. In Saving Private Ryan wird das dargestellte Chaos beim Versuch, trotz feindlichem Beschuss an Land zu gehen, zudem durch die Montage verstärkt. Die schnellen Schnitte und die flexible Kamera erzeugen den Eindruck, der Film zeige, wie die beteiligten Soldaten die Landung in der Normandie wirklich erlebt haben müssen.
Neben diesen filmästhetischen Elementen tragen auch Schrifteinblendungen, die das dargestellte Geschehen geografisch und zeitlich konkret verorten und dadurch eine historische Nachprüfbarkeit behaupten, zur Authentifizierung von fiktionalen Filmhandlungen bei. Und schließlich übernehmen auch die Werbung und die Filmkritik einen Teil dieser Funktion: Filmplakate kündigen eine „wahre Geschichte“ an, Regisseur_innen und Schauspieler_innen schildern in Interviews die Mühen, die sie auf sich genommen haben, um einen authentischen Film zu machen, und Kritiker_innen (und manchmal auf Historiker_innen) wägen in ihren Filmbesprechungen ab, wie nahe die Darstellung der historischen Realität kommt.
Der Eindruck von Authentizität entsteht im Film durch spezifische Strategien und Verfahren und ist immer eine Konstruktion. Aus analytischer Perspektive lassen sich diese Verfahren der Authentifizierung systematisch in den Blick nehmen, wobei der historische Vergleich zeigt, dass sich diese im Laufe der Zeit verändern. Der Film unterscheidet sich darin nicht von anderen Bereichen der Public History, in denen Authentizität eine zentrale Rolle spielt. Am Beispiel des Films wird jedoch die paradoxale Struktur des Authentischen besonders deutlich: Erst durch die mediale Vermittlung entsteht Authentizität.
2.5Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Authentizität vielgestaltig ist und sich immer aus der Relation zwischen Objekten und Subjekten speist. Historische Exponate oder Repliken von Objekten können dann ein Echtheitserlebnis in Gang setzen, wenn Besucher_innnen bzw. Teilnehmer_innen bereit sind, dieses als Authentizität wahrzunehmen. Als analytischer Zugang zur Public History ermöglicht es der Begriff zum einen, die Strategien und Verfahren in den Blick zu nehmen, mit denen Geschichte präsentiert und inszeniert wird. Anhand von Fallbeispielen haben wir gezeigt, dass diese je nach Ort, Medium oder Darstellungsmodus stark variieren können. Zum anderen eröffnet der Begriff eine analytische Perspektive auf unterschiedlichste Formen der Aneignung von Geschichte – von der kontemplativen Andacht im Museum, der traumähnlichen Rezeption im Kinoraum oder dem Eintauchen in Literatur über das aktive Mitwirken an einem Reenactment bis hin zum virtuellen Erleben in Computerspielen.
Nicht nur am eingangs erwähnten Beispiel von Assassin’s Creed Unity zeigt sich, dass das Versprechen von Authentizität bei der Gestaltung von Public-History-Angeboten von zentraler Bedeutung ist. Damit machen Museen, Reenactment-Gruppen und Spieleanbieter von einer Strategie Gebrauch, die in der Werbung für Konsumgüter schon länger erfolgreich zum Einsatz kommt. Diesen ökonomischen Aspekt, der sich immer mehr mit dem Begriff der Authentizität verknüpft, gilt es unseres Erachtens auch für die Geschichtswissenschaft verstärkt in den Blick zu nehmen.
Einführende Literatur
Knaller, Susanne/Müller, Harro: Authentisch/Authentizität, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 7: Register und Supplemente, Stuttgart/Weimar 2010, S. 40–65.
Lethen, Helmut: Versionen des Authentischen. Sechs Gemeinplätze, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 205–231.
Pirker, Eva Ulrike u. a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010.
Sabrow, Martin/Saupe, Achim (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016.
Saupe, Achim: Authentizität (Version: 3.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2015, https://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015, letzter Zugriff: 28.11.2020.
1 Zit. n.: Nach Notre-Dame-Brand: Ubisoft verschenkt „Assassin’s Creed Unity“, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 18.4.2019, https://www.haz.de/Nachrichten/Digital/Paris-Nach-Notre-Dame-Brand-Ubisoft-verschenkt-Assassin-s-Creed-Unity, letzter Zugriff: 20.10.2019.
2 Genaueste Nachbildung: Beim Wiederaufbau von Notre-Dame könnte ”Assassin’s Creed” helfen, in: FOCUS Online (bereitgestellt von Teleschau, 17.04.2019, URL: https://www.focus.de/digital/internet/kuenstlerin-verbrachte-zwei-jahre-in-gebaeude-wiederaufbau-von-notre-dame-mithilfe-von-assassins-creed_id_10602684.html (letzter Zugriff am 20.06.2021).
3 Vgl. Susanne Knaller: Original, Kopie, Fälschung. Authentizität als Paradoxie der Moderne, in: Martin Sabrow/Achim Saupe (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 44–61, hier S. 44.
4 Vgl. James H. Gilmore/B. Joseph Pine: Authenticity. What Consumers Really Want, Boston 2007.
5 Vgl. Sarah Banet-Weiser: Authentic TM, New York 2012.
6 Vgl. Susanne Knaller/Harro Müller: Authentisch/Authentizität, in: Karlheinz Barck u. a. (Hg.): Ästhetischen Grundbegriffe, Bd. 7: Register und Supplemente, Stuttgart/ Weimar 2010, S. 40–65, hier S. 40.
7 Regina Bendix: In Search of Authenticity. The Formation of Folklore Studies, Madison (WI) 1997.
8 Jonathan Culler hat am Beispiel des Tourismus auf diese paradoxale Struktur hingewiesen, Jonathan Culler: Semiotics of Tourism, in: American Journal of Semiotics 1/1–2 (1981), S. 127–140, hier S. 139.
9 Vgl. Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität.
10 Tino Mager: Schillernde Unschärfe. Der Begriff der Authentizität im architektonischen Erbe, Berlin 2016, S. 20.
11 Vgl. hierzu auch Helmut Lethen: Versionen des Authentischen. Sechs Gemeinplätze, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek bei Hamburg 1996, S. 205–231.
12 Mager: Schillernde Unschärfe, S. 21.
13 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 41.
14 Ebd., S. 44.
15 Vgl. hierzu Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität.
16 Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst, 2. Aufl., Dresden/Leipzig 1756, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/winckelmann1756/0001, letzter Zugriff: 1.12.2020, S. 3.
17 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 48.
18 Ebd., S. 47 f.
19 Dieter Sturma: Jean-Jacques Rousseau, München 2001, S. 183.
20 Vgl. André Bazin: Ontologie des photographischen Bildes (frz. Orig. 1945), in: ders.: Was ist Film?, Berlin 2004, S. 33–42, hier S. 37.
21 Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a.M. 1988, S. 24.
22 Theodor W. Adorno: Wörter aus der Fremde (1959), in: ders.: Noten zur Literatur, Frankfurt a.M. 2010, S. 216–232, S. 231.
23 Ders.: Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 1995 (1970), S. 272.
24 Knaller/Müller: Authentisch/Authentizität, S. 57–60.
25 Ebd., S. 45.
26 Dementsprechend beschreibt Achim Saupe Authentizität als Form der Selbstverwirklichung, die für die Hippie-Bewegung, aber auch die Neuen Sozialen Bewegungen zentral war, Achim Saupe: Authentizität (Version: 3.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.8.2015, https://docupedia.de/zg/Saupe_authentizitaet_v3_de_2015, letzter Zugriff: 28.11.2020. Die Anthropologen Richard Handler und William Saxton haben die Subjektauthentizität im Zusammenhang mit Living-History-Phänomenen beforscht und als „authentic existence“ beschrieben, Richard Handler/William Saxton: Dyssimulation. Reflexivity, Narrative, and the Quest for Authenticity in „Living History“, in: Cultural Anthropology 3 (1988), S. 242–260.
27 Martin Sabrow/Achim Saupe: Historische Authentizität. Zur Kartierung eines Forschungsfeldes, in: dies. (Hg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, S. 7–28, S. 14 f.
28 Eine solche Authentisierungsstrategie kann sich auch auf als traditionell geltende Wissensbestände beziehen. Beispielhaft lässt sich hierfür der Fall der norwegischen Nationaltracht bunad heranziehen: Ihre (kostengünstigere) Fertigung in südostasiatischen Textilfabriken warf die kontrovers diskutierte Frage auf, ob für die Herstellung eines authentischen bunad ein besonderes und lokal verortbares Wissen notwendig ist oder ob die Herstellungsart erlernt werden kann wie jede andere Technik. Der Konflikt zeigt auf, dass die Authentizität eines Objekts nicht nur aus seiner Materialität generiert wird, sondern auch aus dem Produktionsprozess und insbesondere dem Wissen der Produzierenden um die kulturelle Bedeutung eines Objekts. Vgl. hierzu: Thomas Hylland Eriksen: Traditionalism and Neoliberalism. The Norwegian Folk Dress in the 21st Century, in: Erich Kasten (Hg.): Properties of Culture – Culture as Property. Pathway to Reform in Post-Soviet Siberia, Berlin 2004, S. 267–286.
29 Sabrow/Saupe: Historische Authentizität, S. 10.
30 Vgl. Eva Ulrike Pirker/Mark Rüdiger: Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen: Annäherungen, in: Eva Ulrike Pirker u. a. (Hg.): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen, Bielefeld 2010, S. 11–30, hier S. 21.
31 Vgl. Knaller: Original, Kopie, Fälschung, S. 45.
32 Pirker/Rüdiger: Authentizitätsfiktionen, S. 14.
33 Hans-Jürgen Pandel: Authentizität, in: Ulrich Mayer u. a. (Hg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach i. Ts. 2006, S. 25–26, hier S. 25.
34 Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Die Wahrheit der Fiktion. Der Holocaust im Comic und Jugendbuch, in: Bernd Jaspert (Hg.): Wahrheit und Geschichte. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit, Hofgeismar 1993, S. 72–109.
35 Pandel: Authentizität, S. 26.
36 Vgl. hierzu Christine Gundermann: Inszenierte Vergangenheit oder wie Geschichte im Comic gemacht wird, in: Hans-Joachim Backe u. a. (Hg.): Ästhetik des Gemachten. Interdisziplinäre Beiträge zur Animations- und Comicforschung, Berlin 2018, S. 257–283.
37 Wolfgang Hardtwig/Alexander Schug (Hg.): History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009.