Kitabı oku: «Ein Mosaiksteinchen des Hintergrundes», sayfa 8

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»Erwinek, wie kommst du zu dem Blech?«

»Na also – das war eine merkwürdige Geschichte. Dir kann ich es ja erzählen. Es war ziemlich bald nach Kriegsbeginn. Mein Bataillon lag irgendwo in den Karpaten. Für richtige Schützengräben hatten wir keine Zeit – auch war der Boden recht hart und felsig. So lagen wir hinter den Spanischen Reitern in von der Natur geschaffenen Gruben. In der Nacht mußte immer einer vorkriechen, auf Feldwache. Mein Bataillonskommandant war so ein Hundian, der es auf die Reserveoffiziere besonders scharf hatte. Die waren für ihn nur die »dalkerten Zivilisten«. Die setzte er ein, wo es am dreckigsten zuging. Aber erst die Einjährigen! Die hatten unter ihm die reinste Hölle. Wenn es am gefährlichsten war, so konntest du Gift darauf nehmen, dann hieß es »Einjähriger Popper oder Lederer oder Konicek nun mal los!« Und mit einem Feldtelephon kroch man dann zwischen den Spanischen Reitern nach vorne und mußte sehen, wo man halbwegs geschützte Deckung fand.

Na, also da schickte mich der Hund wieder mal nach vorne auf Feldwache. Ich fand mit zitternden Knien einen schönen – sehr schönen, tiefen Granattrichter, in den ich hinabstieg. Unter uns – von dort hätte ich auch bei Tag und strahlender Sonne nicht viel gesehen. Na und wie ich dann im Morgengrauen wieder erwachte, rieb ich mir zuerst die Augen – ehrlich gesagt, ich habe mich beschissen. Ich hob die Hände, denn vor mir stand ein Russe mit dem auf mich gerichteten Gewehr. Ich sage dir der war, nicht aufgeschnitten – Ehrenwort! – zumindest 1,90 Meter groß und Füße hatte der! Ich sah über den Trichterrand seine Stiefel vorragen – die genügten allein, mich mit einem Tritt fertigzumachen! Und was geschah? Er schüttelte den Kopf und sagte mit seiner weichen Aussprache: »Njiecht du gefanghen – ijch gefanghen!«

Na so blieb mir nichts anderes übrig, als »karascho«* (das einzige russische Wort, das ich kannte,) zu sagen, aus meinem Trichter zu steigen und zurück zu meinem Bataillon zu kriechen, meinen Gefangenen hinter mir! Verstehst du? H i n t e r mir – und dabei hatte ich gar nicht daran gedacht, ihn zu entwaffnen! So krochen wir bis zu unserem Truppenkörper, dann standen wir auf und ich führte ihn mit geschultertem Gewehr – er hinter mir mit seinem Schießprügel in der Hand – dem Bataillonskommandanten vor. Der glotzte uns wie blöd an. Wir sahen wirklich aus wie David und Goliath, nur daß, wenn man es wörtlich nimmt, ich den Kopf verloren hatte. So brachte ich den ersten russischen Gefangenen unseres Bataillons heim. Daß sich der Russe ergeben haben könnte, das fiel unserem blöden Alten gar nicht ein. Na und so gab er mich für diese wohlverdiente Tapferkeitsmedaille ein.«

Das war die Geschichte von Erwinek.

Seitdem bin ich gegenüber allen »Helden« etwas skeptisch geworden. Im Laufe der Jahre habe ich mich überzeugt, daß das Heldentum entweder der Ignoranz, das heißt, dem Nichtbegreifen der Gefahr entspringt oder aus Angst einer Flucht nach vorne! Nur äußerst selten sind Menschen mutig aus Fanatismus bei voller Erkenntnis des Risikos, bei bewußtem Abwägen desselben mit dem möglichen Effekt.

Am nächsten Tag endete mein Urlaub. Mit einem Gepäck wie eine Filmdiva fuhr ich nach Wien zurück. Ich hatte meinen Waffenrock, braune Bluse, Salonhosen, Salonbridges, schwarze Reithosen, langen Pelz, leichten Mantel, Ulanka mit Opossumkragen und goldenen Fangschnüren, schwarze Offizierskappe – alles mehr oder weniger vorschriftswidrig, alles so recht wie aus einer Operette. Zu meiner Rechtfertigung will ich nur bemerken, daß fast alle österreichischen Offiziere im Hinterland – natürlich insbesondere in Wien – so herumliefen.

Der Abschied war diesmal nicht so aufregend, denn es bestand kein Zweifel, daß man sich bald in Wien wiedersehen würde.

Die Geschichte dreier Malheure oder Pst! Darüber darf man nicht sprechen

Nachdem ich von meinem Urlaub nach Wien zurückgekehrt war, stattete ich auf Wunsch meines Vaters, seiner mir bis dahin unbekannten Cousine, einen Anstandsbesuch ab. Ich war zum Kaffee eingeladen. Die Tante Helen war eine liebenswürdige, zarte Dame von beiläufig sechzig Jahren. Das Gebäck war sehr gut, der Kaffee sehr dünn und auch das Gespräch wurde immer dünner und dünner. Nachdem ich einige Erlebnisse von der Front zum besten gegeben hatte, drohte es vollkommen zu versiegen.

Da signalisierte ein Aufleuchten in den gütigen Augen der Tante eine Rettung.

»Warte mal – ich habe da unlängst beim Ordnungmachen eine Ansichtskarte deiner Eltern von ihrer Hochzeitsreise gefunden; die muß ich dir zeigen. Wo habe ich sie nur gleich? – Na ja – ich werde sie schon finden.«

Und wirklich nach kaum fünf Minuten erschien sie mit einer schauderhaft kolorierten Ansichtskarte – der Ansichtskarte – von Venedig: die Piazetta mit Dogenpalast, Markuskirche, Campanile – und vorne natürlich die obligate Gondel mit einem Pärchen und dem rudernden und singenden Gondoliere. Nachdem ich sie pflichtschuldig genügend lang betrachtet hatte, drehte ich sie um. An ihr war nichts Besonderes – oder doch! Mein Blick blieb auf dem Datum hängen: 4. März 1897.

Ich schaute nochmals genau hin, ob ich mich nicht getäuscht habe.

Nein – da stand klar und deutlich der vierte März achtzehnhundertsiebenundneunzig. Auch der Poststempel bestätigte es. Ich begann, an meinen Fingern abzuzählen: April – Mai – Juni – Juli – August. Und das ganz unbewußt auch noch laut! Die Tante wurde feuerrot, ihre Lippen zitterten. Jeden Moment mußte sie zusammenbrechen. In ihren Augen funkelten Tränen.

Vor meinen Augen tauchte plötzlich eine längst ins Unterbewußtsein untergetauchte Szene auf: Das Ehepaar Spitz war bei uns zu Besuch. Ich weiß nicht mehr, wie das Gespräch darauf gekommen war – es hatte mich bis dahin auch nicht interessiert. Ich war ja auch noch recht klein und hatte im »Salon«, wenn Gäste da waren, nichts zu suchen. Mein Interesse wuchs jedoch zusehends, als mein Vater zu Herrn Spitz schmunzelnd sagte: »Erinnern Sie sich noch? Damals an –« und mit einem Seitenblick auf mich, »ja, – damals an dem Sonntag, als sich unsere Hochzeitszüge auf dem Altstädter Ring begegneten, wir fuhren in die Pinkassynagoge und Sie gerade schon aus dieser ins Hotel Bristol zum Hochzeitsessen. Es kommt nicht oft vor«, mit einer galanten Verbeugung gegen Frau Spitz, »daß sich zwei Hochzeitszüge mit so schönen Bräuten begegnen«, und mit einem spitzbübischen Lächeln, »und daß ausgerechnet dann am gleichen Tag – am 11. August – es Frau Popper, die Hebamme – gerade noch schaffte, rechtzeitig von uns in der Rosengasse in die Gerstengasse zu kommen, um auch Ihren Buben ans Tageslicht – eigentlich schon in die Nachtdunkelheit, aber immer noch am 11. August, zu befördern! So ein Zufall!«

Als ich aufblickte und meine aufgelöste Tante ansah, brach ich in ein schallendes Gelächter aus. Nein so etwas! Wenn man bedenkt, daß das in der alten österreichischen Monarchie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts bei den damaligen strengen und spießigen moralischen Ansichten passiert war – und das noch dazu meiner Mutter, die jedem Maler für die Allegorie der Sittsamkeit hätte als ideales Modell dienen können, vor der ich – so prüde war sie – nie gewagt hätte auch nur einen Ausdruck – wie etwa Popo – auszusprechen, ohne sie bis hinter die Ohren erröten zu machen! Wie muß sie meinen Vater geliebt haben! Und das zu einer Zeit, in der das Gretchendrama als eine ganz selbstverständliche und natürliche Tragödie – ohne Anflug von Komik – empfunden wurde!

Die Tante atmete erleichtert auf, als sie mich lachen sah und daraus mit Recht folgerte, daß ich nicht nach dem Revolver greifen würde, um mir als k. u. k. Offizier wegen dieser »Schande« eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Ich mußte ihr schwören, daß ich nie meinen Eltern verraten würde, daß ich von ihrem Geheimnis wisse.

Zu Hause wurde aber nie der Hochzeitstag gefeiert – oder doch!

Einmal – die Silberne Hochzeit – mit einem kleinen Schwindel, das heißt im November 1921. Aber nein! Ohne Schwindel! Der richtige Gedenktag ist ja doch der Vollzug der Ehe und nicht der Tag der amtlichen Bestätigung derselben.

Wir Kinder – ich war gerade rund ein halbes Jahr verheiratet, mein Bruder studierte noch und meine Schwester war zwanzig Jahre alt – beschlossen, das Geschenk zu diesem Festtag gemeinsam zu kaufen, um unseren Eltern mit etwas wirklich Schönem überraschen zu können. Ich brachte, da ich bereits verdiente – wenn auch nicht allzuviel – zweitausend Kronen auf, meine Geschwister von ihren Ersparnissen je tausend.

Die Wahl des Geschenkes erfolgte nach streng demokratischen Grundsätzen: auf jede tausend Kronen, je eine Stimme. Bei Stimmengleichheit entschied die Stimme des Vorsitzenden. Den Vorsitz führte als Ältester natürlich ich. So siegte nach einer Kampfabstimmung – wie erwartbar- mein Antrag: eine Teegarnitur – Teekanne, Milchkanne und Zuckerdose.

Mit dem Einkauf wurde meine Schwester zusammen mit meiner Frau betraut. Sie gingen also zu Herrn Pollak, Silberwaren en gros, in der Bredauergasse, wo seine Geschäftsräume in einem alten Palais den ganzen ersten Stock einnahmen. Nachdem die Einkaufskommission ihre Wünsche und die beiläufige Preislage bekanntgegeben hatte und während ein Angestellter die gewünschten Objekte vorlegte, schaute Herr Pollak unverwandt meine Frau an. Auf einmal schien ihm ein Licht aufzugehen. »Entschuldigen Sie gnädiges Fräulein«, zu meiner Frau, »sind Sie nicht die Konzertpianistin Grete Antscherl?«

»Ja und das ist«, auf meine Schwester zeigend, »meine Schwägerin, Marianne Schück.«

»Und wenn es erlaubt ist zu fragen, für wen brauchen Sie die Teegarnitur?« »Was?! Für den Rat Schück zur silbernen Hochzeit? In diesem Fall kommt das alles da natürlich überhaupt nicht in Frage! Herr Jelinek, tragen Sie das weg und bringen Sie die Sachen aus den Vitrinen elf und zwölf!«

Als die beiden Mädel dann wieder auf der Straße standen, sahen sie sich erst einmal einander durch eine Ewigkeit verstört und schweigend an. Als erste fand meine Frau die Sprache wieder.

Mit schwacher Stimme flüsterte sie: »Was machen wir jetzt – das ist ja schrecklich!«

Nach einer Weile meine Schwester recht unsicher: »Ich werde das schon irgendwie in Ordnung bringen.«

Und nach kurzem Nachdenken schon etwas zuversichtlicher lächelnd: »Hab keine Angst, so wird es gehen.«

Mittags beim Essen war sie ungewöhnlich still.

»Was ist mit dir?«, forschte besorgt meine Mutter.

Mein Vater wurde aufmerksam.

»Was hast du?«, und scherzend, »Liebeskummer?«

»Ich muß, bis du weggehst, mit dir sprechen, Papa, – unter vier Augen.«

Als sie dann hinuntergingen und mein Vater sie fragend ansah, platzte sie heraus: »Papa, mir ist ein großes Malheur passiert!«

»Um Gottes Willen, wie war das möglich?!«, und nach einer kleinen Weile ruhiger, »Mit wem?«

Sie sah ihn spitzbübisch an und lachte: »Nicht so, wie du meinst, Papa!« »Gott sei Dank! Uff.. also, was ist es?«

Sie bohrte verlegen ihren Zeigefinger in das Knopfloch der Klappe seines Rockes und schaute schelmisch zu ihm auf: »Weißt du, Papa, wir haben euch zusammen etwas Schönes zur silbernen Hochzeit kaufen wollen und so war ich mit der Grete beim Herrn Pollak und – und – kurz, er hat uns geradezu vergewaltigt. Ehe wir so richtig zur Besinnung kamen, hatten wir etwas gekauft, das – nun – unsere vereinten finanziellen Mittel etwas übersteigt!«

»Und du meinst also, daß mir nichts übrig bleibt, als die Differenz für mein Geschenk selbst zu bezahlen?« Und noch immer schmunzelte er recht vergnügt und erleichtert nach dem Schrecken.

»Ich fürchte, daß du Recht hast, Papa.«

»Na und wie viel habt Ihr dafür zusammengekratzt?«

»Viertausend Kronen!«

»Nun, da seid ihr ja recht nobel gewesen, dafür kann man ja schon allerhand bekommen. – Und wie groß ist die Differenz, die auf mich entfällt?«

»21.000 Kronen«, flüsterte meine Schwester mit niedergeschlagenen Augen.

Die Garnitur war aber auch danach! An die fünfzehn Kilo schweres Silber, neun Stück mit Elfenbeingriffen. Das Tablett so mächtig, daß meine Mutter noch einen extra großen, soliden Teewagen in Sonderanfertigung um weitere 1200 Kronen anschaffen mußte. Die Garnitur war einfach anders nirgends unterzubringen und kein Stubenmädchen war kräftig genug, sie zu tragen.

Dieses Kapitel hat keinen Titel

»Ich hoffe, daß Sie mir diese kleine Abschweifung in alte Zeiten und in die Zukunft entschuldigen werden. Ich werde mich von nun an – das verspreche ich Ihnen, gnädige Frau, – etwas strenger an die zeitliche Reihenfolge halten – und hoffe, daß ich nicht wortbrüchig werde.«

In Wien hatte ich damals im Herbst 1916 einen recht ausgedehnten Bekannten- und Verwandtenkreis. Zuerst waren da Kellners. Ernst hatte gerade Studienurlaub – er studierte Medizin. Dann war da die bereits erwähnte Tante Helen mit ihren drei verheirateten Töchtern, die ich damals allerdings noch nicht kannte. Dann die Familie ihres Bruders Beck. Dieser war damals zwar nicht mehr am Leben, trotzdem muß ich hier einiges über ihn berichten. Den Onkel Beck, genannt »Gustav II.« hatten wir Kinder in guter Erinnerung. Er hatte in Wien einige Spielwarengeschäfte »Zum Puppenkönig«, handelte aber auch im Großen.

Daher kam er auch einmal im Jahr nach Prag, um Abschlüsse für das Weihnachtsgeschäft zu tätigen. Gleichzeitig mit ihm kam auch immer – meist separat ein großes Paket mit der Post oder Bahn, das jedoch auf dem Dachboden unausgepackt verschwand, um dann zu Weihnachten feierlich geöffnet zu werden. Ich weiß nicht, ob alle Prager Kinder einen Weihnachtsbaum hatten – die jüdischen natürlich ausnahmslos. An zwei Geschenke erinnere ich mich wegen ihrer Großartigkeit. Das eine war ein Schaukelpferd, kein gewöhnliches, nein, eines wie ich es weder vorher noch nachher je wieder gesehen habe: es war mit echtem Pferdefell bezogen, hatte Schwanz und Mähne aus echtem Roßhaar, herrliche goldbraune Glasaugen, ein ledernes Sattelzeug wie ein wirkliches. Dabei schwebte es in Galoppstellung mit allen vier Beinen in der Luft, nur von einer starken Feder gehalten. Beim Schaukeln trieb diese mittels einer Zahnradübertragung die kleinen Räder des Eisengestells vorwärts. Die Vorderräder waren verstellbar, sodaß man nach Wunsch geradeaus oder in einem beliebig großen Kreis »reiten« konnte. Ich hatte es so eingestellt, daß wir im Speisezimmer rund um den Tisch ritten, was dem Perserteppich nicht sehr zuträglich war.

Das andere Geschenk war eine große japanische Puppe mit einer hohen kunstvollen Frisur aus echtem Haar, mit wundervollen geschlitzten Augen, die sie öffnen und schließen konnte, und einem Brokatkimono mit Seidenschärpe. Von dieser Puppe habe ich oft geträumt. Im Traum sprach ich mit ihr fließend japanisch. Sie lächelte und fächerte sich mit ihrem echten japanischen Fächer. Da ich keinen Sexualunterricht genossen hatte, blieb es bei dieser Ouverture.

Wir liebten daher Onkel Gustav II. Das einzige Störende war, daß ich meinen Dankesbrief unter allen Umständen bis längstens Neujahr geschrieben haben mußte. Darauf bestand mein Vater bedingungslos. Er pflegte immer zu sagen: »Man schenkt zwar nicht des Dankes wegen, sondern um Freude zu bereiten. Der Beschenkte muß aber zeigen, daß dieses Ziel erreicht wurde, damit auch der Schenkende sich darüber freut.« Das kostete anfangs immer einige zerkaute Federhalter. Dann überlegte ich, daß Gustav II. unmöglich sich durch 365 Tage merken konnte, was ich im Vorjahr geschrieben hatte. So verfaßte ich meinen Dankesbrief recht allgemein und hob mein Konzept auf. Er hat auch tatsächlich nie gemerkt, daß er durch vier oder fünf Jahre immer den gleichen Brief bekam – wahrscheinlich auch mit den gleichen Rechtschreibfehlern. Ich hatte eben immer schon ein gewisses Talent für Organisation und – als Folge meiner Faulheit (auf die ja auch die meisten Erfindungen zurückzuführen sind) – für Arbeitsersparnis. So ersparte ich meinen Eltern auch die Ausgaben für einige zerkaute Federhalter.

»Wie ich sehe, habe ich nicht die Fähigkeit das Herumhüpfen im Zeitraum zu unterlassen. Verzeihen Sie also, wenn ich mein Versprechen nicht gehalten habe. Jetzt werde ich mich aber doch zusammennehmen.«

Also: Gustav II. hatte außer seinen Spielwarengeschäften auch fünf Töchter und einen Sohn. Vier von ihnen waren unvorstellbar häßlich, nur die Jüngste hatte, was ihren Schwestern in dieser Hinsicht fehlte, in sich vereinigt. Sie war – damals so um die fünfzehn Jahre alt eine ausgesprochene Schönheit. Walter, der einzige Sohn war ein Jahr älter als ich. Er war der Prototyp eines Siegfried oder Lohengrin. Wenn er eine Stimme gehabt hätte und den Mordbuben von der SS, die ihn viele Jahre später nach dem Anschluß holen kamen, vorgesungen hätte: »Nie sollst Du mich befragen …« – vielleicht würde er noch leben. Statt dessen aber hielt er ihnen seine »Goldene Tapferkeitsmedaille« unter die Nase. Als ihm der eine Mörder diese aus der Hand schlug, versetzte er ihm einen Kinnhaken, daß er zu Boden ging. Da schoß ihm der andere vor den Augen seiner Frau eine Kugel durch den Kopf. Ich werde das Gefühl nicht los, daß es ein bewußter Selbstmord war. Auch seine Schwestern sind dann, bis auf die jüngste, die mit ihrem Mann noch rechtzeitig fliehen konnte, in den Gaskammern umgekommen. Walter war ein fideles Haus – »fesch«, wie man in Wien sagte. Wenn ich damals mit ihm in seiner Uniform als Leutnant der Kaiserjäger über die Straße ging, so drehten sich alle Frauen und Mädchen nach ihm um.

Onkel Langendorf – Gustav I. – war zum Militär eingezogen worden. Als Landsturm war er dem Verpflegungsmagazin in Prag zugeteilt gewesen. Da gehörte er auch hin, da er ja in der Lebensmittelbranche Fachmann war. Kurz nach meiner Ankunft wurde er in die Häutezentrale in Wien versetzt. Von Rohhäuten und Leder hatte er nicht die blasseste Ahnung – doch so war es mal in der alten Monarchie. Er mietete im vierten Bezirk eine schöne, gut eingerichtete Wohnung und ließ die ganze Familie nachkommen. Ich war dort regelmäßig zu Gast, oft zusammen mit Georg Guth, dem älteren Bruder von Fritz. Dieser war ebenfalls Ingenieur und arbeitete in irgendeiner Wiener Militärwerkstatt.

Mit Onkel Gustav I. und Georg Guth besuchte ich regelmäßig Konzerte. Beide waren – typisch für ihre Generation – Wagnerianer. Ich hielt damals bei Beethoven, während ich die Schönheiten der Musik von Mozart, Händel und Bach erst später nach und nach entdeckte, die auch – besonders die ersten beiden – meinem Charakter mehr entsprachen.

Doch jetzt komme ich zu einem etwas peinlichen Kapitel. Ein Dichter, Musiker, Künstler oder Staatsmann kann an Kreislaufstörung, Herzklappenfehler, Krebs, Tuberkulose oder sogar Paralyse erkranken. Aber Hämorrhoiden – nein! Das wäre zu trivial – ganz unmöglich! Nun zum Glück bin ich weder ein Dichter noch sonst ein gottbegnadeter Künstler oder gar eine Prominenz. So kann ich es ruhig eingestehen: ja ich hatte diese äußerst schmerzhaften Darmknoten, die aus mir völlig unverständlichen Gründen »goldene Ader« genannt werden. Geholt hatte ich sie mir in ihrem embryonalen Zustand in Rußland – wahrscheinlich dadurch, daß ich über tausend Kilometer im Sattel zugebracht hatte. Sie wuchsen und gediehen. Bald konnte ich ohne Stock überhaupt nicht mehr gehen, kaum sitzen und, wenn ich saß, nicht mehr aufstehen. Wenn ich mühevoll eine Straßenbahn erklettert hatte, sprang immer gleich zumindest eine hilfsbereite Dame auf, um mir Platz zu machen. Es war mir recht peinlich, ihnen klarzumachen, daß ich lieber stehen möchte. Ich konnte ihnen doch nicht sagen: »Gnädige Frau, ich bin kein Held, sondern habe nur Hämorrhoiden.« Die »Tante« Olga bereitete mir lauwarme Sitzbäder, Ernst besorgte mir eine Salbe. Nichts half. Da beschloß ich, die Sache radikal anzugehen und mich der nicht gerade angenehmen Operation zu unterziehen.

Als mein Vater am nächsten Börsentag nach Wien kam, erkundigte er sich nach dem ersten Spezialisten. So kam ich zu dem ihm empfohlenen Dozenten Zweig, einem Cousin von Stefan Zweig. Dieser vereinbarte mit Professor Schnitzler, dem Bruder von Arthur Schnitzler, daß er meine Knoten – da keine gordischen – nicht mit dem Schwert, sondern mit einem Skalpell lösen und dann ausbrennen werde. Ich besorgte mir in der Kaserne vom Regimentsarzt die Bewilligung zur privaten Behandlung und ging ins Sanatorium Löw. So bekam meine »goldene Ader« einen – wenn auch indirekten – Hauch von der »dichterischen Ader« zu spüren. Von einer nachhaltigen Wirkung habe ich jedoch leider nie etwas gemerkt.

Dies ist umso verwunderlicher, als bereits der erste Schrei, den ich ausstieß, Dichterohren traf. Hugo Salus brachte zweierlei Werke hervor. Die einen – seine eigenen – waren lyrischer Natur. Er war ein im ganzen deutschen Sprachgebiet damals bekannter Lyriker und Senior des Prager Dichterkreises. Die anderen waren fremde Erzeugnisse. Er war Gynäkologe.

Die Ärzte behaupteten, er sei im Hauptberuf Dichter und Gynäkologe nur so nebenbei, die Dichter das Gegenteil. Wer recht hatte, darüber ließ sich streiten. Vom Dichter waren einige Bände Lyrik erschienen, wie »Reigen«, »Ernte«, »Klarer Klang« und andere, ferner Versspiele wie »Susanna im Bade«, »Römische Komödie« und einzelne Novellen.

Als Gynäkologe hatte er immerhin auch ganz prächtige Erfolge zu verzeichnen – zum Beispiel mich. (Das ist ein typisches Beispiel von überkompensierten berechtigten Minderwertigkeitskomplexen!)

Hugo Salus kannte in Prag ein jeder – nicht nur als Dichter, sondern selbst die amusischesten Leute wegen seines Habitus. Er war eines der Prager Originale. Er trug bis auf die Schulter herabhängende blonde Locken, über diesen, auf der Straße einen breitkrempigen schwarzen Schlapphut. Dazu einen Schnauzbart, der bis zum Kinn herabhing.

Dr. Bielhal, ein guter Bekannter meines Vaters, ließ die Streitfrage, was Hugo Salus in seinem Hauptberuf sei, offen. Er modifizierte den Vers von Hans Sachs auf:

Er ist ein Gebu-

rtshelfer und Poet dazu.

Die einzige Folge dieser meiner ersten unmittelbaren Berührung mit der deutschen Dichtkunst scheint ein Kuß der Muse Erato gewesen zu sein, der versehentlich auf meinem Popo gelandet war. Der Effekt war daher nicht der Art, wie man ihn im allgemeinen sich von einem Musenkuß vorzustellen pflegt – die sprießenden Folgen dieser Notlandung mußte nun Professor Schnitzler beseitigen.

Mein Zimmer im Sanatorium – einem der vornehmsten und besten von Wien – unterschied sich wesentlich von einem heutigen rein auf Zweckmäßigkeit und Hygiene eingerichteten. Es war wie ein Boudoir einer Diva mit Polstermöbel und Tüllvorhängen ausgestattet. Die Operation war gut verlaufen. Hier lag ich nun wie eine Pompadour. Hier empfing ich meine Besuche wie diese beim Lever. Allerdings fühlte ich mich die ersten Tage hundsmiserabel – absolut nicht wie eine königliche Mätresse. Von vorne war mir zum Kotzen und hinten brannte es wie die Hölle. Die Besuche rissen nicht ab. Einmal kam ein wunderschönes achtzehnjähriges Mädchen, zu dem mich vor kurzem ein Kadett von unserer Batterie mitgenommen hatte, mit einem Sträußchen Maiglöckchen. Maiglöckchen im Dezember! Damals eine Kostbarkeit. Sie sah, wie elend ich mich fühlte. Nachdem meine Mutter und die Krankenschwester hinausgegangen waren, gab sie mir einen Kuß auf die Stirn und sagte, ich möge ihr schreiben, bis mir besser sei. Sie würde dann wiederkommen. Daß ich ihr nicht schrieb, daran war ein anderer Besuch schuld, der einige Tage später kam.

Die Türe öffnete sich – zuerst nur einen Spalt, in dem ein Frauenkopf erschien. Dann ging sie ganz auf und auf mein Bett zu schritt eine Rokokopuppe mit schwarzem Haar und kohlschwarzen lächelnden Augen. Ich starrte sie an. Nanu, welcher Wohltätigkeitsverein hat mir d i e gesandt. Sie beugte sich über mich und gab mir einen flüchtigen Kuß. Jetzt brannte ich von vorn und hinten. »Ich bin deine Cousine Elsa« stellte sie sich vor. »Ich habe gewartet, bis ich von der Tante die Nachricht erhielt, daß es dir besser geht – da bin ich.« Ja, da war sie, hielt meine Hand. Sie war an die zehn Jahre älter als ich – also um die neunundzwanzig bis dreißig und gab sich so natürlich, als ob wir uns schon fünfzig Jahre kennen würden. Sie kam dann noch einige Mal und ich mußte ihr versprechen, bis ich gesund sei, sofort zu ihr zu kommen.

Drei Tage nach meiner Operation bekam ich noch einen Besuch – einen unerwarteten, der mich trotz der damit verbundenen Schmerzen zwang, hell aufzulachen. Es war eine Ordonnanz von meiner Ersatzbatterie mit der schriftlichen Mitteilung, ich sei zum Feldkanonenregiment 13 versetzt und zur Marschbatterie 6 zugeteilt, die in drei Tagen abgehen werde. Ich solle mich sofort auf der Kommandantur melden! Daß ich dies nicht tat, sondern ein Schreiben des Professors Schnitzler unter Hinweis auf die Bewilligung der Privatbehandlung einsandte, wird dem Ersatzbatteriekommandanten nicht sehr begeistert haben.

Jedes Feldkanonenregiment hatte sechs Batterien. Die 6. war eine Minenwerferbatterie, wohl nach Flammenwerfern und Sturmtrupps die unangenehmste Zuteilung. Darum entledigten sich die Wiener Herren ihrer Kameraden der aus »brüderlichen Nationen« vereinten Armee, die keine reinblütigen Deutschen waren bei der 6. Batterie. Ich wußte nun, was auf mich wartete. Wenn ich auch diesmal dank meiner nicht mehr vorhandenen Knoten an Wien festgeknotet war – ewig würde dieser Zustand nicht währen. Einmal würde ich wieder »frontdiensttauglich« sein und eben mit der nächsten Minenwerferbatterie an die Front gehen. Doch bis dahin wollte ich noch mein Leben genießen.

Ernst brachte mir ins Sanatorium Lektüre. Darunter auch den Leonardo da Vinci von Mereschkowski. Das war eigentlich mein erster Kontakt mit der Kunst. Seitdem bewunderte und liebte ich Leonardo und daran hat sich bis heute nichts geändert. Natürlich befriedigte mich dieser Roman nicht und ich erwarb, sobald ich das Sanatorium verlassen hatte, das große zweibändige Werk über ihn von Waldemar v. Seidlitz. Dann folgte der zweibändige Michelangelo von Hermann Grimm, die Kultur der Renaissance von Jacob Burckhardt und danach riß das Bücherkaufen nicht mehr ab.

Sobald ich das Sanatorium verlassen hatte und wieder richtig gehen konnte, war mein erster Weg zu meiner Cousine Elsa. Wie erwähnt, war sie die mittlere Tochter der Tante Helen. Diese war unglücklich verheiratet gewesen – vielleicht noch. Das war nicht ganz klar. Ihr Mann war ein Säufer und Spieler und war, nachdem er ihre Mitgift durchgebracht hatte, nach Amerika verschwunden. Er ließ sie mit ihren drei kleinen Mädchen mittellos sitzen. Die Tante hatte sich tapfer durchgeschlagen, von ihrem Bruder, Onkel Gustav II. weitgehend unterstützt.

Als die Töchter heranwuchsen, galt es, sie so rasch und gut wie möglich unter die Haube zu bringen, um aus der Not herauszukommen. Alle bekamen gute, anständige Ehemänner. Liebesheiraten waren es keine. Elsa heiratete mit achtzehn Jahren einen seelenguten, recht wohlhabenden aber abstoßend häßlichen achtundvierzigjährigen Mann. Das konnte natürlich bei einem so schönen temperamentvollen Frauchen umso weniger gut tun, als der Mann die ganze Woche über auf Reisen war und nur den Samstag und Sonntag zu Hause verbrachte. Wie ich viel später erfuhr, hatte sie einen ständigen Hausfreund, der, als ich nach Wien kam, sich bereits in russischer Kriegsgefangenschaft befand.

Als ich nach einer telephonischen Anmeldung mit einem Blumenstrauß an ihrer Wohnungstüre läutete, öffnete sie mir in einem hinreichend dekolletierten Kimono. Der Kuß, mit dem sie mich empfing, war noch viel weniger verwandtschaftlich, als der im Sanatorium. Als ich erfuhr, daß wir allein zu Abend essen würden, da ihr Mann verreist sei, hatte ich so ein unbestimmtes Gefühl, daß es nicht bei verwandtschaftlichen Beziehungen bleiben würde. Ich hatte jedoch schreckliche Gewissensbisse und moralische Hemmungen, verhielt mich zurückhaltend – schließlich aber landeten wir doch im Schlafzimmer. Infolge meiner Aufregung versagte ich vollkommen. Sie war jedoch eine kluge und erfahrene Frau, ignorierte diese Tatsache und gab mir nach zwei Tagen Gelegenheit, ihr zu beweisen – und das nicht nur einmal – daß sie mir nicht gleichgültig sei.

So befand ich mich während meines ganzen Wiener Aufenthalts in festen Händen. Zu Konzerten und in die Oper ging ich nun nicht mehr so oft mit Gustav I. und Georg Guth, sondern vorwiegend mit Elsa – wenn wir den Abend nicht zu Hause verbrachten. Auch Ernst vernachlässigte ich sträflich, der jedoch Verständnis zeigte.

Einmal als ich Dienst machte – ich hatte am Sonntag Kaserneninspektion, eine furchtbar langweilige Angelegenheit. Fortwährend lesen kann man nicht und so ein Sonntag war in der Kaserne, die wie ausgestorben war, tödlich. Man wanderte vom Offiziersinspektionszimmer in die Kantine und wieder zurück. So verabredete ich, daß mich Elsa unterhalten und trösten kommen würde. Sie kam nach Tisch mit der ersten elektrischen Bahn. Ich hatte aus der Kantine Tee und Gebäck bringen lassen. Während wir nach einem langen Kuß gerade anfingen, uns vorerst dem Kuchen zu widmen, klopfte es zaghaft an der Tür. Ich ging nachsehen, wer draußen sei.

Es war der Korporal, der die Torwache befehligte. Er winkte mir ganz unmilitärisch, ich möge herauskommen und die Türe schließen. Nachdem ich seiner Aufforderung gefolgt war, schlug er die Klappen zusammen und meldete militärisch: »Herr Fähnrich, melde gehorsamst, noch eine Frau Gemahlin ist gekommen.«

Ich sah ihn verwundert an: »Na und was haben Sie getan?«

»Melde gehorsamst, ich hab ihr g’sagt, daß i nachsehen müsse, wo Herr Fähnrich san, und hab sie in der Wachstubn hingsetzt.«

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22 aralık 2023
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796 s. 28 illüstrasyon
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9783960081739
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