Kitabı oku: «Ein Mosaiksteinchen des Hintergrundes», sayfa 5

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Eigentlich sollte ich schon erwachsen sein

Meine Rückkehr erregte in der Akademie nicht geringes Aufsehen. In meiner Klasse sah es recht traurig aus. Rund ein Drittel meiner Mitschüler, die dem Jahrgang 96 angehörten, waren bereits eingerückt, auch zwei Professoren; der eine, unser Französischlehrer, war gefallen. Er war ein stiller freundlicher Mann gewesen, der bei den alljährlichen Schülerabenden immer vorzüglich Arien und Tänze der Renaissance und des Barock auf seiner Laute vorgetragen hatte.

Unser Lehrprogramm wurde beschleunigt und etwas reduziert durchgenommen, da bereits damit gerechnet wurde, daß auch wir übrigen, 1897 geborenen, nun bald an die Reihe kommen würden. Da ich auch noch die versäumten zwei Monate nachzuholen hatte, mußte ich büffeln, wie ich es bisher noch nie getan hatte.

Auf die historischen Ereignisse und das Geschehen auf den Kriegsschauplätzen, die in jedem Geschichtswerk nachgelesen werden können, will ich nur insoweit eingehen, als sie mich mittelbar tangierten oder die herrschende Stimmung meiner Umgebung kennzeichneten.

So rief die Flucht des Professors Thomas Masaryk nicht lange nach meiner Rückkehr in Prag große erregte Auseinandersetzungen hervor. Er war Professor der Philosophie an der Prager tschechischen Universität, Mitglied des Herrenhauses und einer der realistischen tschechischen Politiker von hohem Ansehen. Die Meinungen gingen naturgemäß stark auseinander. Für die Tschechen war er der bewunderte Held und ihre Hoffnung, für die Deutschen ein Hochverräter. Während er vor dem Krieg für eine Autonomie der Tschechen mit einem eigenen Parlament im Rahmen der österreichischen Monarchie plädiert hatte, kämpfte er nun für einen selbstständigen Staat der Tschechen und Slovaken.

Ich war aus England zurückgekehrt, weil ich mich dort gelangweilt hatte und nicht aus Patriotismus und unwiderstehlichem Drang für das Vaterland zu sterben. Dazu war ich lang genug drüben gewesen, um gemerkt zu haben, daß die Menschen mehr oder weniger überall die gleichen waren – gute und schlechte – ohne Unterschied der Nationalität oder Rasse und Staatszugehörigkeit.

Mein Bedarf an Chauvinismus war durch die ständigen Kämpfe zwischen Tschechen und Deutschen, bei denen die Juden meist die Prügel bekamen, vollauf gedeckt. Mich feige zu drücken lag nicht in meinem Charakter. Der richtige Mittelweg war, – und damit stimmte ich auch mit meinem Vater voll überein – einen Truppenkörper zu wählen, bei dem die Überlebenschance die optimalste war. Dies war eindeutig – wie allgemein angenommen – die Artillerie, womöglich die schwere. Um den Truppenkörper zu wählen, mußte man sich »freiwillig« melden. Das heißt im womöglich letzten Moment, bevor die Einberufung des betreffenden Jahrganges ausgeschrieben wurde. Natürlich mußte man vorher schon wissen, wo man die Aufnahme gesichert habe. Ich schrieb also meine Gesuche an alle Artillerie-Ersatzbatterien der Monarchie, was keine kleine Arbeit war. Gleichzeitig spannte mein Vater seine Beziehungen ein.

Die Brotfabrik hatte Heereslieferungen von Mannschafts- und Pferdezwieback und so kannte er den Prager Platzkommandanten und den Leiter des Proviantdepots, beides hohe Offiziere. Dann spannte er auch seinen Cousin, den Generalstabsarzt Gehorsam, ein. Alle versprachen zu tun, was sie konnten, und taten es auch ohne Zweifel. Alles war jedoch vergebens. Eine neueste Verordnung – da der Andrang gerade zur Artillerie und vor allem zum Train immer stärker wurde – besagte, daß jede Ersatzbatterie nur pro Jahrgang zwei Einjährig-Freiwillige aufnehmen dürfe und diese mit einem eigenen Pferd einzurücken haben. Letzteres war kein Problem, konnte ich ja im Notfall provisorisch mit einem unserer Kutschenpferde einrücken, ehe ich ein passendes Reitpferd gefunden hatte. Aber es kam eine Absage nach der anderen. Sobald ich diese von allen leichten und schweren Artillerieregimentern der Monarchie beisammenhatte, entschlossen wir uns, es bei der Kavallerie zu versuchen, obwohl wir wußten, daß diese bei der neuen Art der Kriegsführung meist ohne Roß an die Front ging und in den Schützengräben faulte – wie die Infanterie. Trotzdem war wenigstens die Ausbildung wegen des gründlichen Reitunterrichts etwas länger als bei der Infanterie.

Auch bestand eine kleine Chance, als Meldereiter oder Adjutant doch mit dem Rößlein abzugehen, und sich wenigstens teilweise etwas weiter hinten aufzuhalten. Also wählte ich je ein Ulanen- und Dragonerregiment in der Nähe von Prag. Umgehend bekam ich von beiden die Aufnahmebestätigung. Ich wählte die Ulanen*, da diese die schöneren Uniformen hatten. Nun ging ich zur Assentierung*, wo ich prompt genommen wurde.

Dann bestellte ich mir beim ersten Uniformschneider Prags eine komplette Ulanenausstattung. Den Tag vor der ersten Anprobe rief mein Vater von der Börse aus zuhause an, ich solle sofort zu meinem Schneider gehen und statt der Ulanenpracht eine nicht minder operettenhafte Artillerieuniform mit allem Drum und Dran schneidern lassen. Mittags verriet er uns freudestrahlend das Geheimnis dieses Wunders.

Es war ein Dienstag, der Hauptbörsentag, an dem mein Vater nicht nur wegen der Getreideeinkäufe für die Mühle, sondern auch wegen seiner verschiedenen Funktionen anwesend sein mußte. Nun erschien bei der Post der Odkolekwerke ein alter Lieferant, Herr Lederer, in Feuerwerkerverkleidung. (»Feuerwerker« war im alten Österreich bei der Artillerie die Rangstufe des Feldwebels.)

Ich kannte kaum jemanden, der unmartialischer* aussah als Herr Lederer: klein, dick, mit roten Bäckchen und zwei lustigen blauen Äuglein, die hinter einer starken Brille in die Welt schauten, wie die eines Säuglings an der Mutterbrust. Er kam gerade hinzu, als Herr Spitz, ein alter Prager Mehlhändler, meinem Vater vorjammerte, daß er seinen mit mir gleichaltrigen Pepa weder bei der Artillerie noch beim Train unterbringen könne. Mein Vater tröstete ihn, daß es ihm mit mir genau so erginge.

Herr Lederer hörte sich alles aufmerksam an, dann sagte er: »Und da ist Ihnen überhaupt nicht eingefallen, sich an Ihren alten Freund Lederer zu wenden?« Beide schauten ihn verwundert und ungläubig an.

»Ihre Buben sollen sich sofort Uniformen und Pferde besorgen und sich – na sagen wir – längstens am Montag nächster Woche bei mir melden. Ich bin Standesführer bei der schweren Haubitzdivision Nr. 2 in Theresienstadt. Ich werde die zwei Jüngel, die bei uns vorgemerkt sind, streichen und ihre Söhne eintragen. Sagen Sie mir auf jeden Fall ihre genauen Geburtsdaten.«

»Am 11. August 1897 in Prag«, antworteten mein Vater und Herr Spitz im Chor. »Was? Beide?«

»Ja!«

Herr Lederer ging und die beiden Väter eilten zum Telefon.

Die Kriegsmatura hatten wir schon hinter uns. Es war also alles in bester Ordnung.

Am Montag rückten wir beide mit den Kutschpferden von Odkolek, ich mit Kastor und Pepa mit Pollux als »Reitpferde« mit Sattel und Zaumzeug maskiert, ein.

So war es im alten Österreich! Die Feldwebel vermochten meist mehr als die ganze Generalität. Nicht nur der Feuerwerker Lederer brachte zustande, was den Generälen nicht gelang. Bekanntlich hat vor einem anderen aus Österreich stammenden Unteroffizier dann später die ganze deutsche Generalität strammgestanden und ist gesprungen, seinen Befehlen zu gehorchen. So wurde Europa in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt.

Wir, Pepe Spitz, ich und noch Hugo Bondy, den Herr Lederer auch noch bei einer anderen Ersatzbatterie in der gleichen Kaserne untergebracht hatte, fuhren bereits am Sonntag mit unseren Eltern nach Theresienstadt. Wir kamen in einem ausgestorbenen Städtchen an, da an diesem schönen Vorfrühlingstag alle – Militär als auch Zivilbevölkerung – entweder im nahe gelegenen Leitmeritz oder auf den Wällen oder im Drabschitzer Wald waren. Zuerst brachten wir unsere Gäule, nachdem wir sie aus dem Viehwagen befreit und die drei Kilometer von der Bahn bis zur Kaserne hinter uns hergezogen hatten, (wie gut, daß es keine feurigen Reitpferde waren!) in den Stallungen unter, wo wir dem Kanonier, der Stalldienst hatte, je eine Schachtel Zigaretten steckten, damit er sich um sie kümmere.

Dann zogen wir mit unseren Eltern los, für uns Landesverteidiger eine entsprechende Unterkunft zu suchen. Endlich fanden wir bei einer Feldwebelwitwe ein großes lichtes Zimmer mit drei Betten, das unsere Mütter nach gründlicher Kontrolle vor allem der Betten für geeignet fanden. So wurde unser Gepäck von Bauschowitz, der Eisenbahnstation von Theresienstadt, mit einer Droschke abgeholt, wo wir auch von unseren Eltern Abschied nahmen.

Nach einer Woche meldete sich bei mir der Pferdehändler, der für die Odkolekwerke die Zugpferde für die rund achtzig Lieferwagen besorgte. Die Offiziere des Theresienstädter Ulanenregiments betrieben einen regen Handel mit Reitpferden, ließen ihn jedoch aus Standesrücksichten von ihren Unteroffizieren abwickeln. Es waren die reinsten Roßtäuscher. Den mir assistierenden Pferdehändler konnten sie jedoch nicht übers Ohr hauen. So wählte ich von drei schönen Tieren einen großen starken Braunen von circa sieben Jahren mit guten Fesseln. Er war ausdauernd, ein guter Springer, hatte jedoch eine Eigenschaft, die ich leider erst später – und das im allerungeeignetsten Moment – entdeckte. Er liebte es über alles, wenn er auf weichen morastigen Boden kam, sich niederzulegen und in dem Dreck herumzuwälzen, egal ob ein Reiter auf seinem Rücken saß oder nicht. Dabei wieherte er vor Wonne und strampelte mit den Beinen wie ein frisch gebadeter Säugling. Auch für Pepa besorgte er ein Pferd und Kastor und Pollux kehrten in die Stallungen von Odkolek zurück.

Nach Absolvierung der Offiziersschule und Ablegung der mündlichen Prüfungen mußten wir bei der praktischen Prüfung eine Batterie im Galopp in Stellung auffahren lassen. Es hatte stark geregnet und der ganze Exerzierplatz war ein einziger Morast. Ich galoppierte vor der Batterie, daß das Wasser nur so spritzte und gab mit dem Säbel die Zeichen zum Abschwenken und Auffahren, als ich auf einmal fühlte, wie mein Pferd unter mir schaukelte, wie ein Besoffener in der Silvesternacht. Und schon saß es mit dem Hintern am Boden. Gerade, als es Anstalten machte sich auf die Seite zu legen, erfaßte ich die Situation und schmierte ihm mit der flachen Klinge eins über die Kruppe* und bohrte ihm gleichzeitig die Sporen in die Flanken, daß es wie ein Känguruh, das sich auf eine Aloe gesetzt hatte, in die Luft ging und einen Satz von zumindest drei Metern nach vorne machte. Es war aber auch höchste Zeit, denn das erste Geschütz war nur mehr so an die drei Meter hinter mir. Hätte mich meine Geistesgegenwart in Stich gelassen, es hätte mich nicht nur die Qualifikation gekostet, sondern fraglos auch das Leben, denn der Vorreiter hätte das Geschütz unmöglich auf eine so kurze Strecke zum Halten bringen können.

Theresienstadt war eine alte Festung, zu Maria Theresias Zeiten im Siebenjährigen Krieg angelegt. Es diente als kleine Garnisonsstadt mit einer Anzahl von Kasernen, in denen einige Artillerie-, ein Infanteriesowie ein Ulanenregiment untergebracht waren und war ringsherum von einigen Metern dicken Festungsmauern mit vorgelagerten Gräben eingeschlossen. Durch drei Tore konnte man hineingelangen. Eines gegen Bauschowitz, die drei Kilometer entfernte Bahnstation, durch das zweite auf der gegenüberliegenden Seite gelangte man in die fünf Kilometer entfernte schöne Stadt Leitmeritz auf dem anderen Elbufer. Das dritte führte an der »kleinen Festung« vorbei in die Drabschitzer Wälder mit einem Infanterieschießstand, einem Munitionsdepot und herrlichen sandigen Wegen, die phantastische Galoppierbahnen abgaben.

Die »Kleine Festung« war eine Miniaturausgabe von Theresienstadt. Der einzige Unterschied bestand darin, daß es in der Stadt selbst auch eine Zivilbevölkerung gab, daher einige Gassen mit meist ebenerdigen bis einstöckigen Häusern. Ferner war da noch ein viereckiger Marktplatz mit einigen Läden – vor allem ein gutes Delikatessengeschäft, wo wir unsere Abendessen einzukaufen pflegten, eine Kirche, ein Postamt und das Rathaus. Außerdem gab es noch zwei Hotels und einen kleinen Park. Für Kultur sorgten ein Kaffeehaus, zwei oder drei fragwürdige Weinstuben und zwei Bordelle. Vielleicht waren es auch mehrere. Ich kannte sie nur vom Hörensagen bis auf eines – das durch Zufall – unbeabsichtigt – dafür aber gründlich! Die »kleine Festung« hingegen diente nur als Gefängnis für politische Häftlinge. Sie hatte daher keine Zivilbevölkerung und bestand nur aus in die Festungswälle eingelassenen Kasematten nebst einigen ebenerdigen Baracken.

Als ich zum Korporal avanciert war, mußte ich unter anderem regelmäßig Dienst als Wachkommandant machen, ab und zu auch auf der »Kleinen Festung«. Dazu gehörte nicht nur die Ablösung der Wachposten, sondern auch eine gelegentliche Kontrolle der Gefangenen. Das Auge mußte sich erst eine Weile an die Düsternis der unterirdischen Verließe gewöhnen, ehe es etwas durch das Guckloch in der schweren Eichentür wahrnehmen konnte. Mein prominentester Häftling war Princip, der Attentäter, welcher in Sarajevo den Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Gattin erschossen und so den letzten Anstoß zum Ersten Weltkrieg gegeben hatte. Seine Schuld also war es, daß ich in einer k. u. k. Montur steckte, ihn jetzt bewachen mußte und voraussichtlich in absehbarer Zeit als Zielscheibe für russische Soldaten dienen werde, die für den Krieg ebenso wenig konnten wie ich.

Ich schaute mir ihn daher mit besonderem Interesse an. Es war jedoch an ihm absolut nichts Außergewöhnliches zu sehen, außer, daß er nur mehr aus Haut und Knochen bestand. Er starb dann auch in diesem, seinem stinkenden ungeheizten, schlecht ventilierten, feuchten und dunklen Loch an Tuberkulose. Damals wäre mir nicht im Traum eingefallen, daß ich selbst einmal in einem dieser Löcher, zusammengepfercht mit einem Dutzend von Leidensgenossen, von Flöhen gefressen werden würde!

Unsere Dressur in Theresienstadt war recht amüsant. Früh mußten wir antreten. Nach dem Appell führte uns Einjährige der Zugsführer Vobrousil hinaus auf den Exerzierplatz, um uns die üblichen »Linksum«, »Rechtsschwenkt«, »Kehrt Euch!«, »Doppelreihen rechtsum!« und ähnlichen Mumpitz, ohne den man ja keinen Krieg gewinnen kann, beizubringen. Er war so vernünftig, daß er das auch einsah und sich mit uns dahingehend einigte, daß wir uns in einem nicht eingesehenen Winkel hinter dem Exerzierplatz zurückzogen, wo wir unser Gabelfrühstück sowie einen oder mehrere Schluck Cognac mit ihm teilten, während er uns erzählte, was er – angeblich – an der Front erlebt hatte. Mittags kehrten wir – erschöpft von dieser Anstrengung – in Doppelreihen in die Kaserne zurück.

Die theoretischen Fächer wie Ballistik etc. brachte uns Oberleutnant Hamm bei, teils vor einer Tafel in der Kaserne, teils vor einem vorsintflutlichen Geschütz, das wohl seit dem Krieg im Jahre 1866 nicht mehr in Gebrauch war und mit einer, zu unserer Zeit modernen Haubitze oder weittragenden Kanone eine Ähnlichkeit hatte, wie etwa ein Orang-Utan mit einem Nobelpreisträger.

Die Reitschule führte Hauptmann Emler. Er war sehr streng, aber reiten lernten wir bei ihm zumindest, wie unsere Kameraden von den Ulanen.

Hier wäre es vielleicht am Platz, einige Worte über einzelne Einjährige respektive deren Rösser zu verlieren. Von meinem eigenen habe ich bereits gesprochen.

Pohl hatte ein abstoßend häßliches Tier. Es hatte einen so riesig großen Schädel, daß es allen Gesetzen der Schwerkraft widersprach, daß es der dünne Hals tragen konnte. Dabei war es das beste Reitpferd von allen. Galati hatte ein Streitroß mit einer so stark gebogenen Nase, daß es wie eine Karikatur aussah. Es war auch so schwer, wie wenn es einen geharnischten Ritter zum Turnier hätte tragen sollen. Dabei hatte es einen so harten Stoß, daß man im Trab gut dreißig Zentimeter in die Höhe geworfen wurde, was besonders an der Longe ohne Steigbügel recht unangenehm war. Es war eines der beiden Pferde, denen alle Einjährigen, wo sie nur konnten, auswichen.

Ein anderes war meiner Ansicht nach überhaupt kein Pferd, sondern ein Maulesel mit dem Temperament eines störrischen Esels. Es war braun-grau, hatte recht lange Ohren, wie ich sie bei einem Pferd noch nie gesehen hatte. Zum Glück war es nicht allzu groß, denn es gab keinen unter uns, den es nicht schon zumindest einmal abgeworfen hatte. Es sah recht unschuldig drein und machte, wenn man es am wenigsten erwartete, plötzlich einen Satz zur Seite oder ging mit seinem Hinterteil senkrecht in die Höhe. Dabei legte es nicht einmal wie andere richtige Pferde die Ohren nach hinten, was den Reiter warnte. Wahrscheinlich waren sie ihm dazu zu schwer.

Am lustigsten sah Hugo Bondys Pferdchen aus. Es war ein Pony – kein reinrassiges Pony, sondern eine Kreuzung zwischen Pony und Dackel! So ein kleines, und dabei so unendlich langes Pferd, habe ich noch nie gesehen. Und das hatte ausgerechnet der Längste von uns Einjährigen! Bondy war gut seine 1,90 Meter lang. Wenn er auf seiner Liliputausgabe neben meinem ungewöhnlich hohen Pferd ritt, so sah ich auf ihn hinab, wie ein Rentner, der mit seiner Pfeife im Mund aus dem ersten Stock die Passanten beobachtet. Er mußte auch die Steigbügel ganz kurz schnallen, sodaß er die Knie bis am Hals des Pferdes hatte, sonst hätte er sie am Boden nachgeschleift. Es war aber ein liebes Tier. Ich habe immer befürchtet, daß es einmal entzweibrechen würde.

Dann war noch ein armer Teufel von »Einjährigem« da. Er hieß Adler, wurde jedoch wegen seines Leibesumfangs »Doppeladler« genannt. Es war ganz ausgeschlossen, daß er allein auch nur Bondys Pony bestiegen hätte. Der Hauptmann teilte ihm jedoch mit Vorliebe Galatis Schlachtroß oder Paneks Maultier zu. Hinauf half ihm ein Kanonier, herunter kam er im Handumdrehen alleine. So beim fünften oder sechsten Sturz in der ersten Woche brach er sich ein Schlüsselbein, kam ins Spital und endete dann in der Kanzlei, wo er bis Kriegsende blieb. Offizier wurde er nie, was er leicht verschmerzte.

Später übernahm der Hauptmann Emler mit uns Terrainritte in die Umgebung, bei denen wir mit den Pferden Hänge hinauf und hinunter klettern, über Zäune und Gräben springen mußten. Im Drabschitzer Wald galoppierten wir, auf der Seite des Pferdes hängend, unter herabhängenden Ästen hindurch. Ja, einmal durchquerten wir sogar die Eger, die bei Theresienstadt in die Elbe mündet, und mußten diese mit den Pferden durchschwimmen. Diese Ausritte führten oft bis nach Lobositz oder Raudnitz, wo in einer Weinstube Rast gemacht wurde.

Täglich um fünf Uhr nachmittags war Appell – außer Sonntag, da wurde nicht Krieg geführt. Vor dem Kasernentor wartete um diese Zeit bereits eine Droschke auf mich, die mich meist mit noch einem oder dem anderen Einjährigen nach Leitmeritz brachte. Da gab es zwei elegante Kaffeehäuser, Kino und sogar ein Hoftheater. Dieses stand im Hof eines Hauses am Marktplatz. Wenn wir keine Überzeitzettel hatten, mußten wir um neun Uhr zu Hause sein. Ein Trompeter blies um diese Zeit fast sauber, aber recht lautstark die Retraite*, die weit über die Stadt hinaus zu hören war.

Eines Tages überzogen wir, fünf Einjährige an der Zahl, in Leitmeritz, sodaß wir unmöglich vor zehn in Theresienstadt zurück sein konnten. Da dort ständig Patrouillen der verschiedenen Regimenter herumstreiften, konnte dies recht unangenehme Folgen haben. Wir berieten auf der Landstraße von Leitmeritz, was da zu tun sei. Da hatte Spitz das Ei des Kolumbus auf den Kopf getroffen! Wir formierten uns zu zweit und Pepa Spitz führte uns mit gezogenem Säbel als »Patrouille« an. Kaum hatten wir das Festungstor von Theresienstadt passiert, kam uns eine Patrouille des 42. Infanterieregimentes entgegen. Pepa Spitz kommandierte forsch: »Patrouille rrrrechts schaut!«, worauf der Infanterieleutnant mit dem gleichen Kommando antwortete. So zogen die zwei Patrouillen stramm aneinander vorüber.

Mit der Zeit wurde mir das Zusammenwohnen zu dritt lästig. Wir störten ja doch einer den anderen. Überdies war die Feldwebelin weder liebenswürdig noch sauber. Einen vollen Monat ließ sie die Betten unüberzogen. Vielleicht wollte sie uns auf die Front vorbereiten, wo ja die Bettwäsche auch nicht wöchentlich gewechselt wurde. Ich entschloß mich, mir ein anderes Quartier zu suchen. Lange konnte ich nichts Geeignetes finden, bis ich eines Tages in einer Querstraße in einem großen einstöckigen Haus einen Laden sah. Über der Tür hing noch die Tafel »Tabaktrafik«, auf der Tür jedoch ein Zettel »ZU VERMIETEN«.

Hinter der Tür hing ein Tüllvorhang. Es war schwer durch diesen viel zu erkennen. Soviel jedoch sah ich, daß der Raum zum Wohnen eingerichtet und hinten scheinbar von einem zweiten mittels einer Mattglaswand abgeteilt war. Ich ging also durch die Einfahrt in den Hof, wo laut Angabe nähere Auskünfte und die Schlüssel zu haben waren. In der Durchfahrt sah ich, daß scheinbar in den rückwärtigen Raum eine zweite Tür führte. Gegenüber war ein breites Stiegenhaus mit einem roten Kokosläufer bespannt, für Theresienstadt ein ganz ungewöhnlicher Luxus. Das Haus machte einen recht vornehmen und distinguierten Eindruck. Es war das vornehmste von ganz Theresienstadt. Die ältere Frau, die ich im Hof aufgestöbert hatte, öffnete mir die Gangtür und knipste das elektrische Licht an. Der Lampenschirm war mit einem roten Seidenschirm versehen. Im Raum befanden sich ein sauberes Bett mit Nachttischchen, ein Schrank, Waschtisch und ein Sessel. Ich hatte richtig gesehen. Bis auf eine, mit einer Portière* verhangenen Öffnung, war die ganze Breite des Raumes vom vorderen Raum mittels einer Milchglaswand abgeteilt. In diesem befanden sich ein Tisch, ein Sofa und zwei Stühle, ein eiserner Ofen und eine Stehlampe mit Pergamentschirm. Vor der Tür hing ein Lambrequin* gegen Zugluft, und vor der Verglasung der bereits erwähnte Tüllvorhang, davor ein schwer zuziehbarer dunkelblauer Samtvorhang.

Das Ganze gefiel mir. So hatte ich ein Appartement mit Wohn- und Schlafraum. Mit dem Mietpreis war ich auch einverstanden. Ich zahlte einen Monat in voraus und bekam beide Schlüssel meines Quartiers. Den Haustorschlüssel brauchte ich nicht, da das Haus nicht abgesperrt würde. Ich nahm an, daß wahrscheinlich ein oder der andere Offizier der in nächster Nähe sich befindenden Kavalleriekaserne seine Dogcart* im Hof abzustellen pflege, und daß dies wohl der Grund sein müsse.

Ich fuhr an diesem Tag nicht nach Leitmeritz, sondern packte meine Habseligkeiten zusammen und übersiedelte. Um sieben war ich eingerichtet, sah mich wohlgefällig um und ging mir im Delikatessengeschäft ein Abendessen einkaufen. Ich verzehrte es in Ruhe. Dann wusch ich das Geschirr im Waschbecken ab, wobei mir einfiel, daß ich vergessen hatte zu konstatieren, wo sich das WC befinde. Ich suchte die Alte, die mir das Quartier vermietet hatte auf und erfuhr, daß ich das im Hof (hinter der Einfahrt zweite Tür links) benutzen könne. Den Schlüssel bekam ich. Dies war der erste Minuspunkt – hoffentlich der einzige.

Als ich die Tür zu meinem Schlafzimmer öffnete, prallte ich zurück. Der Raum war angefüllt mit drei lachenden Mädchen. Wie wäre er erst voll gewesen, wenn diese etwas angehabt hätten! Zwei saßen, so wie sie geschaffen waren auf meinem Bett, die dritte im gleichen Kostüm in dem Sessel. Ich war sprachlos und glaubte zu träumen. Dazu paßten auch die Sphärenklänge, die an mein Ohr schlugen und – wie sich herausstellte – von einem Orchestrion* im ersten Stock herrührten. Jetzt begriff ich den roten Kokosläufer, das stets offene Haustor und da erinnerte ich mich – worauf ich bisher nicht geachtet hatte – auch an die rote Laterne über demselben. Kurz: Ich wohnte in einem Puff! Wenn auch in dem Nobelsten von Theresienstadt, so hatte ich doch – von meinem Vater dringendst gewarnt – eine Heidenangst vor Geschlechtskrankheiten, was besonders in so einer Garnisonsstadt voll berechtigt war.

Da war auch schon das eine Mädchen aufgesprungen und fiel mir mit den Worten um den Hals: »Na Bubi, wie gefällt es dir bei uns? Das hast du dir ja prima ausgesucht!«

Mein Gehirn arbeitete fieberhaft, wie ich meine Besucherinnen wieder los werden könnte, ohne sie zu kränken, denn diese armen Dinger taten mir immer schon leid.

In der Zeitnot hatte ich keinen besseren Einfall, als ihr ins Ohr zu flüstern: »Mit mir ist nichts zu machen, ich bin ein Warmer. Aber sag es bitte niemandem!« Das half! Natürlich sagten sie es allen Mädchen. So hatte ich von nun an Ruhe. Begreiflicherweise wollte ich jedoch trotzdem da nicht weiter wohnen bleiben.

Vergebens suchte ich durch einige Wochen ein anderes Quartier, bis ich von einem Bekannten, der bei den 42-ern diente, sein Zimmer erbte, als er an die Front abging. Ich hütete mein Geheimnis ängstlich, denn wenn meine Kameraden den Tatbestand erfahren hätten – nicht auszudenken, was sich in meiner Bude getan hätte!

Im Herbst, wenn die Rübenfelder abgeerntet waren, fand der obligate Hubertusritt statt, an dem so rund dreißig Offiziere und Einjährige aller drei Ersatzbatterien teilnahmen. Hauptmann Emler hatte die Trasse abgesteckt. Es war ein Terrainritt, der an die Reiter recht hohe Ansprüche stellte. Kaum die Hälfte erreichte das Finish. Es fand auf einer großen Ebene von abgeernteten Feldern statt, die in einem Bogen von einem Feldweg durchzogen waren. Dieser war am Anfang recht tief und gut drei Meter breit. Er stieg langsam bis auf das gleiche Niveau mit den Feldern an. Emler hatte die Bahn in einem flachen Bogen gewählt, um den tiefen und breiten Graben zu vermeiden, da er wohl fürchtete, daß da die Hälfte der Reiter stürzen und es Knochenbrüche geben würde.

Da zeigte es sich, daß mein Pferd zwar klug aber ungebildet war. Es erfaßte die Situation. Ehe ich mich versah, war es ausgebrochen, setzte über den tiefen Graben hinweg und lief, was seine Kräfte hergaben – ich hatte es inzwischen wieder in die Hand bekommen – geradeaus direkt auf das Ziel los, wo ich infolge der Abkürzung als Erster durchs Ziel ging, jedoch trotz des schönen Sprunges mit Rücksicht auf meine Linksabweichung disqualifiziert wurde. Mit Recht. Mein Pferd kannte eben die Spielregeln nicht.

Zu Weihnachten bekamen wir drei Tage Urlaub, um nach Hause fahren zu können. Der Heilige Abend war ein Freitag. Wir, Pepa Spitz, Hugo Bondy und ich, hatten mit unserem Zugsführer Vobrousil besprochen, daß wir schon am Donnerstag nach dem Appell um fünf Uhr verschwinden könnten, da uns am Heiligen Abend niemand mehr suchen würde. Die Urlaubscheine hatte er uns auch schon beschafft. Also wartete bereits um fünf Uhr die Droschke vor dem Kasernentor, die uns auf die Bahn nach Bauschowitz brachte.

Nach acht Uhr abends kamen wir in Prag an und waren nicht wenig überrascht, unsere vereinten Elternpaare auf dem Bahnhof vorzufinden. Sie sahen gar nicht besonders glücklich aus. Woher wußten sie überhaupt, daß wir schon heute, Donnerstag abends, ankommen würden? Die Lösung des Rätsels erfuhren wir sehr schnell. Kaum waren wir durch das Kasernentor verschwunden, so erfuhr Vobrousil, daß wir uns am Freitag beim Morgenrapport abmelden müßten. Darauf setzte er sich mit dem Feuerwerker Lederer ins Einvernehmen. Der gab ihm die Adresse meines Vaters, worauf er diesen sofort telephonisch verständigte, daß wir am nächsten Morgen um sieben Uhr beim Rapport anwesend sein müßten.

Mein Vater studierte den Fahrplan und konstatierte mit Schrecken, daß weder nach Bauschowitz noch nach Leitmeritz von Prag aus ein Zug ging, der noch rechtzeitig dort eintreffen würde. Dann entdeckte er schließlich die einzige Möglichkeit, einen beschleunigten Personenzug von Wien über Brandeis an der Elbe und Leitmeritz nach Bodenbach. Dieser kam um halb sechs in Leitmeritz an. Den also mußten wir erreichen. Brandeis ist rund dreißig Kilometer von Prag entfernt. Er rief in der Fabrik an, daß der Landauer sofort eingespannt werden solle und um acht Uhr vor dem Bahnhof zu warten habe. Der Kutscher möge sich warm anziehen, da er in der Nacht einige Stunden bei der schneidenden Kälte unterwegs sein würde. Er möge auch genügend Decken mitnehmen, da der Wagen offen war. So brachten uns unsere besorgten Eltern zur Kutsche, wir stiegen ein und kamen zwei Stunden vor der Abfahrt des Zuges dank Kastor und Pollux halb erfroren in Brandeis an, wo wir uns im ungeheizten Warteraum mit den verschiedensten Turnübungen und Laufschritt um den Tisch herum warmhielten. In Leitmeritz stiegen wir nicht am Stadtbahnhof, sondern am Hauptbahnhof vor der Stadt aus, um der Bahnhofswache nicht in die Arme zu rennen. Von da hatten wir ein schönes Stück Wegs zu laufen, um noch rechtzeitig zu erscheinen. Vobrousil und Lederer atmeten auf, als die drei Deserteure fünf Minuten vor dem Appell mit roten Ohren und Nasen auftauchten. Zehn Minuten später traten wir wieder ab und präsentierten Vobrousil eine weihnachtsmäßig verpackte silberne Tabatière* mit Zigaretten, die mir mein Vater für ihn mitgegeben hatte. Er hatte, während wir nichtsahnend im Zug von Bauschowitz nach Prag saßen, nicht nur die Rückfahrtkombination ausspekuliert und alles Notwendige veranlaßt, sondern auch noch diese Aufmerksamkeit für Vobrousil besorgt. Das war mein Vater, ein Meister im Durchdenken und Organisieren eines jeden – auch viel komplizierteren Problems, wie dieses, seiner praktischen Durchführung und das bis ins kleinste Detail, ohne etwas zu übersehen. Dies ist wohl das Wichtigste, was ich von ihm – und wohl überhaupt – gelernt habe. Drei Stunden später waren wir wieder auf dem gleichen Prager Bahnhof und die gleichen Eltern erwarteten uns – diesmal mit freudigeren Gesichtern!

Diese Zeit in Theresienstadt war trotz Krieg und militärischem Drill das letzte Kapitel sorgenfreier Kindheit gewesen. Ich hatte keine selbständigen Entscheidungen zu treffen, mußte nicht für meinen Unterhalt sorgen und hatte alles, was ich brauchte. Sowohl in der Offiziersschule als auch in den Berichten in der Zeitung wurde der Krieg glorifiziert. Es war nur von den Erfolgen die Rede, die damals sogar größtenteils stimmten. Wenn wir irgendwo zurückgingen, so waren dieses »strategische Umgruppierungen«, vor allem in Serbien. Die Angehörigen der Armeen der Zentralmächte waren ausnahmslos Helden (bis auf die »hochverräterischen« Tschechen, auch Kroaten und Ruthenen, die überliefen, soweit dies überhaupt erwähnt wurde).

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
796 s. 28 illüstrasyon
ISBN:
9783960081739
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Metin
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