Kitabı oku: «Ein Mosaiksteinchen des Hintergrundes», sayfa 6
Von den Verlusten, übermenschlichen Strapazen, Gefahren und Verwundeten war sehr wenig nur so gelegentlich und nebenbei die Rede, während der Feind ständig Riesenverluste an Toten, Verwundeten und Gefangenen hatte (was damals sogar – besonders in Russland – stimmte). Ich war immerhin etwas kritischer als meine Kameraden, hatte ich doch in England so ähnliche Nachrichten gelesen – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Wir lebten in den Tag hinein, ohne an die Zukunft zu denken. Was blieb uns schließlich anderes übrig. Doch langsam wurden wir uns bewußt, daß wir irgendwann im Vorfrühling an die Front nach Rußland, wo unser Regiment stand, abgehen würden. Dieser Tag kam unerbittlich immer näher und näher.
Als es so weit war, wurde am Vorabend unseres Abganges der übliche Kameradschaftsabend in einem großen Saal des einen Hotels gefeiert. Alle Offiziere der Artilleriekaserne sowie alle Einjährigen, und zwar sowohl die, welche an die Front abgingen, als auch die, welche noch da blieben, nahmen an ihm teil.
Die verheirateten Offiziere kamen mit ihren Frauen. Von unserer Batterie waren dieses Hauptmann Emler und Oberleutnant Hamm. Es waren auch noch einige andere Frauen da. Es ging wüst zu. Soviel Alkohol – und zwar sowohl in die Kehlen als auch zum Teil über Uniformen, Damentoiletten, Tisch und Fußboden – hatte ich noch nie in meinem Leben fließen gesehen. Auch nicht so viele Scherben von zerbrochenen Gläsern und Flaschen! Noch weniger so viele »Leichen« auf und unter dem Tisch. Die einzigen halbwegs Nüchternen waren Hugo Bondy und ich. Er aus Angst wegen seiner Nieren, ich, weil ich mir aus Alkohol im allgemeinen nichts machte.
Immerhin konnten wir nicht umgehen, bei den unzähligen Toasts immer wenigstens am Glas zu nippen. Um vier Uhr früh war so gut wie alles »fertig«. Da ich und Pepa Spitz am Morgen um neun abgehen sollten, entschlossen wir uns, Bondy und ich, vorerst einmal ihn ins Bett zu bringen. Zum Glück waren die Entfernungen vom zentral gelegenen Hotel überall hin nur sehr klein. Also schleiften wir Pepa Spitz auf die Bude, die er zusammen mit Bondy bewohnte, warfen ihn aufs Bett und zogen ihm die Schuhe aus. Dann beschlossen wir, wenigstens unsere Offiziere und deren Frauen nach Hause zu schaffen.
Also kehrten wir zurück und zogen zuerst die Gattin des Hauptmanns Emler unter dem Tisch heraus. Sie war ein recht appetitliches Frauchen. Sie stammelte nur etwas Unverständliches, wir nahmen sie gemeinsam unter den Arm und tranportierten sie nach Hause, fanden in ihrem Handtäschchen die Wohnungsschlüssel, sperrten auf und legten sie, nachdem wir ihr ebenfalls die Schuhe ausgezogen hatten, ins Bett, wo sie friedlich weiterschlummerte. Dann kam die Gattin des Oberleutnants Hamm an die Reihe. Diese war etwas rundlich und wir waren nach Erledigung solcher Schwerarbeit etwas außer Atem. Auch sie hatte wohl keine Ahnung, wie sie ins Bett gekommen war. Nun schleppten wir Hauptmann Emler und nach ihm Oberleutnant Hamm in die Betten. Auch diese waren, wenn sie auch mit unserer Unterstützung, ständig zusammensackend, vorwärtstorkelten, dunkelblau. Nun hatte ich aber genug, mußte ich doch vier Stunden später mit meinem Pferd und Pepa in Bauschowitz auf der Bahn sein.
Ich nahm also von Hugo Bondy herzlich Abschied und ging mich wenigstens für drei Stunden niederlegen, nachdem ich vorher den Wecker gestellt hatte. Gepackt hatte ich vorsichtshalber bereits am Nachmittag und alles, was ich nicht mitzunehmen gedachte, an meine Eltern in Prag auf der Post aufgegeben.
Nachdem wir die Pferde im Viehwagen verstaut und versorgt hatten, und in einem Abteil zweiter Klasse nach Krakau saßen – Pepa grün, ich gelb im Gesicht, mit eingefallenen Augen, schliefen wir augenblicklich ein. Plötzlich fuhr ich in die Höhe und griff mir verstört an den Kopf. Ich rüttelte Pepa wach. »Was ist, warum läßt du mich nicht schlafen – Du Arschloch!« Ohne meine Antwort abzuwarten, drehte er sich auf die andere Seite und schnarchte weiter.
Ich ließ nicht locker und rüttelte ihn wieder wach: »So hör doch zu – ein furchtbares Malheur ist passiert!«
Er rieb sich die Augen und setzte sich auf: »Also red schon! Was ist los?« »Also, nachdem ich mit Hugo das Baby Pepa ins Bettchen gebracht hatte, gestern – nein heute war es ja schon – beförderten wir auch die Emlerin und Hammin und nachher auch Emler und Hamm ins Bett.«
»Das ist ja eine Heldentat, für das euch Emler für das Militärverdienstkreuz I. Klasse eingeben sollte.«
»Wart nur – nicht so schnell! Wir haben nämlich, wenn ich mich nicht irre – nein! ich irre mich nicht, ich weiß es bestimmt! – zu den Frauen die verkehrten Männer ins Bett gelegt!«
»Das ist ja großartig – da wird euch die Emlerin bestimmt für den Maria-Theresia-Orden eingeben!«
Ich war nicht so optimistisch, wenn auch Hamm gegen Emler ein Apoll in Luxusausgabe war.
»Wie spät ist es eigentlich? Elf? Na, da werden sie schon auf sein und es voraussichtlich gemerkt haben. Was da wohl passiert sein mag?«
Eine Weile zerbrachen wir uns über dieses anregende Thema noch den Kopf und malten uns in unserer Fantasie recht kühne Si tu a aah …. – da überwältigte uns die Müdigkeit und wir schliefen wieder ein – tief und traumlos.
Als wir nach Stunden dann erwachten, wurde ich mir dessen bewußt, daß wir uns mit jeder an uns vorüberfliegenden Telegraphenstange unaufhaltsam der Front näherten.
Ich war an einer Demarkationslinie meines Lebens angelangt – an der ersten.
Ich würde nun gezwungen sein, es ernst zu nehmen. Bei wenigen Generationen war die Zäsur zwischen sorgenfreier Kindheit und dem Ernst des Lebens so drastisch und scharf gezogen, wie bei der meinen. Unbekümmerter, als ich es bisher gewesen war, konnte wohl schwerlich jemand sein – ein ernsteres und ungewisseres Schicksal als das, dem wir entgegenfuhren, war kaum denkbar.
Peu à peu werde ich endlich ein Mann
In einem Tempo von sechzig bis siebzig Kilometern in der Stunde jagte unser Zug dahin. Das war für eine brave österreichische Lokomotive damals eine ganz schöne Leistung. Der Zug ratterte, die Wagen schüttelten. Ich mußte an unsere Pferde denken, wie die sich durcheinandergerüttelt in dem dunklen Viehwagen ängstigen müßten. In der nächsten längeren Station – ich glaube es war Olmütz – ging ich, mit einigen Würfeln Zucker versehen, zu ihnen. Als ich in den Wagen kletterte, empfing mich Sirdar, mein Roß, mit einem freudigen Gewieher. Ich beklopfte seinen Hals und bekraulte ihn hinter den Ohren, er rieb seine Nase an meiner Schulter.
So blieb ich bei ihm und fuhr einige Stunden recht unbequem im Viehwagen, bis ich in Ostrau mit Pepa die Pferde ein wenig hinauslassen, füttern und tränken konnte. Mein Pferd war – wie ich mir bewußt wurde – das erste und vorderhand auch das einzige Lebewesen, für dessen Schicksal ich mich verantwortlich fühlte. Es ging mir durch den Kopf, daß dieses gute Tier ohne die geringste Ahnung und ohne jegliches Verständnis einem ungewissen Schicksal entgegenfuhr – so ganz unschuldig und machtlos. Und ich – und all die anderen? Doch das waren jetzt ganz unnütze Gedanken, die man am besten überhaupt nicht an sich herankommen läßt.
»Was machst du da – Du Trottel!«
An diese Worte meines Vaters erinnerte ich mich nun. Doch jetzt blieb mir nur übrig in diesem Hexenkessel meine Pflicht zu tun, zu bestehen und zu trachten nicht unterzugehen.
In Krakau hatten wir einige Stunden Aufenthalt, gerade Zeit genug, um nach unseren Pferden zu sehen und rasch einen kleinen Rundgang durch diese schöne Stadt zu machen. Wir sahen die Tuchhalle, ein Stück der alten Wallanlagen, dann ging es weiter über Tarnów und Przemyśl nach Lemberg. In Tarnów sah ich die ersten Spuren des Krieges: eine zerschossene und ausgebrannte Fabrik.
Hier überall waren schon einmal die Russen gewesen, ehe sie wieder weit nach Wolhynien hinein zurückgeworfen wurden. Damals war ich noch in England. Ich erinnere mich, wie einmal Mrs. Dell zu uns kam und uns meldete, daß »Pörzmajsl is fallen«. Es dauerte lange, bis mir einfiel »Pörzmajsl« ins Deutsche zurückzuübersetzen und Przemyśl herauskam.
In Lemberg verbrachte ich die Nacht – auf die Gefahr hin von einer Wache oder Patrouille geschnappt zu werden – durch die Straßen schlendernd. In dem Zimmer des Hotels, in welchem uns von der Bahnhofkommandantur Quartier zugewiesen worden war, konnte ich nicht bleiben. Es war ein Loch mit einem Fenster in den Lichthof, unvorstellbar schmutzig. In dem Bett müssen – wie man trotz der Dunkelheit schon von der Tür aus sehen konnte – ganze Bataillone gelegen haben, ohne daß es überzogen worden wäre. Ich beschloß daher mich angezogen hinzulegen.
Da hätte ich mich schön hineingelegt! Da noch die Nächte recht kühl waren, wollte ich mich wenigstens mit der Decke zudecken. Als ich sie abhob, hatte ich zuerst das Gefühl, daß mir jemand Sand ins Gesicht gestreut hätte, dann sah ich zu meiner Verwunderung im Bett einen Ameisenhaufen von Hunderten von Ameisen herumkrabbeln – nein, das waren keine Ameisen, diese da sprangen ja auch in die Höhe und das tun im allgemeinen Ameisen nicht. Es waren Flöhe! Flöhe in solchen Massen, wie ich es weder vorher noch nachher je gesehen hatte. Und schon juckte mich der ganze Körper und brannte, wie wenn ich mich nackt in Brennesseln gewälzt hätte. Ich bin gegen diese Biester viel allergischer als gegen Wanzen, Läuse und die übrige Kleinmenagerie. Ich zog mich am Klosett komplett aus, untersuchte penibel Montur und Wäsche, erlegte vierzehn Rekordspringer, ein Fünfzehnter verübte Selbstmord, indem er, um sich zu retten in die Abortschüssel hineinsprang. Auf der Straße quälte mich das Jucken noch bis in die Morgenstunden. Im Zug erwischte ich dann noch ein letztes Prachtexemplar.
Hinter Lemberg wurde es im Zug immer einsamer und einsamer. Es begleiteten uns einige Rückkehrer vom Urlaub und kaum noch Zivilisten. Die mit Brüxer Braunkohle geheizte Lokomotive zog hinter sich über unseren Köpfen eine schwarze Wolke her, die wie eine Trauerfahne aussah. Sie drückte genau die Stimmung der Soldaten aus, die zu ihren Regimentern zurückfuhren.
Schließlich waren wir am Ende angelangt. Weiter ging der Zug nicht.
Wir waren in der Etappe. Irgendwo vor Luck. Aufgrund unserer Papiere erhielten wir eine Spezialkarte, in der die Stellung unseres Regimentskommandos eingezeichnet war. Wir sattelten unsere Pferde, schnallten die Packtaschen mit unseren notwendigsten Habseligkeiten und unsere eingerollten Decken an. Unsere Koffer würden mit dem nächsten Transport nachkommen.
So ritten wir zu zweit nach der Landkarte und dem Kompaß durch eine Vorfrühlingslandschaft, die eine Ruhe atmete, wie ich sie bisher noch nie erlebt hatte, die fünfundzwanzig Kilometer zu unserem Regimentskommando, das noch immer recht weit hinter der ersten Linie lag. Hie und da arbeitete noch ein Bauer auf seinem Feld, sonst war aber weit und breit, während unseres langen Rittes kein Mensch zu sehen. Wir beeilten uns nicht. Versäumen würden wir nichts. Im alten Österreich ging es gemütlich zu und war immer Zeit genug. Unsere Pferde waren von der langen Bahnfahrt, als sie wieder an die frische Luft kamen, etwas zappelig und nervös. Wir ließen sie daher zuerst etwas sich im Galopp auslaufen, jetzt ritten wir abwechselnd im Trab und Schritt, meist das letztere mit hängenden Zügeln.
Beim Regimentskommando angelangt, wurde Pepa zur ersten Batterie weitergeleitet. Nach der Menageausgabe nahmen wir Abschied und er ritt die wenigen Kilometer weiter. Ich blieb beim Regimentskommando und war dem Telephondienst zugeteilt. Hier löste ich mich mit einem Korporal ab. Es war tiefster Friede und er nahm den Dienst recht leicht. Bei der Ablösung erklärte er mir kurz, welches Loch im Schaltbrett mit dem dazugehörigen Lämpchen zu welcher Leitung gehörte und wie ich mit den Steckern umzugehen habe, wenn so ein Lämpchen aufleuchtete.
Die Schalttafel enthielt, soweit ich mich erinnere, weit über ein Dutzend Leitungen. Mir kam es in der Verwirrung – saß ich doch das erste Mal vor so einem Ding – vor, als wären es Hunderte. Natürlich konnte ich mir auch nach diesen flüchtigen Erklärungen unmöglich auswendig merken, welche Leitungen zur Brigade, zum Train, zu den einzelnen Batterien und so weiter führten.
»’s ist ja eh nichts los«, sagte mir der Mann und überließ mich meinem Schicksal. Ich freute mich, so einen guten Posten weit vom Schuß durch pures Glück erwischt zu haben. Da leuchtete bereits das erste Lämpchen auf. Es war ein Kamerad von der Batterie, der sich langweilte und sich mit mir unterhalten wollte. Kaum hatten wir die ersten Worte gewechselt, leuchtete ein anderes Lämpchen auf.
»Warte, da ruft jemand, ich melde mich gleich wieder.«
»Aber Quatsch, laß ihn warten, ’s is’ eh’ nichts.«
Als ich – da die Lampe weiter brannte – mich doch meldete, war es richtig ein anderer Telephonist, der sich ebenfalls nur unterhalten und wissen wollte, was es bei uns in der Zentrale Neues gäbe. So schaltete ich den ersten wieder ein und unterhielt mich abwechselnd mit beiden.
Plötzlich leuchtete eine dritte Lampe auf. Na – noch ein Telephonist, der Lageweile hat. Der kann warten. Da diese Lampe aber ungeduldig aufflammte, verlosch und wieder aufleuchtete – und das durch eine geraume Weile – so steckte ich den Stecker in das Loch, um diesem Kameraden meine Meinung zu sagen, als es mir in meiner Ohrmuschel dröhnte: »Wo zum Teufel stecken Sie, warum melden Sie sich nicht! Geben Sie mir sofort die Brigade!«
»Mit wem spreche ich bitte?«
»Ja, sind Sie denn noch nicht ganz aus dem Mutterleib heraus?! Geben Sie mir sofort die Brigade und fragen Sie nicht so blöd! Hier ist Oberst …« (Ich habe schon vergessen wie er hieß, entweder Schneider oder Schlosser, Müller, Schmidt oder sonst irgend so ein Handwerkernamen, der für einen Oberst so gar nicht paßte. Ich hätte mir vorgestellt, daß er Feuerstein, Kugler oder Kanonikus oder so ähnlich heißen müßte.) Doch das war im Augenblick von zweitrangiger Bedeutung. Jetzt ging es darum herauszubekommen, welches Loch zur Brigade gehörte! Ich versuchte mit großen Schweißtropfen auf der Stirn ein Loch nach dem anderen (außer den Zweien, die mich angerufen hatten) und es dauerte eine Ewigkeit, ehe sich jedesmal irgendwer meldete und – natürlich war die Brigade das letzte Loch, welches ich probierte. Nachdem ich die Verbindung hergestellt hatte, nahm ich mir vor, sobald meine Ablösung da sein würde, mir ein genaues Tableau mit den eingezeichneten verschiedenen Verbindungen anzufertigen, damit mir so etwas nicht wieder passiere. Es passierte auch tatsächlich nicht wieder, wenn auch nicht mittels meines Tableaus. Während ich eifrig mein Tableau zeichnete, leuchtete das verhängnisvolle Lämpchen der Kommandantur auf. Eine Ordonnanz fragte: »Was ist mit dem einjährigen Korporal Schück? Warum ist er immer noch nicht da? Er soll sofort zum Alten (das war unser Oberst) zum Rapport kommen.«
Klopfenden Herzens eilte ich hin und bereitete mir unterwegs eine schöne Rede vor, um ihm zu erklären, daß dies mein erster Dienst gewesen sei und daß ich dafür gesorgt habe, daß es sich nicht wiederhole. Ich kam jedoch nicht dazu meine schön einstudierte Rede zu halten, denn der Oberst empfing mich mit der Feststellung, ich sei zu blöde, um den Telephondienst beim Regimentskommando zu versehen, ich solle mir in der Kanzlei meine Marschorder zur Batterie drei holen. »Abtreten!«
So war mein Traum vom schönen Posten als Telephonist beim Regimentskommando zerronnen. Ich tröstete mich damit, daß es ja eh keine Dauerstellung gewesen wäre, denn nach meinem bald zu erwartenden Avancement*, hätte ich ja sowieso eine andere Zuteilung erhalten. Am nächsten Morgen sollte ich zu der so an die zwanzig Kilometer entfernten Batterie aufbrechen.
Schon in der Nacht beim Telephon hatte ich ein unangenehmes Kribbeln gefühlt, es jedoch meiner Nervosität zugeschrieben. Nun fing es in der Nacht von neuem an. Läuse! – fiel mir ein. Doch woher? Besonders, wo ich doch von Muttern, eigens gegen diese Läuse, erstens Seidenhemden (drei Stück im Ganzen) erhalten hatte, weil sich in Seide Läuse weniger halten. Dann aber vor allem einen Rehlederbeutel, an einer Seidenschnur unter dem Hemd auf der Brust zu tragen, welcher ein furchtbar stinkendes Pulver enthielt »garantiert gegen Kleiderläuse«. Diesen legte ich außer beim Waschen nie ab.
Am Morgen noch vor meinem Abschiedsrapport zog ich mich ganz aus, untersuchte meinen Körper – nichts. Als ich das Hemd wieder anziehen wollte, sagte mir mein Kanonier, der mir zugesehen hatte: »Im Hemd müssen’s nachsehen, Herr Korporal.« Was für Augen machte ich, was für ein Ekel überfiel mich, als ich in den Nähten wie auf einer Perlenschnur aufgefädelt eine ausgefressene Laus neben der anderen sitzen sah! Voller Ekel verbrannte ich das Hemd, durchsuchte gründlich meine übrige Wäsche und Montur, fand und ermordete noch drei Stück. Dann meldete ich mich beim Rapport ab, empfing meine Papiere, bestieg mein Pferd und machte mich auf den Weg.
Dieser Ritt war noch idyllischer als der gemeinsame Ritt mit Pepa zum Regiment. Es war ein herrlicher Tag mit strahlend blauem Himmel. Außer verschiedenen Vogelstimmen war kein Laut zu vernehmen. Die weite flache Landschaft atmete eine fast beängstigende Ruhe aus, Wiesen, Wälder und Felder wechselten ab. Einmal scheute mein Pferd. Knapp vor mir war ein Fuchs vorbeigeflitzt. Eine halbe Stunde später schauten mich verwundert zwei Rehe vom Waldrand her an. So ein tiefer Frieden wie hier, nur einige wenige Kilometer hinter der Front, war geradezu unwahrscheinlich. Ich hatte das Gefühl meinen schönsten Urlaub zu genießen. Nur zwei- oder dreimal erinnerten mich weit weg in der Luft explodierende Schrapnells daran, daß Krieg war. Der Knall kam jedoch so spät und leise nach dem Auftauchen des Wölkchens, daß es sehr weit weg sein mußte.
Gegen zwei Uhr mittags kam ich bei der Batterie drei an. Diese war zum Unterschied von den ersten zwei Batterien nicht mit je zwei schweren Haubitzen, sondern den neuesten weittragenden Kanonen bestückt, ebenso wie die Batterie vier. Ich meldete mich beim Batteriekommandanten, Hauptmann Grafen Meraviglia, ein freundlicher, grauhaariger Herr, der mich als erstes fragte, ob ich schon zu Mittag gegessen habe. Als ich verneinte, schickte er mich zum Koch der Offiziersmesse, er solle mir geben, was übrig geblieben sei. Ich bekam eine Erbsensuppe und kalten Reis mit Schlagsahne! Ich war sprachlos. Beim Regimentskommando war ich wie ein jeder Mannschaftskorporal behandelt worden und mußte mich mit der Mannschaftsmenage begnügen. Hier wurde ich von vornherein von allen Offizieren als zwar rangjüngerer, jedoch als Gleicher unter Gleichen, als zukünftiger Offizier behandelt. Scheinbar entpuppte sich – wie ich es später noch öfter erleben sollte – ein Unglück als das gerade Gegenteil. Viele Jahre später sollte mir einmal sogar ein Unglück, das mehr oder weniger den sicheren Tod bedeutete, das Leben retten.
Ich schlief in einem Zelt zusammen mit einem Fähnrich. Zu meinem Schrecken fühlte ich, nachdem ich mich niedergelegt hatte, wieder das verräterische, mir schon bekannte Krippeln. Ich zog mich aus – mein zweites Seidenhemd bot den gleichen Eindruck wie in der Vornacht das inzwischen verbrannte! Es war mir ein unerklärliches Rätsel. Da fiel mein Blick auf den einsam auf meiner Brust baumelnden Lederbeutel. Gegen meine bessere Überzeugung nahm ich ihn ab, da ich nun mal gründlich bin. Auf ihm saß eine Urgroßmutter. Als ich ihn aufknöpfte, um zu sehen, wie viel von dem Pulver noch drin sei, traute ich meinen Augen nicht. Er war voll – jedoch nicht mit dem Antiläusepulver, sondern gefüllt mit gut genährten lustigen Läusen, für die das Pulver scheinbar ein ganz besonderer wohlschmeckender und nahrhafter Leckerbissen war! Vom Pulver war nichts mehr übrig geblieben. So verbrannte ich den Beutel samt Inhalt – ein ganz großes Autodafé*. Mein vorletztes Seidenhemd hingegen konnte ich nicht vernichten, denn ganz ohne ein Hemd zum Wechseln konnte ich ja nicht bleiben. So ließ ich es in der Küche auskochen.
Die Batterie hatte ihre Stellung zwischen Sopanov und Dubno*. Die Offiziere, die gerade nichts zu tun hatten – und daß waren bis auf den jeweiligen Aufklärer bei der Infanterie im Schützengraben und unseren »Papa«. (so wurde der Hauptmann genannt) so ziemlich alle – ritten regelmäßig in die »Stadt« Dubno. Ich oft mit ihnen. Es herrschte ja vollkommene Ruhe an der Front. Daß es die Stille vor dem Sturm war, sollten wir nur allzu bald erfahren.
Dubno war eher ein großes Dorf als eine Stadt. Die Straßen ungepflastert, die Häuser meist nur ebenerdig. Auch an eine russische Kirche erinnere ich mich, da es die erste und einzige war, die ich jemals sah. Am Ende der Hauptstraße – ich kann mich nicht besinnen, ob es noch eine andere gab – war ein hohes Gerüst errichtet, das mit Sackleinwand bespannt war und so vor der Einsicht durch die Russen schützte. Zu meiner großen Verwunderung befand sich hier noch ein großer Teil der Bevölkerung, die sich nur einige hundert Meter hinter der Front, wie im tiefsten Frieden bewegten und ihrer Beschäftigung nachgingen. Hier war von Streichhölzern bis Strichmädchen alles zu haben, was man wollte. Ich hatte das Gefühl, daß die meisten Offiziere hauptsächlich wegen der letzteren so oft hinritten.
Ich war als Aufklärer eingeteilt und löste mich mit dem Fähnrich und einem Leutnant jeden dritten Tag im Schützengraben in der ersten Infanteriestellung ab, durch unser Feldtelephon mit der Batterie verbunden.
Es dürften so an die vierzehn Tage im tiefsten Frieden verflossen sein, als eines Abends die Russen ein mörderisches Trommelfeuer eröffneten. Es reichte von weit im Norden bis viele Kilometer südlich von uns. Die Granaten vom schwersten Kaliber bis zu Feldkanonen zerwühlten durch Tag und Nacht die Erde um unsere Schützengräben herum und machten diese dem Boden gleich. Unser Aufklärer – es war der Fähnrich, der gerade Dienst hatte, kam nicht zurück – auch das Feldtelephon blieb stumm. Als das Trommelfeuer nachließ, gingen wir, Leutnant Fischer und ich, entlang unserer Leitung vor. Das Geknatter des Gewehrfeuers und der Maschinengewehre war schon recht nah zu hören. Nach kaum hundert Metern hörten wir die ersten Geller um unsere Ohren brummen. Da kamen uns auch schon die ersten Leute von einem galizischen Infanterieregiment verstört, einige halb wahnsinnig, viele auch verwundet, entgegen gelaufen und gekrochen. Die Geller wurden bald von richtigem Gewehrfeuer abgelöst. Die Kugeln pfiffen um unsere Ohren. Ein blutender Infanteriegefreiter, hinter seinem Rucksack notdürftig gedeckt, rief uns zu: »Seit Ihnen verikt, was wullens da vorne – da is alls hin. Die Russi kommens. Laufts!«
Wir arbeiteten uns noch so an die zwanzig bis dreißig Meter vor, die Kugeln pfiffen immer dichter um unsere Ohren, von unserer Telephonleitung war keine Spur zu entdecken. Immer mehr Soldaten liefen an uns vorbei, bis der Strom abriß. Da überzeugten wir uns, daß uns nichts anderes übrig blieb, als ebenfalls den Rückzug anzutreten. Glücklich erreichten wir unsere Batterie, als diese aufgeprotzt* hatte und eben im Begriff war, abzufahren. Wir hatten sie gerade rechtzeitig erreicht, unsere Pferde waren gesattelt und so fuhren wir zurück. Während des Trommelfeuers hatten wir den Befehl, eine schwere Batterie weit hinter der russischen Front zu beschießen und zum Schweigen zu bringen. Ob das gelungen war, wußten wir nicht, hatten wir doch unseren Fähnrich verloren. Ob er gefallen oder in russische Gefangenschaft geraten war, haben wir nie erfahren. Das war der Beginn der großen Brussilowoffensive* von Luck. Meine Feuertaufe.
Wir liefen vor diesem riesigen Menschen- und Materialeinsatz nicht schlecht. Nach einiger Zeit jedoch blieb die Offensive stecken. Wir kamen wenigstens vorübergehend zum Stehen. Irgendwo bei Kamylonka Strumilova gingen wir wieder in Stellung.
Diesmal war unser Aufklärungsstand nicht im Schützengraben. Oberleutnant Fleischhacker hatte am Waldesrand recht nahe hinter unserer Infanteriestellung zwei hohe Tannen entdeckt, die kerzengerade in einem Abstand von rund fünfzig Zentimetern ganz parallel nebeneinander in die Höhe ragten. Ein Zimmermann von unserer Batterie schnitt aus starken Ästen Sprossen zurecht, mit denen er die beiden Bäume zu einer Leiter verband. Oben in den Kronen wurde dann aus Brettern eine Plattform für den Beobachter errichtet. Sie war mit einer Sitzbank sowie einem Geländer versehen und groß genug, um dort das Scherenfernrohr aufzustellen und das Telephon an einem der beiden Bäume aufzuhängen. Die Ablösung konnte nur in der Dämmerung erfolgen, da der untere Teil der Leiter von der russischen Seite einzusehen war. Der Stand befand sich am vorderen Waldesrand und die Tannen waren gute sechs Meter unten kahl. Es war ein Vergnügen da oben in luftiger Höhe zu sitzen und durch die Äste die Gegend zu betrachten. Die Sonne schien bereits recht sommerlich, es war heiß und ich bedauerte, daß ich meine feldgrüne Bluse nicht ausziehen konnte, da ein lichter Fleck zwischen den Ästen doch aufgefallen wäre. Das Vergnügen währte jedoch nur einige wenige Wochen.
Eines Tages setzte das Trommelfeuer der Russen wieder mit unverminderter Stärke ein und dauerte den ganzen Tag. Gegen Abend kamen Maschinengewehrgeratter und Gewehrfeuer hinzu, während die Artillerie verstummte. Einzelne Granaten hatten auch im Wäldchen und dahinter eingeschlagen. Meine Telephonleitung zur Batterie war unterbrochen. In der Dunkelheit bei Nacht konnte ich nichts machen und wollte daher bis zur Morgendämmerung warten, um sie wieder zu flicken. Dabei hoffte ich noch immer auf meine Ablösung – doch vergebens.
So stieg ich beim ersten Tagesschimmer vorsichtig hinab. Auch das Gewehrfeuer war verstummt. Der Angriff der Russen war also abgeschlagen. Da hörte ich unter mir im Wald Männerstimmen. Komisch – ich dachte, daß vor uns Ungarn waren und jetzt sprachen sie polnisch. Doch nein! Das war ja gar nicht polnisch, ebenso wenig, wie ungarisch – das war russisch! Da war jeder Irrtum ausgeschlossen. Zuerst blieb ich erstarrt stehen, dann arbeitete ich mich langsam und vorsichtig, damit ich kein Geräusch machte, wieder hoch.
Mein erster Gedanke war: wenn nur die unten nicht die Sprossen entdecken! Sie waren zwar unbehauen, das heißt mit Rinde, die Gefahr war jedoch immerhin recht groß. Wenn die mich entdeckt und heruntergeschossen hätten – wie leicht hätte ich mich bei einem Sturz aus über zehn Metern Höhe verletzen können! Doch die Aufmerksamkeit der vorgehenden russischen Infanteristen war aufmerksam nach vorne gerichtet, da der Waldboden mitunter von recht hohem und dichtem Gestrüpp bewachsen war. Mit knurrendem Magen wartete ich also den Abend ab. Ich hatte Zeit genug zu überlegen, was ich tun sollte. Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder – und das hätten wohl die meisten in meiner Lage getan – mich ergeben und das Kriegsende irgendwo in Sibirien zu überleben (oder auch nicht). Es gab auch die Möglichkeit die russische Front von hinten zu durchbrechen. Ich rechnete damit, daß bei einem solchen Durchbruch keine geschlossenen Fronten bestanden und es möglich sein müßte, irgendwo durchzuschlüpfen.
Abends war unten nichts mehr zu hören. Wahrscheinlich war die Front bereits einige Kilometer weit hinter mir. Ich hängte mir das Scherenfernrohr vorne um, das Feldtelephon nahm ich auf den Rücken und kroch bei einbrechender Dunkelheit vorsichtig aus meinem Nest hinunter. In der Finsternis stolperte ich nach meiner leuchtenden Bézardbussole immer weiter westwärts. Im Morgengrauen verkroch ich mich im Gestrüpp eines Waldesrandes, wo ich auch sofort vor Ermüdung und trotz des Hungers einschlief. Am Abend horchte ich, von wo der Geschützdonner kam und schleppte mich dann in der entgegengesetzten Richtung weiter. Ich hatte schon zwei Tage nichts in den Magen bekommen und hatte keine Ahnung, wann, wo und von wem ich etwas zu essen ergattern würde. Da hörte ich in der Nähe Äste knacken. Ich legte mich flach nieder und wartete.
Keine zehn Meter neben mir ging eine russische Patrouille von drei Mann vorüber. Die Leute sprachen leise miteinander. Ich fing nur einzelne Wortbrocken auf. Daran erkannte ich, daß es Russen waren. Ich hatte schon die Absicht, sie anzurufen und mich zu ergeben. Dann sagte ich mir jedoch, wenn hier die Russen patrouillieren, kann die Front nicht weit sein und somit auch ein Truppenkörper von uns. Ich wartete also, bis ich niemanden mehr hörte, und schlich dann in schräger Richtung weiter, um den Russen nicht in die Arme zu laufen.
Ich mochte mich so vorsichtig an die zwei Stunden vorwärtsgearbeitet haben, als ich in der Morgendämmerung mit dem Ruf: »Halt, wer da?«, angehalten wurde.
Ich hob sofort beide Hände und antwortete: »Gut Freund. – Ich bin ein versprengter Artillerieaufklärer und habe schon zwei Tage nichts gefressen. Führ mich dem Bataillonskommandanten vor.«
Darauf er in reinstem Weanarisch: »Ja Menschenskind dös kunn i do net, i muß dobleiba, bis i abigelöst werd.«
»Wann wird das sein?«
»No – noch so a schwachs Stündchen.«
Ich seufzte resigniert: »Na dann bleibt mir nichts übrig, als so lange noch zu warten.«
Und dabei knurrte mir gerade der Magen so vernehmlich, als ob er meine Behauptung bestätigen wollte. Er schaute mich von der Seite an, griff dann in seine Tasche und reichte mir schweigend ein Stück Brot. Ich drückte ihm die Hand und schlang es gierig hinunter. Endlich kam die Ablösung und mein Wiener führte mich zu seinem Bataillonskommandanten.
Damit war mein Durchbruch durch die russische Front erfolgreich abgeschlossen. Erwähnt wurde er weder im Heeresbericht noch in den Zeitungen. Er hatte aber auch – soweit ich es beurteilen kann – keinen durchschlagenden Einfluß auf den weiteren Verlauf des Kriegsgeschehens. Was ich aber damals noch nicht ahnte – es sollte noch geraume Zeit verfließen, ehe ich meine (mehr passive) Kriegshandlungen mit denen der österreichischen Armee vereinigen konnte und so VIRIBUS UNITIS mit ihr dem Siege entgegenzustreben – bis zur vollständigen Niederlage.